Beschluss vom Europäischer Gerichtshof - C-386/15

BESCHLUSS DES VIZEPRÄSIDENTEN DES GERICHTSHOFS

17. September 2015 ( *1 )

„Rechtsmittel — Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes — Wettbewerb — Kartelle — Anordnung zur Duldung einer Nachprüfung — Verletzung des Berufsgeheimnisses — Weigerung, die Untersuchungsmaßnahmen auszusetzen — Notwendigkeit des Erlasses einstweiliger Anordnungen — Fehlen — Unzulässigkeit“

In der Rechtssache C‑386/15 P(R)

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 57 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 17. Juli 2015,

Alcogroup SA mit Sitz in Brüssel (Belgien),

Alcodis SA mit Sitz in Brüssel,

Prozessbevollmächtigte: P. de Bandt, J. Dewispelaere und J. Probst, avocats,

Rechtsmittelführerinnen,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch C. Giolito, T. Christoforou, V. Bottka und F. Jimeno Fernández als Bevollmächtigte,

Antragsgegnerin im ersten Rechtszug,

erlässt

DER VIZEPRÄSIDENT DES GERICHTSHOFS

nach Anhörung des Ersten Generalanwalts M. Wathelet

folgenden

Beschluss

1

Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Alcogroup SA (im Folgenden: Alcogroup) und die Alcodis SA (im Folgenden: Alcodis) die Aufhebung des Beschlusses des Präsidenten des Gerichts der Europäischen Union vom 16. Juni 2015, Alcogroup und Alcodis/Kommission (T‑274/15 R, EU:T:2015:389, im Folgenden: angefochtener Beschluss), mit dem der Präsident ihren Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückgewiesen hat, der zum einen auf die Aussetzung des Vollzugs des Beschlusses C (2015) 1769 final der Kommission vom 12. März 2015 (im Folgenden: erster streitiger Beschluss), gerichtet an Alcogroup sowie an alle von ihr unmittelbar oder mittelbar kontrollierten Unternehmen, darunter Alcodis, in einem Verfahren nach Art. 20 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 AEUV] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. L 1, S. 1) sowie des Beschlusses der Kommission vom 8. Mai 2015 (im Folgenden: zweiter streitiger Beschluss), gerichtet an Alcogroup im Rahmen der Untersuchungen AT.40244 – Bioethanol (vormals „AQUA VIT“) – und AT.40054 – Oil and Biofuel Markets –, und zum anderen darauf abzielt, der Europäischen Kommission aufzugeben, alle die Unternehmen betreffenden Untersuchungs- oder sonstigen Handlungen im Rahmen der Verfahren AT.40054 und AT.40244 auszusetzen.

2

Zunächst ist klarzustellen, dass der Präsident des Gerichts den angefochtenen Beschluss erlassen hatte, bevor die Kommission Erklärungen zum Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz eingereicht hatte, und zu einem Zeitpunkt, zu dem die Frist für die Einreichung derartiger Erklärungen noch nicht abgelaufen war. Daher stützt sich – worauf die Kommission vor dem Gerichtshof zutreffend hingewiesen hat – der angefochtene Beschluss ausschließlich auf den im Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz dargestellten Sachverhalt. Wenn die Kommission diesen Sachverhalt zum Teil bestreitet, erfolgt dies nur hilfsweise und für den Fall, dass der angefochtene Beschluss aufgehoben wird. Dementsprechend geht der vorliegende Beschluss für die Prüfung des Rechtsmittels von der Annahme aus, dass der im angefochtenen Beschluss festgestellte Sachverhalt erwiesen ist, ohne seine Richtigkeit zu bestätigen oder zu entkräften.

Im angefochtenen Beschluss festgestellte Vorgeschichte des Rechtsstreits

3

Alcogroup und Alcodis sind in der Herstellung, Verarbeitung und Vermarktung von Ethanol tätig. Infolge einer im März 2013 eingelegten Beschwerde führte die Kommission im Mai 2013 Nachprüfungen in den Räumlichkeiten eines Unternehmens, das eine Methode zur Bewertung der Ethanolpreise entwickelt hatte und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellte, sowie in den Räumlichkeiten mehrerer anderer Unternehmen durch, die in den Bereichen Rohöl, raffinierte Erdölerzeugnisse und Biokraftstoffe tätig sind. Diese unter dem Aktenzeichen AT.40054 (Oil and Biofuel Markets) registrierte Untersuchung betraf sowohl die Funktionsweise dieser Methode als auch etwaige auf die Manipulation dieser Methode gerichtete Kollusionen zwischen Unternehmen.

4

Im Rahmen dieser Untersuchung richtete die Kommission am 23. Mai 2014 nach Art. 18 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1/2003 ein Auskunftsverlangen an Alcodis. Alcodis kam diesem Verlangen am 14. Juni 2014 nach.

5

Am 29. September 2014 gab die Kommission Alcogroup und Alcodis auf, eine Nachprüfung nach Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 zu dulden. Die Nachprüfung fand vom 7. bis 10. Oktober 2014 in deren Räumlichkeiten statt. Während und nach dieser Nachprüfung ersuchten Alcogroup und Alcodis zur Sicherstellung ihrer Verteidigung um den Beistand ihrer Anwälte. In diesem Zusammenhang wurden zahlreiche Unterlagen erstellt und zwischen ihnen und ihren Anwälten ausgetauscht. Es wurde klargestellt, dass die ausgetauschten Unterlagen und deren Anhänge vom Berufsgeheimnis der Rechtsanwälte erfasst seien, wobei jede Unterlage in englischer Sprache den Vermerk „legally privileged“ trug oder in einem mit diesem Vermerk versehenen Ordner enthalten war.

6

Parallel zur Untersuchung AT.40054 leitete die Kommission die Untersuchung AT.40244 ein. Diese betraf mögliche Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen betreffend die Koordinierung des Verhaltens der im Bereich der Vermarktung von Bioethanol tätigen Unternehmen, die Markt- und Kundenaufteilung sowie den Informationsaustausch. Im Rahmen dieser Untersuchung gab die Kommission mit dem ersten streitigen Beschluss Alcogroup und Alcodis auf, eine Nachprüfung zu dulden, die vom 24. bis 27. März 2015 stattfand. Zu Beginn der Nachprüfung ersuchten die Anwälte der beiden Unternehmen die Inspektoren der Kommission, von der Untersuchung jene Unterlagen auszunehmen, die ihrer Verteidigung dienten und nach der vom 7. bis 10. Oktober 2014 durchgeführten Nachprüfung erstellt worden waren. Es wurde vereinbart, dass jede mit dem englischsprachigen Vermerk „legally privileged“ versehene Unterlage sofort – ohne Einsichtnahme durch die Inspektoren – ausgesondert und gemeinsam mit den Anwälten von Alcogroup und Alcodis geprüft wird.

7

In der Folge stellte sich jedoch laut Alcogroup und Alcodis heraus, dass die Inspektoren der Kommission die betreffenden Unterlagen analysiert hatten, um zu bestimmen, ob sie für die Untersuchung relevant sind, und dass sie verschiedene der Verteidigung dienende und mit dem englischsprachigen Vermerk „legally privileged“ versehene Unterlagen zur Beschlagnahme ausgewählt hatten. Nachdem die Anwälte von Alcogroup und Alcodis dagegen protestiert hatten, wurden diese Unterlagen aus der Liste der zu beschlagnahmenden Unterlagen gestrichen und stimmten die Inspektoren zu, die mit dem Vermerk „legally privileged“ versehenen Unterlagen in einen gesonderten Ordner zu geben und nur in Anwesenheit eines Anwalts von Alcogroup und Alcodis zu prüfen. Nach Angaben dieser beiden Unternehmen hatten die Inspektoren jedoch bereits Unterlagen eingesehen, die nach der ersten, im Rahmen der Untersuchung AT.40054 durchgeführten Nachprüfung zur Verteidigung der beiden Unternehmen erstellt worden waren.

8

Am 21. April 2015 sandten Alcogroup und Alcodis ein Schreiben an die Kommission, in dem sie die sofortige Aussetzung aller sie betreffenden Untersuchungshandlungen im Rahmen der Verfahren AT.40054 und AT.40244 einschließlich der Einsichtnahme in beschlagnahmte Unterlagen oder deren Prüfung beantragten. Am 8. Mai 2015 wurde dieser Antrag mit dem zweiten streitigen Beschluss abgelehnt.

Verfahren vor dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter und angefochtener Beschluss

9

Mit am 29. Mai 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhoben Alcogroup und Alcodis eine Klage auf Aufhebung des ersten und des zweiten streitigen Beschlusses.

10

Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichts einging, stellten Alcogroup und Alcodis einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, mit dem sie beim Präsidenten des Gerichts im Wesentlichen beantragten,

den Vollzug des ersten und des zweiten streitigen Beschlusses gemäß Art. 105 § 2 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts (jetzt Art. 157 Abs. 2 dieser Verfahrensordnung) bis zum Abschluss des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes und auf jeden Fall bis zur Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache auszusetzen;

der Kommission aufzugeben, alle sie betreffenden Untersuchungs- oder sonstigen Handlungen im Rahmen der Verfahren AT.40054 und AT.40244 auszusetzen;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

11

Mit dem angefochtenen Beschluss hat der Präsident des Gerichts diesen Antrag als unzulässig zurückgewiesen, bevor die Frist für den Eingang der Stellungnahme der Kommission abgelaufen war.

12

In Bezug auf den ersten Antrag von Alcogroup und Alcodis hat der Präsident des Gerichts im Wesentlichen entschieden, dass der Antrag auf Aussetzung des Vollzugs des ersten streitigen Beschlusses unzulässig sei, weil seine Aussetzung keinen Sinn hätte, da dieser Beschluss bereits vollständig vollzogen worden sei. Zum Antrag auf Aussetzung des Vollzugs des zweiten streitigen Beschlusses wies er darauf hin, dass ein solcher ablehnender Beschluss, durch den einem im Verwaltungsweg gestellten Antrag nicht stattgegeben werde, grundsätzlich nicht Gegenstand einer solchen Aussetzung sein könne. Was den zweiten Antrag von Alcogroup und Alcodis betrifft, hat der Präsident des Gerichts im Wesentlichen festgestellt, dass dieser Antrag, der darauf gerichtet war, der Kommission aufzugeben, alle die Unternehmen betreffenden Untersuchungs- oder sonstigen Handlungen auszusetzen, über den Gegenstand der im Verfahren zur Hauptsache erhobenen Klage hinausgehe, da die beantragte Anordnung – so sie denn erginge – den Maßnahmen vorgriffe, die die Kommission im Anschluss an ein etwaiges Urteil über die Nichtigerklärung des ersten und des zweiten streitigen Beschlusses erlassen könnte. Außerdem sei nicht nachgewiesen worden, dass ein solcher Vorgriff notwendig sei, um die volle Wirksamkeit eines Nichtigkeitsurteils im vorliegenden Fall zu gewährleisten, da es hierfür im Fall der Aufhebung dieser streitigen Beschlüsse ausreichen würde, alle unrechtmäßig verwendeten Bestandteile aus der Untersuchungsakte zu entfernen.

Anträge der Parteien

13

Alcogroup und Alcodis beantragen,

den angefochtenen Beschluss aufzuheben;

die von ihnen beim Gericht beantragten einstweiligen Anordnungen zu erlassen;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

14

Die Kommission beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen,

hilfsweise, den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückzuweisen;

Alcogroup und Alcodis die Kosten einschließlich der im Verfahren vor dem Gericht entstandenen Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

15

Alcogroup und Alcodis stützen ihr Rechtsmittel auf drei Gründe. Ihr erster Rechtsmittelgrund, mit dem sie einen Rechtsfehler bei der Beurteilung der Zulässigkeit ihrer im Rahmen des im ersten Rechtszug gestellten zweiten Antrags erhobenen Forderungen rügen, gliedert sich in drei Teile, mit denen sie Folgendes geltend machen:

eine Verfälschung ihres Antrags auf Erlass einstweiliger Anordnungen;

einen Fehler bei der Beurteilung der Notwendigkeit der im ersten Rechtszug mit ihrem zweiten Antrag beantragten einstweiligen Anordnungen für die Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des zu erlassenden Urteils;

eine Beeinträchtigung des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes.

16

Mit ihrem zweiten und ihrem dritten Rechtsmittelgrund werfen Alcogroup und Alcodis dem Präsidenten des Gerichts einen Rechtsfehler bei der Beurteilung der Zulässigkeit ihres Antrags auf Aussetzung des Vollzugs des ersten bzw. des zweiten streitigen Beschlusses vor.

17

Im Übrigen legen Alcogroup und Alcodis die Gründe dar, aus denen die beim Gericht beantragten einstweiligen Anordnungen zu erlassen seien.

18

Die Kommission ersucht den Gerichtshof, das Rechtsmittel in vollem Umfang zurückzuweisen. Jedenfalls sei der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückzuweisen, und der Präsident des Gerichts habe zu Recht entsprechend entschieden.

Erster Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler bei der Beurteilung der Zulässigkeit des im ersten Rechtszug gestellten zweiten Antrags

19

Mit dem ersten Teil ihres ersten Rechtsmittelgrundes beanstanden Alcogroup und Alcodis, dass der Präsident des Gerichts in Rn. 21 Satz 1 des angefochtenen Beschlusses festgestellt habe, dass ihr im ersten Rechtszug gestellter zweiter Antrag „de facto darauf gerichtet ist, der Kommission zu untersagen, ihre Untersuchungen AT.40054 und AT.40244 fortzuführen und in diesem Zusammenhang von den vertraulichen Informationen, die sie auf rechtswidrige Weise erhalten habe, Gebrauch zu machen …“, wo doch ihr Antrag weniger weit gegangen sei. In Wahrheit hätten sie lediglich beantragt, alle Untersuchungshandlungen im Rahmen der in Rede stehenden Verfahren bis zum Erlass eines Urteils in der Hauptsache auszusetzen, und zwar nur, soweit sie davon betroffen seien.

20

Insoweit ergibt sich aus einer Gesamtschau des angefochtenen Beschlusses, dass der Präsident des Gerichts den begrenzten Umfang des im ersten Rechtszug gestellten zweiten Antrags sehr wohl berücksichtigt hat. Zu dieser Feststellung gelangt man insbesondere dann, wenn man Rn. 21 Satz 1 des angefochtenen Beschlusses im Licht erstens seiner Rn. 12, in der dieser Antrag wortgetreu wiedergegeben wird, und zweitens seiner Rn. 20 betrachtet, in der auf die zeitliche Begrenzung der beantragten Aussetzung und den akzessorischen Charakter des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes gegenüber dem Verfahren zur Hauptsache, mit dem es verknüpft ist, hingewiesen wird.

21

Alcogroup und Alcodis haben des Weiteren sowohl in ihren beim Gericht eingereichten Schriftsätzen als auch in dem Teil ihrer Rechtsmittelschrift, der den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnungen betrifft, ausgeführt, dass jede auf der Grundlage der rechtswidrig erlangten Informationen ihnen gegenüber beschlossene Untersuchungshandlung den Schaden vergrößerte. Daraus folgt, dass das Ziel ihres Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz, und insbesondere des im ersten Rechtszug gestellten zweiten Antrags, – wie der Präsident des Gerichts in Rn. 21 Satz 1 des angefochtenen Beschlusses zutreffend festgestellt hat – tatsächlich darin bestand, der Entstehung eines solchen Schadens dadurch vorzubeugen, dass die Kommission vorübergehend daran gehindert wird, die Untersuchungen AT.40054 und AT.40244 hinsichtlich der möglichen Beteiligung von Alcogroup und Alcodis an den untersuchten Zuwiderhandlungen fortzuführen.

22

Nach alledem ist der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

23

Mit dem zweiten Teil ihres ersten Rechtsmittelgrundes machen Alcogroup und Alcodis im Wesentlichen geltend, der Präsident des Gerichts habe insbesondere in Rn. 23 des angefochtenen Beschlusses dadurch einen Rechtsfehler begangen, dass er die im Beschluss Kommission/Akzo und Akcros (C‑7/04 P[R], EU:C:2004:566) dargelegte Begründung im vorliegenden Fall bei der Beurteilung entsprechend angewandt habe, ob die beantragten einstweiligen Anordnungen notwendig seien, um die volle Wirksamkeit des zu erlassenden Urteils zu gewährleisten. Die vorliegende Rechtssache unterscheide sich nämlich von jener, in der jener Beschluss ergangen sei. In der Rechtssache Kommission/Akzo und Akcros sei es nur um den Status einer begrenzten Zahl von Schriftstücken gegangen, so dass die Rechte der betroffenen Gesellschaften dadurch hinreichend gewahrt gewesen seien, dass es für die Kommission unmöglich gewesen sei, diese Schriftstücke im Fall der Nichtigerklärung des eine Nachprüfung anordnenden Beschlusses zu verwenden. Im vorliegenden Fall dagegen hätten die Inspektoren der Kommission bewusst alle der Verteidigung von Alcogroup und Alcodis dienenden Unterlagen in die Nachprüfung einbezogen und von ihnen Kenntnis genommen. Es sei für Alcogroup und Alcodis unmöglich, im Nachhinein und mit hinreichender Sicherheit nachzuweisen, dass zwischen dieser Kenntnisnahme der rechtswidrig erlangten Informationen und etwaigen von der Kommission im weiteren Verlauf der Untersuchung erlassenen Maßnahmen ein Zusammenhang bestehe.

24

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass es in der Rechtssache, in der der Beschluss Kommission/Akzo und Akcros (C‑7/04 P[R], EU:C:2004:566) ergangen ist, zwar nur um eine begrenzte Zahl von Schriftstücken ging, dass sich aber die in jenem Beschluss dargelegte Begründung nicht auf diesen Umstand als solchen stützte. Der Gerichtshof hat in den Rn. 41 und 42 jenes Beschlusses nämlich im Wesentlichen entschieden, dass die bloße Tatsache, dass die Kommission von den in den angeblich unter das Berufsgeheimnis fallenden Schriftstücken enthaltenen Informationen Kenntnis genommen hatte, nicht ausreichte, um die Notwendigkeit des Erlasses einstweiliger Anordnungen nachzuweisen, da diese Informationen nicht Dritten bekannt gegeben und nicht in einem Verfahren wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Europäischen Union verwendet wurden. Zudem führte der Gerichtshof in Rn. 43 jenes Beschlusses aus, dass die Möglichkeit einer gründlicheren Kenntnisnahme der betreffenden Schriftstücke durch die Kommission nicht geeignet war, das Vorliegen eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens der betroffenen Gesellschaften nachzuweisen.

25

Daher ist erst recht festzustellen, dass das Vorbringen von Alcogroup und Alcodis – dass nämlich Beamte der Kommission während der Nachprüfung von unter das Berufsgeheimnis fallenden Unterlagen Kenntnis genommen hätten, die Kommission diese Unterlagen im Anschluss an diese Nachprüfung aber nicht aufbewahrt habe – für sich genommen nicht als Beleg dafür ausreichten, dass ein Erlass der beantragten einstweiligen Anordnungen notwendig sei, um die volle Wirksamkeit des zu erlassenden Urteils zu gewährleisten. Es ist nämlich keinesfalls möglich, dass diese Unterlagen, über die die Kommission nicht mehr verfügt, von dieser Dritten bekannt gegeben oder als solche herangezogen werden, um das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln zu beweisen.

26

Im Übrigen sind die Argumente zurückzuweisen, mit denen Alcogroup und Alcodis im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels vorbringen, dass es ihnen im Fall der Verwendung rechtswidrig erlangter Informationen durch die Kommission anders als in der Rechtssache, in der der Beschluss Kommission/Akzo und Akcros (C‑7/04 P[R], EU:C:2004:566) ergangen sei, unmöglich sei, das Vorliegen eines Zusammenhangs zwischen dieser Verwendung und den etwaigen danach erlassenen Untersuchungsmaßnahmen nachzuweisen. Wie der Präsident des Gerichts in Rn. 24 des angefochtenen Beschlusses nämlich rechtsfehlerfrei entschieden hat, haben Alcogroup und Alcodis vor dem Gericht das Vorliegen einer solchen Unmöglichkeit nicht nachgewiesen. Er ist auf dieser Grundlage daher zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die hiermit angesprochene Gefahr als rein hypothetisch anzusehen sei.

27

Darüber hinaus hat der Präsident des Gerichts hierzu in Rn. 21 des angefochtenen Beschlusses in allgemeinerer Form auch zutreffend darauf hingewiesen, dass Alcogroup und Alcodis ihn in Wahrheit darum ersucht hätten, seine Befugnisse durch Vorwegnahme der Konsequenzen zu überschreiten, die die Kommission zöge, falls der erste und der zweite streitige Beschluss vom Gericht für nichtig erklärt würden. Unbeschadet der Entscheidungen, die später der Unionsrichter im Verfahren zur Hauptsache und die Kommission im Verwaltungsweg erlassen werden, kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass in Zukunft erforderlichenfalls angemessene Maßnahmen, u. a. in Form der Entfernung bestimmter Unterlagen aus der Akte der Kommission, ergriffen werden, um einer etwaigen Verletzung der Verteidigungsrechte von Alcogroup und Alcodis abzuhelfen. Ebenso wenig kann im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens ausgeschlossen werden, dass die Kommission beschließt, aus ihren Untersuchungen AT.40054 und AT.40244 hinsichtlich Alcogroup und Alcodis keinerlei Konsequenzen zu ziehen.

28

Unter diesen Umständen kann das Vorbringen von Alcogroup und Alcodis, der Präsident des Gerichts habe hinsichtlich der Notwendigkeit des Erlasses der beantragten einstweiligen Anordnungen für die Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des zu erlassenden Urteils einen Rechtsfehler begangen, nicht durchgreifen. Folglich ist der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

29

Mit dem dritten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes machen Alcogroup und Alcodis geltend, die vom Präsidenten des Gerichts vorgenommene übermäßig strenge Auslegung der Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz beeinträchtigten den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes. Ein solcher Schutz hätte unter den Umständen des vorliegenden Falles allein dadurch gewährleistet werden können, dass die Aussetzung der Untersuchungshandlungen angeordnet worden wäre, die die Kommission im Anschluss an die rechtswidrige Nachprüfung habe vornehmen können und noch immer vornehmen könne, da ein etwaiges künftiges, ihrer Klage im Verfahren zur Hauptsache stattgebendes Urteil nicht rückwirkend den Schaden beseitigen könne, der sich aus solchen Untersuchungshandlungen ergeben habe. Daher habe der Präsident des Gerichts einen Rechtsfehler begangen, als er ihren zweiten Antrag als unzulässig zurückgewiesen habe.

30

Wie in den Rn. 24 bis 28 des vorliegenden Beschlusses entschieden worden ist, haben Alcogroup und Alcodis jedoch weder nachgewiesen, dass ihnen durch das Ausbleiben der mit ihrem im ersten Rechtszug gestellten zweiten Antrag beantragten einstweiligen Anordnungen ein Schaden entstanden sei, der rückwirkend nicht beseitigt werden könne, noch, dass der Erlass dieser Anordnungen notwendig gewesen wäre, um die volle Wirksamkeit des zu erlassenden Urteils zu gewährleisten. Daher reicht ihr Vorbringen nicht zum Nachweis dessen aus, dass der Präsident des Gerichts den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes verletzt hat, indem er den Erlass solcher Anordnungen im vorliegenden Fall nicht für notwendig erachtete.

31

Demnach kann der dritte Teil des ersten Rechtsmittelgrundes nicht durchgreifen.

32

Der erste Rechtsmittelgrund ist deshalb insgesamt zurückzuweisen.

Zweiter Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Antrags auf Aussetzung des Vollzugs des ersten streitigen Beschlusses

33

Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund beanstanden Alcogroup und Alcodis, dass der Präsident des Gerichts davon ausgegangen sei, dass der erste streitige Beschluss mit der Durchführung der Nachprüfung vom 24. bis 27. März 2015 bereits vollständig vollzogen worden sei und somit der von ihnen geltend gemachte Schaden zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz bereits eingetreten gewesen sei. Die schädigende Wirkung dieses Beschlusses habe nicht damit geendet, dass die Inspektoren der Kommission die Räumlichkeiten der Rechtsmittelführerinnen verlassen hätten, da der Beschluss der Kommission das Recht verliehen habe, die im Zuge der Nachprüfung beschlagnahmten Unterlagen aufzubewahren und zu analysieren, und die Kommission somit die Möglichkeit gehabt habe, für ihre Analyse Informationen zu berücksichtigen, die sie durch die rechtswidrige Einsichtnahme in die der Verteidigung von Alcogroup und Alcodis dienenden Unterlagen erlangt habe.

34

Hierzu genügt die Feststellung, dass der Schaden, den Alcogroup und Alcodis geltend machten, um beim Präsidenten des Gerichts die Aussetzung des Vollzugs des ersten streitigen Beschlusses zu beantragen, daraus resultiert, dass die Kommission im Rahmen der Nachprüfung vom 24. bis 27. März 2015 in der Verteidigung von Alcogroup und Alcodis dienende Unterlagen Einsicht genommen hat. Wie der Präsident des Gerichts in den Rn. 16 und 17 des angefochtenen Beschlusses zutreffend festgestellt hat, ist dieser Schaden aber in dem Moment eingetreten, in dem dieser Beschluss vollzogen wurde, d. h. im Zuge der Nachprüfung.

35

Zwar könnte Alcogroup und Alcodis dadurch ein zusätzlicher Schaden entstehen, dass bei der Nachprüfung vom 24. bis 27. März 2015 beschlagnahmte, im Licht rechtswidrig erlangter Informationen gelesene Unterlagen später eventuell dazu verwendet werden, um eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln festzustellen. Doch würde, selbst wenn der Präsident des Gerichts die Aussetzung des Vollzugs des ersten streitigen Beschlusses, der bereits mit der Durchführung der Nachprüfung vollzogen war, angeordnet hätte, diese Aussetzung die Entstehung dieses neuen Schadens nicht verhindern, da die Aussetzung des Vollzugs weder darauf gerichtet wäre noch bewirkte, der Kommission die Analyse der bereits beschlagnahmten Unterlagen zu untersagen.

36

Daraus folgt, dass der zweite Rechtsmittelgrund zurückzuweisen ist.

Dritter Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Antrags auf Aussetzung des Vollzugs des zweiten streitigen Beschlusses

37

Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund machen Alcogroup und Alcodis geltend, dass der angefochtene Beschluss insofern mit einem Rechtsfehler behaftet sei, als der Präsident des Gerichts davon ausgegangen sei, dass die Vollstreckung des zweiten streitigen Beschlusses nicht ausgesetzt werden könne, da es sich um eine ablehnende Entscheidung handle. Nach Ansicht von Alcogroup und Alcodis war eine solche Aussetzung notwendig, um den Erlass der anderen beantragten einstweiligen Anordnungen, insbesondere die mit ihrem im ersten Rechtszug gestellten zweiten Antrag angesprochene Aussetzung aller Untersuchungshandlungen im Rahmen der Verfahren AT.40054 und AT.40244, zu ermöglichen.

38

Festzustellen ist, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs gegen eine ablehnende Entscheidung wie den zweiten streitigen Beschluss ein Antrag auf Aussetzung des Vollzugs grundsätzlich nicht gegeben ist, weil die Anordnung einer Aussetzung keine Änderung der Lage des Antragstellers herbeiführen könnte (Beschlüsse des Präsidenten der Zweiten Kammer des Gerichtshofs, S./Kommission, 206/89 R, EU:C:1989:333, Rn. 14, und des Präsidenten des Gerichtshofs, Moccia Irme/Kommission, C‑89/97 P[R], EU:C:1997:226, Rn. 45). Der Antrag auf Aussetzung des Vollzugs des zweiten streitigen Beschlusses musste daher als unzulässig zurückgewiesen werden, wie es der Präsident des Gerichts in den Rn. 18 und 19 des angefochtenen Beschlusses getan hat. Etwas anderes könnte nur in dem Fall gelten, in dem die Anordnung einer solchen Aussetzung für den Erlass einer oder mehrerer der übrigen beantragten einstweiligen Anordnungen notwendig sein könnte, falls der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter sie für zulässig und begründet gehalten hätte.

39

Da die Kommission mit dem zweiten streitigen Beschluss einen von Alcogroup und Alcodis im Verwaltungsweg gestellten Antrag abgelehnt hatte, der im Wesentlichen auf Erlass derselben einstweiligen Anordnungen wie jener gerichtet war, die diese Gesellschaften anschließend mit ihrem im ersten Rechtszug gestellten zweiten Antrag beantragten, hätte in Bezug auf diesen Antrag eine solche Notwendigkeit bestehen können, wenn dieser für zulässig und begründet gehalten worden wäre. Es genügt aber festzustellen, dass das gesamte Vorbringen von Alcogroup und Alcodis gegen die Zurückweisung des im ersten Rechtszug gestellten zweiten Antrags als unzulässig im angefochtenen Beschluss in den Rn. 19 bis 32 des vorliegenden Beschlusses ebenfalls zurückgewiesen worden ist.

40

Daher hat der Präsident des Gerichts im angefochtenen Beschluss den Antrag auf Aussetzung des Vollzugs des zweiten streitigen Beschlusses zu Recht als unzulässig zurückgewiesen. Daraus folgt, dass der dritte Rechtsmittelgrund keinen Erfolg haben kann.

41

Somit ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen, ohne dass das Vorbringen von Alcogroup und Alcodis zu den Gründen geprüft zu werden braucht, aus denen ihrer Meinung nach der Erlass der von ihnen beim Gericht beantragten einstweiligen Anordnungen angezeigt ist.

Kosten

42

Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung von Alcogroup und Alcodis beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen die im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens angefallenen Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Vizepräsident des Gerichtshofs beschlossen:

 

1.

Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

 

2.

Die Alcogroup SA und die Alcodis SA tragen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

 

Unterschriften


( *1 )   Verfahrenssprache: Französisch.

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Referenzen

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