Schlussantrag des Generalanwalts vom Europäischer Gerichtshof - C-14/15, C-116/15
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
NILS WAHL
vom 7. Juni 2016 ( *1 )
Verbundene Rechtssachen C‑14/15 und C‑116/15
Europäisches Parlament
gegen
Rat der Europäischen Union
„Nichtigkeitsklage — Rechtsgrundlage — Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen — Beschlüsse 2014/731/EU, 2014/743/EU, 2014/744/EU und 2014/911/EU — Automatisierter Informationsaustausch — Fahrzeugregisterdaten — Daktyloskopische Daten — Beschlussfassungsverfahren — Wirkung des Inkrafttretens des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union — Übergangsbestimmungen — Art. 9 des Protokolls Nr. 36 — Begriffe ‚Basisrechtsakte‘ und ‚Durchführungsmaßnahmen‘ — Abgeleitete Rechtsgrundlage — Anhörung des Parlaments — Initiative eines Mitgliedstaats oder der Kommission — Abstimmungsregeln“
1. |
Die vorliegenden, vom Europäischen Parlament erhobenen Nichtigkeitsklagen betreffen vier Beschlüsse ( *2 ) (im Folgenden: angefochtene Beschlüsse) aus dem Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in der Union (ehemaliger Titel VI des EU-Vertrags; „die dritte Säule“), die der Rat nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon erlassen hat. Bekanntlich hatte das Inkrafttreten dieses Vertrags eine beispiellose Wirkung auf den institutionellen und rechtlichen Rahmen für den Erlass von Maßnahmen im Bereich der dritten Säule: Durch den mit diesem Vertrag bewirkten „Lissabon-Prozess“ wurde die dritte Säule in den supranationalen Rechtsrahmen der Union überführt. |
2. |
Um einen reibungslosen Übergang von einer weitgehend zwischenstaatlichen Entscheidungsfindung hin zu einem neuen Rechtsrahmen der Union in diesem Bereich sicherzustellen, wurde den Verträgen das Protokoll Nr. 36 über die Übergangsbestimmungen beigefügt. Die angefochtenen Beschlüsse wurden auf der Grundlage eines Rechtsakts erlassen, der in den Geltungsbereich von Art. 9 des Protokolls Nr. 36 fällt ( *3 ). Gemäß dieser Bestimmung behalten die Rechtsakte, die vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Bereich der dritten Säule angenommen wurden, so lange Rechtswirkung, bis sie aufgehoben, für nichtig erklärt oder geändert werden. |
3. |
In unlängst entschiedenen Rechtssachen hat der Gerichtshof bereits eine Reihe grundlegender Fragen geklärt, die sich aus der Anwendung dieser Übergangsbestimmung ergeben ( *4 ). Ungeachtet dieses Umstands und der engen Verbindung, in der die vorliegenden Klagen zu diesen Rechtssachen stehen, werden durch die Klagen des Parlaments auch Fragen aufgeworfen, mit denen sich der Gerichtshof noch nicht befasst hat, wie etwa zur Rechtsnatur der angefochtenen Beschlüsse in Fällen, in denen diese Beschlüsse in einem „hybriden“ Beschlussfassungsverfahren angenommen wurden, sowie zur Rechtmäßigkeit eines solchen Verfahrens. |
I – Rechtlicher Rahmen
A – Einschlägige Vertragsbestimmungen (vor dem Vertrag von Lissabon)
4. |
Art. 34 Abs. 2 EU bestimmt: „Der Rat ergreift Maßnahmen und fördert in der geeigneten Form und nach den geeigneten Verfahren, die in diesem Titel festgelegt sind, eine Zusammenarbeit, die den Zielen der Union dient. Hierzu kann er auf Initiative eines Mitgliedstaats oder der Kommission einstimmig: …
…“ |
5. |
Art. 39 Abs. 1 EU bestimmt: „Der Rat hört das Europäische Parlament, bevor er eine Maßnahme nach Artikel 34 Absatz 2 Buchstaben b, c und d annimmt. …“ |
B – Protokoll Nr. 36
6. |
Art. 9 des Protokolls Nr. 36 bestimmt: „Die Rechtsakte der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, die vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon auf der Grundlage des Vertrags über die Europäische Union angenommen wurden, behalten so lange Rechtswirkung, bis sie in Anwendung der Verträge aufgehoben, für nichtig erklärt oder geändert werden. Dies gilt auch für Übereinkommen, die auf der Grundlage des Vertrags über die Europäische Union zwischen Mitgliedstaaten geschlossen wurden.“ |
C – Einschlägige Beschlüsse
1. Beschluss 2008/615/JI ( *5 )
7. |
Art. 1 des Beschlusses 2008/615 lautet: „Mit diesem Beschluss bezwecken die Mitgliedstaaten, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, insbesondere den Informationsaustausch zwischen den für die Verhinderung und Verfolgung von Straftaten zuständigen Behörden, in den unter Titel VI des Vertrags fallenden Bereichen zu vertiefen. Hierfür enthält dieser Beschluss Regelungen für folgende Bereiche:
…“ |
8. |
In Kapitel 6 des Beschlusses 2008/615 sind die allgemeinen Bestimmungen zum Datenschutz im Zusammenhang mit Informationsaustauschvorgängen niedergelegt, die auf der Grundlage dieses Beschlusses stattfinden. |
9. |
Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 sieht vor: „Die in diesem Beschluss vorgesehene Übermittlung personenbezogener Daten darf erst beginnen, wenn die Bestimmungen dieses Kapitels in das innerstaatliche Recht des an der Übermittlung beteiligten Mitgliedstaats umgesetzt worden sind. Der Rat stellt durch einstimmigen Beschluss fest, ob diese Voraussetzung erfüllt ist.“ |
10. |
Art. 33 des Beschlusses 2008/615 bestimmt: „Der Rat nimmt mit qualifizierter Mehrheit und nach Anhörung des Europäischen Parlaments die für die Durchführung dieses Beschlusses auf Unionsebene erforderlichen Maßnahmen an.“ |
2. Beschluss 2008/616/JI ( *6 )
11. |
Art. 20 des Beschlusses 2008/616 bestimmt: „(1) Der Rat fasst einen Beschluss gemäß Artikel 25 Absatz 2 des Beschlusses [2008/615] auf der Grundlage eines Bewertungsberichts, dem ein Fragebogen zugrunde liegt. (2) Im Zusammenhang mit dem automatisierten Datenaustausch gemäß Kapitel 2 des Beschlusses [2008/615] stützt sich der Bewertungsbericht außerdem auf einen Bewertungsbesuch und einen Testlauf, der durchgeführt wird, nachdem der betreffende Mitgliedstaat das Generalsekretariat gemäß Artikel 36 Absatz 2 Satz 1 des Beschlusses [2008/615] unterrichtet hat. (3) Weitere Einzelheiten zu dem Verfahren sind in Kapitel 4 des Anhangs zu diesem Beschluss festgelegt.“ |
3. Angefochtene Beschlüsse
12. |
In den Erwägungsgründen 1 bis 3 der angefochtenen Beschlüsse, die auf der Grundlage der Beschlüsse 2008/615 und 2008/616 angenommen wurden, wird erläutert:
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13. |
Art. 1 des Beschlusses 2014/731 bestimmt: „Für die Zwecke des automatisierten Abrufs von Fahrzeugregisterdaten hat Malta die allgemeinen Datenschutzbestimmungen des Kapitels 6 des Beschlusses [2008/615] vollständig umgesetzt und ist berechtigt, personenbezogene Daten nach Artikel 12 des genannten Beschlusses ab dem Tag des Inkrafttretens des vorliegenden Beschlusses zu empfangen und zu übermitteln.“ |
14. |
Art. 1 des Beschlusses 2014/743 bestimmt: „Für die Zwecke des automatisierten Abrufs von Fahrzeugregisterdaten hat Zypern die allgemeinen Datenschutzbestimmungen des Kapitels 6 des Beschlusses [2008/615] vollständig umgesetzt und ist berechtigt, personenbezogene Daten nach Artikel 12 des genannten Beschlusses ab dem Tag des Inkrafttretens des vorliegenden Beschlusses zu empfangen und zu übermitteln.“ |
15. |
Art. 1 des Beschlusses 2014/744 bestimmt: „Für die Zwecke des automatisierten Abrufs von Fahrzeugregisterdaten hat Estland die allgemeinen Datenschutzbestimmungen des Kapitels 6 des Beschlusses [2008/615] vollständig umgesetzt und ist berechtigt, personenbezogene Daten nach Artikel 12 des genannten Beschlusses ab dem Tag des Inkrafttretens des vorliegenden Beschlusses zu empfangen und zu übermitteln.“ |
16. |
Art. 1 des Beschlusses 2014/911 bestimmt: „Für die Zwecke des automatisierten Abrufs daktyloskopischer Daten hat Lettland die allgemeinen Datenschutzbestimmungen des Kapitels 6 des Beschlusses [2008/615] vollständig umgesetzt und ist berechtigt, personenbezogene Daten nach Artikel 9 des genannten Beschlusses ab dem Tag des Inkrafttretens des vorliegenden Beschlusses zu empfangen und zu übermitteln.“ |
II – Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien
17. |
Mit Schriftsätzen vom 14. Januar und 6. März 2015 hat das Parlament gemäß Art. 263 Abs. 2 AEUV die vorliegenden Nichtigkeitsklagen erhoben. |
18. |
Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 8. April 2015 sind die beiden Rechtssachen zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden. Mit Beschlüssen des Präsidenten des Gerichtshofs vom 24. Juni 2015 sind die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich Schweden in beiden Rechtssachen als Streithelferinnen zur Unterstützung des Rates zugelassen worden. Ungeachtet ihrer Zulassung zur Streithilfe hat die deutsche Regierung im vorliegenden Verfahren keine Stellungnahme eingereicht. |
19. |
Das Parlament beantragt mit seinen Klagen,
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20. |
Der Rat, unterstützt von der schwedischen Regierung, beantragt,
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21. |
Gemäß Art. 76 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist keine mündliche Verhandlung durchgeführt worden. |
III – Analyse
A – Einleitende Überlegungen
22. |
Im Rahmen dieser Nichtigkeitsklagen bestreitet das Parlament die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Beschlüsse des Rates. In diesen Beschlüssen wird im Wesentlichen festgestellt, dass bestimmte Mitgliedstaaten die allgemeinen Datenschutzbestimmungen des Kapitels 6 des Beschlusses 2008/615 umgesetzt haben und dass sie berechtigt sind, Daten im Sinne des Beschlusses 2008/615 ab einem bestimmten Datum zu empfangen und zu übermitteln. Einfach ausgedrückt ist die praktische Folge der angefochtenen Beschlüsse, dass die betreffenden Mitgliedstaaten Zugang zu einem System erhalten, das den Austausch von Informationen zu DNA-Profilen, daktyloskopischen Daten (Fingerabdrücken) und bestimmten nationalen Fahrzeugregisterdaten ermöglicht ( *7 ). |
23. |
Das Parlament macht als Hauptrüge geltend, dass der Rat in jedem dieser Fälle die falsche Rechtsgrundlage herangezogen habe. Ferner trägt es vor, dass im Beschlussfassungsverfahren, das zum Erlass der genannten Beschlüsse geführt hat, bestimmte Formvorschriften verletzt worden seien. |
24. |
Der Rat ist der Auffassung, dass die angefochtenen Beschlüsse im Licht von Art. 9 des Protokolls Nr. 36 auf der richtigen Rechtsgrundlage erlassen worden seien, nämlich Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615. Er tritt zwar der Mehrheit der vom Parlament vorgebrachten Argumente betreffend Formvorschriften entgegen, räumt aber ein, dass er das Parlament im Beschlussfassungsverfahren hätte anhören müssen. |
25. |
Für die Entscheidung über die vom Parlament erhobenen Klagen muss der Gerichtshof unter anderem die Rechtsnatur der angefochtenen Beschlüsse bestimmen, die zwischen den Parteien streitig ist. Diese Frage hat erhebliche Auswirkungen darauf, wie der in Art. 277 AEUV geregelte und vom Parlament im Hinblick auf Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 geltend gemachte Klagegrund der Rechtswidrigkeit und der zweite Klagegrund, wonach Formvorschriften verletzt worden sein sollen, zu behandeln sind. |
B – Rechtsgrundlage
26. |
Im Rahmen des ersten Klagegrundes macht das Parlament geltend, der Rat habe für den Erlass der angefochtenen Beschlüsse die falsche Rechtsgrundlage herangezogen. Dieses Vorbringen stützt das Parlament auf mehrere Argumente. |
27. |
Zum einen macht es geltend, dass der Rat sich auf eine im AEU‑Vertrag geregelte Rechtsgrundlage hätte stützen müssen. Denn die angefochtenen Beschlüsse seien Basisrechtsakte, die auf einer Stufe mit dem Beschluss 2008/615 stünden; als solche hätten sie auf derselben Rechtsgrundlage wie dieser Beschluss, und zwar in ihrer durch den Vertrag von Lissabon geänderten Fassung, erlassen werden müssen. Dafür hätten Art. 82 Abs. 1 Buchst. d und Art. 87 Abs. 2 Buchst. a AEUV herangezogen werden müssen. |
28. |
Zum anderen ist das Parlament der Ansicht, wenn die angefochtenen Beschlüsse nicht als Basisrechtsakte, sondern als Maßnahmen angesehen würden, die der Durchführung des Beschlusses 2008/615 dienten, stelle Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 jedenfalls eine rechtswidrige abgeleitete Rechtsgrundlage dar. Diese Bestimmung sehe nämlich ein Beschlussfassungsverfahren vor, das mit dem zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses 2008/615 geltenden Primärrecht (Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU in Verbindung mit Art. 39 Abs. 1 EU) unvereinbar sei. |
29. |
Vor einer Stellungnahme zum ersten Klagegrund müssen zwei andere Fragen behandelt werden. Die erste betrifft Art. 9 des Protokolls Nr. 36, die zweite die Rechtsnatur der angefochtenen Beschlüsse. |
1. Art. 9 des Protokolls Nr. 36
30. |
Im Rahmen des ersten Klagegrundes macht das Parlament geltend, Art. 9 des Protokolls Nr. 36 erfasse nur substanzielle Rechtsakte und nicht Rechtsakte, die Formvorschriften für den Erlass anderer Maßnahmen niederlegten. Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 habe daher keine eigenständige Rechtsgrundlage für die angefochtenen Beschlüsse sein können. |
31. |
Diese Frage hat der Gerichtshof bereits geklärt. Er hat entschieden, dass eine einschränkende Auslegung von Art. 9 des Protokolls Nr. 36 dieser Bestimmung jede praktische Wirkung nähme. Dies wäre der Fall, wenn man annähme, dass die Bestimmung lediglich bedeutet, dass Rechtsakte im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon nicht automatisch aufgehoben werden ( *8 ). In der Tat darf nicht übersehen werden, dass Art. 9 des Protokolls Nr. 36 so zu verstehen ist, dass er insbesondere sicherstellen soll, dass Rechtsakte, die im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen erlassen wurden, ungeachtet der Veränderungen, die sich im institutionellen Rahmen dieser Zusammenarbeit ergeben haben, weiterhin wirksam angewendet werden können ( *9 ). Demgemäß entfalten Rechtsakte, die vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ordnungsgemäß auf der Grundlage des EU-Vertrags erlassen wurden und Regeln für den Erlass anderer Maßnahmen festlegen, weiterhin ihre Rechtswirkungen ( *10 ). |
32. |
Daher bleibt die Wirkung von Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 (und damit zugleich von Art. 33 des Beschlusses 2008/615) gemäß Art. 9 des Protokolls Nr. 36 auch nach der Aufhebung des Art. 34 EU (auf dessen Grundlage der Beschluss 2008/615 erlassen wurde) erhalten. Dies bedeutet außerdem, dass die in Art. 25 Abs. 2 (und Art. 33) enthaltenen Formvorschriften ungeachtet der Veränderungen, die seither im Verfassungsrahmen der Europäischen Union stattgefunden haben, fortbestehen und weiter gelten. |
33. |
Dies vorausgeschickt bleibt noch die Frage zu beantworten, ob es sich bei den angefochtenen Beschlüssen, wie das Parlament meint, um Basisrechtsakte oder, wie der Rat meint, um Durchführungsmaßnahmen handelt. |
2. Rechtsnatur der angefochtenen Beschlüsse
34. |
Das Parlament macht geltend, dass es sich bei den angefochtenen Beschlüssen um Basisrechtsakte und nicht um Durchführungsmaßnahmen handle. In diesem Zusammenhang verweist es darauf, dass das in Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 vorgesehene Verfahren für den Erlass der angefochtenen Beschlüsse Einstimmigkeit im Rat erfordere. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses 2008/615 habe Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU zwei unterschiedliche Verfahren für den Erlass von Basisrechtsakten und von Durchführungsmaßnahmen vorgesehen: Nur Basisrechtsakte hätten Einstimmigkeit im Rat erfordert. Ein Hinweis ergebe sich auch daraus, dass Art. 33 des Beschlusses 2008/615 eine gesonderte Rechtsgrundlage für den Erlass von Durchführungsmaßnahmen enthalte. Ungeachtet dieser Bestimmung habe der Rat die angefochtenen Beschlüsse nicht auf dieser Grundlage erlassen. Vor dem Hintergrund dieser Wahl könnten die angefochtenen Beschlüsse nicht als Durchführungsmaßnahmen, sondern müssten als Basisrechtsakte angesehen werden, die auf einer Stufe mit dem Beschluss 2008/615 stünden. Ferner enthielten die Titel der angefochtenen Beschlüsse nicht den Begriff „Durchführung“, was ebenfalls darauf hinweise, dass es sich bei ihnen tatsächlich um Basisrechtsakte handle. Die angefochtenen Beschlüsse ergänzten den Beschluss 2008/615 hinsichtlich des Datums, ab dem ein Mitgliedstaat berechtigt ist, auf das System des automatisierten Datenaustauschs zuzugreifen. |
35. |
Der Rat macht geltend, dass Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 ihm Durchführungsbefugnisse verleihe und dass die angefochtenen Beschlüsse daher Durchführungsmaßnahmen darstellten. Der Wortlaut des Art. 25 Abs. 2 und die Tatsache, dass der einzige Zweck der angefochtenen Beschlüsse darin bestehe, die Ziele des Beschlusses 2008/615 umzusetzen, wiesen deutlich darauf hin, dass die angefochtenen Beschlüsse Durchführungsmaßnahmen seien. Nach Ansicht des Rates lässt das Vorbringen des Parlaments die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs außer Acht, wonach die Rechtsgrundlage das zu beachtende Verfahren bestimme und nicht umgekehrt. |
36. |
Wie ich noch erläutern werde, überzeugen mich die vom Parlament vorgetragenen Argumente nicht. |
37. |
Die Rechtsprechung des Gerichtshofs ist für das Verständnis der Abgrenzung von „Basisrechtsakten“ und „Durchführungsmaßnahmen“ hilfreich. Basisrechtsakte fallen in die Zuständigkeit der Gesetzgebung, da sie für die betreffende Angelegenheit wesentliche Regelungen enthalten und in diesem Sinne politische Entscheidungen erfordern. Der Erlass solcher wesentlicher Regelungen kann nicht delegiert werden ( *11 ). Der Rechtsprechung ist außerdem zu entnehmen, dass diese wesentlichen Elemente anhand objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen sind, die einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich sind, und dass sie die Merkmale und Besonderheiten des betreffenden Gebiets berücksichtigen müssen ( *12 ). Auch der gesetzgeberische Kontext ist zu berücksichtigen ( *13 ). |
38. |
In den Erwägungsgründen des Beschlusses 2008/615 heißt es, dass mit ihm die wesentlichen Bestimmungen des Prümer Vertrags ( *14 ) in den Rechtsrahmen der Europäischen Union überführt werden sollen. Insbesondere soll der Beschluss der Verbesserung des Informationsaustauschs zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten mit dem Ziel der Aufdeckung und Untersuchung von Straftaten dienen. |
39. |
Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 legt fest, dass die Übermittlung von personenbezogenen Daten erst beginnen darf, wenn die Datenschutzbestimmungen in das innerstaatliche Recht umgesetzt worden sind und der Rat für jeden Mitgliedstaat und jede Kategorie von ausgetauschten Informationen (DNA-Profile, daktyloskopische Daten, Fahrzeugregisterdaten) durch einstimmigen Beschluss festgestellt hat, ob diese Voraussetzung erfüllt ist. Gemäß Art. 20 des Beschlusses 2008/616 handelt der Rat insoweit auf der Grundlage eines Bewertungsberichts, der von Experten der bereits beteiligten Mitgliedstaaten erstellt wird. Der Bericht stützt sich auf einen Fragebogen, einen Bewertungsbesuch und einen Testlauf der betreffenden Datenbank. Auf der Grundlage dieses Berichts kann beurteilt werden, ob der betreffende Mitgliedstaat ein Datenschutzsystem eingerichtet hat und ob die technischen und rechtlichen Voraussetzungen für automatisierte Abfragen und das Abrufen von Daten von anderen Mitgliedstaaten erfüllt sind und ob seine Datenbank mit den Datenbanken der anderen Mitgliedstaaten kompatibel ist. |
40. |
Vor diesem Hintergrund wird in den angefochtenen Beschlüssen im Wesentlichen i) festgestellt, dass die fraglichen Mitgliedstaaten die vorbereitende Bewertungsphase im Sinne von Art. 20 des Beschlusses 2008/616 erfolgreich durchlaufen haben, und ii) diesen Mitgliedstaaten auf der Grundlage dieser Feststellung ab einem bestimmten Datum Zugang zum System des automatisierten Datenaustauschs gewährt. |
41. |
Auch wenn die angefochtenen Beschlüsse ein notwendiger Schritt sind, bevor ein Informationsaustausch stattfinden kann, bedeutet dies nicht, dass sie dem Beschluss 2008/615 selbst ähnliche Basisrechtsakte darstellen. Meines Erachtens lässt sich nicht sagen, dass sich der Inhalt der angefochtenen Beschlüsse auf die politischen Entscheidungen auswirkt, die bei der Einrichtung eines Informationsaustauschsystems zu treffen sind. |
42. |
Zudem weist der Rat zutreffend darauf hin, dass die Rechtsgrundlage das zu befolgende Verfahren bestimme und nicht umgekehrt ( *15 ). In diesem Sinne bin ich nicht davon überzeugt, dass aus dem in Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 vorgeschriebenen Verfahren weitreichende Schlüsse auf die Rechtsnatur der angefochtenen Beschlüsse gezogen werden können. |
43. |
Dem Standpunkt des Parlaments zu folgen, würde außerdem bedeuten, dass immer dann, wenn ein Mitgliedstaat die vorbereitende Bewertung und die Testphase, die für den im Beschluss 2008/615 geregelten Informationsaustausch erforderlich sind, durchlaufen hat, der Gesetzgeber an der Entscheidung beteiligt wäre, ob die in Kapitel 6 dieses Beschlusses genannten Datenschutzmaßnahmen ergriffen worden sind, und an der Feststellung, dass dem fraglichen Mitgliedstaat unmittelbarer Zugang zu vom Beschluss 2008/615 erfassten Daten gewährt werden kann. Meines Erachtens würde ein derart weites Verständnis des Begriffs des Basisrechtsakts den Bereich der Durchführung praktisch auf null reduzieren. |
44. |
Schließlich hat das Parlament kein überzeugendes Argument vorgetragen, um zu erklären, wie die angefochtenen Beschlüsse als autonome Entscheidungen angesehen werden könnten, deren Zweck sich in irgendeiner Weise von dem des Beschlusses 2008/615 unterscheidet. Ganz im Gegenteil bilden diese Beschlüsse, wie bereits erläutert, einen wesentlichen und notwendigen Bestandteil des Verfahrens zur Erreichung der Ziele des Beschlusses 2008/615. In diesem Zusammenhang kann aus dem Fehlen des Wortes „Durchführung“ meines Erachtens nicht geschlossen werden, dass die angefochtenen Beschlüsse Basisrechtsakte sind. |
45. |
Ich gelange daher zu dem Ergebnis, dass die angefochtenen Beschlüsse Durchführungsmaßnahmen darstellen und dass die gegenteiligen Argumente des Parlaments zurückzuweisen sind. Dasselbe gilt für die Argumente, dass die angefochtenen Beschlüsse nicht auf den Beschluss 2008/615 gestützt werden könnten und stattdessen auf bestehende Bestimmungen des AEU-Vertrags hätten gestützt werden müssen. |
46. |
Vor dem Hintergrund dieses Ergebnisses wende ich mich nun der Einrede der Rechtswidrigkeit zu, die das Parlament in Bezug auf Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 vorgebracht hat. |
3. Rechtmäßigkeit von Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615
47. |
Das Parlament macht geltend, dass Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 ein vereinfachtes Verfahren regle, das in Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU, der für den Erlass von Basisrechtsakten eine vorhergehende Initiative eines Mitgliedstaats oder der Kommission sowie die Anhörung des Parlaments verlange, nicht vorgesehen sei. Selbst wenn der Gerichtshof die Auffassung vertreten sollte, dass die angefochtenen Beschlüsse Durchführungsmaßnahmen seien, unterscheide sich doch das in Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 geregelte Verfahren von dem nach Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU, und zwar nicht nur, weil Art. 25 Abs. 2 weder die vorhergehende Initiative eines Mitgliedstaats oder der Kommission noch eine Anhörung des Parlaments verlange, sondern auch, weil diese Bestimmung Einstimmigkeit im Rat verlange. Folglich seien die angefochtenen Beschlüsse wegen der Rechtswidrigkeit von Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 für nichtig zu erklären. |
48. |
Der Rat macht demgegenüber geltend, dass die Rechtmäßigkeit von Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofs ( *16 ) nicht schon deshalb in Frage gestellt werde, weil er, zugegebenermaßen, unglücklich formuliert sei. Die streitige Bestimmung lasse sich mit den einschlägigen Bestimmungen des EU‑Vertrags (Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU in Verbindung mit Art. 39 Abs. 1 EU) ungeachtet dessen in Einklang bringen, dass in ihr weder eine Anhörung des Parlaments erwähnt sei noch die verschiedenen Schritte innerhalb des Verfahrens genannt seien, die zur Einbeziehung eines Mitgliedstaats in das mit dem Beschluss 2008/615 eingerichtete System führten. |
49. |
In dieser Hinsicht bekräftigt der Rat erneut seine Ansicht, dass die angefochtenen Beschlüsse Durchführungsmaßnahmen seien, und führt aus, dass Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU für den Erlass von Umsetzungsmaßnahmen jedenfalls keine vorhergehende Initiative der Kommission oder eines Mitgliedstaats verlange. Auch hinsichtlich des Erfordernisses der Anhörung des Parlaments sei nicht entscheidend, das dieses nicht ausdrücklich in der Bestimmung enthalten sei, da nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs gleichwohl eine rechtskonforme Auslegung möglich sei. |
50. |
Schließlich befasst sich der Rat mit dem in Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 niedergelegten Einstimmigkeitserfordernis. Die in dem Beschluss enthaltene Wendung „stellt durch einstimmigen Beschluss fest“ statt der Formulierung „erlässt einstimmig einen Beschluss“ lasse Raum für Auslegung, und dementsprechend seien der Kontext, in dem die Bestimmung stehe, und ihre Ziele zu berücksichtigen. Das Einstimmigkeitserfordernis umfasse in Wirklichkeit zwei gesonderte Schritte innerhalb des Beschlussfassungsverfahrens. Zunächst stellten die Mitgliedstaaten (auf der Grundlage des Ergebnisses der durchgeführten vorbereitenden Bewertungen, siehe hierzu oben, Nr. 39) durch einstimmigen Beschluss fest, ob der fragliche Mitgliedstaat die Bewertung erfolgreich durchlaufen habe. Nach der Struktur des Datenaustauschsystems, die den beteiligten Mitgliedstaaten unmittelbaren Zugriff auf die nationalen Datenbanken der anderen Mitgliedstaaten gestatte, erfordere ein erfolgreiches Durchlaufen der vorbereitenden Bewertungen notwendigerweise die Zustimmung eines jeden Mitgliedstaats. Im zweiten Schritt werde dann mit qualifizierter Mehrheit förmlich über die Zulassung des Mitgliedstaats und über das Datum, zu dem der Datenaustausch aufgenommen werden könne, entschieden. Gemäß Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 fielen diese beiden Schritte in einem einzigen Beschluss zusammen. |
51. |
Wie beide Parteien anerkennen, ist entscheidend, dass die Regeln für die Beschlussfassung der Unionsorgane durch die Verträge festgelegt sind. Die Beachtung dieser Regeln steht nicht im Ermessen der Mitgliedstaaten oder der Unionsorgane. Dementsprechend können keine abgeleiteten Rechtsgrundlagen geschaffen werden, die die in den Verträgen niedergelegten Regeln stärken oder schwächen ( *17 ). Dieser wichtige Grundsatz gilt auch für den Erlass von Durchführungsmaßnahmen ( *18 ). |
52. |
Zu beachten ist auch, dass die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme der Union nach der Sach- und Rechtslage zu beurteilen ist, die zum Zeitpunkt des Erlasses des betreffenden Beschlusses gegeben war ( *19 ). |
53. |
Ich habe bereits festgestellt, dass die angefochtenen Beschlüsse als Durchführungsmaßnahmen anzusehen sind. Demgemäß sollte die Rechtmäßigkeit von Art. 25 des Beschlusses 2008/615 im Licht der Bestimmungen beurteilt werden, die zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Beschlusses für den Erlass von Durchführungsmaßnahmen im Rahmen der dritten Säule galten, nämlich Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU und Art. 39 Abs. 1 EU ( *20 ). Gemäß diesen Bestimmungen kann der Rat nach Anhörung des Parlaments mit qualifizierter Mehrheit die Maßnahmen annehmen, die für Durchführungsbeschlüsse im Rahmen der dritten Säule erforderlich sind. |
54. |
Der Wortlaut von Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 schreibt weder eine Initiative der Kommission oder eines Mitgliedstaats vor, noch verpflichtet diese Bestimmung den Rat zur Anhörung des Parlaments. Außerdem weicht sie von Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU insofern ab, als sie einen einstimmigen Beschluss des Rates verlangt. |
55. |
Obwohl ich dem Rat darin zustimme, dass Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 mit Art. 34 Abs. 2 Buchst. c und Art. 39 Abs. 1 EU hinsichtlich der Aspekte Initiative ( *21 ) und Anhörung des Parlaments ( *22 ) in Einklang gebracht werden kann, bin ich doch nicht überzeugt, dass dasselbe für das Einstimmigkeitserfordernis in Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 gilt. Dieses Erfordernis weicht deutlich von Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU ab, der für die Annahme von Durchführungsmaßnahmen eine qualifizierte Mehrheit vorschreibt. |
56. |
Gewiss müssen, wie der Rat argumentiert, bei der Auslegung einer Bestimmung ihr Zweck und ihr rechtlicher Kontext berücksichtigt werden ( *23 ). Zudem hat der Gerichtshof entschieden, dass eine Bestimmung möglichst so auszulegen ist, dass ihre Wirksamkeit erhalten bleibt ( *24 ). Diese Auslegungsgrundsätze dürfen jedoch nicht überdehnt werden, und zwar insbesondere dann nicht, wenn ein anderer Grundsatz von grundlegender Bedeutung gefährdet sein könnte, nämlich der Grundsatz, dass die Verträge das Verfahren der Beschlussfassung bestimmen (siehe hierzu oben, Nr. 51) ( *25 ). |
57. |
Zunächst einmal vertritt der Rat die Ansicht, dass das in Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 geregelte Einstimmigkeitserfordernis so verstanden werden sollte, dass es ein zweistufiges Beschlussfassungsverfahren umfasse, das in einen einzigen Beschluss münde, und dass das Einstimmigkeitserfordernis nur für die erste, vorbereitende Stufe gelte. Der förmliche Beschluss werde mit qualifizierter Mehrheit gefasst. Folgte man dieser Auslegung des genannten Artikels durch den Rat, würde die betreffende Bestimmung de facto eine abgeleitete Rechtsgrundlage schaffen, durch die die im Vertrag niedergelegten Regeln verändert würden. Der Grund dafür ist, dass das zweistufige Verfahren, wie vom Rat erläutert, in einen einzigen Beschluss mündet, was zur Folge hätte, dass das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit auf ein theoretisches Erfordernis reduziert und der Durchführungsrechtsakt in Wirklichkeit vom Rat durch einstimmigen Beschluss erlassen würde. |
58. |
Angesichts dessen, dass Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 ausdrücklich eine einstimmige Beschlussfassung verlangt, ist es im Rahmen einer rechtskonformen Auslegung meines Erachtens nicht möglich, dieses Abstimmungserfordernis im Sinne einer Abstimmung mit „qualifizierter Mehrheit“ auszulegen. Eine derartige Auslegung stünde in klarem Widerspruch zum Wortlaut des Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 ( *26 ). |
59. |
Als Letztes möchte ich auf Folgendes hinweisen. Ich verstehe die Argumente des Rates dafür, dass es der Feststellung jedes Mitgliedstaats – als Voraussetzung für den späteren Erlass eines Durchführungsbeschlusses – bedarf, ob der beitretende Mitgliedstaat die vorbereitende Bewertungsphase erfolgreich durchlaufen hat. Dies kann jedoch nicht bedeuten, dass der Rat den nachfolgenden Durchführungsbeschluss auf der Grundlage von Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 erlassen konnte, da diese Bestimmung, indem sie eine einstimmige Beschlussfassung verlangt, eine rechtswidrige abgeleitete Rechtsgrundlage ist. Wie das Parlament zu Recht geltend gemacht hat, gibt es im Beschluss 2008/615 eine andere Bestimmung, nämlich Art. 33, die den Rat ermächtigt, Maßnahmen anzunehmen, die zur Durchführung des betreffenden Beschlusses gegebenenfalls erforderlich sind. |
60. |
Aufgrund der vorstehenden Ausführungen gelange ich zu dem Ergebnis, dass Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 ein Verfahren vorschreibt, das sich von dem in Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU niedergelegten unterscheidet, und damit eine rechtswidrige, abgeleitete Rechtsgrundlage darstellt. Hieraus folgt, dass dem ersten Klagegrund des Parlaments in vollem Umfang gefolgt werden sollte und die angefochtenen Beschlüsse für nichtig erklärt werden sollten. |
61. |
Für den Fall, dass der Gerichtshof meine Auffassung nicht teilen und entscheiden sollte, dass der erste Klagegrund des Parlaments zurückzuweisen ist, befasse ich mich nachfolgend mit dem zweiten Klagegrund des Parlaments betreffend die Verletzung wesentlicher Formvorschriften. |
C – Wesentliche Formvorschriften
62. |
Im Rahmen des zweiten Klagegrundes wiederholt das Parlament, dass die angefochtenen Beschlüsse auf der Grundlage der Art. 82 Abs. 1 Buchst. d und Art. 87 Abs. 2 Buchst. a AEUV hätten erlassen werden müssen. Diese Frage habe ich bereits oben behandelt. |
63. |
Hilfsweise macht das Parlament geltend, dass das zum Erlass der angefochtenen Beschlüsse führende Verfahren aus drei Gründen gegen Art. 34 Abs. 2 EU verstoße. Aus Art. 34 Abs. 2 EU in Verbindung mit Art. 39 Abs. 1 EU ergebe sich folgendes Verfahren: einstimmige Annahme durch den Rat (oder mit qualifizierter Mehrheit im Fall von Durchführungsrechtsakten) auf vorhergehende Initiative der Kommission oder eines Mitgliedstaats und nach Anhörung des Parlaments. Dieses Verfahren habe der Rat nicht befolgt. |
64. |
Der Rat macht geltend, das Vorbringen des Parlaments stütze sich im Wesentlichen auf ein irriges Verständnis der zutreffenden Rechtsgrundlage für die angefochtenen Beschlüsse. Zudem habe er die angefochtenen Beschlüsse rechtmäßig nach Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 erlassen, der Einstimmigkeit im Rat erfordere, nicht jedoch eine vorhergehende Initiative oder Anhörung des Parlaments. Der Rat räumt allerdings auch ein, dass er im Licht des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache Parlament/Rat ( *27 ) vor dem Erlass der angefochtenen Beschlüsse das Parlament hätte anhören sollen. |
65. |
Angesichts der vorstehenden Analyse zur Rechtmäßigkeit des Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 genügen hierzu die folgenden Bemerkungen. |
66. |
Wie der Rat einräumt, hätte er das Parlament anhören sollen. Das Fehlen der Anhörung des Parlaments bedeutet notwendigerweise, dass die Beschlüsse für nichtig zu erklären sind ( *28 ). Durch die einstimmige Annahme der angefochtenen Beschlüsse hat der Rat außerdem die in Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU niedergelegten Abstimmungsregeln verletzt. Allerdings ist das Vorbringen des Parlaments betreffend eine vorhergehende Initiative im Zusammenhang mit dem zweiten Klagegrund zurückzuweisen. Denn Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU begründet wie oben erläutert nicht das Erfordernis einer vorhergehenden Initiative eines Mitgliedstaats oder der Kommission. |
67. |
Demgemäß gelange ich zu dem Ergebnis, dass dem zweiten Klagegrund des Parlaments ebenfalls zu folgen ist. Die angefochtenen Beschlüsse sind folglich für nichtig zu erklären. |
D – Wirkungen der angefochtenen Beschlüsse
68. |
Der Rat, unterstützt vom Königreich Schweden, ersucht den Gerichtshof, die Wirkungen der angefochtenen Beschlüsse für den Fall der Nichtigerklärung gemäß Art. 264 Abs. 2 AEUV aufrechtzuerhalten. Das Parlament hat gegen diesen Antrag keine Einwände erhoben. |
69. |
Ich bin vorstehend zu dem Ergebnis gelangt, dass die angefochtenen Beschlüsse für nichtig zu erklären sind. Eine Nichtigerklärung dieser Beschlüsse ohne gleichzeitige Anordnung, dass ihre Wirkungen aufrechtzuerhalten sind, hätte jedoch zweifellos erhebliche Auswirkungen auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Terrorismus, Schwerkriminalität und illegaler Migration. Sie würde den Zugriff der Strafverfolgungsbehörden (sowohl in den von den angefochtenen Beschlüssen betroffenen Mitgliedstaaten als auch in den anderen beteiligten Mitgliedstaaten) auf DNA-Profile, Fingerabdrücke und Fahrzeugregisterdaten erheblich erschweren. In diesem Sinne würde ein Nichtaufrechterhalten der Wirkungen der angefochtenen Beschlüsse die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gefährden und die Wirksamkeit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf diesem Gebiet beeinträchtigen ( *29 ). Das liegt daran, dass mit der Nichtigerklärung der angefochtenen Beschlüsse die Grundlage für diese Zusammenarbeit für die betroffenen Mitgliedstaaten wegfällt. Meines Erachtens ist dies Grund genug dafür, die Wirkungen der angefochtenen Beschlüsse so lange aufrechtzuerhalten, bis sie durch neue Rechtsakte ersetzt worden sind. Zudem muss ich hier anmerken, dass das Parlament zwar die Nichtigerklärung der angefochtenen Beschlüsse anstrebt, deren Zweck oder Inhalt aber nicht entgegentritt. |
70. |
Daher halte ich es für erforderlich, die Wirkungen der angefochtenen Beschlüsse bis zum Inkrafttreten der neuen Rechtsakte, die sie ersetzen sollen, aufrechtzuerhalten. |
IV – Kosten
71. |
Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen, wenn dies von der obsiegenden Partei schriftsätzlich beantragt worden ist. In diesen beiden Rechtssachen hat das Parlament einen Kostenantrag gestellt, und der Rat ist jeweils unterlegen. |
72. |
Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich Schweden haben daher ihre eigenen Kosten zu tragen. |
V – Ergebnis
73. |
Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,
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( *1 ) Originalsprache: Englisch.
( *2 ) Beschluss 2014/731/EU des Rates vom 9. Oktober 2014 über die Aufnahme des automatisierten Austauschs von Fahrzeugregisterdaten in Malta (ABl. 2014, L 302, S. 56), Beschluss 2014/743/EU des Rates vom 21. Oktober 2014 über die Aufnahme des automatisierten Austauschs von Fahrzeugregisterdaten in Zypern (ABl. 2014, L 308, S. 100), Beschluss 2014/744/EU des Rates vom 21. Oktober 2014 über die Aufnahme des automatisierten Austauschs von Fahrzeugregisterdaten in Estland (ABl. 2014, L 308, S. 102) (Rechtssache C‑14/15) und Beschluss 2014/911/EU vom 4. Dezember 2014 über die Aufnahme des automatisierten Austauschs daktyloskopischer Daten mit Lettland (ABl. 2014, L 360, S. 28) (Rechtssache C‑116/15).
( *3 ) Den Verträgen beigefügtes Protokoll über die Übergangsbestimmungen. Art. 9 des Protokolls steht in Titel VII, der Rechtsakte betrifft, die auf der Grundlage der Titel V und VI der vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon geltenden Fassung des Vertrags über die Europäische Union erlassen wurden.
( *4 ) Urteile vom 16. April 2015, Parlament/Rat (C‑317/13 und C‑679/13, EU:C:2015:223), Parlament/Rat (C‑540/13, EU:C:2015:224), vom 10. September 2015, Parlament/Rat (C‑363/14, EU:C:2015:579), und vom 23. Dezember 2015, Parlament/Rat (C‑595/14, EU:C:2015:847).
( *5 ) Beschluss des Rates vom 23. Juni 2008 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität (ABl. 2008, L 210, S. 1).
( *6 ) Beschluss des Rates vom 23. Juni 2008 zur Durchführung des Beschlusses 2008/615/JI zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität (ABl. 2008, L 210, S. 12).
( *7 ) Dieses System wurde ursprünglich durch den sogenannten Prümer Vertrag eingerichtet. Einige der Bestimmungen dieses internationalen Abkommens wurden später durch den Beschluss 2008/615 in Unionsrecht überführt.
( *8 ) Urteil vom 16. April 2015, Parlament/Rat (C‑317/13 und C‑679/13, EU:C:2015:223, Rn. 56).
( *9 ) Urteil vom 16. April 2015, Parlament/Rat (C‑540/13, EU:C:2015:224, Rn. 44).
( *10 ) Urteil vom 16. April 2015, Parlament/Rat (C‑317/13 und C‑679/13, EU:C:2015:223, Rn. 57).
( *11 ) Urteil vom 5. September 2012, Parlament/Rat (C‑355/10, EU:C:2012:516, Rn. 63 bis 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).
( *12 ) Urteil vom 5. September 2012, Parlament/Rat (C‑355/10, EU:C:2012:516, Rn. 67 und 68). Vgl. auch Urteile vom 6. Mai 2014, Kommission/Parlament und Rat (C‑43/12, EU:C:2014:298, Rn. 29), und vom 22. Oktober 2013, Kommission/Rat (C‑137/12, EU:C:2013:675, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).
( *13 ) Urteil vom 8. September 2009, Kommission/Parlament und Rat (C‑411/06, EU:C:2009:518, Rn. 64 und 65).
( *14 ) Vgl. Fn. 7 oben.
( *15 ) Vgl. u. a. Urteile vom 19. Juli 2012, Parlament/Rat (C‑130/10, EU:C:2012:472, Rn. 80), und vom 24. Juni 2014, Parlament/Rat (C‑658/11, EU:C:2014:2025, Rn. 57).
( *16 ) Urteile vom 16. April 2015, Parlament/Rat (C‑317/13 und C‑679/13, EU:C:2015:223) sowie Parlament/Rat (C‑540/13, EU:C:2015:224).
( *17 ) Urteile vom 16. April 2015, Parlament/Rat (C‑317/13 und C‑679/13, EU:C:2015:223, Rn. 42), und vom 6. Mai 2008, Parlament/Rat (C‑133/06, EU:C:2008:257, Rn. 54 bis 56).
( *18 ) Urteil vom 16. April 2015, Parlament/Rat (C‑317/13 und C‑679/13, EU:C:2015:223, Rn. 43).
( *19 ) Vgl. unter vielen Urteil vom 16. April 2015, Parlament/Rat (C‑317/13 und C‑679/13, EU:C:2015:223, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).
( *20 ) Vgl. hierzu Urteile vom 16. April 2015, Parlament/Rat (C‑317/13 und C‑679/13, EU:C:2015:223, Rn. 45), Parlament/Rat (C‑540/13, EU:C:2015:224, Rn. 35), und vom 10. September 2015, Parlament/Rat (C‑363/14, EU:C:2015:579, Rn. 59).
( *21 ) Der Gerichtshof hat bestätigt, dass, soweit es um Durchführungsmaßnahmen geht, Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU keine vorhergehende Initiative der Kommission oder eines Mitgliedstaats verlangt, vgl. Urteil vom 10. September 2015, Parlament/Rat (C‑363/14, EU:C:2015:579, Rn. 58 bis 67).
( *22 ) Der Gerichtshof hat in einer Rechtssache, in der eine ähnliche Einrede der Rechtswidrigkeit erhoben wurde, die Auffassung vertreten, dass bei Auslegung der Bestimmung im Licht des Art. 39 Abs. 1 EU (wonach das Parlament anzuhören ist) die Tatsache, dass die fragliche Bestimmung keine Verpflichtung zur Anhörung des Parlaments vorsehe, nicht den Schluss auf ihre Rechtswidrigkeit zulasse, vgl. Urteil vom 16. April 2015, Parlament/Rat (C‑317/13 und C‑679/13, EU:C:2015:223, Rn. 47 bis 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).
( *23 ) Urteil vom 21. Mai 2015, Rosselle (C‑65/14, EU:C:2015:339, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
( *24 ) Urteil vom 16. April 2015, Parlament/Rat (C‑317/13 und C‑679/13, EU:C:2015:223, Rn. 49, und die dort angeführte Rechtsprechung).
( *25 ) Urteile vom 16. April 2015, Parlament/Rat (C‑317/13 und C‑679/13, EU:C:2015:223, Rn. 43), und vom 6. Mai 2008, Parlament/Rat (C‑133/06, EU:C:2008:257, Rn. 54 bis 56).
( *26 ) Hier könnte gegenüber der oben in Fn. 22 beschriebenen Situation unterschieden werden, in der die geprüfte Bestimmung darüber schwieg, dass das Parlament anzuhören war, vgl. Urteil vom 16. April 2015, Parlament/Rat (C‑317/13 und C‑679/13, EU:C:2015:223).
( *27 ) Urteil vom 16. April 2015 (C‑540/13, EU:C:2015:224, Rn. 53).
( *28 ) Vgl. jüngst Urteil vom 23. Dezember 2015, Parlament/Rat (C‑595/14, EU:C:2015:847, Rn. 35 bis 43).
( *29 ) Vgl. ähnlich Urteile vom 16. April 2015, Parlament/Rat (C‑540/13, EU:C:2015:224, Rn. 61 bis 64), und vom 23. Dezember 2015, Parlament/Rat (C‑595/14, EU:C:2015:847, Rn. 45 bis 49).
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Referenzen
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