Schlussantrag des Generalanwalts vom Europäischer Gerichtshof - C-439/16 PPU

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MICHAL BOBEK

vom 11. Oktober 2016 ( 1 )

Rechtssache C‑439/16 PPU

Emil Milev

(Vorabentscheidungsersuchen des Spetsializiran nakazatelen sad [Besonderes Strafgericht, Bulgarien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Eilvorabentscheidungsverfahren — Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen — Richtlinie (EU) 2016/343 — Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung — Art. 3 und 6 — Zeitliche Geltung — Nationale Regelung, die in der gerichtlichen Phase des Verfahrens eine Prüfung der Frage verbietet, ob der hinreichende Verdacht besteht, dass der Angeklagte eine Straftat begangen hat — ‚Hinweise‘ eines Obersten Gerichtshofs, mit denen ein Widerspruch zwischen der nationalen Regelung und Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 4 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten festgestellt wird — Beurteilungsspielraum, der den nationalen Gerichten bei der Entscheidung über die Frage gelassen wird, ob die Konvention angewandt wird oder nicht“

I – Einleitung

1.

Nach dem Nakazatelno-protsesualen kodeks (Strafprozessordnung, im Folgenden: NPK) ist es einem Gericht, das über eine Untersuchungshaftmaßnahme zu befinden hat, in der gerichtlichen Phase des Strafverfahrens nicht möglich, die Frage prüfen, ob der hinreichende Verdacht besteht, dass eine Straftat begangen wurde. Diese Regelung hat mehrfach zu Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) geführt. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR verlangt Art. 5 Abs. 4 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) „von den mit einem Entlassungsgesuch befassten Gerichten u. a., dass die Frage geprüft wird, ob ein hinreichender Verdacht besteht, dass der Beschuldigte eine Straftat begangen hat“ ( 2 ).

2.

Der Varhoven kasatsionen sad (Oberster Kassationsgerichtshof, Bulgarien) hat auf Ersuchen des vorlegenden Gerichts, des Spetsializiran nakazatelen sad (Besonderes Strafgericht, Bulgarien), einen Widerspruch zwischen dieser nationalen prozessualen Regelung und Art. 5 Abs. 4 EMRK in Verbindung mit deren Art. 5 Abs. 1 Buchst. c festgestellt (im Folgenden: Hinweise des Obersten Gerichtshofs). Er hat den nationalen Gerichten jedoch die Entscheidung überlassen, ob sie in Erwartung eines Tätigwerdens des Gesetzgebers die Rechtsprechung des EGMR oder die nationale Regelung anwenden wollen.

3.

Die vorliegende Vorabentscheidungssache betrifft die Vereinbarkeit der Hinweise des Varhoven kasatsionen sad (Oberster Kassationsgerichtshof) mit der Richtlinie (EU) 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren ( 3 ). Die Besonderheit dieser Rechtssache liegt in der Tatsache begründet, dass das im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Emil Milev und seiner vorläufigen Inhaftnahme vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen einige Monate nach Inkrafttreten der Richtlinie 2016/343 und deutlich vor Ablauf der Frist für ihre Umsetzung beim Gerichtshof eingegangen ist.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

1. Charta

4.

Gemäß Art. 6 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) hat „[j]eder Mensch … das Recht auf Freiheit und Sicherheit“.

5.

In Art. 47 („Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht“) der Charta heißt es:

„Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.

Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

…“

6.

Art. 48 („Unschuldsvermutung und Verteidigungsrechte“) der Charta lautet:

„(1)   Jeder Angeklagte gilt bis zum rechtsförmlich erbrachten Beweis seiner Schuld als unschuldig.

(2)   Jedem Angeklagten wird die Achtung der Verteidigungsrechte gewährleistet.“

2. Richtlinie 2016/343

7.

Die Erwägungsgründe 16 und 22 der Richtlinie 2016/343 lauten:

„(16)

Ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung läge vor, wenn der Verdächtige oder die beschuldigte Person in einer öffentlichen Erklärung einer Behörde oder in einer gerichtlichen Entscheidung, bei der es sich nicht um eine Entscheidung über die Schuld handelt, als schuldig dargestellt wird, solange die Schuld dieser Person nicht rechtsförmlich nachgewiesen wurde. Solche Erklärungen und gerichtlichen Entscheidungen sollten nicht den Eindruck vermitteln, dass die betreffende Person schuldig ist. Davon sollten Strafverfolgungsmaßnahmen unberührt bleiben, die darauf abzielen, den Verdächtigen oder die beschuldigte Person zu überführen, wie etwa die Anklage, ebenso wie gerichtliche Entscheidungen, mit denen die Aussetzung einer Strafe zur Bewährung widerrufen wird, soweit dabei die Rechte der Verteidigung gewahrt werden. Ebenso unberührt bleiben sollten vorläufige Entscheidungen verfahrensrechtlicher Art, die von einer gerichtlichen oder sonstigen zuständigen Stelle getroffen werden und auf Verdachtsmomenten oder belastendem Beweismaterial beruhen, wie etwa Entscheidungen über Untersuchungshaft, soweit der Verdächtige oder die beschuldigte Personen darin nicht als schuldig bezeichnet wird. Bevor eine vorläufige Entscheidung verfahrensrechtlicher Art getroffen wird, müsste die zuständige Stelle unter Umständen zunächst prüfen, ob das gegen den Verdächtigen oder die beschuldigte Person vorliegende belastende Beweismaterial ausreicht, um die betreffende Entscheidung zu rechtfertigen; in der Entscheidung könnte auf dieses Beweismaterial Bezug genommen werden.

(22)

Die Beweislast für die Feststellung der Schuld von Verdächtigen und beschuldigten Personen liegt bei der Strafverfolgungsbehörde; Zweifel sollten dem Verdächtigen oder der beschuldigten Person zugutekommen. Unbeschadet einer möglichen Befugnis des Gerichts zur Tatsachenfeststellung von Amts wegen, der Unabhängigkeit der Justiz bei der Prüfung der Schuld des Verdächtigen oder der beschuldigten Person und der Anwendung von Tatsachen- oder Rechtsvermutungen bezüglich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit eines Verdächtigen oder einer beschuldigten Person läge ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung vor, wenn die Beweislast von der Strafverfolgungsbehörde auf die Verteidigung verlagert würde. Derartige Vermutungen sollten unter Berücksichtigung der Bedeutung der betroffenen Belange und unter Wahrung der Verteidigungsrechte auf ein vertretbares Maß beschränkt werden, und die eingesetzten Mittel sollten in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten legitimen Ziel stehen. Diese Vermutungen sollten widerlegbar sein und sollten in jedem Fall nur angewendet werden, wenn die Verteidigungsrechte gewahrt sind.“

8.

Gemäß Art. 3 („Unschuldsvermutung“) der Richtlinie 2016/343 „[stellen d]ie Mitgliedstaaten … sicher, dass Verdächtige und beschuldigte Personen als unschuldig gelten, bis ihre Schuld rechtsförmlich nachgewiesen wurde“.

9.

In Art. 4 („Öffentliche Bezugnahme auf die Schuld“) Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2016/343 heißt es:

„(1)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass, solange die Schuld eines Verdächtigen oder einer beschuldigten Person nicht rechtsförmlich nachgewiesen wurde, in öffentlichen Erklärungen von Behörden und in nicht die Frage der Schuld betreffenden gerichtlichen Entscheidungen nicht so auf die betreffende Person Bezug genommen wird, als sei sie schuldig. Dies gilt unbeschadet der Strafverfolgungsmaßnahmen, die dazu dienen, den Verdächtigen oder die beschuldigte Person zu überführen, sowie unbeschadet der vorläufigen Entscheidungen verfahrensrechtlicher Art, die von einer gerichtlichen oder sonstigen zuständigen Stelle getroffen werden und auf Verdachtsmomenten oder belastendem Beweismaterial beruhen.

(2)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass bei einem Verstoß gegen die in Absatz 1 dieses Artikels festgelegte Verpflichtung, nicht so auf Verdächtige oder beschuldigte Personen Bezug zu nehmen, als seien sie schuldig, im Einklang mit dieser Richtlinie und insbesondere mit Artikel 10 geeignete Maßnahmen zur Verfügung stehen.“

10.

Art. 6 („Beweislast“) der Richtlinie 2016/343 lautet:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Beweislast für die Feststellung der Schuld von Verdächtigen und beschuldigten Personen bei der Strafverfolgungsbehörde liegt. Dies gilt unbeschadet einer Verpflichtung des Richters oder des zuständigen Gerichts, sowohl belastende als auch entlastende Beweise zu ermitteln, und unbeschadet des Rechts der Verteidigung, gemäß dem geltenden nationalen Recht Beweismittel vorzulegen.

(2)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass jeglicher Zweifel hinsichtlich der Frage der Schuld dem Verdächtigen oder der beschuldigten Personen zugutekommt, einschließlich in Fällen, wenn das Gericht prüft, ob die betreffende Person freigesprochen werden sollte.“

11.

Art. 10 („Rechtsbehelfe“) der Richtlinie 2016/343 lautet:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verdächtige und beschuldigte Personen im Falle einer Verletzung ihrer in dieser Richtlinie festgelegten Rechte über einen wirksamen Rechtsbehelf verfügen.

(2)   Unbeschadet der nationalen Vorschriften und Regelungen über die Zulässigkeit von Beweismitteln sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass bei der Würdigung von Aussagen von Verdächtigen oder beschuldigten Personen oder von Beweisen, die unter Missachtung des Aussageverweigerungsrechts oder des Rechts, sich nicht selbst belasten zu müssen, erlangt wurden, die Verteidigungsrechte und das Recht auf ein faires Verfahren beachtet werden.“

12.

Gemäß ihrem Art. 15 ist die am 11. März 2016 veröffentlichte Richtlinie 2016/343 am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft getreten. Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, die erforderlich sind, um der genannten Richtlinie bis zum 1. April 2018 nachzukommen.

B – Bulgarisches Recht

13.

Nach Art. 56 Abs. 1 NPK kann gegen einen Beschuldigten eine Zwangsmaßnahme verhängt werden, wenn „aufgrund der Beweise in der Sache der hinreichende Verdacht erhoben werden kann, dass er die Straftat begangen hat, und einer der in Art. 57 genannten Rechtfertigungsgründe vorliegt“. Gemäß Art. 57 NPK werden diese Zwangsmaßnahmen verhängt, um zu verhindern, dass der Beschuldigte flieht, eine Straftat begeht oder die Vollstreckung der endgültigen strafrechtlichen Verurteilung verhindert. Art. 58 Abs. 4 NPK nennt die Untersuchungshaft als eine dieser Zwangsmaßnahmen.

14.

Gemäß Art. 63 Abs. 1 NPK wird Untersuchungshaft angeordnet, wenn „der hinreichende Verdacht besteht, dass der Beschuldigte eine Straftat begangen hat, die mit Freiheitsstrafe oder einer anderen, schwereren Strafe bewehrt ist, und sich aus den Beweisen in der Sache ergibt, dass tatsächlich die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte flieht oder eine Straftat begeht“. In Art. 64 Abs. 4 NPK, der die vorgerichtliche Phase betrifft, heißt es: „Das Gericht verhängt die Zwangsmaßnahme ‚Untersuchungshaft‘, wenn die in Art. 63 Abs. 1 genannten Voraussetzungen erfüllt sind; ist dies nicht der Fall, kann das Gericht beschließen, keine Zwangsmaßnahme oder eine mildere Maßnahme zu verhängen.“

15.

Nach Art. 256 Abs. 1 Nr. 2 NPK äußert sich der Berichterstatter bei der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung zur Zwangsmaßnahme, ohne die Frage zu prüfen, ob der hinreichende Verdacht besteht, dass eine Straftat begangen wurde. Nach Abs. 3 dieser Vorschrift gilt diese Beschränkung auch im Fall eines sich auf die Zwangsmaßnahme „Untersuchungshaft“ beziehenden Antrags, wenn das Gericht prüft, ob die Voraussetzungen für eine Umwandlung oder Aufhebung der Zwangsmaßnahme erfüllt sind.

16.

Gemäß Art. 270 Abs. 1 NPK kann die Frage der Abänderung der Zwangsmaßnahme jederzeit während des gerichtlichen Verfahrens aufgeworfen werden. Nach Art. 270 Abs. 2 NPK äußert sich das Gericht durch in öffentlicher Sitzung gefassten Beschluss, ohne die Frage zu prüfen, ob der hinreichende Verdacht besteht, dass eine Straftat begangen wurde.

III – Tatsächlicher Rahmen und Vorlagefrage

17.

Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Herrn Milev acht Straftaten zur Last gelegt werden, darunter die Leitung einer organisierten und bewaffneten kriminellen Vereinigung, eine Entführung, der Raub und das Inbrandsetzen eines Kraftfahrzeugs, ein versuchter Totschlag an einem Polizeibediensteten sowie Raubüberfälle auf eine Bank und zwei Tankstellen. Für diese Straftaten sind verschiedene Strafen des Freiheitsentzugs vorgesehen; die niedrigste beläuft sich auf eine dreijährige Freiheitsstrafe, die höchste auf lebenslängliche Haft ohne Recht auf Umwandlung.

18.

Herr Milev befindet sich seit dem 24. November 2013 in Haft. Während des Ermittlungsverfahrens war das zuständige Gericht der Auffassung, dass der hinreichende Verdacht fortbestehe, dass Herr Milev die fraglichen Straftaten begangen habe.

19.

Seit dem Eintritt des Verfahrens in die gerichtliche Phase am 8. Juni 2015 äußerte sich das vorlegende Gericht, der Spetsializiran nakazatelen sad (Besonderes Strafgericht), auf Antrag des Angeklagten mehrfach zur Aufhebung der Untersuchungshaft, ohne jedoch die Frage zu prüfen, ob der hinreichende Verdacht bestand, dass Herr Milev die betreffenden Straftaten begangen hatte. Nach Art. 270 Abs. 2 NPK in Verbindung mit dessen Art. 256 Abs. 3 Satz 2 ist es den Gerichten in diesem Verfahrensstadium nämlich untersagt, zu prüfen, ob der hinreichende Verdacht besteht, dass eine Person eine Straftat begangen hat.

20.

Das vorlegende Gericht stellte einen Widerspruch zwischen der vorerwähnten nationalen Regelung und Art. 5 Abs. 4 EMRK in Verbindung mit deren Art. 5 Abs. 1 Buchst. c fest, der die Fortdauer der Haft einer Person nur erlaubt, wenn „hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat“. Wegen fehlender Möglichkeit, den Standard der Rechtmäßigkeit der Haft nach der EMRK zu gewährleisten, hob der Spetsializiran nakazatelen sad (Besonderes Strafgericht) die Untersuchungshaftmaßnahmen wiederholt auf. Diese Aufhebungsentscheidungen wurden im Rechtsmittelverfahren jedoch aufgehoben.

21.

In diesem Zusammenhang ersuchte das vorlegende Gericht den Varhoven kasatsionen sad (Oberster Kassationsgerichtshof) um Stellungnahme zu dieser Frage. In der Sitzung vom 7. April 2016 bestätigte das Plenum der Strafkammer des Varhoven kasatsionen sad (Oberster Kassationsgerichtshof) einen Widerspruch zwischen Art. 5 Abs. 4 EMRK in Verbindung mit deren Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und den nationalen Vorschriften, die es den Gerichten untersagen, sich zu der Frage zu äußern, ob der hinreichende Verdacht besteht, dass der Beschuldigte die Straftat begangen hat. Wie aus dem Sitzungsprotokoll hervorgeht, wurden von den Richtern Zweifel hinsichtlich der praktischen Möglichkeiten geäußert, zugleich die Beachtung von Art. 5 Abs. 4 EMRK in Verbindung mit deren Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und die Beachtung von Art. 6 Abs. 1 EMRK, der sich auf die Unparteilichkeit der Gerichte bezieht, zu gewährleisten. Die Bestimmung eines gesonderten Spruchkörpers, der nur über die Gründe für eine Fortdauer der Haft entschiede, wurde als problematisch angesehen. Nach Auffassung der Richter würde eine solche Maßnahme nämlich Gefahr laufen, das ordnungsgemäße Funktionieren der Gerichte zu beeinträchtigen, die nur über eine begrenzte Anzahl amtierender Richter verfügten.

22.

Der Varhoven kasatsionen sad (Oberster Kassationsgerichtshof) gelangte zu folgendem Ergebnis: „Wir sind offenkundig nicht in der Lage, eine Lösung für das Problem vorzuschlagen. Es bleibt daher dem jeweiligen Spruchkörper überlassen, zu beurteilen, ob er der EMRK oder dem nationalen Recht Vorrang einräumt und ob er in der Lage ist, in diesem Rahmen zu entscheiden.“ Der Präsident des Plenums der Strafkammer des Varhoven kasatsionen sad (Oberster Kassationsgerichtshof) ordnete an, eine Kopie des Protokolls an das vorlegende Gericht und an das Justizministerium zu schicken, um eine Gesetzesänderung in Gang zu setzen.

23.

Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts haben diese Hinweise des Obersten Gerichtshofs die Rechtswirkungen eines Auslegungsurteils. Sie seien daher für alle Gerichtsinstanzen bindend, auch für die verschiedenen Spruchkörper des Varhoven kasatsionen sad (Oberster Kassationsgerichtshof).

24.

Anlässlich eines neuerlichen Antrags von Herrn Milev auf Umwandlung der Untersuchungshaft in eine mildere Maßnahme hat der Spetsializiran nakazatelen sad (Besonderes Strafgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist mit den Art. 3 und 6 der Richtlinie 2016/343 (die die Unschuldsvermutung und die Beweislast im Strafverfahren betreffen) eine nationale Rechtsprechung vereinbar, die in (nach dem Erlass der Richtlinie, aber vor dem Ablauf ihrer Umsetzungsfrist erteilten) bindenden Hinweisen des Varhoven kasatsionen sad (Oberster Kassationsgerichtshof) besteht, wonach dieser, nachdem er einen Widerspruch zwischen Art. 5 Abs. 4 EMRK in Verbindung mit deren Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und dem nationalen Gesetz (Art. 270 Abs. 2 NPK) bezüglich der Erörterung oder Nichterörterung des hinreichenden Verdachts der Begehung einer Straftat (im Rahmen des Gerichtsverfahrens zur Überprüfung der Fortdauer der Zwangsmaßnahme „Untersuchungshaft“ in der gerichtlichen Phase des Strafverfahrens) festgestellt hat, den in der Sache entscheidenden Gerichten die Beurteilung überlässt, ob sie die EMRK beachten oder nicht?

25.

Da sich Herr Milev noch in Haft befindet, hat das vorlegende Gericht die Anwendung des Eilvorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beantragt.

26.

Mit Entscheidung der Vierten Kammer des Gerichtshofs vom 17. August 2016 ist dieses Verfahren gewährt worden.

27.

Herr Milev und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Nur die Kommission hat an der mündlichen Verhandlung vom 22. September 2016 teilgenommen.

IV – Würdigung

A – Vorüberlegungen

28.

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Vereinbarkeit der im Protokoll vom 7. April 2016 wiedergegebenen Hinweise des Obersten Gerichtshofs mit der Richtlinie 2016/343. Das vorlegende Gericht hegt Zweifel in dieser Frage, da in den Hinweisen des Obersten Gerichtshofs, nachdem ein Widerspruch zwischen den nationalen Rechtsvorschriften und Art. 5 Abs. 4 EMRK in Verbindung mit deren Art. 5 Abs. 1 Buchst. c festgestellt worden war, den Untergerichten die Freiheit eingeräumt worden ist, darüber zu entscheiden, ob die EMRK oder aber die abweichenden nationalen Vorschriften zu beachten sind.

29.

Diese Frage ist in zweierlei Hinsicht problematisch. Erstens war die Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2016/343 zum Zeitpunkt des Erlasses der Vorlageentscheidung noch nicht abgelaufen. Zweitens liegt es nicht ohne Weiteres auf der Hand, dass der Inhalt der Hinweise des Obersten Gerichtshofs in den sachlichen Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt.

30.

Was den ersten Punkt angeht, hat das vorlegende Gericht die Zulässigkeit seines Vorabentscheidungsersuchens damit begründet, dass die nationalen Behörden im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs verpflichtet seien, keine Maßnahmen zu ergreifen, die das mit den Richtlinien verfolgte Ziel während der Umsetzungsfrist ernstlich gefährden könnten. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts ist dies bei den Hinweisen des Obersten Gerichtshofs jedoch der Fall, da diese nach Inkrafttreten der Richtlinie 2016/343 erfolgt seien.

31.

In Anbetracht dieser Erwägungen kann das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen meines Erachtens nicht unzulässig sein. Die Kommission ist der gleichen Ansicht.

32.

Da sie die Auslegung des Unionsrechts betreffen, spricht erstens eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen der nationalen Gerichte, die mit einem konkreten Rechtsstreit befasst sind ( 4 ).

33.

Zweitens sind die Hinweise des Obersten Gerichtshofs am 7. April 2016 ergangen, also nach dem 31. März 2016, dem Tag, an dem die Richtlinie 2016/343 gemäß ihrem Art. 15 in Kraft getreten ist. Soweit eine Richtlinie zum im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt bereits in Kraft getreten war, kann die Auslegung ihrer Bestimmungen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs für das vorlegende Gericht von Nutzen sein, um ihm den Erlass einer Entscheidung unter Berücksichtigung der Verpflichtung zu ermöglichen, keine Maßnahmen anzuordnen, die geeignet sind, das mit dieser Richtlinie verfolgte Ziel ernstlich zu gefährden ( 5 ).

34.

Daher ist meines Erachtens auf die Vorlagefrage zu antworten, wobei die Hinweise des Obersten Gerichtshofs und die vorerwähnte Unterlassenspflicht im Mittelpunkt der Prüfung stehen müssen. Diese Prüfung wird in Abschnitt B der vorliegenden Schlussanträge vorgenommen.

35.

Die Frage, die sich auf die Verpflichtung bezieht, das Ziel der Richtlinie 2016/343 während der Umsetzungsfrist nicht ernstlich zu gefährden, unterscheidet sich jedoch von der zugrunde liegenden Frage der Vereinbarkeit der Hinweise des Obersten Gerichtshofs (und damit der nationalen Rechtsvorschriften) mit dieser Richtlinie.

36.

In der vorliegenden Rechtssache müsste eine solche Prüfung aus den nachstehend dargelegten Gründen meiner Meinung nach nicht vorgenommen werden. In dem Bestreben, den Gerichtshof vollumfänglich zu unterstützen, wird diese Frage in Abschnitt C jedoch kurz angesprochen.

B – Gefährden die Hinweise des Obersten Gerichtshofs ernstlich die Ziele der Richtlinie 2016/343?

1. Rechtswirkungen von Richtlinien vor Ablauf der Umsetzungsfrist

37.

Im Rahmen einer Vorlagefrage, die vor Ablauf der Frist für die Umsetzung einer Richtlinie gestellt wird, kann den Mitgliedstaaten nicht zur Last gelegt werden, dass sie die Maßnahmen zu deren Umsetzung noch nicht erlassen haben ( 6 ). Nach ständiger Rechtsprechung entfaltet eine Richtlinie entweder ab ihrer Veröffentlichung oder ab dem Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe jedoch Rechtswirkungen gegenüber den Mitgliedstaaten, an die sie gerichtet ist ( 7 ). Es steht nämlich fest, dass die Mitgliedstaaten aufgrund von Art. 4 Abs. 3 EUV in Verbindung mit Art. 288 AEUV keine Vorschriften erlassen dürfen, die geeignet sind, die Erreichung des in einer Richtlinie vorgeschriebenen Ziels ernstlich zu gefährden ( 8 ). Diese Unterlassenspflicht gilt für sämtliche allgemeinen oder speziellen Maßnahmen ( 9 ). Sie gilt für alle Träger öffentlicher Gewalt der Mitgliedstaaten, einschließlich der nationalen Gerichte ( 10 ).

2. Hinweise des Obersten Gerichtshofs

38.

Der Spetsializiran nakazatelen sad (Besonderes Strafgericht) hat die Vorlagefrage gestellt, um zu untersuchen, ob die Hinweise des Obersten Gerichtshofs gegen die vorerwähnte Unterlassenspflicht verstoßen. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob die Hinweise des Obersten Gerichtshofs geeignet sind, die Erreichung des in der Richtlinie 2016/343 vorgeschriebenen Ziels ernstlich zu gefährden.

39.

In der Vorlageentscheidung wird hervorgehoben, dass der Varhoven kasatsionen sad (Oberster Kassationsgerichtshof) zu einer grundsätzlich anderen Antwort gelängt wäre, wenn er den Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung im Verhältnis zur Richtlinie 2016/343 angewandt hätte, da diese zu dem Zeitpunkt, zu dem die Hinweise erfolgt sind, bereits in Kraft war.

40.

Vorab ist jedoch zu betonen, dass die Verpflichtung der nationalen Gerichte, das innerstaatliche Recht richtlinienkonform auszulegen, erst ab Ablauf der Umsetzungsfrist gilt ( 11 ). Die den nationalen Gerichten während der Umsetzungsfrist obliegenden Verpflichtungen, die von der Rechtsprechung Adeneler u. a. (C‑212/04, EU:C:2006:443) im Einklang mit der Rechtsprechung Inter-Environnement Wallonie (C‑129/96, EU:C:1997:628) auferlegt wurden, sind differenzierter. So müssen die Gerichte der Mitgliedstaaten es „so weit wie möglich unterlassen …, das innerstaatliche Recht auf eine Weise auszulegen, die die Erreichung des mit dieser Richtlinie verfolgten Zieles nach Ablauf der Umsetzungsfrist ernsthaft gefährden würde“ ( 12 ).

41.

Deshalb gilt es insbesondere zu bedenken, dass die vorerwähnte Unterlassenspflicht weder bedeutet, dass die Richtlinie 2016/343 angewandt wird, noch, dass das nationale Recht im Einklang mit dieser Richtlinie ausgelegt wird. Die Unterlassenspflicht betrifft vielmehr ausschließlich Maßnahmen, die geeignet sind, zu einer ernstlichen Gefährdung der mit einer Richtlinie verfolgten Ziele zu führen. Somit verbietet sie den Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu ergreifen, die eine schwerwiegende Beeinträchtigung dieser Ziele bedeuten und deren Rechtswirkungen nach Ablauf der Umsetzungsfrist fortbestehen ( 13 ).

42.

Was die Ziele der Richtlinie 2016/343 angeht, geht aus deren Art. 1 Buchst. a hervor, dass diese Richtlinie gemeinsame Mindestvorschriften für bestimmte Aspekte der Unschuldsvermutung in Strafverfahren enthält. Damit zielt die Richtlinie 2016/343 darauf ab, das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre jeweilige Strafrechtspflege zu stärken und auf diese Weise die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen zu erleichtern ( 14 ).

43.

In materieller Hinsicht lässt sich nicht ausschließen, dass das Fehlen einer gerichtlichen Kontrolle des „hinreichenden Verdachts“ im Rahmen der Prüfung einer Untersuchungshaftmaßnahme den wirksamen Schutz der Unschuldsvermutung, deren Wahrung durch die Richtlinie 2016/343 garantiert wird, beeinträchtigen kann ( 15 ). Meiner Meinung nach kann die Verwirklichung der Ziele dieser Richtlinie durch eine nationale Maßnahme wie die Hinweise des Obersten Gerichtshofs jedoch nicht beeinträchtigt werden.

44.

Es lässt sich nicht grundsätzlich ausschließen, dass eine gerichtliche Entscheidung die Erreichung des vorgegebenen Ziels nach Ablauf der Umsetzungsfrist ernstlich gefährden kann ( 16 ).

45.

Drei Faktoren zeigen jedoch, dass dem im vorliegenden Fall nicht so ist. Erstens können die Hinweise des Obersten Gerichtshofs – die kurz nach Inkrafttreten der Richtlinie 2016/343 erfolgt sind – nicht als eine Maßnahme zu deren Umsetzung angesehen werden. Ebenso wenig können sie so angesehen werden, als würden mit ihnen die Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie ausgelegt. Art. 270 NPK stellt nämlich weder eine Maßnahme zur Umsetzung der Richtlinie 2016/343 noch eine Maßnahme dar, die geeignet ist, die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit dieser Richtlinie sicherzustellen.

46.

Zweitens lassen die Hinweise des Obersten Gerichtshofs den nationalen Gerichten einen Beurteilungsspielraum, indem sie diesen die Möglichkeit einräumen, von einer Anwendung der nationalen Regelung abzusehen. Die Tatsache, dass die genannten Hinweise so aufgefasst werden können, als enthielten sie verbindliche Anweisungen ( 17 ), ist irrelevant. Die Hinweise des Obersten Gerichtshofs führen nämlich nicht zu einer Änderung der früheren Lage, die ein Hindernis für die Verwirklichung der mit der Richtlinie 2016/343 verfolgten Ziele dargestellt hätte.

47.

Zuletzt greifen die Hinweise des Obersten Gerichtshofs in keiner Weise den Entscheidungen vor, die der Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie 2016/343 zu treffen hat.

48.

In der Sache nehmen die Hinweise zu einer Kollision zwischen nationalem Recht und EMRK Stellung. In ihnen wird nämlich der bestehende Widerspruch zwischen den nationalen Rechtsvorschriften und Art. 5 EMRK hervorgehoben und ein Tätigwerden des nationalen Gesetzgebers für notwendig erachtet, um die Beachtung der Art. 5 und 6 EMRK sicherzustellen. In diesem Zusammenhang bestätigt die Tatsache, dass die Hinweise des Obersten Gerichtshofs dem Justizministerium übersandt worden sind, um eine Gesetzesänderung herbeizuführen, dass die Hinweise, weit davon entfernt, die Ziele der Richtlinie 2016/343 ernstlich zu gefährden, vielmehr auf die Verwirklichung dieser Ziele hinwirken.

49.

Daher lässt sich nicht die Auffassung vertreten, die Hinweise des Obersten Gerichtshofs gefährdeten die mit der Richtlinie 2016/343 verfolgten Ziele, da sie Lösungsvorschläge anbieten, die geeignet sind, zur Verwirklichung dieser Ziele beizutragen. Folglich können die Hinweise des Obersten Gerichtshofs die Verwirklichung der mit der genannten Richtlinie verfolgten Ziele erst recht nicht ernstlich gefährden.

3. Allgemeine Grundsätze des Unionsrechts und Grundrechte

50.

Die Bezugnahme des vorlegenden Gerichts auf das Urteil Mangold ( 18 ) führt zu keinem anderen Ergebnis.

51.

Aus der Rechtsprechung geht zwar hervor, dass die allgemeinen Rechtsgrundsätze – und die Charta – im Geltungsbereich des Unionsrechts anwendbar sind ( 19 ). In den Geltungsbereich einer Richtlinie – vom Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie an – können zu diesem Zweck nicht nur die nationalen Vorschriften fallen, die als ausdrückliches Ziel die Umsetzung der Richtlinie verfolgen, sondern auch die schon vorher bestehenden nationalen Vorschriften, die geeignet sind, die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit der Richtlinie zu gewährleisten ( 20 ).

52.

Im vorliegenden Fall stellen die Hinweise des Obersten Gerichtshofs jedoch weder eine Maßnahme zur Umsetzung der Richtlinie 2016/343 noch eine Maßnahme dar, die geeignet ist, die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit dieser Richtlinie zu gewährleisten. Daher ist der Umstand, dass das vorlegende Gericht auf eine Richtlinie Bezug genommen hat, deren Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist und deren Ziele nicht ernstlich gefährdet worden sind, als solcher nicht geeignet, den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalt in den Geltungsbereich des Unionsrechts fallen zu lassen ( 21 ).

4. Ergebnis

53.

Unter diesen Umständen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Spetsializiran nakazatelen sad (Besonderes Strafgericht) zu antworten, dass Hinweise des Obersten Gerichtshofs, die während der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2016/343 erfolgen, nicht geeignet sind, die durch diese Richtlinie vorgegebenen Ziele ernstlich zu gefährden, wenn sie den Gerichten die Freiheit einräumen, zwischen der Anwendung von Art. 5 Abs. 4 EMRK in Verbindung mit deren Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und der Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift zu entscheiden, die gegen diese Bestimmungen verstößt.

C – Auslegung der Richtlinie 2016/343

1. Vorüberlegungen

54.

Sollte der Gerichtshof beschließen, dem in der vorstehenden Nummer unterbreiteten Vorschlag zu folgen, wären die zugrunde liegenden Erwägungen zur Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2016/343 nicht zu prüfen.

55.

Das vorlegende Gericht hat geltend gemacht, eine im Einklang mit der Richtlinie 2016/343 stehende Auslegung des nationalen Rechts sei möglich. In diesem Zusammenhang hat die Kommission, nachdem sie zu dem Ergebnis gelangt war, dass die Hinweise des Obersten Gerichtshofs die mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele nicht ernstlich gefährdeten, vorgeschlagen, die Vorlagefrage neu zu formulieren. Sie hat insbesondere angeregt, die genannte Richtlinie auszulegen und zu prüfen, ob eine nationale Regelung wie die den Gegenstand der Hinweise des Obersten Gerichtshofs bildende mit der Richtlinie vereinbar ist.

56.

In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission ausgeführt, eine solche Frage sei zulässig, da sich nicht ausschließen lasse, dass einige nationale Rechtsordnungen bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist eine innerstaatliche Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung anerkennen würden.

57.

In der vorliegenden Rechtssache deutet nichts in den Akten vor dem Gerichtshof darauf hin, dass dies in Bulgarien der Fall ist. In Ermangelung klarer Angaben des vorlegenden Gerichts liefe die Wahl eines solchen Ansatzes nach meinem Dafürhalten der Rechtsprechung zuwider, die der Zulässigkeit rein hypothetischer Vorlagefragen Grenzen gesetzt hat ( 22 ).

58.

In dem Bestreben, den Gerichtshof für den Fall vollumfänglich zu unterstützen, dass er den von der Kommission vorgeschlagenen Weg beschreiten möchte – wovon ich abraten würde –, wird in den folgenden Erwägungen trotz dieser Vorbehalte eine Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2016/343 vorgenommen. Jedenfalls sind diese Erwägungen nur dann erheblich, wenn die nationale Rechtsordnung vor Ablauf der Umsetzungsfrist eine unionsrechtskonforme Auslegung vorsieht. Sie können keinesfalls so ausgelegt werden, als erweiterten sie die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten während der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2016/343.

2. Auslegung der Richtlinie 2016/343

59.

Die Kommission hat geltend gemacht, die Situation von Herrn Milev falle deshalb in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2016/343, weil er im gerichtlichen Abschnitt eines Strafverfahrens beschuldigt werde.

60.

In diesem Punkt teile ich die Ansicht der Kommission.

61.

Auch wenn die Untersuchungshaft nicht durch spezifische Rechtsvorschriften der Europäischen Union geregelt ist, fallen gerichtliche Entscheidungen über eine Untersuchungshaft nämlich unter den Schutz der Unschuldsvermutung, die durch die Richtlinie 2016/343 garantiert wird.

62.

Wie die Kommission hervorgehoben hat, geht das aus Art. 2 und dem zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/343 hervor, wonach diese für natürliche Personen, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in einem Strafverfahren sind, in allen Abschnitten des Strafverfahrens ab dem Zeitpunkt gilt, zu dem eine Person verdächtigt wird, eine Straftat begangen zu haben. Darüber hinaus werden Entscheidungen über eine Untersuchungshaft im 16. Erwägungsgrund dieser Richtlinie als Beispiele für Maßnahmen angeführt, die als „vorläufige Entscheidungen verfahrensrechtlicher Art“ zu den von Art. 4 der genannten Richtlinie erfassten Maßnahmen gehören.

63.

Folglich kann die Unschuldsvermutung gerichtlichen Entscheidungen über eine Untersuchungshaft entgegengehalten werden.

64.

Gerichtliche Entscheidungen über eine Untersuchungshaft können in bestimmten Fällen nämlich zu einem Verstoß gegen das in Art. 48 Abs. 1 der Charta verankerte Grundrecht auf die Unschuldsvermutung führen. Diese Vorschrift hat die gleiche Bedeutung und Tragweite wie Art. 6 Abs. 2 EMRK, wie sich aus Art. 52 Abs. 3 der Charta und den diesbezüglichen Erläuterungen ergibt.

65.

In diesem Zusammenhang hat der EGMR im Rahmen der Aufrechterhaltung einer Untersuchungshaft entschieden, dass Verdachtsmomente einer förmlichen Schuldfeststellung nicht gleichgesetzt werden können ( 23 ). Der EGMR unterscheidet nämlich zwischen Erklärungen, „die die Meinung widerspiegeln, dass die betreffende Person schuldig ist, und solchen, die lediglich einen Verdachtstatbestand beschreiben“, wenn er zu dem Schluss gelangt, dass „Erstere gegen die Unschuldsvermutung verstoßen, während Letztere als mit dem Geist von Art. 6 [EMRK] im Einklang stehend angesehen werden“ ( 24 ).

66.

Daher erlaubt es eine Auslegung von Art. 3 der Richtlinie 2016/343 in Verbindung mit Art. 48 der Charta, mit der Kommission festzustellen, dass sich die bulgarische Regelung, die vorsieht, dass sich der Richter, der über den gerichtlichen Abschnitt des Strafverfahrens befindet, nicht zum „hinreichenden Verdacht“ äußern kann, weder unter dem Gesichtspunkt der Unparteilichkeit des Richters noch unter dem Gesichtspunkt der Unschuldsvermutung rechtfertigen lässt ( 25 ).

67.

Gerichtliche Entscheidungen über eine Untersuchungshaft können jedoch unter bestimmten Umständen einen Verstoß gegen den Grundsatz der Unparteilichkeit des Richters und die Unschuldsvermutung – die eng mit diesem Grundsatz verknüpft ist – begründen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Richter die Untersuchungshaft auf den „besonders starken Verdacht [stützt], dass die betreffende Person die Straftaten begangen hat“ ( 26 ), oder wenn eine Haftentscheidung Feststellungen enthält, die über die Beschreibung eines Verdachtstatbestands hinausgehen ( 27 ).

68.

Die Frage, die sich in der vorliegenden Rechtssache stellt, betrifft jedoch genau das umgekehrte Szenario, nämlich das Fehlen einer gerichtlichen Kontrolle des hinreichenden Verdachts, dass der Beschuldigte die Straftat begangen hat.

69.

Die Kommission vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, die Verpflichtung des Richters, das Bestehen eines hinreichenden Verdachts, dass der Beschuldigte eine Straftat begangen hat, zu prüfen, ergebe sich weder aus dem allgemeinen Grundsatz der Wahrung der Unschuldsvermutung noch aus den Bestimmungen der Richtlinie 2016/343. In Anbetracht der Rechtsprechung des EGMR ergebe sich ein solches Erfordernis ausschließlich aus Art. 5 EMRK als Verfahrensgarantie des Grundrechts auf Freiheit. Die Richtlinie 2016/343 enthalte keine Bestimmungen über die Anforderungen an die Untersuchungshaft oder die Aufrechterhaltung einer solchen Haft. Da diese Frage weder durch die genannte Richtlinie noch durch einen anderen Unionsrechtsakt geregelt werde, falle sie nicht unter das Unionsrecht.

70.

Dieser Auslegung kann ich mich nicht anschließen.

71.

Im Rahmen der EMRK, bei der es sich um ein umfassendes System zum Schutz der Menschenrechte handelt, stellt Art. 5 EMRK nämlich eine besondere Vorschrift dar, die sich auf freiheitsentziehende Maßnahmen bezieht. Im Rahmen der Untersuchungshaft prüft der EGMR das Bestehen eines „hinreichenden Verdachts“ folglich im Licht von Art. 5 EMRK. Die letztgenannte Vorschrift enthält in ihrem Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 Buchst. c dieses Artikels eine spezielle Regel, wonach die mit einem Antrag auf Freilassung befassten Gerichte prüfen müssen, ob der hinreichende Verdacht besteht, dass die inhaftierte Person eine Straftat begangen hat. Daher überrascht es nicht, dass die diesbezüglichen Klagen gegen die Republik Bulgarien auf Art. 5 EMRK gestützt worden sind ( 28 ), da diese Vorschrift als lex specialis ( 29 ) im Verhältnis zur Unschuldsvermutung angesehen werden kann.

72.

Gleichwohl verhindert der Umstand, dass die Verpflichtung zur Prüfung des „hinreichenden Verdachts“ systematisch auf Art. 5 EMRK gestützt wird, nicht, dass sich eine solche Verpflichtung auch aus den Anforderungen im Zusammenhang mit der Unschuldsvermutung ergibt.

73.

Im Kontext des Unionsrechts bewirkt Art. 52 Abs. 3 der Charta, dass die durch diese Charta garantierten Rechte die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der genannten Konvention für die entsprechenden Rechte verliehen wird. Dies bedeutet jedoch nicht, dass spezifische Standards, die in der Rechtsprechung des EGMR im Rahmen eines bestimmten Grundrechts entwickelt worden sind, im Rahmen des Unionsrechts keine Elemente darstellen könnten, die Teil des durch andere Grundrechte geschützten Inhalts sind.

74.

Insbesondere kann eine solche Beschränkung nicht im Rahmen der Auslegung eines abgeleiteten Rechtsakts im Licht der Grundrechte auferlegt werden, wenn dieser Rechtsakt einer anderen inneren Logik folgt. Das System des EGMR erlaubt nämlich eine Prüfung der in Rede stehenden Rügen anhand der spezifischeren Bestimmungen, während das System zum Schutz der Grundrechte der Charta insofern ein anderes ist, als es ausschließlich an den Geltungsbereich des Unionsrechts anknüpft.

75.

Im Rahmen der Auslegung der Richtlinie 2016/343 über bestimmte Aspekte der Unschuldsvermutung können Inhalt und Bedeutung der in Art. 3 dieser Richtlinie und in Art. 48 Abs. 1 der Charta vorgesehenen Garantien aus den von der Kommission vorgebrachten Gründen folglich nicht eng ausgelegt werden. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 52 Abs. 3 der Charta dem nicht entgegensteht, dass das Unionsrecht einen Schutz gewährt, der im Verhältnis zu dem Schutz aus der EMRK umfassender ist.

76.

In diesem Kontext ist die logische Verknüpfung zwischen dem Kriterium des „hinreichenden Verdachts“ im Stadium der Untersuchungshaft und der Unschuldsvermutung, die durch Art. 3 der Richtlinie 2016/343 und Art. 48 Abs. 1 der Charta garantiert wird, vollkommen unbestreitbar. Wie das vorlegende Gericht geltend macht, führt die Unschuldsvermutung in der Praxis dazu, dass gegen eine Person, die der Begehung einer Straftat beschuldigt wird, keine Zwangsmaßnahmen verhängt werden dürfen, bevor zumindest der hinreichende Verdacht nachgewiesen wurde, dass die Person die Straftat begangen hat. Eine Inhaftierung ohne Verurteilung stellt zweifellos „eine schwerwiegende Abweichung von den Grundsätzen der individuellen Freiheit und der Unschuldsvermutung“ ( 30 ) dar. Demnach handelt es sich beim „hinreichenden Verdacht“ im Rahmen der EMRK um ein Kriterium, aufgrund dessen einer Person trotz der Unschuldsvermutung ihre Freiheit entzogen werden kann, obwohl sie noch nicht verurteilt worden ist ( 31 ). Im spezifischen Kontext der Untersuchungshaft hängt das Erfordernis eines „hinreichenden Verdachts“ daher mit der Garantie der Unschuldsvermutung zusammen.

77.

Meiner Meinung nach ist das Fehlen jeder gerichtlichen Kontrolle des hinreichenden Verdachts, dass der Beschuldigte die Straftat begangen hat, geeignet, gegen die Unschuldsvermutung zu verstoßen.

78.

Diese Auslegung der Unschuldsvermutung wird im Übrigen durch eine systematische Prüfung der Bestimmungen der Richtlinie 2016/343 über die besonderen Aspekte der Unschuldsvermutung bestätigt.

79.

So geht die Verknüpfung zwischen der Notwendigkeit, ein vernünftiges Mindestmaß an Verdachtsmomenten nachzuweisen, und der Unschuldsvermutung aus Art. 4 der Richtlinie 2016/343 in Verbindung mit deren 16. Erwägungsgrund hervor.

80.

Nach Art. 4 dieser Richtlinie gilt die Verpflichtung, sicherzustellen, dass, solange die Schuld eines Verdächtigen nicht nachgewiesen wurde, in nicht die Frage der Schuld betreffenden gerichtlichen Entscheidungen nicht so auf die betreffende Person Bezug genommen wird, als sei sie schuldig, „unbeschadet der vorläufigen Entscheidungen verfahrensrechtlicher Art, die … auf Verdachtsmomenten oder belastendem Beweismaterial beruhen“. Zu diesen Entscheidungen gehören nach dem genannten 16. Erwägungsgrund u. a. Entscheidungen über Untersuchungshaft. Darüber hinaus heißt es dort ausdrücklich, dass, bevor eine solche Entscheidung getroffen wird, die zuständige Stelle „unter Umständen zunächst prüfen [müsste], ob das gegen den Verdächtigen oder die beschuldigte Person vorliegende belastende Beweismaterial ausreicht, um die betreffende Entscheidung zu rechtfertigen“. In der Entscheidung „könnte auf dieses Beweismaterial Bezug genommen werden“.

81.

Daher behält Art. 4 der Richtlinie 2016/343 den Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten bei und bringt zugleich die Verpflichtung zum Ausdruck, vorläufige Entscheidungen verfahrensrechtlicher Art wie die Untersuchungshaft auf hinreichende Rechtfertigungsgründe zu stützen. Auf der einen Seite hat der Unionsgesetzgeber festschreiben wollen, dass derartige Entscheidungen als solche selbst dann keinen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung begründen, wenn sie auf Verdachtsmomente Bezug nehmen. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber jedoch ausdrücklich vorsehen wollen, dass Gerichte verpflichtet sein können, diese Entscheidungen auf hinreichende Gründe zu stützen. Auch spiegelt die genannte Richtlinie das Erfordernis einer Prüfung der Gründe wider, die geeignet sind, auf Verdachtsmomente gestützte vorläufige Entscheidungen wie die Untersuchungshaft zu rechtfertigen. Folglich müssen die Mitgliedstaaten die sich aus der Charta ergebenden Garantien beachten, wenn sie von der vorerwähnten Möglichkeit „verfahrensrechtlicher Entscheidungen“ Gebrauch machen.

82.

Die in Art. 4 der Richtlinie 2016/343 enthaltenen Garantien der Unschuldsvermutung können dem völligen Fehlen einer gerichtlichen Kontrolle des Verdachts, der einer Untersuchungshaftmaßnahme während des gerichtlichen Abschnitts des Strafverfahrens zugrunde liegt, meines Erachtens daher sowohl im Fall einer „positiven“ Handlung des Richters (beispielsweise einer Entscheidung, die Schuldfeststellungen enthält) als auch eines naturgemäß „negativen“ Unterlassens entgegengehalten werden.

83.

Darüber hinaus ist hervorzuheben, dass Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2016/343 den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, bei einem Verstoß gegen die Verpflichtung, nicht so auf Verdächtige oder beschuldigte Personen Bezug zu nehmen, als seien sie schuldig, im Einklang mit Art. 10 dieser Richtlinie geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Nach dem genannten Art. 10 müssen Verdächtigte oder Beschuldigte nämlich über einen wirksamen Rechtsbehelf verfügen. Ohne eine gerichtliche Kontrolle des „hinreichenden Verdachts“ kann ein solcher Rechtsbehelf jedoch nicht wirksam sein.

84.

Aus diesen Gründen ist die Aufrechterhaltung der Haft einer Person ohne jede gerichtliche Kontrolle des „hinreichenden Verdachts“ meiner Meinung nach geeignet, gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 2016/343 sowie gegen die von den Art. 4 und 10 dieser Richtlinie gebotenen Garantien zu verstoßen.

V – Ergebnis

85.

Im Licht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Spetsializiran nakazatelen sad (Besonderes Strafgericht, Bulgarien) wie folgt zu antworten:

Hinweise des Varhoven kasatsionen sad (Oberster Kassationsgerichtshof, Bulgarien), die während der Frist für die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren erfolgen, sind nicht geeignet, die mit dieser Richtlinie vorgegebenen Ziele ernstlich zu gefährden, wenn den Gerichten darin die Freiheit eingeräumt wird, zwischen der Anwendung von Art. 5 Abs. 4 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in Verbindung mit deren Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und der Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift zu entscheiden, die gegen diese Bestimmungen verstößt.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Vgl. beispielsweise EGMR, 27. März 2012, Gerdjikov/Bulgarien, CE:ECHR:2012:0327JUD002706104, § 26 und die dort angeführte Rechtsprechung.

( 3 ) ABl. 2016, L 65, S. 1.

( 4 ) Urteil vom 5. April 2011, Société fiduciaire nationale d’expertise comptable (C‑119/09, EU:C:2011:208, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 5 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. April 2009, VTB-VAB und Galatea (C‑261/07 und C‑299/07, EU:C:2009:244, Rn. 35 bis 41), sowie vom 21. Juli 2011, Azienda Agro-Zootecnica Franchini und Eolica di Altamura (C‑2/10, EU:C:2011:502, Rn. 69).

( 6 ) Vgl. beispielsweise Urteile vom 18. Dezember 1997, Inter-Environnement Wallonie (C‑129/96, EU:C:1997:628, Rn. 43), vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a. (C‑212/04, EU:C:2006:443, Rn. 114), sowie vom 15. Oktober 2009, Hochtief und Linde-Kca-Dresden (C‑138/08, EU:C:2009:627, Rn. 25).

( 7 ) Vgl. u. a. Urteil vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a. (C‑212/04, EU:C:2006:443, Rn. 119).

( 8 ) Vgl. beispielsweise Urteile vom 18. Dezember 1997, Inter-Environnement Wallonie (C‑129/96, EU:C:1997:628, Rn. 45), vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a. (C‑212/04, EU:C:2006:443, Rn. 121), sowie vom 13. März 2014, Jetair und BTWE Travel4you (C‑599/12, EU:C:2014:144, Rn. 35).

( 9 ) Vgl. beispielsweise Urteil vom 4. Mai 2016, Kommission/Österreich (C‑346/14, EU:C:2016:322, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 10 ) Vgl. beispielsweise Urteil vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a. (C‑212/04, EU:C:2006:443, Rn. 122).

( 11 ) Urteil vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a. (C‑212/04, EU:C:2006:443, Rn. 115).

( 12 ) Urteil vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a. (C‑212/04, EU:C:2006:443, Rn. 123).

( 13 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias u. a. (C‑43/10, EU:C:2011:651, Nr. 108).

( 14 ) Vgl. Erwägungsgründe 9 und 10 dieser Richtlinie.

( 15 ) Vgl. Nrn. 59 ff. der vorliegenden Schlussanträge.

( 16 ) Dies könnte insbesondere bei einer Entscheidung der Fall sein, die während der Umsetzungsfrist erlassene Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie betrifft. Vgl. in diesem Sinne Stellungnahme von Generalanwalt Mazák in der Rechtssache Kadzoev (C‑357/09 PPU, EU:C:2009:691, Nr. 35).

( 17 ) Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten geht hervor, dass die Hinweise im Anschluss an ein ganz besonderes Verfahren erfolgt sind. Der Spetsializiran nakazatelen sad (Besonderes Strafgericht), der um die angefochtenen Hinweise des Obersten Gerichtshofs ersucht hat, erkennt in seinem Beschluss vom 9. März 2016 nämlich an, dass sein Auslegungsersuchen keine Rechtsgrundlage hat. In der Vorlageentscheidung wiederum heißt es jedoch, dass die in Rede stehenden Hinweise bindenden Charakter hätten. In diesem Zusammenhang beschränke ich mich auf die Feststellung, dass es Sache des nationalen Richters ist, in eigener Verantwortung den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen zu bestimmen. Dem Gerichtshof steht es nicht zu, dessen Richtigkeit nachzuprüfen.

( 18 ) Urteil vom 22. November 2005, Mangold (C‑144/04, EU:C:2005:709).

( 19 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 21).

( 20 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. September 2006, Cordero Alonso (C‑81/05, EU:C:2006:529, Rn. 29), sowie vom 21. Juli 2011, Azienda Agro-Zootecnica Franchini und Eolica di Altamura (C‑2/10, EU:C:2011:502, Rn. 70).

( 21 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. September 2008, Bartsch (C‑427/06, EU:C:2008:517, Rn. 15 ff.).

( 22 ) Insoweit lässt sich eine Parallele zu der Rechtsprechungslinie ziehen, die mit dem Urteil vom 18. Oktober 1990, Dzodzi (C‑297/88 und C‑197/89, EU:C:1990:360), begonnen worden ist. Der Gerichtshof hat nämlich seine Zuständigkeit für die Entscheidung über Vorlagefragen bejaht, die das Unionsrecht in Fällen betrafen, in denen der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht in den Geltungsbereich dieses Rechts fiel, aber Bestimmungen des Unionsrechts durch das nationale Recht aufgrund eines Verweises für anwendbar erklärt worden waren. Auch wenn „der Gerichtshof unter diesen Umständen die begehrte Auslegung vornehmen könnte, ist es jedoch nicht seine Sache, eine solche Initiative zu ergreifen, wenn sich dem Vorabentscheidungsersuchen nicht entnehmen lässt, dass dem vorlegenden Gericht tatsächlich eine solche Verpflichtung obliegt“. Vgl. Beschluss vom 12. Mai 2016, Sahyouni (C‑281/15, EU:C:2016:343, Rn. 28). Vgl. auch Beschluss vom 30. Januar 2014, C. (C‑122/13, EU:C:2014:59, Rn. 15).

( 23 ) Vgl. beispielsweise EGMR, 20. Dezember 2005, Jasiński/Polen, CE:ECHR:2005:1220JUD003086596, § 55, 22. April 2010, Chesne/Frankreich, CE:ECHR:2010:0422JUD002980806, § 36, und 13. Juni 2013, Romenskiy/Russland, CE:ECHR:2013:0613JUD002287502, § 27.

( 24 ) Vgl. beispielsweise EGMR, 31. März 2016, Petrov und Ivanova/Bulgarien, CE:ECHR:2016:0331JUD004577310, § 44 und die dort angeführte Rechtsprechung.

( 25 ) In diesem Sinne hat der EGMR zu einer bulgarischen Rechtsvorschrift, die den Richtern die Prüfung des hinreichenden Verdachts untersagte, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hatte, festgestellt, dass „das Anliegen, die Unparteilichkeit des Strafrichters zu gewährleisten, … eine solche Beschränkung des Umfangs der Kontrolle der Ordnungsmäßigkeit der Untersuchungshaft durch die Gerichte nicht rechtfertigen [kann]“. Vgl. beispielsweise EGMR, 26. Juli 2011, Ilijkov/Bulgarien, CE:ECHR:2001:0726JUD003397796, § 97, und 27. März 2012, Gerdjikov/Bulgarien, CE:ECHR:2012:0327JUD002706104, § 28.

( 26 ) Zu Art. 6 Abs. 1 EMRK (Unparteilichkeit der Gerichte) vgl. EGMR, 24. Mai 1989, Hauschildt/Dänemark, CE:ECHR:1989:0524JUD001048683, § 52. In einigen Rechtssachen hat der EGMR diese Rügen zunächst anhand von Art. 6 Abs. 1 EMRK geprüft. Anschließend hat er es nicht für notwendig erachtet, eine solche Prüfung im Licht von Art. 6 Abs. 2 EMRK vorzunehmen. Vgl. EGMR, 13. Juni 2013, Romenskiy/Russland, CE:ECHR:2013:0613JUD002287502, § 31.

( 27 ) Zu Art. 6 Abs. 2 EMRK vgl. in diesem Sinne EGMR, 27. Februar 2007, Nešťák/Slowakei, CE:ECHR:2007:0227JUD006555901, §§ 88 bis 91, 20. November 2011, Fedorenko/Russland, CE:ECHR:2011:0920JUD003960205, §§ 88 bis 93, sowie 10. November 2015, Slavov u. a./Bulgarien, CE:ECHR:2015:1110JUD005850010, § 130.

( 28 ) Vgl. beispielsweise die vom vorlegenden Gericht angeführten Urteile EGMR, 25. März 1999, Nikolova/Bulgarien [GK], CE:ECHR:1999:0325JUD003119596, §§ 61 bis 66, 26. Juli 2001, Ilijkov/Bulgarien, CE:ECHR:2001:0726JUD003397796, §§ 95 bis 97, 21. Juli 2003, Hristov/Bulgarien, CE:ECHR:2003:0731JUD003543697, §§ 116 bis 120, 9. Juni 2005, I. I./Bulgarien, CE:ECHR:2005:0609JUD004408298, §§ 103 bis 106, 21. Dezember 2006, Vassilev/Bulgarien, CE:ECHR:2006:1221JUD006254400, §§ 33 bis 39, 13. November 2008, Bochev/Bulgarien, CE:ECHR:2008:1113JUD007348101, §§ 64 bis 66 und 71, 21. April 2009, Rangelov/Bulgarien, CE:ECHR:2009:0423JUD001438703, §§ 44 bis 47, 22. Oktober 2009, Dimitrov/Bulgarien, CE:ECHR:2009:1022JUD003627502, §§ 86 bis 90, 26. November 2009, Koriyski/Bulgarien, ECHR:2009:1126JUD001925703, §§ 44 bis 46, sowie 27. März 2012, Gerdjikov/Bulgarien, CE:ECHR:2012:0327JUD002706104.

( 29 ) Vgl. in diesem Sinne Trechsel, S., Human Rights in Criminal Proceedings, OUP 2005, S. 180. In der Rechtssache Erdem/Deutschland hatte der Kläger beispielsweise vorgetragen, die Dauer seiner Untersuchungshaft verstoße gegen Art. 5 Abs. 3 und Art. 6 Abs. 2 EMRK, während der EGMR, der die Ansicht vertrat, diese Haft verstoße gegen Art. 5 Abs. 3 EMRK, es nicht für notwendig erachtet hat, die Rüge des Klägers gesondert anhand von Art. 6 Abs. 2 EMRK zu prüfen (EGMR, 5. Juli 2001, Erdem/Deutschland, CE:ECHR:2001:0705JUD003832197, § 49).

( 30 ) EGMR, 10. November 1969, Stögmüller/Österreich, CE:ECHR:1969:1110JUD000160262, § 4.

( 31 ) Im Rahmen seiner Ausführungen zu Art. 5 Abs. 3 EMRK (der die Dauer der Haft unter den Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c EMRK betrifft) hat der EGMR festgestellt, dass „sich eine Fortdauer der Haft in einem bestimmten Fall nur rechtfertigen lässt, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie aufgrund eines öffentlichen Interesses, das trotz der Unschuldsvermutung Vorrang vor dem in Art. 5 [EMRK] festgelegten Grundsatz der Wahrung der individuellen Freiheit genießt, tatsächlich erforderlich ist“. Vgl. beispielsweise EGMR, 26. Oktober 2000, Kudla/Polen, CE:ECHR:2000:1026JUD003021096, § 110.

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