Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-14/15,C-116/15

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

22. September 2016 ( *1 )

„Nichtigkeitsklage — Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen — Automatisierter Informationsaustausch — Fahrzeugregisterdaten — Daktyloskopische Daten — Nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon geltender Rechtsrahmen — Übergangsbestimmungen — Abgeleitete Rechtsgrundlage — Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Durchführungsmaßnahmen — Anhörung des Europäischen Parlaments — Initiative eines Mitgliedstaats oder der Europäischen Kommission — Abstimmungsregeln“

In den verbundenen Rechtssachen C‑14/15 und C‑116/15

betreffend zwei Nichtigkeitsklagen nach Art. 263 AEUV, eingereicht am 14. Januar bzw. 6. März 2015,

Europäisches Parlament, vertreten durch F. Drexler, A. Caiola und M. Pencheva als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch M.‑M. Joséphidès, K. Michoel und K. Pleśniak als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch T. Henze und A. Lippstreu als Bevollmächtigte,

und

Königreich Schweden, vertreten durch A. Falk, C. Meyer-Seitz, U. Persson, N. Otte Widgren, E. Karlsson und L. Swedenborg als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter) sowie der Richter D. Šváby, J. Malenovský, M. Safjan und M. Vilaras,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Juni 2016

folgendes

Urteil

1

Mit seinen Klageschriften in den Rechtssachen C‑14/15 und C‑116/15 beantragt das Europäische Parlament die Nichtigerklärung des Beschlusses 2014/731/EU des Rates vom 9. Oktober 2014 über die Aufnahme des automatisierten Austauschs von Fahrzeugregisterdaten in Malta (ABl. 2014, L 302, S. 56), des Beschlusses 2014/743/EU des Rates vom 21. Oktober 2014 über die Aufnahme des automatisierten Austauschs von Fahrzeugregisterdaten in Zypern (ABl. 2014, L 308, S. 100) und des Beschlusses 2014/744/EU des Rates vom 21. Oktober 2014 über die Aufnahme des automatisierten Austauschs von Fahrzeugregisterdaten in Estland (ABl. 2014, L 308, S. 102) sowie des Beschlusses 2014/911/EU des Rates vom 4. Dezember 2014 über die Aufnahme des automatisierten Austauschs daktyloskopischer Daten mit Lettland (ABl. 2014, L 360, S. 28) (im Folgenden zusammen: angefochtene Beschlüsse).

Rechtlicher Rahmen

Prümer Vertrag

2

Art. 34 Abs. 2 des Vertrags zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande und der Republik Österreich über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration, unterzeichnet in Prüm (Deutschland) am 27. Mai 2005 (im Folgenden: Prümer Vertrag), lautet:

„Die in diesem Vertrag vorgesehene Übermittlung personenbezogener Daten darf erst beginnen, wenn in dem Hoheitsgebiet der an der Übermittlung beteiligten Vertragsparteien die Bestimmungen dieses Kapitels in das innerstaatliche Recht umgesetzt worden sind. Das Ministerkomitee nach Artikel 43 stellt durch Beschluss fest, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.“

3

Art. 43 Abs. 1 dieses Vertrags sieht vor:

„Die Vertragsparteien richten ein Komitee ein, das sich aus Ministern der Vertragsparteien zusammensetzt. Das Ministerkomitee trifft die erforderlichen Entscheidungen über die Umsetzung und Anwendung dieses Vertrags. Entscheidungen des Ministerkomitees werden durch einstimmigen Beschluss aller Vertragsparteien getroffen.“

Unionsrecht

Beschluss 2008/615/JI

4

Im ersten Erwägungsgrund des Beschlusses 2008/615/JI des Rates vom 23. Juni 2008 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität (ABl. 2008, L 210, S. 1) heißt es:

„Nach Inkrafttreten des [Prümer] Vertrags … wird … diese Initiative für die Überführung des Inhalts des Prümer Vertrags in den Rechtsrahmen der Europäischen Union unterbreitet.“

5

Art. 1 dieses Beschlusses bestimmt:

„Mit diesem Beschluss bezwecken die Mitgliedstaaten, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, insbesondere den Informationsaustausch zwischen den für die Verhinderung und Verfolgung von Straftaten zuständigen Behörden, in den unter Titel VI des [EU-]Vertrags fallenden Bereichen zu vertiefen. Hierfür enthält dieser Beschluss Regelungen für folgende Bereiche:

a)

Bestimmungen über die Voraussetzungen und Verfahren für die automatisierte Übermittlung von DNA-Profilen, daktyloskopischen Daten und bestimmten Daten aus nationalen Fahrzeugregistern (Kapitel 2);

…“

6

In Kapitel 6 dieses Beschlusses sind allgemeine Bestimmungen zum Datenschutz im Zusammenhang mit den in diesem Beschluss vorgesehenen Informationsaustauschvorgängen niedergelegt.

7

Art. 25 Abs. 2 und 3 des Beschlusses 2008/615, der in Kapitel 6 des Beschlusses enthalten ist, lautet wie folgt:

„(2)   Die in diesem Beschluss vorgesehene Übermittlung personenbezogener Daten darf erst beginnen, wenn die Bestimmungen dieses Kapitels in das innerstaatliche Recht des an der Übermittlung beteiligten Mitgliedstaats umgesetzt worden sind. Der Rat stellt durch einstimmigen Beschluss fest, ob diese Voraussetzung erfüllt ist.

(3)   Absatz 2 findet keine Anwendung auf die Mitgliedstaaten, für die die in diesem Beschluss vorgesehene Übermittlung personenbezogener Daten bereits nach dem [Prümer Vertrag] … begonnen hat.“

8

Nach Art. 33 („Durchführungsmaßnahmen“) dieses Beschlusses nimmt der Rat mit qualifizierter Mehrheit und nach Anhörung des Parlaments die für die Durchführung dieses Beschlusses auf Unionsebene erforderlichen Maßnahmen an.

Beschluss 2008/616/JI

9

Art. 20 des Beschlusses 2008/616/JI des Rates vom 23. Juni 2008 zur Durchführung des Beschlusses 2008/615 (ABl. 2008, L 210, S. 12) lautet wie folgt:

„(1)   Der Rat fasst einen Beschluss gemäß Artikel 25 Absatz 2 des Beschlusses [2008/615] auf der Grundlage eines Bewertungsberichts, dem ein Fragebogen zugrunde liegt.

(2)   Im Zusammenhang mit dem automatisierten Datenaustausch gemäß Kapitel 2 des Beschlusses [2008/615] stützt sich der Bewertungsbericht außerdem auf einen Bewertungsbesuch und einen Testlauf, der durchgeführt wird, nachdem der betreffende Mitgliedstaat das Generalsekretariat gemäß Artikel 36 Absatz 2 Satz 1 des Beschlusses [2008/615] unterrichtet hat.

(3)   Weitere Einzelheiten zu dem Verfahren sind in Kapitel 4 des Anhangs zu diesem Beschluss festgelegt.“

Angefochtene Beschlüsse

10

Die angefochtenen Beschlüsse, die zum einen den Beschluss 2008/615, insbesondere dessen Art. 25, und zum anderen den Beschluss 2008/616, insbesondere dessen Art. 20 und Kapitel 4 des Anhangs, betreffen, sehen in ihren Erwägungsgründen 1 bis 3 vor:

„(1)

Gemäß dem dem [EU-]Vertrag …, dem [AEU-]Vertrag … und dem [EAG‑]Vertrag … beigefügten Protokoll über die Übergangsbestimmungen behalten die Rechtsakte der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, die vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon angenommen wurden, so lange Rechtswirkung, bis sie in Anwendung der Verträge aufgehoben, für nichtig erklärt oder geändert werden.

(2)

Daher ist Artikel 25 des Beschlusses [2008/615] anwendbar, und der Rat muss durch einstimmigen Beschluss feststellen, ob die Mitgliedstaaten die Bestimmungen des Kapitels 6 dieses Beschlusses umgesetzt haben.

(3)

Nach Artikel 20 des Beschlusses [2008/616] sind Beschlüsse gemäß Artikel 25 Absatz 2 des Beschlusses [2008/615] auf der Grundlage eines Bewertungsberichts zu fassen, dem ein Fragebogen zugrunde liegt. Im Zusammenhang mit dem automatisierten Datenaustausch gemäß Kapitel 2 des Beschlusses [2008/615] muss sich der Bewertungsbericht auf einen Bewertungsbesuch und einen Testlauf stützen.“

11

Art. 1 des Beschlusses 2014/731 bestimmt:

„Für die Zwecke des automatisierten Abrufs von Fahrzeugregisterdaten hat Malta die allgemeinen Datenschutzbestimmungen des Kapitels 6 des Beschlusses [2008/615] vollständig umgesetzt und ist berechtigt, personenbezogene Daten nach Artikel 12 des genannten Beschlusses ab dem Tag des Inkrafttretens des vorliegenden Beschlusses zu empfangen und zu übermitteln.“

12

Art. 1 des Beschlusses 2014/743 bestimmt:

„Für die Zwecke des automatisierten Abrufs von Fahrzeugregisterdaten hat Zypern die allgemeinen Datenschutzbestimmungen des Kapitels 6 des Beschlusses [2008/615] vollständig umgesetzt und ist berechtigt, personenbezogene Daten nach Artikel 12 des genannten Beschlusses ab dem Tag des Inkrafttretens des vorliegenden Beschlusses zu empfangen und zu übermitteln.“

13

Art. 1 des Beschlusses 2014/744 lautet:

„Für die Zwecke des automatisierten Abrufs von Fahrzeugregisterdaten hat Estland die allgemeinen Datenschutzbestimmungen des Kapitels 6 des Beschlusses [2008/615] vollständig umgesetzt und ist berechtigt, personenbezogene Daten nach Artikel 12 des genannten Beschlusses ab dem Tag des Inkrafttretens des vorliegenden Beschlusses zu empfangen und zu übermitteln.“

14

Art. 1 des Beschlusses 2014/911 lautet wie folgt:

„Für die Zwecke des automatisierten Abrufs daktyloskopischer Daten hat Lettland die allgemeinen Datenschutzbestimmungen des Kapitels 6 des Beschlusses [2008/615] vollständig umgesetzt und ist berechtigt, personenbezogene Daten nach Artikel 9 des genannten Beschlusses ab dem Tag des Inkrafttretens des vorliegenden Beschlusses zu empfangen und zu übermitteln.“

Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

15

Das Parlament beantragt,

die angefochtenen Beschlüsse für nichtig zu erklären und

dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

16

Der Rat beantragt,

die Klagen als unbegründet abzuweisen, was den ersten Klagegrund sowie den ersten Teil und die beiden ersten Elemente des zweiten Teils des zweiten Klagegrundes betrifft, während die Entscheidung über das dritte Element des zweiten Teils des zweiten Klagegrundes in das Ermessen des Gerichtshofs gestellt wird;

hilfsweise, für den Fall, dass die angefochtenen Beschlüsse für nichtig erklärt werden sollten, ihre Wirkungen aufrechtzuerhalten, bis sie durch neue Beschlüsse ersetzt werden;

dem Parlament die Kosten aufzuerlegen.

17

Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 8. April 2015 sind die Rechtssachen C‑14/15 und C‑116/15 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

18

Mit Beschlüssen des Präsidenten des Gerichtshofs vom 24. Juni 2015 sind die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich Schweden in den Rechtssachen C‑14/15 und C‑116/15 als Streithelfer zur Unterstützung des Rates zugelassen worden. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich jedoch an keinem Abschnitt des vorliegenden Verfahrens beteiligt.

Zu den Klagen

19

Das Parlament stützt seine Klagen auf zwei Gründe, mit denen es rügt, dass eine falsche oder rechtswidrige Rechtsgrundlage herangezogen worden sei und dass wesentliche Formvorschriften beim Erlass dieser Beschlüsse verletzt worden seien.

Zum ersten Klagegrund: Wahl einer falschen oder rechtswidrigen Rechtsgrundlage

Vorbringen der Parteien

20

Vorab macht das Parlament geltend, dass Art. 9 des Protokolls (Nr. 36) über die Übergangsbestimmungen (im Folgenden: Protokoll über die Übergangsbestimmungen), der Rechtsakte betrifft, die auf der Grundlage der vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon geltenden Fassung des Vertrags über die Europäische Union erlassen wurden, dahin auszulegen sei, dass er nur die wesentlichen Wirkungen der Rechtsakte der ehemaligen „dritten Säule“ aufrechterhalte und nicht die Beschlussfassungsverfahren, auf die sich diese Rechtsakte bezögen. Diese Verfahren könnten folglich nicht mehr angewendet werden, da sie in den Verträgen nicht mehr enthalten seien.

21

Das Parlament trägt vor, dass sich die angefochtenen Beschlüsse auf Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 stützten und dass diese Bestimmung dahin auszulegen sei, dass mit ihr ein Verfahren zum Erlass von Gesetzgebungsakten eingeführt werde.

22

Hierzu macht es geltend, dass zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Beschlusses Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU zwei verschiedene Verfahren für den Erlass von Gesetzgebungsakten und von Durchführungsmaßnahmen vorgesehen habe und dass nur das für Gesetzgebungsakte einen einstimmigen Beschluss des Rates voraussetze, wie er nach Art. 25 Abs. 2 dieses Beschlusses vorgeschrieben sei. Zudem sei der Erlass von Durchführungsmaßnahmen dieses Beschlusses speziell in dessen Art. 33 geregelt, was bedeute, dass auf der Grundlage einer anderen Bestimmung des Beschlusses 2008/615 erlassene Maßnahmen nicht als Durchführungsmaßnahmen zu qualifizieren seien. Schließlich habe der Rat, obwohl er nach Erhebung der Klage des Parlaments, die zu dem Urteil vom 16. April 2015, Parlament/Rat (C‑317/13 und C‑679/13, EU:C:2015:223), geführt habe, dem Titel verschiedener, auf der Grundlage von Rechtsakten der ehemaligen „dritten Säule“ erlassener Beschlüsse den Begriff „Durchführung“ hinzugefügt habe, keine vergleichbare Änderung des Titels der angefochtenen Beschlüsse vorgenommen.

23

Da der Unionsgesetzgeber nie verpflichtet sei, Befugnisse zu delegieren oder zu übertragen, könne ein bestimmter Rechtsakt je nach Wahl dieses Gesetzgebers manchmal entweder als Gesetzgebungsakt oder als Durchführungsmaßnahme erlassen werden.

24

Die angefochtenen Beschlüsse müssten somit als Gesetzgebungsakte angesehen werden und hätten daher auf dieselben durch den Vertrag von Lissabon geänderten Rechtsgrundlagen wie den Beschluss 2008/615 gestützt werden müssen, nämlich auf Art. 82 Abs. 1 Buchst. d und auf Art. 87 Abs. 2 Buchst. a AEUV.

25

Hilfsweise macht das Parlament geltend, dass, selbst wenn der Gerichtshof feststelle, dass die Art. 82 und 87 AEUV keine angemessenen Rechtsgrundlagen für den Erlass der angefochtenen Beschlüsse darstellten, diese gleichwohl für nichtig zu erklären seien, weil Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615, die vom Rat herangezogene Rechtsgrundlage, ex tunc rechtswidrig sei.

26

In diesem Zusammenhang trägt das Parlament vor, dass Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 eine abgeleitete Rechtsgrundlage schaffe, die die in den Verträgen vorgesehenen Modalitäten für den Erlass von Gesetzgebungsakten auf dem betreffenden Gebiet erleichtere, da sie weder eine vorherige Initiative eines Mitgliedstaats oder der Europäischen Kommission noch die Anhörung des Parlaments vorsehe, obwohl diese Elemente nach dem zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses 2008/615 anwendbaren Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU vorgeschrieben seien.

27

Sollte der Gerichtshof außerdem der Ansicht sein, dass die angefochtenen Beschlüsse Durchführungsmaßnahmen darstellten, weiche das Verfahren nach Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 vom EU-Vertrag ab, nicht nur was die Regelung zur Initiative und das Fehlen der Anhörung des Parlaments betreffe, sondern auch soweit diese Bestimmung einen einstimmigen Beschluss anstelle eines mit qualifizierter Mehrheit gefassten Beschlusses des Rates verlange.

28

Der Rat ist der Ansicht, dass Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 ihm Durchführungsbefugnisse verleihe. Die angefochtenen Beschlüsse seien daher Durchführungsmaßnahmen und keine Gesetzgebungsakte.

29

Die These des Parlaments, wonach die Tatsache, dass dieser Artikel Einstimmigkeit vorsehe, darauf hinweise, dass der Erlass von Gesetzgebungsakten bezweckt sei, verkenne die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach die Rechtsgrundlage das zu beachtende Verfahren bestimme und nicht umgekehrt.

30

Zudem belegten der Wortlaut von Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615, die allgemeine Systematik dieses Beschlusses und der Umstand, dass den auf der Grundlage dieser Bestimmung erlassenen Rechtsakten eigenständige Zwecke fehlten, dass diese Rechtsakte Durchführungsmaßnahmen dieses Beschlusses seien.

31

Was die behauptete Rechtswidrigkeit von Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 angeht, stellt der Rat fest, dass sich aus den Urteilen vom 16. April 2015, Parlament/Rat (C‑317/13 und C‑679/13, EU:C:2015:223), und vom 16. April 2015, Parlament/Rat (C‑540/13, EU:C:2015:224), ergebe, dass der Unterschied zwischen den in dieser Bestimmung und in den Verträgen vorgesehenen Verfahren nicht bedeute, dass diese Bestimmung rechtswidrig sei, da vielmehr eine konforme Auslegung vorzunehmen sei.

32

Was insbesondere das Erfordernis der Einstimmigkeit betrifft, ist der Rat der Auffassung, dass das Argument des Parlaments auf einem Missverständnis beruhe, das sich aus einer unglücklichen Formulierung von Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 ergebe.

33

Während nämlich ein einstimmiger Beschluss des Rates üblicherweise durch die Formulierung „beschließt einstimmig“ bezeichnet werde, werde in dieser Bestimmung der weniger eindeutige Ausdruck „stellt durch einstimmigen Beschluss fest“ verwendet.

34

In diesem Zusammenhang ist der Rat aufgrund der allgemeinen Systematik und des Wortlauts des Beschlusses 2008/615 der Auffassung, dass das fragliche Verfahren in Wirklichkeit zwei Stufen umfasse. In einem ersten Schritt müsse der Rat die tatsächliche Feststellung vornehmen, dass die in Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses genannte Voraussetzung erfüllt sei, was eine Reihe ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarungen aller Mitgliedstaaten einschließe. Diese Stufe sei durch die Notwendigkeit geboten, die Integrität und Sicherheit des Systems des Informationsaustauschs zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen. In einem zweiten Schritt entscheide der Rat mit qualifizierter Mehrheit über die Festlegung eines Datums für den Beginn der Übermittlungen.

35

Ein vergleichbares System, das sich durch die Kombination einer Phase der einvernehmlichen Prüfung des ordnungsgemäßen Funktionierens eines bestehenden Netzes und einer sich anschließenden Phase der förmlichen Beschlussfassung des Rates auszeichne, liege dem Erlass verschiedener Rechtsinstrumente zugrunde.

36

Was den Beschluss 2008/615 betreffe, habe der Unionsgesetzgeber wegen des historischen Kontexts seines Erlasses, nämlich der Überführung des mit dem Prümer Vertrag eingeführten Mechanismus in den Rechtsrahmen der Union, nicht hinreichend zwischen den beiden Phasen des fraglichen Verfahrens unterschieden und das Einvernehmen der ersten Phase und die qualifizierte Mehrheit der zweiten Phase zu einem einzigen Erfordernis zusammengefasst, nämlich der Einstimmigkeit in Bezug auf den vorhergehenden einvernehmlichen Schritt.

Würdigung durch den Gerichtshof

37

Vorab ist festzustellen, dass aus dem Wortlaut der angefochtenen Beschlüsse eindeutig hervorgeht, dass diese auf Art. 25 des Beschlusses 2008/615 und auf Art. 20 des Beschlusses 2008/616 gestützt sind (vgl. entsprechend Urteile vom 16. April 2015, Parlament/Rat, C‑317/13 und C‑679/13, EU:C:2015:223, Rn. 28 bis 31, sowie vom 10. September 2015, Parlament/Rat, C‑363/14, EU:C:2015:579, Rn. 23 bis 26), wobei der letztgenannte Artikel im Übrigen lediglich die Voraussetzungen für den Erlass der in Art. 25 des Beschlusses 2008/615 genannten Beschlüsse erläutert.

38

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs muss die Wahl der Rechtsgrundlage eines Unionsrechtsakts auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen, zu denen das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehören (Urteil vom 6. Mai 2014, Kommission/Parlament und Rat, C‑43/12, EU:C:2014:298, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39

Zwischen den Parteien besteht zwar zum Verhältnis zwischen Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 und dem Ziel oder Inhalt der angefochtenen Beschlüsse keine Uneinigkeit.

40

Das Parlament trägt jedoch zum einen vor, dass diese Bestimmung nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon nicht mehr als Rechtsgrundlage für den Erlass neuer Rechtsakte dienen könne, und zum anderen, dass sie jedenfalls rechtswidrig sei.

41

Zu dem Vorbringen des Parlaments, dass das in Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 vorgesehene Verfahren nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon nicht mehr angewendet werden könne, ist darauf hinzuweisen, dass das Protokoll über die Übergangsbestimmungen Vorschriften speziell zu den rechtlichen Regelungen enthält, die nach Inkrafttreten dieses Vertrags auf die vor diesem Zeitpunkt auf der Grundlage des EU-Vertrags erlassenen Rechtsakte anwendbar sind (Urteil vom 10. September 2015, Parlament/Rat, C‑363/14, EU:C:2015:579, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42

So sieht Art. 9 dieses Protokolls vor, dass diese Rechtsakte so lange Rechtswirkung behalten, bis sie in Anwendung der Verträge aufgehoben, für nichtig erklärt oder geändert werden.

43

Der Gerichtshof hat entschieden, dass dieser Artikel dahin auszulegen ist, dass eine Bestimmung eines vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ordnungsgemäß auf der Grundlage des EU-Vertrags ergangenen Rechtsakts, die Modalitäten für den Erlass anderer Maßnahmen vorsieht, weiterhin ihre Rechtswirkungen entfaltet, solange sie nicht aufgehoben, für nichtig erklärt oder geändert worden ist, und den Erlass dieser Maßnahmen in Anwendung des von ihr definierten Verfahrens ermöglicht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. April 2015, Parlament/Rat, C‑540/13, EU:C:2015:224, Rn. 47, und vom 10. September 2015, Parlament/Rat, C‑363/14, EU:C:2015:579, Rn. 70).

44

Daraus folgt, dass das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon als solches den Erlass von Rechtsakten wie den angefochtenen Beschlüssen im Rahmen des in Art. 25 des Beschlusses 2008/615 definierten Verfahrens nicht ausschließt. Dem Vorbringen des Parlaments, wonach solche Rechtsakte notwendigerweise auf Art. 82 Abs. 1 Buchst. d und Art. 87 Abs. 2 Buchst. a AEUV gestützt werden müssten, kann daher nicht gefolgt werden.

45

Demnach kann der erste Klagegrund des Parlaments nur dann Erfolg haben, wenn festgestellt wird, dass Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 rechtswidrig ist.

46

Das Parlament macht geltend, dass dies der Fall sei, da sich aus diesem Artikel ergebe, dass sich die Modalitäten, die er für den Erlass von Maßnahmen wie den angefochtenen Beschlüssen festlege, von dem in den Verträgen hierfür vorgesehenen Verfahren unterschieden.

47

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs können jedoch – da die Grundsätze über die Willensbildung der Unionsorgane in den Verträgen festgelegt sind und nicht zur Disposition der Mitgliedstaaten oder der Organe selbst stehen – allein die Verträge ein Organ in besonderen Fällen dazu ermächtigen, ein von ihnen geschaffenes Entscheidungsverfahren zu ändern. Würde daher einem Organ die Möglichkeit zur Schaffung abgeleiteter Rechtsgrundlagen gegeben, die den Erlass von Gesetzgebungsakten oder Durchführungsmaßnahmen ermöglichen, sei es im Sinne einer Verschärfung oder einer Erleichterung der Modalitäten des Erlasses eines Rechtsakts, so liefe dies darauf hinaus, ihm eine Rechtsetzungsbefugnis zu verleihen, die über das in den Verträgen vorgesehene Maß hinausginge (Urteil vom 10. September 2015, Parlament/Rat, C‑363/14, EU:C:2015:579, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48

Da die Rechtmäßigkeit eines Unionsrechtsakts anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seines Erlasses zu beurteilen ist, ist die Rechtmäßigkeit von Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 in diesem Zusammenhang anhand der Bestimmungen zu beurteilen, die den Erlass von Maßnahmen wie den angefochtenen Beschlüssen zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Beschlusses regelten, d. h. anhand der Art. 34 Abs. 2 Buchst. c und Art. 39 Abs. 1 EU (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. April 2015, Parlament/Rat, C‑540/13, EU:C:2015:224, Rn. 35, und vom 10. September 2015, Parlament/Rat, C‑363/14, EU:C:2015:579, Rn. 59).

49

Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass der Rat einstimmig auf Initiative eines jeden Mitgliedstaats oder der Kommission Gesetzgebungsakte für Zwecke erlassen kann, die mit den Zielen des Titels VI des EU-Vertrags, jedoch mit Ausnahme der in Art. 34 Abs. 2 Buchst. a und b EU genannten Bereiche in Einklang stehen, und mit qualifizierter Mehrheit die zur Durchführung dieser Rechtsakte auf Unionsebene erforderlichen Maßnahmen erlässt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2015, Parlament/Rat, C‑363/14, EU:C:2015:579, Rn. 60 bis 66). In beiden Fällen können diese Maßnahmen nur nach Anhörung des Parlaments erlassen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. April 2015, Parlament/Rat, C‑540/13, EU:C:2015:224, Rn. 36).

50

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass das im Primärrecht festgelegte Verfahren, dem das Verfahren nach Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 entsprechen muss, unterschiedlich ist, je nachdem, ob die in Anwendung dieser Bestimmung erlassenen Rechtsakte als Gesetzgebungsakte oder als Durchführungsmaßnahmen anzusehen sind.

51

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Parlament nicht bestreitet, dass der Unionsgesetzgeber die Möglichkeit hatte, vorzusehen, dass Rechtsakte wie die angefochtenen Beschlüsse als Durchführungsmaßnahmen erlassen werden. Er habe sich jedoch dafür entschieden, von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch zu machen, und vielmehr beschlossen, sich die Befugnis zum Erlass solcher Rechtsakte vorzubehalten.

52

Entgegen dem Vorbringen des Rates kann dieses Argument des Parlaments daher nicht bereits deshalb zurückgewiesen werden, weil gegebenenfalls festgestellt wird, dass sich aus dem Ziel und dem Inhalt der in Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 genannten Rechtsakte ergibt, dass deren Erlass an eine vollstreckende Behörde übertragen werden kann, soweit sie nicht die wesentlichen Aspekte einer Grundregelung festlegen, deren Erlass politische Entscheidungen erfordert, die ausschließlich in die eigene Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers fallen.

53

Die Meinungsverschiedenheit zwischen den Parteien betrifft nämlich nicht diesen Punkt, sondern vielmehr die Frage, ob der Unionsgesetzgeber beim Erlass von Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 beschlossen hat, dem Rat eine abgeleitete Rechtsetzungsbefugnis oder eine einfache Durchführungsbefugnis einzuräumen.

54

Insoweit ist festzustellen, dass diese Bestimmung die Rechtsakte, deren Erlass sie ermöglicht, nicht ausdrücklich bezeichnet.

55

Aus ihrem Wortlaut ergibt sich jedoch, dass der vom Rat in diesem Rahmen erlassene Rechtsakt lediglich sicherstellen soll, dass Kapitel 6 des Beschlusses 2008/615, in dem die allgemeinen Bestimmungen zum Datenschutz niedergelegt sind, in einem Mitgliedstaat umgesetzt worden ist, um die in diesem Beschluss vorgesehene Übermittlung von personenbezogenen Daten an diesen Mitgliedstaat zu ermöglichen.

56

Daraus folgt, dass sich sowohl aus den Voraussetzungen für den Erlass dieses Rechtsakts als auch aus dessen Wirkungen ergibt, dass der Unionsgesetzgeber den Gegenstand dieses Rechtsakts streng auf die Umsetzung des durch den Beschluss 2008/615 festgelegten Rahmens begrenzen wollte, ohne dem Rat die Aufgabe zu überlassen, beim Erlass des Rechtsakts beträchtliche politische Entscheidungen zu treffen.

57

Diese Feststellung wird durch den Zusammenhang bestätigt, in den sich Art. 25 Abs. 2 dieses Beschlusses einfügt, der bei der Auslegung dieser Vorschrift zu berücksichtigen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2014, M’Bodj, C‑542/13, EU:C:2014:2452, Rn. 34).

58

Diese Bestimmung ist in einem Kapitel dieses Beschlusses enthalten, in dem die Voraussetzungen für die Anwendung der durch diesen Beschluss eingerichteten Mechanismen für den Informationsaustausch in anderen als den in seinem Art. 25 Abs. 3 genannten Mitgliedstaaten präzisiert werden.

59

Außerdem ist festzustellen, dass sich aus Art. 20 des Beschlusses 2008/616 und aus Kapitel 4 seines Anhangs, auf den dieser Artikel verweist, ergibt, dass Rechtsakte wie die angefochtenen Beschlüsse nach einem im Wesentlichen technischen Bewertungsverfahren zu erlassen sind, das von einer Arbeitsgruppe des Rates und einem Expertenteam geführt wird.

60

Diese verschiedenen Elemente zusammen mit dem Umstand, dass im Beschluss 2008/615 jegliche Bezugnahme auf den Erlass eines Gesetzgebungsakts oder einen etwaigen Willen des Unionsgesetzgebers, sich die Zuständigkeit zur Regelung des betreffenden Bereichs vorzubehalten, fehlt, deuten darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber beim Erlass von Art. 25 Abs. 2 dieses Beschlusses beschlossen hat, es dem Rat zu überlassen, die erforderlichen Maßnahmen zur Umsetzung dieses Beschlusses auf Unionsebene zu erlassen.

61

Dieses Ergebnis kann durch die vom Parlament vorgebrachten Argumente nicht in Frage gestellt werden.

62

Erstens reicht die Klarstellung in Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 „[d]er Rat stellt durch einstimmigen Beschluss fest“ nicht aus, um nachzuweisen, dass der Gesetzgeber damit auf das nach Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU für den Erlass von Gesetzgebungsakten vorgesehene Verfahren Bezug nehmen wollte.

63

Obwohl dieses Verfahren nämlich tatsächlich verlangt, dass der Rat einstimmig beschließt, kann der Wortlaut dieser Abstimmungsregel allein ohne Nennung der anderen Erfordernisse dieses Verfahrens, d. h. der Initiative eines Mitgliedstaats oder der Kommission und der Anhörung des Parlaments, nicht als eindeutiger Ausdruck des Willens des Unionsgesetzgebers angesehen werden, die Anwendung dieses Verfahrens vorzusehen.

64

Dieses Ergebnis wird durch den historischen Kontext bestätigt, in dem der Beschluss 2008/615 erlassen worden ist. Wie im ersten Erwägungsgrund dieses Beschlusses hervorgehoben, hat dieser nämlich zum Ziel, den Inhalt des Prümer Vertrags in den Rechtsrahmen der Union zu überführen. Art. 34 Abs. 2 dieses Vertrags sah nämlich einen ähnlichen Mechanismus wie den durch Art. 25 Abs. 2 dieses Beschlusses eingeführten vor, der u. a. gemäß Art. 43 Abs. 1 dieses Vertrags einen einstimmigen Beschluss der Minister der an diesem Vertrag beteiligten Staaten voraussetzte.

65

Zweitens kann der Umstand, dass Art. 33 des Beschlusses 2008/615 dem Rat die Befugnis verleiht, Maßnahmen zu seiner Durchführung zu erlassen, nicht entscheidend sein.

66

Art. 33 und Art. 25 Abs. 2 dieses Beschlusses haben nämlich offensichtlich deutlich unterschiedliche Funktionen. Während Ersterer, der lediglich die dem Rat nach Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU übertragene Befugnis widerspiegelt, allgemein den Erlass von Durchführungsmaßnahmen zu diesem Beschluss betrifft, sieht Letzterer den Erlass von besonderen Maßnahmen im Rahmen eines vom Unionsgesetzgeber speziell vorgesehenen Verfahrens zur Genehmigung der Übermittlung personenbezogener Daten in andere als die in Art. 25 Abs. 3 dieses Beschlusses genannten Mitgliedstaaten vor.

67

Dass der Unionsgesetzgeber beschlossen hat, Art. 33 des Beschlusses 2008/615 den Durchführungsmaßnahmen zu diesem Beschluss zu widmen, kann daher für sich genommen nicht bedeuten, dass die auf der Grundlage von Art. 25 Abs. 2 dieses Beschlusses erlassenen Rechtsakte nicht mehr als Durchführungsmaßnahmen qualifiziert werden könnten und als Gesetzgebungsakte anzusehen wären.

68

Drittens kann der Umstand, dass sich der Rat entschieden hat, die tatsächlich auf dieser Grundlage erlassenen Rechtsakte nicht als „Durchführungsbeschlüsse“ zu bezeichnen, angesichts der Tatsache, dass diese Entscheidung keine rechtlichen Folgen hat, und des Zeitpunkts, zu dem sie erfolgt ist, nicht mit Erfolg zur Stützung der Argumentation des Parlaments herangezogen werden.

69

Daher ist Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 dahin auszulegen, dass er vorsieht, dass der Rat einstimmig Durchführungsmaßnahmen zu diesem Beschluss erlässt.

70

Insoweit ist das Vorbringen des Rates, wonach diese Bestimmung so zu verstehen sei, dass sie zwei Phasen vorsehe, die einen einvernehmlichen Beschluss gefolgt von einem Beschluss mit qualifizierter Mehrheit umfassten, mit dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung unvereinbar, wonach „der Rat durch einstimmigen Beschluss feststellt“, und findet darüber hinaus keine Stütze in anderen Teilen des Beschlusses 2008/615.

71

Dass andere Rechtsakte der Union ein Verfahren dieser Art vorsehen oder dass dieses aus zwingenden politischen Gründen – ihren Nachweis unterstellt – gerechtfertigt ist, bedeutet deshalb jedenfalls nicht, dass der vom Rat vorgeschlagenen Auslegung von Art. 25 Abs. 2 dieses Beschlusses gefolgt werden kann.

72

Nach alledem führt Art. 25 Abs. 2 des Beschlusses 2008/615 dadurch, dass er vorschreibt, dass die zur Durchführung dieses Beschlusses auf Unionsebene erforderlichen Maßnahmen vom Rat einstimmig erlassen werden, obwohl Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU vorsieht, dass solche Maßnahmen vom Rat mit qualifizierter Mehrheit zu erlassen sind, rechtswidrig Modalitäten für den Erlass von Maßnahmen wie den angefochtenen Beschlüssen ein, die strenger als die hierfür in den Verträgen vorgesehenen Verfahren sind.

73

Daraus folgt, dass der erste Klagegrund des Parlaments begründet ist und die angefochtenen Beschlüsse dementsprechend für nichtig zu erklären sind.

Zum zweiten Klagegrund: Verletzung wesentlicher Formvorschriften

74

Da der erste Klagegrund des Parlaments durchgreift und die angefochtenen Beschlüsse aus diesem Grund für nichtig zu erklären sind, erübrigt sich eine Prüfung des zweiten Klagegrundes des Parlaments.

Zum Antrag auf Aufrechterhaltung der Wirkungen der angefochtenen Beschlüsse

75

Der Rat beantragt für den Fall, dass der Gerichtshof die angefochtenen Beschlüsse für nichtig erklärt, ihre Wirkungen aufrechtzuerhalten, bis sie durch neue Rechtsakte ersetzt werden. Das Parlament führt aus, dass es diesem Antrag nicht widerspreche.

76

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof, wenn er eine Handlung für nichtig erklärt, nach Art. 264 Abs. 2 AEUV, falls er dies für notwendig hält, diejenigen ihrer Wirkungen bezeichnen kann, die als fortgeltend zu betrachten sind.

77

Würde man im vorliegenden Fall die angefochtenen Beschlüsse für nichtig erklären, ohne die Fortgeltung ihrer Wirkungen vorzusehen, könnte dies die Wirksamkeit des Informationsaustauschs zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten mit dem Ziel der Aufdeckung und Untersuchung von Straftaten und damit die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit beeinträchtigen. Das Parlament beantragt zwar die Nichtigerklärung der angefochtenen Beschlüsse wegen der Anwendung einer rechtswidrigen Rechtsgrundlage durch den Rat, beanstandet aber weder deren Zielsetzung noch deren Inhalt.

78

Daher sind die Wirkungen der angefochtenen Beschlüsse bis zum Inkrafttreten der neuen Rechtsakte, die sie ersetzen sollen, aufrechtzuerhalten.

Kosten

79

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Rat mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag des Parlaments die Kosten aufzuerlegen.

80

Gemäß Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich Schweden ihre eigenen Kosten.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Der Beschluss 2014/731/EU des Rates vom 9. Oktober 2014 über die Aufnahme des automatisierten Austauschs von Fahrzeugregisterdaten in Malta, der Beschluss 2014/743/EU des Rates vom 21. Oktober 2014 über die Aufnahme des automatisierten Austauschs von Fahrzeugregisterdaten in Zypern, der Beschluss 2014/744/EU des Rates vom 21. Oktober 2014 über die Aufnahme des automatisierten Austauschs von Fahrzeugregisterdaten in Estland und der Beschluss 2014/911/EU des Rates vom 4. Dezember 2014 über die Aufnahme des automatisierten Austauschs daktyloskopischer Daten mit Lettland werden für nichtig erklärt.

 

2.

Die Wirkungen der Beschlüsse 2014/731, 2014/743, 2014/744 und 2014/911 werden bis zum Inkrafttreten der sie ersetzenden Rechtsakte aufrechterhalten.

 

3.

Der Rat der Europäischen Union trägt die Kosten.

 

4.

Die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich Schweden tragen ihre eigenen Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen

This content does not contain any references.