Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-82/15

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

3. Dezember 2015(*)

„Rechtsmittel – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83/EG – Art. 31 und 116 – Beschluss der Kommission, mit dem gegenüber den Mitgliedstaaten die Rücknahme und die Änderung der nationalen Zulassungen von Humanarzneimitteln mit dem Wirkstoff ‚Tolperison‘ angeordnet wird“

In der Rechtssache C‑82/15 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 20. Februar 2015,

PP Nature-Balance Lizenz GmbH mit Sitz in Hamburg (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Ambrosius,

Rechtsmittelführerin,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann, A. Sipos und M. Šimerdová als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Siebten Kammer C. Toader in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Achten Kammer sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund (Berichterstatter),

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel begehrt die PP Nature-Balance Lizenz GmbH (im Folgenden: Nature-Balance) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 11. Dezember 2014, PP Nature-Balance Lizenz/Kommission (T‑189/13, EU:T:2014:1056, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre auf die teilweise Nichtigerklärung des Durchführungsbeschlusses K(2013)369 (endg.) der Kommission über die Zulassungen für Humanarzneimittel mit dem Wirkstoff „Tolperison“ gemäß Artikel 31 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (im Folgenden: streitiger Beschluss) gerichtete Klage abgewiesen hat.

 Rechtlicher Rahmen

2        Art. 10a der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311, S. 67, berichtigt im ABl. 2009, L 87, S. 174, und im ABl. 2011, L 276, S. 63) in der durch die Richtlinie 2011/62/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 (ABl. L 174, S. 74) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/83) bestimmt:

„Abweichend von Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe i) und unbeschadet des Rechts über den Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums ist der Antragsteller nicht verpflichtet, die Ergebnisse der vorklinischen oder klinischen Versuche vorzulegen, wenn er nachweisen kann, dass die Wirkstoffe des Arzneimittels für mindestens zehn Jahre in der Gemeinschaft allgemein medizinisch verwendet wurden und eine anerkannte Wirksamkeit sowie einen annehmbaren Grad an Sicherheit gemäß den Bedingungen des Anhangs I aufweisen. In diesem Fall werden die Ergebnisse dieser Versuche durch einschlägige wissenschaftliche Dokumentation ersetzt.“

3        Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten, die Kommission, der Antragsteller oder der Inhaber einer Genehmigung für das Inverkehrbringen [im Folgenden: Zulassung] befassen in besonderen Fällen von Unionsinteresse den Ausschuss [für Humanarzneimittel] mit der Anwendung des Verfahrens nach Artikel 32, 33 und 34, bevor sie über einen Antrag auf [Zulassung], über die Aussetzung oder den Widerruf einer [Zulassung] bzw. über jede andere Änderung der [Zulassung], die für erforderlich gehalten wird, entscheiden.

Ergibt sich eine solche Befassung aus der Bewertung von Pharmakovigilanzdaten eines genehmigten Arzneimittels, ist die Angelegenheit an den Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz zu verweisen, und Artikel 107j Absatz 2 kann Anwendung finden. Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz gibt nach dem Verfahren des Artikels 32 eine Empfehlung ab. Die abschließende Empfehlung wird dem Ausschuss für Humanarzneimittel oder gegebenenfalls der Koordinierungsgruppe übermittelt, und es gilt das Verfahren des Artikels 107k.

Wird jedoch dringendes Handeln für notwendig erachtet, gilt das Verfahren der Artikel 107i bis 107k.

Der betreffende Mitgliedstaat oder die Kommission geben die Frage, mit der der Ausschuss befasst werden soll, deutlich an und unterrichten den Antragsteller oder den Inhaber der [Zulassung].

Die Mitgliedstaaten und der Antragsteller bzw. der Inhaber der [Zulassung] übermitteln dem Ausschuss alle verfügbaren Informationen im Hinblick auf die betreffende Angelegenheit.“

4        Art. 34 der Richtlinie lautet:

„(1)      Die Kommission erlässt eine endgültige Entscheidung nach dem in Artikel 121 Absatz 3 genannten Verfahren binnen 15 Tagen nach Abschluss dieses Verfahrens.

(2)      Der mit Artikel 121 Absatz 1 eingesetzte Ständige Ausschuss passt seine Geschäftsordnung an, um den ihm mit diesem Kapitel zugewiesenen Aufgaben Rechnung zu tragen.

Bei der Anpassung wird Folgendes vorgesehen:

a)      Mit Ausnahme der Fälle gemäß Artikel 33 Absatz 3 ergeht die Stellungnahme des Ständigen Ausschusses im Wege des schriftlichen Verfahrens.

b)      Die Mitgliedstaaten verfügen über eine Frist von 22 Tagen, um der Kommission ihre schriftlichen Bemerkungen zum Entscheidungsentwurf zu übermitteln. Muss jedoch dringend eine Entscheidung getroffen werden, so kann der Vorsitzende eine kürzere Frist je nach Dringlichkeit festlegen. Diese Frist darf, von Ausnahmefällen abgesehen, nicht kürzer sein als 5 Tage.

c)      Die Mitgliedstaaten können schriftlich beantragen, dass der Entscheidungsentwurf vom Ständigen Ausschuss im Plenum erörtert wird.

Ergeben sich nach Auffassung der Kommission aus den schriftlichen Bemerkungen eines Mitgliedstaats wichtige neue Fragen wissenschaftlicher oder technischer Art, die in dem Gutachten der [Europäischen Arzneimittel-Agentur (im Folgenden: Agentur)] nicht behandelt wurden, so setzt der Vorsitzende das Verfahren aus und verweist den Antrag zur weiteren Prüfung zurück an die Agentur.

Die Kommission erlässt die erforderlichen Durchführungsbestimmungen zu diesem Absatz nach dem in Artikel 121 Absatz 2 genannten Verfahren.

(3)      Die Entscheidung gemäß Absatz 1 wird an alle Mitgliedstaaten gerichtet und dem Inhaber der [Zulassung] oder dem Antragsteller zur Kenntnisnahme übermittelt. Die betroffenen Mitgliedstaaten und der Referenzmitgliedstaat müssen innerhalb von 30 Tagen nach der Bekanntmachung der Entscheidung die [Zulassung] entweder erteilen oder widerrufen oder alle Änderungen der Bedingungen der [Zulassung] vornehmen, die erforderlich sind, um der Entscheidung zu entsprechen; dabei nehmen sie auf die Entscheidung Bezug. Sie setzen die Kommission und die Agentur hiervon in Kenntnis.“

5        Art. 116 der Richtlinie bestimmt:

„Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten setzen die [Zulassung] aus, nehmen sie zurück oder ändern sie, wenn sie der Ansicht sind, dass das Arzneimittel schädlich ist oder dass seine therapeutische Wirksamkeit fehlt oder dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis ungünstig ist oder dass das Arzneimittel nicht die angegebene quantitative und qualitative Zusammensetzung aufweist. Von einer fehlenden therapeutischen Wirksamkeit wird ausgegangen, wenn feststeht, dass sich mit dem Arzneimittel keine therapeutischen Ergebnisse erzielen lassen.

Die [Zulassung] kann ebenfalls ausgesetzt, zurückgenommen oder geändert werden, wenn sich herausstellt, dass die den Antrag stützenden Angaben gemäß den Artikeln 8, 10, 10a, 10b, 10c oder 11 unrichtig sind oder nicht gemäß Artikel 23 geändert wurden, wenn die Bedingungen gemäß den Artikeln 21a, 22 oder 22a nicht erfüllt wurden oder wenn die in Artikel 112 vorgesehenen Kontrollen nicht durchgeführt wurden.

Absatz 2 des vorliegenden Artikels gilt auch in Fällen, in denen die Herstellung des Arzneimittels nicht gemäß den Angaben nach Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe d erfolgt oder die Kontrollen nicht entsprechend den in Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe h beschriebenen Kontrollmethoden durchgeführt werden.“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitiger Beschluss

6        Aus der in den Rn. 1 bis 20 des angefochtenen Urteils dargestellten Vorgeschichte des Rechtsstreits geht hervor, dass Nature-Balance in Deutschland Inhaberin einer Zulassung für das Arzneimittel Mydocalm ist, das den Wirkstoff Tolperison enthält. Tolperison ist ein zentral wirksamer Wirkstoff aus der Gruppe der Muskelrelaxanzien zur Behandlung von Muskelkrämpfen der Skelettmuskulatur.

7        Im Anschluss an einen von der Bundesrepublik Deutschland am 15. Juli 2010 gestellten Antrag auf Neubewertung von Tolperison erließ die Kommission auf der Grundlage des Art. 34 der Richtlinie 2001/83 den angefochtenen Beschluss. Darin wies die Kommission die Mitgliedstaaten an, die Zulassung von Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Tolperison mit parenteraler Darreichungsform, zu denen Mydocalm zählt, zu widerrufen und diese Zulassungen für die orale Darreichungsform dahin zu ändern, dass Fachinformation und Packungsbeilage des Erzeugnisses allein die „symptomatische Behandlung der Spastizität nach einem Schlaganfall bei Erwachsenen“ anzugeben haben und dass sie u. a. die neuen Informationen zu Überempfindlichkeitsreaktionen auf der Grundlage der wissenschaftlichen Feststellungen in Anhang II des Beschlusses enthalten.

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

8        Am 3. April 2013 erhob Nature-Balance Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses, soweit durch ihn die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, die Zulassungen dahin zu ändern, dass die lokomotorische Indikation gestrichen wird.

9        Nature-Balance stützte ihre Klage auf drei Gründe, mit denen sie Verstöße gegen die Richtlinie 2001/83 sowie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geltend machte.

10      Das Gericht folgte diesen Klagegründen nicht und wies die bei ihm erhobene Klage ab.

 Anträge der Parteien

11      Nature-Balance beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den streitigen Beschluss für nichtig zu erklären, soweit durch ihn die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, die Zulassungen dahin zu ändern, dass die lokomotorische Indikation gestrichen wird. Ferner beantragt sie, der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

12      Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und Nature-Balance die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

13      Nature-Balance stützt ihr Rechtsmittel im Wesentlichen auf drei Gründe. Mit den ersten beiden Rechtsmittelgründen macht sie Verstöße gegen Art. 116 und Art. 10a der Richtlinie 2001/83 geltend. Mit dem dritten Rechtsmittelgrund rügt sie eine Verfälschung von Beweisen.

 Zum ersten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen Art. 116 der Richtlinie 2001/83

 Erster Teil des ersten Rechtsmittelgrundes: fehlerhafte Auslegung von Art. 116 der Richtlinie 2001/83 im Hinblick auf den Vorsorgegrundsatz

–       Vorbringen der Parteien

14      Nature-Balance tritt den Beurteilungen des Gerichts in den Rn. 37 und 45 bis 49 des angefochtenen Urteils entgegen, in denen es geprüft hat, ob der streitige Beschluss auf neue und objektive wissenschaftliche oder medizinische Daten oder Informationen gestützt wurde, die ernsthafte und stichhaltige Anhaltspunkte für vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit von Tolperison darstellen.

15      Nature-Balance wirft dem Gericht erstens vor, es habe in Rn. 37 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass der Vorsorgegrundsatz die Rücknahme, Aussetzung oder Änderung einer Zulassung gemäß Art. 116 der Richtlinie 2001/83 gebiete, wenn neue Daten vorlägen, die ernste Zweifel an der Sicherheit des betreffenden Arzneimittels oder an seiner Wirksamkeit weckten, und wenn diese Zweifel zu einer ungünstigen Beurteilung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses dieses Arzneimittels führten.

16      Der Vorsorgegrundsatz sei bei der Beurteilung der Wirksamkeit eines Arzneimittels nicht anwendbar. In Rn. 57 des Urteils Acino/Kommission (C‑269/13 P, EU:C:2014:255) habe der Gerichtshof die Anwendung des Vorsorgegrundsatzes im Zusammenhang mit der Beurteilung der Sicherheit eines Arzneimittels hinsichtlich des Vorliegens von Risiken für die öffentliche Gesundheit berücksichtigt. Das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es diesen Ansatz auf Fälle übertragen habe, in denen es um eine möglicherweise fehlende oder geringere Wirksamkeit eines Arzneimittels gehe. Ein möglicherweise unwirksames Arzneimittel könne zwar eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen. Die Beurteilung, ob eine solche Gefahr vorliege, hänge jedoch von einer Einzelfallprüfung für jede betroffene therapeutische Indikation ab, wobei zu berücksichtigen sei, ob es Therapiealternativen gebe und ob das fragliche Arzneimittel unter ärztlicher Kontrolle verschrieben oder angewendet werde.

17      Zweitens habe das Gericht festgestellt, dass berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit von Tolperison bestünden, die es erlaubten, zu einer negativen Bewertung des Kosten-Risiko-Verhältnisses dieses Wirkstoffs zu gelangen. Im vorliegenden Fall gehe es um die Streichung der Indikation „schmerzhafte Muskelverspannungen, insbesondere als Folge von Erkrankungen der Wirbelsäule und der achsennahen Gelenke“, d. h. um die Indikation der Verwendung von Tolperison als Muskelrelaxans für Patienten mit Rückenschmerzen. Bei dieser therapeutischen Indikation werde Tolperison häufig mit Arzneimitteln anderer Wirkstoffgruppen verschrieben, darunter nicht steroidale Antiphlogistika, die schmerzlindernd wirkten. Das Gericht habe nicht berücksichtigt, welchen Stellenwert Tolperison im Rahmen einer Gesamttherapie habe und dass es sich um ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel handele.

18      Nach Ansicht der Kommission geht dieser erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes ins Leere, ist teilweise unzulässig und jedenfalls unbegründet.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

19      Das Gericht hat in Rn. 35 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass nach dem in der Richtlinie 2001/83 vorgesehenen System die Beweislast für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels bei dem eine Zulassung beantragenden Unternehmen liege und dass es Sache der zuständigen Behörde sei, das Vorliegen der in Art. 116 der Richtlinie genannten Voraussetzungen für die Rücknahme, die Aussetzung oder die Änderung einer Zulassung darzutun.

20      Art. 116 der Richtlinie 2001/83 bestimmt insoweit: „Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten setzen die [Zulassung] aus, nehmen sie zurück oder ändern sie, wenn sie der Ansicht sind, dass das Arzneimittel schädlich ist oder dass seine therapeutische Wirksamkeit fehlt oder dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis ungünstig ist oder dass das Arzneimittel nicht die angegebene quantitative und qualitative Zusammensetzung aufweist.“ Weiter heißt es dort: „Von einer fehlenden therapeutischen Wirksamkeit wird ausgegangen, wenn feststeht, dass sich mit dem Arzneimittel keine therapeutischen Ergebnisse erzielen lassen.“

21      Gemäß dem Vorsorgegrundsatz in seiner Auslegung durch den Gerichtshof können bei Unsicherheiten hinsichtlich des Vorliegens oder des Umfangs von Risiken für die menschliche Gesundheit Schutzmaßnahmen getroffen werden, ohne dass abgewartet werden müsste, dass das Bestehen und die Schwere dieser Risiken vollständig dargelegt werden (Urteil Monsanto Agricoltura Italia u. a., C‑236/01, EU:C:2003:431, Rn. 111, sowie in diesem Sinne Urteile Codacons und Federconsumatori, C‑132/03, EU:C:2005:310, Rn. 61, und Agrarproduktion Staebelow, C‑504/04, EU:C:2006:30, Rn. 39).

22      Zwar hat der Gerichtshof u. a. im Urteil Kommission/Dänemark (C‑192/01, EU:C:2003:492, Rn. 49) bereits entschieden, dass die Risikobewertung nicht auf rein hypothetische Erwägungen gestützt werden darf. Er hat jedoch hinzugefügt, dass der Vorsorgegrundsatz den Erlass beschränkender Maßnahmen rechtfertigt, wenn es sich als unmöglich erweist, das Bestehen oder den Umfang des behaupteten Risikos mit Sicherheit festzustellen, weil die Ergebnisse der durchgeführten Studien unzureichend, unschlüssig oder ungenau sind, die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadens für die öffentliche Gesundheit im Fall der Verwirklichung des Risikos jedoch fortbesteht (Urteile Kommission/Dänemark, C‑192/01, EU:C:2003:492, Rn. 52, und Kommission/Frankreich, C‑333/08, EU:C:2010:44, Rn. 93).

23      Im Einklang mit dem Vorsorgegrundsatz hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass zwar alle in Art. 116 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 genannten Gründe bestimmten Gefahren für die öffentliche Gesundheit vorbeugen sollen; diese Gefahren müssen jedoch nicht konkret sein, sondern es genügt, dass sie potenziell bestehen. Vorbehaltlich der Beweisanforderungen und innerhalb der Grenzen des der Kommission zukommenden Ermessens kann sie sich darauf beschränken, ernsthafte und stichhaltige Anhaltspunkte zu liefern, die vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit des fraglichen Arzneimittels, an seiner therapeutischen Wirksamkeit, an einem günstigen Nutzen-Risiko-Verhältnis oder an der angegebenen quantitativen und qualitativen Zusammensetzung erlauben (vgl. in diesem Sinne Urteil Acino/Kommission, C‑269/13 P, EU:C:2014:255, Rn. 59 und 60).

24      Das Gericht hat mithin in Rn. 37 des angefochtenen Urteils zu Recht ausgeführt, dass „[d]er Vorsorgegrundsatz gebietet …, eine Zulassung gemäß Art. 116 der Richtlinie 2001/83 zurückzunehmen, auszusetzen oder zu ändern, wenn neue Daten vorliegen, die ernste Zweifel an der Sicherheit des betreffenden Arzneimittels oder an seiner Wirksamkeit wecken, und wenn diese Zweifel zu einer ungünstigen Beurteilung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses dieses Arzneimittels führen“, und dass sich die Kommission in diesem Zusammenhang „darauf beschränken [kann], ernsthafte und stichhaltige Anhaltspunkte zu liefern, die, ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit oder der Wirksamkeit des Arzneimittels erlauben …“

25      Das Vorbringen, mit dem Nature-Balance eine fehlerhafte Auslegung des Art. 116 der Richtlinie 2001/83 im Hinblick auf den Vorsorgegrundsatz rügt, ist daher zurückzuweisen.

26      Soweit Nature-Balance die Feststellung des Gerichts angreift, wonach berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit von Tolperison vorliegen, ist darauf hinzuweisen, dass gemäß den Art. 256 AEUV und 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union das Rechtsmittel auf Rechtsfragen beschränkt ist und auf die Unzuständigkeit des Gerichts, auf einen Verfahrensfehler, durch den die Interessen des Rechtsmittelführers beeinträchtigt werden, oder auf eine Verletzung des Unionsrechts durch das Gericht gestützt werden muss (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Brazzelli Lualdi u. a., C‑136/92 P, EU:C:1994:211, Rn. 47).

27      Daher ist allein das Gericht für die Feststellung des Sachverhalts – sofern sich nicht aus den Prozessakten ergibt, dass seine Feststellungen tatsächlich falsch sind – und für die Würdigung der herangezogenen Beweise zuständig. Die Feststellung des Sachverhalts und die Würdigung der Beweise stellen demnach, außer im Fall ihrer Verfälschung, keine Rechtsfrage dar, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs unterliegt (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile EIB/Hautem, C‑449/99 P, EU:C:2001:502, Rn. 44, und Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission, C‑105/04 P, EU:C:2006:592, Rn. 69 und 70).

28      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass sich Nature-Balance mit ihrem Vorbringen darauf beschränkt, die vom Gericht in den Rn. 45 bis 49 des angefochtenen Urteils vorgenommene Würdigung der ihm vorgelegten Beweise zu rügen. Dieses Vorbringen ist somit unzulässig.

29      Folglich ist der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

 Zweiter Teil des ersten Rechtsmittelgrundes: fehlerhafte Einstufung von vier wissenschaftlichen Studien im Hinblick auf Art. 116 der Richtlinie 2001/83

–       Vorbringen der Parteien

30      Der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes richtet sich gegen die Rn. 89 und 90 des angefochtenen Urteils.

31      Nature-Balance wirft dem Gericht im Wesentlichen vor, in Rn. 89 des angefochtenen Urteils festgestellt zu haben, dass sich der Ausschuss für Humanarzneimittel auf Studien in Bezug auf die Wirksamkeit von Tolperison habe stützen dürfen, die sie der zuständigen Behörde in Deutschland vor der Durchführung des Verfahrens vorgelegt habe, das zu einer Zulassungsrücknahme oder ‑änderung gemäß Art. 116 der Richtlinie 2001/83 geführt habe, obwohl diese Bewertungen nicht „neu“ gewesen seien.

32      Die Auslegung des Gerichts führe dazu, dass jede nationale Zulassung unter dem Vorbehalt einer anderslautenden Bewertung durch diesen Ausschuss stehe. Die Bewertung von Daten durch nationale Behörden im Rahmen von Zulassungs-, Verlängerungs- oder Pharmakovigilanzverfahren stünde in den Verfahren gemäß Art. 31 der Richtlinie 2001/83 jederzeit zur Disposition. Der Ausschuss und danach die Kommission könnten dann anlässlich solcher Verfahren diejenigen Informationen und Daten, die einer Zulassung zugrunde lägen, neu bewerten. Diese Auslegung widerspreche den Erwägungen des Gerichts in Rn. 177 des Urteils Artegodan u. a./Kommission (T‑74/00, T‑76/00, T‑83/00 bis T‑85/00, T‑132/00, T‑137/00 und T‑141/00, EU:T:2002:283).

33      Ferner habe das Gericht in Rn. 90 des angefochtenen Urteils den Umstand, dass die zuständige Behörde in Deutschland die fraglichen Studien berücksichtigt habe, zu Unrecht als belanglos angesehen, denn diese Berücksichtigung sei im Rahmen einer Untersuchung der Überempfindlichkeit erfolgt. Die deutsche Behörde habe Tolperison entgegen den Feststellungen des Gerichts auch zum Zweck der Beurteilung seiner Wirksamkeit geprüft, die Gegenstand von vier Studien gewesen sei. Das Gericht habe somit die von Nature-Balance im ersten Rechtszug vorgebrachten Argumente und Beweise offensichtlich verfälscht.

34      Die Kommission trägt vor, Nature-Balance versuche, die Tatsachenwürdigungen des Gerichts in Zweifel zu ziehen. Selbst wenn das Vorbringen von Nature-Balance zulässig sein sollte, sei es unbegründet. Für die Zwecke des Art. 116 der Richtlinie 2001/83 sei als „neu“ jedes Kriterium anzusehen, das von den medizinischen Fachkreisen als solches beurteilt werde (vgl. in diesem Sinne Urteil Artegodan/Kommission, C‑221/10 P, EU:C:2012:216, Rn. 103 und 104). Im vorliegenden Fall sei das fragliche Arzneimittel vor der Anrufung des Ausschusses für Humanarzneimittel nicht auf Unionsebene zum Zweck einer Erforschung der mit seiner Anwendung bei der Behandlung schmerzhafter Muskelverspannungen verbundenen Risiken für die öffentliche Gesundheit untersucht worden. Das Gericht habe somit die vom Ausschuss berücksichtigten Risiken als neu ansehen dürfen.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

35      Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass ein Beschluss, mit dem die Zulassung eines Arzneimittels zurückgenommen wird, gerechtfertigt ist, wenn sich nach einer Weiterentwicklung der Kriterien zur Beurteilung der therapeutischen Wirksamkeit eines Arzneimittels konkrete Gesichtspunkte ergeben, die auf ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis bei dem betreffenden Arzneimittel schließen lassen (vgl. in diesem Sinne Urteil Artegodan/Kommission, C‑221/10 P, EU:C:2012:216, Rn. 102 und 103).

36      Insoweit verbietet es keine Bestimmung der Richtlinie 2001/83 dem Ausschuss für Humanarzneimittel, im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 31 dieser Richtlinie relevante Informationen zu berücksichtigen, weil sie bereits einer nationalen Behörde zur Bewertung vorgelegt wurden. Ein solches Verbot wäre umso unverständlicher, als es darauf hinausliefe, dem Ausschuss die Berücksichtigung wissenschaftlicher Daten zu verbieten, die sich im Besitz der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats befinden und die Einleitung des in Art. 31 der Richtlinie vorgesehenen Verfahrens auf Antrag dieses Mitgliedstaats gerechtfertigt haben.

37      Daher hat das Gericht in Rn. 89 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei festgestellt, dass „der Ausschuss [für Humanarzneimittel], wenn er mit besonderen Fällen von Unionsinteresse befasst ist, im Rahmen des Verfahrens nach Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 auf europäischer Ebene seine eigene Bewertung des betreffenden Arzneimittels vornehmen muss“, dass „[d]iese Bewertung durch den Ausschuss … unabhängig von der Bewertung durch die nationalen Behörden“ ist und dass dem Ausschuss insoweit „hinsichtlich der Informationen, die er erstmals zu analysieren hat, nicht entgegengehalten werden [kann], wie eine nationale Behörde in der Vergangenheit diese Informationen beurteilt haben mag“.

38      Die von Nature-Balance gegen Rn. 90 des angefochtenen Urteils erhobene Rüge bezieht sich auf einen nicht tragenden Grund dieses Urteils, wie daraus hervorgeht, dass diese Randnummer mit dem Wort „jedenfalls“ beginnt. Diese Rüge, die nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen kann, geht somit ins Leere.

39      Folglich ist der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

 Dritter Teil des ersten Rechtsmittelgrundes: Beurteilung der Wirksamkeit des in Rede stehenden Arzneimittels

–       Vorbringen der Parteien

40      Nature-Balance wirft dem Gericht vor, in den Rn. 54 bis 65 des angefochtenen Urteils die von ihr angeführten Studien und Metaanalysen zur Wirksamkeit von Tolperison fehlerhaft gewürdigt zu haben. Sie räumt ein, dass derartige Studien im Einzelfall eine geringe oder sogar fehlende Wirksamkeit eines Arzneimittels belegen könnten. Jedoch reiche der bloße Hinweis darauf, dass mit einer oder mehreren Studien kein Wirksamkeitsnachweis erbracht worden sei, nicht für die Feststellung aus, dass ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit eines Arzneimittels bestünden. Es gebe nämlich zahlreiche Gründe, aus denen in einer Studie der Nachweis der Wirksamkeit eines Arzneimittels scheitern könne, u. a. Mängel des Studiendesigns oder hinsichtlich der Größe der erfassten statistischen Proben.

41      Die Kommission macht geltend, dieser Teil des ersten Rechtsmittelgrundes sei unzulässig, weil er darauf abziele, Tatsachenfeststellungen in Zweifel zu ziehen, ohne dass eine Sachverhaltsfälschung dargetan werde.

–       Würdigung durch den Gerichtshof

42      Dieses gegen die Rn. 54 bis 65 des angefochtenen Urteils gerichtete Vorbringen beschränkt sich darauf, die vom Gericht souverän im Rahmen seiner Befugnisse vorgenommene Würdigung der Tatsachen und Beweise zu rügen. Es ist daher nach der in Rn. 27 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung unzulässig.

43      Folglich ist der dritte Teil des ersten Rechtsmittelgrundes und damit dieser Rechtsmittelgrund insgesamt zurückzuweisen.

 Zum zweiten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen Art. 10a und Anhang I der Richtlinie 2001/83

 Vorbringen der Parteien

44      Nature-Balance rügt, dass das Gericht in Rn. 103 des angefochtenen Urteils Art. 10a der Richtlinie 2001/83 im vorliegenden Fall nicht für anwendbar erachtet habe, weil es sich nicht um einen Erstantrag auf Zulassung handele, sondern um ein Prüfverfahren nach Art. 31 der Richtlinie. Nature-Balance trägt vor, wenn diese Auffassung zuträfe, könnten auf Art. 10a der Richtlinie gestützte Zulassungen sofort nach ihrer Erteilung auf der Grundlage von Art. 31 der Richtlinie wieder zurückgenommen werden. Eine solche Auslegung liefe darauf hinaus, dass im Rahmen des Verfahrens nach Art. 31 der Richtlinie 2001/83 ein strengerer Maßstab anzuwenden sei als bei der Erteilung einer Zulassung.

45      Das Gericht scheine in Rn. 104 des angefochtenen Urteils die Auffassung zu vertreten, dass Art. 10a der Richtlinie 2001/83 im Rahmen des Verfahrens nach Art. 31 der Richtlinie eine anerkannte Wirksamkeit sowie einen annehmbaren Grad an Sicherheit voraussetze. Der Ausschuss für Humanarzneimittel habe sich jedoch auf die nach der Erstzulassung von Tolperison veröffentlichten Studien konzentriert. Dies laufe den Bestimmungen von Art. 10a in Verbindung mit Anhang I der Richtlinie 2001/83 zuwider. In Rn. 99 des angefochtenen Urteils habe das Gericht nämlich ausgeführt, dass nach diesen Bestimmungen nicht nur Versuche und Prüfungen als gültiger Nachweis für die Sicherheit und Wirksamkeit eines Arzneimittels dienen könnten, sondern auch andere Informationsquellen, wie z. B. Untersuchungen nach dem Inverkehrbringen und epidemiologische Studien. Außerdem enthielten die Akten keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Ausschuss die etwa 80 in Bezug auf Tolperison durchgeführten Studien geprüft habe.

46      Die Kommission macht geltend, dass Art. 10a der Richtlinie 2001/83 in einem Prüfverfahren nach Art. 31 der Richtlinie nicht anwendbar sei.

 Würdigung durch den Gerichtshof

47      Art. 10a gehört zu Kapitel 1 („Genehmigung für das Inverkehrbringen“) von Titel III („Inverkehrbringen“) der Richtlinie 2001/83. Abweichend von Art. 8 Abs. 3 Buchst. i der Richtlinie sieht Art. 10a vor, dass eine die Zulassung eines Arzneimittels beantragende Person nicht verpflichtet ist, die Ergebnisse der vorklinischen oder klinischen Versuche vorzulegen, sondern diese durch einschlägige wissenschaftliche Dokumentation ersetzen kann, wenn sie nachweist, dass die Wirkstoffe des Arzneimittels für mindestens zehn Jahre in der Union allgemein medizinisch verwendet werden und eine anerkannte Wirksamkeit sowie einen annehmbaren Grad an Sicherheit gemäß den Bedingungen des Anhangs I der Richtlinie aufweisen.

48      Art. 10a der Richtlinie 2001/83 bewirkt somit, dass der Antragsteller von einer der Verpflichtungen befreit wird, die nach Art. 8 der Richtlinie erfüllt sein müssen, um eine Zulassung im Sinne ihres Art. 6 erhalten zu können. Daher ist ein Arzneimittel, dessen Inverkehrbringen gemäß Art. 10a dieser Richtlinie genehmigt wurde, weil der Antragsteller von der dort vorgesehenen Ausnahme Gebrauch gemacht und außerdem alle übrigen in Art. 8 der Richtlinie 2001/83 aufgestellten Verpflichtungen erfüllt hat, als ein gemäß Art. 6 der Richtlinie im Einklang mit ihrem Art. 8 zugelassenes Arzneimittel anzusehen (Urteil Olainfarm, C‑104/13, EU:C:2014:2316, Rn. 26).

49      Art. 10a der Richtlinie 2001/83 schwächt in keiner Weise die Anforderungen ab, denen die Arzneimittel in Bezug auf Sicherheit und Wirksamkeit genügen müssen, sondern soll lediglich die für einen Zulassungsantrag erforderliche Vorbereitungszeit dadurch verkürzen, dass der Antragsteller von der Verpflichtung zur Durchführung der in Art. 8 Abs. 3 Buchst. i der Richtlinie genannten vorklinischen und klinischen Versuche entbunden wird, wenn durch einschlägige wissenschaftliche Dokumentation unter Erfüllung der in Anhang I Teil II Titel 1 der Richtlinie vorgesehenen Anforderungen nachgewiesen wird, dass diese Versuche zu einem früheren Zeitpunkt durchgeführt wurden und den Nachweis erbracht haben, dass der Bestandteil oder die Bestandteile des betreffenden Arzneimittels die in Art. 10a genannten Kriterien erfüllen (Urteil Olainfarm, C‑104/13, EU:C:2014:2316, Rn. 29).

50      Ferner ist darauf hinzuweisen, dass Art. 116 der Richtlinie 2001/83 zu ihrem Titel XI („Überwachung und Sanktionen“) gehört. Wie in den Rn. 21 bis 24 des vorliegenden Urteils dargelegt worden ist, soll diese Vorschrift bestimmten Gefahren für die öffentliche Gesundheit vorbeugen, indem sie von den zuständigen Behörden verlangt, eine Zulassung zurückzunehmen, auszusetzen oder zu ändern, wenn davon ausgegangen wird, dass das betreffende Arzneimittel schädlich ist, die therapeutische Wirkung fehlt, das Nutzen-Risiko-Verhältnis ungünstig ist oder dass es nicht die angegebene quantitative und qualitative Zusammensetzung aufweist.

51      Folglich hat das Gericht in Rn. 103 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei festgestellt, dass „Art. 10a der Richtlinie [2001/83] auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar“ ist.

52      Daher ist der zweite Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

 Zum dritten Rechtsmittelgrund: Verfälschung von Beweisen

 Vorbringen der Parteien

53      Nature-Balance wendet sich gegen Rn. 83 des angefochtenen Urteils, in der das Gericht das Vorbringen, dass zwischen der Schlussfolgerung des Ausschusses für Humanarzneimittel und den Stellungnahmen der Berichterstatter ein Widerspruch bestehe, zurückgewiesen hat.

54      Nature-Balance meint, dass sich die Erwägungen des Gerichts anhand des angefochtenen Urteils nicht nachvollziehen ließen. In dessen Rn. 82 und 83 habe sich das Gericht lediglich mit der Bewertung durch die Wissenschaftliche Beratergruppe „Neurologie“ (im Folgenden: SAG‑N) auseinandergesetzt, die im Gegensatz zum Ausschuss zu dem Ergebnis gelangt sei, dass das mit Tolperison verbundene Risiko akzeptabel und nicht signifikant gestiegen sei. Das Gericht habe sich jedoch nicht zu den Stellungnahmen der Berichterstatter geäußert.

55      In den Rn. 24 bis 26 ihrer Klageschrift habe sie nachgewiesen, dass die Berichterstatter der Behauptung widersprochen hätten, dass das Risiko der Überempfindlichkeit bedeutender sei als bislang angenommen. Die Angabe des Gerichts, ein Widerspruch zwischen den Stellungnahmen der Berichterstatter und der des Ausschusses für Humanarzneimittel bestehe nicht, sei daher offensichtlich falsch.

56      Diese falsche Beweiswürdigung habe offenbar bewirkt, dass das Gericht ihre Argumente zur fehlenden Auseinandersetzung mit den Stellungnahmen der Berichterstatter nicht gewürdigt habe. Außerdem berühre diese Verfälschung die Stichhaltigkeit der Begründung in Rn. 72 des angefochtenen Urteils, in der das Gericht festgestellt habe, dass die Schlussfolgerung des Ausschusses, wonach das Risiko für eine Überempfindlichkeit bedeutender sei, als zuvor nachgewiesen worden sei, nicht in Frage gestellt worden sei. Die unzutreffende Würdigung durch das Gericht in den Rn. 68 bis 72 des angefochtenen Urteils zeige, dass weder der endgültige Bericht noch das endgültige Gutachten eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den im Überprüfungsverfahren geäußerten Gegenargumenten enthielten.

57      Die Kommission hält den dritten Rechtsmittelgrund für unzulässig, weil er in Wirklichkeit auf eine erneute Beweiswürdigung in Bezug auf die Schlussfolgerungen der SAG‑N abziele. Jedenfalls sei dieser Rechtsmittelgrund, der auf einem Fehlverständnis des Gutachtens des Ausschusses für Humanarzneimittel und der Berichte im Rahmen des Überprüfungsverfahrens beruhe, unbegründet.

 Würdigung durch den Gerichtshof

58      Das Gericht hat zur Beantwortung des Vorbringens, mit dem Nature-Balance die Schlussfolgerungen des Ausschusses für Humanarzneimittel zur Wirksamkeit von Tolperison und zu den Risiken dieses Arzneimittels in Frage stellte, in den Rn. 54 bis 64 des angefochtenen Urteils die Begründung des endgültigen Gutachtens des Ausschusses zur Wirksamkeit von Tolperison geprüft. Im Anschluss an diese Prüfung hat das Gericht in Rn. 65 seines Urteils festgestellt, dass „ein verständlicher Zusammenhang zwischen den medizinischen und wissenschaftlichen Feststellungen zur Wirksamkeit von Tolperison bei lokomotorischer Indikation und den Schlussfolgerungen des endgültigen Gutachtens des Ausschusses vor[liegt]“ und dass der Ausschuss „die Gründe angegeben [hat], aus denen er von den Berichten oder Expertisen, die von den betroffenen Unternehmen vorgelegt worden waren, und gegebenenfalls von den Auffassungen der Berichterstatter und Mitberichterstatter abgewichen ist“.

59      In den Rn. 66 bis 72 des angefochtenen Urteils hat das Gericht die Schlussfolgerungen des Ausschusses zu den Risiken von Tolperison geprüft. Entgegen dem Vorbringen von Nature-Balance hat das Gericht die ihm vorgelegten Beweise nicht verfälscht, als es festgestellt hat, dass zwischen den Stellungnahmen der Berichterstatter und dem endgültigen Gutachten des Ausschusses für Humanarzneimittel kein Widerspruch bestehe. So hat das Gericht in Rn. 70 des Urteils ausgeführt, im gemeinsamen Überprüfungsbericht hätten der Berichterstatter und der Mitberichterstatter die Auffassung vertreten, dass „die Risiken von Tolperison trotz der Zunahme von Überempfindlichkeitsreaktionen, deren absolute Fallzahl im Verhältnis zur Gesamtexposition der Patienten gering sei, und trotz der signifikanten Erhöhung des Risikos von Tolperison in Deutschland akzeptabel seien“.

60      In Rn. 71 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt: „Die SAG‑N kam ihrerseits zu dem Ergebnis, dass die Berichte über Überempfindlichkeitsreaktionen zugenommen hätten, aber nicht in signifikanter Weise. Sie empfahl jedoch, die Sicherheit von Tolperison weiterhin zu überwachen, um festzustellen, ob der offensichtliche Anstieg an der Tendenz zur Übererfassung in Deutschland oder der zu Meldelücken in anderen Ländern liege.“

61      In Rn. 72 seines Urteils hat das Gericht hinzugefügt: „Aus der vorstehenden Analyse ergibt sich, dass die Schlussfolgerung des Ausschusses [für Humanarzneimittel], das Risiko für eine Überempfindlichkeit gegenüber Tolperison sei bedeutender, als zuvor nachgewiesen worden sei, den Schlussfolgerungen der Berichterstatter und Mitberichterstatter sowie anderer Experten im Prüfungsverfahren für Tolperison nicht widerspricht.“

62      Die Gründe, aus denen das Gericht trotz der von Nature-Balance vorgebrachten Gegenargumente zu dieser Schlussfolgerung gelangen konnte, werden in Rn. 83 des angefochtenen Urteils dargelegt; darin heißt es: „[D]er Ausschuss [hat] nur den Schluss gezogen …, dass das Risiko für eine Überempfindlichkeit gegenüber Tolperison bedeutender sei, als bis dahin nachgewiesen worden sei. Anders als dies im gemeinsamen Überprüfungsbericht geschehen ist, hat der Ausschuss nicht beurteilt, ob dieses Risiko ‚akzeptabel‘ war oder ‚signifikant‘ gestiegen ist, wie dies die SAG‑N getan hat. Daher besteht kein Widerspruch zwischen der Schlussfolgerung des Ausschusses, dem gemeinsamen Überprüfungsbericht und den Schlussfolgerungen der SAG‑N.“

63      Das Gericht hat somit festgestellt, dass sich der Ausschuss für Humanarzneimittel auf den Hinweis beschränkt hat, dass das Risiko für eine Überempfindlichkeit bedeutender sei, als bis dahin nachgewiesen worden sei, ohne – wie der gemeinsame Überprüfungsbericht und die SAG‑N – diese Entwicklung einstufen oder quantifizieren zu wollen. Auf der Grundlage dieser Feststellungen zu den Unterschieden zwischen dem vom Ausschuss für Humanarzneimittel verfolgten Ansatz einerseits und dem gemeinsamen Überprüfungsbericht sowie den Schlussfolgerungen der SAG‑N andererseits konnte das Gericht, ohne die ihm vorgelegten Beweise zu verfälschen, in Rn. 84 des angefochtenen Urteils zu dem Ergebnis gelangen, dass „das Vorbringen [von Nature-Balance] zu einem Widerspruch zwischen dem endgültigen Gutachten des Ausschusses und den Stellungnahmen der Berichterstatter und Mitberichterstatter im Prüfungs- und im Überprüfungsverfahren für Tolperison zurückzuweisen“ sei.

64      Der dritte Rechtsmittelgrund greift daher nicht durch.

65      Nach alledem ist das Rechtsmittel als teils unzulässig und im Übrigen unbegründet zurückzuweisen.

 Kosten

66      Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach ihrem Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung von Nature-Balance zur Tragung der Kosten beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2.      Die PP Nature-Balance Lizenz GmbH trägt die Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.

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Referenzen

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