Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-634/13

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

17. September 2015 ( *1 )

„Rechtsmittel — Wettbewerb — Markt für Paraffinwachse — Markt für Paraffingatsch — Dauer der Beteiligung an einem rechtswidrigen Kartell — Beendigung der Beteiligung — Unterbrechung der Beteiligung — Kein Nachweis kollusiver Kontakte während eines bestimmten Zeitraums — Fortsetzung der Zuwiderhandlung — Beweislast — Offene Distanzierung — Wahrnehmung der Distanzierungsabsicht durch die anderen Kartellbeteiligten — Begründungspflicht — Grundsätze der Unschuldsvermutung, der Gleichbehandlung, des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes und der individuellen Strafzumessung“

In der Rechtssache C‑634/13 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 26. November 2013,

Total Marketing Services SA, Rechtsnachfolgerin der Total Raffinage Marketing, Prozessbevollmächtigte: A. Vandencasteele, C. Lemaire und S. Naudin, avocats,

Klägerin,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch P. Van Nuffel und A. Biolan als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt N. Coutrelis,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz, der Richter A. Rosas, E. Juhász (Berichterstatter) und D. Šváby sowie der Richterin A. Prechal,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Januar 2015,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. März 2015

folgendes

Urteil

1

Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Total Marketing Services SA, die Rechtsnachfolgerin der Total Raffinage Marketing, vormals Total France SA (im Folgenden: Total France), die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union, Total Raffinage Marketing/Kommission (T‑566/08, EU:T:2013:423, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage auf teilweise Nichtigerklärung der Entscheidung K(2008) 5476 endg. der Kommission vom 1. Oktober 2008 in einem Verfahren nach Artikel [81 EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39 181 – Kerzenwachse) (Zusammenfassung veröffentlicht im ABl. 2009, C 295, S. 17, im Folgenden: streitige Entscheidung) und, hilfsweise, auf Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße abgewiesen hat.

Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung

2

Das Gericht hat im angefochtenen Urteil folgende Feststellungen getroffen:

„1

Mit der [streitigen] Entscheidung … stellte die [Europäische] Kommission … fest, dass [Total France] und ihre zu 100 % an ihr beteiligte Muttergesellschaft, Total SA, mit anderen Unternehmen gegen Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (im Folgenden: EWR) [vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3)] verstoßen hätten, indem sie sich an einem Kartell auf dem Markt für Paraffinwachse im EWR und auf dem deutschen Markt für Paraffingatsch beteiligt hätten.

2

Die Adressaten der [streitigen] Entscheidung sind außer [Total France] und ihrer Muttergesellschaft Total SA (im Folgenden zusammen: Total-Gruppe oder Total) die folgenden Gesellschaften: …

3

Die Paraffinwachse werden in Raffinerien aus Rohöl hergestellt. Sie werden für die Herstellung von Produkten wie Kerzen, Chemikalien, Reifen und Erzeugnissen der Automobilindustrie sowie in der Kautschuk-, Verpackungs- und Klebstoff- und Kaugummiindustrie eingesetzt (Randnr. 4 der [streitigen] Entscheidung).

4

Bei der Herstellung von Paraffinwachsen dient Paraffingatsch als Ausgangsmaterial. Es fällt in Raffinerien als Nebenprodukt bei der Herstellung von Mineralölen aus Rohöl an. Es wird auch an Endabnehmer, z. B. an Hersteller von Spanplatten, verkauft (Randnr. 5 der [streitigen] Entscheidung).

5

Die Kommission begann ihre Untersuchung, nachdem [eine Gesellschaft] sie mit Schreiben vom 17. März 2005 über das Bestehen eines Kartells informiert hatte … (Randnr. 72 der [streitigen] Entscheidung).

6

Am 28. und 29. April 2005 führte die Kommission in Anwendung von Art. 20 Abs. 4 der Verordnung [EG] Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) Nachprüfungen in den Räumlichkeiten von … Total [France] durch (Randnr. 75 der [streitigen] Entscheidung).

7

Am 29. Mai 2007 richtete die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an die [Adressaten der streitigen Entscheidung], darunter Total France (Randnr. 85 der [streitigen] Entscheidung). Mit Schreiben vom 14. August 2007 antwortete Total France auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte.

8

Am 10. und 11. Dezember 2007 führte die Kommission eine mündliche Anhörung durch, an der Total France teilnahm (Randnr. 91 der [streitigen] Entscheidung).

9

In der [streitigen] Entscheidung vertritt die Kommission in Anbetracht der ihr vorliegenden Beweise die Ansicht, dass die Adressaten, die die Mehrheit der Paraffinwachs- und Paraffingatschhersteller im EWR darstellen, an einer einheitlichen, komplexen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR-Abkommen teilgenommen haben, die das Gebiet des EWR betraf. Diese Zuwiderhandlung bestand aus Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen über Preisfestsetzungen und über den Austausch und die Offenlegung vertraulicher Geschäftsinformationen über Paraffinwachse (im Folgenden: Hauptteil der Zuwiderhandlung). In Bezug auf … Total betraf die Zuwiderhandlung über Paraffinwachse auch die Aufteilung von Kunden und/oder Märkten (im Folgenden: zweiter Teil der Zuwiderhandlung). Außerdem betraf die von … Total begangene Zuwiderhandlung auch auf dem deutschen Markt an Endabnehmer verkauftes Paraffingatsch (im Folgenden: Paraffingatsch betreffender Teil der Zuwiderhandlung) (Randnrn. 2, 95, 328 und Art. 1 der [streitigen] Entscheidung).

10

Die rechtswidrigen Verhaltensweisen wurden bei wettbewerbswidrigen Zusammenkünften, die ‚technische Treffen‘ oder manchmal Treffen ‚Blauer Salon‘ genannt wurden, und bei ‚Paraffingatsch betreffenden Zusammenkünften‘, die speziell den Fragen in Bezug auf Paraffingatsch gewidmet waren, von den Beteiligten ausgeübt.

11

Gemäß der [streitigen] Entscheidung waren die Beschäftigten von Total France während der gesamten Dauer unmittelbar an der Zuwiderhandlung beteiligt. Die Kommission machte folglich Total France für ihre Beteiligung an dem Kartell haftbar (Randnrn. 555 und 556 der [streitigen] Entscheidung). Außerdem wurde Total France im Zeitraum [von] 1990 bis zum Ende der Zuwiderhandlung unmittelbar oder mittelbar zu mehr als 98 % von Total SA gehalten. Die Kommission war der Ansicht, dass auf dieser Grundlage vermutet werden könne, Total SA habe einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten von Total France ausgeübt, da beide Gesellschaften Teil desselben Unternehmens gewesen seien (Randnrn. 557 bis 559 der [streitigen] Entscheidung). In Beantwortung einer mündlichen Frage in der Anhörung, betreffend die Zuweisung der Haftung an ihre Muttergesellschaft, verwies [Total France] auf die gesamten Informationen, die von Total SA in der im Zusammenhang stehenden Rechtssache T‑548/08, Total SA/Kommission, in der an diesem Tag das Urteil ergangen ist, übermittelt worden seien. In dieser Rechtssache erklärte Total SA in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts, dass Total France im streitigen Zeitraum unmittelbar oder mittelbar zu 100 % von ihr gehalten worden sei.

12

Die Höhe der im vorliegenden Fall verhängten Geldbußen wurde auf der Grundlage der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 … (im Folgenden: Leitlinien von 2006) berechnet, die zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Mitteilung der Beschwerdepunkte an die oben in Randnr. 2 genannten Gesellschaften in Kraft waren.

15

[Gemäß den Leitlinien von 2006] kam die Kommission … auf den Grundbetrag, der auf 128163000 Euro angepasst wurde.

16

Mangels einer Herabsetzung der Höhe der Geldbuße … war der auf 128163000 Euro angepasste Grundbetrag gleichzeitig der Gesamtbetrag der Geldbuße (Randnr. 785 der [streitigen] Entscheidung).

17

Die [streitige] Entscheidung enthält u. a. folgende Bestimmungen:

‚Artikel 1

Die folgenden Unternehmen haben eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 Absatz 1 [EG] und – seit dem 1. Januar 1994 – gegen Artikel 53 EWR-Abkommen begangen, indem sie sich in den jeweils genannten Zeiträumen an einer fortdauernden Vereinbarung und/oder einer fortdauernden abgestimmten Verhaltensweise im Paraffinwachssektor auf dem Gemeinsamen Markt und, seit 1. Januar 1994, im Europäischen Wirtschaftsraum beteiligten:

Total France …: vom 3. September 1992 bis 28. April 2005; und

Total SA: vom 3. September 1992 bis 28. April 2005.

Bei den folgenden Unternehmen betrifft die Zuwiderhandlung auch an Endkunden auf dem deutschen Markt verkauftes Paraffingatsch im jeweils angegebenen Zeitraum:

Total France …: vom 30. Oktober 1997 bis 12. Mai 2004; und

Total SA: vom 30. Oktober 1997 bis 12. Mai 2004.

Artikel 2

Für die in Artikel 1 genannten Zuwiderhandlungen werden folgende Geldbußen festgesetzt:

Total France … gesamtschuldnerisch mit Total SA: 128163000 [Euro].‘“

Klage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

3

Zur Stützung der Anträge ihrer am 17. Dezember 2008 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klage hatte die Rechtsmittelführerin elf Klagegründe geltend gemacht. Ein zwölfter Klagegrund war in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht geltend gemacht worden. Das Gericht hat alle diese Klagegründe mit Ausnahme des achten, mit dem die Rechtswidrigkeit der in Ziff. 24 der Leitlinien von 2006 beschriebenen Berechnungsmethode gerügt worden war, zurückgewiesen. Insoweit hat es entschieden, dass die Kommission bei der Bestimmung des Multiplikationsfaktors, der die Dauer der Beteiligung von Total France an der Zuwiderhandlung widerspiegeln sollte, gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung verstoßen habe, da sie einen Zeitraum der Beteiligung von sieben Monaten und 28 Tagen (für die Paraffinwachse) und von sechs Monaten und 12 Tagen (für das Paraffingatsch) einer Beteiligung von einem ganzen Jahr gleichgestellt habe. Folglich hat das Gericht die gegen die Klägerin verhängte Geldbuße von 128163000 Euro auf 125459842 Euro herabgesetzt. Dagegen hat das Gericht im Urteil Total/Kommission (T‑548/08, EU:T:2013:434) die von der Muttergesellschaft Total SA erhobene Klage in vollem Umfang abgewiesen und die gegen sie verhängte Geldbuße nicht im gleichen Maß herabgesetzt.

Anträge der Parteien

4

Die Rechtsmittelführerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Gericht zu Unrecht ausgeschlossen hat, dass die Rechtsmittelführerin ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung nach dem 12. Mai 2004 beendete;

das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Gericht zu Unrecht jegliche ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der Rechtsmittelführerin gegenüber der Repsol YPF Lubricantes y Especialidades SA, der Repsol Petróleo SA und der Repsol YPF SA (im Folgenden: Repsol) hinsichtlich der Dauer ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung ausgeschlossen hat;

das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Gericht zu Unrecht eine Unterbrechung der Beteiligung der Rechtsmittelführerin an der Zuwiderhandlung zwischen dem 26. Mai 2000 und dem 27. Juni 2001 ausgeschlossen hat;

das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Gericht nicht auf den Klagegrund eingegangen ist, wonach die Beweise dafür, dass das Verhalten der Rechtsmittelführerin auf dem Markt nicht gegen die Wettbewerbsregeln verstieß, nicht geprüft wurden;

gemäß Art. 61 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union endgültig zu entscheiden und die streitige Entscheidung, soweit sie die Rechtsmittelführerin betrifft, für nichtig zu erklären sowie in Ausübung der Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung die gegen die Rechtsmittelführerin verhängte Geldbuße herabzusetzen;

für den Fall, dass der Gerichtshof über den vorliegenden Rechtsstreit nicht endgültig entscheiden sollte, die Kostenentscheidung vorzubehalten und die Rechtssache an das Gericht zur erneuten Prüfung gemäß dem Urteil des Gerichtshofs zurückzuverweisen;

schließlich gemäß Art. 69 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Kommission die sowohl vor dem Gericht als auch vor dem Gerichtshof entstandenen Kosten aufzuerlegen.

5

Die Kommission beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen;

der Klägerin die Kosten einschließlich der vor dem Gericht entstandenen Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

6

Das Rechtsmittel stützt sich auf vier Rechtsmittelgründe.

Zum ersten Rechtsmittelgrund: rechtsfehlerhafte Feststellung der Beteiligung der Rechtsmittelführerin an der Zuwiderhandlung nach dem Treffen vom 11. und 12. Mai 2004 und bis zum 28. April 2005

7

In Rn. 370 des angefochtenen Urteils hat das Gericht Rn. 602 der streitigen Entscheidung zitiert, in der es heißt:

„[Die Rechtsmittelführerin] hat sich nach eigenen Angaben nach dem Treffen am 11. und 12. Mai 2004 an keinem weiteren technischen Treffen beteiligt, und der Vertreter von Total habe seine Reise zum Treffen am 3. und 4. November 2004 mit der internen Begründung abgesagt, dass er auf Anweisung seines Vorgesetzten von dieser Reise absehe. Die Kommission stellt fest, dass keine Beweismittel für einen Rückzug aus dem Kartell vorliegen. Bei komplexen Zuwiderhandlungen bedeutet die Tatsache, dass ein Unternehmen in einem Treffen nicht anwesend ist oder mit in einem Treffen diskutierten Standpunkten nicht einverstanden ist, nicht, dass dieses Unternehmen seine Beteiligung an einer laufenden Zuwiderhandlung eingestellt hätte. Um die Zuwiderhandlung zu beenden, muss das Unternehmen sich eindeutig von dem Kartell distanzieren … [Die Rechtsmittelführerin] hat keine eindeutigen Beweismittel dafür vorgelegt, dass das Unternehmen eine uneingeschränkt selbstständige und einseitige Marktstrategie verfolgt hätte, oder dass es sich eindeutig und offen vom Verhalten des Kartells distanziert hätte: Vielmehr zeigen der Kommission vorliegende Beweismittel …, dass [die Rechtsmittelführerin] förmliche Einladungen zu allen drei folgenden technischen Treffen (d. h. zu den letzten drei technischen Treffen vor Beginn der Nachprüfungen) erhalten hat. Der Vertreter [der Rechtsmittelführerin] bestätigte seine Teilnahme für den 3./4. November 2004, … scheint jedoch später abgesagt zu haben. Auch im Falle des Treffens vom 23. und 24. Februar 2005 hatte[n Sasol Wax International AG, Sasol Holding in Germany GmbH und Sasol Limited, die Organisatorin dieses Treffens, im Folgenden: Sasol] bereits in dem Hotel, in dem es stattf[and], ein Zimmer für den Vertreter [der Rechtsmittelführerin] gebucht und augenscheinlich später storniert. Überdies unterschieden sich die Gespräche nicht wesentlich von denen früherer Treffen; die Teilnehmer sprachen vielmehr weiterhin über Preiserhöhungen, ohne zu erwähnen, dass [die Klägerin] Anstalten mache, das Kartell zu verlassen (siehe Randnummern (175), (176) und (177)). Zudem war es nicht unüblich, dass Unternehmen zu einigen Treffen nicht erschienen. Dies belegt, dass nicht davon ausgegangen wurde, dass sich [die Rechtsmittelführerin] nach dem Treffen im Mai 2004 aus dem Kartell zurückgezogen hätte. Die interne Mitteilung des Vertreters [der Rechtsmittelführerin] bezüglich der Gründe für seine Nichtteilnahme an einem Treffen kann in jedem Fall nicht als öffentliche Distanzierung betrachtet werden. Da auch ansonsten nichts darauf hindeutet, dass [sie] sich von dem Kartell distanziert hätte, stellt die Kommission fest, dass die Beteiligung [der Rechtsmittelführerin] am Kartell nicht vor Beginn der Nachprüfungen geendet hat.“

8

In den Rn. 372 bis 379 des angefochtenen Urteils hat das Gericht die Auffassung der Kommission gebilligt, soweit es um das Kriterium der offenen Distanzierung und deren Wahrnehmung durch die anderen Kartellteilnehmer ging, und festgestellt, dass sich die Rechtsmittelführerin nach dem Verständnis der anderen Kartellteilnehmer nicht offen von dem Kartell distanziert habe.

9

Außerdem hat das Gericht in den Rn. 377 bis 379 des angefochtenen Urteils die interne E-Mail vom 3. November 2004 geprüft, die der Vertreter der Rechtsmittelführerin in den technischen Treffen an einen anderen Angestellten der Rechtsmittelführerin geschickt hatte und die wie folgt lautete: „Unter Berücksichtigung des Ziels des Treffens in Österreich schließe ich mich der Empfehlung von Thibault an. Ich storniere meine Reise nach Wien (Abreise ursprünglich für heute Nachmittag vorgesehen).“ Das Gericht hat dazu ausgeführt, dass eine interne E-Mail, die den anderen Teilnehmern nicht mitgeteilt worden sei, keine offene Distanzierung sein könne. Weiter hat das Gericht in Rn. 380 seines Urteils festgestellt, dass die bloße Tatsache, dass die Rechtsmittelführerin an den letzten technischen Treffen nicht teilgenommen habe, keinesfalls beweise, dass sie die Informationen zu den von ihren Konkurrenten angewandten Preisen, die sie bei Dutzenden von früheren technischen Treffen, an denen sie teilgenommen habe, erhalten habe, nicht verwendet habe, und dass sie von den Vereinbarungen über die Aufteilung der Märkte und der Kunden, die bei diesen Treffen festgelegt worden seien, nicht profitiert habe. In derselben Randnummer ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Rechtsmittelführerin keinen Beweis dafür vorgelegt habe, dass sie die Umsetzung des Kartells am 12. Mai 2004 beendet habe.

Vorbringen der Parteien

10

Die Rechtsmittelführerin macht geltend, dass sie nach dem technischen Treffen vom 11. und 12. Mai 2004 an keinem der drei Treffen teilgenommen habe, die danach bis zu den Nachprüfungen der Kommission am 28. und 29. April 2005 noch abgehalten worden seien. Dies stelle eine ununterbrochene Abwesenheit von einem Jahr dar, also während eines Zeitraums, der bei Weitem über die Intervalle von drei Monaten hinausgehe, die üblicherweise zwischen den kollusiven Treffen gelegen hätten. Auch sei keine rechtswidrige Abstimmung zwischen der Rechtsmittelführerin und den anderen Kartellteilnehmern gleich welcher Art für diesen Zeitraum nachgewiesen oder behauptet worden. Zudem belege die in Rn. 9 des vorliegenden Urteils genannte interne E-Mail, dass die Abwesenheit ihres Vertreters bei den Treffen nach Mai 2004 nicht zufällig, sondern die Folge von Weisungen gewesen sei, die wegen des Gegenstands dieser Treffen ergangen seien.

11

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs beruhe das Erfordernis einer offenen Distanzierung indessen auf der wesentlichen Prämisse, dass eine Einheit dann, wenn sie an einem wettbewerbswidrigen Treffen teilgenommen habe, so behandelt werde, als habe sie dessen Inhalt zugestimmt, sofern sie sich nicht davon offen distanziere (Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, EU:C:2004:6, Rn. 81 und 82 und die dort angeführte Rechtsprechung). Weiter ergebe sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichts zur Beweisführung hinsichtlich der Dauer der Beteiligung eines Unternehmens an einem Kartell, dass es Sache der Kommission sei, nicht nur das Bestehen des Kartells, sondern auch seine Dauer zu beweisen. Soweit es an Beweismaterialien fehle, mit denen die Dauer der Zuwiderhandlung direkt belegt werden könne, müsse die Kommission nach dieser Rechtsprechung zumindest Beweismaterialien beibringen, die sich auf Fakten bezögen, die zeitlich so nahe beieinander lägen, dass sie vernünftigerweise den Schluss zuließen, dass die Zuwiderhandlung zwischen zwei konkreten Zeitpunkten ohne Unterbrechung erfolgt sei.

12

Die Rechtsmittelführerin schließt daraus, dass die Kommission, wenn Beweise für kollusive Kontakte oder Ausdrucksformen im Verhältnis zwischen einem Unternehmen und den anderen Kartellteilnehmern ab einem bestimmten Zeitpunkt und für einen bestimmten Zeitraum fehlten, die Feststellung, dieses Unternehmen habe seine Beteiligung an dem Kartell fortgesetzt, nicht auf den Gesichtspunkt der fehlenden Distanzierung stützen dürfe. Das Gericht habe dadurch, dass es diesen Ansatz der Kommission gebilligt habe, die Beweislast für die Dauer der Beteiligung an einer Zuwiderhandlung, welche der Kommission obliege, umgekehrt und damit einen Rechtsfehler begangen.

13

Die Kommission verweist darauf, dass dieser Rechtsmittelgrund nicht die Dauer der Unterbrechung der Beteiligung an einem Kartell, sondern die Fortsetzung der Beteiligung bis zum Ende des Kartells betreffe. Mit ihm wiederhole die Rechtsmittelführerin nur Argumente, die bereits vor dem Gericht zur Würdigung des Sachverhalts angeführt worden seien. Deshalb sei der Rechtsmittelgrund als unzulässig anzusehen.

14

Hilfsweise führt die Kommission aus, dass die Dauer der Beteiligung an einer Zuwiderhandlung eine Tatsachenfrage sei, hinsichtlich deren der Beweis von Fall zu Fall je nach den gegebenen Umständen zu führen sei. Im vorliegenden Fall ergebe sich der Beweis für die Fortsetzung der Beteiligung der Rechtsmittelführerin an der Zuwiderhandlung aus zwei untrennbar miteinander verbundenen Gesichtspunkten, nämlich zum einen der Tatsache, dass sie weiterhin zu den technischen Treffen eingeladen worden sei, was voraussetze, dass der Einladende sie weiterhin als Beteiligte des Kartells wahrgenommen habe, und zum anderen aus der Tatsache, dass sie sich nicht von dem Kartell distanziert habe. Somit hätten sich weder die Kommission noch das Gericht allein auf die fehlende offene Distanzierung der Rechtsmittelführerin gestützt.

15

Der Sache nach trägt die Kommission vor, es werde durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts bestätigt, dass die fehlende offene Distanzierung ein Gesichtspunkt sei, dem große Bedeutung zukomme, wenn andere Indizien, die eine Fortsetzung der Beteiligung an dem Kartell vermuten ließen, ermittelt worden seien, wobei jedenfalls die Wahrnehmung der anderen Kartellmitglieder wesentlich sei. In Rn. 602 der streitigen Entscheidung habe sich die Kommission keineswegs ausschließlich auf die fehlende offene Distanzierung der Rechtsmittelführerin gestützt, sondern Indizien angeführt, die in ihrer Gesamtheit beurteilt werden müssten. Das Gericht habe den diesen Gesichtspunkten beizumessenden Wert in nicht revisibler Weise beurteilt.

Würdigung durch den Gerichtshof

16

Es steht fest, dass die Rechtsmittelführerin an den letzten drei kollusiven Treffen des Kartells, die zwischen dem 12. Mai 2004 und dem 29. April 2005 stattfanden, nicht teilgenommen hat.

17

Im Anschluss an Rn. 370 des angefochtenen Urteils, in der es Rn. 602 der streitigen Entscheidung wörtlich zitierte, hat das Gericht in den Rn. 372 bis 374 dieses Urteils die von der Kommission in dieser Randnummer formulierte Auffassung als richtig bestätigt, dass die Rechtsmittelführerin über den Monat Mai 2004 hinaus weiterhin an der Zuwiderhandlung teilgenommen habe.

18

Das Gericht hat die Auffassung vertreten, dass der Schluss auf die endgültige Beendigung der Beteiligung eines Unternehmens an dem Kartell nur möglich sei, wenn dieses sich offen vom Inhalt des Kartells distanziert habe, und hinzugefügt, dass das entscheidende Beurteilungskriterium dafür das Verständnis sei, das die anderen Kartellteilnehmer von der Absicht dieses Unternehmens hätten.

19

Nach der Entscheidung des Gerichts muss also ein Unternehmen, auch wenn es unstreitig an den kollusiven Treffen eines Kartells nicht mehr teilnimmt, sich von dem Kartell offen distanzieren, um annehmen zu können, dass es seine Kartellbeteiligung beendet hat, wobei der Beweis für diese Distanzierung nach dem Verständnis der anderen Kartellteilnehmer zu beurteilen ist.

20

Es ist hervorzuheben, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die offene Distanzierung als Voraussetzung dafür verlangt wird, dass ein Unternehmen, das an kollusiven Treffen teilgenommen hat, zu beweisen vermag, dass es nicht mit einer wettbewerbswidrigen Einstellung daran teilgenommen hat. Hierfür muss das fragliche Unternehmen nachweisen, dass es seine Wettbewerber darauf hingewiesen hat, dass es mit einer anderen Zielsetzung als diese an diesen Zusammenkünften teilgenommen hat (Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, EU:C:2004:6, Rn. 81 und 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21

Der Gerichtshof hat ebenfalls entschieden, dass die Teilnahme eines Unternehmens an einem wettbewerbswidrigen Treffen eine Vermutung der Rechtswidrigkeit dieser Teilnahme begründet, die dieses Unternehmen durch den Beweis einer offenen Distanzierung widerlegen muss, die von den anderen Kartellteilnehmern als eine solche aufgefasst werden muss (vgl. in diesem Sinne Urteil Comap/Kommission, C‑290/11 P, EU:C:2012:271, Rn. 74 bis 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22

Somit verlangt die Rechtsprechung des Gerichtshofs eine offene Distanzierung als unverzichtbares Beweismittel, um die in der vorstehenden Randnummer genannte Vermutung zu widerlegen, nur im Kontext der Teilnahme eines Unternehmens an wettbewerbswidrigen Treffen, ohne aber eine solche Distanzierung, mit der die Beteiligung an der Zuwiderhandlung beendet wird, unter allen Umständen zu verlangen.

23

Hinsichtlich der Teilnahme nicht an einzelnen wettbewerbswidrigen Treffen, sondern an einer sich über mehrere Jahre erstreckenden Zuwiderhandlung geht nämlich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass die fehlende offene Distanzierung nur einen Gesichtspunkt neben anderen darstellt, die zu berücksichtigen sind, um festzustellen, ob ein Unternehmen tatsächlich weiterhin an einer Zuwiderhandlung teilgenommen oder diese Teilnahme vielmehr beendet hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Verhuizingen Coppens, C‑441/11 P, EU:C:2012:778, Rn. 75).

24

Folglich hat das Gericht dadurch einen Rechtsfehler begangen, dass es in den Rn. 372 und 374 des angefochtenen Urteils die Auffassung vertreten hat, die öffentliche Distanzierung stelle selbst dann, wenn eine an einem Kartell beteiligte Gesellschaft nicht an kollusiven Treffen teilgenommen hat, das einzige für sie verfügbare Mittel dar, um die Beendigung ihrer Beteiligung an dem Kartell zu beweisen.

25

Jedoch kann dieser Rechtsfehler des Gerichts nicht dazu führen, dass die Feststellungen im angefochtenen Urteil zur Teilnahme der Rechtsmittelführerin an der Zuwiderhandlung zwischen dem 12. Mai 2004 und dem 29. April 2005 aufzuheben wären.

26

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine wettbewerbswidrige Verhaltensweise oder Vereinbarung in den meisten Fällen aus einer Reihe von Koinzidenzen und Indizien abgeleitet werden muss, die bei einer Gesamtbetrachtung mangels einer anderen schlüssigen Erklärung den Beweis für eine Verletzung der Wettbewerbsregeln darstellen können (vgl. Urteile Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, EU:C:2004:6, Rn. 57, und Kommission/Verhuizingen Coppens, C‑441/11 P, EU:C:2012:778, Rn. 70).

27

Was insbesondere eine sich über mehrere Jahre erstreckende Zuwiderhandlung anbelangt, hat der Gerichtshof entschieden, dass das Fehlen eines unmittelbaren Beweises für die Beteiligung einer Gesellschaft an der Zuwiderhandlung während eines bestimmten Zeitraums nicht der Feststellung entgegensteht, dass sich diese Gesellschaft auch während dieses Zeitraums daran beteiligte, sofern diese Feststellung auf objektiven und übereinstimmenden Indizien beruht (vgl. in diesem Sinne Urteile Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission, C‑105/04 P, EU:C:2006:592, Rn. 97 und 98, und Kommission/Verhuizingen Coppens, C‑441/11 P, EU:C:2012:778, Rn. 72).

28

Auch wenn nämlich die offene Distanzierung nicht das einzige Mittel ist, über das eine an einem Kartell beteiligte Gesellschaft verfügt, um die Beendigung dieser Beteiligung zu beweisen, stellt eine solche Distanzierung doch eine bedeutsame Tatsache dar, mit der die Beendigung eines wettbewerbswidrigen Verhaltens dargetan werden kann. Das Fehlen einer offenen Distanzierung bildet einen Sachverhalt, auf den sich die Kommission beziehen darf, um die Fortführung des wettbewerbswidrigen Verhaltens einer Gesellschaft zu beweisen. Jedoch muss die Kommission ihre Beurteilung in einem Fall, in dem während eines nicht unerheblichen Zeitraums mehrere kollusive Treffen stattgefunden haben, an denen keine Vertreter der betreffenden Gesellschaft teilnahmen, auch auf andere Beweise stützen.

29

Im vorliegenden Fall hat das Gericht in den Rn. 377 bis 379 zutreffend festgestellt, dass die interne E-Mail eines Vertreters der Rechtsmittelführerin vom 3. November 2004 an einen anderen Angestellten der Rechtsmittelführerin keine offene Distanzierung beweisen könne.

30

Es ist jedoch festzustellen, dass die Zurückweisung dieses Klagegrundes nicht nur wegen der fehlenden offenen Distanzierung der Rechtsmittelführerin gerechtfertigt erscheint. Aus der in Rn. 370 des angefochtenen Urteils zitierten Rn. 602 der streitigen Entscheidung geht nämlich hervor, dass es weitere tatsächliche Umstände gab, die die Kommission angeführt hatte und die von der Rechtsmittelführerin nicht bestritten worden waren, so die ursprüngliche Bestätigung des Vertreters der Rechtsmittelführerin, dass er an dem Treffen am 3. und 4. November 2004 teilnehmen werde, und der Umstand, dass die Veranstalterin der kollusiven Treffen für diesen Vertreter für das Treffen am 23. und 24. Februar 2005 ursprünglich ein Hotelzimmer reserviert hatte.

31

Daher stellten diese tatsächlichen Umstände in Verbindung mit der fehlenden offenen Distanzierung der Rechtsmittelführerin und dem Verständnis der Veranstalterin der kollusiven Treffen übereinstimmende Indizien dar, aus denen geschlossen werden konnte, dass die Rechtsmittelführerin ihre Beteiligung an dem Kartell fortgesetzt hatte.

32

Da der erste Rechtsmittelgrund damit ins Leere geht, kann ihm nicht stattgegeben werden.

Zum dritten Rechtsmittelgrund: rechtsfehlerhafte Feststellung, dass die Rechtsmittelführerin ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung zwischen dem 26. Mai 2000 und dem 26. Juni 2001 nicht unterbrochen habe

33

In Rn. 159 der streitigen Entscheidung führte die Kommission aus, dass nach Angaben von Shell auf dem Treffen am 25. und 26. Mai 2000 Total France von den anderen Sitzungsteilnehmern beschuldigt worden sei, zu niedrige Verkaufspreise zu praktizieren.

34

Rn. 603 der streitigen Entscheidung lautet wie folgt:

„… Total France … erklärt, sie habe ihre Beteiligung zwischen 2000 und 2001 eingestellt, und [ihr] Vertreter … habe das Treffen verärgert verlassen; dies sei als Zeichen der Distanzierung zu betrachten. [D]ie Kommission [stellt] fest, dass nichts darauf hindeutet, dass sich Total öffentlich von dem Kartell distanziert hätte. Dass [X, der Total France vertrat,] das Treffen verlassen hat, stellt an sich keine öffentliche Distanzierung dar, und selbst Total behauptet nicht, dass [X] die Absicht bekundet hätte, die Beteiligung von Total an dem Kartell einzustellen. Der Ärger von [X] zeigt vielmehr, dass er mit der erzielten Vereinbarung nicht zufrieden war. Das erneute Auftauchen von Total weniger als ein Jahr später bestätigt, dass das Unternehmen nicht die Absicht hatte, seine Beteiligung einzustellen. Daher ist die Kommission nicht der Ansicht, dass die kurzzeitige Abwesenheit von Total als Unterbrechung der Beteiligung am Kartell zu betrachten wäre.“

35

Das Gericht ist in den Rn. 401 und 402 des angefochtenen Urteils im Wesentlichen zu dem Ergebnis gekommen, es sei nicht bewiesen, dass sich der Vertreter der Rechtsmittelführerin bei dem Treffen vom 25. und 26. Mai 2000 nach dem Verständnis der übrigen Sitzungsteilnehmer von der Zuwiderhandlung distanziert habe.

Vorbringen der Parteien

36

Die Rechtsmittelführerin trägt vor, ihr Vertreter habe, wie aus den Angaben eines an dem Kartell beteiligten Unternehmens gegenüber der Kommission hervorgehe, das Treffen vom 25. und 26. Mai 2000 plötzlich und verärgert verlassen und an keinem der drei folgenden Treffen teilgenommen, bis sodann ihr neuer Vertreter wieder an dem Treffen vom 26. und 27. Juni 2001 teilgenommen habe. Die Feststellung des Gerichts, dass sie nicht den Beweis für eine offene Distanzierung erbracht habe, stelle einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung dar. Das Gericht habe insoweit einen Rechtsfehler begangen, zumal seine Beurteilungsweise im Fall der Klägerin der im Fall eines anderen am Kartell beteiligten Unternehmens widerspreche.

37

Die Kommission macht geltend, dass dieser Rechtsmittelgrund unzulässig sei. Er stelle nämlich eine tatsachenbezogene Rüge dar, weil er sowohl die Beurteilung der Dauer der Beteiligung an einem Kartell als auch den Begriff der offenen Distanzierung und damit zwei Aspekte des Sachverhalts betreffe. Die Rechtsmittelführerin stelle bloß die vom Gericht gewählte Auslegung der Tatsachen in Frage.

38

Hilfsweise macht die Kommission geltend, dass dieser Rechtsmittelgrund unbegründet sei, da sie für ihre Feststellung einer fortdauernden Beteiligung am streitigen Kartell zwischen dem 26. Mai 2000 und dem 26. Juni 2001 nicht lediglich, wie aus Rn. 603 der streitigen Entscheidung hervorgehe, das Fehlen einer offenen Distanzierung berücksichtigt habe. Das Gericht habe diese Beurteilung bestätigt, indem es sich nicht nur auf das Fehlen der Distanzierung, sondern auch auf die Prüfung der Umstände gestützt habe, unter denen der Vertreter der Rechtsmittelführerin das Treffen vom 25. und 26. Mai 2000 verlassen habe. Die Dauer der Beteiligung eines Unternehmens an einem Kartell sei somit eine Tatsachenfrage, und im vorliegenden Fall könne das Fehlen von Beweisen für wettbewerbswidrige Kontakte oder die Beteiligung an solchen während eines Zeitraums von einem Jahr für sich genommen nicht ausreichen, um die Unterbrechung dieses Kartells zu belegen.

Würdigung durch den Gerichtshof

39

Es ist festzustellen, dass dieser Rechtsmittelgrund auf zwei Argumente gestützt ist. Mit ihm wird zum einen geltend gemacht, dass das Verhalten des Vertreters der Rechtsmittelführerin auf dem Treffen vom 25. und 26. Mai 2000 in Wirklichkeit deren Absicht habe erkennen lassen, sich offen von dem streitigen Kartell zu distanzieren. Zum anderen verweist die Rechtsmittelführerin darauf, dass sie an keinem der drei kollusiven Treffen teilgenommen habe, die zwischen dem 26. Mai 2000 und dem 26. Juni 2001 abgehalten worden seien.

40

Hinsichtlich der Frage, ob mit dem Verhalten des Vertreters der Rechtsmittelführerin auf dem Treffen vom 25. und 26. Mai 2000 eine offene Distanzierung bewiesen werden konnte, ist zu konstatieren, dass dieses Verhalten von der Kommission in Rn. 603 der streitigen Entscheidung geprüft worden war und dass diese Prüfung der Kontrolle durch das Gericht unterzogen worden ist. Wie aus den Rn. 398 und 401 des angefochtenen Urteils hervorgeht, ist das Gericht, nachdem es die Umstände, unter denen sich dieses Treffen abgespielt hatte, sowie weiter gewürdigt hatte, wie die anderen Sitzungsteilnehmer das Auftreten des Vertreters der Rechtsmittelführerin auffassen konnten, in Rn. 402 dieses Urteils zu dem Ergebnis gelangt, dass dieses Auftreten keine offene Distanzierung von dem wettbewerbswidrigen Kartell beweise. Eine solche Tatsachenwürdigung dürfte jedoch gemäß der Rechtsprechung im Rahmen eines Rechtsmittels nicht der Kontrolle des Gerichtshofs unterworfen werden.

41

Zu der Frage, ob das Fernbleiben der Rechtsmittelführerin von den drei kollusiven Treffen zwischen dem 26. Mai 2000 und dem 26. Juni 2001 einen Beweis für die Unterbrechung ihrer Kartellbeteiligung darstellt, ist festzustellen, dass dem Gericht durch den Verweis auf seine Ausführungen in Rn. 372 des angefochtenen Urteils in dessen Rn. 402 der gleiche Rechtsfehler unterlaufen ist wie der in Rn. 24 des vorliegenden Urteils im Rahmen der Prüfung des ersten Rechtsmittelgrundes festgestellte, indem es es, obwohl die Rechtsmittelführerin an diesen Treffen nicht teilgenommen hatte, als deren Obliegenheit ansah, den Beweis dafür zu erbringen, dass sie sich nach dem Verständnis der übrigen Teilnehmer von dem Kartell distanziert hatte.

42

Nach der bereits in Rn. 27 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs steht jedoch der Umstand, dass für die Beteiligung einer Gesellschaft an einem Kartell während eines bestimmten Zeitraums kein unmittelbarer Beweis erbracht wurde, der Feststellung, dass sich diese Gesellschaft im Rahmen einer sich über mehrere Jahre erstreckenden Zuwiderhandlung auch während dieses Zeitraums an dem Kartell beteiligte, nicht entgegen, sofern diese Feststellung auf objektiven und übereinstimmenden Indizien beruht.

43

Im vorliegenden Fall war die fehlende offene Distanzierung der Rechtsmittelführerin nicht der einzige Grund, aus dem das Verhalten der Rechtsmittelführerin auch während des fraglichen Zeitraums als ein Verstoß anzusehen ist.

44

Aus den Rn. 398 und 401 des angefochtenen Urteils geht nämlich hervor, dass sich die Tatsache, dass der Vertreter der Rechtsmittelführerin das Treffen vom 25. und 26. Mai 2000 plötzlich verließ, durch persönliche Gründe erklärte und nicht als Ausdruck des Willens der Rechtsmittelführerin selbst angesehen werden konnte, sich von dem Kartell zu distanzieren. Dies entsprach auch der Wahrnehmung, die andere Teilnehmer dieses Treffens von diesem Vorfall haben konnten. Außerdem hatte Total France nach dem Auswechseln dieses Vertreters durch einen anderen Beschäftigten wieder begonnen, an den kollusiven Treffen teilzunehmen, und dieser Umstand war geeignet, die Auffassung zu untermauern, dass sich das Verhalten dieses Vertreters durch einen Konflikt persönlicher Natur erklärte.

45

Folglich bestanden parallel zum Fehlen einer offenen Distanzierung objektive und übereinstimmende Indizien, aus denen geschlossen werden konnte, dass die Rechtsmittelführerin ihre Beteiligung an dem Kartell während des fraglichen Zeitraums nicht unterbrochen hatte.

46

Da der dritte Rechtsmittelgrund damit ins Leere geht, kann ihm nicht stattgegeben werden.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, Verfälschung von Beweisen und Begründungsmangel

47

Laut Rn. 386 des angefochtenen Urteils war die Kommission zu dem Schluss gekommen, dass die Teilnahme von Repsol am Kartell am 4. August 2004 geendet habe, weil Repsol für das Treffen, das an diesem Tag habe stattfinden sollen, von Sasol, die die Treffen organisiert habe, keine offizielle Einladung mit der Tagesordnung erhalten habe. Dies zeige, dass Sasol Zweifel an der weiteren Beteiligung von Repsol an dem Kartell gehabt habe.

48

In Rn. 387 des angefochtenen Urteils hat das Gericht dazu ausgeführt, es lasse sich an der Einstellung des Versands der offiziellen Einladungen zu den Treffen mit der Tagesordnung an Repsol erkennen, dass sich das Verständnis von Sasol geändert habe und sie nicht mehr sicher gewesen sei, ob Repsol nach dem 4. August 2004 noch an dem Kartell teilnehmen würde. Dies habe genügt, um festzustellen, dass Repsol sich nach dem Verständnis der anderen Kartellteilnehmer vom Kartell distanziert habe. Hingegen ist das Gericht hinsichtlich der Rechtsmittelführerin in den Rn. 388 bis 390 seines Urteils zu dem Schluss gelangt, dies sei bei ihr nicht der Fall gewesen, weil sie weiterhin offizielle Einladungen zu den Treffen mit der Tagesordnung erhalten habe. Das Gericht ist so zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kommission zwei verschiedene Sachverhalte unterschiedlich behandelt und demzufolge nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen habe.

Vorbringen der Parteien

49

Die Rechtsmittelführerin trägt vor, diese Analyse des Gerichts beruhe erstens auf einem Tatsachenfehler. Es gehe nämlich aus der dem Gericht von der Kommission vorgelegten Akte hervor, dass Repsol ebenso wie die Rechtsmittelführerin für das Treffen vom 3. und 4. August 2004 zusätzlich zu einer Einladung ohne Tagesordnung dieselbe sogenannte „offizielle“ Einladung mit Tagesordnung erhalten habe. Repsol habe auch eine Einladung für das Treffen vom 3. und 4. November 2004 erhalten. Daher beruhe das Ergebnis, zu dem das Gericht gelangt sei, auf einer Verfälschung der Beweise. Zweitens habe das Gericht von der Rechtsmittelführerin den Beweis einer offenen Distanzierung verlangt, nicht aber von Repsol, deren Rückzug aus dem Kartell auch ohne Distanzierung akzeptiert worden sei. Aus dem angefochtenen Urteil ergäben sich jedoch keine Gesichtspunkte, mit denen eine solche Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden könne. Dies verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung.

50

Nach Meinung der Kommission geht dieser Rechtsmittelgrund ins Leere, weil selbst dann, wenn das Gericht im Fall von Repsol einen Beurteilungsfehler begangen haben sollte, dieser nicht die Rechtsmittelführerin beträfe und daher nicht zu einer Reduzierung der Dauer ihrer festgestellten Zuwiderhandlung führen könnte. Diese Frage gehöre ausschließlich zum ersten Rechtsmittelgrund.

51

Hilfsweise erkennt die Kommission an, dass sie hinsichtlich des Treffens vom 3. und 4. August 2004 die Auffassung vertreten habe, dass Repsol zu dem Zeitpunkt dieses Treffens noch Mitglied des Kartells gewesen sei und die Abwesenheit ihres Vertreters bei diesem Treffen kein Indiz für den Rückzug aus dem Kartell dargestellt habe. In Bezug auf das Treffen vom 3. und 4. November 2004 erkennt die Kommission ebenfalls an, dass Repsol dieselbe Einladung mit Tagesordnung wie die Rechtsmittelführerin erhalten habe, ohne jedoch noch als Mitglied des Kartells angesehen worden zu sein. Aber selbst wenn man annähme, dass dies auf einer Verfälschung der Beweise beruhe, bliebe diese Verfälschung folgenlos, da in derselben gemeinsamen Einladung erwähnt worden sei, dass für den Vertreter der Rechtsmittelführerin im Gegensatz zu dem von Repsol ein Zimmer reserviert worden sei. Dies sei ein bedeutsamer Unterschied.

Würdigung durch den Gerichtshof

52

Es ist festzustellen, dass das Gericht in den Rn. 386 und 387 des angefochtenen Urteils bezüglich der Dauer der Kartellbeteiligung von Repsol die Tatsachen verfälscht hat. Wie aus der Akte hervorgeht und die Kommission eingeräumt hat, war diese nämlich hinsichtlich des Treffens vom 3. und 4. August 2004 davon ausgegangen, dass Repsol noch Mitglied des Kartells gewesen sei, da die Abwesenheit ihres Vertreters kein Indiz für einen Rückzug habe darstellen können, und hinsichtlich des Treffens vom 3. und 4. November 2004 davon, dass Repsol dieselbe Art von Einladung wie die Rechtsmittelführerin erhalten habe. Daher verfälscht die in den genannten Randnummern des angefochtenen Urteils enthaltene Darstellung die Tatsachen.

53

Es ist auch zu beachten, dass sich das Gericht in Rn. 387 des angefochtenen Urteils einzig auf den von der Veranstalterin der kollusiven Treffen gehegten Zweifel am Willen von Repsol, an diesen Treffen nach dem 4. August 2004 weiter teilzunehmen, gestützt hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, dieser Gesichtspunkt habe für die Annahme ausgereicht, dass Repsol sich nach dem Verständnis der anderen Teilnehmer von dem Kartell distanziert habe. Somit hat das Gericht für eine offene Distanzierung an Repsol nicht die gleiche Beweisanforderung gestellt wie an die Rechtsmittelführerin. Dies lässt eine inkohärente Behandlung dieser Anforderung erkennen und stellt eine Ungleichbehandlung dar.

54

Jedoch kann sich die Rechtsmittelführerin, obwohl im Rahmen der Prüfung des ersten und des dritten Rechtsmittelgrundes festgestellt worden ist, dass das Gericht das Erfordernis der offenen Distanzierung rechtlich fehlerhaft beurteilt hat, jedenfalls nicht auf diese festgestellten Fehler berufen.

55

Der Grundsatz der Gleichbehandlung muss nämlich mit der Beachtung des Gebots rechtmäßigen Handelns in Einklang gebracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil The Rank Group, C‑259/10 und C‑260/10, EU:C:2011:719, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daher kann, da im Rahmen der Prüfung des ersten Rechtsmittelgrundes die getroffene Feststellung der Dauer der Kartellbeteiligung der Rechtsmittelführerin für rechtmäßig befunden worden ist, eine möglicherweise ungerechtfertigte günstige Behandlung von Repsol nicht zu einer Reduzierung dieser Dauer führen.

56

Folglich ist der zweite Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Zum vierten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen den Grundsatz eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, den Grundsatz der individuellen Strafzumessung und das Begründungserfordernis

57

Rn. 696 der streitigen Entscheidung lautet wie folgt:

„Eine Reihe von Unternehmen erklärt, die Vereinbarungen nicht umgesetzt zu haben und verweist auf die begrenzte Anzahl an Preisschreiben, die diese Unternehmen verschickt oder erhalten hätten. Mehrere Unternehmen erklären, ihr Marktverhalten sei von den Absprachen nicht beeinflusst worden. Erstens betrachtet die Kommission diese bloßen Behauptungen nicht als hinreichenden Nachweis für die nicht erfolgte Umsetzung im Sinne der Leitlinien … aus dem Jahre 2006. Zweitens stellt die Kommission fest, dass der Versand oder das Empfangen von Preisschreiben nicht das einzige Umsetzungsmittel war, sondern dass die Umsetzung vorwiegend durch die regelmäßigen (versuchten) Preiserhöhungen erfolgte, die alle Unternehmen regelmäßig auf dem Markt ankündigten; einige dieser Ankündigungen sind in den Beweismitteln zu den technischen Treffen dokumentiert.“

58

Zu dem fünften Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen die Begründungspflicht und die Leitlinien von 2006 in Bezug auf die fehlende Umsetzung der behaupteten rechtswidrigen Verhaltensweisen – laut Ziff. 29 dieser Leitlinien ein mildernder Umstand – geltend gemacht worden war, hat das Gericht in den Rn. 406 und 407 seines Urteils zunächst Rn. 696 der streitigen Entscheidung wörtlich wiedergegeben und sodann auf seine Ausführungen zur Prüfung des zweiten Klagegrundes verwiesen. Es ist damit in Rn. 407 seines Urteils zu dem Ergebnis gekommen, dass die Ausführungen der Kommission zur Umsetzung des Kartells durch die Rechtsmittelführerin durch ausreichende Beweise gestützt würden.

Vorbringen der Parteien

59

Die Rechtsmittelführerin trägt vor, das Gericht sei nicht auf ihren Klagegrund eingegangen, wonach die wirtschaftlichen Beweise für die Tatsache, dass sie sich gemäß den Wettbewerbsregeln verhalten habe, nicht berücksichtigt worden seien, und habe die Relevanz und den Inhalt dieser Beweise nicht geprüft. Die Rechtsmittelführerin habe nämlich der Kommission und dann dem Gericht eine eingehende wirtschaftliche Analyse unterbreitet, durch die der gesamte Zeitraum der Zuwiderhandlung abgedeckt und nachgewiesen worden sei, dass sie die bei den technischen Treffen getroffenen Vereinbarungen niemals umgesetzt habe. Diese Analyse sei nicht nur in der streitigen Entscheidung, sondern auch im angefochtenen Urteil übergangen worden, da dessen Rn. 406 und 407 sich mit dieser Argumentation nicht befassten. Die Rechtsmittelführerin hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass die Ausführungen des Gerichts im Rahmen der Prüfung des zweiten Klagegrundes, auf Rn. 407 seines Urteils verweise, die Umsetzung des Kartells in seiner Gesamtheit beträfen und nicht das individuelle Verhalten jedes der beteiligten Unternehmen.

60

Die Kommission hält diesen Rechtsmittelgrund für unzulässig, weil die Rechtsmittelführerin die beanstandeten Punkte des angefochtenen Urteils nicht genau angebe und keine rechtlichen Argumente vorbringe, die diesen Antrag spezifisch stützten. Außerdem beabsichtige die Rechtsmittelführerin mit diesem Rechtsmittelgrund in Wirklichkeit, eine erneute vollständige Prüfung des fünften Klagegrundes durch den Gerichtshof herbeizuführen.

61

Hilfsweise macht die Kommission geltend, dass das Gericht diesen fünften Klagegrund in den Rn. 405 bis 408 des angefochtenen Urteils geprüft habe. Diese Randnummern verwiesen auf die Analyse, die das Gericht im Rahmen der Prüfung des zweiten Klagegrundes geleistet habe. In den Rn. 243 bis 259 dieses Urteils, die Teil dieser Prüfung des zweiten Klagegrundes seien, habe das Gericht jedoch die Beurteilung der Kommission bestätigt, wonach die Rechtsmittelführerin keinen Beweis dafür erbracht habe, dass sie sich auf dem Markt wettbewerbskonform verhalten habe. Im Übrigen habe das Gericht in den Rn. 163 bis 190 des angefochtenen Urteils, die ebenfalls zur Prüfung des zweiten Klagegrundes gehörten, auf der Grundlage konkreter Beweise das Argument der Rechtsmittelführerin zurückgewiesen, dass diese die Preisabsprache nicht umgesetzt habe.

Würdigung durch den Gerichtshof

62

Mit ihrem vierten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, dass das Gericht nicht auf ihren fünften Klagegrund eingegangen sei, mit dem sie geltend gemacht habe, dass die Beweise für ihr angeblich wettbewerbskonformes Verhalten und insbesondere die eingehende wirtschaftliche Analyse, die den gesamten Zeitraum der Zuwiderhandlung abdecke, nicht berücksichtigt worden seien.

63

Diese Argumentation beruht auf einem offensichtlichen Fehlverständnis des angefochtenen Urteils und insbesondere der Ausführungen des Gerichts in den Rn. 406 ff. dieses Urteils. Das Gericht hat nämlich im angefochtenen Urteil zunächst, in Rn. 406, Rn. 696 der streitigen Entscheidung wörtlich zitiert, in der sich die Kommission allgemein darauf bezogen hatte, dass „eine Reihe von Unternehmen“ erklärt hätten, die im Rahmen des streitigen Kartells getroffenen Vereinbarungen seien von ihnen nicht umgesetzt worden, und dann, in Rn. 407, auf seine Ausführungen zum zweiten und vierten Teil des zweiten Klagegrundes verwiesen.

64

Mit dem zweiten Teil dieses Klagegrundes hatte die Rechtsmittelführerin gerügt, dass für die Durchführung von Vereinbarungen über Preisfestsetzungen keine Beweise vorlägen.

65

Es ist festzustellen, dass das Gericht in den Rn. 166 bis 185 des angefochtenen Urteils, in denen diese Behauptung der Rechtsmittelführerin geprüft wird, die Beweismittel, die die Kommission angeführt hatte und die auch die gesonderte Beteiligung der Rechtsmittelführerin an der Umsetzung der Vereinbarungen betrafen, im Einzelnen erörtert hat, so etwa zwischen den Kartellteilnehmern ausgetauschte Preisschreiben, mit denen Preiserhöhungen angekündigt worden waren, ferner Schreiben, mit denen den Kunden beim vorherigen kollusiven Treffen vereinbarte Preiserhöhungen angekündigt worden waren, und diesbezügliche Erklärungen von Kartellteilnehmern, die sich auch auf Telefongespräche bezogen, welche Vertreter am Kartell beteiligter Unternehmen geführt hatten, um sich zu vergewissern, dass die Absprachen auch eingehalten werden.

66

Nach seinem Hinweis in Rn. 189 des angefochtenen Urteils, dass die Kommission über Informationen zu mehr als 50 wettbewerbswidrigen Treffen zwischen 1992 und 2005 verfügt habe und 343 Preisschreiben der Rechtsmittelführerin zur Unterrichtung ihrer Kunden über die bevorstehenden Preiserhöhungen vorgelegt habe, ist das Gericht in Rn. 190 des Urteils zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kommission zu Recht die Umsetzung des Kartells durch die Rechtsmittelführerin festgestellt habe.

67

Mit dem vierten Teil ihres zweiten Klagegrundes machte die Rechtsmittelführerin geltend, sich auf dem Markt so verhalten zu haben, wie es den Wettbewerbsregeln entspreche.

68

Es ist jedoch ebenfalls festzustellen, dass das Gericht in den Rn. 233 bis 259 des angefochtenen Urteils das Vorbringen der Rechtsmittelführerin, einschließlich des Verweises auf die wirtschaftliche Analyse ihrer Preispolitik, eingehend geprüft hat. Neben der konkreten Prüfung ihrer Argumente hat das Gericht insbesondere darauf abgehoben, dass die Rechtsmittelführerin an der Mehrzahl der mehr als 50 wettbewerbswidrigen Treffen zwischen 1992 und 2005 teilgenommen habe, dass sie eingeräumt habe, regelmäßig ihre Preise erhöht zu haben, was für sich schon ein Anhaltspunkt für die Anwendung der auf diesen Treffen geschlossenen Vereinbarungen gewesen sei, und dass sie hierfür 343 Informationsschreiben an ihre Kunden verschickt habe. Es ist so zu der Feststellung gelangt, dass die von der Rechtsmittelführerin geltend gemachten Umstände nicht den Schluss zuließen, dass sie sich in dem Zeitraum von 13 Jahren, in dem sie an den wettbewerbswidrigen Vereinbarungen teilgenommen habe, tatsächlich deren Anwendung entzogen und auf dem Markt wettbewerbskonform verhalten habe.

69

Demzufolge ist die Rüge der Rechtsmittelführerin, wonach das Gericht ihr individuelles Verhalten nicht berücksichtigt habe, sondern ihre Situation zusammen mit der anderer Teilnehmer im Rahmen der Umsetzung des Kartells in seiner Gesamtheit geprüft habe, unbegründet.

70

Nach alledem ist der vierte Rechtsmittelgrund ebenfalls zurückzuweisen.

71

Da keiner der Rechtsmittelgründe durchgreift, ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Kosten

72

Wenn das Rechtsmittel unbegründet ist, entscheidet der Gerichtshof nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung über die Kosten. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach Art. 184 Abs. 1 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Rechtsmittelführerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist und die Kommission beantragt hat, sie zur Tragung der Kosten zu verurteilen, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

 

2.

Die Total Marketing Services SA trägt die Kosten.

 

Unterschriften


( *1 )   Verfahrenssprache: Französisch.

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Referenzen

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