Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-72/14,C-197/14

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

9. September 2015 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Wandererwerbstätige — Soziale Sicherheit — Anzuwendende Rechtsvorschriften — Rheinschiffer — Bescheinigung E 101 — Beweiskraft — Anrufung des Gerichtshofs — Vorlagepflicht“

In den verbundenen Rechtssachen C‑72/14 und C‑197/14

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Gerechtshof te 's‑Hertogenbosch (Niederlande) und vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidungen vom 7. Februar und 28. März 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Februar bzw. 18. April 2014, in den Verfahren

X

gegen

Inspecteur van de Rijksbelastingdienst (C‑72/14)

und

T. A. van Dijk

gegen

Staatssecretaris van Financiën (C‑197/14)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter J.‑C. Bonichot, A. Arabadjiev, J. L. da Cruz Vilaça und C. Lycourgos,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von X und Herrn van Dijk, vertreten durch M. J. van Dam, advocaat,

der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman, M. de Ree, H. Stergiou und J. Langer als Bevollmächtigte,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,

der griechischen Regierung, vertreten durch E.‑M. Mamouna, M. Tassopoulou und A. Samoni-Rantou als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und W. Roels als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Mai 2015

folgendes

Urteil

1

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 7 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der Art. 10c bis 11a, 12a und 12b der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 in ihren durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassungen, beide geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 (ABl. L 117, S. 1) (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71 und Verordnung Nr. 574/72), sowie die Auslegung von Art. 267 Abs. 3 AEUV.

2

Diese Ersuchen ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten über Steuerbescheide zwischen X und dem Inspecteur van de Rijksbelastingdienst (Inspektor der nationalen Steuerverwaltung) sowie zwischen Herrn van Dijk und dem Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär für Finanzen).

Rechtlicher Rahmen

Internationales Recht

3

Das am 30. November 1979 in Genf unterzeichnete Übereinkommen über die soziale Sicherheit der Rheinschiffer, das von der mit der Revision des Abkommens vom 13. Februar 1961 über die soziale Sicherheit der Rheinschiffer beauftragten Regierungskonferenz angenommen wurde (im Folgenden: Übereinkommen über die Rheinschiffer), bestimmt in seinem Art. 2 Abs. 1:

„Vorbehaltlich des Artikels 9 Absatz 2 und des Artikels 54 gilt dieses Übereinkommen im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien für alle Personen, die den Rechtsvorschriften einer oder mehrerer Vertragsparteien als Rheinschiffer unterstehen oder unterstanden, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.“

Unionsrecht

Verordnung Nr. 1408/71

4

Art. 6 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt, dass diese grundsätzlich an die Stelle aller Abkommen über soziale Sicherheit tritt, die entweder ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten oder zwischen mindestens zwei Mitgliedstaaten und einem oder mehreren anderen Staaten in Kraft sind.

5

Unter der Überschrift „Von dieser Verordnung nicht berührte internationale Bestimmungen“ sieht Art. 7 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 vor, dass das Übereinkommen über die Rheinschiffer ungeachtet des Art. 6 der Verordnung anwendbar bleibt.

6

Titel II der Verordnung Nr. 1408/71, der die Art. 13 bis 17a umfasst, regelt die Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit.

Verordnung Nr. 574/72

7

Unter der Überschrift „Durchführung der Vorschriften der Verordnung zur Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften“ legt Titel III der Verordnung Nr. 574/72 die Einzelheiten der Durchführung der Art. 13 bis 17 der Verordnung Nr. 1408/71 fest.

8

Insbesondere sehen die Art. 10c bis 11a, 12a und 12b der Verordnung Nr. 574/72 vor, dass der Träger, den die zuständige Behörde desjenigen Mitgliedstaats bezeichnet, dessen Rechtsvorschriften gemäß den Art. 13 Abs. 2 Buchst. d, 14 Abs. 1 Buchst. a und 2 Buchst. a und b, 14a Abs. 1 Buchst. a, 2 und 4, 14b Abs. 1, 2 und 4, 14c Buchst. a, 14e und 17 der Verordnung Nr. 1408/71 weiterhin anzuwenden sind, eine Bescheinigung – die sogenannte „Bescheinigung E 101“ – darüber ausstellt, dass für den betreffenden Erwerbstätigen die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats gelten.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Rechtssache C‑72/14

9

X ist ein niederländischer Staatsangehöriger, der 2006 in den Niederlanden wohnte und als Steuermann auf einem in den Niederlanden registrierten Motorschiff arbeitete.

10

Im Jahr 2006 befuhr das Schiff gewerbsmäßig nicht nur den Rhein, sondern auch, und zwar größtenteils, andere Binnenwasserstraßen.

11

Ferner stand X im Jahr 2006 auf der Gehaltsliste eines Unternehmens mit Sitz in Luxemburg.

12

Am 25. November 2004 stellte das Ministerium für Verkehr und Wasserwirtschaft (Ministerie van Verkeer en Waterstaat) der Schiffseignerin, einem Unternehmen mit Sitz in Rotterdam (Niederlande), eine Rheinschifffahrtsbescheinigung (Rijnvaartverklaring) im Sinne von Art. 1 Buchst. h und Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes über den Binnenschifffahrtsverkehr (Wet vervoer binnenvaart) für das Schiff aus.

13

X stellte beim zuständigen Träger des Großherzogtums Luxemburg einen Antrag auf Anschluss an das luxemburgische System der sozialen Sicherheit, dem von diesem Träger stattgegeben wurde. Am 1. März 2006 stellte der Verband der Krankenkassen in Luxemburg (Union des caisses de maladie à Luxembourg) X eine Bescheinigung E 101 über seine Tätigkeiten aus.

14

X gab für das Jahr 2006 eine Erklärung über Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträge auf der Grundlage eines steuerpflichtigen Einkommens von 31647 Euro aus seiner Erwerbstätigkeit ab. Darin beantragte er eine Befreiung von den Sozialversicherungsbeiträgen und einen Abzug zur Vermeidung von Doppelbesteuerung. Bei der Steuerfestsetzung gewährte der Inspektor der nationalen Steuerverwaltung weder die beantragte Befreiung noch den beantragten Abzug. Außerdem berichtigte er die Steuerberechnung.

15

So erging gegen X ein Bescheid über die Einkommensteuer und die zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge für das Jahr 2006, bei dem ein steuerpflichtiges Einkommen von 28914 Euro aus seiner Arbeit zugrunde gelegt wurde.

16

X legte insbesondere gegen die Entscheidung, die Befreiung von den Sozialversicherungsbeiträgen für das betreffende Jahr nicht zu gewähren, Einspruch ein. Der Inspektor der nationalen Steuerverwaltung wies diesen Einspruch als unbegründet zurück.

17

Gegen die Entscheidung, mit der sein Einspruch zurückgewiesen worden war, erhob X Klage bei der Rechtbank Breda (Gericht Breda), die die Klage als unbegründet abwies. Daraufhin legte er gegen das Urteil der Rechtbank Breda Berufung beim Gerechtshof te 's‑Hertogenbosch (Berufungsgericht Herzogenbusch) ein.

18

Nach Ansicht des Gerechtshof te 's‑Hertogenbosch hat die Rechtbank Breda zu Recht entschieden, dass X als Rheinschiffer im Sinne des Übereinkommens über die Rheinschiffer anzusehen sei und folglich die Zuweisungsregeln dieses Übereinkommens auf ihn Anwendung fänden. Dem Gerechtshof te 's‑Hertogenbosch stellt sich somit die Frage, welche Tragweite der Bescheinigung E 101 zukommen kann, die am 1. März 2006 von dem zur Erteilung dieser Art von Bescheinigung zuständigen luxemburgischen Träger ausgestellt wurde.

19

In diesem Zusammenhang hat der Gerechtshof te 's‑Hertogenbosch beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Im Urteil FTS (C‑202/97, EU:C:2000:75) hat der Gerichtshof entschieden, dass eine vom zuständigen Träger eines Mitgliedstaats ausgestellte Bescheinigung E 101 die Sozialversicherungsträger anderer Mitgliedstaaten selbst dann binde, wenn diese Bescheinigung inhaltlich unrichtig sein sollte. Gilt diese Entscheidung auch für Fälle wie den vorliegenden, in dem die Zuweisungsregeln der Verordnung keine Anwendung finden?

2.

Ist für die Beantwortung dieser Frage von Belang, dass der zuständige Träger nicht beabsichtigte, eine Bescheinigung E 101 auszustellen, aber aus administrativen Gründen bewusst und wohlüberlegt Dokumente verwendet hat, die nach Form und Inhalt den Anschein von Bescheinigungen E 101 erweckten, während der Abgabenschuldner der Meinung war und auch vernünftigerweise sein konnte, eine solche Bescheinigung erhalten zu haben?

Rechtssache C‑197/14

20

Im Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis 30. Juni 2007 war Herr van Dijk, der damals in den Niederlanden wohnte, bei der Christa Intershipping Sàrl mit Sitz in Luxemburg beschäftigt. Er war in diesem Zeitraum insbesondere als Kapitän auf einem Binnenschiff im Hoheitsgebiet mehrerer Mitgliedstaaten, hauptsächlich auf dem Rhein, dessen Seitenflüssen und dessen Verbindungen zum Meer tätig.

21

Die luxemburgischen Behörden stellten Herrn van Dijk eine Bescheinigung E 101 aus, der zu entnehmen ist, dass nach der Verordnung Nr. 1408/71 die luxemburgischen Rechtsvorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit ab dem 1. September 2004 auf ihn anwendbar sind.

22

Gegenüber Herrn van Dijk ergingen für das Jahr 2007 ein Einkommensteuer‑/Sozialversicherungsbeitragsbescheid und ein Bescheid über seine einkommensabhängigen Krankenversicherungsbeiträge. Diese Abgabenbescheide wurden nach einem von Herrn van Dijk dagegen erhobenen Einspruch von den niederländischen Steuerbehörden aufrechterhalten.

23

Nachdem Herr van Dijk gegen die seinen Einspruch zurückweisenden Entscheidungen Klage bei der Rechtbank te ’s‑Gravenhage (Gericht Den Haag) erhoben und diese die streitigen Abgabenbescheide bestätigt hatte, legte er gegen dieses Urteil Berufung beim Gerechtshof te ’s‑Gravenhage (Berufungsgericht Den Haag) ein.

24

Dieser bestätigte das Urteil der Rechtbank te ’s‑Gravenhage. Er entschied insbesondere, dass der Betroffene als Rheinschiffer im Sinne des Übereinkommens über die Rheinschiffer anzusehen sei und dass nach Art. 11 Abs. 2 dieses Übereinkommens die niederländischen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit für ihn gälten. Außerdem entschied der Gerechtshof te ’s‑Gravenhage, dass der in Rede stehenden Bescheinigung E 101 keine rechtliche Bedeutung zuerkannt werden könne, da sie auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1408/71 ausgestellt worden sei, die gemäß ihrem Art. 7 Abs. 2 Buchst. a auf Herrn van Dijk nicht anwendbar sei.

25

Herr van Dijk legte beim Hoge Raad der Nederlanden (Hoher Rat der Niederlande) Kassationsbeschwerde gegen das Urteil des Gerechtshof te ’s‑Gravenhage ein.

26

Aus der Vorlageentscheidung des Hoge Raad der Nederlanden geht hervor, dass er in einer Rechtssache, die der des Ausgangsverfahrens gleicht, bereits Gelegenheit hatte, sich zur Tragweite der Bescheinigung E 101 zu äußern.

27

In seinem Urteil vom 11. Oktober 2013 (Nr. 12/04012, ECLI:NL:HR:2013:CA0827) entschied er nämlich, dass einer ausgestellten Bescheinigung E 101 keine Bedeutung beizumessen und der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nicht verletzt sei, wenn der Betroffene als Rheinschiffer im Sinne von Art. 1 Buchst. m des Übereinkommens über die Rheinschiffer anzusehen sei, auf den folglich nicht die Verordnung Nr. 1408/71, sondern dieses Übereinkommen anwendbar sei.

28

Der Hoge Raad der Nederlanden erließ dieses Urteil, ohne den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen, da seiner Ansicht nach die zu treffende Entscheidung keinen Raum für vernünftige Zweifel ließ.

29

Mit Entscheidung vom 7. Februar 2014 (Nr. 13/00040, ECLI:NL:GHSHE:2014:248, V-N 2014/12.15) hat der Gerechtshof te 's‑Hertogenbosch jedoch dem Gerichtshof zwei Vorlagefragen vorgelegt, die Gegenstand der Rechtssache C‑72/14 sind.

30

Da die Antwort auf diese Fragen für die Entscheidung des beim Hoge Raad der Nederlanden anhängigen Rechtsstreits erheblich sein kann, sieht sich dieser nun vor die Frage gestellt, ob er in Übereinstimmung mit seinem Urteil vom 11. Oktober 2013 über diesen Rechtsstreit entscheiden darf, ohne ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof zu richten und ohne dessen Antwort auf die Vorlagefragen des Gerechtshof te 's‑Hertogenbosch abzuwarten.

31

Er fragt sich insbesondere, ob die in Rn. 16 des Urteils Cilfit u. a. (283/81, EU:C:1982:335) ausgeführten Voraussetzungen als erfüllt angesehen werden können, wenn seiner Ansicht nach die Entscheidung über die vor ihm aufgeworfene Frage nach der Auslegung des Unionsrechts so offenkundig ist, dass sie keinen Raum für vernünftige Zweifel lasse.

32

In diesem Zusammenhang hat der Hoge Raad der Nederlanden beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist der Hoge Raad der Nederlanden als höchstes nationales Gericht bei einer von einem niedrigeren nationalen Gericht zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage gehalten, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen oder die Antwort auf die von dem niedrigeren nationalen Gericht gestellte Frage abzuwarten, auch wenn er der Ansicht ist, dass die richtige Anwendung des Unionsrechts in dem von ihm zu entscheidenden Punkt so offenkundig ist, dass vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann, in welcher Weise diese Frage zu beantworten ist?

2.

Wenn die erste Frage bejaht wird: Sind die niederländischen Behörden auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit dann an eine von einer Behörde eines anderen Mitgliedstaats ausgestellte Bescheinigung E 101 gebunden, selbst wenn es um einen Rheinschiffer geht, so dass die Regeln über die anwendbaren Rechtsvorschriften in der Verordnung Nr. 1408/71, auf die sich diese Bescheinigung bezieht, nach Art. 7 Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung keine Anwendung finden?

33

Durch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 24. Februar 2015 sind die Rechtssachen C‑72/14 und C‑197/14 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamem Urteil verbunden worden.

Zu den Vorlagefragen

Vorbemerkungen

34

Aus den Vorlageentscheidungen ergibt sich, dass die Rechtsmittelführer der Ausgangsverfahren Rheinschiffer sind, denen eine Bescheinigung E 101 von dem Träger ausgestellt wurde, der in Luxemburg für die Erteilung dieser Art von Bescheinigungen zuständig ist.

35

Aus der Vorlageentscheidung in der Rechtssache C‑72/14 ergibt sich auch, dass dieser Träger der Ansicht war, dass für den Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens gemäß den Zuweisungsregeln des Übereinkommens über die Rheinschiffer die luxemburgischen Rechtsvorschriften gälten, und dass der Träger, weil im Rahmen dieses Übereinkommens ein der Bescheinigung E 101 gleichwertiges Formular fehle, Letztere verwendet habe, um zu bescheinigen, dass der Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens an das luxemburgische System der sozialen Sicherheit angeschlossen gewesen sei.

36

Die von den vorlegenden Gerichten gestellten Fragen sind ausgehend von diesen Prämissen zu beantworten, da das vorliegende Urteil weder eine Beurteilung der Einstufung der Rechtsmittelführer der Ausgangsverfahren als Rheinschiffer noch der auf sie anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften beinhaltet.

Zu den Fragen in der Rechtssache C‑72/14 und zur zweiten Frage in der Rechtssache C‑197/14

37

Mit den Fragen in der Rechtssache C‑72/14 und der zweiten Frage in der Rechtssache C‑197/14, die zusammen zu prüfen sind, möchten die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen wissen, ob Art. 7 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 und die Art. 10c bis 11a, 12a und 12b der Verordnung Nr. 574/72 dahin auszulegen sind, dass eine vom zuständigen Träger eines Mitgliedstaats in der Form einer Bescheinigung E 101 ausgestellte Bescheinigung darüber, dass für einen Erwerbstätigen das Sozialrecht dieses Mitgliedstaats gilt, obwohl dieser Erwerbstätige unter das Übereinkommen über die Rheinschiffer fällt, die Träger der anderen Mitgliedstaaten bindet, und ob die Tatsache, dass der ausstellende Träger nicht beabsichtigte, eine wirkliche Bescheinigung E 101 auszustellen, sondern das Formblatt für diese Bescheinigung aus administrativen Gründen verwendete, insoweit erheblich ist.

38

Erstens ist daran zu erinnern, dass, wie aus den Rn. 7 und 8 des vorliegenden Urteils hervorgeht, die Bescheinigung E 101 einem Formblatt entspricht, das gemäß Titel III der Verordnung Nr. 574/72 von dem Träger, den die zuständige Behörde desjenigen Mitgliedstaats bezeichnet, dessen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit anwendbar sind, ausgestellt wird, um zu bescheinigen, dass für die Wandererwerbstätigen, die sich in einer der in bestimmten Vorschriften des Titels II der Verordnung Nr. 1408/71 beschriebenen Situationen befinden, die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats gelten.

39

Somit ist die Verwendung der Bescheinigung E 101 nur dann erheblich, wenn die im Titel II der Verordnung Nr. 1408/71 festgelegten Regeln zur Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit auf die betreffenden Erwerbstätigen angewandt werden, was durch die im Formblatt enthaltenen Angaben bestätigt wird, die sich ausschließlich auf Situationen von Erwerbstätigen beziehen, die in den Anwendungsbereich des genannten Titels II fallen.

40

Im Übrigen hat der Gerichtshof entschieden, dass die Bescheinigung E 101, da sie eine Vermutung dafür begründet, dass die entsandten Arbeitnehmer dem System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem das diese Arbeitnehmer entsendende Unternehmen seine Betriebsstätte hat, ordnungsgemäß angeschlossen sind, den zuständigen Träger des Mitgliedstaats bindet, in den diese Arbeitnehmer entsandt sind (Urteil Herbosch Kiere, C‑2/05, EU:C:2006:69, Rn. 24).

41

Der Gerichtshof hat auch klargestellt, dass die Bescheinigung E 101 den zuständigen Träger und die Gerichte des Mitgliedstaats, in den die Arbeitnehmer entsandt worden sind, bindet, solange sie nicht von den Behörden des Ausstellungsstaats zurückgezogen oder für ungültig erklärt wird (Urteil Herbosch Kiere, C‑2/05, EU:C:2006:69, Rn. 33).

42

Da die Bescheinigung E 101 diesen Träger bindet, gibt es im Übrigen auch keinen Grund dafür, dass die Person, die Leistungen des Erwerbstätigen in Anspruch nimmt, sich nicht daran halten müsste. Bezweifelt sie die Gültigkeit der Bescheinigung, muss diese Person jedoch den fraglichen Träger davon in Kenntnis setzen (Urteil Banks u. a., C‑178/97, EU:C:2000:169, Rn. 47).

43

Gleichwohl ist hervorzuheben, dass die vorstehend in den Rn. 40 bis 42 angeführte Rechtsprechung Situationen betrifft, in denen die Bescheinigungen E 101 in Bezug auf Erwerbstätige ausgestellt wurden, die unter den Titel II der Verordnung Nr. 1408/71 fielen.

44

Die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bescheinigungen E 101 wurden jedoch, wie in Rn. 34 des vorliegenden Urteils ausgeführt, in Bezug auf Rheinschiffer ausgestellt.

45

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 7 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 vorsieht, dass ungeachtet des Art. 6 der Verordnung, nach dem diese Verordnung grundsätzlich an die Stelle aller Abkommen über soziale Sicherheit tritt, die entweder ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten oder zwischen mindestens zwei Mitgliedstaaten und einem oder mehreren anderen Staaten in Kraft sind, die Bestimmungen des Übereinkommens über die Rheinschiffer, die deren soziale Sicherheit betreffen, anwendbar bleiben.

46

Daraus ergibt sich, dass die Rheinschiffer nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fallen, sondern in den des Übereinkommens über die Rheinschiffer, so dass die Bestimmung der auf sie anwendbaren Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit nicht nach Titel II der Verordnung erfolgt, sondern nach diesem Übereinkommen.

47

Unter diesen Umständen kann eine von einem Träger eines Mitgliedstaats ausgestellte Bescheinigung darüber, dass für einen Erwerbstätigen, der Rheinschiffer ist, die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats gelten – wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bescheinigungen –, nicht als eine Bescheinigung E 101 angesehen werden, selbst wenn sie deren Form hat und unabhängig davon, ob sie von dem Träger ausgestellt worden ist, den die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 dafür bezeichnet hat, diese Art von Bescheinigungen zu erlassen.

48

Folglich kann eine solche Bescheinigung nicht die Wirkungen der Bescheinigung E 101 entfalten, zu denen die bindende Wirkung gegenüber den Trägern der anderen Mitgliedstaaten als demjenigen zählt, dem der Träger angehört, der eine Bescheinigung E 101 ausgestellt hat.

49

In diesem Zusammenhang ist hier die Tatsache, dass der ausstellende Träger nicht die Absicht hatte, eine Bescheinigung E 101 auszustellen, sondern aus administrativen Gründen ein Standardformblatt verwendete, für die Beantwortung der Vorlagefragen unerheblich.

50

Hinzuzufügen ist jedenfalls noch, dass die Tatsache, dass eine Bescheinigung, die einen Rheinschiffer betrifft und in der Form einer Bescheinigung E 101 ausgestellt worden ist – wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bescheinigungen –, nicht die aus einer Bescheinigung E 101 folgenden Wirkungen entfaltet, gleichwohl nicht bedeutet, dass die besagte Bescheinigung keine rechtliche Wirkung hat.

51

Nach alledem ist auf die Fragen in der Rechtssache C‑72/14 und auf die zweite Frage in der Rechtssache C‑197/14 zu antworten, dass Art. 7 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 und die Art. 10c bis 11a, 12a und 12b der Verordnung Nr. 574/72 dahin auszulegen sind, dass eine vom zuständigen Träger eines Mitgliedstaats in der Form einer Bescheinigung E 101 ausgestellte Bescheinigung darüber, dass für einen Erwerbstätigen das Sozialrecht dieses Mitgliedstaats gilt, obwohl dieser Erwerbstätige unter das Übereinkommen über die Rheinschiffer fällt, die Träger der anderen Mitgliedstaaten nicht bindet. Die Tatsache, dass der ausstellende Träger nicht beabsichtigte, eine wirkliche Bescheinigung E 101 auszustellen, sondern das Formblatt für diese Bescheinigung aus administrativen Gründen verwendete, ist insoweit unerheblich.

Zur ersten Frage in der Rechtssache C‑197/14

52

Mit seiner ersten Frage in der Rechtssache C‑197/14 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 267 Abs. 3 AEUV dahin auszulegen ist, dass ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können – wie das vorlegende Gericht –, zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet ist, wenn ein niedrigeres einzelstaatliches Gericht in einer Rechtssache, die der beim erstgenannten Gericht anhängigen ähnelt und genau die gleiche Problematik betrifft, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, oder ob es die Antwort auf diese Frage abzuwarten hat.

53

Art. 267 AEUV verleiht dem Gerichtshof die Zuständigkeit, im Wege der Vorabentscheidung sowohl über die Auslegung der Verträge und der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union als auch über die Gültigkeit dieser Handlungen zu entscheiden. Nach Abs. 2 dieses Artikels kann ein einzelstaatliches Gericht derartige Fragen dem Gerichtshof vorlegen, wenn es eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich hält, und nach Abs. 3 ist das einzelstaatliche Gericht hierzu verpflichtet, wenn seine Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können (Urteil Melki und Abdeli, C‑188/10 und C‑189/10, EU:C:2010:363, Rn. 40).

54

Es ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass sich die Pflicht, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, die Art. 267 Abs. 3 AEUV gegenüber den einzelstaatlichen Gerichten vorsieht, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden können, in den Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den innerstaatlichen Gerichten als den mit der Anwendung des Unionsrechts betrauten Gerichten und dem Gerichtshof einfügt, durch die die ordnungsgemäße Anwendung und die einheitliche Auslegung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten sichergestellt werden sollen (Urteil Cilfit u. a., 283/81, EU:C:1982:335, Rn. 7).

55

Der Gerichtshof hat klargestellt, dass ein Gericht, dessen Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, seiner Vorlagepflicht nachkommen muss, wenn vor ihm eine Frage des Unionsrechts aufgeworfen wird, es sei denn, es hat festgestellt, dass die aufgeworfene Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. Der Gerichtshof hat ergänzt, dass die Frage, ob ein solcher Fall gegeben ist, unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Unionsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Union zu beurteilen ist (Urteil Cilfit u. a., 283/81, EU:C:1982:335, Rn. 21).

56

Da im vorliegenden Fall ein niedrigeres einzelstaatliches Gericht als das vorlegende Gericht den Gerichtshof mit einer unionsrechtlichen Frage befasst hat, die der beim vorlegenden Gericht aufgeworfenen ähnelt und genau die gleiche Problematik betrifft, stellt sich die Frage, ob ein solcher Umstand verhindert, dass die sich aus dem Urteil Cilfit u. a. (283/81, EU:C:1982:335) ergebenden Kriterien für die Begründung des Vorliegens eines Acte clair und insbesondere das Kriterium, nach dem die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt, erfüllt sind.

57

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass allein das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung zu tragen hat, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen hat (Urteil Eon Aset Menidjmunt, C‑118/11, EU:C:2012:97, Rn. 76).

58

Außerdem ist hervorzuheben, dass es nach der mit dem Urteil Cilfit u. a. (283/81, EU:C:1982:335) begründeten Rechtsprechung allein dem nationalen Gericht überlassen bleibt, zu beurteilen, ob die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt, und demgemäß zu entscheiden, ob es davon absieht, eine vor ihm aufgeworfene Frage nach der Auslegung des Unionsrechts dem Gerichtshof vorzulegen (Urteil Intermodal Transports, C‑495/03, EU:C:2005:552, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung), und sie stattdessen in eigener Verantwortung löst (Urteil Cilfit u. a., 283/81, EU:C:1982:335, Rn. 16).

59

Folglich ist es allein Sache der einzelstaatlichen Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, in eigener Verantwortung und unabhängig zu beurteilen, ob sie es mit einem Acte clair zu tun haben.

60

Somit muss ein oberstes Gericht eines Mitgliedstaats in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden bei seiner Prüfung zwar sicherlich den Umstand berücksichtigen, dass ein niedrigeres Gericht eine Vorlagefrage gestellt hat, die beim Gerichtshof noch anhängig ist, doch kann ein solcher Umstand für sich allein das oberste einzelstaatliche Gericht nicht daran hindern, nach einer den Anforderungen des Urteils Cilfit u. a. (283/81, EU:C:1982:335) genügenden Prüfung zu dem Ergebnis zu gelangen, dass es sich um einen Acte clair handelt.

61

Da schließlich der Umstand, dass ein niedrigeres Gericht dem Gerichtshof eine Vorlagefrage zur gleichen Problematik gestellt hat, wie sie sich in dem Rechtsstreit vor dem in letzter Instanz entscheidenden einzelstaatlichen Gericht stellt, als solcher nicht bedeutet, dass die Voraussetzungen des Urteils Cilfit u. a. (283/81, EU:C:1982:335) nicht mehr erfüllt werden können, so dass das letztgenannte Gericht entscheiden könnte, von einer Anrufung des Gerichtshofs abzusehen und die bei ihm aufgeworfene Frage in eigener Verantwortung zu entscheiden, ist davon auszugehen, dass ein solcher Umstand das oberste einzelstaatliche Gericht auch nicht zwingt, die Antwort des Gerichtshofs auf die Vorlagefrage des niedrigeren einzelstaatlichen Gerichts abzuwarten.

62

Diese Feststellung wird im Übrigen durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt, nach der Art. 267 AEUV nicht ausschließt, dass gegen die Entscheidungen eines Gerichts, dessen Entscheidungen mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können und das den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht hat, nach wie vor die normalen Rechtsmittel des innerstaatlichen Rechts gegeben sind, die es einem höherrangigen Gericht erlauben, den Rechtsstreit, der Gegenstand der Vorlage zur Vorabentscheidung war, selbst zu entscheiden und damit die Verantwortung für die Wahrung des Unionsrechts zu übernehmen (vgl. in diesem Sinne Beschluss Nationale Loterij, C‑525/06, EU:C:2009:179, Rn. 6 bis 8).

63

Nach alledem ist auf die erste Frage in der Rechtssache C‑197/14 zu antworten, dass Art. 267 Abs. 3 AEUV dahin auszulegen ist, dass ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können – wie das vorlegende Gericht –, nicht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet ist, nur weil ein niedrigeres einzelstaatliches Gericht in einer Rechtssache, die der beim erstgenannten Gericht anhängigen ähnelt und genau die gleiche Problematik betrifft, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat. Es ist auch nicht verpflichtet, die Antwort auf diese Frage abzuwarten.

Kosten

64

Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 7 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und die Art. 10c bis 11a, 12a und 12b der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 in ihren durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassungen, beide geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005, sind dahin auszulegen, dass eine vom zuständigen Träger eines Mitgliedstaats in der Form einer Bescheinigung E 101 ausgestellte Bescheinigung darüber, dass für einen Erwerbstätigen das Sozialrecht dieses Mitgliedstaats gilt, obwohl dieser Erwerbstätige unter das am 30. November 1979 in Genf unterzeichnete Übereinkommen über die soziale Sicherheit der Rheinschiffer fällt, das von der mit der Revision des Abkommens vom 13. Februar 1961 über die soziale Sicherheit der Rheinschiffer beauftragten Regierungskonferenz angenommen wurde, die Träger der anderen Mitgliedstaaten nicht bindet. Die Tatsache, dass der ausstellende Träger nicht beabsichtigte, eine wirkliche Bescheinigung E 101 auszustellen, sondern das Formblatt für diese Bescheinigung aus administrativen Gründen verwendete, ist insoweit unerheblich.

 

2.

Art. 267 Abs. 3 AEUV ist dahin auszulegen, dass ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können – wie das vorlegende Gericht –, nicht zur Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Union verpflichtet ist, nur weil ein niedrigeres einzelstaatliches Gericht in einer Rechtssache, die der beim erstgenannten Gericht anhängigen ähnelt und genau die gleiche Problematik betrifft, dem Gerichtshof der Europäischen Union eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat. Es ist auch nicht verpflichtet, die Antwort auf diese Frage abzuwarten.

 

Unterschriften


( *1 )   Verfahrenssprache: Niederländisch.

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