Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-432/14

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

1. Oktober 2015 ( * )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Sozialpolitik — Grundsatz der Gleichbehandlung und Verbot der Diskriminierung wegen des Alters — Richtlinie 2000/78/EG — Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf — Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. a — Ungleichbehandlung wegen des Alters — Vergleichbarkeit der Situationen — Zahlung einer Abfindung bei Ablauf eines befristeten Arbeitsvertrags zum Ausgleich der Unsicherheit — Ausschluss junger Personen, die während ihrer Schul- oder Semesterferien arbeiten“

In der Rechtssache C‑432/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil de prud’hommes de Paris (Frankreich) mit Entscheidung vom 12. September 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 22. September 2014, in dem Verfahren

O

gegen

Bio Philippe Auguste SARL

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot sowie der Richter A. Arabadjiev (Berichterstatter) und C. Lycourgos,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juni 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von O selbst,

der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und R. Coesme als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin als Bevollmächtigten,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters.

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen O und der Bio Philippe Auguste SARL über deren Weigerung, ihm bei Ablauf seines befristeten Arbeitsvertrags eine Abfindung bei Vertragsende zu gewähren.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Nach Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303, S. 16) ist „Zweck dieser Richtlinie … die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten“.

4

In Art. 2 der Richtlinie heißt es:

„(1)   Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2)   Im Sinne des Absatzes 1

a)

liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

b)

liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, eines bestimmten Alters oder mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn:

i)

diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich …

...“

Französisches Recht

5

Art. L. 1243‑8 des Code du travail (Arbeitsgesetzbuch) bestimmt:

„Wenn bei Ablauf eines befristeten Arbeitsvertrags das vertragliche Arbeitsverhältnis nicht durch einen unbefristeten Vertrag fortgesetzt wird, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Abfindung bei Vertragsende als Zulage, die dazu bestimmt ist, die Unsicherheit seiner Lage auszugleichen.

Diese Abfindung beträgt 10 % der gesamten dem Arbeitnehmer gezahlten Bruttovergütung.

Sie ergänzt die gesamte dem Arbeitnehmer geschuldete Bruttovergütung. Sie wird bei Ablauf des Vertrags gleichzeitig mit dem letzten Arbeitsentgelt gezahlt und in der entsprechenden Entgeltbescheinigung ausgewiesen.“

6

Art. L. 1243‑10 des Code du travail sieht vor:

„Die Abfindung bei Vertragsende wird nicht geschuldet,

1.

wenn der Vertrag nach Art. L. 1242‑2 Nr. 3 oder nach Art. L. 1242‑3 geschlossen wird, sofern es keine günstigere tarifvertragliche Bestimmung gibt;

2.

wenn der Vertrag mit einer jungen Person für einen Zeitraum geschlossen wird, der innerhalb ihrer Schul- oder Semesterferien liegt;

3.

3wenn der Arbeitnehmer es ablehnt, dem Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags für die gleiche oder eine ähnliche Beschäftigung mit einer zumindest gleichwertigen Vergütung zuzustimmen;

4.

wenn der Vertrag auf Initiative des Arbeitnehmers, bei einer schweren Verfehlung des Arbeitnehmers oder in einem Fall höherer Gewalt vorzeitig beendet wird.“

7

In Art. L. 381‑4 des Code de la sécurité sociale (Sozialgesetzbuch) heißt es:

„Schüler und Studierende höherer Bildungseinrichtungen, der technischen Hochschulen, der Grandes écoles und der abschließenden Vorbereitungsklassen für diese Schulen, die nicht nach einer anderen Regelung als Art. L. 380‑1 sozialversichert oder als Angehörige mitversichert sind und das Höchstalter nicht überschreiten, sind bei den Sozialversicherungen pflichtversichert. Das Höchstalter kann insbesondere aufgrund der Einberufung zum oder der Ableistung des Wehrdienstes angehoben werden.“

8

In Art. R. 381‑5 des Code de la sécurité sociale wird „[d]as in Art. L. 381‑4 vorgesehene Höchstalter ... auf 28 Jahre festgesetzt“.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

9

Am 21. Dezember 2010 wurde der Kläger des Ausgangsverfahrens während seines Studiums von der Bio Philippe Auguste SARL auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags eingestellt, der für den in seinen Semesterferien liegenden Zeitraum vom 21. bis zum 24. Dezember 2010 geschlossen wurde. Bei Ablauf seines Vertrags wurde ihm nach Art. L. 1243‑10 Nr. 2 des Code du travail keine Abfindung bei Vertragsende gezahlt.

10

Da er der Auffassung war, dass diese Vorschrift gegen die den Gleichheitsgrundsatz und das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters garantierenden verfassungsrechtlichen Bestimmungen verstoße, erhob er beim Conseil de prud’hommes de Paris Klage auf Zahlung von 23,21 Euro als Abfindung bei Vertragsbeendigung, auf Umwandlung seines befristeten Vertrags in einen unbefristeten Vertrag und auf Zahlung von 4500 Euro als Entschädigung für eine Entlassung ohne tatsächlichen und schwerwiegenden Grund.

11

Am 1. März 2012 stellte der Kläger des Ausgangsverfahrens eine vorrangige Frage der Verfassungsmäßigkeit. Mit Urteil vom 10. Januar 2014 übermittelte der Conseil de prud’hommes de Paris diese Frage der Cour de cassation. Mit Urteil vom 9. April 2014 legte diese die vorrangige Frage der Verfassungsmäßigkeit dem Conseil constitutionnel vor.

12

Im Urteil Nr. 2014‑401 QPC vom 13. Juni 2014 stellte der Conseil constitutionnel zunächst fest, dass „die angegriffenen Bestimmungen nur für Schüler oder Studierende gelten, die das in Art. L. 381‑4 des Code de la sécurité sociale vorgesehene Höchstalter für die Pflichtversicherung in der Sozialversicherung aufgrund ihrer Einschreibung bei einer Schule oder Hochschule nicht überschritten haben“. Anschließend führte er zum einen aus, dass „die Rüge, der Gesetzgeber habe beim Erlass der angegriffenen Bestimmungen den Begriff ‚junge Person‘ nicht definiert, in der Sache nicht zutrifft“, und zum anderen, dass „der Gleichheitsgrundsatz nicht daran hindert, bei der Anwendung gesetzlicher Bestimmungen auf Schüler oder Studierende an ein Höchstalter anzuknüpfen“.

13

Überdies wies der Conseil constitutionnel darauf hin, dass „die Abfindung bei Vertragsende dem befristet beschäftigten Arbeitnehmer gezahlt wird, um ‚die Unsicherheit seiner Lage auszugleichen‘, wenn das vertragliche Arbeitsverhältnis bei Ablauf seines Vertrags nicht durch einen unbefristeten Vertrag fortgesetzt wird“, und zog daraus den Schluss, dass „die mit einem befristeten Arbeitsvertrag für einen Zeitraum, der in ihre Schul- oder Semesterferien fällt, beschäftigten Schüler oder Studierenden sich weder in der gleichen Lage befinden wie Studierende, die neben ihrem Studium arbeiten, noch in der gleichen Lage wie andere befristet beschäftigte Arbeitnehmer“ und dass folglich „der Gesetzgeber durch den Ausschluss der Zahlung dieser Abfindung, wenn der Vertrag mit einem während der Schul- oder Semesterferien tätigen Schüler oder Studierenden geschlossen wird, der seinen Schulbesuch oder sein Studium am Ende dieser Ferien wieder aufnehmen will, eine unterschiedliche Behandlung vorgenommen hat, die auf einer unterschiedlichen Lage beruht und in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Zweck des Gesetzes steht“.

14

Unter diesen Umständen hat der Conseil de prud’hommes de Paris beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Steht das allgemeine Verbot der Diskriminierung wegen des Alters einer nationalen Rechtsvorschrift (Art. L. 1243‑10 des Code du travail) entgegen, die junge Personen, die während ihrer Schul- oder Semesterferien arbeiten, von einer Abfindung wegen ihrer unsicheren Lage ausschließt, die im Fall einer Beschäftigung mittels befristetem Vertrag, der kein Angebot für eine unbefristete Beschäftigung folgt, geschuldet wird?

Zur Vorlagefrage

Zur Zulässigkeit

15

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger des Ausgangsverfahrens ausdrücklich eingeräumt, dass er mit den Geschäftsführern der Beklagten des Ausgangsverfahrens verwandt sei und dass der Ausgangsrechtsstreit allein zu dem Zweck herbeigeführt worden sei, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vorschriften anzugreifen. Dass die Beklagte des Ausgangsverfahrens in keinem Verfahrensstadium Erklärungen abgegeben habe, liege wohl daran, dass es nur um einen geringen Betrag gehe.

16

In einem solchen Kontext ist es wahrscheinlich, dass das vorlegende Gericht mit einem konstruierten Rechtsstreit befasst ist, dessen wirklicher Gegenstand nicht die Erlangung der Abfindung bei Vertragsende ist, sondern die bloße Infragestellung der genannten Bestimmungen.

17

Es obliegt dem vorlegenden Gericht, das allein über eine unmittelbare Kenntnis des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens verfügt und daher am besten in der Lage ist, die erforderlichen Nachprüfungen vorzunehmen, zu beurteilen, ob dies der Fall ist, und daraus gegebenenfalls die im nationalen Recht vorgesehenen möglichen Konsequenzen für die von ihm zu treffende Entscheidung zu ziehen.

18

Jedenfalls ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach seiner ständigen Rechtsprechung grundsätzlich gehalten ist, über die von einem nationalen Gericht vorgelegten Fragen zu befinden, sofern diese die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts betreffen, es sei denn, er soll durch das Vorabentscheidungsersuchen in Wirklichkeit offenkundig dazu veranlasst werden, über einen konstruierten Rechtsstreit zu entscheiden oder Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben, die begehrte Auslegung des Unionsrechts steht in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Rechtsstreits oder der Gerichtshof verfügt nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil DR und TV2 Danmark, C‑510/10, EU:C:2012:244, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19

Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass die vom vorlegenden Gericht beantragte Auslegung des Unionsrechts tatsächlich einem durch die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits bedingten objektiven Bedürfnis entspricht. Es ist nämlich unstreitig, dass der zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens geschlossene Arbeitsvertrag tatsächlich durchgeführt wurde und dass seine Anwendung eine Frage nach der Auslegung des Unionsrechts aufwirft (vgl. in diesem Sinne Urteil Mangold, C‑144/04, EU:C:2005:709, Rn. 38).

20

Das Vorabentscheidungsersuchen ist demnach zulässig.

Zur Beantwortung der Frage

21

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht und insbesondere das in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte und durch die Richtlinie 2000/78 konkretisierte Verbot der Diskriminierung wegen des Alters dahin auszulegen ist, dass es einer nationalen Bestimmung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, nach der eine Abfindung bei Vertragsende, die als Entgeltzulage bei Ablauf eines befristeten Arbeitsvertrags gewährt wird, wenn das vertragliche Arbeitsverhältnis nicht durch einen unbefristeten Vertrag fortgesetzt wird, nicht geschuldet wird, sofern der Vertrag mit einer jungen Person für einen Zeitraum geschlossen wird, der in ihren Schul- oder Semesterferien liegt.

22

Zu der von der Europäischen Kommission aufgeworfenen Frage, ob der Kläger des Ausgangsverfahrens als „Arbeitnehmer“ eingestuft werden kann, ist darauf hinzuweisen, dass dieser Begriff nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ein autonomer Begriff ist und nicht eng ausgelegt werden darf. Somit ist jeder als „Arbeitnehmer“ im Sinne von Art. 45 AEUV anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht nach dieser Rechtsprechung darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (Urteile Lawrie-Blum, 66/85, EU:C:1986:284, Rn. 16 und 17, Collins, C‑138/02, EU:C:2004:172, Rn. 26, Trojani, C‑456/02, EU:C:2004:488, Rn. 15, sowie Neidel, C‑337/10, EU:C:2012:263, Rn. 23).

23

Im vorliegenden Fall ist hervorzuheben, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens am 21. Dezember 2010 auf der Grundlage eines befristeten Vertrags für den in seinen Semesterferien liegenden Zeitraum vom 21. bis zum 24. Dezember 2010 eingestellt wurde. Die tatsächliche Dauer dieses Vertrags belief sich daher nur auf vier Tage.

24

Zwar kann der Umstand, dass eine Person im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nur sehr wenige Arbeitsstunden leistet, ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die ausgeübten Tätigkeiten nur untergeordnet und unwesentlich sind, doch lässt sich unabhängig von der begrenzten Höhe des aus einer Berufstätigkeit bezogenen Entgelts und des begrenzten Umfangs der insoweit aufgewendeten Arbeitszeit nicht ausschließen, dass die Tätigkeit aufgrund einer Gesamtbewertung des betreffenden Arbeitsverhältnisses von den nationalen Stellen als tatsächlich und echt angesehen werden kann und es somit ermöglicht, dem Beschäftigten die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Unionsrechts zuzuerkennen (vgl. in diesem Sinne Urteil Genc, C‑14/09, EU:C:2010:57, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25

Bei der Gesamtbewertung des Arbeitsverhältnisses des Klägers des Ausgangsverfahrens sind daher nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, sondern auch etwaige Ansprüche auf bezahlten Urlaub, auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, auf die Anwendung des einschlägigen Tarifvertrags auf den Arbeitsvertrag und auf die Zahlung von Beiträgen sowie gegebenenfalls deren Art (vgl. in diesem Sinne Urteil Genc, C‑14/09, EU:C:2010:57, Rn. 27).

26

Die Prüfung der Folgen, die sich aus der Gesamtheit der ein Arbeitsverhältnis kennzeichnenden Aspekte für die Feststellung ergeben können, ob es sich bei der vom Kläger des Ausgangsverfahrens ausgeübten unselbständigen Tätigkeit um eine tatsächliche und echte Tätigkeit handelt und er damit Arbeitnehmer ist, fällt in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts. Denn allein dieses verfügt über eine unmittelbare Kenntnis des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens und ist daher am besten in der Lage, die erforderlichen Nachprüfungen vorzunehmen (Urteil Genc, C‑14/09, EU:C:2010:57, Rn. 32).

27

Es obliegt daher dem vorlegenden Gericht, eine eingehende Würdigung aller relevanten Gesichtspunkte, insbesondere der in Rn. 25 des vorliegenden Urteils genannten, vorzunehmen, um festzustellen, ob der Arbeitsvertrag des Klägers des Ausgangsverfahrens geeignet ist, diesem eine Berufung auf die Eigenschaft als „Arbeitnehmer“ im Sinne des Unionsrechts zu ermöglichen.

28

Für den Fall, dass das vorlegende Gericht dem Kläger des Ausgangsverfahrens die Arbeitnehmereigenschaft zuerkennen sollte, ist zu prüfen, ob er sich im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits auf das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters berufen kann.

29

Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 bedeutet „Gleichbehandlungsgrundsatz“, „dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 [dieser Richtlinie] genannten Gründe geben darf“, zu denen das Alter gehört. Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie liegt eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 vor, wenn eine Person wegen eines der in Art. 1 der Richtlinie genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

30

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nicht nur bei der Entscheidung darüber, welches konkrete Ziel von mehreren sie im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik verfolgen wollen, sondern auch bei der Festlegung der zu seiner Erreichung geeigneten Maßnahmen über ein weites Ermessen verfügen (Urteil Schmitzer, C‑530/13, EU:C:2014:2359, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31

Insbesondere ist das Erfordernis der Vergleichbarkeit der Situationen zur Ermittlung des Vorliegens eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung anhand aller diese Situationen kennzeichnenden Merkmale zu beurteilen (vgl. u. a. Urteil Arcelor Atlantique et Lorraine u. a., C‑127/07, EU:C:2008:728, Rn. 25).

32

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass zum einen die Situationen nicht identisch, sondern nur vergleichbar sein müssen, und zum anderen die Prüfung dieser Vergleichbarkeit nicht allgemein und abstrakt sein darf, sondern spezifisch und konkret für die betreffende Leistung erfolgen muss (Urteil Hay, C‑267/12, EU:C:2013:823, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33

Daher ist zu prüfen, ob die Situation eines Studierenden wie des Klägers des Ausgangsverfahrens, der auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags während seiner Semesterferien beschäftigt wird, in Anbetracht des mit Art. L. 1243‑8 des Code du travail verfolgten Ziels mit der von Arbeitnehmern objektiv vergleichbar ist, die nach dieser Bestimmung Anspruch auf die Abfindung bei Vertragsende haben.

34

Im vorliegenden Fall soll die bei Ablauf des befristeten Arbeitsvertrags zu zahlende Abfindung bei Vertragsende, wie aus Art. L. 1243‑8 Abs. 1 des Code du travail hervorgeht, die Unsicherheit der Lage des Arbeitnehmers kompensieren, wenn die vertraglichen Beziehungen nicht durch einen unbefristeten Vertrag fortgesetzt werden, doch schließt Art. L. 1243‑10 Nr. 2 des Code du travail junge Personen, die einen befristeten Arbeitsvertrag für einen Zeitraum während ihrer Schul- oder Semesterferien abgeschlossen haben, ausdrücklich von der Gewährung dieser Abfindung aus.

35

Der nationale Gesetzgeber ist somit implizit, aber notwendigerweise davon ausgegangen, dass sich diese Personen bei Ablauf ihres Vertrags nicht in einer Situation beruflicher Unsicherheit befinden.

36

Wie die französische Regierung geltend gemacht hat, ist eine von einem Schüler oder Studierenden während seiner Schul- oder Semesterferien auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags ausgeübte Beschäftigung dadurch gekennzeichnet, dass es sich um eine vorübergehende Nebentätigkeit handelt, da der Schüler oder Studierende seinen Schulbesuch oder sein Studium am Ende der Ferien wieder aufnehmen wird.

37

Folglich hat der nationale Gesetzgeber, als er die Vergleichbarkeit der Situation junger Personen, die einen befristeten Arbeitsvertrag für einen Zeitraum während ihrer Schul- oder Semesterferien abgeschlossen haben, und der Situation anderer Gruppen von Arbeitnehmern, die Anspruch auf die Abfindung bei Vertragsende haben, verneint hat, die Grenzen des ihm zustehenden Wertungsspielraums im Bereich der Sozialpolitik nicht überschritten.

38

Diese Schlussfolgerung wird im Übrigen dadurch bestätigt, dass auch andere Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in einer mit der des Klägers des Ausgangsverfahrens vergleichbaren unsicheren Lage im Sinne von Art. L. 1243‑8 Abs. 1 des Code du travail befinden, durch Art. L. 1243‑10 des Code du travail von dieser Abfindung ausgeschlossen wurden. Dies gilt u. a. für Arbeitnehmer, die nach Art. L. 1242‑2 Nr. 1 des Code du travail unter den in dieser Bestimmung vorgesehenen Bedingungen eingestellt werden, um andere Arbeitnehmer zu vertreten, oder für Arbeitnehmer, die nach Art. L. 1242‑2 Nr. 3 des Code du travail eingestellt werden, um „Beschäftigungen mit saisonalem Charakter oder Beschäftigungen, bei denen es in bestimmten durch Dekret, Tarifvertrag oder für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag definierten Branchen aufgrund der Art der ausgeübten Tätigkeit und des wesensgemäß vorübergehenden Charakters üblich ist, nicht auf unbefristete Arbeitsverträge zurückzugreifen“.

39

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass sich ein Studierender wie der Kläger des Ausgangsverfahrens, der auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags für einen Zeitraum beschäftigt wird, der in seine Semesterferien fällt, im Hinblick auf das mit Art. L. 1243‑8 Abs. 1 des Code du travail verfolgte Ziel nicht in einer mit den Arbeitnehmern, die nach dieser Bestimmung Anspruch auf die Abfindung bei Vertragsende haben, objektiv vergleichbaren Situation befindet. Daher kann die unterschiedliche Behandlung dieser beiden Gruppen von Arbeitnehmern keine Diskriminierung wegen des Alters darstellen.

40

Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass das in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte und durch die Richtlinie 2000/78 konkretisierte Verbot der Diskriminierung wegen des Alters dahin auszulegen ist, dass es einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, nach der eine Abfindung bei Vertragsende, die als Entgeltzulage bei Ablauf eines befristeten Arbeitsvertrags gewährt wird, wenn das vertragliche Arbeitsverhältnis nicht durch einen unbefristeten Vertrag fortgesetzt wird, nicht geschuldet wird, sofern der Vertrag mit einer jungen Person für einen Zeitraum geschlossen wird, der in ihren Schul- oder Semesterferien liegt.

Kosten

41

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

 

Das in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte und durch die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf konkretisierte Verbot der Diskriminierung wegen des Alters ist dahin auszulegen, dass es einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, nach der eine Abfindung bei Vertragsende, die als Entgeltzulage bei Ablauf eines befristeten Arbeitsvertrags gewährt wird, wenn das vertragliche Arbeitsverhältnis nicht durch einen unbefristeten Vertrag fortgesetzt wird, nicht geschuldet wird, sofern der Vertrag mit einer jungen Person für einen Zeitraum geschlossen wird, der in ihren Schul- oder Semesterferien liegt.

 

Unterschriften


( * )   Verfahrenssprache: Französisch.

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Referenzen

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