Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-626/13

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

26. Januar 2017 ( *1 )

„Rechtsmittel — Wettbewerb — Kartelle — Belgischer, deutscher, französischer, italienischer, niederländischer und österreichischer Markt für Badezimmerausstattungen — Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum festgestellt wird — Koordinierung der Verkaufspreise und Austausch sensibler Geschäftsinformationen — Einheitliche Zuwiderhandlung — Beweis — Geldbußen — Unbeschränkte Nachprüfung — Angemessene Verfahrensdauer — Verhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache C‑626/13 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 29. November 2013,

Villeroy & Boch Austria GmbH mit Sitz in Mondsee (Österreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. Reidlinger und J. Weichbrodt,

Rechtsmittelführerin,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer, L. Malferrari und F. Ronkes Agerbeek als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Vizepräsidenten des Gerichtshofs A. Tizzano in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer, der Richterin M. Berger sowie der Richter E. Levits, S. Rodin (Berichterstatter) und F. Biltgen,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. September 2015,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Mit ihrem Rechtsmittel begehrt die Villeroy & Boch Austria GmbH (im Folgenden: Villeroy & Boch Österreich) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 16. September 2013, Villeroy & Boch Austria u. a./Kommission (T‑373/10, T‑374/10, T‑382/10 und T‑402/10, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2013:455), soweit mit ihm ihre Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses K(2010) 4185 endg. der Kommission vom 23. Juni 2010 in einem Verfahren nach Artikel 101 [AEUV] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39092 – Badezimmerausstattungen) (im Folgenden: streitiger Beschluss), soweit er sie betrifft, abgewiesen wurde.

Rechtlicher Rahmen

Verordnung (EG) Nr. 1/2003

2

In Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) ist bestimmt:

„(2)   Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen verhängen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig

a)

gegen Artikel [101] oder Artikel [102 AEUV] verstoßen …

Die Geldbuße für jedes an der Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen oder jede beteiligte Unternehmensvereinigung darf 10 % seines bzw. ihres jeweiligen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigen.

(3)   Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße ist sowohl die Schwere der Zuwiderhandlung als auch deren Dauer zu berücksichtigen.“

Leitlinien von 2006

3

Nach Ziff. 2 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2, im Folgenden: Leitlinien von 2006) muss die Kommission bei der Bemessung der Geldbußen „die Schwere und die Dauer der Zuwiderhandlung berücksichtigen“; außerdem „dürfen die in Artikel 23 Absatz 2 Unterabsätze 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 genannten Obergrenzen nicht überschritten werden“.

4

Ziff. 37 der Leitlinien von 2006 lautet:

„In diesen Leitlinien wird die allgemeine Methode für die Berechnung der Geldbußen dargelegt; jedoch können die besonderen Umstände eines Falles oder die Notwendigkeit einer ausreichend hohen Abschreckungswirkung ein Abweichen von dieser Methode oder der in Ziffer 21 festgelegten Obergrenze rechtfertigen.“

Vorgeschichte des Rechtsstreits und angefochtener Beschluss

5

Die vom Kartell betroffenen Produkte sind Badezimmerausstattungen, die zu einer der drei folgenden Produktuntergruppen gehören: Armaturen, Duschabtrennungen und ‑zubehör sowie Sanitärkeramik (im Folgenden: drei Produktuntergruppen).

6

Die vom Gericht in den Rn. 1 bis 19 des angefochtenen Urteils dargestellte Vorgeschichte des Rechtsstreits lässt sich wie folgt zusammenfassen.

7

Mit dem streitigen Beschluss stellte die Kommission eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) im Badezimmerausstattungssektor fest. Diese Zuwiderhandlung, an der 17 Unternehmen beteiligt gewesen seien, habe in verschiedenen Zeiträumen zwischen dem 16. Oktober 1992 und dem 9. November 2004 in Form eines Bündels wettbewerbswidriger Vereinbarungen oder abgestimmter Verhaltensweisen in Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden und Österreich stattgefunden.

8

Im Einzelnen führte die Kommission im streitigen Beschluss aus, die festgestellte Zuwiderhandlung habe erstens die Koordinierung jährlicher Preiserhöhungen und weiterer Preisgestaltungselemente durch die genannten Hersteller von Badezimmerausstattungen im Rahmen regelmäßiger Treffen nationaler Verbände, zweitens die Festsetzung oder Koordinierung der Preise aus besonderen Anlässen wie dem Anstieg der Rohstoffkosten, der Einführung des Euro oder der Einführung einer Straßenmaut sowie drittens die Offenlegung und den Austausch sensibler Geschäftsinformationen umfasst. Außerdem stellte sie fest, dass die Preise im Badezimmerausstattungssektor in jährlichen Runden festgesetzt worden seien. In diesem Rahmen hätten die Hersteller ihre Preislisten beschlossen, die üblicherweise ein Jahr lang gegolten hätten und bei Verkäufen an Großhändler zugrunde gelegt worden seien.

9

Villeroy & Boch Österreich und die übrigen Klägerinnen, die Villeroy & Boch AG (im Folgenden: Villeroy & Boch), die Villeroy & Boch SAS (im Folgenden: Villeroy & Boch Frankreich) und die Villeroy & Boch Belgium SA (im Folgenden: Villeroy & Boch Belgien), sind im Badezimmerausstattungssektor tätig. Villeroy & Boch ist die alleinige Anteilseignerin von Villeroy & Boch Österreich, Villeroy & Boch Frankreich, Villeroy & Boch Belgien, der Ucosan BV und deren Tochtergesellschaften sowie der Villeroy & Boch SARL.

10

Am 15. Juli 2004 informierten die Masco Corp. und ihre Tochtergesellschaften, darunter die Hansgrohe AG, die Armaturen herstellt, und die Hüppe GmbH, die Duschabtrennungen herstellt, die Kommission über das Bestehen eines Kartells im Badezimmerausstattungssektor und beantragten gemäß der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3, im Folgenden: Kronzeugenregelung von 2002) den Erlass bzw. eine Ermäßigung der gegen sie zu verhängenden Geldbußen. Am 2. März 2005 beschloss die Kommission gemäß Rn. 8 Buchst. a und Rn. 15 der Kronzeugenregelung von 2002 einen bedingten Geldbußenerlass zugunsten von Masco.

11

Am 9. und 10. November 2004 führte die Kommission unangekündigte Nachprüfungen in den Räumlichkeiten verschiedener Unternehmen und nationaler Verbände des Badezimmerausstattungssektors durch.

12

Am 15. und am 19. November 2004 beantragten die Grohe Beteiligungs GmbH und ihre Tochtergesellschaften sowie die American Standard Inc. (im Folgenden: Ideal Standard) den Erlass bzw. eine Ermäßigung der Geldbuße gemäß der Kronzeugenregelung von 2002.

13

Zwischen dem 15. November 2005 und dem 16. Mai 2006 versandte die Kommission an verschiedene Unternehmen und Verbände des Badezimmerausstattungssektors, darunter die Klägerinnen, Auskunftsverlangen. Am 26. März 2007 nahm sie dann eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an, die den Klägerinnen zugestellt wurde.

14

Am 17. und am 19. Januar 2006 beantragten die Roca SARL sowie die Hansa Metallwerke AG und ihre Tochtergesellschaften ebenfalls den Erlass bzw. eine Ermäßigung der Geldbuße gemäß der Kronzeugenregelung von 2002. Am 20. Januar 2006 stellte die Aloys F. Dornbracht GmbH & Co. KG Armaturenfabrik einen vergleichbaren Antrag.

15

Vom 12. bis 14. November 2007 fand eine Anhörung statt, an der die Klägerinnen teilnahmen. Am 9. Juli 2009 versandte die Kommission ein Sachverhaltsschreiben und lenkte die Aufmerksamkeit der Klägerinnen auf bestimmte Beweise, auf die sie sich im Rahmen des Erlasses einer endgültigen Entscheidung stützen wolle. Sie versandte u. a. an die Klägerinnen weitere Auskunftsverlangen. Am 23. Juni 2010 erließ die Kommission schließlich den streitigen Beschluss. Darin ging sie davon aus, dass die oben in Rn. 8 beschriebenen Verhaltensweisen Teil eines gemeinsamen Planes zur Beschränkung des Wettbewerbs zwischen den Adressaten des streitigen Beschlusses gewesen seien und die Merkmale einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung aufgewiesen hätten, deren Wirkungsbereich die drei Produktuntergruppen betroffen und sich auf Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande und Österreich erstreckt habe. Sie betonte insoweit vor allem, dass die besagten Verhaltensweisen nach einem wiederkehrenden Muster stattgefunden hätten, das in den sechs von ihrer Untersuchung betroffenen Mitgliedstaaten übereingestimmt habe. Sie verwies auch darauf, dass es folgende Verbände gegeben habe: alle drei Produktuntergruppen betreffende nationale Verbände (von ihr als „Dachverbände“ bezeichnet), nationale Verbände, deren Mitglieder in Bezug auf mindestens zwei der drei Produktuntergruppen tätig gewesen seien (von ihr als „produktübergreifende Verbände“ bezeichnet), und produktspezifische Verbände, deren Mitglieder in Bezug auf eine der drei Produktuntergruppen tätig gewesen seien. Schließlich stellte sie fest, dass es eine zentrale Gruppe von Unternehmen gegeben habe, die in verschiedenen Mitgliedstaaten im Rahmen von Dachverbänden und produktübergreifenden Verbänden am Kartell beteiligt gewesen seien.

16

Die Klägerinnen hätten sich als Mitglieder folgender Verbände an der in Rede stehenden Zuwiderhandlung beteiligt: das IndustrieForum Sanitär, das ab 2001 an die Stelle des Freundeskreises der deutschen Sanitärindustrie getreten sei, der Arbeitskreis Baden und Duschen, der ab 2003 an die Stelle des Arbeitskreises Duschabtrennungen getreten sei, sowie der Fachverband Sanitär-Keramische Industrie in Deutschland, der Arbeitskreis Sanitärindustrie (im Folgenden: ASI) in Österreich, die Vitreous China-group in Belgien, die Sanitair Fabrikanten Platform in den Niederlanden und die Association française des industries de céramique sanitaire in Frankreich. Zu der in den Niederlanden begangenen Zuwiderhandlung stellte die Kommission in Rn. 1179 des streitigen Beschlusses im Wesentlichen fest, dass gegen die daran beteiligten Unternehmen wegen Verjährung keine Geldbuße verhängt werden könne.

17

In Art. 1 des streitigen Beschlusses führte die Kommission die Unternehmen auf, die wegen einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens ab dem 1. Januar 1994 mit einer Sanktion belegt wurden, und zwar wegen ihrer Beteiligung an einem Kartell im Badezimmerausstattungssektor in Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden und Österreich in verschiedenen Zeiträumen zwischen dem 16. Oktober 1992 und dem 9. November 2004. Die Klägerinnen wurden in Art. 1 Abs. 1 des streitigen Beschlusses wie folgt mit einer Sanktion belegt: Villeroy & Boch, weil sie sich vom 28. September 1994 bis zum 9. November 2004 an der genannten einheitlichen Zuwiderhandlung beteiligt habe, und ihre Tochtergesellschaften Villeroy & Boch Österreich, Villeroy & Boch Belgien und Villeroy & Boch Frankreich, weil sie sich in Zeiträumen zwischen frühestens dem 12. Oktober 1994 und dem 9. November 2004 daran beteiligt hätten.

18

In Art. 2 Abs. 8 des streitigen Beschlusses verhängte die Kommission gegen Villeroy & Boch eine Geldbuße in Höhe von 54436347 Euro, gegen Villeroy & Boch und Villeroy & Boch Österreich gesamtschuldnerisch eine Geldbuße in Höhe von 6083604 Euro, gegen Villeroy & Boch und Villeroy & Boch Belgien gesamtschuldnerisch eine Geldbuße in Höhe von 2942608 Euro und gegen Villeroy & Boch und Villeroy & Boch Frankreich gesamtschuldnerisch eine Geldbuße in Höhe von 8068441 Euro. Gegen die Klägerinnen wurden also Geldbußen in Höhe von insgesamt 71531000 Euro verhängt.

19

Die Kommission zog bei der Festsetzung der Geldbußen die Leitlinien von 2006 heran.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

20

Mit Klageschrift, die am 8. September 2010 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Rechtsmittelführerin in der Rechtssache T‑373/10 Klage. Sie beantragte, den streitigen Beschluss, soweit er sie betrifft, für nichtig zu erklären, hilfsweise, die gegen sie verhängte Geldbuße herabzusetzen.

21

Zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses machte die Rechtsmittelführerin vor dem Gericht geltend, die Kommission habe die festgestellte Zuwiderhandlung zu Unrecht als einheitliche, komplexe und fortgesetzte Zuwiderhandlung eingestuft und, hilfsweise, sie habe insoweit ihre Begründungspflicht verletzt, indem sie die relevanten Märkte nicht hinreichend abgegrenzt habe. Die Rechtsmittelführerin machte ferner geltend, die Kommission habe zu Unrecht angenommen, dass sie sich an einem Kartell auf dem österreichischen Markt beteiligt habe. Es gebe keine Beweise für eine Zuwiderhandlung in Österreich. Schließlich wandte sich die Rechtsmittelführerin gegen die gesamtschuldnerische Verpflichtung zur Zahlung der Geldbuße. Bei der Berechnung der Geldbuße sei der Kommission ein Beurteilungsfehler unterlaufen. Die Geldbuße sei wegen der überlangen Dauer des Verwaltungsverfahrens zu ermäßigen, und sie sei unverhältnismäßig.

22

Die Rechtsmittelführerin beantragte hilfsweise, die verhängte Geldbuße herabzusetzen.

23

Das Gericht wies die Klage mit dem angefochtenen Urteil in vollem Umfang ab.

Anträge der Parteien

24

Die Rechtsmittelführerin beantragt,

das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben, soweit das Gericht ihre Klage abgewiesen hat;

hilfsweise, das angefochtene Urteil teilweise aufzuheben;

weiter hilfsweise, die gegen sie verhängte Geldbuße herabzusetzen;

äußerst hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur Entscheidung an das Gericht zurückzuverweisen;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

25

Die Kommission beantragt,

das Rechtsmittel insgesamt als zum Teil offensichtlich unzulässig und zum Teil offensichtlich unbegründet zurückzuweisen;

der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

26

Die Rechtsmittelführerin stützt ihr Rechtsmittel auf vier Gründe. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund rügt sie, in Bezug auf angebliche Zuwiderhandlungen in Österreich seien die Feststellungen des Gerichts rechtsfehlerhaft, mit dem zweiten, das Gericht habe rechtsfehlerhaft eine komplexe und fortdauernde Zuwiderhandlung angenommen, mit dem dritten, das Gericht habe seine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung nicht ausgeübt, um die Höhe der verhängten Geldbuße zu überprüfen, und mit dem vierten, das Gericht habe gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen.

Zum ersten Rechtsmittelgrund: fehlerhafte Feststellungen in Bezug auf angebliche Zuwiderhandlungen in Österreich

Vorbringen der Parteien

27

Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, in Bezug auf angebliche tatbestandliche Zuwiderhandlungen in Österreich zwischen dem 12. Oktober 1994 und dem 9. November 2004 seien die Feststellungen des Gerichts rechtsfehlerhaft und müssten deshalb aufgehoben werden.

28

Was speziell das Jahr 1994 angehe, habe das Gericht in den Rn. 175 und 176 des angefochtenen Urteils die zugrunde gelegten tatsächlichen Feststellungen der Kommission überdehnt und damit unter Verstoß gegen Art. 296 Abs. 2 AEUV die Begründung des streitigen Beschlusses ausgewechselt. Anders als das Gericht entschieden habe, habe die Kommission in den Rn. 299 bis 301 des streitigen Beschlusses nicht festgestellt, dass es bei den ASI-Sitzungen im Jahr 1994 nicht nur um Duschabtrennungen und Armaturen, sondern auch um den Bereich Sanitärkeramik gegangen sei.

29

Zu den Jahren 1995 bis 1997 habe das Gericht in den Rn. 185, 190 und 196 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die Rechtsmittelführerin bei den Treffen am 16. November 1995, 23. April 1996 und 15. Oktober 1997 an rechtswidrigen Gesprächen teilgenommen habe.

30

Diese Schlussfolgerung sei, was das Treffen am 16. November 1995 angehe, jedoch rechtsfehlerhaft, und zwar bereits deshalb, weil das Gericht nicht auf alle ihre Argumente eingegangen sei. Auch die in den Rn. 189 ff. des angefochtenen Urteils enthaltenen Ausführungen des Gerichts zu dem Treffen am 23. April 1996, wonach dahinstehen könne, ob das Gespräch auf Verlangen der Großhändler organisiert worden sei, seien rechtsfehlerhaft, weil es die rechtmäßige Alternativerklärung gebe, dass der Sanitär-Fachgroßhandel die Einführung einer Fachhandelspreisliste zu bestimmten Terminen zwecks Katalogerstellung ausdrücklich verlangt habe. Und hinsichtlich des Treffens am 15. Oktober 1997 sei das Gericht in Rn. 194 des angefochtenen Urteils über die Rechtmäßigkeitskontrolle gemäß Art. 263 AEUV hinausgegangen, indem es sich auf Gründe gestützt habe, die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte der Kommission nicht enthalten gewesen seien.

31

Was das Jahr 1998 angehe, seien die in den Rn. 197 ff. des angefochtenen Urteils enthaltenen Ausführungen des Gerichts zu ihrer angeblichen Beteiligung an einem Kartellverstoß ebenfalls rechtsfehlerhaft, weil in sich widersprüchlich. Das Gericht habe in den Rn. 197 bis 202 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die Kommission nicht bewiesen habe, dass sie 1998 an wettbewerbswidrigen Gesprächen teilgenommen habe. Insbesondere habe die mündliche Aussage von Masco eine solche Teilnahme nicht bewiesen. Es sei unlogisch, dass das Gericht dann in Rn. 203 des angefochtenen Urteils dieselbe Aussage von Masco heranziehe, um zu beweisen, dass sie sich nicht von rechtswidrigen Verhaltensweisen im Jahr 1998 distanziert habe. Im Übrigen beweise weder diese Aussage noch die anderen in Rn. 203 des angefochtenen Urteils angeführten Indizien, dass sie sich nicht distanziert hätte. Das Gericht habe somit auch die in der Rechtsprechung aufgestellten rechtlichen Grundsätze verkannt, wonach ein Bündel von Indizien nur dann zum Nachweis des wettbewerbswidrigen Inhalts von Treffen ausreichen könne, wenn der systematische Charakter der Treffen und ihr wettbewerbswidriger Inhalt nachgewiesen und durch eine Unternehmenserklärung mit erheblichem Beweiswert untermauert würden. Beides sei hier nicht der Fall.

32

Was das Jahr 1999 angehe, sei die Schlussfolgerung des Gerichts in Rn. 208 des angefochtenen Urteils, wonach die Kommission ihre Beteiligung an rechtswidrigen Gesprächen durch das von Ideal Standard verfasste handschriftliche Protokoll des ASI-Treffens vom 6. September 1999 rechtlich hinreichend nachgewiesen habe, rechtsfehlerhaft. Eine Erklärung eines Kronzeugen könne keinen hinreichenden Beweis für das Vorliegen einer Zuwiderhandlung darstellen, wenn ihre Richtigkeit von mehreren anderen beschuldigten Unternehmen bestritten werde.

33

Was das Jahr 2000 angehe, habe das Gericht in Rn. 214 des angefochtenen Urteils unter Berufung auf das Protokoll des ASI-Treffens vom 12. und 13. Oktober 2000 festgestellt, dass „die 1999 geführten Gespräche … 2000 ihre Wirkungen entfaltet [haben]“, auch wenn unmittelbare Beweise für ihre Beteiligung an wettbewerbswidrigen Handlungen in diesem Jahr fehlten. Dieses Protokoll, das vom Gericht im Übrigen auch nicht richtig ausgelegt worden sei, genüge insoweit jedoch nicht als Beweis.

34

Was das Jahr 2001 angehe, habe das Gericht in den Rn. 214 bis 218 des angefochtenen Urteils eine Beteiligung von ihr an rechtswidrigen Gesprächen allein deshalb bejaht, weil die angeblich rechtswidrigen Gespräche aus dem Jahr 2000 fortgewirkt hätten. Es habe zur Begründung lediglich auf die Rn. 652 bis 658 des streitigen Beschlusses verwiesen, ohne zu erläutern, wieso die dortigen Ausführungen überzeugend seien.

35

Was die Jahre 2002 und 2003 angehe, habe das Gericht ihren Vortrag ignoriert.

36

Was schließlich das Jahr 2004 angehe, seien die Feststellungen des Gerichts in Rn. 228 des angefochtenen Urteils widersprüchlich und rechtsfehlerhaft. Das Gericht habe dort angenommen, dass sie, die an dem ASI-Treffen vom 22. Januar 2004 nicht teilgenommen habe, durch das Protokoll des Treffens von den dort von ihren Mitbewerbern getroffenen Entscheidungen unterrichtet worden sei. In Rn. 212 des angefochtenen Urteils habe es hingegen die Tatsache, dass Protokolle von ASI-Treffen grundsätzlich allen ASI-Mitgliedern übermittelt werden sollten, als allein nicht für den Nachweis ausreichend angesehen, dass sie davon tatsächlich Kenntnis genommen habe.

37

Nach Auffassung der Kommission ist der erste Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Würdigung durch den Gerichtshof

38

Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund rügt die Rechtsmittelführerin verschiedene Fehler in Feststellungen des Gerichts zu den Zuwiderhandlungen, die in Österreich in der Zeit vom 12. Oktober 1994 bis zum 9. November 2004 begangen worden sein sollen.

39

Was erstens das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zum Jahr 1994 angeht, ist festzustellen, dass die Rechtsmittelführerin lediglich wiederholt, was sie im ersten Rechtszug vor dem Gericht vorgebracht hatte. Dasselbe gilt für das Vorbringen zu dem Treffen vom 23. April 1996.

40

Nach ständiger Rechtsprechung muss ein Rechtsmittel die beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die rechtlichen Argumente, die diesen Antrag speziell stützen, genau bezeichnen. Ein Rechtsmittel, das nur die bereits vor dem Gericht geltend gemachten Klagegründe und Argumente wiedergibt, aber keinerlei Ausführungen speziell zur Bezeichnung des Rechtsfehlers enthält, mit dem das angefochtene Urteil behaftet sein soll, genügt diesem Erfordernis nicht. Ein solches Rechtsmittel zielt nämlich in Wirklichkeit nur auf eine erneute Prüfung der beim Gericht eingereichten Klage ab, was nicht in die Zuständigkeit des Gerichtshofs fällt (vgl. u. a. Urteile vom 30. Juni 2005, Eurocermex/HABM, C‑286/04 P, EU:C:2005:422, Rn. 49 und 50, sowie vom 12. September 2006, Reynolds Tobacco u. a./Kommission, C‑131/03 P, EU:C:2006:541, Rn. 49 und 50).

41

Folglich ist das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zum Jahr 1994 und zu dem Treffen vom 23. April 1996 als unzulässig zurückzuweisen.

42

Zweitens ist zu dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin zu den Treffen vom 16. November 1995 und vom 15. Oktober 1997, mit dem im Wesentlichen ein Begründungsmangel des angefochtenen Urteils gerügt wird, festzustellen, dass das Gericht nach einer gefestigten Rechtsprechung aufgrund seiner Begründungspflicht nicht verpflichtet ist, bei seinen Ausführungen alle von den Parteien des Rechtsstreits vorgetragenen Argumente nacheinander erschöpfend zu behandeln. Die Begründung kann daher auch implizit erfolgen, sofern sie es den Betroffenen ermöglicht, zu erfahren, warum das Gericht ihrem Vorbringen nicht gefolgt ist, und dem Gerichtshof ausreichende Angaben an die Hand gibt, damit er seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann (vgl. u. a. Urteile vom 2. April 2009, Bouygues und Bouygues Télécom/Kommission, C‑431/07 P, EU:C:2009:223, Rn. 42, und vom 22. Mai 2014, Armando Álvarez/Kommission, C‑36/12 P, EU:C:2014:349, Rn. 31).

43

Im vorliegenden Fall hat das Gericht das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zu den in Österreich im Zusammenhang mit diesen verschiedenen Treffen begangenen Zuwiderhandlungen aber in den Rn. 180 bis 185 und 192 bis 196 des angefochtenen Urteils geprüft und zurückgewiesen. Bevor es das Vorbringen der Rechtsmittelführerin als unbegründet zurückgewiesen hat, hat es jeweils die einschlägigen Belege angeführt und sich auf den streitigen Beschluss bezogen. Somit hat das Gericht das angefochtene Urteil begründet.

44

Folglich ist das oben in Rn. 42 dargestellte Vorbringen der Rechtsmittelführerin zurückzuweisen.

45

Was das Treffen vom 15. Oktober 1997 angeht, ist ferner das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zurückzuweisen, das Gericht habe sich auf Gründe gestützt, die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte der Kommission nicht enthalten gewesen seien. Das Gericht hat sich in Rn. 194 des angefochtenen Urteils nämlich auf die in den Rn. 295 und 307 des streitigen Beschlusses dargelegten Gründe gestützt. Die Rechtsmittelführerin hatte vor dem Gericht aber nicht geltend gemacht, dass zwischen dem streitigen Beschluss und der Mitteilung der Beschwerdepunkte insoweit ein Widerspruch bestehe. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. u. a. Urteil vom 22. Oktober 2015, AC‑Treuhand/Kommission, C‑194/14 P, EU:C:2015:717, Rn. 54) kann sie dies im Stadium des Rechtsmittels vor dem Gerichtshof nicht nachholen.

46

Drittens ist zu den Treffen vom 30. April und vom 18. Juni 1998 festzustellen, dass das Gericht in Rn. 199 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, die Kommission habe nicht dargetan, dass sich die Rechtsmittelführerin an der Zuwiderhandlung beteiligt habe. In Rn. 203 des angefochtenen Urteils hat es jedoch eindeutig festgestellt, dass die Kommission, weil sich die Rechtsmittelführerin nicht offen von den Gesprächen distanziert habe und sich die wettbewerbswidrigen Wirkungen der Vereinbarung vom 15. Oktober 1997 im darauffolgenden Jahr entfaltet hätten, zu Recht angenommen habe, dass die Rechtsmittelführerin ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung im Jahr 1998 nicht unterbrochen habe. Damit ist das Gericht nicht nur seiner Begründungspflicht nachgekommen, wodurch es den Parteien ermöglicht wurde, seine Erwägungen in Zweifel zu ziehen, und dem Gerichtshof, im Rahmen des Rechtsmittels seine Kontrolle auszuüben. Auch seine Beweiswürdigung ist rechtlich nicht zu beanstanden.

47

Zur Beweiswürdigung des Gerichts ist nämlich festzustellen, dass eine wettbewerbswidrige Verhaltensweise oder Vereinbarung nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs in den meisten Fällen aus einer Reihe von Koinzidenzen oder Indizien abgeleitet werden muss, die bei einer Gesamtbetrachtung mangels einer anderen schlüssigen Erklärung den Beweis für eine Verletzung der Wettbewerbsregeln darstellen können. Deshalb steht insbesondere bei einer sich über mehrere Jahre erstreckenden Zuwiderhandlung das Fehlen eines unmittelbaren Beweises für die Beteiligung einer Gesellschaft an der Zuwiderhandlung während eines bestimmten Zeitraums nicht der Feststellung entgegen, dass sich die Gesellschaft auch während dieses Zeitraums daran beteiligt hat, sofern die Feststellung auf objektiven und übereinstimmenden Indizien beruht. Das Fehlen einer offenen Distanzierung der Gesellschaft kann als ein solches Indiz herangezogen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. September 2015, Total Marketing Services/Kommission, C‑634/13 P, EU:C:2015:614, Rn. 26 bis 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48

Außerdem hat sich das Gericht weder widersprochen noch seine Begründungspflicht verletzt, indem es angenommen hat, dass die Aussage von Masco zwar für sich genommen nicht für den Nachweis einer Beteiligung der Rechtsmittelführerin am Informationsaustausch im Jahr 1998 genüge, aber im Rahmen des in Rn. 203 des angefochtenen Urteils beschriebenen Bündels übereinstimmender Indizien neben weiteren Elementen zum Nachweis dafür habe herangezogen werden dürfen, dass die Rechtsmittelführerin ihre Beteiligung an den rechtswidrigen Verhaltensweisen im Jahr 1998 nicht unterbrochen habe.

49

Schließlich ist das Vorbringen der Rechtsmittelführerin, soweit sie sich damit gegen die Würdigung des Sachverhalts und der Beweise durch das Gericht wendet, als unzulässig zurückzuweisen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs unterliegt die Beurteilung von Tatsachen durch das Gericht grundsätzlich nicht der Kontrolle durch den Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels. Nach Art. 256 AEUV und Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist das Rechtsmittel nämlich auf Rechtsfragen beschränkt. Daher ist allein das Gericht für die Feststellung und Beurteilung der relevanten Tatsachen sowie die Beweiswürdigung zuständig, vorbehaltlich einer Verfälschung des Sachverhalts oder der Beweise (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Oktober 2003, Salzgitter/Kommission, C‑182/99 P, EU:C:2003:526, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50

Viertens ist zu den Treffen im Jahr 1999 festzustellen, dass sich die Kommission, wie aus Rn. 206 des angefochtenen Urteils hervorgeht, nicht lediglich auf den Kronzeugenantrag von Ideal Standard gestützt hat, sondern auf ein handschriftliches Protokoll des Treffens vom 6. September 1999, das von einem Vertreter von Ideal Standard am Tag des rechtswidrigen Treffens erstellt worden war. Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin erfordert ein solches Dokument, das nicht erstellt wurde, als die betreffende Gesellschaft ihren Kronzeugenantrag stellte, sondern, wie das Gericht in Rn. 207 des angefochtenen Urteils dargelegt hat, zur Zeit der Zuwiderhandlung, keine weiteren übereinstimmenden Beweise. Das entsprechende Vorbringen der Rechtsmittelführerin ist deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

51

Fünftens ist zum ASI-Treffen am 12. und 13. Oktober 2000 festzustellen, dass das Vorbringen der Rechtsmittelführerin auf einem Fehlverständnis von Rn. 214 des angefochtenen Urteils beruht. Anders als die Rechtsmittelführerin behauptet, hat das Gericht seine Feststellung, dass sich die Wirkungen der 1999 geführten rechtswidrigen Gespräche im Jahr 2000 entfaltet hätten, nämlich nicht auf das Protokoll dieses Treffens gestützt. Im Übrigen wendet sie sich mit ihrem Vorbringen im Wesentlichen gegen die Beweiswürdigung des Gerichts, ohne jedoch eine Verfälschung der Beweise nachzuweisen. Nach der oben in Rn. 49 dargestellten Rechtsprechung ist es daher unzulässig.

52

Was sechstens das Jahr 2001 angeht, beruht das Vorbringen der Rechtsmittelführerin wiederum auf einem Fehlverständnis des angefochtenen Urteils und ist deshalb zurückzuweisen. Aus den Rn. 215 bis 218 des angefochtenen Urteils geht nämlich eindeutig hervor, dass das Gericht die Beteiligung der Rechtsmittelführerin an den im Jahr 2001 geführten rechtswidrigen Gesprächen nicht daraus geschlossen hat, dass die im Jahr 2000 geführten Gespräche im darauffolgenden Jahr weiter Wirkungen entfaltet hätten. Es hat in den Rn. 215 bis 217 des angefochtenen Urteils vielmehr darauf abgestellt, dass Villeroy & Boch Österreich im Jahr 2001 an mehreren Treffen teilgenommen habe, bei denen sich die Teilnehmer auf den Zeitpunkt der Übermittlung der Preislisten an die Großhändler und den Zeitpunkt der Preiserhöhung sowie über die Koordinierung dieser Treffen mit weiteren Treffen in den Jahren 2000 und 2001 geeinigt hätten, an denen Villeroy & Boch Österreich nicht teilgenommen habe, bei denen die ASI-Mitglieder aber über bezifferte Preiserhöhungen ab dem 1. Januar 2002 gesprochen hätten.

53

Was siebtens die Rüge der Rechtsmittelführerin angeht, das angefochtene Urteil leide unter einem Begründungsmangel, weil das Gericht sein Vorbringen zu den Jahren 2002 und 2003 übergangen habe, kann es mit dem Hinweis sein Bewenden haben, dass das Gericht in den Rn. 219 bis 226 des angefochtenen Urteils, bevor es das Vorbringen der Rechtsmittelführerin als unbegründet zurückgewiesen hat, bei den einzelnen Treffen jeweils die relevanten Belege angeführt und auf den streitigen Beschluss verwiesen hat. Nach der oben in Rn. 42 dargestellten Rechtsprechung musste das Gericht nicht auf sämtliches Vorbringen der Rechtsmittelführerin eingehen. Die entsprechende Rüge der Rechtsmittelführerin ist deshalb zurückzuweisen.

54

Schließlich versucht die Rechtsmittelführerin mit ihrem Vorbringen zu dem Treffen vom 22. Januar 2004, die Beweiswürdigung des Gerichts in Zweifel zu ziehen, ohne jedoch eine Verfälschung der Beweise darzutun. Nach der oben in Rn. 49 dargestellten Rechtsprechung ist es daher als unzulässig zurückzuweisen.

55

Folglich ist der erste Rechtsmittelgrund als teils unzulässig, teils unbegründet zurückzuweisen.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund: Vorliegen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung

Vorbringen der Parteien

56

Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin als Erstes geltend, die Rechtsfigur der einheitlichen, komplexen und fortgesetzten Zuwiderhandlung sei mit Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens unvereinbar und dürfe daher nicht zur Anwendung kommen. Für die Bildung einer solchen Rechtsfigur fehle es an einer gesetzlichen Ermächtigung im Unionsrecht. Das Gericht sei auf ihr dahin gehendes Vorbringen nicht eingegangen, so dass das angefochtene Urteil insoweit unzureichend begründet sei.

57

Als Zweites macht die Rechtsmittelführerin hilfsweise geltend, im vorliegenden Fall seien die Tatbestandsvoraussetzungen einer einheitlichen Zuwiderhandlung nicht erfüllt, da die Kommission den relevanten Markt nicht abgegrenzt und die Komplementarität der verschiedenen ihr zur Last gelegten Handlungen nicht nachgewiesen habe.

58

Als Drittes macht die Rechtsmittelführerin geltend, dass es jedenfalls wegen der teilweisen Nichtigerklärungen des streitigen Beschlusses hinsichtlich bestimmter Mitgliedstaaten in den Urteilen vom 16. September 2013, Wabco Europe u. a./Kommission (T‑380/10, EU:T:2013:449), vom 16. September 2013, Keramag Keramische Werke u. a./Kommission (T‑379/10 und T‑381/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:457), und vom 16. September 2013, Duravit u. a./Kommission (T‑364/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:477), und weil bestimmte Unternehmen keine Kenntnis von der gesamten Zuwiderhandlung gehabt haben könnten, eine Gesamtzuwiderhandlung in dem im streitigen Beschluss definierten Sinne nicht geben könne.

59

Nach Auffassung der Kommission ist der zweite Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Würdigung durch den Gerichtshof

60

Nach ständiger Rechtsprechung kann sich ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch aus einer Reihe von Handlungen oder einem fortgesetzten Verhalten ergeben, selbst wenn ein oder mehrere Teile dieser Reihe von Handlungen oder dieses fortgesetzten Verhaltens auch für sich genommen und isoliert betrachtet einen Verstoß gegen die genannte Vorschrift darstellen könnten. Somit ist, wenn sich die verschiedenen Handlungen wegen ihres identischen Zwecks der Verfälschung des Wettbewerbs im Binnenmarkt in einen „Gesamtplan“ einfügen, die Kommission berechtigt, die Verantwortung für diese Handlungen anhand der Beteiligung an der Zuwiderhandlung als Ganzes aufzuerlegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Juni 2015, Fresh Del Monte Produce/Kommission und Kommission/Fresh Del Monte Produce, C‑293/13 P und C‑294/13 P, EU:C:2015:416, Rn. 156 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

61

Ein Unternehmen, das sich durch eigene Handlungen, die den Begriff der Vereinbarung oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweise mit wettbewerbswidrigem Ziel im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV erfüllten und zur Verwirklichung der Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit beitragen sollten, an einer solchen einheitlichen und komplexen Zuwiderhandlung beteiligt hat, kann somit für die gesamte Zeit seiner Beteiligung an der Zuwiderhandlung auch für das Verhalten verantwortlich sein, das andere Unternehmen im Rahmen der Zuwiderhandlung an den Tag legten. Dies ist dann der Fall, wenn das Unternehmen nachweislich durch sein eigenes Verhalten zur Erreichung der von allen Beteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele beitragen wollte und von dem von anderen Unternehmen in Verfolgung dieser Ziele beabsichtigten oder an den Tag gelegten rechtswidrigen Verhalten wusste oder es vernünftigerweise vorhersehen konnte und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Juni 2015, Fresh Del Monte Produce/Kommission und Kommission/Fresh Del Monte Produce, C‑293/13 P und C‑294/13 P, EU:C:2015:416, Rn. 157 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

62

Es ist somit möglich, dass sich ein Unternehmen an dem gesamten wettbewerbswidrigen Verhalten, das die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung bildet, unmittelbar beteiligt hat; dann ist die Kommission berechtigt, es für dieses gesamte Verhalten und damit für die Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit zur Verantwortung zu ziehen. Es ist auch möglich, dass sich ein Unternehmen nur an einem Teil des wettbewerbswidrigen Verhaltens, das die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung bildet, unmittelbar beteiligt hat, aber von dem gesamten übrigen rechtswidrigen Verhalten, das die anderen Kartellbeteiligten in Verfolgung der gleichen Ziele beabsichtigten oder an den Tag legten, wusste oder es vernünftigerweise vorhersehen konnte und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen. In einem solchen Fall ist die Kommission ebenfalls berechtigt, dieses Unternehmen für das gesamte wettbewerbswidrige Verhalten, das eine solche Zuwiderhandlung bildet, und damit für die Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit zur Verantwortung zu ziehen (vgl. Urteil vom 24. Juni 2015, Fresh Del Monte Produce/Kommission und Kommission/Fresh Del Monte Produce, C‑293/13 P und C‑294/13 P, EU:C:2015:416, Rn. 158 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

63

Bei der Qualifizierung verschiedener Vorgänge als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung ist nicht zu prüfen, ob sie insofern in einem Komplementaritätsverhältnis stehen, als jede von ihnen eine oder mehrere Folgen des normalen Wettbewerbs beseitigen soll und durch Interaktion zur Verwirklichung sämtlicher wettbewerbswidriger Wirkungen beiträgt, die ihre Urheber im Rahmen eines auf ein einheitliches Ziel gerichteten Gesamtplans anstreben. Die den Begriff „einheitliches Ziel“ betreffende Voraussetzung bedeutet vielmehr, dass geprüft werden muss, ob es nicht die verschiedenen Verhaltensweisen, die Bestandteil der Zuwiderhandlung sind, kennzeichnende Gesichtspunkte gibt, die darauf hindeuten könnten, dass die von anderen beteiligten Unternehmen vorgenommenen Handlungen nicht das gleiche Ziel oder die gleiche wettbewerbswidrige Wirkung haben und sich daher nicht wegen ihres identischen Zwecks der Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts in einen „Gesamtplan“ einfügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2013, Siemens u. a./Kommission, C‑239/11 P, C‑489/11 P und C‑498/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:866, Rn. 247 und 248).

64

Außerdem kann aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht abgeleitet werden, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV nur entweder Unternehmen betrifft, die auf dem von den Wettbewerbsbeschränkungen betroffenen Markt oder auch auf den diesem Markt vorgelagerten, nachgelagerten oder benachbarten Märkten tätig sind, oder Unternehmen, die ihre Selbständigkeit beim Verhalten auf einem bestimmten Markt aufgrund einer Vereinbarung oder einer abgestimmten Verhaltensweise beschränken. Nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs bezieht sich nämlich der Wortlaut von Art. 101 Abs. 1 AEUV allgemein auf alle Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen, die – sei es in horizontalen oder vertikalen Beziehungen – den Wettbewerb im Binnenmarkt verfälschen, unabhängig davon, auf welchem Markt die Parteien tätig sind, und unabhängig davon, dass nur das Geschäftsverhalten einer der Parteien durch die Bedingungen der in Rede stehenden Vereinbarungen betroffen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2015, AC‑Treuhand/Kommission, C‑194/14 P, EU:C:2015:717, Rn. 34 und 35 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

65

In Anbetracht dieser Rechtsprechung ist erstens das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zurückzuweisen, die Rechtsfigur der einheitlichen, komplexen und fortgesetzten Zuwiderhandlung sei mit Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens unvereinbar.

66

Zweitens ist festzustellen, dass das Gericht das angefochtene Urteil durch die Bezugnahme in dessen Rn. 32 bis 34, 41, 42 und 46 bis 48 auf diese Rechtsprechung entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin rechtlich hinreichend begründet hat.

67

Drittens ist zu dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin, die Voraussetzungen einer einheitlichen Zuwiderhandlung seien im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da die Kommission den relevanten Markt nicht abgegrenzt habe, festzustellen, dass die Verschiedenheit der von der Zuwiderhandlung erfassten Produktmärkte und räumlichen Märkte, wie das Gericht zu Recht in Rn. 54 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat und wie die Rechtsmittelführerin einräumt, der Feststellung einer einheitlichen Zuwiderhandlung jedenfalls nicht entgegensteht. Das Vorbringen der Rechtsmittelführerin geht deshalb jedenfalls ins Leere.

68

Viertens ist die Erwägung des Gerichts in den Rn. 63 bis 71 des angefochtenen Urteils, die Kommission habe im vorliegenden Fall zum Nachweis einer einheitlichen Zuwiderhandlung feststellen können, dass ein einheitliches Ziel vorgelegen habe, rechtlich nicht zu beanstanden. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen in den Rn. 66, 69 und 71 des angefochtenen Urteils hat das Gericht nämlich rechtlich hinreichend dargetan, dass mit den verschiedenen beanstandeten Verhaltensweisen dasselbe Ziel verfolgt wurde, nämlich das Verhalten aller Hersteller von Badezimmerausstattungen gegenüber den Großhändlern abzustimmen. Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin wurde der Begriff des gemeinsamen Ziels, wie sich aus den Rn. 66, 69 und 71 ergibt, daher nicht durch einen allgemeinen Verweis auf eine Verzerrung des Wettbewerbs auf den von der Zuwiderhandlung betroffenen Märkten bestimmt, sondern durch den Verweis auf verschiedene objektive Umstände wie die zentrale Rolle der Großhändler in der Vertriebskette, die Merkmale dieser Vertriebskette, die Existenz von Dachverbänden und produktübergreifenden Verbänden, die Ähnlichkeit der geheimen Absprachen hinsichtlich ihrer Durchführung und die zwischen den betreffenden Verhaltensweisen in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht bestehenden Überschneidungen.

69

Der Nachweis einer Komplementarität der beanstandeten Verhaltensweisen ist deshalb nicht erforderlich. Eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung kann nämlich auch Unternehmen angelastet werden, die nicht miteinander in Wettbewerb stehen, und sie erfordert keine systematische Abgrenzung der relevanten Märkte. Die Rechtsmittelführerin ist zum einen für ihre unmittelbare Beteiligung an der ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlung verantwortlich und zum anderen für ihre mittelbare Beteiligung daran. Sie hatte nämlich Kenntnis von sämtlichen rechtswidrigen Verhaltensweisen, die durchgeführt werden sollten oder von den übrigen Kartellteilnehmern durchgeführt wurden, um dieselben Ziele zu verfolgen, oder sie hätte es vernünftigerweise vorhersehen können und war bereit, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen. Deshalb ist die Annahme des Gerichts, die Kommission habe fehlerfrei festgestellt, dass im vorliegenden Fall eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung vorliege, nicht zu beanstanden.

70

Was schließlich das Vorbringen zur teilweisen Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses durch Urteile des Gerichts angeht, die dieselbe Zuwiderhandlung betreffen wie die, um die es hier geht, ist darauf hinzuweisen, dass allein das Gericht für die Würdigung der Beweise zu den verschiedenen nationalen Märkten zuständig ist. Sollte mit diesem Vorbringen das Vorliegen einer einheitlichen, komplexen und fortgesetzten Zuwiderhandlung in Frage gestellt werden, ist hervorzuheben, dass der Umstand, dass das Gericht den streitigen Beschluss teilweise für nichtig erklärt hat, soweit er den Nachweis der Beteiligung bestimmter betroffener Unternehmen an der Zuwiderhandlung auf bestimmten räumlichen Märkten in bestimmten Zeiträumen betrifft, nicht ausreicht, um die Feststellungen des Gerichts zum Vorliegen eines Gesamtplans hinsichtlich der drei Produktuntergruppen und der sechs betroffenen Mitgliedstaaten und eines einheitlichen Ziels der Wettbewerbsverfälschung zu entkräften. Solche Teilnichtigerklärungen können allenfalls zu einer Herabsetzung der gegen das betreffende Unternehmen verhängten Geldbuße führen, sofern bei deren Verhängung die betreffenden räumlichen Märkte berücksichtigt wurden.

71

Folglich ist der zweite Rechtsmittelgrund als teils ins Leere gehend, teils unbegründet zurückzuweisen.

Zum dritten und zum vierten Rechtsmittelgrund betreffend die unbeschränkte Nachprüfung und die Verhältnismäßigkeit der Geldbuße

Vorbringen der Parteien

72

Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht und der Gerichtshof seien aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens verpflichtet, in jeder ihnen zur Prüfung vorgelegten Sache, in der es um die Festsetzung einer Geldbuße oder eines Zwangsgelds durch die Kommission gehe, die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung, die ihnen der Unionsgesetzgeber durch Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 übertragen habe, auch tatsächlich auszuüben, zumal die Sanktionen durch keine Rechtsnorm harmonisiert seien und die Kommission die Geldbußen von 1998 bis 2006 nach drei unterschiedlichen Methoden berechnet habe.

73

Im angefochtenen Urteil habe das Gericht die Festsetzung der Geldbuße entgegen ihren Anträgen aber ausschließlich einer Rechtmäßigkeitsprüfung unterzogen.

74

Die Rechtsmittelführerin macht ferner geltend, das Gericht hätte die Geldbuße im vorliegenden Fall wegen der Schwere der Zuwiderhandlung, die nur wenige, überwiegend kleine Mitgliedstaaten betroffen habe, herabsetzen müssen. Es sei unerfindlich, aus welchen Gründen die Kommission die im vorliegenden Fall beanstandeten Handlungen ungleich härter bestraft habe als Kartelle der gleichen Art, die den gesamten EWR betroffen hätten.

75

Die Rechtsmittelführerin rügt ferner, dass ihr wegen der überlangen Dauer des Verwaltungsverfahrens, das insgesamt fast sechs Jahre gedauert habe, keine Ermäßigung der Geldbuße gewährt worden sei.

76

Mit ihrem vierten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, das angefochtene Urteil verstoße gegen den in Art. 49 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, nach dem die Sanktion der Schwere der Zuwiderhandlung entsprechen müsse. Bei der Bestimmung der Schwere der Zuwiderhandlung hätte das Gericht die Effekte der betreffenden Zuwiderhandlung auf den Markt und die auf den relevanten Märkten erzielten Umsätze berücksichtigen müssen, was es aber nicht getan habe.

77

Das Gericht hätte sich auch vergewissern müssen, dass die mit dem streitigen Beschluss verhängte Geldbuße absolut verhältnismäßig sei. Dies sei nicht der Fall, wenn für einen absprachebefangenen Umsatz von rund 3,88 Mio. Euro eine Geldbuße in Höhe von 6,08 Mio. Euro verhängt werde.

78

Die Rechtsmittelführerin ersucht den Gerichtshof daher, das rechtswidrige Versäumnis des Gerichts zu korrigieren und die festgesetzte Geldbuße herabzusetzen.

79

Nach Auffassung der Kommission sind der dritte und der vierte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Würdigung durch den Gerichtshof

80

Nach ständiger Rechtsprechung bedeutet die in Art. 263 AEUV vorgesehene Rechtmäßigkeitskontrolle, dass der Unionsrichter sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht eine Kontrolle der beanstandeten Entscheidung im Hinblick auf die vom Kläger vorgebrachten Argumente vornimmt und befugt ist, die Beweise zu würdigen, die genannte Entscheidung für nichtig zu erklären und die Höhe der Geldbußen zu ändern (vgl. Urteil vom 10. Juli 2014, Telefónica und Telefónica de España/Kommission, C‑295/12 P, EU:C:2014:2062, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

81

Die Rechtmäßigkeitskontrolle wird ergänzt durch die dem Unionsrichter in Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 im Einklang mit Art. 261 AEUV eingeräumte Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung. Diese Befugnis ermächtigt den Richter über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Sanktion hinaus dazu, die Beurteilung der Kommission durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen und demgemäß die verhängte Geldbuße oder das verhängte Zwangsgeld aufzuheben, herabzusetzen oder zu erhöhen (vgl. Urteil vom 8. Dezember 2011, Chalkor/Kommission, C‑386/10 P, EU:C:2011:815, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

82

Der Unionsrichter hat, um den Erfordernissen einer unbeschränkten gerichtlichen Nachprüfung im Sinne von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union hinsichtlich der Geldbuße zu genügen, bei der Ausübung der in den Art. 261 und 263 AEUV vorgesehenen Befugnisse jede Rechts- oder Sachrüge zu prüfen, mit der dargetan werden soll, dass die Höhe der Geldbuße Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung nicht angemessen ist (vgl. Urteil vom 18. Dezember 2014, Kommission/Parker Hannifin Manufacturing und Parker-Hannifin, C‑434/13 P, EU:C:2014:2456, Rn. 75 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

83

Die Ausübung dieser Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung entspricht jedoch nicht einer Prüfung von Amts wegen, und das Verfahren ist ein streitiges. Es ist grundsätzlich Sache des Klägers, Klagegründe gegen die beanstandete Entscheidung vorzubringen und diese durch Beweise zu stützen (vgl. Urteil vom 18. Dezember 2014, Kommission/Parker Hannifin Manufacturing und Parker-Hannifin, C‑434/13 P, EU:C:2014:2456, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

84

Insoweit ist hervorzuheben, dass das Fehlen einer Verpflichtung, die gesamte angefochtene Entscheidung von Amts wegen zu prüfen, nicht gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes verstößt. Für die Wahrung dieses Grundsatzes ist es nämlich nicht unerlässlich, dass das Gericht, das jedenfalls die geltend gemachten Klagegründe prüfen und sowohl in rechtlicher wie in tatsächlicher Hinsicht eine Kontrolle vornehmen muss, verpflichtet ist, den gesamten Vorgang von Amts wegen erneut zu prüfen. (vgl. Urteil vom 8. Dezember 2011, Chalkor/Kommission, C‑386/10 P, EU:C:2011:815, Rn. 66).

85

Allein das Gericht ist für die Überprüfung der Art und Weise zuständig, in der die Kommission im konkreten Fall die Schwere der rechtswidrigen Verhaltensweisen beurteilt hat. Im Rechtsmittelverfahren erstreckt sich die Kontrolle durch den Gerichtshof zum einen darauf, inwieweit das Gericht rechtlich korrekt alle Faktoren berücksichtigt hat, die für die Beurteilung der Schwere eines untersuchten Verhaltens anhand von Art. 101 AEUV und Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 von Bedeutung sind, und zum anderen darauf, ob das Gericht auf alle zur Stützung des Antrags auf Herabsetzung der Geldbuße vorgebrachten Argumente rechtlich hinreichend eingegangen ist. Die Schwere der Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union ist anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln, zu denen u. a. die Abschreckungswirkung der Geldbußen, die besonderen Umstände der Rechtssache und ihr Kontext gehören, einschließlich des Verhaltens jedes einzelnen Unternehmens, der Rolle, die jedes Unternehmen bei der Errichtung des Kartells gespielt hat, des Gewinns, den die Unternehmen aus dem Kartell ziehen konnten, ihrer Größe und des Wertes der betroffenen Waren sowie der Gefahr, die derartige Zuwiderhandlungen für die Ziele der Union bedeuten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juli 2013, Team Relocations u. a./Kommission, C‑444/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:464, Rn. 95, 99 und 100).

86

Zudem ist es nicht Sache des Gerichtshofs, bei der Entscheidung über Rechtsfragen im Rahmen eines Rechtsmittels die Beurteilung des Gerichts, das in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung über die Höhe der gegen Unternehmen wegen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht festgesetzten Geldbußen entscheidet, aus Gründen der Billigkeit durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen. Nur wenn der Gerichtshof der Ansicht wäre, dass die Höhe der Sanktion nicht nur unangemessen, sondern auch dermaßen überhöht ist, dass sie unverhältnismäßig wird, wäre somit ein Rechtsfehler des Gerichts wegen der unangemessenen Höhe einer Geldbuße festzustellen (vgl. u. a. Urteil vom 30. Mai 2013, Quinn Barlo u. a./Kommission, C‑70/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:351, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

87

Der dritte und der vierte Rechtsmittelgrund sind nach Maßgabe dieser Rechtsprechung zu prüfen.

88

Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich jedoch eindeutig, dass erstens die unbeschränkte Nachprüfung nur die verhängte Sanktion und nicht die angefochtene Entscheidung insgesamt betrifft und zweitens weder die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung noch die Rechtmäßigkeitskontrolle einer Prüfung von Amts wegen entsprechen und daher nicht verlangten, dass das Gericht den gesamten Vorgang von Amts wegen erneut prüft, unabhängig von den Rügen, die die Klägerin formuliert hat.

89

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass das Gericht ab Rn. 335 des angefochtenen Urteils eine wirksame Kontrolle der Höhe der Geldbuße vorgenommen hat, dass es auf die verschiedenen Argumente der Rechtsmittelführerin eingegangen ist und dass es in den Rn. 397 bis 402 des angefochtenen Urteils über die Anträge auf Herabsetzung der Geldbuße entschieden hat. Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin hat es sich also nicht auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Höhe der Geldbuße beschränkt. Insoweit hat das Gericht insbesondere in Rn. 384 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass der für die Schwere der Zuwiderhandlung und den Zusatzbetrag angesetzte Umsatzanteil von 15 % in Anbetracht der besonderen Schwere der Zuwiderhandlung dem Mindestmaß entspreche. Sodann hat es in den Rn. 397 bis 401 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass keiner der von den Klägerinnen geltend gemachten Umstände eine Herabsetzung der Geldbuße rechtfertige.

90

Speziell zur Prüfung der Schwere der Zuwiderhandlung ist festzustellen, dass das Gericht in Rn. 381 des angefochtenen Urteils u. a. Ziff. 23 der Leitlinien von 2006 angeführt hat. Sie lautet: „Horizontale, üblicherweise geheime Vereinbarungen zur Festsetzung von Preisen, Aufteilung der Märkte oder Einschränkung der Erzeugung gehören ihrer Art nach zu den schwerwiegendsten Verstößen und müssen unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten streng geahndet werden. Für solche Zuwiderhandlungen ist daher grundsätzlich ein Betrag am oberen Ende [der] Bandbreite anzusetzen.“ In Rn. 383 des angefochtenen Urteils hat das Gericht die von der Kommission in Rn. 1211 des streitigen Beschlusses gegebene Begründung wiedergegeben, wonach horizontale Preisabsprachen ihrer Art nach eine der schädlichsten Wettbewerbsbeschränkungen darstellten und es sich bei der Zuwiderhandlung um eine einheitliche, komplexe und fortgesetzte Zuwiderhandlung handele, die sich auf sechs Mitgliedstaaten und drei Produktuntergruppen erstreckt habe. Schließlich hat das Gericht in Rn. 384 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die besondere Schwere der Zuwiderhandlung den Ansatz eines Umsatzanteils von 15 % rechtfertige, und in Rn. 385 des angefochtenen Urteils, dass die Rechtsmittelführerin zur „zentralen Gruppe von Unternehmen“ gehört habe, die die festgestellte Zuwiderhandlung umgesetzt hätten.

91

Das Gericht hat bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung also alle maßgeblichen Kriterien berücksichtigt, wobei die horizontale Abstimmung der Preise und die Beteiligung der Rechtsmittelführerin an ihr im Übrigen erwiesen sind, und ist auf das entsprechende Vorbringen der Rechtsmittelführerin eingegangen. Es hat also keinen Rechtsfehler begangen und ist seiner Verpflichtung zu einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle des streitigen Beschlusses nachgekommen.

92

Was die Beurteilung der überlangen Dauer des Verwaltungsverfahrens angeht, ist darauf hinzuweisen, dass die Verletzung des Grundsatzes der Einhaltung einer angemessenen Frist durch die Kommission zwar die Nichtigerklärung einer am Ende eines auf die Art. 101 und 102 AEUV gestützten Verwaltungsverfahrens ergangenen Entscheidung der Kommission rechtfertigen kann, da sie auch eine Verletzung der Verteidigungsrechte des betroffenen Unternehmens mit sich bringt, doch kann ein solcher Verstoß gegen den Grundsatz der Einhaltung einer angemessenen Frist – sein Vorliegen unterstellt – nicht zu einer Herabsetzung der verhängten Geldbuße führen (vgl. u. a. Urteile vom 9. Juni 2016, CEPSA/Kommission, C‑608/13 P, EU:C:2016:414, Rn. 61, und vom 9. Juni 2016, PROAS/Kommission, C‑616/13 P, EU:C:2016:415, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung). Wie sich oben aus Rn. 75 ergibt, will die Rechtsmittelführerin mit ihrem Vorbringen zur unrichtigen Beurteilung der überlangen Dauer des Verwaltungsverfahrens durch das Gericht hier aber eindeutig lediglich eine Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße erreichen.

93

Folglich kann dahinstehen, ob dieses Vorbringen begründet ist. Es ist als ins Leere gehend zurückzuweisen.

94

Was schließlich die Verhältnismäßigkeit der Höhe der gegen die Rechtsmittelführerin verhängten Geldbuße als solche angeht, hat sie nicht dargetan, dass die verhängte Sanktion unangemessen oder überhöht wäre. Insoweit ist das Vorbringen, eine Geldbuße in Höhe von 6,08 Mio. Euro stehe außer Verhältnis zu dem vom Kartell betroffenen Umsatz von 3,88 Mio. Euro, zurückzuweisen. Im vorliegenden Fall ist nämlich unstreitig, dass die gegen Villeroy & Boch und deren Tochtergesellschaften verhängte Geldbuße herabgesetzt wurde, so dass sie, im Einklang mit Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003, 10 % des von diesen Gesellschaften im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigt. Durch diese Begrenzung wird aber bereits gewährleistet, dass die Geldbuße nicht außer Verhältnis zu der anhand des Gesamtumsatzes ermittelten Größe des Unternehmens steht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, EU:C:2005:408, Rn. 280 bis 282).

95

Folglich sind der dritte und der vierte Rechtsmittelgrund als teils ins Leere gehend, teils unbegründet zurückzuweisen.

96

Da keiner der Rechtsmittelgründe der Rechtsmittelführerin durchgreift, ist das Rechtsmittel vollständig zurückzuweisen.

Kosten

97

Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist, über die Kosten. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Rechtsmittelführerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

 

2.

Die Villeroy & Boch Austria GmbH trägt die Kosten.

 

Tizzano

Berger

Levits

Rodin

Biltgen

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 26. Januar 2017.

Der Kanzler

A. Calot Escobar

Der Präsident

K. Lenaerts


( *1 ) * Verfahrenssprache: Deutsch.

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