Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-519/15

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

14. September 2016 ( *1 )

„Rechtsmittel — Wettbewerb — Kartelle — Europäischer Markt für Spannstahl — Geldbußen — Berechnung der Geldbußen — Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen von 2006 — Ziff. 35 — Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung — Begründungspflicht — Charta der Grundrechte der Europäischen Union — Art. 47 — Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf innerhalb einer angemessenen Frist“

In der Rechtssache C‑519/15 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 25. September 2015,

Trafilerie Meridionali SpA mit Sitz in Pescara (Italien), Prozessbevollmächtigte: P. Ferrari und G. Lamicela, avvocati,

Rechtsmittelführerin,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch V. Bottka, G. Conte und P. Rossi als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev sowie der Richter J.‑C. Bonichot und E. Regan (Berichterstatter),

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Trafilerie Meridionali SpA (im Folgenden: Trame) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 15. Juli 2015, Trafilerie Meridionali/Kommission (T‑422/10, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2015:512), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung und Abänderung des Beschlusses K(2010) 4387 endg. der Kommission vom 30. Juni 2010 in einem Verfahren nach Artikel 101 AEUV und Artikel 53 des EWR-Abkommens (Sache COMP/38.344 – Spannstahl) in der durch den Beschluss K(2010) 6676 endg. der Kommission vom 30. September 2010 und durch den Beschluss K(2011) 2269 endg. der Kommission vom 4. April 2011 geänderten Fassung (im Folgenden: streitiger Beschluss) teilweise abgewiesen hat.

Rechtlicher Rahmen

2

Die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2, im Folgenden: Leitlinien von 2006) bestimmen im Hinblick auf die „Leistungsfähigkeit der Unternehmen“ Folgendes:

„35.

Unter außergewöhnlichen Umständen kann die Kommission auf Antrag die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens in einem gegebenen sozialen und ökonomischen Umfeld berücksichtigen. Die Kommission wird jedoch keine Ermäßigung wegen der bloßen Tatsache einer nachteiligen oder defizitären Finanzlage gewähren. Eine Ermäßigung ist nur möglich, wenn eindeutig nachgewiesen wird, dass die Verhängung einer Geldbuße gemäß diesen Leitlinien die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Unternehmens unwiderruflich gefährden und [seine] Aktiva jeglichen Wertes berauben würde.“

Vorgeschichte des Rechtsstreits

3

Die vorliegende Rechtssache betrifft den Spannstahlsektor. Als „Spannstahl“ werden Metalldrähte und Litzen aus Walzdraht bezeichnet, insbesondere Stahl zum Vorspannen von Beton, der als Bestandteil von Balkonelementen, Rammpfählen und Rohrsystemen verwendet wird, und Stahl zum Spannen von Beton im nachträglichen Verbund, der im Hoch‑, Tief‑ und Brückenbau eingesetzt wird.

4

Trame ist ein italienischer Hersteller von Spanndrahtlitzen aus drei und aus sieben Einzeldrähten sowie anderer Stahlsorten. Zumindest seit Anfang 1997 bis Ende 2002, ein Zeitraum, in dem diese Gesellschaft „Trafilerie Meridionali SpA“ hieß, wurde ihr Kapital hauptsächlich von einer Familie gehalten. Am 28. April 2008 änderte diese Gesellschaft ihren Namen in Emme Holding SpA und gründete eine Tochtergesellschaft namens „Trafilerie Meridionali Srl“, die die Herstellungstätigkeiten von ihrer Muttergesellschaft übernahm. Am 11. November 2013 wurde diese Tochtergesellschaft mit der Emme Holding verschmolzen, und diese erlangte die Bezeichnung „Trafilerie Meridionali SpA“ wieder.

5

Am 19. und am 20. September 2002 führte die Kommission, nachdem sie vom deutschen Bundeskartellamt und von einem Spannstahlhersteller Informationen über einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV erhalten hatte, in den Geschäftsräumen verschiedener Hersteller Nachprüfungen durch.

6

Am Ende ihrer Ermittlungen richtete die Kommission am 30. September 2008 an mehrere Unternehmen, darunter Trame, eine Mitteilung der Beschwerdepunkte. Alle Adressaten dieser Mitteilung reichten schriftliche Erklärungen zu den Beschwerdepunkten der Kommission ein. Am 11. und am 12. Februar 2009 fand eine Anhörung statt, an der Trame teilnahm.

7

In dem streitigen Beschluss stellte die Kommission fest, dass mehrere Spannstahlanbieter dadurch gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV und, ab dem 1. Januar 1994, gegen Art. 53 Abs. 1 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3) verstoßen hätten, dass sie sich auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum 19. September 2002 an einem Kartell beteiligt hätten.

8

Dieses Kartell bestand u. a. aus folgenden Absprachen:

einer nationalen Absprache, die vom 5. Dezember 1995 bis zum 19. September 2002 dauerte und deren Gegenstand die Festlegung von Quoten für Italien und für Ausfuhren von dort in die übrigen europäischen Länder war (Club Italia),

einer Absprache auf europäischer Ebene, die im Mai 1997 getroffen wurde und im September 2002 endete und mit der insbesondere Quoten festgelegt, die Kunden aufgeteilt und die Preise festgesetzt werden sollten (Club Europa), sowie

Gespräche zwischen dem Club Europa und dem Club Italia (mindestens von September 2000 bis September 2002 kamen die ständigen Mitglieder des Club Europa, die Italcables SpA, die CB Trafilati Acciai SpA [im Folgenden: CB], die Redaelli Tecna SpA, die Industria Trafileria Applicazioni Speciali SpA [im Folgenden: Itas] und die Siderurgica Latina Martin SpA regelmäßig mit dem Ziel zusammen, die italienischen Gesellschaften als ständige Mitglieder in den Club Europa einzubinden).

9

In dem streitigen Beschluss ging die Kommission davon aus, dass sich Trame vom 4. März 1997 bis zum 19. September 2002 am Club Italia beteiligt habe und ab dem 15. Mai 2000 von den verschiedenen Ebenen des Kartells „wusste oder hätte wissen müssen“, insbesondere aber vom Club Europa. Die Kommission zog Trame daher für ihre Teilnahme an dem Kartell für diesen Zeitraum vom 4. März 1997 bis zum 19. September 2002 zur Verantwortung.

10

Für diese Zuwiderhandlung wurde gegen Trame eine Geldbuße von 3,249 Mio. Euro verhängt. Insoweit setzte die Kommission den Grundbetrag der Geldbuße zunächst mit 10 Mio. Euro an und ermäßigte diesen Grundbetrag sodann auf 9,5 Mio. Euro, um die untergeordnete Rolle dieser Gesellschaft in dem in Rede stehenden Kartell zu berücksichtigen. Schließlich setzte die Kommission, da dieser Betrag die Obergrenze von 10 % des von Trame im Jahr 2009 erzielten Gesamtumsatzes – rund 32,5 Mio. Euro – überschritt, den Endbetrag der Geldbuße mit 3,249 Mio. Euro fest.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

11

Mit Klageschrift, die am 15. September 2010 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob Trame eine Klage auf Nichtigerklärung und Abänderung des streitigen Beschlusses.

12

Trame stützte ihre Klage auf fünf Klagegründe, die sich auf ihre Teilnahme an dem Kartell und auf deren Auswirkungen auf die Höhe der Geldbuße bezogen. Insbesondere wurde mit dem ersten Klagegrund geltend gemacht, dass die Kommission ihr zu Unrecht vorgeworfen habe, an einer einheitlichen Zuwiderhandlung beteiligt gewesen zu sein. Nach Erlass des Beschlusses K(2011) 2269 endg. passte Trame ihre Klagegründe dahin an, dass sie sich auch auf einen Verstoß gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung berief, weil sich bei der Festsetzung der Geldbuße die Behandlung, die der ArcelorMittal SA und der Ori Martin SA zuteil geworden sei, von ihrer eigenen Behandlung unterschieden habe. Trame machte schließlich mit einem sechsten Klagegrund ihre fehlende Leistungsfähigkeit hinsichtlich der Zahlung der Geldbuße geltend.

13

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht den streitigen Beschluss für nichtig erklärt, soweit die Kommission darin zum einen eine Teilnahme von Trame am gesamteuropäischen Tatkomplex der in Rede stehenden Zuwiderhandlung für den Zeitraum vom 4. März 1997 bis zum 9. Oktober 2000 festgestellt hat, angenommen hat, dass sich diese Teilnahme im Zeitraum vom 4. März 1997 bis zum 28. Februar 2000 auf dreidrähtige Litzen bezogen habe, und diese Teilnahme an den wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen für den Zeitraum vom 30. August 2001 bis zum 10. Juni 2002 festgestellt hat, und zum anderen gegen Trame eine unverhältnismäßige Geldbuße als Sanktion für ihre Teilnahme an der einheitlichen Zuwiderhandlung für den Zeitraum vom 4. März 1997 bis zum 19. September 2002 verhängt hat.

14

In Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung hat das Gericht eine Geldbuße von 5 Mio. Euro für angebracht gehalten, um das rechtswidrige Verhalten von Trame wirksam zu ahnden. Wegen der in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) vorgesehenen Obergrenze von 10 % des Gesamtumsatzes hat das Gericht allerdings festgestellt, dass der Endbetrag der gegen Trame verhängten Geldbuße 3,2 Mio. Euro nicht übersteigen dürfe, und hat die Geldbuße daher mit diesem Betrag festgesetzt.

15

Im Übrigen hat das Gericht die Klage abgewiesen.

16

Auf einen entsprechenden Antrag der Kommission hat das Gericht mit Beschluss vom 10. November 2015, Trafilerie Meridionali/Kommission (T‑422/10 REC, EU:T:2015:857), eine Berichtigung des angefochtenen Urteils vorgenommen, um insbesondere in Anbetracht der hierzu in dem streitigen Beschluss angeführten und in Rn. 20 des Urteils wiedergegebenen Angaben bei der Rundung des Endbetrags der gegen Trame verhängten Geldbuße eine höhere Genauigkeit anzuwenden. Das Gericht hat demnach beschlossen, dass die Rn. 407 und 408 des Urteils sowie Rn. 3 seines Tenors so zu lesen sind, dass der Betrag dieser Geldbuße mit 3,249 Mio. Euro festzusetzen ist.

Anträge der Parteien

17

Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Rechtsmittelführerin,

die Teile des angefochtenen Urteils, die zum einen die Zurückweisung des Klagegrundes, nach dem der Club Europa ihr nicht zugerechnet werden kann, und zum anderen die gegen sie verhängte Geldbuße betreffen, aufzuheben und folglich den Anträgen, die hierzu bereits vor dem Gericht gestellt wurden, stattzugeben; hilfsweise, diese Teile aufzuheben und die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen;

die Teile des angefochtenen Urteils, die zum einen die Zurückweisung des Klagegrundes, nach dem ihr die Leistungsfähigkeit fehlt, und zum anderen die gegen sie verhängte Geldbuße betreffen, aufzuheben und folglich den Anträgen, die hierzu bereits vor dem Gericht gestellt wurden, stattzugeben; hilfsweise, diese Teile aufzuheben und die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen;

den Teil des angefochtenen Urteils aufzuheben, der die Bemessung der gegen sie verhängten Geldbuße betrifft, und über den Rechtsstreit zu entscheiden; hilfsweise, diesen Teil aufzuheben und die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen;

das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als sie danach die ihr im erstinstanzlichen Verfahren in der Hauptsache entstandenen Kosten selbst zu tragen hat, und diese Kosten zumindest zum Teil der Kommission aufzuerlegen;

die Kosten der vorliegenden Rechtssache der Kommission aufzuerlegen;

festzustellen, dass das Gericht seine Pflicht aus Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verletzt hat, die Rechtssache, in der das angefochtene Urteil ergangen ist, innerhalb angemessener Frist zu entscheiden;

jede andere Maßnahme zu erlassen, die das Gericht für zweckmäßig erachtet.

18

Die Kommission beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen und

der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

19

Die Rechtsmittelführerin stützt ihr Rechtsmittel auf fünf Gründe. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund wird ein Rechtsfehler gerügt, soweit das Gericht der Rechtsmittelführerin eine Teilnahme am Club Europa zur Last gelegt habe. Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund wird ein Rechtsfehler des Gerichts bei seiner Beurteilung der Frage gerügt, ob der Rechtsmittelführerin aufgrund ihrer fehlenden Leistungsfähigkeit eine Herabsetzung der Geldbuße hätte gewährt werden müssen. Der dritte Rechtsmittelgrund betrifft die vom Gericht zur Überprüfung der verhängten Geldbuße herangezogene Methode. Der vierte Rechtsmittelgrund betrifft die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens. Mit dem fünften Rechtsmittelgrund wird ein Verstoß gegen Art. 47 Abs. 2 der Charta gerügt, da das Gericht das angefochtene Urteil nicht innerhalb angemessener Frist erlassen habe.

Zum ersten Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

20

Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund weist die Rechtsmittelführerin darauf hin, dass sich das Gericht, wie aus den Rn. 128 bis 132 sowie den Rn. 144 und 145 des angefochtenen Urteils hervorgehe, auf zwei Umstände gestützt habe, um ihr die europäische Dimension des in Rede stehenden Kartells für den Zeitraum vom 9. Oktober 2000 bis zum 19. September 2002 zuzurechnen, nämlich zum einen auf den Umstand, dass bei einer Zusammenkunft des Club Italia vom 15. Mai 2000 auf den Club Europa Bezug genommen worden sei, und zum anderen auf den Umstand, dass bei einer anderen Zusammenkunft des Club Italia vom 9. Oktober 2000 zwei Unternehmen anwesend gewesen seien, die nur vom Club Europa erfasst worden seien, nämlich die Westfälische Drahtindustrie GmbH und die Nedri Spanstaal BV (im Folgenden: Nedri), sowie Hersteller, deren Interessen nicht hauptsächlich auf Italien ausgerichtet gewesen seien, nämlich die DWK Drahtwerk Köln GmbH und die Saarstahl AG (im Folgenden: DWK).

21

Die Rechtsmittelführerin macht in erster Linie geltend, das Gericht habe die Tatsachen verfälscht und die Beweise offensichtlich fehlerhaft ausgelegt, indem es entschieden habe, dass Nedri nur am Club Europa und nicht am Club Italia beteiligt gewesen sei. Wie aus den dem Gerichtshof vorgelegten Dokumenten hervorgehe, habe Nedri schon im Zeitraum Juli bis September 2000 angekündigt, die erforderlichen Genehmigungen für den Verkauf ihrer Erzeugnisse in Italien erlangen zu wollen. Die Rechtsmittelführerin habe diese Gesellschaft daher nicht als Beteiligte am Club Europa ansehen müssen, sondern als eine dritte Gesellschaft ansehen können, die angesichts ihres bevorstehenden Eintritts in den italienischen Markt Interesse daran gehabt habe, sich dem Club Italia anzuschließen.

22

Auch sei die Verbindung, die das Gericht zwischen DWK und dem Club Europa hergestellt habe, ebenfalls das Ergebnis einer Verfälschung der Beweise. Die Rechtsmittelführerin betont, dass aus Rn. 816 des streitigen Beschlusses hervorgehe, dass DWK im nationalen Hoheitsgebiet tätig gewesen sei, was erkläre, dass die Kommission ihr den gesamten Club Italia zumindest für den Zeitraum zwischen dem 24. Februar 1997 und dem 6. November 2000 zugerechnet habe. Die Anwesenheit von DWK bei der Zusammenkunft vom 9. Oktober 2000 sei daher natürlich gewesen.

23

Die Rechtsmittelführerin macht geltend, dass allein der Umstand, dass bei der Zusammenkunft des Club Italia vom 15. Mai 2000 der Club Europa in den Gesprächen zweimal erwähnt worden sei, einmal ausdrücklich und einmal implizit, entsprechend den Ausführungen in den Rn. 133 bis 135 des angefochtenen Urteils nicht ausreiche, um zu untermauern, dass ihr eine Beteiligung an dem letztgenannten Club zur Last zu legen sei.

24

Hilfsweise trägt die Rechtsmittelführerin vor, dass die beiden – in Rn. 20 des vorliegenden Urteils dargelegten – Umstände, auf die sich das Gericht stütze, um ihr die europäische Dimension des Kartells zuzurechnen, bestenfalls die Annahme zuließen, dass sie von der Existenz des Club Europa gewusst habe. Wie sich aus Rn. 63 des Urteils vom 4. Juli 2013, Kommission/Aalberts Industries u. a. (C‑287/11 P, EU:C:2013:445), und aus Rn. 42 des Urteils vom 6. Dezember 2012, Kommission/Verhuizingen Coppens (C‑441/11 P, EU:C:2012:778) ergebe, müsse, um einem Unternehmen eine Zuwiderhandlung zuzurechnen, an der es nicht unmittelbar beteiligt gewesen sei, nachgewiesen werden, dass es zum einen von den Verhaltensweisen der anderen Unternehmen in diesem Zusammenhang gewusst habe oder diese vernünftigerweise habe vorhersehen können und dass es zum anderen durch sein eigenes Verhalten zur Erreichung der von allen Beteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele habe beitragen wollen.

25

Die Rechtsmittelführerin ist der Auffassung, dass mit den Umständen, auf die das Gericht Bezug genommen habe, weder nachgewiesen werde, dass es vom Verhalten der anderen Unternehmen im Rahmen des Club Europa gewusst habe oder dieses vernünftigerweise habe vorhersehen können, noch, dass es durch sein eigenes Verhalten zu diesem Club habe beitragen wollen. Die Feststellung in Rn. 144 des angefochtenen Urteils, wonach die Rechtsmittelführerin „das Wesen und die Ziele des Club Europa kennen konnte“, ergebe sich somit aus einer Verfälschung der Beweise.

26

Die Fehlerhaftigkeit der Auslegung des Gerichts in diesem Zusammenhang sei angesichts dessen noch offensichtlicher, dass zum einen die Märkte außerhalb Italiens für sie nicht von Interesse gewesen seien, da sie ihr Erzeugnis mangels der erforderlichen Genehmigungen ausschließlich in Italien vermarktet habe, und sie zum anderen auch innerhalb des Club Italia eine untergeordnete Rolle gespielt habe.

27

Die Rechtsmittelführerin ist daher der Ansicht, dass das angefochtene Urteil hinsichtlich des Teils, der die gegen sie verhängte Sanktion betreffe, fehlerhaft sei.

28

Die Kommission ist der Ansicht, dass der erste Rechtsmittelgrund offensichtlich unzulässig oder jedenfalls unbegründet sei.

Würdigung durch den Gerichtshof

29

Was erstens die in den Rn. 21 bis 23 des vorliegenden Urteils angeführten, von der Rechtsmittelführerin in erster Linie vorgetragenen Argumente betrifft, ist festzustellen, dass die Rechtsmittelführerin unter dem Deckmantel einer Verfälschung der Beweise in Wirklichkeit darauf abzielt, dass der Gerichtshof eine neue Würdigung der vor dem Gericht vorgebrachten Tatsachen und Beweise vornimmt, und zwar hinsichtlich der Verbindungen zwischen zum einen Nedri und dem Club Europa und zum anderen DWK und diesem Club. Da ein solches Vorbringen im Stadium des Rechtsmittels unzulässig ist, ist es zurückzuweisen.

30

Was zweitens die von der Rechtsmittelführerin, hilfsweise, vorgebrachte Argumentation anbelangt, wie sie in den Rn. 24 bis 26 des vorliegenden Urteils dargelegt wird, ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsmittelführerin mit dieser Argumentation nicht die vom Gericht vorgenommene Auslegung der in Rn. 24 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung beanstandet, sondern ihre Anwendung auf den vorliegenden Fall.

31

Das Gericht hat nämlich in Rn. 92 des angefochtenen Urteils fehlerfrei die Rechtsprechung des Gerichtshofs wiedergegeben, wonach ein Unternehmen, das sich durch eigene Handlungen, die den Begriff von auf ein wettbewerbswidriges Ziel gerichteten Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV erfüllten und zur Verwirklichung der Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit beitragen sollten, an einer einheitlichen und komplexen Zuwiderhandlung beteiligt hat, somit für die gesamte Zeit seiner Beteiligung an der Zuwiderhandlung auch für das Verhalten verantwortlich sein kann, das andere Unternehmen im Rahmen der Zuwiderhandlung an den Tag legten, wenn das Unternehmen nachweislich durch sein eigenes Verhalten zur Erreichung der von allen Beteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele beitragen wollte und von dem von anderen Unternehmen in Verfolgung dieser Ziele beabsichtigten oder an den Tag gelegten rechtswidrigen Verhalten wusste oder es vernünftigerweise vorhersehen konnte und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen (Urteil vom 6. Dezember 2012, Kommission/Verhuizingen Coppens, C‑441/11 P, EU:C:2012:778, Rn. 42).

32

Dann ist das Gericht, nachdem es, wie aus den Rn. 108 bis 141 des angefochtenen Urteils hervorgeht, eine eingehende Prüfung der vor ihm vorgebrachten Umstände im Hinblick auf die Beteiligung der Rechtsmittelführerin an der fraglichen einheitlichen Zuwiderhandlung vorgenommen hatte, insbesondere in den Rn. 144 und 145 des Urteils zu dem Schluss gelangt, dass die Kommission in Anbetracht dieser Umstände davon ausgehen durfte, dass Trame ab dem 9. Oktober 2000„durch ihr Verhalten zur Erreichung der von allen Kartellbeteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele beitragen wollte … und dass sie von den von anderen Unternehmen in Verfolgung dieser Ziele beabsichtigten oder an den Tag gelegten wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen wusste oder sie vernünftigerweise vorhersehen konnte und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr … auf sich zu nehmen“.

33

Festzustellen ist, dass die Argumentation der Rechtsmittelführerin, indem damit der Beweiswert, den das Gericht den Beweisen beigemessen hat, in Zweifel gezogen wird, um die Schlussfolgerungen, die dieses daraus gezogen hat, in Frage zu stellen, erneut darauf hinausläuft, den Gerichtshof zu ersuchen, eine andere Auslegung der Tatsachen und Beweise vorzunehmen, als sie das Gericht im Rahmen seiner freien Würdigung des Sachverhalts durchgeführt hat.

34

Daraus folgt, dass der erste Rechtsmittelgrund insgesamt unzulässig und daher zurückzuweisen ist.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

35

Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es die Gründe nicht erläutert habe, aus denen es den im ersten Rechtszug vorgebrachten Klagegrund betreffend die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die Kommission bei der Beurteilung der Herabsetzung der Geldbußen wegen fehlender Leistungsfähigkeit zurückgewiesen habe.

36

Die Rechtsmittelführerin erinnert daran, dass sie vor dem Gericht den Klagegrund vorgebracht habe, die Kommission habe, indem sie CB und Itas eine Herabsetzung der Geldbuße gewährt und ihr eine solche Herabsetzung verweigert habe, obwohl ihre finanzielle Lage noch schlechter gewesen sei als die von CB und Itas, den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt. Trotz der hierzu vor dem Gericht vorgebrachten spezifischen Argumente habe dieses in den Rn. 391 und 392 des angefochtenen Urteils lediglich darauf hingewiesen, dass die Kommission auf die finanzielle Lage jedes Unternehmens – und nicht auf die Art und Weise, wie die Unternehmen sich an der Zuwiderhandlung beteiligt hätten – abgestellt habe, um zu bestimmen, ob die erforderlichen Voraussetzungen für die Anwendung des Kriteriums der fehlenden Leistungsfähigkeit erfüllt seien. Das Gericht habe keine Analyse der zahlreichen und präzisen Informationen finanzieller und vermögensbezogener Art vorgenommen, die die Rechtsmittelführerin im Verfahren zur Verfügung gestellt habe.

37

Dass sich das Gericht nicht mit dieser Argumentation der Rechtsmittelführerin befasst habe, ergebe sich auch aus Rn. 353 des angefochtenen Urteils, wo das Gericht das in der Klageschrift dazu entwickelte Vorbringen fehlerhaft und in Bruchstücken zusammengefasst habe.

38

Die Rechtsmittelführerin fügt hinzu, dass das angefochtene Urteil daher auch im Hinblick auf die gegen sie verhängte Sanktion fehlerhaft sei.

39

Die Kommission ist der Ansicht, der zweite Rechtsmittelgrund sei unbegründet.

Würdigung durch den Gerichtshof

40

Soweit die Rechtsmittelführerin dem Gericht im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittelgrundes eine Verletzung der Begründungspflicht vorwirft, da dieses in den Rn. 391 und 392 des angefochtenen Urteils auf die zur Stützung des Klagegrundes der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgebrachten Argumente nicht rechtlich hinreichend eingegangen sei, ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der in Art. 296 AEUV vorgesehenen Begründungspflicht um ein wesentliches Formerfordernis handelt, das von der Stichhaltigkeit der Begründung zu unterscheiden ist, die zur materiellen Rechtmäßigkeit der streitigen Handlung gehört (Urteil vom 29. September 2011, Elf Aquitaine/Kommission, C‑521/09 P, EU:C:2011:620, Rn. 146 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verpflichtet die Pflicht zur Begründung der Urteile, die dem Gericht nach Art. 36 und Art. 53 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union obliegt, dieses nicht, bei seinen Ausführungen alle von den Parteien des Rechtsstreits vorgetragenen Argumente nacheinander erschöpfend zu behandeln. Die Begründung kann daher implizit erfolgen, sofern sie es den Betroffenen ermöglicht, die Gründe zu erfahren, auf denen das angefochtene Urteil beruht, und dem Gerichtshof ausreichende Angaben liefert, damit er seine Kontrollaufgabe im Rahmen eines Rechtsmittels wahrnehmen kann (Urteil vom 8. März 2016, Griechenland/Kommission, C‑431/14 P, EU:C:2016:145, Rn. 38).

42

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Begründung in den Rn. 391 und 392 des angefochtenen Urteils es den Betroffenen – und insbesondere der Rechtsmittelführerin – ermöglicht, Kenntnis von den Gründen zu erlangen, auf die sich das Gericht gestützt hat, und dem Gerichtshof ausreichende Angaben liefert, damit er seine Kontrollaufgabe im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels wahrnehmen kann.

43

Soweit die Rechtsmittelführerin dem Gericht vorwirft, es habe einen Rechtsfehler begangen, indem es nicht alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt habe, genügt die Feststellung, dass die Argumentation der Rechtsmittelführerin, selbst wenn man davon ausgeht, dass Trame die in den Rn. 35 und 36 des vorliegenden Urteils beschriebene Argumentation im ersten Rechtszug vorgebracht hat und dass diese Argumentation in Rn. 353 des angefochtenen Urteils nur teilweise wiedergegeben wurde, jedenfalls nicht stichhaltig ist.

44

Da das Gericht in den Rn. 355 bis 390 des angefochtenen Urteils die Gründe für seine Annahme dargelegt hat, dass die Rechtsmittelführerin in der Lage gewesen sei, die gegen sie verhängte Geldbuße zu zahlen, konnte es sich nämlich darauf beschränken, auf die bei ihm vorgebrachte Rüge einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes damit einzugehen, dass es in Rn. 391 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, dass die finanzielle Situation von CB und Itas Unterschiede aufgewiesen habe und dass „die Kommission aufgrund dieser Unterschiede und nicht aufgrund der Art und Weise, wie diese Unternehmen sich an der Zuwiderhandlung beteiligt hatten, davon ausging, dass es angebracht sei, die betreffende Geldbuße teilweise zu ermäßigen, wobei der Betrag so zu berechnen sei, dass er der fehlenden Leistungsfähigkeit jedes dieser Unternehmen Rechnung trage“.

45

Diese Beurteilung ist zum einen frei von Rechtsfehlern, und zum anderen lässt sich ihr nicht entnehmen, dass sie mit irgendeinem Fehler behaftet wäre, der sich aus einem Umstand ergeben könnte, den das Gericht nicht berücksichtigt hat.

46

Der zweite Rechtsmittelgrund ist daher unbegründet und zurückzuweisen.

Zum dritten Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

47

Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, dass das angefochtene Urteil keine Begründung hinsichtlich des Teils betreffend die Berechnung der Geldbuße enthalte. Insbesondere sei es nicht möglich, aus dem Wortlaut des Urteils abzuleiten, welche Berechnungsmethode das Gericht bei der Festsetzung der Geldbuße herangezogen habe. Unter Berücksichtigung der Feststellungen in Rn. 398 des Urteils sei jedoch vernünftigerweise anzunehmen, dass diese Methode nicht jene sei, die die Kommission selbst herangezogen habe.

48

Das Fehlen einer angemessenen Begründung, insbesondere im Hinblick darauf, welches „Gewicht“ den verschiedenen maßgeblichen Sachverhaltselementen beigemessen worden sei, hindere die Rechtsmittelführerin daran, einen Vergleich vorzunehmen zwischen den Berechnungen der Geldbuße, wie sie die Kommission in Bezug auf die übrigen Unternehmen durchgeführt habe, die Adressaten des streitigen Beschlusses gewesen seien und keine Klage beim Gericht eingereicht hätten oder die eine solche Klage eingereicht hätten und deren Vorbringen zur Geldbuße von diesem zurückgewiesen worden sei, und den Berechnungen der Geldbuße, wie sie das Gericht selbst durchgeführt habe, soweit den von anderen Unternehmen, die Adressaten dieses Beschlusses gewesen seien, vorgetragenen Argumenten, die denen der Rechtsmittelführerin entsprochen hätten, gefolgt worden und die jeweilige Geldbuße geändert worden sei. Der Begründungspflicht komme in dem Fall, dass zahlreiche Unternehmen wegen derselben Zuwiderhandlung mit einer Sanktion belegt würden, besondere Bedeutung zu.

49

Unter Berufung auf die durch die Urteile vom 16. November 2000, Weig/Kommission (C‑280/98 P, EU:C:2000:627, Rn. 52 bis 68), und vom 16. November 2000, Sarrió/Kommission (C‑291/98 P, EU:C:2000:631, Rn. 91 bis 100), begründete Rechtsprechung trägt die Rechtsmittelführerin vor, dass es viele Präzedenzfälle gebe, in denen der Gerichtshof der Ansicht gewesen sei, das Urteil des Gerichts aufheben zu müssen, soweit es bei der Überprüfung der Geldbuße eine Berechnungsmethode herangezogen habe, die sich von der von der Kommission oder vom Gericht selbst gegenüber anderen an der betreffenden Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen verwendeten unterscheide. Zwar habe der Gerichtshof u. a. in Rn. 181 seines Urteils vom 10. Juli 2014, Telefónica und Telefónica de España/Kommission (C‑295/12 P, EU:C:2014:2062), bereits festgestellt, dass die Kommission nicht verpflichtet sei, Zahlenangaben zur Berechnungsweise der Geldbuße zu machen, er habe jedoch betont, dass es zumindest „wünschenswert“ sei, dass der Mechanismus zur Festsetzung der Höhe der Sanktion angegeben werde.

50

Der lapidare Hinweis in Rn. 399 des angefochtenen Urteils auf die Kriterien der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung sowie auf den Grundsatz der individuellen Strafzumessung reiche nicht aus, um diese Lücke zu schließen, insbesondere angesichts der Komplexität des vorliegenden Falles und der Vielzahl der zu berücksichtigenden Faktoren.

51

Die Kommission hält den dritten Rechtsmittelgrund für unbegründet.

Würdigung durch den Gerichtshof

52

Es ist festzustellen, dass das angefochtene Urteil nach der in den Rn. 40 und 41 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung den Begründungsanforderungen, die dem Gericht obliegen, genügt, da dieses in den Rn. 401 bis 407 des angefochtenen Urteils ausführlich dargelegt hat, welche Faktoren es bei seiner Entscheidung über die Festsetzung der Geldbuße berücksichtigt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. November 2012, E.ON Energie/Kommission, C‑89/11 P, EU:C:2012:738, Rn. 133).

53

Insbesondere hat das Gericht in den Rn. 398 bis 408 des angefochtenen Urteils im Rahmen seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung die gegen Trame verhängte Geldbuße unter Berücksichtigung der Beteiligung dieses Unternehmens an der einheitlichen Zuwiderhandlung festgesetzt. In den Rn. 401 bis 405 des angefochtenen Urteils hat das Gericht die besonderen Umstände der Situation der Rechtsmittelführerin erläutert, die es für erheblich erachtet hat, insbesondere betreffend die Schwere und die Dauer ihrer Beteiligung an dieser Zuwiderhandlung. Aus Rn. 406 des Urteils geht hervor, dass das Gericht bei der Festsetzung der Höhe dieser Geldbuße auch das Erfordernis, eine hinreichend abschreckende Wirkung der Geldbuße sicherzustellen, sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt hat.

54

Aus den Rn. 398 bis 406 des angefochtenen Urteils geht hervor, dass sich das Gericht weder an die Berechnungen der Kommission noch an deren Leitlinien gebunden erachtet hat, sondern seine eigene Beurteilung der Geldbuße unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls durchgeführt hat.

55

Unter diesen Umständen kann die Rechtsmittelführerin dem Gericht keine unzureichende Begründung vorwerfen, weil dieses die von ihm herangezogene Berechnungsmethode nicht genauer ausgeführt und insbesondere nicht angegeben habe, welches „Gewicht“ es den verschiedenen maßgeblichen Sachverhaltselementen, die es dabei berücksichtigt habe, beigemessen habe.

56

Es ist nämlich darauf hinzuweisen, dass nur dann, wenn der Gerichtshof der Ansicht wäre, dass die Höhe der Sanktion nicht nur unangemessen, sondern auch so überhöht ist, dass sie unverhältnismäßig ist, ein Rechtsfehler des Gerichts wegen der unangemessenen Höhe einer Geldbuße festzustellen wäre (Urteil vom 10. Juli 2014, Telefónica und Telefónica de España/Kommission, C‑295/12 P, EU:C:2014:2062, Rn. 205 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57

Die Begründung, die das Gericht im vorliegenden Fall bei seiner Beurteilung der Geldbuße gegeben hat, hat es indessen der Rechtsmittelführerin ermöglicht, beim Gerichtshof eine etwaige Unverhältnismäßigkeit im Sinne der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung geltend zu machen, und den Gerichtshof in die Lage versetzt, seine Kontrollaufgabe wahrzunehmen.

58

Nach alledem ist der dritte Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

Zum vierten Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

59

Die Rechtsmittelführerin trägt vor, dass sich die vom Gericht begangenen und im Rahmen der ersten beiden Rechtsmittelgründe beanstandeten Rechtsfehler in dem Ergebnis niederschlügen, zu dem das Gericht in den Rn. 411 und 412 des angefochtenen Urteils gelangt sei, wonach jede Partei ihre eigenen Kosten zu tragen habe.

60

Die Kommission ist der Ansicht, dass es keinen Grund dafür gebe, das angefochtene Urteil in diesem Punkt abzuändern, da weder dem ersten noch dem zweiten Rechtsmittelgrund stattzugeben sei.

Würdigung durch den Gerichtshof

61

Da der vorliegende Rechtsmittelgrund vom Erfolg des ersten und/oder des zweiten Rechtsmittelgrundes abhängt und diese beiden Rechtsmittelgründe zurückgewiesen worden sind, ist auch der vorliegende Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Zum fünften Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

62

Unter Berufung auf die mit dem Urteil vom 12. November 2014, Guardian Industries und Guardian Europe/Kommission (C‑580/12 P, EU:C:2014:2363), begründete Rechtsprechung trägt die Rechtsmittelführerin vor, dass der Gerichtshof, wenn offensichtlich sei, dass das Gericht seine Pflicht nach Art. 47 Abs. 2 der Charta, in der bei ihm anhängigen Rechtssache innerhalb einer angemessenen Frist zu entscheiden, in hinreichend qualifizierter Weise verletzt habe, über einen Schadensersatzantrag entscheiden könne.

63

Die Rechtsmittelführerin ist der Ansicht, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt seien. Insbesondere seien zwischen dem Zeitpunkt der Klageeinreichung, d. h. dem 15. September 2010, und dem Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Urteils, d. h. dem 23. Juli 2015, fast fünf Jahre vergangen, die einen Zeitraum der Untätigkeit von mehr als zwei Jahren zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die Kommission ihre Gegenerwiderung eingereicht habe, und dem Zeitpunkt, zu dem das Gericht den Parteien die prozessleitenden Maßnahmen übermittelt habe, umfassten. Die Rechtsmittelführerin ist der Ansicht, diese Zeiträume seien übermäßig lang und nicht gerechtfertigt.

64

Nach Ansicht der Kommission ist der fünfte Rechtsmittelgrund offenkundig unzulässig, da die Rechtsmittelführerin mit dem Antrag, der Gerichtshof möge feststellen, dass das Gericht seine sich aus Art. 47 Abs. 2 der Charta ergebende Pflicht verkannt habe, nicht die Aufhebung des angefochtenen Urteils anstrebe. Wenn der Gerichtshof gelegentlich in einigen Urteilen im Wege eines obiter dictum festgestellt habe, dass die Dauer des Verfahrens vor dem Gericht übermäßig lang gewesen sei, so habe dies nicht zu eigenständigen Feststellungen im Tenor dieser Urteile geführt. Außerdem sei die Situation im vorliegenden Fall eine andere, da die Rechtsmittelführerin zur Stützung des entsprechenden Antrags auf eigenständige Feststellung einen besonderen Antrag gestellt und einen besonderen Klagegrund geltend gemacht habe.

Würdigung durch den Gerichtshof

65

Soweit die Rechtsmittelführerin eine Entscheidung über ihren Antrag auf Ersatz des wegen eines angeblichen Verstoßes des Gerichts gegen Art. 47 Abs. 2 der Charta erlittenen Schadens begehrt, ist darauf hinzuweisen, dass der Verstoß eines Unionsgerichts gegen seine Pflicht nach dieser Bestimmung, in den bei ihm anhängig gemachten Rechtssachen innerhalb einer angemessenen Frist zu entscheiden, mit einer Schadensersatzklage vor dem Gericht zu ahnden ist, da eine solche Klage einen effektiven Rechtsbehelf darstellt. Somit kann der Ersatz des Schadens, der durch die Nichteinhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer durch das Gericht verursacht wurde, nicht unmittelbar im Rahmen eines Rechtsmittels beim Gerichtshof beantragt werden, sondern muss beim Gericht selbst eingeklagt werden (Urteile vom 26. November 2013, Gascogne Sack Deutschland/Kommission, C‑40/12 P, EU:C:2013:768, Rn. 89 und 90, vom 26. November 2013, Groupe Gascogne/Kommission, C‑58/12 P, EU:C:2013:770, Rn. 83 und 84, und vom 10. Juli 2014, Telefónica und Telefónica de España/Kommission, C‑295/12 P, EU:C:2014:2062, Rn. 66).

66

Wird das nach Art. 256 Abs. 1 AEUV zuständige Gericht mit einer Schadensersatzklage befasst, entscheidet es darüber in einer anderen Besetzung als derjenigen, in der es mit dem als überlang gerügten Verfahren befasst war (Urteile vom 26. November 2013, Groupe Gascogne/Kommission, C‑58/12 P, EU:C:2013:770, Rn. 90, und vom 10. Juli 2014, Telefónica und Telefónica de España/Kommission, C‑295/12 P, EU:C:2014:2062, Rn. 67).

67

Wenn indessen offensichtlich ist, dass das Gericht seine Pflicht, die Rechtssache innerhalb angemessener Frist zu entscheiden, in hinreichend qualifizierter Weise verletzt hat, ohne dass es insoweit erforderlich wäre, dass die Parteien zusätzliche Nachweise beibringen, kann der Gerichtshof dies feststellen (Urteil vom 9. Juni 2016, Repsol Lubricantes y Especialidades u. a./Kommission, C‑617/13 P, EU:C:2016:416, Rn. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68

Dies ist vorliegend nicht der Fall. In der vorliegenden Rechtssache wäre es nämlich erforderlich, dass die Parteien zusätzliche Nachweise beibringen, damit der Gerichtshof über die Unverhältnismäßigkeit der Dauer des Verfahrens vor dem Gericht befinden kann.

69

Demnach ist der fünfte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

70

Nach alledem ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

Kosten

71

Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entscheidet dieser über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist.

72

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach ihrem Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Rechtsmittelführerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem entsprechenden Antrag der Kommission deren Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

 

2.

Die Trafilerie Meridionali SpA trägt die Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.

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Referenzen

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