Schlussantrag des Generalanwalts vom Europäischer Gerichtshof - C-267/14
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
NILS WAHL
vom 15. Oktober 2015(1)
Rechtssache C‑267/14 P
Buzzi Unicem SpA
gegen
Europäische Kommission
„Rechtsmittel – Märkte für Zement und verwandte Produkte – Art. 18 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates – Befugnisse der Kommission bei Auskunftsverlangen – Verhältnismäßigkeit – Begründung – Selbstbelastung – ‚Best Practices‘ für die Vorlage wirtschaftlichen Beweismaterials“
1. Welchen Voraussetzungen und welchen Beschränkungen unterliegen die Befugnisse der Kommission, im Rahmen einer Untersuchung möglicher Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln der Union durch Beschluss von Unternehmen Auskunft zu verlangen?
2. Dies sind im Wesentlichen die zentralen Fragen, die das Rechtsmittel der Buzzi Unicem SpA (im Folgenden: Buzzi Unicem oder Rechtsmittelführerin) gegen das Urteil des Gerichts aufwirft, mit dem dieses die Klage auf Nichtigerklärung eines Beschlusses der Kommission nach Art. 18 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003(2) abgewiesen hat, mit dem von diesem Unternehmen die Erteilung von Auskünften in erheblichem Umfang verlangt wurde.
3. Weitgehend ähnliche Fragen werfen auch drei weitere Rechtsmittel anderer im Zementmarkt tätiger Unternehmen gegen vier Urteile des Gerichts auf, mit denen das Gericht ihre Klagen gegen Beschlüsse der Kommission, die dem von Buzzi Unicem angefochtenen Beschluss entsprechen, ebenfalls im Wesentlichen abgewiesen hat. In diesen anderen drei Verfahren werde ich heute ebenfalls meine Schlussanträge vorlegen(3). Die vorliegenden Schlussanträge sind daher im Zusammenhang mit diesen Schlussanträgen zu betrachten.
I – Rechtlicher Rahmen
4. Der 23. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1/2003 lautet:
„Die Kommission sollte die Befugnis haben, im gesamten Bereich der Gemeinschaft die Auskünfte zu verlangen, die notwendig sind, um gemäß [Art. 101 AEUV] verbotene Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen sowie die nach [Art. 102 AEUV] untersagte missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung aufzudecken. Unternehmen, die einer Entscheidung der Kommission nachkommen, können nicht gezwungen werden, eine Zuwiderhandlung einzugestehen; sie sind auf jeden Fall aber verpflichtet, Fragen nach Tatsachen zu beantworten und Unterlagen vorzulegen, auch wenn die betreffenden Auskünfte dazu verwendet werden können, den Beweis einer Zuwiderhandlung durch die betreffenden oder andere Unternehmen zu erbringen.“
5. Art. 18 („Auskunftsverlangen“) der Verordnung Nr. 1/2003 bestimmt im hier relevanten Teil:
„(1) Die Kommission kann zur Erfüllung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben durch einfaches Auskunftsverlangen oder durch Entscheidung von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen verlangen, dass sie alle erforderlichen Auskünfte erteilen.
(2) Bei der Versendung eines einfachen Auskunftsverlangens an ein Unternehmen oder eine Unternehmensvereinigung gibt die Kommission die Rechtsgrundlage, den Zweck des Auskunftsverlangens und die benötigten Auskünfte an, legt die Frist für die Übermittlung der Auskünfte fest und weist auf die in Artikel 23 für den Fall der Erteilung einer unrichtigen oder irreführenden Auskunft vorgesehenen Sanktionen hin.
(3) Wenn die Kommission durch Entscheidung … Unternehmen und Unternehmensvereinigungen zur Erteilung von Auskünften verpflichtet, gibt sie die Rechtsgrundlage, den Zweck des Auskunftsverlangens und die geforderten Auskünfte an und legt die Frist für die Erteilung der Auskünfte fest. Die betreffende Entscheidung enthält ferner einen Hinweis auf die in Artikel 23 vorgesehenen Sanktionen und weist entweder auf die in Artikel 24 vorgesehenen Sanktionen hin oder erlegt diese auf. Außerdem weist sie auf das Recht hin, vor dem Gerichtshof gegen die Entscheidung Klage zu erheben.
…“
II – Vorgeschichte des Rechtsstreits
6. Die Kommission führte in den Jahren 2008 und 2009 – nach Art. 20 der Verordnung Nr. 1/2003 – mehrere Nachprüfungen in den Räumlichkeiten mehrerer in der Zementindustrie tätiger Gesellschaften durch, u. a. in den Räumlichkeiten der Buzzi Unicem sowie der Dyckerhoff AG und der Cimalux SA, die beide unmittelbar oder mittelbar von der Rechtsmittelführerin kontrollierte Gesellschaften sind. An diese Nachprüfungen schlossen sich 2009 und 2010 mehrere Auskunftsverlangen nach Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 an.
7. Mit Schreiben vom 5. November 2010 unterrichtete die Kommission Buzzi Unicem von ihrer Absicht, einen Auskunftsbeschluss nach Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 an sie zu richten, und übermittelte ihr den Entwurf des Fragebogens, den sie diesem Beschluss beizufügen gedachte. Buzzi Unicem nahm der Kommission gegenüber am 17. November 2010 Stellung.
8. Am 6. Dezember 2010 teilte die Kommission Buzzi Unicem mit, dass sie beschlossen habe, gegen sie und sieben weitere Gesellschaften ein Verfahren nach Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 773/2004(4) wegen mutmaßlicher Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 AEUV einzuleiten, bei denen es sich um die Beschränkung von Einfuhren in den EWR aus Ländern außerhalb des EWR, um Marktaufteilung, um Preisabsprachen und um andere verbundene wettbewerbswidrige Praktiken in den Märkten für Zement und verwandte Produkte handele.
9. Am 30. März 2011 erließ die Kommission den Beschluss K(2011) 2356 endg. vom 30. März 2011 in einem Verfahren nach Artikel 18 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates (Sache 39520 – Zement und verwandte Produkte) (im Folgenden: angefochtener Beschluss).
10. In dem angefochtenen Beschluss wies die Kommission darauf hin, dass sie nach Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 zur Erfüllung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben durch einfaches Auskunftsverlangen oder durch Beschluss von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen verlangen könne, alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen (dritter Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Im Anschluss an den Hinweis, dass die Rechtsmittelführerin von der Absicht der Kommission, einen Beschluss nach Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 zu erlassen, in Kenntnis gesetzt worden sei und auf einem Fragebogenentwurf Stellung genommen habe (Erwägungsgründe 4 und 5 des angefochtenen Beschlusses), forderte die Kommission die Rechtsmittelführerin durch Beschluss auf, den Fragebogen in Anhang I zu beantworten. Bemerkenswert ist, dass Anhang I 79 Seiten und elf Fragegruppen umfasste. Anhang II enthielt Hinweise zur Beantwortung dieses Fragebogens und Anhang III die Antwortvorlagen.
11. Die Kommission wies ferner auf die mutmaßlichen Zuwiderhandlungen hin (zweiter Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses), die sie wie folgt bezeichnete: „Bei den mutmaßlichen Zuwiderhandlungen … handelt es sich um die Beschränkung des Handelsverkehrs im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) …, einschließlich der Beschränkung von Einfuhren in den EWR aus Ländern außerhalb des EWR, um Marktaufteilung, um Preisabsprachen und andere verbundene wettbewerbswidrige Praktiken in den Märkten für Zement und verwandte Produkte“. Unter Verweis auf Art und Umfang der verlangten Auskünfte sowie auf die Schwere der mutmaßlichen Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln erachtete es die Kommission für angemessen, der Rechtsmittelführerin eine Frist von zwölf Wochen für die Beantwortung der ersten zehn Fragengruppen und eine Frist von zwei Wochen für die Beantwortung der elften Fragengruppe zu gewähren (achter Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).
12. Der verfügende Teil des angefochtenen Beschlusses lautet:
„Artikel 1
Die Buzzi Unicem SpA (einschließlich ihrer Tochtergesellschaften in der EU, die direkt oder indirekt von ihr kontrolliert werden) muss die in Anhang I dieses Beschlusses beschriebenen Informationen in der in Anhang II und Anhang III dieses Beschlusses verlangten Form innerhalb von zwölf Wochen bezüglich der Fragen 1 bis 10 [u]nd innerhalb von zwei Wochen bezüglich Frage 11 nach Bekanntgabe dieses Beschlusses vorlegen. Alle Anhänge sind Bestandteil dieses Beschlusses.
Artikel 2
Dieser Beschluss ist an die Buzzi Unicem SpA (einschließlich ihrer Tochtergesellschaften in der EU, die direkt oder indirekt von ihr kontrolliert werden) … gerichtet.“
III – Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil
13. Mit am 10. Juni 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhob Buzzi Unicem Klage auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses.
14. Mit besonderem Schriftsatz vom gleichen Tag beantragte Buzzi Unicem, den Rechtsstreit im beschleunigten Verfahren nach Art. 76a der Verfahrensordnung des Gerichts zu entscheiden. Mit Entscheidung vom 14. September 2011 wies das Gericht diesen Antrag zurück.
15. Mit Urteil vom 14. März 2014, Buzzi Unicem/Kommission (im Folgenden: angefochtenes Urteil)(5), wies das Gericht die Klage ab und verurteilte Buzzi Unicem zur Tragung der Kosten.
IV – Verfahren vor dem Gerichtshof und Rechtsmittelanträge
16. Mit ihrem am 23. Mai 2014 beim Gerichtshof eingegangenen Rechtsmittel beantragt Buzzi Unicem,
– das Urteil in der Rechtssache T‑297/11 aufzuheben;
– den Beschluss K(2011) 2356 endg. der Kommission in einem Verfahren nach Artikel 18 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1/2003 (Sache 39520 – Zement und verwandte Produkte) für nichtig zu erklären;
– der Kommission die Kosten beider Rechtszüge aufzuerlegen.
17. Die Kommission beantragt,
– das Rechtsmittel zurückzuweisen;
– Buzzi Unicem die Kosten aufzuerlegen.
V – Würdigung der Rechtsmittelgründe
18. Buzzi Unicem macht fünf Rechtsmittelgründe geltend. Allgemein gesprochen, betreffen diese Rechtsmittelgründe die Frage, ob das Gericht die Befugnisse der Kommission bei Auskunftsverlangen nach der Verordnung Nr. 1/2003 richtig ausgelegt hat.
19. Die für die Befugnisse der Kommission bei Auskunftsverlangen maßgebenden Rechtsvorschriften und die maßgebende Rechtsprechung werden in meinen ebenfalls heute vorgelegten Schlussanträgen in der Rechtssache HeidelbergCement/Kommission(6) erörtert.
20. Vor diesem Hintergrund werde ich die von der Rechtsmittelführerin vorgebrachten Rechtsmittelgründe prüfen.
A – Zweck des Auskunftsverlangens
1. Vorbringen der Parteien
21. Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund macht Buzzi Unicem geltend, dass das Gericht ihre Rüge einer unzureichenden Begründung des angefochtenen Beschlusses rechtsfehlerhaft zurückgewiesen habe. Dem angefochtenen Beschluss mangele es insbesondere an hinreichender Detailliertheit, was die mutmaßlichen Zuwiderhandlungen und den von der Untersuchung der Kommission betroffenen Zeitraum angehe. Das Gericht sei ferner rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein einfacher Verweis auf den Beschluss über die Einleitung des Verfahrens zur Erfüllung des Begründungserfordernisses ausreiche. Weiterhin mangele es auch dem angefochtenen Urteil an einer hinreichenden Begründung, soweit Teile des auf diesen Punkt bezogenen Vorbringens der Rechtsmittelführerin ohne angemessene Erörterung zurückgewiesen worden seien.
22. Nach Ansicht der Kommission ist dieser Grund unzulässig, da die Rechtsmittelführerin in Wahrheit Tatsachenfragen in Gestalt von Rechtsfragen aufwerfe. Hilfsweise sei der Klagegrund zurückzuweisen. Die Kommission betont, dass das Gericht die Begründungspflicht der Kommission rechtsfehlerfrei geprüft und zutreffend festgestellt habe, dass nach ständiger Rechtsprechung die Begründung eines Unionsrechtsakts auf andere Rechtsakte verweisen könne.
2. Würdigung
23. Vorab ist die von der Kommission erhobene Rüge der Unzulässigkeit meines Erachtens zurückzuweisen. Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin zwei Fehler geltend, die jeweils die Angemessenheit der Begründung des angefochtenen Beschlusses bzw. des angefochtenen Urteils betreffen. Zur Beurteilung dieses Vorbringens braucht der Gerichtshof die in erster Instanz festgestellten Tatsachen oder die im Rahmen jenes Verfahrens erbrachten Beweise nicht erneut zu würdigen, sondern lediglich das nach Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 296 AEUV geltende Recht festzustellen.
24. Ferner ist der zweite Teil dieses Rechtsmittelgrundes meines Erachtens zurückzuweisen. Das angefochtene Urteil enthält in den Rn. 31 bis 38 eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen das Gericht zu der Ansicht gekommen ist, dass der angefochtene Beschluss eine hinreichende Begründung enthalte.
25. Dagegen ist der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes der Rechtsmittelführerin, der die Begründung des angefochtenen Beschlusses betrifft, meines Erachtens stichhaltig.
26. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die in Art. 296 AEUV vorgeschriebene Begründung für von Unionsorganen erlassene Maßnahmen der betreffenden Maßnahme angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das die Maßnahme erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen muss, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und die Unionsgerichte ihre Rechtmäßigkeit kontrollieren können. Das Begründungserfordernis ist anhand aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich und rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung den Erfordernissen des Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand seines Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet(7).
27. Für Beschlüsse, mit denen eine Nachprüfung nach Art. 20 der Verordnung Nr. 1/2003 angeordnet wird, hat der Gerichtshof kürzlich bestätigt, dass die Kommission weder den Adressaten solcher Beschlüsse alle ihr vorliegenden Informationen über vermutete Zuwiderhandlungen zu übermitteln braucht noch eine strenge rechtliche Qualifizierung dieser Zuwiderhandlungen vornehmen muss, sofern sie klar angibt, welchen Vermutungen sie nachzugehen beabsichtigt. Die Kommission hat zwar möglichst genau anzugeben, wonach gesucht wird und auf welche Punkte sich die Nachprüfung beziehen soll, doch braucht aus einem Nachprüfungsbeschluss nicht notwendigerweise eine genaue Abgrenzung des relevanten Marktes, die exakte rechtliche Qualifizierung der vermuteten Zuwiderhandlungen oder der genaue Zeitraum hervorzugehen, in dem diese Zuwiderhandlungen begangen sein sollen, sofern sie nur die vorstehend genannten wesentlichen Angaben enthält. Nachprüfungen finden nämlich normalerweise zu Beginn einer Untersuchung statt, so dass die Kommission in diesem Stadium noch nicht über genaue Informationen zu diesen Punkten verfügt. Es ist gerade der Zweck einer Nachprüfung, Beweismaterial für die mutmaßliche Zuwiderhandlung zu sammeln, um der Kommission eine Prüfung ihres Verdachts und eine spezifischere rechtliche Würdigung zu ermöglichen(8).
28. Diese Grundsätze sind meines Erachtens – sinngemäß – auf Auskunftsentscheidungen nach Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 anwendbar. Eindeutig verfolgen beide Arten von Rechtsakten das gleiche Ziel und bestehen darin, Tatsachen zu ermitteln. Auch wenn sie nicht denselben Wortlaut haben, legt die relative Ähnlichkeit der beiden Bestimmungen ebenfalls ihre einheitliche Auslegung nahe(9).
29. Vor diesem Hintergrund ist die zentrale Frage, ob das Gericht in einwandfreier Weise geprüft hat, inwieweit die Begründung des angefochtenen Beschlusses ausreichend war. Mit anderen Worten stellt sich folgende Frage: Ist die fragliche Begründung unter Berücksichtigung des Verfahrensstadiums, in dem der angefochtene Beschluss erlassen wurde, klar genug, um einerseits den Adressaten in die Lage zu versetzen, seine Verteidigungsrechte wahrzunehmen und seine Mitwirkungspflicht gegenüber der Kommission zu erkennen, und andererseits den Unionsgerichten die Ausübung einer gerichtlichen Kontrolle zu ermöglichen?
30. Diese Frage ist meines Erachtens zu verneinen.
31. In der Rn. 36 des angefochtenen Urteils stellt das Gericht fest, dass die Begründung des angefochtenen Beschlusses „aus einer sehr allgemein gehaltenen Formulierung [bestehe], deren Präzisierung angebracht gewesen wäre, so dass sie insoweit zu beanstanden ist“. Dies ist meines Erachtens kaum zu bestreiten: Drei wichtigen Aspekten der Begründung mangelt es nämlich an hinreichender Detailliertheit. Ich spreche insbesondere von der Bezeichnung der mutmaßlichen Zuwiderhandlungen, ihrem räumlichen Umfang und den von den Zuwiderhandlungen betroffenen Produkten.
32. Was die mutmaßlichen Zuwiderhandlungen angeht, wird im zweiten Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses festgestellt: „Bei den mutmaßlichen Zuwiderhandlungen … handelt es sich um die Beschränkung des Handelsverkehrs …, einschließlich der Beschränkung von Einfuhren …, um Marktaufteilung, um Preisabsprachen und andere verbundene wettbewerbswidrige Praktiken“. Diese Beschreibung der möglichen Zuwiderhandlungen erscheint nicht nur recht vage („Beschränkung des Handelsverkehrs“, „einschließlich der Beschränkung von Einfuhren“), sondern auch allumfassend („andere verbundene wettbewerbswidrige Praktiken“). Die Erwähnung einer „Marktaufteilung“ und von „Preisabsprachen“ – in dieser Allgemeinheit – grenzt die Art des von der Kommission vermuteten Verhaltens kaum genauer ein. Marktaufteilungs- und Preisabsprachenelemente weisen nämlich die meisten Kartelle auf. In der Praxis dürften die allermeisten der nach Art. 101 AEUV verbotenen Arten von Vereinbarungen unter diese Beschreibung fallen.
33. Was den räumlichen Umfang der mutmaßlichen Zuwiderhandlungen angeht, erwähnt der angefochtene Beschluss die Beschränkung des Handelsverkehrs im EWR, einschließlich der Beschränkung von Einfuhren in den EWR aus Ländern außerhalb des EWR. Zwar ist es nicht erforderlich, dass die geografische Komponente des betreffenden Marktes in einem Beschluss nach Art. 18 bestimmt wird(10), doch sollte es möglich gewesen sein, wenigstens einige der betroffenen Länder zu nennen. Insbesondere ist unklar, ob der möglicherweise betroffene Markt aus dem gesamten EWR oder lediglich aus Teilen davon besteht, und welche dies gegebenenfalls sind.
34. Schließlich ist der angefochtene Beschluss noch weniger greifbar, soweit es um die Benennung der Produkte geht, die Gegenstand der Untersuchung sind. Es wird praktisch nur Zement als das relevante Produkt bezeichnet, da der Beschluss – im Übrigen – „Märkte für … [zement-]verwandte Produkte“ nennt. Diese Umschreibung ist wiederum nicht nur äußerst vage (wie eng müssen die Produkte mit Zement „verwandt“ sein?), sondern deckt potenziell alle Arten von Produkten ab, auf die sich die Tätigkeit der Rechtsmittelführerin (als Verkäuferin oder Käuferin) erstreckt.
35. Auch wenn für einen Beschluss nach Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 meines Erachtens die Angabe des vermuteten Zeitraums, in dem die mutmaßliche Zuwiderhandlung stattgefunden haben soll – anders als die Rechtsmittelführerin offenbar meint – nicht zwingend erforderlich ist, hätte eine solche Angabe im angefochtenen Beschluss sachdienlich sein können. Angesichts der oben genannten allgemeinen Umschreibungen und des Umstands, dass die Fragen ein ganzes Jahrzehnt abdeckten, hätten detailliertere Angaben zum maßgebenden Zeitraum es der Rechtsmittelführerin erleichtern können, besser zu ersehen, welchen Umfang die Untersuchung der Kommission hatte.
36. Dem Gericht zufolge(11) wird die mangelnde Detailliertheit des angefochtenen Beschlusses teilweise dadurch abgemildert, dass er ausdrücklich auf den Beschluss der Kommission über die Einleitung des Verfahrens verweise, der zusätzliche Informationen über den räumlichen Umfang der mutmaßlichen Zuwiderhandlungen und die Art der betroffenen Erzeugnisse enthalte.
37. Die Rechtsmittelführerin bestreitet, dass die Mängel des angefochtenen Beschlusses durch einen bloßen Verweis auf einen vorangegangenen Beschluss geheilt werden könnten, und weist darauf hin, dass es jedenfalls dem Beschluss über die Einleitung des Verfahrens ebenso an Detailliertheit mangele.
38. Meines Erachtens bedürfen Unionsrechtsakte, die Verpflichtungen auferlegen, die in die Sphäre der privaten Betätigung von Einzelpersonen oder Unternehmen eingreifen und im Fall eines Verstoßes das Risiko erheblicher finanzieller Sanktionen nach sich ziehen, grundsätzlich einer eigenständigen Begründung(12). Es ist nämlich wichtig, dass diese Einzelpersonen oder Unternehmen in die Lage versetzt werden, die Gründe eines solchen Rechtsakts ohne übermäßige Auslegungsbemühungen zu erfassen(13), so dass sie ihre Rechte wirksam und rechtzeitig wahrnehmen können. Dies gilt insbesondere für Rechtsakte, die ausdrückliche Verweise auf vorangegangene Rechtsakte mit einer anderen Begründung enthalten. Jeder bedeutsame Unterschied zwischen den beiden Rechtsakten kann für den Adressaten eine Quelle der Unsicherheit sein.
39. Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bin ich der Ansicht, dass das Gericht im vorliegenden Fall zu Recht ausnahmsweise festgestellt hat, dass die Begründung des angefochtenen Beschlusses in Verbindung mit der Begründung des Beschlusses über die Einleitung des Verfahrens verstanden werden kann. Die beiden Beschlüsse wurden im Rahmen derselben Untersuchung erlassen und betreffen offenkundig dieselben mutmaßlichen Zuwiderhandlungen. Sie ergingen ferner innerhalb kurzer Zeit. Vor allem aber dürfte ein bedeutsamer Unterschied zwischen den Begründungen beider Beschlüsse nicht bestehen. Daher komme ich zu der Ansicht, dass im vorliegenden Fall der erste Beschluss als „Kontext“ des zweiten Beschlusses angesehen werden kann, der dem Adressat nicht unbekannt sein konnte(14).
40. Dennoch war der erste Beschluss, auch wenn er sich zum räumlichen Umfang der mutmaßlichen Zuwiderhandlungen deutlich detaillierter verhielt (indem er die potenziell betroffenen Mitgliedstaaten aufführte), nicht gleichermaßen präzise, was die Art dieser Zuwiderhandlungen und die betroffenen Produkte angeht. Insbesondere umfasst die angegebene Erläuterung des Begriffs „Zement und verwandte Produkte“ in einer Fußnote auf Seite 4 dieses Beschlusses eine potenziell sehr weitreichende und disparate Gruppe von Produkten.
41. Allerdings führt der Umstand, dass eine Begründung möglicherweise zu allgemein oder in bestimmten Punkten eher vage ist, meines Erachtens nicht zur Ungültigkeit, wenn der Beschluss im Übrigen dem Adressaten und den Unionsgerichten ermöglicht, hinreichend genau zu ersehen, um welche Informationen es der Kommission geht und welches die Gründe hierfür sind(15). Wenn auch nur mittelbar oder implizit, kann nämlich der Gegenstand der gestellten Fragen eine Begründung zusätzlich erhellen, die möglicherweise nicht mit der erforderlichen Genauigkeit verfasst wurde. Sehr genaue und gezielte Fragen legen schließlich zwangsläufig den Umfang der Ermittlungen der Kommission offen. Dies dürfte meines Erachtens insbesondere für Rechtsakte gelten, die in einem frühen Stadium des Verfahrens erlassen werden, wenn der Umfang der notwendigen Ermittlungsmaßnahmen nicht völlig und endgültig feststeht und infolge der nachfolgend gesammelten Informationen möglicherweise später noch begrenzt oder erweitert werden muss.
42. Im vorliegenden Fall gilt jedoch vielmehr das Gegenteil. Die Fragen an Buzzi Unicem sind außerordentlich zahlreich und betreffen sehr unterschiedliche Arten von Auskünften. Aus meiner Sicht lässt sich eine innere Verbindung zwischen vielen der in dem Fragebogen enthaltenen Fragen ausgesprochen schwer ausmachen(16). Ferner stehen einige Fragen offenbar nicht ganz im Einklang mit dem Aussagegehalt des vorangegangenen Beschlusses über die Einleitung des Verfahrens: Beispielsweise sind die Fragen 3 und 4 (mit denen besonders umfangreiche Informationen über einen Zehn-Jahres-Zeitraum verlangt werden) nicht auf die Mitgliedstaaten begrenzt, die im Beschluss über die Einleitung des Verfahrens als möglicherweise betroffen bezeichnet wurden.
43. Wenn im Übrigen die zwischen einigen dieser Fragen bestehende innere Verbindung in einer vollständigen Abbildung der Erträge und Kostenstruktur des Unternehmens bestehen sollte, um der Kommission eine Analyse des Unternehmens mit ökonometrischen Methoden (durch Vergleich mit anderen in der Zementbranche tätigen Unternehmen) zu ermöglichen, könnte fraglich erscheinen, ob ein solches weites und allumfassendes Auskunftsverlangen überhaupt nach Art. 18 angemessen ist. Soweit der Kommission keine konkreten Indizien vorliegen, die auf ein zu beanstandendes Verhalten hindeuten, für das eine solche Analyse den erforderlichen Beleg liefern könnte, erscheint ein solches Auskunftsverlangen eher angemessen für die Untersuchung eines Wirtschaftszweigs nach Art. 17 der Verordnung Nr. 1/2003.
44. Unter diesen Umständen stimme ich mit der Rechtsmittelführerin darin überein, dass der Zweck des Auskunftsverlangens der Kommission nicht hinreichend klar und eindeutig war. Demzufolge war für dieses Unternehmen übermäßig schwer zu ersehen, welches die mutmaßlichen Zuwiderhandlungen sein sollten, um den Umfang seiner Mitwirkungspflicht gegenüber der Kommission zu erkennen und gegebenenfalls seine Verteidigungsrechte wahrzunehmen, etwa durch Ablehnung einer Beantwortung der Fragen, die seiner Ansicht nach rechtswidrig waren. Dies gilt umso mehr im Hinblick darauf, dass einige Fragen sich auf Informationen bezogen, die nicht rein tatsächlicher Art waren, sondern eine Bewertung erforderten(17), und andere Fragen relativ vage waren(18). Somit konnte die Rechtsmittelführerin in Anbetracht dieser Fragen das Risiko einer Beantwortung, mit der sie sich selbst belastete, nicht ohne Weiteres ausschließen(19).
45. Dieser Mangel an Detailliertheit kann nicht – wie die Kommission behauptet – dadurch gerechtfertigt sein, dass der angefochtene Beschluss in einem frühen Stadium der Ermittlungen erlassen wurde. Der Beschluss erging nämlich fast drei Jahre nach Beginn der Untersuchung. In dieser Zeit hatte eine Reihe von Nachprüfungen stattgefunden, und es waren bereits sehr detaillierte Auskunftsverlangen der Kommission ergangen und von den betroffenen Unternehmen beantwortet worden. Die Kommission hatte nämlich einige Monate vor Erlass des angefochtenen Beschlusses ihrer Ansicht nach hinreichende Anhaltspunkte gesammelt, um ein Verfahren nach Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 2 der Verordnung Nr. 773/2004 einzuleiten. Diese Anhaltspunkte sollten es der Kommission ermöglicht haben, den angefochtenen Beschluss detaillierter zu begründen.
46. Ich stimme mit der Kommission darin überein, dass die Anforderungen an die Detailliertheit einer Begründung u. a. von den Informationen abhängen, die ihr vorliegen, wenn ein Beschluss nach Art. 18 erlassen wird(20). Die notwendige Folgerung hieraus ist aus meiner Sicht jedoch, dass eine Begründung, die für eine zu Beginn einer Untersuchung erlassene Entscheidung (d. h. für eine Entscheidung über die Verpflichtung eines Unternehmen zur Duldung einer Nachprüfung nach Art. 20 oder für den ersten Auskunftsbeschluss nach Art. 18 Abs. 3) ausreichen mag, für eine in einem viel späteren Stadium der Untersuchung erlassene Entscheidung nicht mehr ausreichen kann, wenn die Kommission über umfassendere Informationen zu den mutmaßlichen Zuwiderhandlungen verfügt.
47. Unter diesen Umständen halte ich es für unentschuldbar, dass Buzzi Unicem trotz aller Auskünfte, die der Kommission in den vorangegangenen Jahren bereits erteilt worden waren, und des zusätzlichen Aufwands, den der angefochtene Beschluss nach sich zog, weiterhin über den genauen Umfang der Ermittlungen der Kommission im Dunkeln gelassen wurde.
48. Ferner bringt die Rechtsmittelführerin meines Erachtens zu Recht vor, dass die Ausübung der gerichtlichen Kontrolle der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses durch die Unionsgerichte erheblich erschwert sei. Wie in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache HeidelbergCement/Kommission(21) eingehender erörtert, wird dem Gerichtshof aufgrund der dürftigen Informationen zu den mutmaßlichen Zuwiderhandlungen, die der angefochtene Beschluss enthält (selbst wenn der Beschluss vor dem Hintergrund des Beschlusses über die Einleitung des Verfahrens betrachtet wird), die Prüfung erschwert, ob die Voraussetzungen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit des Auskunftsverlangens erfüllt sind(22). Was den erstgenannten Punkt angeht, soll der Gerichtshof beurteilen, ob der Zusammenhang zwischen der mutmaßlichen Zuwiderhandlung und den verlangten Informationen eng genug ist, um das Auskunftsverlangen der Kommission zu rechtfertigen. Im Hinblick auf den letztgenannten Punkt muss der Gerichtshof feststellen, ob der einem Unternehmen abverlangte Aufwand im öffentlichen Interesse gerechtfertigt und nicht übermäßig ist.
49. Aus diesen Gründen hat das Gericht meines Erachtens Art. 296 AEUV und Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 im Hinblick auf die für einen Auskunftsbeschluss erforderliche Begründung fehlerhaft ausgelegt und angewendet. Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben, soweit das Gericht damit aus den in den Rn. 19 bis 39 des Urteils ausgeführten Gründen festgestellt hat, dass der angefochtene Beschluss hinreichend begründet sei.
B – Missbrauch von Befugnissen und Umkehr der Beweislast
1. Vorbringen der Parteien
50. Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund wendet sich Buzzi Unicem gegen die vom Gericht vorgenommene Prüfung ihrer Rüge, mit der sie einen Missbrauch von Befugnissen und eine Umkehr der Beweislast aufgrund des angefochtenen Beschlusses geltend macht. Für die Rechtsmittelführerin ist es aufgrund der Art und Menge der verlangten Auskünfte eindeutig, dass der Kommission keine hinreichenden Indizien für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV vorgelegen hätten, als sie den angefochtenen Beschluss erlassen habe. Dieser Beschluss sei somit als Ausforschung („fishing expidition“) anzusehen, was nach Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 unzulässig sei. Hätte die Kommission eine Untersuchung eines Wirtschaftszweigs durchführen wollen, hätte sie nach Art. 17 derselben Verordnung handeln müssen. Das Gericht sei auf dieses Vorbringen nicht in gebotener Weise eingegangen. Die Rechtsmittelführerin beanstandet insbesondere, dass das Gericht keine Beweiserhebung angeordnet habe, um festzustellen, ob der Kommission hinreichende Indizien für den Erlass eines Beschlusses nach Art. 18 vorgelegen hätten.
51. Nach Ansicht der Kommission ist die Rüge unzulässig, da sie Tatsachenfragen aufwerfe; jedenfalls sei sie unbegründet.
2. Würdigung
52. Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund, der sich gegen die Rn. 45 bis 48 des angefochtenen Urteils richtet, beanstandet die Rechtsmittelführerin im Wesentlichen die vom Gericht vorgenommene Prüfung ihres Vorbringens zu einem Missbrauch von Befugnissen und einer Umkehrung der Beweislast.
53. Ich stimme mit der Kommission darin überein, dass dieser Rechtsmittelgrund teils unzulässig und teils unbegründet ist.
54. Erstens zielt die Rechtsmittelführerin, soweit sie eine fehlerhafte Bewertung der Gesichtspunkte durch das Gericht geltend macht, die in erster Instanz zur Stützung ihrer auf einen Missbrauch von Befugnissen bezogenen Rüge vorgebracht wurden, im Wesentlichen auf eine neue Beurteilung dieser Gesichtspunkte durch den Gerichtshof ab. Dies ist jedoch im Rechtsmittelverfahren unzulässig.
55. Zweitens ist die Kritik an der Entscheidung des Gerichts, keine Beweiserhebung oder prozessleitende Maßnahmen von Amts wegen anzuordnen, um das tatsächliche Vorliegen hinreichender Indizien für eine Zuwiderhandlung festzustellen, ebenfalls zurückzuweisen. Nach ständiger Rechtsprechung ist es allein Sache des Gerichts, zu entscheiden, ob die ihm in einer Rechtssache vorliegenden Informationen der Ergänzung bedürfen. Ob Verfahrensunterlagen beweiskräftig sind, unterliegt seiner freien Würdigung des Sachverhalts, die der Überprüfung durch den Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren entzogen ist, sofern nicht dem Gericht vorgelegte Beweismittel verfälscht worden sind oder die Unrichtigkeit der Tatsachenfeststellungen des Gerichts sich aus den Akten ergibt(23). Dies gilt erst recht, wenn es um die Anordnung einer Beweiserhebung oder prozessleitender Maßnahmen von Amts wegen geht(24).
56. Im vorliegenden Fall hatte die Rechtsmittelführerin die Möglichkeit, die Anordnung solcher Maßnahmen zum Zwecke der Feststellung, ob der Kommission hinreichende Indizien vorlagen, zu beantragen. In der „parallelen“ Rechtssache Cementos Portland Valderrivas/Kommission gab das Gericht der Kommission tatsächlich auf ausdrückliches Ersuchen der Klägerin auf, die in ihrem Besitz befindlichen Indizien vorzulegen, damit es sich vergewissern konnte, dass der angefochtene Beschluss nicht willkürlich war(25).
57. Die Rechtsmittelführerin hat einen solchen Antrag jedoch nicht gestellt. Somit dürfte meines Erachtens kaum zu beanstanden sein, dass das Gericht nach Prüfung der von der Rechtsmittelführerin vorgebrachten Gesichtspunkte allgemeiner Art (einer im Rechtsmittelverfahren nicht überprüfbaren Beurteilung) und mangels eines spezifischen Antrags entschieden hat, dass die Frage keiner weiteren Ermittlung bedürfe(26).
58. Drittens ist meines Erachtens die Kritik bezüglich der Angemessenheit der Begründung des angefochtenen Urteils zum angeblichen Missbrauch von Befugnissen und zur Umkehr der Beweislast nicht gerechtfertigt. Erstens ist klar erkennbar, dass das Gericht die von der Rechtsmittelführerin erhobene Rüge eines Missbrauchs von Befugnissen in den Rn. 46 und 47 des angefochtenen Urteils durchaus geprüft hat. Auch auf die von der Rechtsmittelführerin erhobene Rüge hinsichtlich der Umkehr der Beweislast ist das Gericht in den Rn. 61 ff. des angefochtenen Urteils eingegangen.
59. Zwar ist das angefochtene Urteil in der Begründung der Zurückweisung einzelner Argumente bisweilen relativ knapp oder geht auf mehrere Argumente nur zusammen ein. Dies kann dem Gericht meines Erachtens jedoch nicht vorgeworfen werden, da es sich mit einer Klage auseinanderzusetzen hatte, die mehrere Klagegründe und Argumente umfasste, die bisweilen wiederholt oder nicht in der erforderlichen Klarheit vorgetragen wurden.
60. Der zweite Rechtsmittelgrund greift daher meines Erachtens nicht durch.
C – Art der verlangten Auskünfte
1. Vorbringen der Parteien
61. Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund – der sich gegen die Rn. 54 bis 83 des angefochtenen Urteils richtet – macht Buzzi Unicem Rechtsfehler und eine unzureichende Begründung des Gerichts im Hinblick auf die von ihr erhobene Rüge eines Missbrauchs der Befugnisse der Kommission nach Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 geltend. Die Rechtsmittelführerin rügt, dass das Gericht das Auskunftsverlangen der Kommission in Bezug auf drei Arten von Informationen nicht beanstandet habe: selbstbelastende Informationen, öffentlich zugängliche Informationen und Informationen, die sich nicht in ihrem Besitz befunden hätten. Mit Blick insbesondere auf selbstbelastende Informationen habe das Gericht fehlerhaft festgestellt, dass die Fragen 5R, 5S, 5T und 5V rein tatsächlicher und die Frage 1D nicht selbstbelastender Art gewesen seien.
62. Die Kommission hält diesen Rechtsmittelgrund in erster Linie für unzulässig, weil die Rechtsmittelführerin im Wesentlichen dieselben Argumente wiederhole, die sie im Verfahren vor dem Gericht ausgeführt habe. Der Rechtsmittelgrund sei auch insofern unzulässig, als die Rechtsmittelführerin auf eine Neubewertung der Art bestimmter Fragen durch den Gerichtshof abziele, die das Gericht als „rein tatsächlich“ erachtet habe. In zweiter Linie sei dieser Rechtsmittelgrund auch unbegründet, da das Gericht Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 zutreffend ausgelegt und angewendet habe.
2. Würdigung
63. Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund macht Buzzi Unicem im Wesentlichen geltend, dass das Gericht Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 im Hinblick auf die Art der Auskünfte fehlerhaft ausgelegt und angewendet habe, die die Kommission von einem Unternehmen verlangen könne.
64. Bevor ich zur Begründetheit derjenigen Frage komme, die ich in diesem Zusammenhang für die problematischste halte (die Frage der Selbstbelastung), ist auf einige von den Parteien aufgeworfene Vorfragen einzugehen.
65. Erstens ist im Hinblick auf die Zulässigkeit festzustellen, dass der Umstand, dass das Vorbringen in der Rechtsmittelschrift zu diesem Punkt weitgehend wörtlich der Klageschrift entnommen ist, unerheblich ist, soweit die Rechtsmittelführerin die konkreten, angeblich Rechtsfehler enthaltenden Passagen oder Randnummern des angefochtenen Urteils nennt und hierfür eine Begründung angibt. Im vorliegenden Fall dürfte das Rechtsmittel hinsichtlich des dritten Rechtsmittelgrundes den Anforderungen genügen.
66. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob ganz bestimmte im angefochtenen Beschluss enthaltene Fragen ausschließlich Tatsachen betreffen, sicherlich eine Tatsachenfrage ist, die im Rechtsmittelverfahren nicht überprüfbar ist. Ob einzelne Fragen im Sinne des Unionsrechts selbstbelastend sind, ist dagegen eine Frage, die die rechtliche Einordnung von Tatsachen betrifft und somit im Rechtsmittelverfahren überprüfbar ist.
67. Der dritte Rechtsmittelgrund ist somit innerhalb dieser Grenzen zulässig(27).
68. Was zweitens die Begründetheit anbelangt, kann der Rechtsmittelgrund meines Erachtens teilweise als unbegründet zurückgewiesen werden.
69. Das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zur Vorlage nicht in ihrem Besitz befindlicher Informationen scheint mir auf einem Missverständnis des angefochtenen Urteils zu beruhen. Im Urteil wird nämlich an keiner Stelle festgestellt, dass die Kommission befugt sei, von einem Unternehmen Informationen anzufordern, die sich nicht in seinem Besitz befinden. In den Rn. 80 und 81 des angefochtenen Urteils wird zunächst festgestellt, dass Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 die Möglichkeit nicht ausschließe, dass ein Unternehmen zur Beantwortung eines Auskunftsverlangens der Kommission in seinem Besitz befindliche Daten möglicherweise zusammenstellen oder ordnen müsse. Im Weiteren wird sodann jedoch festgestellt, dass dieser Grundsatz nicht für Daten gelte, die sich nicht im Besitz des Unternehmens befänden.
70. Selbstverständlich kann ich mich dem Gericht in dieser Frage anschließen. Über die Geltung des bekannten Rechtsgrundsatzes ad impossibilia nemo tenetur hinaus würde ich auch den folgenden Erwägungen von Generalanwalt Darmon weitgehend zustimmen: „[D]ie Kommission [darf] von einem Unternehmen nur Informationen verlangen …, die dieses bereits besitzt, selbst wenn es sie gegebenenfalls in eine bestimmte Form bringen muss. Das Auskunftsverlangen kann nicht darauf gerichtet sein, dass ein Unternehmen Informationen bei Dritten beschaffen muss. Es wäre daher sicherlich rechtswidrig, wenn die Kommission Informationen einholen wollte, von denen sie weiß, dass das betroffene Unternehmen sie nicht besitzt oder nicht besitzen kann.“(28)
71. Was sodann das Vorbringen bezüglich einer unzureichenden Begründung des angefochtenen Urteils zu der Frage angeht, ob die Kommission befugt ist, die Parteien zur Vorlage von Informationen aufzufordern, die öffentlich zugänglich sind, ist Folgendes zu bemerken. Die Rechtsmittelführerin ist zu Unrecht der Ansicht, dass das Gericht auf dieses Vorbringen nicht ausdrücklich eingegangen sei. Das Gericht hat es nämlich unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit der verlangten Auskünfte geprüft(29). Dass das angefochtene Urteil in diesem Punkt sehr knapp ist, lässt sich daraus erklären, dass dieser Punkt an einer einzigen Stelle der Klageschrift von Buzzi Unicem vorgetragen und in ihrer Erwiderung kaum weiter ausgeführt wurde. In diesen Passagen beanstandete die Rechtsmittelführerin im Wesentlichen, dass ein bestimmter Teil der Informationen sich nicht „ausschließlich in ihrem Besitz“ befunden habe, und trug vor, dass die Kommission sich diese Auskünfte hätte „selbst“ beschaffen können. Es wurde nicht einmal kurz begründet, warum Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 dahin auszulegen sei, dass der Kommission verwehrt sei, Auskünfte anzufordern, die sie sich aus anderen Quellen beschaffen könne, geschweige denn, wo und wie diese Informationen hätten beschafft werden können.
72. Unter diesen Umständen ist nicht zu beanstanden, dass das Gericht sich mit diesem Vorbringen nicht eingehender auseinandergesetzt hat.
73. Ich komme nun schließlich zu der meines Erachtens zentralen Frage, die mit dem vorliegenden Rechtsmittelgrund aufgeworfen wird, der Auslegung und Anwendung des Rechts, sich nicht selbst belasten zu müssen, durch das Gericht.
74. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass im 23. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1/2003 das Recht der Unternehmen erwähnt ist, sich nicht selbst belasten zu müssen, wenn sie einer Auskunftsentscheidung der Kommission nachkommen. Dieses Recht hatte der Gerichtshof schon vor dem Erlass dieser Verordnung anerkannt(30). Es ist nämlich einer der grundlegenden Bestandteile des Verteidigungsrechts eines Unternehmens, das in allen Verfahren, die die Kommission nach der Verordnung Nr. 1/2003 einleitet, zu wahren ist.
75. Vor diesem Hintergrund werde ich nun zum einen prüfen, ob das Gericht das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, zu eng ausgelegt hat, und zum anderen, ob dieses Recht im vorliegenden Fall richtig zur Anwendung gekommen ist.
76. In Rn. 63 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt, dass bezüglich der Fragen danach zu unterscheiden sei, ob sie als rein tatsächlich eingestuft werden könnten oder nicht. Nur wenn eine Frage nicht als rein tatsächlich eingestuft werden könne, sei zu prüfen, ob sie eine Antwort impliziere, durch die das betroffene Unternehmen das Vorliegen einer Zuwiderhandlung eingestehen müsse, für die die Kommission den Nachweis zu erbringen habe. In den nachfolgenden Rn. 64 und 65 hat das Gericht festgestellt, dass bestimmte Fragen, mit denen von dem Unternehmen lediglich verlangt werde, Daten zusammenzustellen, eine rein tatsächliche Dimension hätten und somit die Verteidigungsrechte dieses Unternehmens nicht verletzen könnten.
77. Dies ist meines Erachtens eine unzutreffende Auslegung des Rechts, sich nicht selbst belasten zu müssen. Trotz des wenig eindeutigen Wortlauts des 23. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 1/2003(31) ist der Umstand, dass eine Frage von einem Unternehmen lediglich die Angabe tatsächlicher Auskünfte verlangt (etwa eine Zusammenstellung von Daten, eine Klarstellung tatsächlicher Umstände oder die Beschreibung von Tatsachen objektiver Art usw.), in dieser Hinsicht ein wichtiges Element, aber nicht notwendigerweise maßgebend. Dass von einem Unternehmen keine Auskünfte subjektiver Art verlangt werden, schließt die Möglichkeit nicht aus, dass unter bestimmten Umständen ein Verstoß gegen das Recht dieses Unternehmens, sich nicht selbst belasten zu müssen, vorliegen kann.
78. Der Gerichtshof spricht in ständiger Rechtsprechung von Fragen, durch die das Unternehmen „das Vorliegen einer Zuwiderhandlung eingestehen müsste“. Die Wortwahl des Gerichtshofs ist nicht ohne Bedeutung. Im Urteil PVC II hat der Gerichtshof den Prüfungsmaßstab für die Selbstbelastung weiter geklärt: Maßgebend ist, ob eine Antwort des Adressaten tatsächlich dem Eingeständnis einer Zuwiderhandlung gleichkäme(32).
79. Aus dieser Rechtsprechung folgt, dass die Kommission keine Fragen stellen darf, deren Beantwortung ein Schuldeingeständnis des betroffenen Unternehmens implizieren könnte.
80. Beispielsweise steht meines Erachtens außer Zweifel, dass die Kommission Unternehmen nicht fragen darf, ob ihre Vertreter bei einem bestimmten Zusammentreffen mit den Vertretern ihrer Wettbewerber Preiserhöhungen abgestimmt oder sich bereit erklärt haben, auf bestimmten nationalen Märkten keinen Wettbewerb zu betreiben. Auch wenn solche Fragen als rein tatsächlich bezeichnet werden könnten, würden sie offensichtlich das Recht des Unternehmens verletzen, keine sich selbst belastenden Auskünfte erteilen zu müssen, da eine Antwort einem ausdrücklichen Eingeständnis einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV gleichkommen kann.
81. Die hier vertretene Auslegung des Rechts, sich nicht selbst belasten zu müssen, wird auch durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere durch die Urteile Orkem, Solvay und SGL Carbon, gestützt. In all diesen Rechtssachen lagen dem Gerichtshof selbstbelastende und somit unzulässige Fragen zur Beurteilung vor, die rein tatsächlicher Art waren(33).
82. Eine Frage kann somit unter bestimmten Umständen auch dann, wenn sie ausschließlich Tatsachen betrifft und keine Stellungnahme zu diesen Tatsachen erbeten wird, zu beanstanden sein, weil die Antwort auf sie ein Schuldeingeständnis implizieren könnte. Folglich hat das Gericht das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, rechtsfehlerhaft ausgelegt.
83. Erst recht können, entgegen der von der Kommission vertretenen Ansicht, Fragen auch dann gegen das Recht eines Unternehmens, sich nicht selbst belasten zu müssen, verstoßen, wenn der Adressat nicht um eine rechtliche Einschätzung oder um Abgabe einer rechtlichen Stellungnahme gebeten wird. Dies ergibt sich sehr klar aus der oben in Nr. 81 genannten Rechtsprechung: Keine der vom Gerichtshof beanstandeten Fragen verpflichtete die Unternehmen zur Abgabe einer rechtlichen Bewertung. Dass die Frage 1D die Rechtsmittelführerin nicht zu Stellungnahmen rechtlicher Art verpflichtete, schließt es daher nicht zwangsläufig aus, dass diese Frage gegen das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, verstoßen kann.
84. Im Anschluss an dieses Ergebnis werde ich nun der Vollständigkeit halber prüfen, ob das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, im vorliegenden Fall fehlerhaft angewendet wurde.
85. In Rn. 73 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, dass die Einschätzung, die Buzzi Unicem bei Frage 1D vorzunehmen habe, „darauf [hinauslaufe], die Höhe ihrer Gewinnmargen zu kommentieren“, und dass dies „ein Indiz für das Vorliegen wettbewerbsbeschränkender Praktiken“ sein könne. Auch wenn der Wortlaut des angefochtenen Urteils nicht ganz eindeutig ist, scheint das Gericht doch festzustellen, dass die Rechtsmittelführerin durch die Beantwortung dieser Frage in der Tat hätte veranlasst sein können, ihre Beteiligung an den mutmaßlichen Zuwiderhandlungen einzugestehen.
86. Das Gericht hat im Anschluss jedoch ausgeführt, dass trotz des selbstbelastenden Charakters der Frage 1D auch die der Rechtsmittelführerin gebotene Möglichkeit zu berücksichtigen sei, in einem späteren Stadium des Verwaltungsverfahrens oder im Rahmen einer Klage gegen den endgültigen Beschluss der Kommission eine andere als die von der Kommission möglicherweise vertretene Auslegung ihrer Antwort auf diese Frage geltend zu machen(34). Aus diesem Grund wies das Gericht die Argumente der Rechtsmittelführerin zurück.
87. Die Begründung des Gerichts ist verwirrend. Dass Buzzi Unicem den selbstbelastenden Charakter der Frage 1D auch hätte anfechten können, wenn und sobald die Kommission eine Entscheidung über die Verhängung einer Geldbuße (entweder wegen Nichtbeantwortung dieser Frage oder wegen Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV) gegen sie erlassen hätte, führt nicht dazu, dass die Unionsgerichte den Verstoß der Kommission gegen das Recht dieses Unternehmens auf Verteidigung im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht beanstanden können (und müssen). Die Begründung des Gerichts zu diesem Punkt würde dem Adressaten einer Entscheidung sein Recht vorenthalten, diesen Rechtsakt von den Unionsgerichten überprüfen zu lassen, wie in Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 ausdrücklich vorgesehen.
88. Die zentrale Frage, auf die das Gericht bei seiner Prüfung in diesem Kontext hätte abstellen müssen, ist, ob die Beantwortung der Frage 1D für Buzzi Unicem einem Eingeständnis einer Zuwiderhandlung hätte gleichkommen können.
89. Das Gericht scheint diese Frage jedoch zu übergehen, statt hierzu einen eindeutigen Standpunkt einzunehmen. Persönlich möchte ich bemerken, dass die Formulierung der Frage 1D gewisse Ähnlichkeiten mit zwei Fragen aufweist, die der Gerichtshof in den Urteilen Orkem und Solvay beanstandet hat, da sie dem Unternehmen die Verpflichtung auferlegen konnten, seine Beteiligung an einer durch den (damaligen) Art. 85 EWG verbotenen Vereinbarung einzuräumen(35). Im vorliegenden Fall ist ebenfalls nicht eindeutig auszuschließen, dass die Kommission das Unternehmen mit der erbetenen Stellungnahme zur besten Methode für die Berechnung der Bruttogewinnmargen pro Quartal veranlassen wollte, seine Absprachen zur Preisfestsetzung oder ‑abstimmung mit seinen Wettbewerbern einzugestehen.
90. Da jedoch feststeht, dass das Gericht das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, jedenfalls fehlerhaft ausgelegt hat, bedarf dieser Punkt meines Erachtens keiner weiteren Vertiefung.
91. Demzufolge ist das angefochtene Urteil meines Erachtens aufzuheben, soweit es in den Rn. 57 bis 79 die von der Rechtsmittelführerin erhobene Rüge einer Verletzung ihres Rechts, sich nicht selbst belasten zu müssen, zurückgewiesen hat. Im Übrigen ist dieser Rechtsmittelgrund als teils unzulässig und teils unbegründet zurückzuweisen.
D – Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit
1. Vorbringen der Parteien
92. Mit ihrem vierten Rechtsmittelgrund – der sich gegen die Rn. 84 bis 115 des angefochtenen Urteils richtet – macht Buzzi Unicem eine rechtsfehlerhafte Auslegung und Anwendung der Voraussetzungen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der im angefochtenen Beschluss verlangten Auskünfte durch das Gericht geltend.
93. Nach Ansicht der Kommission ist dieser Rechtsmittelgrund zurückzuweisen. Das Gericht habe zu Recht das weite Ermessen anerkannt, über das die Kommission bei der Entscheidung verfügen solle, welche Auskünfte für ihre Ermittlungen erforderlich seien. Ferner sei das Gericht auch zu Recht zu dem Schluss gekommen, dass der angefochtene Beschluss verhältnismäßig gewesen sei.
2. Würdigung
94. Dieser Rechtsmittelgrund sollte logisch in zwei gesonderte Teile untergliedert werden, von denen der eine die Erforderlichkeit der im angefochtenen Beschluss verlangten Auskünfte und der andere die allgemeine Verhältnismäßigkeit dieses Beschlusses betrifft. Die beiden Prüfungen dürften einander in der Tat ergänzen. Zum einen ist im Rahmen der Voraussetzung der Erforderlichkeit zu prüfen, ob aus Sicht der Kommission zum Zeitpunkt des Erlasses des Auskunftsverlangens die von einem Unternehmen angeforderte Information es ihr erleichtern kann, das Vorliegen der mutmaßlichen Zuwiderhandlung zu prüfen und deren genaue Art und Umfang festzustellen. Zum anderen ist im Rahmen der Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob aus Sicht des Adressaten eines Beschlusses der Kommission die verlangten Auskünfte eine übermäßige und untragbare Belastung darstellen.
95. Bei genauerer Betrachtung der von der Rechtsmittelführerin in der vorliegenden Rechtssache vorgebrachten Argumente zeigt sich jedoch, dass i) die beiden Voraussetzungen von der Rechtsmittelführerin fast durchgängig in Verbindung miteinander genannt werden und ii) im Wesentlichen mit den von der Rechtsmittelführerin vorgebrachten Argumenten zumeist die übermäßige und untragbare Belastung dargelegt werden soll, die der angefochtene Beschluss der Rechtsmittelführerin auferlegt habe.
96. Aus verfahrensökonomischen Gründen werde ich daher die Argumente, die sich auf die mangelnde Erforderlichkeit der verlangten Auskünfte beziehen könnten, nicht gesondert erörtern. Zu allgemeinen Erwägungen zu dieser Frage verweise ich auf meine Schlussanträge in der Rechtssache HeidelbergCement/Kommission, Rn. 70 bis 76.
97. Demzufolge werde ich unmittelbar die Argumente erörtern, die die Verhältnismäßigkeit des angefochtenen Beschlusses betreffen.
98. Hinzuweisen ist zunächst darauf, dass der Gerichtshof mehrfach hervorgehoben hat, dass das Erfordernis den Einzelnen auch dann vor willkürlichen oder unverhältnismäßigen Eingriffen der öffentlichen Gewalt in die Sphäre ihrer privaten Betätigung zu schützen, wenn sie der Durchsetzung der Wettbewerbsregeln dienen, einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt(36). Insbesondere ist eine Ermittlungsmaßnahme unverhältnismäßig, wenn sie einen übermäßigen und somit untragbaren Eingriff in diese Rechte darstellt(37).
99. Natürlich gibt es keinen eindeutig festgelegen Prüfungsmaßstab dafür, ob ein konkretes, an ein bestimmtes Unternehmen gerichtetes Auskunftsverlangen übermäßig ist oder nicht. Diese Frage lässt sich nur anhand einer Einzelfallprüfung beantworten, die alle maßgebenden Umstände berücksichtigt.
100. Zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines konkreten Auskunftsverlangens sind insbesondere zwei Elemente gegeneinander abzuwägen(38). Auf der einen Seite der Abwägung steht das öffentliche Interesse, das die Untersuchung der Kommission rechtfertigt, und die Notwendigkeit, dass dieses Organ Informationen erhält, die es ihm ermöglichen, die ihm durch den Vertrag übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Je stärker eine mutmaßliche Zuwiderhandlung den Wettbewerb schädigt, umso eher sollte die Kommission von einem Unternehmen Bemühungen dahin erwarten dürfen, in Erfüllung seiner Verpflichtung zur aktiven Mitwirkung die verlangen Auskünfte zu erteilen. Auf der anderen Seite der Abwägung steht der Arbeitsaufwand, der einem Unternehmen durch ein Auskunftsverlangen entsteht. Je größer der entstehende Arbeitsaufwand ist, der die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter des Unternehmens von ihren normalen betrieblichen Aufgaben ablenkt und zusätzliche Kosten verursacht, umso eher kann das Auskunftsverlangen als übermäßig anzusehen sein.
101. Im vorliegenden Fall trägt die Kommission vor, dass das mutmaßliche Verhalten der Rechtsmittelführerin eine sehr schwere Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union darstelle. Trotz der wenigen Angaben, die der angefochtene Beschluss oder der Beschluss über die Einleitung des Verfahrens hierzu enthält, kann der Ansicht der Kommission wahrscheinlich zugestimmt werden, dass die Folgen der mutmaßlichen Zuwiderhandlungen für die europäischen Verbraucher im Fall ihres Nachweises besonders schwer sein könnten(39).
102. Ungeachtet dessen erscheint der Arbeitsaufwand, der der Rechtsmittelführerin durch den angefochtenen Beschluss (den das angefochtene Urteil als mit „ganz erheblichem Arbeitsaufwand“ verbunden beschreibt(40)) entstand, übermäßig und unangemessen belastend.
103. Es ist nicht ernsthaft zu bestreiten, dass der angefochtene Beschluss die Vorlage einer außerordentlichen Menge von Daten erforderte, die nahezu alle wirtschaftlichen Tätigkeiten der Rechtsmittelführerin in zwölf Mitgliedstaaten über ein Jahrzehnt abdeckte.
104. Buzzi Unicem hat, von der Kommission unbestritten, vorgetragen, dass allein durch die Zusammenstellung eines Teils der verlangten Daten ein erheblicher Arbeitsaufwand für ihre Mitarbeiter entstanden sei; aufgrund eines Teils der Fragen habe sie nahezu alle in den letzten zehn Jahren abgeschlossenen wirtschaftlichen Vorgänge prüfen müssen, um die verlangten Daten zu extrapolieren. Ein Teil dieser Daten, insbesondere in Bezug auf ältere Vorgänge, sei jedoch in ihren Datenbanken nicht vorhanden gewesen. Die Rechtsmittelführerin habe somit tausende Finanzunterlagen einzeln prüfen und die jeweiligen Daten dann manuell in nach den Vorgaben der Kommission formatierte Excel-Dateien kodieren müssen.
105. Ein weiterer Grund für den durch den angefochtenen Beschluss entstandenen erheblichen Arbeitsaufwand liegt in dem von der Kommission für die Erteilung der verlangten Auskünfte vorgegebenen Format. Dass ein Auskunftsverlangen die Vorlage einer sehr großen Menge von Informationen erfordert, kann im digitalen Zeitalter nämlich häufig von zweitrangiger Bedeutung sein. In vielen Fällen wird der durch ein Auskunftsverlangen entstehende Arbeitsaufwand vor allem davon abhängen, wie der Adressat dieses Auskunftsverlangens die Auskünfte nach den Vorgaben der Kommission zu erteilen hat. Mit anderen Worten kann es häufig das von der Kommission für die verlangten Auskünfte vorgegebene Format sein, das für ein Unternehmen den größten Arbeitsaufwand nach sich zieht.
106. Hierzu ist festzustellen, dass Anhang II (spezifische Anweisungen zur Beantwortung des Fragebogens) und Anhang III (Antwortvorlagen) des angefochtenen Beschlusses zusammen fast 30 Seiten von äußerster Komplexität umfassen. Das vorgegebene Format war in höchstem Maße anspruchsvoll, und die Anweisungen waren außerordentlich detailliert.
107. Bezüglich des strikten Charakters der Vorlagen ist hervorzuheben, dass die vollständige Einhaltung des geforderten Formats durch ausdrückliche Androhung von Sanktionen gewährleistet wurde. In dem eingerahmten Textfeld zu Beginn des Fragebogens schreibt die Kommission (in fetter und unterstrichener Schrift): „Beachten Sie bitte, dass Ihre Antwort als unzutreffend/irreführend bewertet werden könnte, wenn Sie diese Begriffsbestimmungen und Anweisungen nicht berücksichtigen.“
108. Hinsichtlich der außergewöhnlichen Detailliertheit der Anweisungen ist allein schon auf die übergenauen Vorschriften über die Antworten zu verweisen, die die Kommission in einer Excel-Datei enthalten verlangte. Die Rechtsmittelführerin durfte nur diese, in Anhang III enthaltenen Vorlagen verwenden und musste die Anweisungen u. a. zur Zahl der vorzulegenden Dateien, zur Zahl der Arbeitsblätter pro Datei, zum Namen jedes Arbeitsblatts, zu den zu verwendenden Abkürzungen, zu Namen und Nummern von Spalten oder Zeilen, zum Datumsformat und zur Verwendung von Leerzeichen, Sonderzeichen oder Symbolen streng befolgen(41).
109. Ferner erhöhten die zahlreichen und fast kryptischen Codes, die der Adressat des Beschlusses – wie von der Kommission betont, „einheitlich“ und in „allen Antworten auf den Fragebogen“(42) – zu verwenden hatte, eindeutig weder die Lesbarkeit und Anwenderfreundlichkeit des angefochtenen Beschlusses, noch erleichterten sie dem Unternehmen die Aufgabe, die Antworten zusammenzustellen.
110. Es kann sich sicherlich festgehalten werden, dass das fragliche Format selbst einem erfahrenen Kaufmann auf den ersten Blick als Kopfzerbrechen bereitendes Rätsel erscheinen würde.
111. Wie in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache HeidelbergCement/Kommission näher ausgeführt, kann der Begriff „Auskünfte“ im Sinne von Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 nicht dahin ausgelegt werden, dass er der Kommission gestattet, Unternehmen zu verpflichten, die verlangten Auskünfte in einem bestimmten Format zu erteilen. Adressaten von Auskunftsverlangen sind selbstverständlich verpflichtet, auf ein Auskunftsverlangen durch Erteilung von Auskünften zu antworten, die nicht nur zutreffend und vollständig, sondern auch genau und eindeutig sind. Ferner kann von ihnen, soweit sie Informationen in eine bestimmte Form bringen müssen, um eine sachdienliche Antwort zu geben, aufgrund ihrer Verpflichtung zur aktiven Mitwirkung auch erwartet werden, das von der Kommission verlangte Format zu berücksichtigen. Jedoch kann die Kommission Unternehmen nicht zur Wahrnehmung derart weitreichender, komplexer und zeitaufwendiger büro- und verwaltungstechnischer Aufgaben bei der Vorlage der verlangten Auskünfte verpflichten, dass die Sachbearbeitung und Vorbereitung eines Tatvorwurfs gegen diese Unternehmen in Wirklichkeit an sie „ausgelagert“ erscheint. Es ist schließlich Sache der Kommission, eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union nachzuweisen(43).
112. Abgesehen davon dürfte unabhängig von einem möglichen Verstoß gegen Art. 18 (den die Rechtsmittelführerin nicht geltend macht) das durch den angefochtenen Beschluss vorgegebene Format meines Erachtens eindeutig zu einem ganz erheblichen Arbeitsaufwand für die Rechtsmittelführerin geführt haben. Dies ist umso weniger hinnehmbar, als die von der Kommission verlangten Formatierungsarbeiten häufig Daten betrafen, die der Kommission bereits vorlagen oder öffentlich zugänglich waren.
113. Hinsichtlich des ersten Punkts darf nicht übersehen werden, dass der angefochtene Beschluss erging, nachdem andere besonders belastende Auskunftsverlangen (die die Form einfacher Auskunftsverlangen nach Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 hatten) von Buzzi Unicem beantwortet worden waren. Diese vorangegangen Auskunftsverlangen betrafen weitgehend dieselben Arten von Auskünften, mit einigen Abweichungen in Details oder einem anderem Format.
114. Somit verpflichtete der angefochtene Beschluss den Adressaten – aufgrund des für die Erteilung der Auskünfte verlangten Formats – zu zusätzlichen Bemühungen für eine bloße Umformatierung von Daten, die der Kommission bereits vorgelegt worden waren. Für ein solches Auskunftsverlangen kann ich keine Rechtfertigung erkennen. Unter diesen Umständen könnte die von der Kommission verlangte Umformatierung einer sehr großen Menge von Daten in analoger Weise mit einer verlangten Übersetzung zahlreicher und umfangreicher, im Besitz eines Unternehmens befindlicher Schriftstücke in eine andere Sprache vergleichbar sein. Der Umstand, dass die Mitarbeiter der Kommission möglicherweise nicht über die notwendigen Sprachkenntnisse verfügen, könnte eine solche Vorgabe meines Erachtens nicht rechtfertigen.
115. Hätte die Kommission ihre Fragen in ihren Auskunftsverlangen nach Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 so verfasst, wie sie im angefochtenen Beschluss formuliert wurden, oder lediglich später eine Erteilung der verlangten Auskünfte in einem anderen Format zugelassen, wäre der Rechtsmittelführerin Arbeit in erheblichem Umfang erspart worden.
116. Hinsichtlich des zweiten Punkts verlangte der angefochtene Beschluss von der Rechtsmittelführerin, Informationen in eine bestimmte Form zu bringen, die öffentlich zugänglich waren. So heißt es z. B. in Ziff. 10 des Anhangs II des angefochtenen Beschlusses: „Alle Beträge sollten in EUR ausgedrückt werden. Wenn … Beträge in lokalen Währungen (d. h. nicht in EUR) angegeben werden, gehen Sie bei Umrechnungen bitte vom offiziellen Wechselkurs aus, den die Europäische Zentralbank (EZB) für den relevanten Zeitraum veröffentlicht hat.“ Es ist unklar, warum diese Berechnungen nicht von eigenen Mitarbeitern der Kommission vorgenommen werden konnten(44).
117. Aus allen diesen Gründen bringt die Rechtsmittelführerin meines Erachtens zu Recht vor, dass das Gericht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerhaft ausgelegt und angewendet hat. Demzufolge ist dem vierten Rechtsmittelgrund stattzugeben und das angefochtene Urteil folglich aufzuheben.
E – Best Practices
1. Vorbringen der Parteien
118. Mit ihrem fünften und letzten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, dass das Gericht rechtsfehlerhaft über ihre Rechte nach den „Best Practices for the submission of economic evidence and data collection in cases concerning the application of Article 101 and 102 and in merger cases (Staff working paper)“ (Bewährte Vorgehensweisen für die Vorlage wirtschaftlichen Beweismaterials und die Datenerhebung in Verfahren nach den Art. 101 AEUV und 102 AEUV und in Fällen von Zusammenschlüssen [Arbeitspapier])(45) (im Folgenden: Best Practices) hinweggegangen sei. Wenn die Kommission entscheide, sich an ihre Best Practices zu halten, indem sie das Unternehmen zu dem Entwurf eines Auskunftsverlangens anhöre, sei sie auch verpflichtet, Stellungnahmen oder Bitten des Unternehmens um Präzisierung zu berücksichtigen. Das Gericht habe diese Verpflichtung folglich rechtsfehlerhaft missachtet.
119. Nach Ansicht der Kommission ist dieses Vorbringen zurückzuweisen.
2. Würdigung
120. Abschnitt 3.4.3 der Best Practices lautet wie folgt: „Soweit angemessen und nützlich, übersendet die GD Wettbewerb einen ‚Entwurf‘ eines Datenauskunftsverlangens für quantitative Daten, um eine bessere Identifizierung des Formats zu erleichtern und grundlegende Konsistenzprüfungen zu ermöglichen (siehe Abschnitt 3.3.2). Der Zweck des Entwurfs eines Datenauskunftsverlangens ist, den Parteien Gelegenheit zu geben, Änderungen vorzuschlagen, durch die die mit der Einhaltung verbundene Belastung bei der Vorlage der notwendigen Auskünfte gemildert werden könnte. Eine Reduzierung des Umfangs des Datenauskunftsverlangens kann nur akzeptiert werden, wenn sie die Untersuchung nicht zu beeinträchtigen droht und insbesondere in Fällen von Zusammenschlüssen zu einer Verkürzung der ursprünglich vorgesehenen Antwortfrist führen kann.“
121. Das Gericht hat meines Erachtens zu Recht auf die Rechtsprechung hingewiesen, wonach die Kommission, wenn sie eine Verhaltensnorm mit Hinweischarakter aufstellt, die Außenwirkungen entfalten soll, von ihr nur unter Angabe von Gründen abweichen kann, die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar sind. Wie ebenfalls vom Gericht klargestellt, sehen die Bewährten Vorgehensweisen jedoch eindeutig eine Befugnis der Kommission vor, Stellungnahmen „soweit angemessen und nützlich“ zu berücksichtigen und die Stellungnahmen des Unternehmens zu beachten, soweit diese „die Untersuchung nicht zu beeinträchtigen droh[en]“(46).
122. Der Wortlaut der Best Practices lässt für mich daher nicht den Schluss zu, dass die Kommission in dieser Hinsicht eine klare und eindeutige Verhaltensrichtlinie erlassen wollte.
123. Vor allem erscheint mir auch die Argumentation wenig einleuchtend, dass die Kommission sich durch die Übersendung eines Beschlussentwurfs an die potenziellen Adressaten verpflichten sollte, eine von diesen abgegebene Stellungnahme zu beachten. Einer solchen Argumentation mangelt es an einer Grundlage ebenso wie an einer dahinter stehenden Logik. Ich sehe keine andere mögliche Verpflichtung, die sich für die Kommission aus Abschnitt 3.4.3 der Best Practices ergibt, als diejenige, die von den angehörten Unternehmen abgegebenen Stellungnahmen gebührend zu berücksichtigen. Insoweit hat Buzzi Unicem nichts Konkretes vorgetragen, was belegen könnte, dass die Kommission ihre Stellungnahmen nicht gebührend berücksichtigt hat.
124. Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass aus den Abschnitten 7 und 8 der Best Practices eindeutig hervorgeht, dass die Kommission ihr Vorgehen nach diesen Verfahren ändern kann und dass das Dokument keine neuen Rechtswirkungen entfalten oder die Entscheidungspraxis der Kommission ändern soll. Darüber hinaus findet sich der unverbindliche Charakter der Best Practices auch darin bestätigt, dass sie lediglich als „Arbeitspapier“ der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission und nicht als von der gesamten Kommission zu erlassendes (d. h. vom Kollegium der Kommissionsmitglieder gebilligtes) Dokument ergangen sind. Die Best Practices sind tatsächlich nie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden. Auch wenn sich die Frage stellen mag, warum die Kommission Mitteilungen veröffentlicht, deren Bedeutung sie sodann herunterspielt, wenn sich eine andere Partei in einem gerichtlichen Verfahren darauf beruft, bleibt es dabei, dass mit den Best Practices eindeutig keine verbindlichen Regelungen geschaffen werden sollten.
125. Aus den vorstehend aufgeführten Gründen hat das Gericht die von der Rechtsmittelführerin erhobene Rüge eines Verstoßes gegen die Best Practices meines Erachtens rechtsfehlerfrei zurückgewiesen. Der fünfte Rechtsmittelgrund ist folglich zurückzuweisen.
VI – Folgen der Würdigung
126. Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs hebt der Gerichtshof das Urteil des Gerichts auf, wenn das Rechtsmittel begründet ist. Ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif, so kann ihn der Gerichtshof selbst endgültig entscheiden. Er kann die Sache auch an das Gericht zurückverweisen.
127. Ich bin zu dem Ergebnis gelangt, dass drei der fünf von der Rechtsmittelführerin geltend gemachten Rechtsmittelgründen vollständig oder teilweise stattzugeben und das angefochtene Urteil folglich aufzuheben ist.
128. Angesichts des bekannten Sachverhalts und des Vortrags der Parteien vor dem Gericht und vor dem Gerichtshof ist der Gerichtshof meines Erachtens in der Lage, die Rechtssache selbst endgültig zu entscheiden.
129. In ihrer Klageschrift hat Buzzi Unicem fünf Klagegründe für ihren Antrag auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses geltend gemacht.
130. Aufgrund der vorstehend entwickelten Erwägungen war der angefochtene Beschluss meines Erachtens aus zwei wesentlichen Gründen rechtswidrig: Er war im Hinblick auf den Zweck des Auskunftsverlangens unzureichend begründet (siehe Nrn. 23 bis 49 der vorliegenden Schlussanträge), und er erfüllte nicht die Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit (siehe Nrn. 94 bis 117 der vorliegenden Schlussanträge). Jeder dieser Rechtsfehler für sich allein bildet eine hinreichende Grundlage für die Nichtigerklärung des Beschlusses in seiner Gesamtheit. Folglich bedarf es meines Erachtens keiner Prüfung der Begründetheit der anderen von der Rechtsmittelführerin geltend gemachten Klagegründe.
VII – Kosten
131. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
132. Sollte der Gerichtshof mit meiner Würdigung des Rechtsmittels übereinstimmen, sind der Kommission nach den Art. 137, 138 und 184 der Verfahrensordnung die Kosten sowohl des erstinstanzlichen als auch des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.
VIII – Ergebnis
133. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,
– das Urteil des Gerichts vom 14. März 2014 in der Rechtssache T‑297/11, Buzzi Unicem/Kommission, aufzuheben;
– den Beschluss K(2011) 2356 endg. der Kommission vom 30. März 2011 in einem Verfahren nach Artikel 18 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates (Sache 39520 – Zement und verwandte Produkte) für nichtig zu erklären;
– der Kommission die Kosten beider Rechtszüge aufzuerlegen.
1 – Originalsprache: Englisch.
2 – Verordnung des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1).
3 – HeidelbergCement/Kommission (C‑247/14 P), Schwenk Zement/Kommission (C‑248/14 P) und Italmobiliare/Kommission (C‑268/14 P).
4 – Verordnung der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag durch die Kommission (ABl. L 123, S. 18).
5 – EU:T:2014:122.
6 – C‑247/14 P, Nrn. 22 bis 27.
7 – Vgl. Urteil Nexans und Nexans France/Kommission (C‑37/13 P, EU:C:2014:2030, Rn. 31 und 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
8 – Ebd., Rn. 34 bis 37 und die dort angeführte Rechtsprechung.
9 – Nach Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 muss die Entscheidung „die Rechtsgrundlage, den Zweck des Auskunftsverlangens und die benötigten Auskünfte an[geben] [und] … die Frist für die Übermittlung der Auskünfte fest[legen]“. Nach Art. 20 Abs. 3 derselben Verordnung muss die Entscheidung „den Gegenstand und den Zweck der Nachprüfung [bezeichnen] [und] den Zeitpunkt des Beginns der Nachprüfung [bestimmen]“.
10 – Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Nexans und Nexans France/Kommission (C‑37/13 P, EU:C:2014:223, Nrn. 35 bis 38).
11 – Rn. 35 und 36 des angefochtenen Urteils.
12 – Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Léger in der Rechtssache BPB Industries und British Gypsum/Kommission (C‑310/93 P, EU:C:1994:408, Nr. 22).
13 – Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Lenz in der Rechtssache SITPA (C‑27/90, EU:C:1990:407, Nr. 59).
14 – Vgl. die in Nr. 26 der vorliegenden Schlussanträge angeführte Rechtsprechung.
15 – Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Nexans und Nexans France/Kommission (C‑37/13 P, EU:C:2014:223, Nr. 52).
16 – Eingehender hierzu meine Schlussanträge in der Rechtssache HeidelbergCement/Kommission (C‑247/14 P, Nrn. 46 und 47).
17 – Frage 1D. Vgl. unten, Nr. 85 dieser Schlussanträge.
18 – Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache HeidelbergCement/Kommission (C‑247/14 P, Nrn. 138 bis 146).
19 – Vgl. unten, Nrn. 73 bis 91 der vorliegenden Schlussanträge
20 – Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache HeidelbergCement/Kommission (C‑247/14 P, Nr. 50).
21 – C‑247/14 P, Nrn. 52 bis 54.
22 – Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache SEP/Kommission (C‑36/92 P, EU:C:1993:928, Nr. 30).
23 – Vgl. Urteil Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland/Kommission (C‑385/07 P, EU:C:2009:456, Rn. 163 und die dort angeführte Rechtsprechung).
24 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Chalkor/Kommission (C‑386/10 P, EU:C:2011:815, Rn. 65 und 66).
25 – T‑296/11, EU:T:2014:121, Rn. 41 bis 56.
26 – Rn. 45 des angefochtenen Urteils.
27 – Meines Erachtens hat der Gerichtshof somit nicht zu prüfen, ob die Fragen 5S, 5R, 5T und 5V ausschließlich Tatsachen betreffen, was in jedem Fall kaum zu bestreiten sein dürfte.
28 – Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Darmon in der Rechtssache Orkem/Kommission (374/87, EU:C:1989:207, Nr. 55).
29 – Vgl. Rn. 87 und 88 des angefochtenen Urteils.
30 – Vgl. insbesondere Urteile Orkem/Kommission (374/87, EU:C:1989:387, Rn. 35) und Solvay/Kommission (27/88, EU:C:1989:388, Rn. 32).
31 – Der 23. Erwägungsgrund spricht, wie erwähnt, von „Fragen nach Tatsachen“. Das Problem der Suche nach der besten wörtlichen Umschreibung der Art von Fragen, die wegen ihres tatsachenbezogenen Inhalts das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, nicht verletzen können, wird auch aus der Rechtsprechung deutlich. Vgl. die in Fn. 94 meiner Schlussanträge in der Rechtssache HeidelbergCement/Kommission (C‑247/14 P) angeführte Rechtsprechung.
32 – Urteil Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission (C‑238/99P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, EU:C:2002:582 [im Folgenden: Urteil PVC II], Rn. 273 [Hervorhebung nur hier]).
33 – Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache HeidelbergCement/Kommission (C‑247/14 P, Nr. 157).
34 – Rn. 74 des angefochtenen Urteils.
35 – Vgl. insbesondere Urteile Orkem/Kommission (374/87, EU:C:1989:387, Rn. 39) und Solvay/Kommission (27/88, EU:C:1989:388, Rn. 36).
36 – Vgl. Urteile Hoechst/Kommission (46/87 und 227/88, EU:C:1989:337, Rn. 19) und Roquette Frères (C‑94/00, EU:C:2002:603, Rn. 27, 50 und 52).
37 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Roquette Frères (C‑94/00, EU:C:2002:603, Rn. 76 und 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).
38 – Weitere Elemente sind u. a. die Art der Beteiligung des betreffenden Unternehmens, die Wichtigkeit des gesuchten Beweismaterials sowie die Menge und Art der sachdienlichen Informationen, die die Kommission bei dem fraglichen Unternehmen vermutet.
39 – Zu berücksichtigen sind meines Erachtens u. a. die Zahl der beteiligten Unternehmen, der räumliche Umfang der mutmaßlichen Zuwiderhandlungen und die in den vermuteten Vereinbarungen enthaltenen Kernbeschränkungen.
40 – Rn. 129 des angefochtenen Urteils.
41 – Vgl. Ziff. 2, 6, 7, 8, 9, 13, 14 und 15 in Annex III. Zu ähnlich komplexen Anweisungen vgl. u. a. auch Frage 1A und Frage 2 in Annex I.
42 – Vgl. Ziff. 16 und 17 in Annex II.
43 – Vgl. Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003.
44 – Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache HeidelbergCement/Kommission (C‑247/14, Nr. 120).
45 – Auf der Website der GD Wettbewerb der Europäischen Kommission veröffentlichtes Dokument.
46 – Vgl. Rn. 140 und 141 des angefochtenen Urteils und die dort angeführte Rechtsprechung.
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