Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-73/14

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

6. Oktober 2015 ( * )

„Nichtigkeitsklage — Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen — Internationaler Seegerichtshof — Illegale, nicht gemeldete und unregulierte Fischerei — Verfahren zur Abgabe von Gutachten — Einreichung einer schriftlichen Stellungnahme im Namen der Europäischen Union durch die Europäische Kommission — Keine vorherige Zustimmung des Rates der Europäischen Union zum Inhalt dieser Stellungnahme — Art. 13 Abs. 2 EUV, 16 EUV und 17 Abs. 1 EUV — Art. 218 Abs. 9 AEUV und 335 AEUV — Vertretung der Europäischen Union — Grundsätze der Einzelermächtigung und des institutionellen Gleichgewichts — Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit“

In der Rechtssache C‑73/14

betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV, eingereicht am 10. Februar 2014,

Rat der Europäischen Union, vertreten durch A. Westerhof Löfflerová, E. Finnegan und R. Liudvinaviciute-Cordeiro als Bevollmächtigte,

Kläger,

unterstützt durch:

Tschechische Republik, vertreten durch M. Smolek, E. Ruffer, J. Vláčil und M. Hedvábná als Bevollmächtigte,

Hellenische Republik, vertreten durch G. Karipsiadis und K. Boskovits als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Königreich Spanien, vertreten durch M. Sampol Pucurull als Bevollmächtigten,

Französische Republik, vertreten durch G. de Bergues, D. Colas, F. Fize und N. Rouam als Bevollmächtigte,

Republik Litauen, vertreten durch D. Kriaučiūnas und G. Taluntytė als Bevollmächtigte,

Königreich der Niederlande, vertreten durch M. Bulterman, M. Gijzen und M. de Ree als Bevollmächtigte,

Republik Österreich, vertreten durch C. Pesendorfer und G. Eberhard als Bevollmächtigte,

Portugiesische Republik, vertreten durch L. Inez Fernandes und M. L. Duarte als Bevollmächtigte,

Republik Finnland, vertreten durch J. Heliskoski und H. Leppo als Bevollmächtigte,

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch E. Jenkinson und M. Holt als Bevollmächtigte im Beistand von J. Holmes, Barrister,

Streithelfer,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch K. Banks, A. Bouquet, E. Paasivirta und P. Van Nuffel als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts (Berichterstatter), der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, L. Bay Larsen, A. Ó Caoimh, J.‑C. Bonichot, C. Vajda und S. Rodin, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter J. Malenovský, J. L. da Cruz Vilaça und F. Biltgen,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. April 2015,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 16. Juli 2015

folgendes

Urteil

1

Mit seiner Klage begehrt der Rat der Europäischen Union die Nichtigerklärung des Beschlusses der Europäischen Kommission vom 29. November 2013, in der Rechtssache Nr. 21 die „Schriftliche Stellungnahme der Europäischen Kommission im Namen der Europäischen Union“ (im Folgenden: angefochtener Beschluss) an den Internationalen Seegerichtshof (im Folgenden: ISGH) zu übermitteln.

Rechtlicher Rahmen

Vorschriften betreffend den ISGH

2

Das am 10. Dezember 1982 in Montego Bay unterzeichnete und am 16. November 1994 in Kraft getretene Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (im Folgenden: Seerechtsübereinkommen) wurde mit dem Beschluss 98/392/EG des Rates vom 23. März 1998 über den Abschluss des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 und des Übereinkommens vom 28. Juli 1994 zur Durchführung des Teils XI des Seerechtsübereinkommens durch die Europäische Gemeinschaft (ABl. L 179, S. 1) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt.

3

Art. 191 des Seerechtsübereinkommens bestimmt:

„Die Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten gibt auf Antrag der Versammlung oder des Rates Gutachten zu Rechtsfragen ab, die sich aus dem Tätigkeitsbereich dieser Organe ergeben. Diese Gutachten werden so schnell wie möglich abgegeben.“

4

Art. 287 Abs. 1 des Seerechtsübereinkommens lautet:

„Einem Staat steht es frei, wenn er [das Seerechtsübereinkommen] unterzeichnet, ratifiziert oder ihm beitritt, oder zu jedem späteren Zeitpunkt, durch eine schriftliche Erklärung eines oder mehrere der folgenden Mittel zur Beilegung von Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung des [Seerechtsübereinkommens] zu wählen:

a)

den in Übereinstimmung mit Anlage VI errichteten [ISGH];

…“

5

Anlage VI des Seerechtsübereinkommens enthält das Statut des ISGH.

6

Art. 16 („Regeln des [ISGH]“) dieses Statuts bestimmt:

„Der [ISGH] erlässt Regeln für die Wahrnehmung seiner Aufgaben. Er legt insbesondere seine Verfahrensordnung fest.“

7

Art. 21 („Zuständigkeit“) dieses Statuts lautet:

„Die Zuständigkeit des [ISGH] erstreckt sich auf alle ihm in Übereinstimmung mit [dem Seerechtsübereinkommen] unterbreiteten Streitigkeiten und Anträge sowie auf alle in einer sonstigen Übereinkunft, die dem [ISGH] die Zuständigkeit überträgt, besonders vorgesehenen Angelegenheiten.“

8

Die Verfahrensordnung des ISGH in ihrer revidierten Fassung vom 17. März 2009 enthält in den Art. 130 bis 137 Bestimmungen über das Gutachtenverfahren vor der Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten. Nach Art. 133 dieser Verfahrensordnung werden die Vertragsstaaten des Seerechtsübereinkommens und die zwischenstaatlichen Organisationen, die zu der Frage, die Gegenstand eines Antrags auf ein Gutachten ist, Auskunft geben können, aufgefordert, hierzu schriftlich Stellung zu nehmen und in einem etwa durchgeführten mündlichen Verfahren mündliche Ausführungen zu machen.

9

Art. 138 dieser Verfahrensordnung bestimmt:

„(1)   Der [ISGH] gibt ein Gutachten zu einer Rechtsfrage ab, wenn eine mit den Zielen [des Seerechtsübereinkommens] zusammenhängende internationale Übereinkunft die Stellung eines Antrags auf ein solches Gutachten an [den ISGH] besonders vorsieht.

(2)   Der Antrag auf ein Gutachten wird dem [ISGH] von jeder hierzu durch oder kraft dieser Übereinkunft befugten Stelle übermittelt.

(3)   Der ISGH wendet die Art. 130 bis 137 entsprechend an.“

Internationale Übereinkünfte im Bereich der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei

10

Die Europäische Union ist Vertragspartei mehrerer internationaler Übereinkünfte, die Bestimmungen über die jeweiligen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten des Flaggenstaats und der Küstenstaaten im Bereich der Fischerei auf hoher See oder in einer ausschließlichen Wirtschaftszone enthalten und deshalb für die Bekämpfung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei (im Folgenden: IUU-Fischerei), die die Erhaltung und Bewirtschaftung von Fischbeständen gefährdet, relevant sind.

11

Hierzu gehören insbesondere die Art. 56, 61 bis 68, 73, 91, 94 und 116 bis 120 des Seerechtsübereinkommens, die Art. III, V, VI und VIII des Übereinkommens zur Förderung der Einhaltung internationaler Erhaltungs- und Bewirtschaftungsmaßnahmen durch Fischereifahrzeuge auf Hoher See, das am 24. November 1993 durch die Resolution 15/93 der Konferenz der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen auf ihrer 27. Sitzung angenommen wurde (im Folgenden: FAO-Einhaltungsübereinkommen) und dem die Gemeinschaft gemäß dem Beschluss 96/428/EG des Rates vom 25. Juni 1996 (ABl. L 177, S. 24) beigetreten ist, sowie die Art. 5 bis 14 und 17 bis 21 des Übereinkommens zur Durchführung der Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 über die Erhaltung und Bewirtschaftung von gebietsübergreifenden Fischbeständen und weit wandernden Fischbeständen, das am 4. August 1995 in New York (Vereinigte Staaten) angenommen wurde (im Folgenden: Fischbestände-Übereinkommen der Vereinten Nationen) und durch den Beschluss 98/414/EG des Rates vom 8. Juni 1998 (ABl. L 189, S. 14) im Namen der Gemeinschaft ratifiziert wurde.

Partnerschaftsabkommen zwischen der Union und den Küstenstaaten im Bereich der Fischerei

12

Die Sub-Regional Fisheries Commission (Subregionale Fischereikommission, im Folgenden: SRFC) ist eine durch ein Übereinkommen vom 29. März 1985 eingerichtete intergouvernementale Organisation für die Fischereizusammenarbeit, an der die Republik Kap Verde, die Republik Gambia, die Republik Guinea, die Republik Guinea-Bissau, die Islamische Republik Mauretanien, die Republik Senegal und die Republik Sierra Leone beteiligt sind.

13

Die Union hat mit mehreren Mitgliedstaaten der SRFC Partnerschaftsabkommen geschlossen. Die meisten dieser Abkommen enthalten eine mit Art. 5 Abs. 4 des Partnerschaftlichen Fischereiabkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Republik Cabo Verde (Kap Verde) (ABl. 2006, L 414, S. 3) vergleichbare Bestimmung, nach der „[d]ie Gemeinschaft … sich [verpflichtet], alle geeigneten Vorkehrungen zu treffen, um zu gewährleisten, dass sich ihre Schiffe an die Bestimmungen dieses Abkommens und die für die Fangtätigkeiten in den Gewässern unter der Gerichtsbarkeit Kap Verdes geltenden Rechtsvorschriften halten“.

Maßnahmen der Union im Bereich der IUU-Fischerei

14

Die Verordnung (EG) Nr. 1005/2008 des Rates vom 29. September 2008 über ein Gemeinschaftssystem zur Verhinderung, Bekämpfung und Unterbindung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei, zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 2847/93, (EG) Nr. 1936/2001 und (EG) Nr. 601/2004 und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 1093/94 und (EG) Nr. 1447/1999 (ABl. L 286, S. 1, im Folgenden: IUU-Verordnung) sieht einen detaillierten Regelungsrahmen für Maßnahmen gegen die IUU-Fischerei vor.

15

Wie aus ihrem fünften Erwägungsgrund hervorgeht, wird mit dieser Verordnung bezweckt, „entsprechend [den im ersten Erwägungsgrund angeführten] internationalen Verpflichtungen“ der Union, nämlich jenen aus dem Seerechtsübereinkommen, dem FAO-Einhaltungsübereinkommen und dem Fischbestände-Übereinkommen der Vereinten Nationen, härter gegen die IUU-Fischerei vorzugehen.

16

Die Verordnung (EG) Nr. 1006/2008 des Rates vom 29. September 2008 über die Genehmigung der Fischereitätigkeiten von Fischereifahrzeugen der Gemeinschaft außerhalb der Gemeinschaftsgewässer und den Zugang von Drittlandschiffen zu Gemeinschaftsgewässern, zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 2847/93 und (EG) Nr. 1627/94 und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 3317/94 (ABl. L 286, S. 33) regelt den Zugang von Drittlandschiffen zu Unionsgewässern und den Zugang von Schiffen der Union zu Drittlandsgewässern.

17

Die Durchführung und Kontrolle der Einhaltung der IUU-Verordnung sind in der Verordnung (EG) Nr. 1224/2009 des Rates vom 20. November 2009 zur Einführung einer gemeinschaftlichen Kontrollregelung zur Sicherstellung der Einhaltung der Vorschriften der gemeinsamen Fischereipolitik und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 847/96, (EG) Nr. 2371/2002, (EG) Nr. 811/2004, (EG) Nr. 768/2005, (EG) Nr. 2115/2005, (EG) Nr. 2166/2005, (EG) Nr. 388/2006, (EG) Nr. 509/2007, (EG) Nr. 676/2007, (EG) Nr. 1098/2007, (EG) Nr. 1300/2008, (EG) Nr. 1342/2008 sowie zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 2847/93, (EG) Nr. 1627/94 und (EG) Nr. 1966/2006 (ABl. L 343, S. 1) geregelt.

18

In Anwendung der IUU-Verordnung hat die Kommission durch die Verordnung (EU) Nr. 468/2010 vom 28. Mai 2010 über die EU-Liste der Schiffe, die illegale, ungemeldete und unregulierte Fischerei betreiben (ABl. L 131, S. 22), die mehrmals geändert wurde, auf der Grundlage der von den regionalen Fischereiorganisationen (im Folgenden: RFO) geführten Listen eine Unionsliste der IUU-Fischerei betreibenden Schiffe aufgestellt. Die Union ist Mitglied der meisten RFO.

19

Außerdem hat die Union zur Durchführung der von den RFO gegenüber einigen Drittstaaten ergriffenen Maßnahmen mehrere Verordnungen erlassen. Hierzu gehören z. B. die Verordnung (EG) Nr. 826/2004 des Rates vom 26. April 2004 über das Verbot der Einfuhr Roten Thuns (Thunnus thynnus) mit Ursprung in Äquatorialguinea und Sierra Leone und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2092/2000 (ABl. L 127, S. 19) sowie die Verordnung (EG) Nr. 827/2004 des Rates vom 26. April 2004 über das Verbot der Einfuhr von atlantischem Großaugenthun (Thunnus obesus) mit Ursprung in Bolivien, Kambodscha, Georgien, Äquatorialguinea und Sierra Leone und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1036/2001 (ABl. L 127, S. 21).

Vorgeschichte des Rechtsstreits

20

Am 28. März 2013 reichte die SRFC beim ISGH einen Antrag auf ein Gutachten (im Folgenden: Gutachtenantrag) ein.

21

Dieser Antrag, der als Rechtssache Nr. 21 eingetragen wurde, betrifft folgende Fragen:

1.

Welche Pflichten treffen den Flaggenstaat, wenn IUU-Fischerei innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone eines Drittstaats betrieben wird?

2.

In welchem Umfang kann der Flaggenstaat für die von Schiffen unter seiner Flagge betriebene IUU-Fischerei haftbar gemacht werden?

3.

Kann eine internationale Organisation, die Fanglizenzen besitzt, für Verstöße von diese Lizenzen nutzenden Fischereifahrzeugen gegen die fischereirechtlichen Vorschriften des Küstenstaats haftbar gemacht werden?

4.

Welche Rechte und Pflichten hat der Küstenstaat hinsichtlich der Gewährleistung der nachhaltigen Bewirtschaftung von gemeinsam bewirtschafteten Beständen und Beständen von gemeinsamem Interesse, insbesondere der Thunfischbestände und der Bestände an kleinen pelagischen Arten?

22

Mit Beschluss vom 24. Mai 2013 forderte der ISGH die Vertragsparteien des Seerechtsübereinkommens, die SRFC und andere intergouvernementale Organisationen auf, in der Rechtssache Nr. 21 bis spätestens zum 29. November 2013 schriftliche Stellungnahmen einzureichen. Ferner wurde beschlossen, in dieser Rechtssache eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

23

Am 5. August 2013 erließ die Kommission den Beschluss „über die Einreichung schriftlicher Stellungnahmen im Namen der Union zum Gutachtenantrag der Subregionalen Fischereikommission an den Internationalen Seegerichtshof in der Rechtssache Nr. 21“ (C[2013] 4989 final, im Folgenden: Beschluss vom 5. August 2013).

24

In den Erwägungsgründen 9 und 10 dieses Beschlusses heißt es, „[g]emäß Art. 335 AEUV wird die Union in gerichtlichen Verfahren von der Kommission vertreten“ und „[d]ie Kommission reicht schriftliche Erklärungen im Namen der Union zu den dem ISGH vorgelegten Fragen ein und nimmt an der mündlichen Verhandlung teil“. Weiter heißt es im elften Erwägungsgrund dieses Beschlusses, „[g]emäß dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit hat die Kommission den Rat vermittels seiner zuständigen Arbeitsgruppe zu unterrichten“.

25

Nach Art. 1 des Beschlusses vom 5. August 2013 reicht „[d]ie Kommission … schriftliche Stellungnahmen zu den am 27. März 2013 von der [SRFC] dem [ISGH] in der Rechtssache Nr. 21 vorgelegten Fragen ein und nimmt an der mündlichen Verhandlung in der Rechtssache Nr. 21 teil“. Nach Art. 2 dieses Beschlusses „wird der Juristische Dienst der Kommission angewiesen, den vorliegenden Beschluss umzusetzen“.

26

Im Rat wurde der Gutachtenantrag in zwei Arbeitsgruppen erörtert, nämlich in der Arbeitsgruppe „Seerecht“ (im Folgenden: Arbeitsgruppe COMAR) in Bezug auf die Fragen der Zuständigkeit des ISGH für dieses Gutachten und der Zulässigkeit der vorgelegten Fragen sowie in der Arbeitsgruppe „Interne und Externe Fischereipolitik“ (im Folgenden: Arbeitsgruppe FISH) in Bezug auf die materiellen Aspekte.

27

Bei Sitzungen der Arbeitsgruppe FISH am 12. September 2013 und der Arbeitsgruppe COMAR am 17. September 2013 wiederholte die Kommission ihre Absicht, in der Rechtssache Nr. 21 im Namen der Union schriftliche Erklärungen zu übermitteln, und machte deutlich, dass sie eine vorherige Zustimmung des Rates hierfür nicht für erforderlich halte. In der Sitzung der Arbeitsgruppe FISH erklärte der Ratsvorsitz, dass es Sache des Rates sei, dem Inhalt dieser schriftlichen Stellungnahme zuzustimmen, und forderte die Kommission auf, dem Rat bis spätestens Ende Oktober 2013 einen Entwurf der schriftlichen Stellungnahme vorzulegen.

28

Am 22. Oktober 2013 übermittelte die Kommission dem Rat ein „Arbeitspapier, aus dem die Grundzüge der dem ISGH zu übermittelnden Stellungnahme der Union in der [ISGH-]Rechtssache Nr. 21 hervorgehen“ (im Folgenden: Arbeitspapier vom 22. Oktober 2013). In diesem Arbeitspapier wiederholte die Kommission unter Hinweis auf ihren Beschluss vom 5. August 2013, dass der Rat „nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit“ zu „unterrichten“ sei. Sie betonte, sie werde „Hinweise und Empfehlungen der Mitgliedstaaten zur Untermauerung des Standpunkts der Union in größtmöglichem Umfang berücksichtigen“.

29

Bei Sitzungen der Arbeitsgruppe FISH am 24. Oktober 2013 und der Arbeitsgruppe COMAR am 30. Oktober 2013, in denen das Arbeitspapier vom 22. Oktober 2013 geprüft wurde, bekräftigte die Kommission, dass sie dem Rat keinen Entwurf der schriftlichen Stellungnahme zur Zustimmung vorlegen werde.

30

Das Arbeitspapier vom 22. Oktober 2013 wurde mehrfach geändert, und zwar am 15., 18. und 26. November 2013. Die aufeinanderfolgenden Fassungen wurden in den Sitzungen der Arbeitsgruppe FISH am 15. und 22. November 2013 erörtert. Im einleitenden Teil der überarbeiteten Fassung dieses Dokuments vom 15. November 2013 hob die Kommission erneut hervor, dass sie nach Art. 335 AEUV zur Vertretung der Union in gerichtlichen Verfahren befugt sei und dass für eine solche Vertretung keine vorherige Zustimmung des Rates zu der schriftlichen Stellungnahme, die im Namen der Union abgegeben werde, erforderlich sei.

31

Am 27. November 2013 wurde die Frage der etwaigen Einreichung einer schriftlichen Stellungnahme beim ISGH im Namen der Union auf der Grundlage eines Berichts der Arbeitsgruppe FISH vom Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) der Mitgliedstaaten erörtert. Die Delegationen der Mitgliedstaaten und der AStV-Vorsitz vertraten die Ansicht, nach Art. 16 EUV sei es Sache des Rates, über diese Frage zu entscheiden und gegebenenfalls den Inhalt dieser schriftlichen Stellungnahme zu billigen oder zu ändern. Der AStV war der Auffassung, dass es, falls der Rat hinsichtlich einer solchen Stellungnahme nicht zur Annahme eines Standpunkts gelangen könne, insoweit keinen Standpunkt gebe, so dass zu dem Gutachtenantrag beim ISGH im Namen der Union keine schriftliche Stellungnahme abgegeben werden könne. Die Kommission ihrerseits hielt an ihrer Auffassung fest, dass eine förmliche Zustimmung des Rates in diesem Fall nicht erforderlich sei, und wies darauf hin, dass sie im Namen der Union eine schriftliche Stellungnahme beim ISGH einreichen werde.

32

Nachdem die Kommission die Bemerkungen einiger Delegationen von Mitgliedstaaten berücksichtigt hatte, richtete sie am 29. November 2013 an den ISGH die „[s]chriftliche Stellungnahme der Europäischen Kommission im Namen der Europäischen Union“ in der Rechtssache Nr. 21. Der Rat wurde darüber am selben Tag per E‑Mail unterrichtet.

33

Außerdem reichten in dieser Rechtssache sieben Mitgliedstaaten als Vertragsparteien des Seerechtsübereinkommens eine schriftliche Stellungnahme beim ISGH ein.

Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

34

Der Rat beantragt, den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

35

Die Kommission beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Wirkungen des angefochtenen Beschlusses bis zum Erlass eines neuen Beschlusses in angemessener Frist aufrechtzuerhalten, und dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

36

Die Tschechische Republik, die Hellenische Republik, das Königreich Spanien, die Französische Republik, die Republik Litauen, das Königreich der Niederlande, die Republik Österreich, die Portugiesische Republik, die Republik Finnland sowie das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sind als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen worden. Die Portugiesische Republik hat sich jedoch an keinem Abschnitt des vorliegenden Verfahrens beteiligt.

Vorbemerkungen

37

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Kommission nach dem Meinungsaustausch zwischen dem Rat und ihr mit dem angefochtenen Beschluss ihre am 5. August 2013 verlautbarte Absicht umgesetzt hat, indem sie in der Rechtssache Nr. 21 im Namen der Union beim ISGH eine schriftliche Stellungnahme einreichte, deren Inhalt dem Rat trotz dessen Aufforderung nicht zur Zustimmung vorgelegt worden war.

38

Die vorliegende Klage ist daher dahin zu verstehen, dass der Kommission vorgeworfen wird, sie habe dadurch, dass sie den Inhalt der in jener Rechtssache im Namen der Union eingereichten schriftlichen Stellungnahme nicht dem Rat zur vorherigen Zustimmung vorgelegt habe, dessen Befugnisse missachtet.

Begründetheit

39

Der Rat macht zwei Klagegründe geltend. Mit dem ersten rügt er einen Verstoß gegen den Grundsatz der Einzelermächtigung nach Art. 13 Abs. 2 EUV und den Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts. Mit dem zweiten Klagegrund rügt er einen Verstoß gegen den ebenfalls in dieser Bestimmung verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit.

Zum ersten Klagegrund

40

Der erste Klagegrund ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil betrifft einen Verstoß gegen Art. 218 Abs. 9 AEUV. Der zweite Teil betrifft einen Verstoß gegen Art. 16 Abs. 1 EUV. Diese beiden Teile sind zusammen zu prüfen.

Vorbringen der Parteien

41

Im Rahmen des ersten Teils des ersten Klagegrundes macht der Rat, unterstützt von allen als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Republik Österreich, geltend, die Kommission habe im vorliegenden Fall die ihm in Art. 218 Abs. 9 AEUV zuerkannten Befugnisse missachtet.

42

Diese Bestimmung beziehe sich auf sämtliche Fälle, in denen ein durch eine internationale Übereinkunft eingesetztes Gremium, gleich welcher Art, diese Übereinkunft durch eine Maßnahme anwende, die in der Union verbindliche oder unverbindliche Rechtswirkungen erzeuge. Dies sei hier der Fall. Denn der ISGH sei durch eine internationale Übereinkunft, nämlich das Seerechtsübereinkommen, eingesetzt worden und das vorliegend in Rede stehende Gutachten könne erhebliche Auswirkungen auf die Anwendung des Seerechtsübereinkommens und anderer internationaler Übereinkünfte, bei denen die Union Vertragspartei sei, und folglich auf deren Rechtsordnung haben. Da der Gutachtenantrag einen Bereich betreffe, der weitgehend unionsrechtlich geregelt sei, könne dieses Gutachten die Ausübung der Zuständigkeit und den Besitzstand der Union in diesem Bereich beeinflussen. Zudem könne es eine Anpassung der Unionsvorschriften im Bereich der IUU-Fischerei erfordern.

43

Im Rahmen des zweiten Teils des ersten Klagegrundes macht der Rat, unterstützt von allen als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten, geltend, die Kommission habe im vorliegenden Fall jedenfalls gegen Art. 16 Abs. 1 EUV verstoßen, indem sie sich ausschließliche Befugnisse des Rates angemaßt habe.

44

Erstens erlaube es Art. 17 Abs. 1 EUV der Kommission nicht, die Außenvertretung der Union eigenständig wahrzunehmen und sich über die dem Rat durch Art. 16 Abs. 1 Satz 2 EUV übertragenen Aufgaben der Festlegung der Politik hinwegzusetzen.

45

Im vorliegenden Fall sei es nach dieser letztgenannten Bestimmung angesichts der erheblichen Folgen, die der Inhalt der beim ISGH im Namen der Union eingereichten schriftlichen Stellungnahme auf internationaler Ebene insbesondere im Verhältnis zwischen der Union und den SRFC‑Mitgliedstaaten haben könne, Sache des Rates gewesen, diesen Inhalt festzulegen. Die Rolle der Kommission bestehe darin, die vom Rat festgelegte Politik durchzuführen und auf ihrer Grundlage die Vertretung der Union nach außen wahrzunehmen.

46

Zweitens tragen der Rat und alle als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten vor, Art. 335 AEUV sei nicht geeignet, die vorstehende Argumentation zu entkräften.

47

Hierzu machen das Königreich Spanien, die Französische Republik, das Königreich der Niederlande, die Republik Österreich und die Republik Finnland geltend, Art. 335 AEUV betreffe ausschließlich die Vertretung der Union in nationalen Gerichtsverfahren und nicht die Einreichung von Erklärungen im Namen der Union in Bezug auf deren auswärtiges Handeln vor einem durch eine internationale Übereinkunft errichteten Gericht.

48

Der Rat und alle als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten tragen vor, Art. 335 AEUV sei angesichts der gewöhnlichen Bedeutung des Begriffs „Vertretung“ und im Hinblick auf den Grundsatz der Einzelermächtigung nach Art. 13 Abs. 2 EUV jedenfalls nicht als Ermächtigung der Kommission zu verstehen, außerhalb von ihr eigenes Funktionieren betreffenden Angelegenheiten vor Gericht eigenständig unter Missachtung der Ratszuständigkeit zur inhaltlichen Festlegung des Standpunkts der Union zu den in Rede stehenden Fragen aufzutreten. Die Außenvertretung der Union durch die Kommission, gleich ob politisch oder rechtlich, unterliege Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV, was es erforderlich mache, die Aufgaben der Festlegung der Politik, für die gemäß Art. 16 Abs. 1 EUV der Rat zuständig sei, zu berücksichtigen.

49

Drittens tragen der Rat und die als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten vor, die Vertretung der Union durch die Kommission vor dem ISGH hänge nicht mit der Anwendung der Verträge im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Satz 2 EUV zusammen. Somit könne sich die Kommission nicht auf ihre Aufgabe als Hüterin der Verträge berufen, um völlig eigenständig ihre eigene Auslegung der fraglichen internationalen Vorschriften zu entwickeln. Zudem habe es für die Stellungnahme in der Rechtssache Nr. 21 im Namen der Union nicht genügt, den Besitzstand der Union in dem betreffenden Bereich technisch zu beschreiben. Sie habe darüber hinaus politische und strategische Entscheidungen hinsichtlich einer Reihe von Fragen erfordert, die diese Rechtssache aufgeworfen habe, wie etwa die Zuständigkeit des ISGH für das vorliegend beantragte Gutachten und die Zulässigkeit der vorgelegten Fragen.

50

Viertens tragen der Rat, die Hellenische Republik, das Königreich Spanien, die Französische Republik, die Republik Litauen und die Republik Finnland vor, im Bereich der Bekämpfung der IUU-Fischerei gebe es keine bereits im Voraus festgelegte Unionspolitik, die es für die Kommission im vorliegenden Fall hätte entbehrlich machen können, die vorherige Genehmigung des Rates einzuholen. Auch gebe es eine im Voraus festgelegte Unionspolitik weder hinsichtlich der bislang nicht entschiedenen Frage der allgemeinen Zuständigkeit des ISGH für Gutachten noch hinsichtlich der Fragen betreffend die jeweilige Haftung des Flaggenstaats, des Küstenstaats und der internationalen Organisationen im Bereich der IUU-Fischerei.

51

Die Kommission entgegnet auf den ersten Teil des ersten Klagegrundes, Art. 218 Abs. 9 AEUV sei nur dann anwendbar, wenn ein durch eine internationale Übereinkunft eingesetztes Gremium als ausführende Instanz im Rahmen dieser Übereinkunft zur Festlegung von Regelungen oder zum Erlass von Entscheidungen ermächtigt sei. Diese Bestimmung betreffe also nicht den im Namen der Union vor einem internationalen Gericht zu vertretenden Standpunkt.

52

Auf den zweiten Teil des ersten Klagegrundes entgegnet die Kommission, Art. 335 AEUV entspreche dem allgemeinen Grundsatz, dass sie die Union in nationalen oder internationalen Gerichtsverfahren vertrete. Diese Bestimmung verlange nicht, dass sie die Genehmigung eines anderen Unionsorgans einhole, um im Namen der Union vor einem Gericht aufzutreten. In dem durch die Verträge geschaffenen System gehöre die Vertretung der Union vor einem internationalen Gericht zu einer verfassungsrechtlichen Aufgabe, die durch die Art. 13 Abs. 2 EUV, 17 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EUV und 335 AEUV der Kommission übertragen sei.

53

In diesem Kontext seien zwei Situationen zu unterscheiden. Die erste Situation betreffe die Außenvertretung der Union im politischen und diplomatischen Sinne wie etwa das Aushandeln von internationalen Übereinkünften. Diese Situation unterliege Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV und möglicherweise Art. 16 Abs. 1 EUV, wenn es keine Unionspolitik gebe. Die zweite Situation, der der vorliegende Fall entspreche, betreffe die Vertretung der Union vor einem internationalen Gericht, bei der die Kommission im allgemeinen Interesse der Union gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 1 EUV für die Anwendung des Unionsrechts im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EUV einschließlich der internationalen Übereinkünfte, bei denen die Union Vertragspartei sei, zu sorgen habe.

54

Hilfsweise macht die Kommission geltend, sie sei, selbst wenn im vorliegenden Fall Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV anwendbar wäre, zur Vertretung der Union im Rahmen einer vom Rat bereits festgelegten Unionspolitik berechtigt. Im vorliegenden Fall bestehe unionsweit ein vollständiger rechtlicher und politischer Rahmen, der es der Kommission ermöglicht habe, ihre Aufgabe der Außenvertretung der Union wahrzunehmen, ohne vom Rat zusätzliche Orientierung einholen zu müssen.

Würdigung durch den Gerichtshof

55

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die in dem Gutachtenantrag aufgeworfenen Fragen zumindest zum Teil zum Bereich „Erhaltung der biologischen Meeresschätze im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik“ gehören, in dem die Union gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. d AEUV ausschließliche Zuständigkeit hat, und dass die Union als Vertragspartei des Seerechtsübereinkommens, auf dessen Grundlage der ISGH errichtet wurde, zuständig war, an dem Gutachtenverfahren in der Rechtssache Nr. 21 vor dem ISGH gemäß Art. 133 seiner Verfahrensordnung teilzunehmen.

56

Die Kommission hat ihren Beschluss, die Union im Rahmen ihrer Teilnahme an diesem Gutachtenverfahren zu vertreten und hierzu im Namen der Union eine schriftliche Stellungnahme einzureichen, wie aus den Akten hervorgeht und sie in ihren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, auf Art. 335 AEUV gestützt.

57

Einige der als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten bestreiten dagegen, dass Art. 335 AEUV auf die Vertretung der Union vor einem internationalen Gericht wie dem ISGH anwendbar sei. Dieser Artikel betreffe lediglich Verfahren vor nationalen Gerichten.

58

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist jedoch Art. 335 AEUV, obwohl er seinem Wortlaut nach auf die Mitgliedstaaten beschränkt ist, Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes, dass die Union Rechts- und Geschäftsfähigkeit besitzt und zu diesem Zweck von der Kommission vertreten wird (vgl. in diesem Sinne Urteil Reynolds Tobacco u. a./Kommission, C‑131/03 P, EU:C:2006:541, Rn. 94).

59

Folglich bot Art. 335 AEUV der Kommission eine Grundlage, die Union in der Rechtssache Nr. 21 vor dem ISGH zu vertreten.

60

Wie der Rat mit Unterstützung der als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten hervorgehoben hat, ist jedoch mit der Anwendbarkeit von Art. 335 AEUV im vorliegenden Fall die mit dem ersten Klagegrund aufgeworfene Frage, ob es zur Wahrung des in Art. 13 Abs. 2 EUV genannten Grundsatzes der Einzelermächtigung geboten war, zum Inhalt der von der Kommission in der Rechtssache Nr. 21 im Namen der Union beim ISGH eingereichten schriftlichen Stellungnahme vorher die Zustimmung des Rates einzuholen, nicht erschöpfend beantwortet.

61

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 13 Abs. 2 EUV jedes Unionsorgan nach Maßgabe der ihm in den Verträgen zugewiesenen Befugnisse nach den Verfahren, Bedingungen und Zielen handelt, die in den Verträgen festgelegt sind. In dieser Bestimmung kommt der Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts zum Ausdruck, der für den organisatorischen Aufbau der Union kennzeichnend ist und gebietet, dass jedes Organ seine Befugnisse unter Beachtung der Befugnisse der anderen Organe ausübt (vgl. Urteil Rat/Kommission, C‑409/13, EU:C:2015:217, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62

Im vorliegenden Fall machen der Rat und die als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten mit ihrer Argumentation geltend, dass die Kommission dadurch, dass sie in der Rechtssache Nr. 21 im Namen der Union eine schriftliche Stellungnahme beim ISGH eingereicht habe, deren Inhalt der Rat nicht zugestimmt hatte, die Zuständigkeiten des Rates nach Art. 218 Abs. 9 AEUV und jedenfalls nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 EUV missachtet habe.

63

Was erstens Art. 218 Abs. 9 AEUV angeht, so ist darauf hinzuweisen, dass die darin enthaltene Bezugnahme auf Standpunkte, die im Namen der Union „in“ einem durch eine internationale Übereinkunft eingesetzten Gremium zu vertreten sind, das rechtswirksame Akte zu erlassen hat, bedeutet, dass die Anwendung dieser Bestimmung Standpunkte betrifft, die im Namen der Union zu vertreten sind, wenn die Union innerhalb des betreffenden internationalen Gremiums am Erlass solcher Akte durch ihre Organe oder gegebenenfalls vermittels ihrer gemeinsam im Unionsinteresse handelnden Mitgliedstaaten teilnimmt. Die Union soll jedoch einen Standpunkt als Partei „vor“ einem internationalen Gericht vortragen und nicht „in“ diesem.

64

Diese Auslegung wird durch den Zusammenhang und den Zweck von Art. 218 Abs. 9 AEUV bestätigt.

65

Diese Bestimmung sieht nämlich, wie die Generalanwältin in den Nrn. 70 bis 74 ihrer Schlussanträge vorgetragen hat – abweichend von dem in Art. 218 Abs. 1 bis 8 AEUV beschriebenen gewöhnlichen Verfahren für die Aushandlung und den Abschluss einer internationalen Übereinkunft durch die Union –, für die Festlegung von Standpunkten, die im Namen der Union zu vertreten sind, ein vereinfachtes Verfahren vor, wenn die Union innerhalb des durch die betreffende internationale Übereinkunft eingesetzten Entscheidungsgremiums am Erlass von Akten teilnimmt, die zur Anwendung oder Durchführung dieser Übereinkunft ergehen.

66

Im Unterschied zu der Rechtssache, in der das Urteil Deutschland/Rat (C‑399/12, EU:C:2014:2258) ergangen ist – diese betraf den im Namen der Union zu vertretenden Standpunkt im Rahmen der Teilnahme der Union vermittels Mitgliedstaaten am Erlass von Empfehlungen innerhalb des durch die in Rede stehende internationale Übereinkunft eingesetzten Gremiums –, betrifft die vorliegende Rechtssache die Festlegung eines im Namen der Union vor einem internationalen Gericht zu vertretenden Standpunkts zu einem Gutachten, für dessen Abgabe allein die Mitglieder dieses Gerichts zuständig und verantwortlich sind, die in ihrem Handeln hierzu von den Parteien völlig unabhängig sind.

67

Infolgedessen ist Art. 218 Abs. 9 AEUV im vorliegenden Fall nicht anwendbar, ohne dass es erforderlich wäre, zu prüfen, ob das in der Rechtssache Nr. 21 beantragte Gutachten des ISGH unter den Begriff „rechtswirksamer Akt“ im Sinne dieser Bestimmung fällt.

68

Was zweitens Art. 16 Abs. 1 Satz 2 EUV angeht, ist zu prüfen, ob nach dieser Bestimmung der Rat dem Inhalt der in der Rechtssache Nr. 21 im Namen der Union beim ISGH eingereichten schriftlichen Stellungnahme vor deren Einreichung bei diesem Gericht hätte zustimmen müssen.

69

Der Gutachtenantrag betraf die jeweiligen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten des Flaggenstaats und des Küstenstaats in Bezug auf die IUU-Fischerei, die die Erhaltung und Bewirtschaftung von Fischbeständen gefährdet. Wie in den Rn. 10 und 11 des vorliegenden Urteils ausgeführt, fällt die IUU-Fischerei in den Anwendungsbereich einer Reihe von Vorschriften – des Seerechtsübereinkommens, bei dem die Union Vertragspartei ist, des FAO-Einhaltungsübereinkommens, dem die Gemeinschaft gemäß dem Beschluss 96/428 beigetreten ist, des Fischbestände-Übereinkommens der Vereinten Nationen, das die Gemeinschaft durch den Beschluss 98/414 ratifiziert hat, sowie von Partnerschaftsabkommen zwischen der Union und Mitgliedstaaten der SRFC –, die gemäß Art. 216 Abs. 2 AEUV Bestandteil des Unionsrechts sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Air Transport Association of America u. a., C‑366/10, EU:C:2011:864, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung). Ferner ist sie Gegenstand einer detaillierten unionsrechtlichen Regelung, die im Übrigen im Jahr 2008 verschärft wurde, um den internationalen Verpflichtungen der Union Rechnung zu tragen, wie in den Rn. 14 bis 19 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist.

70

Wie aus der in der Rechtssache Nr. 21 im Namen der Union an den ISGH gerichteten schriftlichen Stellungnahme hervorgeht, bestand diese darin, dass in diesem Kontext Antworten auf die in dieser Rechtssache gestellten Fragen vorgeschlagen wurden, die Auffassung der Union zur Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Vorschriften des Seerechtsübereinkommens, des FAO-Einhaltungsübereinkommens und des Fischbestände-Übereinkommens der Vereinten Nationen im Bereich der IUU-Fischerei dargelegt wurde und die Maßnahmen beschrieben wurden, die hierzu in den Partnerschaftsabkommen und der in der vorstehenden Randnummer genannten Unionsregelung vorgesehen sind.

71

Diese Stellungnahme hatte also nicht den Zweck, eine Politik im Bereich der IUU-Fischerei im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 EUV festzulegen, sondern mit ihr sollte dem ISGH auf der Grundlage einer Untersuchung der einschlägigen völkerrechtlichen Vorschriften und Unionsregelung eine Reihe von rechtlichen Ausführungen vorgelegt werden, die es diesem Gericht ermöglichen sollen, zu den gestellten Fragen gegebenenfalls ein fundiertes Gutachten abzugeben.

72

Der Rat und mehrere als Streithelfer beigetretene Mitgliedstaaten machen geltend, die in der Rechtssache Nr. 21 im Namen der Union beim ISGH eingereichte schriftliche Stellungnahme habe auch Erwägungen hinsichtlich der Zuständigkeit dieses Gerichts zur Beantwortung des Gutachtenantrags und der Zulässigkeit der gestellten Fragen enthalten, mithin Erwägungen, die zu den strategischen oder politischen Entscheidungen gehörten, die Sache des Rates gewesen seien.

73

Solche Erwägungen sind jedoch in gleicher Weise wie die materiell-rechtlichen Ausführungen in der in Rede stehenden Rechtssache für die Beteiligung an einem Verfahren vor einem Gericht kennzeichnend. Sie können daher nicht als Entsprechung zur Festlegung einer Politik im Sinne von Art. 16 Abs. 1 EUV angesehen werden.

74

Der Rat und mehrere als Streithelfer beigetretene Mitgliedstaaten heben außerdem die schwerwiegenden politischen Konsequenzen hervor, die sich aus dem Inhalt der in der Rechtssache Nr. 21 im Namen der Union beim ISGH eingereichten schriftlichen Stellungnahme u. a. im Verhältnis zwischen der Union und den SRFC Mitgliedstaaten ergeben könnten.

75

Dieser Gesichtspunkt, sofern er denn zutrifft, kann jedoch angesichts der Ausführungen in den Rn. 69 bis 71 des vorliegenden Urteils jedenfalls nicht ausreichen, um die Festlegung des Inhalts dieser schriftlichen Stellungnahme als Wahrnehmung einer Aufgabe der Festlegung der Politik im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 EUV anzusehen.

76

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Kommission dadurch, dass sie in der Rechtssache Nr. 21 im Namen der Union die schriftliche Stellungnahme beim ISGH einreichte, ohne deren Inhalt dem Rat zur Zustimmung vorgelegt zu haben, nicht gegen diese Bestimmung verstoßen hat.

77

Nach alledem ist der erste Klagegrund zurückzuweisen.

Zum zweiten Klagegrund

Vorbringen der Parteien

78

Im Rahmen des zweiten Klagegrundes macht der Rat, unterstützt von der Tschechischen Republik, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, der Republik Litauen und der Republik Österreich, geltend, die Kommission habe im vorliegenden Fall gegen den in Art. 13 Abs. 2 EUV niedergelegten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verstoßen.

79

Insoweit rügen die genannten Parteien erstens, die Kommission habe dem Rat nicht, wie dies Art. 218 Abs. 9 AEUV aber vorschreibe, einen Vorschlag für einen Beschluss zur Festlegung eines im Namen der Union vor dem ISGH zu vertretenden Standpunkts unterbreitet, was den Rat am Erlass eines solchen Beschlusses gehindert habe. Mit dieser Unterlassung habe die Kommission außerdem ihre Verpflichtung aus Art. 17 Abs. 1 EUV verletzt, geeignete Initiativen zur Förderung der allgemeinen Interessen der Union zu ergreifen, was den Rat an der Wahrnehmung der ihm nach Art. 16 Abs. 1 EUV übertragenen Aufgaben gehindert habe.

80

Zweitens habe die Kommission in Bezug auf die Festlegung des Inhalts der beim ISGH eingereichten schriftlichen Stellungnahme nicht mit dem Rat loyal zusammengearbeitet. Sie habe nämlich dem Rat lediglich allein zu Informationszwecken nacheinander mehrere vorbereitende Unterlagen zugeleitet, die deutlich weniger detailliert gewesen seien als die letztlich an den ISGH gerichtete schriftliche Stellungnahme, während die Delegationen der Mitgliedstaaten beim Rat über einen vollständigen Entwurf hätten verfügen wollen, der es ihnen u. a. ermöglicht hätte, ihre eigene Stellungnahme in voller Kenntnis des voraussichtlichen Standpunkts der Union in diesem Fall vorzubereiten.

81

Die Kommission bestreitet, gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verstoßen zu haben.

82

Erstens sei, weil keine Notwendigkeit bestanden habe, einen Beschluss nach Art. 218 Abs. 9 AEUV zu erlassen, ein Vorschlag für einen solchen Beschluss nicht zweckdienlich gewesen.

83

Zweitens habe sie im vorliegenden Fall mit dem Rat uneingeschränkt zusammengearbeitet und sowohl die unterschiedlichen Auffassungen im Rat zu bestimmten Aspekten des Gutachtenantrags als auch die Anregungen der Mitgliedstaaten berücksichtigt.

Würdigung durch den Gerichtshof

84

Nach Art. 13 Abs. 2 EUV arbeiten die Unionsorgane loyal zusammen. Die loyale Zusammenarbeit erfolgt jedoch in den Grenzen der den einzelnen Organen durch die Verträge zugewiesenen Befugnisse. Die Verpflichtung aus Art. 13 Abs. 2 EUV ist also nicht geeignet, diese Befugnisse zu verändern (Urteil Parlament/Rat, C‑48/14, EU:C:2015:91, Rn. 57 und 58).

85

Im vorliegenden Fall beruht das Hauptvorbringen des Rates und einiger als Streithelfer beigetretener Mitgliedstaaten im Rahmen des zweiten Klagegrundes auf der Prämisse, dass für die Festlegung des Inhalts der in der Rechtssache Nr. 21 im Namen der Union beim ISGH eingereichten schriftlichen Stellungnahme gemäß Art. 218 Abs. 9 AEUV oder Art. 16 Abs. 1 Satz 2 EUV der Rat zuständig gewesen sei. Dies war aber, wie sich aus der Prüfung des ersten Klagegrundes ergibt, nicht der Fall. Somit kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, sie habe ihre Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit verletzt, indem sie nicht die mit der Anwendung dieser beiden Bestimmungen verbundenen Initiativen ergriffen habe.

86

Allerdings ergibt sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit für die Kommission die Verpflichtung zur vorherigen Konsultation des Rates, wenn sie vor einem internationalen Gericht einen Standpunkt im Namen der Union vertreten will.

87

Im vorliegenden Fall ist die Kommission dieser Verpflichtung nachgekommen. Wie aus den Ausführungen in den Rn. 28 bis 32 des vorliegenden Urteils hervorgeht, hatte nämlich die Kommission, bevor sie in der Rechtssache Nr. 21 im Namen der Union die schriftliche Stellungnahme beim ISGH einreichte, dem Rat das Arbeitspapier vom 22. Oktober 2013 übermittelt, das bis zum 26. November 2013 zwecks Berücksichtigung der in den Arbeitsgruppen FISH und COMAR abgegebenen Erklärungen mehrfach geändert wurde. Daher macht der Rat zu Unrecht geltend, dass die Kommission im Rahmen der Ausarbeitung des Inhalts dieser schriftlichen Stellungnahme nicht loyal zusammengearbeitet habe.

88

Schließlich hat die Kommission, ohne dass ihr der Rat oder die als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten widersprochen hätten, vorgetragen, dass sie in dieser schriftlichen Stellungnahme zur Frage der Zuständigkeit des ISGH für das im vorliegenden Fall beantragte Gutachten einen neutralen Standpunkt eingenommen habe, weil sie im Geist der Loyalität bestrebt gewesen sei, den von den Mitgliedstaaten zu dieser Frage im Rat geäußerten unterschiedlichen Auffassungen Rechnung zu tragen.

89

Folglich ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen.

90

Nach alledem ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Kosten

91

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung des Rates beantragt hat und dieser mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten, so dass die Tschechische Republik, die Hellenische Republik, das Königreich Spanien, die Französische Republik, die Republik Litauen, das Königreich der Niederlande, die Republik Österreich, die Portugiesische Republik, die Republik Finnland und das Vereinigte Königreich ihre eigenen Kosten zu tragen haben.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Der Rat der Europäischen Union trägt die Kosten.

 

3.

Die Tschechische Republik, die Hellenische Republik, das Königreich Spanien, die Französische Republik, die Republik Litauen, das Königreich der Niederlande, die Republik Österreich, die Portugiesische Republik, die Republik Finnland sowie das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland tragen ihre eigenen Kosten.

 

Unterschriften


( * )   Verfahrenssprache: Englisch.

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