Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-61/14

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

6. Oktober 2015 ( * )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Richtlinie 89/665/EWG — Öffentliche Aufträge — Nationale Rechtsvorschriften — Gebühren für den Zugang zu den Verwaltungsgerichten auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Aufträge — Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf — Gebühren mit abschreckender Wirkung — Gerichtliche Kontrolle von Verwaltungsakten — Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz — Praktische Wirksamkeit“

In der Rechtssache C‑61/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale regionale di giustizia amministrativa di Trento (Regionales Verwaltungsgericht Trient, Italien) mit Entscheidung vom 21. November 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Februar 2014, in dem Verfahren

Orizzonte Salute – Studio Infermieristico Associato

gegen

Azienda Pubblica di Servizi alla persona San Valentino – Città di Levico Terme,

Ministero della Giustizia,

Ministero dell’Economia e delle Finanze,

Presidenza del Consiglio dei Ministri,

Segretario Generale del Tribunale regionale di giustizia amministrativa di Trento,

Beteiligte:

Associazione Infermieristica D & F Care,

Camera degli Avvocati Amministrativisti,

Camera Amministrativa Romana,

Associazione dei Consumatori Cittadini Europei,

Coordinamento delle associazioni e dei comitati di tutela dell’ambiente e dei diritti degli utenti e dei consumatori (Codacons),

Associazione dei giovani amministrativisti (AGAmm),

Ordine degli Avvocati di Roma,

Società italiana degli avvocati amministrativisti (SIAA),

Ordine degli Avvocati di Trento,

Consiglio dell’ordine degli Avvocati di Firenze,

Medical Systems SpA,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter C. Vajda, A. Rosas, E. Juhász (Berichterstatter) und D. Šváby,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Februar 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Orizzonte Salute – Studio Infermieristico Associato, vertreten durch M. Carlin, M. Napoli, M. Zoppolato und M. Boifava, avvocati,

der Azienda Pubblica di Servizi alla persona San Valentino – Città di Levico Terme, vertreten durch R. De Pretis, avvocata,

der Camera degli Avvocati Amministrativisti, vertreten durch A. Grappelli, M. Ida Leonardo, M. Rossi Tafuri, F. Marascio, M. Martinelli, E. Papponetti und M. Togna, avvocati,

der Camera Amministrativa Romana, vertreten durch F. Tedeschini, C. Malinconico, P. Leozappa, F. Lattanzi und A. M. Valorzi, avvocati,

der Associazione dei Consumatori Cittadini europei, vertreten durch C. Giurdanella, P. Menchetti, S. Raimondi und E. Barbarossa, avvocati,

des Coordinamento delle associazioni per la tutela dell’ambiente e dei diritti degli utenti e consumatori (Codacons), vertreten durch C. Rienzi, G. Giuliano, V. Graziussi und G. Ursini, avvocati,

der Associazione dei Giovani Amministrativisti (AGAmm), vertreten durch G. Leccisi und J. D’Auria, avvocati,

der Ordine degli Avvocati di Roma, vertreten durch S. Orestano, S. Dore und P. Ziotti, avvocati,

der Società Italiana degli Avvocati Amministrativisti (SIAA), vertreten durch F. Lubrano, E. Lubrano, P. De Caterini, A. Guerino, A. Lorang, B. Nascimbene, E. Picozza, F. G. Scocca und F. Sorrentino, avvocati,

der Medical Systems SpA, vertreten durch R. Damonte, M. Carlin und E. Boglione, avvocati,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,

der griechischen Regierung, vertreten durch K. Paraskevopoulou und V. Stroumpouli als Bevollmächtigte,

der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Moro und A. Tokár als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Mai 2015

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 395, S. 33) in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 (ABl. L 335, S. 31) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/665).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Orizzonte Salute – Studio Infermieristico Associato (im Folgenden: Orizzonte Salute) auf der einen Seite und der Azienda Pubblica di Servizi alla persona San Valentino – Città di Levico Terme (Staatliche Gesellschaft für personenbezogene Dienstleistungen „San Valentino“ der Stadt Levico Terme, im Folgenden: Azienda) und dem Ministero della Giustizia (Ministerium der Justiz), dem Ministero dell’Economia e delle Finanze (Ministerium für Wirtschaft und Finanzen), der Presidenza del Consiglio dei Ministri (Präsidium des Ministerrats) und dem Segretario Generale del Tribunale regionale di giustizia amministrativa di Trento (Generalsekretär des Regionalen Verwaltungsgerichts Trient) auf der anderen Seite wegen der Verlängerung eines Auftrags über Krankenpflegedienste, eines in der Folge eingeleiteten Vergabeverfahrens und der Gerichtsgebühren für die Einlegung von Rechtsbehelfen im Bereich öffentlicher Aufträge bei den Verwaltungsgerichten.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Nach dem dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 89/665 setzt die Öffnung des öffentlichen Auftragswesens für den unionsweiten Wettbewerb eine beträchtliche Verstärkung der Garantien im Bereich der Transparenz und der Nichtdiskriminierung voraus; damit diese Öffnung konkret umgesetzt werden kann, müssen für den Fall von Verstößen gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften, die in Umsetzung dieses Rechts ergangen sind, Möglichkeiten einer wirksamen und raschen Nachprüfung bestehen.

4

Art. 1 („Anwendungsbereich und Zugang zu Nachprüfungsverfahren“) der Richtlinie 89/665 sieht vor:

„(1)   Diese Richtlinie gilt für Aufträge im Sinne der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge [ABl. L 134, S. 114], sofern diese Aufträge nicht gemäß den Artikeln 10 bis 18 der genannten Richtlinie ausgeschlossen sind.

Aufträge im Sinne der vorliegenden Richtlinie umfassen öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen, öffentliche Baukonzessionen und dynamische Beschaffungssysteme.

Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG fallenden Aufträge die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der Artikel 2 bis 2f der vorliegenden Richtlinie auf Verstöße gegen das [Unionsrecht] im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, nachgeprüft werden können.

(2)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die in dieser Richtlinie getroffene Unterscheidung zwischen einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung des [Unionsrechts] und den übrigen innerstaatlichen Bestimmungen nicht zu Diskriminierungen zwischen Unternehmen führt, die im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags einen Schaden geltend machen könnten.

(3)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Nachprüfungsverfahren entsprechend den gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten festzulegenden Bedingungen zumindest jeder Person zur Verfügung stehen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht.

…“

5

Art. 7 („Schwellenwerte für öffentliche Aufträge“) der Richtlinie 2004/18 legt die Schwellenwerte fest, ab denen die Vergabe eines Auftrags gemäß den Regeln dieser Richtlinie zu erfolgen hat.

6

Diese Schwellenwerte werden in regelmäßigen Abständen durch Verordnungen der Europäischen Kommission geändert und den wirtschaftlichen Gegebenheiten angepasst. Zu dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt war der Schwellenwert für öffentliche Lieferaufträge, die von anderen öffentlichen Auftraggebern als den zentralen Regierungsbehörden vergeben werden, durch die Verordnung (EG) Nr. 1177/2009 der Kommission vom 30. November 2009 zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG, 2004/18/EG und 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Schwellenwerte für Auftragsvergabeverfahren (ABl. L 314, S. 64) auf 193000 Euro festgesetzt.

Italienisches Recht

7

Mit Art. 13 Abs. 1 des Dekrets des Präsidenten der Republik Nr. 115 vom 30. Mai 2002 in der durch das Gesetz Nr. 228 vom 24. Dezember 2012 geänderten Fassung (im Folgenden: Dekret) wurde ein neues System für Gerichtsgebühren eingeführt, das auf einer Einheitsgebühr beruht, die sich nach dem Streitwert des Verfahrens richtet.

8

Anders als für Zivilverfahren wird die Einheitsgebühr für Verwaltungsverfahren in Art. 13 Abs. 6bis des Dekrets streitwertunabhängig festgesetzt.

9

Nach diesem Artikel beträgt die Einheitsgebühr für Rechtsbehelfe, die bei den regionalen Verwaltungsgerichten und dem Consiglio di Stato (Staatsrat) eingelegt werden, in der Regel 650 Euro. Für besondere Sachbereiche sind in dieser Bestimmung andere Beträge festgelegt, die ermäßigt oder erhöht werden können.

10

Nach Art. 13 Abs. 6bis Buchst. d des Dekrets beträgt die Gebühr im Bereich öffentlicher Aufträge:

2000 Euro, wenn der Wert des Auftrags 200000 Euro oder weniger beträgt;

4000 Euro für Streitigkeiten, deren Wert zwischen 200000 und 1000000 Euro liegt, und

6000 Euro für Streitigkeiten mit einem Wert von über 1000000 Euro.

11

Nach Art. 13 Abs. 1bis des Dekrets erhöhen sich diese Beträge für Rechtsmittelverfahren im Bereich öffentlicher Aufträge um 50 %.

12

Nach Art. 13 Abs. 1quater des Dekrets muss die Partei, die ein Rechtsmittel einlegt, wenn dieses Rechtsmittel, das auch ein Anschlussrechtsmittel sein kann, insgesamt zurückgewiesen, für unzulässig oder verfristet erklärt wird, eine zusätzliche Einheitsgebühr in gleicher Höhe wie die Gebühr für die Einlegung dieses Rechtsmittels oder Anschlussrechtsmittels entrichten.

13

Der Vorlageentscheidung ist zu entnehmen, dass die Einheitsgebühr nach der anwendbaren Regelung nicht nur bei der Eintragung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks in das Register entrichtet wird, sondern auch für einen Anschlussrechtsbehelf und die Geltendmachung zusätzlicher Gründe, mit denen neue Anträge gestellt werden.

14

Aus Art. 14 Abs. 3 des Dekrets ergibt sich, dass der Streitwert nicht der Verdienstmarge aus der Durchführung des von den öffentlichen Auftraggebern vergebenen Auftrags entspricht, sondern dem als Richtwert festgelegten Auftragspreis.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

15

Orizzonte Salute ist eine Vereinigung, die Krankenpflegedienste für öffentliche und private Einrichtungen erbringt. Mit ihrer mehrfach durch zusätzliche Gründe erweiterten Klage wendet sie sich vor dem vorlegenden Gericht gegen die wiederholte Vergabe der Krankenpflegedienste an die Associazione infermieristica D & F Care durch die Azienda und weitere Entscheidungen der Azienda.

16

Die Krankenpflegedienste wurden zunächst durch die Verlängerung des für einen vorhergehenden Zeitraum mit der Associazione infermieristica D & F Care geschlossenen Vertrags und später im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung vergeben, bei der ausschließlich bestimmte Vereinigungen zur Abgabe eines Angebots aufgefordert wurden, die durch den Berufsverband der Infermieri Professionali Assistenti Sanitari Vigilatrici d’Infanzia (IPASVI) (Professionelle Krankenpfleger, Pflegehelfer und Kinderkrankenpfleger) – bei dem Orizzonte Salute nicht Mitglied war – akkreditiert waren.

17

Orizzonte Salute entrichtete als Gerichtsgebühren eine Einheitsgebühr von 650 Euro für die Einleitung eines allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.

18

Mit Entscheidung vom 5. Juni 2013 forderte der Segretario Generale del Tribunale regionale di giustizia amministrativa di Trento Orizzonte Salute auf, die zuvor erfolgte Zahlung um den Fehlbetrag zur Einheitsgebühr für Streitigkeiten im Bereich öffentlicher Aufträge, die 2000 Euro betrage, zu ergänzen, da der Rechtsstreit aufgrund der Geltendmachung zusätzlicher Klagegründe nunmehr die Vergabe öffentlicher Aufträge betreffe.

19

Gegen diese Entscheidung legte Orizzonte Salute am 2. Juli 2013 einen weiteren Rechtsbehelf ein, mit dem sie einen Verstoß gegen Art. 13 Abs. 6bis des Dekrets sowie zudem die Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung geltend machte.

20

Vor dem Hintergrund dieses Rechtsbehelfs ließen sich die staatlichen Behörden zur Sache ein und rügten die fehlende Zuständigkeit des angerufenen Verwaltungsgerichts mit der Begründung, dass die Einheitsgebühr eine Abgabe darstelle, deren Beanstandung in die Zuständigkeit der Finanzgerichte falle. Außerdem sei die Klage unbegründet.

21

Das vorlegende Gericht räumt ein, dass die Einheitsgebühr Abgabencharakter habe. Doch gehe es in der bei ihm anhängigen Rechtssache um einen Rechtsakt seines Segretario Generale, der den Charakter einer Verwaltungsentscheidung habe. Daher unterliege die Entscheidung vom 5. Juni 2013 verwaltungsgerichtlicher Kontrolle. Zudem habe Orizzonte Salute ein Interesse an der Aufhebung der Aufforderung zur Zahlung der erhöhten Gerichtsgebühren.

22

Es weist darauf hin, dass sich die Einheitsgebühr in Verwaltungsverfahren – anders als in Zivilverfahren – nicht am Streitwert orientiere, sondern für bestimmte verwaltungsrechtliche Sachbereiche spezifische Beträge festgesetzt seien.

23

Auf dem Gebiet der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge sei die Einheitsgebühr wesentlich höher als in verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten, die dem allgemeinen Verfahren unterlägen.

24

Die Gebühren für die Rechtsverfolgung bei den Verwaltungsgerichten könnten insbesondere im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge Unternehmen davon abhalten, vor Gericht zu gehen, und seien daher im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit den Kriterien und Grundsätzen der Unionsrechtsordnung problematisch. Der Gewinn eines Unternehmens belaufe sich im Allgemeinen auf etwa 10 % des Auftragswerts, und die Zahlung einer diesen Betrag übersteigenden Einheitsgebühr im Voraus könne die Unternehmen davon abhalten, bestimmte Verfahren in Anspruch zu nehmen.

25

Damit schränke die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung das Recht auf Anrufung der Gerichte und die Effektivität der gerichtlichen Kontrolle ein, diskriminiere finanzschwache Wirtschaftsteilnehmer gegenüber finanzstarken und benachteilige sie gegenüber denjenigen, die sich im Rahmen ihrer Tätigkeit an die Zivil- und Handelsgerichte wendeten. Die Aufwendungen des Staates für das Funktionieren der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bereich öffentlicher Aufträge seien nicht wesentlich anders, spezifisch oder höher als bei Verfahren in anderen Rechtsstreitigkeiten.

26

Das Schrifttum vertrete die Auffassung, dass der nationale Gesetzgeber sicherlich die Belastung durch unerledigte Rechtsstreitigkeiten habe verringern und sowohl die Durchführung öffentlicher Projekte als auch den öffentlichen Erwerb von Lieferungen und Leistungen habe erleichtern wollen. Tatsächlich habe es seit 2012 wesentlich weniger Rechtsstreitigkeiten im Bereich öffentlicher Aufträge gegeben.

27

Der Gesamtwert des öffentlichen Auftrags übersteige den Grenzwert der Richtlinie 2004/18. Daher seien die Grundsätze der Wirksamkeit, der Beschleunigung, der Nichtdiskriminierung und der Zugänglichkeit, wie sie in Art. 1 der Richtlinie 89/665 niedergelegt seien, im Ausgangsverfahren anwendbar. Folge man seinem Ansatz, verletze die in Rede stehende nationale Regelung diese Grundsätze und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) bekräftigt werde.

28

Das Tribunale regionale di giustizia amministrativa di Trento hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Stehen die Grundsätze, die von der Richtlinie 89/665 aufgestellt worden sind, einer nationalen Regelung entgegen, die hohe Einheitsgebühren für den Zugang zu den Verwaltungsgerichten im Bereich öffentlicher Aufträge festsetzt?

Zur Zulässigkeit der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen der Streithelfer des Ausgangsverfahrens

29

Folgende Vereinigungen und Einrichtungen sind dem Ausgangsrechtsstreit als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge von Orizzonte Salute beigetreten und haben beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht: Coordinamento delle associazioni e dei comitati di tutela dell’ambiente e dei diritti degli utenti e dei consumatori (Codacons) (Koordinierungsstelle der Vereinigungen und Komitees zum Schutz der Umwelt und der Rechte von Nutzern und Verbrauchern), Camera Amministrativa Romana (Verwaltungskammer Rom), Associazione dei Consumatori Cittadini Europei (Vereinigung der Europäischen Verbraucher), Ordine degli Avvocati di Roma (Rechtsanwaltskammer Rom), Associazione dei giovani amministrativisti (Vereinigung der jungen Verwaltungsrechtler), Società italiana degli avvocati amministrativisti (Italienische Gesellschaft der Anwälte für Verwaltungsrecht) (im Folgenden gemeinsam: Streithelfer des Ausgangsverfahrens).

30

Nach Ansicht der italienischen Regierung sind die schriftlichen Erklärungen der Parteien, die nach Verkündung der Vorlageentscheidung und Aussetzung des Ausgangsverfahrens dem Rechtsstreit beigetreten seien, unzulässig. Diese Unzulässigkeit folge aus Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, und der nationale Richter sei nach der Aussetzung des Verfahrens nicht befugt, die Zulässigkeit einer Streithilfe zu beurteilen, die nach der Vorlage beim Gerichtshof erfolgt sei. Die schriftlichen Erklärungen anderer natürlicher und juristischer Personen als derjenigen, die zum Zeitpunkt der Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens beteiligt gewesen seien, seien aus den Akten zu entfernen, um zu verhindern, dass das Verfahren zu einer Popularklage werde.

31

Insoweit ist zur Beteiligung am Vorabentscheidungsverfahren darauf hinzuweisen, dass nach Art. 96 Abs. 1 der Verfahrensordnung in Verbindung mit Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs die Parteien des Ausgangsrechtsstreits, die Mitgliedstaaten, die Kommission und gegebenenfalls das Organ, die Einrichtung oder die sonstige Stelle der Europäischen Union, von dem oder der die Handlung, deren Gültigkeit oder Auslegung streitig ist, ausgegangen ist, die Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, die nicht Mitgliedstaaten sind, die EFTA-Überwachungsbehörde und betroffene Drittstaaten vor dem Gerichtshof Erklärungen abgeben können. Da die Aufzählung abschließend ist, kann dieses Recht nicht auf natürliche und juristische Personen ausgedehnt werden, die nicht ausdrücklich genannt sind.

32

Die „Parteien des Ausgangsrechtsstreits“ werden nach Art. 97 Abs. 1 der Verfahrensordnung vom vorlegenden Gericht gemäß den nationalen Verfahrensvorschriften als solche bezeichnet. Es ist somit Sache des vorlegenden Gerichts, auf der Grundlage der nationalen Verfahrensvorschriften die Parteien des vor ihm anhängigen Rechtsstreits zu bestimmen.

33

Es ist nicht Sache des Gerichtshofs, nachzuprüfen, ob eine Entscheidung des vorlegenden Gerichts, mit der es eine Streithilfe im bei ihm anhängigen Rechtsstreit zulässt, diesen Vorschriften entspricht. Der Gerichtshof hat sich an eine solche Entscheidung zu halten, solange sie nicht aufgrund eines im nationalen Recht vorgesehenen Rechtsbehelfs aufgehoben worden ist (vgl. entsprechend Urteile Radlberger Getränkegesellschaft und S. Spitz, C‑309/02, EU:C:2004:799, Rn. 26, und Burtscher, C‑213/04, EU:C:2005:731, Rn. 32).

34

Im vorliegenden Fall wird nicht vorgetragen, dass die Entscheidung über die Zulassung von Streithelfern im Ausgangsverfahren nicht den Vorschriften für das beim vorlegenden Gericht anhängige Verfahren entsprochen hätte oder dass gegen diese Entscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt worden wäre.

35

Einer Person kann die Eigenschaft einer „Partei des Ausgangsverfahrens“ im Sinne von Art. 96 Abs. 1 der Verfahrensordnung in Verbindung mit Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs nicht zuerkannt werden und diese kann in einem Verfahren vor dem Gerichtshof nach Art. 267 AEUV nicht zugelassen werden, wenn sie ihren Antrag auf Zulassung als Streithelfer bei einem nationalen Gericht nicht stellt, um aktiv in den weiteren Verlauf des Verfahrens vor dem nationalen Gericht einzugreifen, sondern nur, um am Verfahren vor dem Gerichtshof teilzunehmen (vgl. in diesem Sinne Beschluss Football Association Premier League u. a., C‑403/08 und C‑429/08, EU:C:2009:789, Rn. 9).

36

Es ist jedoch festzustellen, dass den Akten kein Hinweis darauf zu entnehmen ist, dass die Streithelfer des Ausgangsverfahrens nicht die Absicht hätten, sich aktiv am Verfahren vor dem vorlegenden Gericht zu beteiligen, und sich nur im Verfahren vor dem Gerichtshof äußern wollten.

37

Schließlich widerspräche es auch dem Grundsatz der geordneten Rechtspflege und dem Erfordernis der Erledigung von Vorabentscheidungsverfahren innerhalb angemessener Frist, wenn das schriftliche Verfahren vor dem Gerichtshof wegen wiederholter Zulassungen als Streithelfer und aufgrund der Frist des Art. 23 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs von zwei Monaten für die Abgabe schriftlicher Erklärungen dieser Streithelfer nicht abgeschlossen werden könnte oder neu eröffnet werden müsste.

38

Unter solchen Bedingungen muss nach Art. 97 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, wenn ein nationales Gericht den Gerichtshof von der Zulassung einer neuen Partei im Ausgangsrechtsstreit unterrichtet, während das Verfahren vor dem Gerichtshof bereits anhängig ist, diese Partei das Verfahren in der Lage annehmen, in der es sich zum Zeitpunkt der Unterrichtung befindet.

39

Der Gerichtshof kann sich somit veranlasst sehen, einem im Ausgangsrechtsstreit zugelassenen Streithelfer die Abgabe schriftlicher Erklärungen nur innerhalb der Frist zu gestatten, die den Beteiligten im Sinne von Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs, denen das Vorabentscheidungsersuchen zunächst zugestellt worden war, dafür zusteht.

40

Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens hat die Abgabe von schriftlichen Erklärungen der vom vorlegenden Gericht im Ausgangsrechtsstreit zugelassenen Streithelfer weder eine geordnete Rechtspflege noch die Erledigung der Rechtssache innerhalb angemessener Frist gefährdet. Der Gerichtshof sah daher keine Veranlassung, von der in der vorstehenden Randnummer angeführten Möglichkeit Gebrauch zu machen.

41

Nach alledem ist das Vorbringen der italienischen Regierung, das auf die Unzulässigkeitserklärung der schriftlichen Erklärungen der Streithelfer des Ausgangsverfahrens gerichtet ist, zurückzuweisen. Diese beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen sind zulässig.

Zur Vorlagefrage

42

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 der Richtlinie 89/665 und die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen, wonach bei der Einlegung von Rechtsbehelfen in verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Bereich öffentlicher Aufträge höhere Gerichtsgebühren zu entrichten sind als in anderen Bereichen.

43

Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665 verpflichtet die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass gegen Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber, die mit dem Unionsrecht unvereinbar sind, wirksam und möglichst rasch vorgegangen werden kann und dass jede Person, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht, umfassenden Zugang zu Nachprüfungen hat.

44

Diese Richtlinie belässt den Mitgliedstaaten ein Ermessen hinsichtlich der Wahl der in ihr vorgesehenen Verfahrensgarantien und der zugehörigen Formalitäten (vgl. Urteil Combinatie Spijker Infrabouw-De Jonge Konstruktie u. a., C‑568/08, EU:C:2010:751, Rn. 57).

45

Insbesondere weist die Richtlinie 89/665 keine Bestimmung auf, die sich speziell auf Gerichtsgebühren bezieht, die der Einzelne zu entrichten hat, wenn er gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie eine Nachprüfung anstrengt, die auf die Aufhebung einer seiner Meinung nach rechtswidrigen Entscheidung im Zusammenhang mit einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags gerichtet ist.

46

Nach ständiger Rechtsprechung ist es mangels einer einschlägigen Unionsregelung gemäß dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, die Modalitäten für das Verwaltungsverfahren und das Gerichtsverfahren zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Diese Verfahrensmodalitäten dürfen jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die für entsprechende innerstaatliche Rechtsbehelfe (Grundsatz der Äquivalenz) und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (Urteile Club Hotel Loutraki u. a., C‑145/08 und C‑149/08, EU:C:2010:247, Rn. 74 sowie eVigilo, C‑538/13, EU:C:2015:166, Rn. 39).

47

Da zudem solche Gerichtsgebühren Modalitäten gerichtlicher Verfahren zum Schutz der Rechte darstellen, die das Unionsrecht den durch Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber geschädigten Bewerbern und Bietern einräumt, dürfen sie die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 89/665 nicht beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne Urteile Universale-Bau u. a., C‑470/99, EU:C:2002:746, Rn. 72, und eVigilo, C‑538/13, EU:C:2015:166, Rn. 40).

48

Zum Grundsatz der Effektivität hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass er das vom nationalen Gericht zu wahrende, in Art. 47 der Charta verankerte Erfordernis eines gerichtlichen Schutzes impliziert (vgl. in diesem Sinne Urteil Sánchez Morcillo und Abril García, C‑169/14, EU:C:2014:2099, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49

Daher ist Art. 1 der Richtlinie 89/665 notwendig im Licht der in der Charta verankerten Grundrechte auszulegen, insbesondere im Licht des Rechts aus Art. 47 auf Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs bei einem Gericht (vgl. in diesem Sinne Urteil Ryneš, C‑212/13, EU:C:2014:2428, Rn. 29).

50

Es ist daher zu prüfen, ob eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende als mit den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität sowie mit der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie 89/665 vereinbar anzusehen ist.

51

Die beiden Teile dieser Prüfung betreffen erstens die Höhe der Einheitsgebühr für die Einlegung eines Rechtsbehelfs in verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Bereich öffentlicher Aufträge und zweitens die Fälle der Kumulierung solcher Gebühren im Rahmen desselben verwaltungsgerichtlichen Verfahrens im Bereich öffentlicher Aufträge.

Zur Einheitsgebühr für die Einlegung eines Rechtsbehelfs in verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Bereich öffentlicher Aufträge

52

Zunächst ist in Übereinstimmung mit der österreichischen Regierung darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 89/665 nach ihrem Art. 1 Abs. 1 für Aufträge im Sinne der Richtlinie 2004/18 gilt, sofern diese Aufträge nicht gemäß den Art. 10 bis 18 der letztgenannten Richtlinie ausgeschlossen sind.

53

Nach Art. 7 in Kapitel II („Anwendungsbereich“) der Richtlinie 2004/18 erfasst diese Richtlinie nur öffentliche Aufträge, deren geschätzter Wert netto ohne Mehrwertsteuer die in dieser Bestimmung festgelegten Schwellenwerte erreicht oder überschreitet.

54

Somit werden öffentliche Dienstleistungsaufträge, die von anderen öffentlichen Auftraggebern als zentralen Regierungsbehörden vergeben werden und deren Wert unter 193000 Euro liegt, nicht von der Richtlinie 2004/18 und damit auch nicht von der Richtlinie 89/665 erfasst.

55

Zum Grundsatz der Effektivität ist darauf hinzuweisen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung der Gerichtsgebühren drei Festbeträge für die Einheitsgebühr in Höhe von 2000, 4000 und 6000 Euro für die drei Kategorien öffentlicher Aufträge vorsieht, und zwar für solche mit einem Wert von 200000 Euro oder weniger, für solche, deren Wert zwischen 200000 und 1000000 Euro beträgt, und solche mit einem Wert von über 1000000 Euro.

56

Den dem Gerichtshof vorgelegten Akten ist zu entnehmen, dass das System festgesetzter Beträge für die Einheitsgebühr proportional zum Wert der in diese drei unterschiedlichen Kategorien fallenden öffentlichen Aufträge ist und insgesamt degressiven Charakter hat.

57

Die in Prozentsätzen der „Grenzwerte“ der drei Kategorien öffentlicher Aufträge ausgedrückte Einheitsgebühr variiert nämlich von 1,0 % bis 1,036 % des Auftragswerts, wenn dieser zwischen 193000 und 200000 Euro liegt, von 0,4 bis 2,0 %, wenn er zwischen 200000 und 1000000 Euro beträgt, und entspricht 0,6 % oder weniger des Auftragswerts, wenn dieser 1000000 Euro übersteigt.

58

Gerichtsgebühren für die Einlegung eines Rechtsbehelfs in verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Bereich öffentlicher Aufträge, die 2 % des Auftragswerts nicht übersteigen, können die Ausübung der von der Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte im Bereich öffentlicher Aufträge nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.

59

Weder das vorlegende Gericht noch die Beteiligten, die beim Gerichtshof Erklärungen eingereicht haben, haben etwas vorgetragen, was diese Feststellung in Frage stellt.

60

Insbesondere ist zur Festsetzung der Einheitsgebühr nach dem Wert des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrags und nicht nach dem Gewinn, den das am Vergabeverfahren teilnehmende Unternehmen von diesem Auftrag erwarten darf, zum einen darauf hinzuweisen, dass mehrere Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumen, die zu entrichtenden Verfahrenskosten nach dem Wert des Streitgegenstands zu berechnen.

61

Zum anderen wäre, wie der Generalanwalt in Nr. 40 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, eine Regelung im Bereich öffentlicher Aufträge, die für jedes Vergabeverfahren und jedes Unternehmen spezielle Berechnungen erfordern würde, deren Ergebnis angefochten werden könnte, kompliziert und ihr Ergebnis nicht vorhersehbar.

62

Zur Anwendung der italienischen Einheitsgebühr zulasten finanzschwacher Wirtschaftsteilnehmer ist in Übereinstimmung mit der Kommission festzustellen, dass diese Gebühr hinsichtlich Art und Höhe unterschiedslos jedem auferlegt wird, der einen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers einlegen möchte.

63

Ein solches System führt nicht zu einer Diskriminierung zwischen Wirtschaftsteilnehmern, die im gleichen Sektor tätig sind.

64

Ferner ergibt sich aus den Bestimmungen der Richtlinien der Union im Bereich des öffentlichen Auftragswesens, wie z. B. Art. 47 der Richtlinie 2004/18, dass die Beteiligung eines Unternehmens an einem öffentlichen Vergabeverfahren eine entsprechende wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit voraussetzt.

65

Schließlich hat zwar die rechtssuchende Partei die Pflicht, die Einheitsgebühr bei der Einlegung ihres gerichtlichen Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung im Bereich öffentlicher Aufträge vorab zu entrichten, doch ist die unterliegende Partei grundsätzlich gehalten, den von der obsiegenden Partei gezahlten Gebührenvorschuss zu erstatten.

66

Was den Grundsatz der Äquivalenz anbelangt, kann der Umstand, dass die im Rahmen von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge zu entrichtende Einheitsgebühr höher ist als in verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten, die dem allgemeinen Verfahren unterliegen, und zudem höher als die Gerichtsgebühren in Zivilverfahren, für sich allein noch keine Verletzung dieses Grundsatzes belegen.

67

Der Grundsatz der Äquivalenz, wie er in Rn. 46 des vorliegenden Urteils beschrieben wurde, verlangt nämlich eine Gleichbehandlung von Rechtsbehelfen, mit denen ein Verstoß gegen nationales Recht gerügt wird, und ähnlichen Rechtsbehelfen, mit denen ein Verstoß gegen Unionsrecht gerügt wird, und betrifft nicht die Äquivalenz nationaler Verfahrensvorschriften, die für Rechtsstreitigkeiten unterschiedlicher Art wie zivilrechtliche auf der einen Seite und verwaltungsrechtliche auf der anderen Seite oder Streitigkeiten mit Bezug zu zwei unterschiedlichen Rechtsgebieten gelten (vgl. Urteil ÖBB Personenverkehr, C‑417/13, EU:C:2015:38, Rn. 74).

68

Im vorliegenden Fall ist dem Gerichtshof nichts vorgetragen worden, was die Annahme stützen könnte, dass das System der italienischen Einheitsgebühr auf Rechtsbehelfe, die auf die dem Einzelnen aus dem Recht der Union über öffentliche Aufträge erwachsenden Rechte gestützt sind, anders angewandt würde als auf Rechtsbehelfe, mit denen ein Verstoß gegen innerstaatliches Recht auf diesem Gebiet gerügt wird.

69

Daraus lässt sich schließen, dass Gerichtsgebühren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Einheitsgebühr, die bei Einlegung eines Rechtsbehelfs in verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Bereich öffentlicher Aufträge zu entrichten sind, weder die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 89/665 noch die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beeinträchtigen.

Zur Kumulierung von Einheitsgebühren im Rahmen desselben verwaltungsgerichtlichen Verfahrens im Bereich öffentlicher Aufträge

70

Nach der nationalen Regelung ist die Einheitsgebühr nicht nur bei der Eintragung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks für einen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge in das Register zu entrichten, sondern es muss der gleiche Betrag auch für Anschlussrechtsbehelfe und die Geltendmachung zusätzlicher Gründe, mit denen im Laufe des Verfahrens neue Anträge gestellt werden, entrichtet werden.

71

Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass nach einem Rundschreiben des Segretario Generale della Giustizia Amministrativa vom 18. Oktober 2001 nur die Einreichung von Verfahrensschriftstücken, die vom verfahrenseinleitenden Schriftstück unabhängig und auf eine erhebliche Erweiterung des Streitgegenstands gerichtet sind, zu einer weiteren Gebührenerhebung führt.

72

Die Erhebung mehrfacher und kumulativer Gerichtsgebühren im Rahmen desselben verwaltungsgerichtlichen Verfahrens verstößt grundsätzlich weder gegen Art. 1 der Richtlinie 89/665 in Verbindung mit Art. 47 der Charta noch gegen die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität.

73

Eine solche Gebührenerhebung trägt nämlich grundsätzlich zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Gerichtssystems bei, da sie eine Finanzierungsquelle für die gerichtliche Tätigkeit der Mitgliedstaaten darstellt und von der Einreichung von Anträgen abschreckt, die offensichtlich unbegründet sind oder nur der Verfahrensverzögerung dienen.

74

Diese Ziele können eine gehäufte Anwendung von Gerichtsgebühren wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nur dann rechtfertigen, wenn der Gegenstand der zusätzlichen Rechtsbehelfe oder Gründe tatsächlich ein anderer ist und eine erhebliche Erweiterung des bereits anhängigen Streitgegenstands darstellt.

75

Ist das hingegen nicht der Fall, ist eine Pflicht zur Entrichtung solcher zusätzlicher Gerichtsgebühren wegen der Einlegung solcher Rechtsbehelfe oder der Geltendmachung solcher Gründe nicht mit dem von der Richtlinie 89/665 gewährleisteten Zugang zu Rechtsbehelfen und dem Grundsatz der Effektivität vereinbar.

76

Legt eine Person mehrere gerichtliche Rechtsbehelfe ein oder trägt sie im Rahmen desselben Gerichtsverfahrens mehrere zusätzliche Gründe vor, bedeutet der Umstand allein, dass das Endziel dieser Person der Zuschlag für einen bestimmten Auftrag ist, nicht zwangsläufig, dass der Gegenstand dieser Rechtsbehelfe oder Gründe identisch ist.

77

Im Fall der Beanstandung durch eine betroffene Partei ist es Sache des nationalen Richters, den Gegenstand der von einem Einzelnen eingelegten Rechtsbehelfe oder der im Rahmen desselben Verfahrens von ihm vorgetragenen Gründe zu prüfen. Stellt der nationale Richter fest, dass der Gegenstand tatsächlich kein anderer oder keine erhebliche Erweiterung des bereits anhängigen Streitgegenstands ist, hat er diesen Einzelnen von der Verpflichtung zur Entrichtung kumulativer Gerichtsgebühren freizustellen.

78

Dem Gerichtshof ist ferner nichts vorgetragen worden, was die Vereinbarkeit der Kumulierung der Einheitsgebühren mit dem Grundsatz der Äquivalenz in Frage stellen könnte.

79

Nach alledem ist die Vorlagefrage wie folgt zu beantworten:

Art. 1 der Richtlinie 89/665 und die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, wonach bei der Einlegung eines Rechtsbehelfs im Bereich öffentlicher Aufträge bei den Verwaltungsgerichten Gerichtsgebühren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Einheitsgebühr zu entrichten sind.

Art. 1 der Richtlinie 89/665 und die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität stehen weder der mehrmaligen Erhebung von Gerichtsgebühren bei einem Einzelnen, der im Zusammenhang mit derselben Vergabe eines öffentlichen Auftrags mehrere gerichtliche Rechtsbehelfe einlegt, noch der Verpflichtung dieses Einzelnen entgegen, zusätzliche Gerichtsgebühren zu entrichten, um im Zusammenhang mit derselben Vergabe eines öffentlichen Auftrags in einem laufenden Gerichtsverfahren ergänzende Gründe vorbringen zu können. Jedoch ist es im Fall der Beanstandung durch eine betroffene Partei Sache des nationalen Richters, den Gegenstand der von einem Einzelnen eingelegten Rechtsbehelfe oder der im Rahmen desselben Verfahrens von ihm vorgetragenen Gründe zu prüfen. Stellt der nationale Richter fest, dass der Gegenstand tatsächlich kein anderer oder keine erhebliche Erweiterung des bereits anhängigen Streitgegenstands ist, hat er diesen Einzelnen von der Verpflichtung zur Entrichtung kumulativer Gerichtsgebühren freizustellen.

Kosten

80

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 1 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 geänderten Fassung und die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, wonach bei der Einlegung eines Rechtsbehelfs im Bereich öffentlicher Aufträge bei den Verwaltungsgerichten Gerichtsgebühren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Einheitsgebühr zu entrichten sind.

 

2.

Art. 1 der Richtlinie 89/665 in der durch die Richtlinie 2007/66 geänderten Fassung und die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität stehen weder der mehrmaligen Erhebung von Gerichtsgebühren bei einem Einzelnen, der im Zusammenhang mit derselben Vergabe eines öffentlichen Auftrags mehrere gerichtliche Rechtsbehelfe einlegt, noch der Verpflichtung dieses Einzelnen entgegen, zusätzliche Gerichtsgebühren zu entrichten, um im Zusammenhang mit derselben Vergabe eines öffentlichen Auftrags in einem laufenden Gerichtsverfahren ergänzende Gründe vorbringen zu können. Jedoch ist es im Fall der Beanstandung durch eine betroffene Partei Sache des nationalen Richters, den Gegenstand der von einem Einzelnen eingelegten Rechtsbehelfe oder der im Rahmen desselben Verfahrens von ihm vorgetragenen Gründe zu prüfen. Stellt der nationale Richter fest, dass der Gegenstand tatsächlich kein anderer oder keine erhebliche Erweiterung des bereits anhängigen Streitgegenstands ist, hat er diesen Einzelnen von der Verpflichtung zur Entrichtung kumulativer Gerichtsgebühren freizustellen.

 

Unterschriften


( * )   Verfahrenssprache: Italienisch.

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