Beschluss vom Europäischer Gerichtshof - C-28/16

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

12. Januar 2017 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs — Mehrwertsteuer — Richtlinie 2006/112/EG — Art. 2, 9, 26, 167, 168 und 173 — Vorsteuerabzug — Steuerpflichtiger, der zugleich wirtschaftlichen Tätigkeiten und nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten nachgeht — Holdinggesellschaft, die Dienstleistungen für ihre Tochtergesellschaften unentgeltlich erbringt“

In der Rechtssache C‑28/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) mit Entscheidung vom 7. Januar 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Januar 2016, in dem Verfahren

MVM Magyar Villamos Művek Zrt.

gegen

Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatóság

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan, sowie der Richter J.‑C. Bonichot und C. G. Fernlund (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der MVM Magyar Villamos Művek Zrt., vertreten durch S. Vámosi-Nagy und P. Vaszari, ügyvédek,

der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Bóra, G. Koós und M. Fehér als Bevollmächtigte,

der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. Kraehling als Bevollmächtigte im Beistand von H. L. McCarthy, Solicitor,

der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Bottka und L. Lozano Palacios als Bevollmächtigte,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 2, 9, 26, 167, 168 und 173 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der MVM Magyar Villamos Művek Zrt. (im Folgenden: MVM) und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebviteli Igazgatósága (Beschwerdeabteilung des nationalen Steuer- und Zollverwaltungsamts, Ungarn, im Folgenden: Steuerbehörde) über das Recht der MVM auf Abzug der Mehrwertsteuer auf zugunsten ihrer Tochtergesellschaften erbrachte Leistungen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

c)

Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt;

…“

4

Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:

„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.

Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“

5

Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:

„Einer Dienstleistung gegen Entgelt gleichgestellt sind folgende Umsätze:

b)

unentgeltliche Erbringung von Dienstleistungen durch den Steuerpflichtigen für seinen privaten Bedarf, für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke.“

6

Art. 167 derselben Richtlinie bestimmt:

„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.“

7

Art. 168 der Richtlinie 2006/112 lautet:

„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a)

die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;

…“

8

Art. 173 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Soweit Gegenstände und Dienstleistungen von einem Steuerpflichtigen sowohl für Umsätze verwendet werden, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug gemäß den Artikeln 168, 169 und 170 besteht, als auch für Umsätze, für die kein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, darf nur der Teil der Mehrwertsteuer abgezogen werden, der auf den Betrag der erstgenannten Umsätze entfällt.

…“

Ungarisches Recht

9

Die Art. 2, 6, 14, 119, 120 und 123 des Az általános forgalmi adóról szóló 2007. évi CXXVII. törvény (Gesetz Nr. CXXVII von 2007 über die Umsatzsteuer, im Folgenden: Umsatzsteuergesetz) setzen die Art. 2, 9, 26, 167, 168 und 173 der Richtlinie 2006/112 in die ungarische Rechtsordnung um. Die Fassung dieser nationalen Bestimmungen ist im Wesentlichen mit den Artikeln dieser Richtlinie, die sie umsetzen, identisch.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10

MVM ist eine staatliche Handelsgesellschaft, die im Energiesektor tätig ist. Zum einen vermietet sie Elektrizitätskraftwerke und Glasfasernetzwerke. Zum anderen ist sie Eigentümerin zahlreicher Gesellschaften, die typischerweise elektrischen Strom erzeugen oder vertreiben.

11

Durch den Abschluss eines „Beherrschungsvertrags“ im Sinne des ungarischen Rechts mit ihren Tochtergesellschaften gründete MVM eine anerkannte Unternehmensgruppe nach diesem Recht (im Folgenden: Gruppe). Mit der Gründung einer solchen Gruppe wird allerdings weder eine gesonderte juristische Person geschaffen noch den Mitgliedern der Gruppe ihre Rechtspersönlichkeit genommen. Zudem bilden diese Mitglieder keine Mehrwertsteuergruppe.

12

Der Ausgangsrechtsstreit betrifft die Entscheidung der Steuerbehörde im Anschluss an eine Prüfung der Mehrwertsteuererklärungen von MVM für die Jahre 2008 bis 2010.

13

Während dieses Zeitraums war MVM für das strategische Management der Gruppe zuständig. Zu diesem Zweck nahm sie juristische, unternehmerische und PR-Dienstleistungen in Anspruch, erstens zu ihren eigenen Gunsten, da diese Dienstleistungen im Rahmen ihrer Vermietung von Elektrizitätskraftwerken und Glasfasernetzwerken geleistet wurden, die als solche der Mehrwertsteuer unterlag, zweitens zugunsten der gesamten Gruppe und drittens zugunsten der einzelnen Mitglieder der Gruppe. MVM zog die Mehrwertsteuer für die gesamten Dienstleistungen ab. Auch wenn diese Dienstleistungen dem Interesse der gesamten Gruppe dienten oder unmittelbar mit der steuerpflichtigen Tätigkeit der anderen Mitglieder der Gruppe im Zusammenhang standen, stellte MVM sie jedoch bis auf wenige Ausnahmen ihren Tochtergesellschaften nicht in Rechnung. MVM erhob auch innerhalb der Gruppe keine allgemeine Vergütung für ihre strategische Verwaltung, so dass diese Verwaltungstätigkeit gratis geleistet wurde.

14

Die Steuerbehörde stellte fest, dass ein Abzug der Mehrwertsteuer für die juristischen, unternehmerischen und PR-Dienstleistungen gemäß dem Umsatzsteuergesetz nur insoweit möglich sei, als MVM diese Dienstleistungen zur Lieferung von Gegenständen oder Erbringung von Dienstleistungen genutzt habe. Daher versagte diese Behörde MVM das Recht auf Vorsteuerabzug für diese Dienstleistungen, soweit diese im Interesse der anderen Mitglieder der Gruppe oder für unternehmerische Verwaltungsdienstleistungen insbesondere im Zusammenhang mit dem Erwerb von Beteiligungen (im Folgenden: fragliche Dienstleistungen) geleistet wurden. Unter diesen Umständen war die Steuerbehörde nämlich der Ansicht, dass MVM die Endbegünstigte dieser Dienstleistungen war.

15

MVM erhob Klage gegen die Entscheidung der Steuerbehörde und trug vor, die fraglichen Dienstleistungen seien Teil ihrer allgemeinen Kosten für ihre Tätigkeit, da sie als Mehrwertsteuerpflichtige keine befreiten Umsätze bewirkt habe. Im Rahmen der Klage machte MVM auch geltend, die fehlende Rechnungslegung gegenüber ihren Tochtergesellschaften beeinträchtige nicht ihr Recht auf Vorsteuerabzug.

16

Das erstinstanzliche Gericht wies diese Klage mit der Begründung ab, die fraglichen Dienstleistungen seien nicht zur Ausübung einer steuerpflichtigen Tätigkeit verwendet worden, und es gebe kein Recht auf Vorsteuerabzug für diese Dienstleistungen.

17

MVM legte Kassationsbeschwerde beim vorlegenden Gericht, der Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn), ein.

18

Das vorlegende Gericht stellt fest, MVM habe während des Zeitraums, um den es in der bei ihm anhängigen Sache gehe, in Bezug auf die Rechnungslegung wie eine passive Holdinggesellschaft gehandelt, da ihre Tochtergesellschaften sie grundsätzlich nur in Dividenden bezahlt hätten, in Bezug auf die zentrale Verwaltung der Tätigkeiten der Gruppe indessen aktiv gehandelt.

19

Aus wirtschaftlicher Sicht sei in rein nationalen Unternehmensgruppen die Rechnungslegung für Dienstleistungen einer Holdinggesellschaft an die Tochtergesellschaften jedoch eine rein technische Frage. Zudem könne von Unentgeltlichkeit keine Rede sein, da MVM für die an ihre Tochtergesellschaften angeblich ohne Gegenleistung erbrachten Dienstleistungen höhere Dividenden erhalten habe.

20

Unter diesen Umständen hat die Kúria (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist eine Holdinggesellschaft, die bei der Abwicklung bestimmter Geschäfte der Tochterunternehmen oder der gesamten Unternehmensgruppe eine aktive Funktion ausübt, den Tochtergesellschaften aber weder die im Zusammenhang mit der aktiven Holdingtätigkeit erbrachten Dienstleistungen noch die dafür geschuldete Mehrwertsteuer in Rechnung stellt, hinsichtlich dieser Dienstleistungen als Mehrwertsteuerpflichtiger anzusehen?

2.

Falls die erste Frage bejaht wird: Kann die aktive Holdinggesellschaft – und wenn ja, in welcher Weise – das Recht auf Abzug der Vorsteuer für die von ihr in Anspruch genommenen Dienstleistungen, die unmittelbar mit mehrwertsteuerpflichtigen Tätigkeiten einzelner Tochterunternehmen im Zusammenhang stehen, ausüben?

3.

Falls die erste Frage bejaht wird: Kann die aktive Holdinggesellschaft – und wenn ja, in welcher Weise – das Recht auf Abzug der Vorsteuer für die in Anspruch genommenen Dienstleistungen, die dem Interesse der gesamten Unternehmensgruppe dienen, ausüben?

4.

Ändern sich die Antworten auf die vorstehenden Fragen – und wenn ja, inwieweit –, wenn die aktive Holdinggesellschaft den Tochterunternehmen ihrerseits die betreffenden in Anspruch genommenen Dienstleistungen als vermittelte Dienstleistungen berechnet?

Zu den Vorlagefragen

21

Wenn eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage mit einer Frage übereinstimmt, über die der Gerichtshof bereits entschieden hat, wenn die Antwort auf eine solche Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder wenn die Beantwortung der zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, kann der Gerichtshof gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden.

22

Dieser Artikel findet im vorliegenden Fall Anwendung.

23

Das vorlegende Gericht möchte mit seinen vier Fragen, die gemeinsam zu prüfen sind, im Wesentlichen wissen, ob die Art. 2, 9, 26, 167, 168 und 173 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass ein Eingriff einer Holdinggesellschaft in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften, wie er im Ausgangsverfahren in Rede steht, wenn sie Letzteren weder den Preis für die von ihr im Interesse der gesamten Unternehmensgruppe oder einer ihrer Tochtergesellschaften erbrachten Dienstleistungen noch die Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt hat, als „wirtschaftliche Tätigkeit“ im Sinne dieser Richtlinie gesehen werden kann und damit zum Vorsteuerabzug für diese Dienstleistungen berechtigt.

24

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2006/112 der Mehrwertsteuer zwar einen sehr weiten Anwendungsbereich zuweist, aber doch ausschließlich Tätigkeiten wirtschaftlicher Art betrifft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Oktober 2009, Kommission/Finnland, C‑246/08, EU:C:2009:671, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung). Nach Art. 2 dieser Richtlinie unterliegen von den im Gebiet eines Mitgliedstaats erbrachten Dienstleistungen nur die Leistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer.

25

Hierzu hat der Gerichtshof schon festgestellt, dass eine Tätigkeit im Allgemeinen als „wirtschaftlich“ angesehen wird, wenn sie nachhaltig ist und gegen ein Entgelt ausgeübt wird, das derjenige erhält, der die Leistung erbringt (Urteil vom 29. Oktober 2009, Kommission/Finnland, C‑246/08, EU:C:2009:671, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26

Außerdem stellt das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs gemäß den Art. 167 ff. der Richtlinie 2006/112 ein Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems dar und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Dieses Recht kann für die gesamte Vorsteuer auf die vorausgehenden Umsätze sofort ausgeübt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2016, Barlis 06 – Investimentos Imobiliários e Turísticos, C‑516/14, EU:C:2016:690, Rn. 37 und 38 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

27

Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet daher eine Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese grundsätzlich selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (Urteil vom 15. September 2016, Barlis 06 – Investimentos Imobiliários e Turísticos, C‑516/14, EU:C:2016:690, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28

Zu den für die Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug erforderlichen materiellen Voraussetzungen geht aus Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 hervor, dass die zur Begründung dieses Rechts angeführten Gegenstände oder Dienstleistungen vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden müssen und dass diese Gegenstände oder Dienstleistungen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht worden sein müssen (Urteil vom 15. September 2016, Barlis 06 – Investimentos Imobiliários e Turísticos, C‑516/14, EU:C:2016:690, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29

Damit die Mehrwertsteuer abgezogen werden kann, müssen die Eingangsumsätze direkt und unmittelbar mit zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen zusammenhängen. Das Recht auf Abzug der für den Bezug von Gegenständen oder Dienstleistungen auf der Eingangsstufe entrichteten Mehrwertsteuer ist nur gegeben, wenn die hierfür getätigten Aufwendungen zu den Kostenelementen der auf der Ausgangsstufe versteuerten, zum Abzug berechtigenden Umsätze gehören (Urteil vom 16. Juli 2015, Larentia + Minerva und Marenave Schifffahrt, C‑108/14 und C‑109/14, EU:C:2015:496, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30

Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass insbesondere das Recht auf Vorsteuerabzug einer Holdinggesellschaft, deren einziger Zweck der Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen ist, ohne dass sie – unbeschadet ihrer Rechte als Aktionärin oder Gesellschafterin – unmittelbar oder mittelbar in die Verwaltung dieser Gesellschaften eingreift, kein Mehrwertsteuerpflichtiger im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 2006/112 und somit nicht zum Vorsteuerabzug nach Art. 167 dieser Richtlinie berechtigt ist (Urteil vom 16. Juli 2015, Larentia + Minerva und Marenave Schifffahrt, C‑108/14 und C‑109/14, EU:C:2015:496, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31

Der bloße Erwerb und das bloße Halten von Gesellschaftsanteilen können nicht als wirtschaftliche Tätigkeiten im Sinne der Richtlinie 2006/112 angesehen werden, die den Erwerber beziehungsweise Inhaber zum Steuerpflichtigen machen würden. Der bloße Erwerb finanzieller Beteiligungen an anderen Unternehmen stellt nämlich keine Nutzung eines Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen dar, weil eine etwaige Dividende als Ergebnis dieser Beteiligung Ausfluss der bloßen Innehabung des Gegenstands ist (Urteil vom 16. Juli 2015, Larentia + Minerva und Marenave Schifffahrt, C‑108/14 und C‑109/14, EU:C:2015:496, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32

Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Beteiligung unbeschadet der Rechte, die dem Anteilseigner in seiner Eigenschaft als Aktionär oder Gesellschafter zustehen, mit unmittelbaren oder mittelbaren Eingriffen in die Verwaltung der Gesellschaft einhergeht, an der die Beteiligung erworben worden ist (Urteil vom 16. Juli 2015, Larentia + Minerva und Marenave Schifffahrt, C‑108/14 und C‑109/14, EU:C:2015:496, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33

Insoweit ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass Eingriffe einer Holdinggesellschaft in die Verwaltung von Gesellschaften, an denen sie beteiligt ist, eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 darstellen, wenn sie die Durchführung von Transaktionen einschließen, die gemäß Art. 2 dieser Richtlinie der Mehrwertsteuer unterliegen, wie etwa das Erbringen von administrativen, finanziellen, kaufmännischen und technischen Dienstleistungen der Holdinggesellschaft an ihre Tochtergesellschaften (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2015, Larentia + Minerva und Marenave Schifffahrt, C‑108/14 und C‑109/14, EU:C:2015:496, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Daraus folgt, dass einfache Eingriffe einer Holdinggesellschaft in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften, ohne die Durchführung von Transaktionen, die gemäß Art. 2 der Richtlinie 2006/112 der Mehrwertsteuer unterliegen, nicht als „wirtschaftliche Tätigkeit“ im Sinne von Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie anzusehen sind (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 12. Juli 2001, Welthgrove, C‑102/00, EU:C:2001:416, Rn. 16 und 17). Demnach fällt eine solche Verwaltungstätigkeit nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/112.

35

Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass MVM während des Zeitraums, um den es im Ausgangsverfahren geht, von ihren Tochtergesellschaften gewöhnlich keine Vergütung für ihre zentrale Verwaltung der Gruppentätigkeiten erhielt. Daher ist gemäß den vorangegangenen Erwägungen festzustellen, dass die Eingriffe von MVM in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften nicht als „wirtschaftliche Tätigkeit“ im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 anzusehen sind, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen kann.

36

Nun hat der Gerichtshof schon festgestellt, dass die Vorsteuer auf Aufwendungen eines Steuerpflichtigen nicht geltend gemacht werden kann, soweit sie sich auf Tätigkeiten bezieht, die aufgrund ihres nicht wirtschaftlichen Charakters nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/112 fällt (Urteile vom 13. März 2008, Securenta, C‑437/06, EU:C:2008:166, Rn. 30, und vom 29. Oktober 2009, SKF, C‑29/08, EU:C:2009:665, Rn. 59).

37

Folglich ist MVM nicht zum Abzug der für die fraglichen Dienstleistungen entrichteten Vorsteuer berechtigt, soweit sich diese auf Tätigkeiten beziehen, die nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/112 fallen.

38

Diese Feststellung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass von MVM auch andere Tätigkeiten durchgeführt wurden, wie die Vermietung von Elektrizitätskraftwerken und Glasfasernetzen, da die fraglichen Dienstleistungen keinen direkten und unmittelbaren Bezug zu einer bestimmten, steuerpflichtigen wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne der in Rn. 29 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung haben, was jedoch vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

39

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, wie der Gerichtshof schon in Rn. 24 des Urteils vom 16. Juli 2015, Larentia + Minerva und Marenave Schifffahrt (C‑108/14 und C‑109/14, EU:C:2015:496), festgestellt hat, ein Recht auf Vorsteuerabzug zugunsten des Steuerpflichtigen auch bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen dann angenommen wird, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und – als solche – Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind. Derartige Kosten hängen nämlich direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen.

40

Im vorliegenden Fall steht fest, dass MVM während des Zeitraums, um den es im Ausgangsverfahren geht, eine bestimmte, steuerpflichtige wirtschaftliche Tätigkeit ausgeführt hat, nämlich die Vermietung von Elektrizitätskraftwerken und Glasfasernetzen. Nun ist es schwer vorstellbar, dass die fraglichen Dienstleistungen, d. h. Dienstleistungen, die im Interesse der anderen Gruppenmitglieder erbracht wurden, und insbesondere Verwaltungsdienstleistungen im Zusammenhang mit dem Erwerb von Beteiligungen, einen direkten und unmittelbaren Bezug zu dieser Vermietungstätigkeit haben können, wenn sie als Ganzes betrachtet wird, was jedoch vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

41

Im Übrigen trägt MVM in ihren beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen vor, sie generiere seit dem 1. Januar 2015 eine Gewinnspanne bei der strategischen Verwaltung der der Gruppe angehörenden Unternehmen.

42

Insoweit genügt es, selbst wenn diese Verwaltung ab diesem Zeitpunkt als wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen wäre, festzustellen, dass die für den Erwerb der fraglichen Dienstleistungen zwischen 2008 und 2010 erklärten Ausgaben nicht zu den Kostenelementen dieser neuen steuerpflichtigen Umsätze gehören und daher nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen können.

43

MVM hat vor dem Gerichtshof ferner vorgetragen, die fraglichen Dienstleistungen dienten den Interessen der Gruppe und hätten einen Bezug zu den wirtschaftlichen Tätigkeiten der gesamten Gruppe, da ihre Tochtergesellschaften Tätigkeiten ausübten, die zum Vorsteuerabzug berechtigten.

44

Im vorliegenden Fall resultiert die Unmöglichkeit des Vorsteuerabzugs für die fraglichen Dienstleistungen jedoch aus der Entscheidung von MVM, den Gruppenmitgliedern diese Verwaltungsdienstleistungen nicht in Rechnung zu stellen.

45

Insoweit genügt der Hinweis, dass Unternehmern zum einen die Organisationsstrukturen und die Geschäftsmodelle, die sie als für ihre Tätigkeiten am besten geeignet erachten, im Allgemeinen frei wählen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. September 2013, Le Crédit Lyonnais, C‑388/11, EU:C:2013:541, Rn. 46) und dass zum anderen der Grundsatz der Steuerneutralität nicht bedeutet, dass ein Steuerpflichtiger, der die Wahl zwischen zwei Umsätzen hat, sich für den einen entscheiden und die Wirkungen des anderen geltend machen kann (Urteil vom 9. Oktober 2001, Cantor Fitzgerald International, C‑108/99, EU:C:2001:526, Rn. 33).

46

Sollte das vorlegende Gericht schließlich bei der in den Rn. 38 und 40 des vorliegenden Beschlusses angesprochenen Prüfung feststellen, dass sich einige der fraglichen Dienstleistungen zugleich auf die wirtschaftlichen und nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten von MVM beziehen, ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2006/112 nicht regelt, welche Methoden oder Kriterien die Mitgliedstaaten anwenden müssen, wenn sie Bestimmungen erlassen, die eine Aufteilung der Vorsteuerbeträge danach zulassen, ob sich die entsprechenden Aufwendungen auf wirtschaftliche oder auf nicht wirtschaftliche Tätigkeiten beziehen (Urteil vom 13. März 2008, Securenta, C‑437/06, EU:C:2008:166, Rn. 33).

47

Daher und damit die Steuerpflichtigen die notwendigen Berechnungen anstellen können, obliegt es den Mitgliedstaaten, unter Beachtung der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegenden Prinzipien die hierfür geeigneten Methoden und Kriterien festzulegen. Die Mitgliedstaaten haben insbesondere ihr Ermessen so auszuüben, dass der Abzug nur für den Teil der Mehrwertsteuer erfolgt, der auf die zum Abzug berechtigenden Umsätze entfällt. Sie müssen also darauf achten, dass die Berechnung des Verhältnisses zwischen wirtschaftlichen und nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten objektiv widerspiegelt, welcher Teil der Eingangsaufwendungen jeder dieser beiden Tätigkeiten tatsächlich zuzurechnen ist (Urteil vom 13. März 2008, Securenta, C‑437/06, EU:C:2008:166, Rn. 34 und 37).

48

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Art. 2, 9, 26, 167, 168 und 173 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass die Eingriffe einer Holdinggesellschaft wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften, wenn sie Letzteren weder den Preis für die von ihr im Interesse der gesamten Unternehmensgruppe oder einiger ihrer Tochtergesellschaften erbrachten Dienstleistungen noch die Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt hat, keine „wirtschaftliche Tätigkeit“ im Sinne dieser Richtlinie sind und dass einer solchen Holdinggesellschaft kein Recht auf Vorsteuerabzug für diese erbrachten Dienstleistungen zusteht, soweit sich diese auf Tätigkeiten beziehen, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen.

Kosten

49

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Art. 2, 9, 26, 167, 168 und 173 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass die Eingriffe einer Holdinggesellschaft wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften, wenn sie Letzteren weder den Preis für die von ihr im Interesse der gesamten Unternehmensgruppe oder einiger ihrer Tochtergesellschaften erbrachten Dienstleistungen noch die Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt hat, keine „wirtschaftliche Tätigkeit“ im Sinne dieser Richtlinie sind und dass einer solchen Holdinggesellschaft kein Recht auf Vorsteuerabzug für diese erbrachten Dienstleistungen zusteht, soweit sich diese auf Tätigkeiten beziehen, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Ungarisch.

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