Urteil vom Europäischer Gerichtshof - T-474/15

URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)

26. Januar 2017 ( *1 )

„Schutz der Gesundheit und der Sicherheit von Verbrauchern und Arbeitnehmern — Richtlinie 2006/42/EG — Schutzklausel — Nationale Maßnahme, mit der ein Rasenmähertyp aus dem Verkehr gezogen und sein erneutes Inverkehrbringen verboten wird — Anforderungen an die Schutzeinrichtungen — Aufeinanderfolgende Fassungen einer harmonisierten Norm — Rechtssicherheit — Beschluss der Kommission, mit dem die Maßnahme für rechtmäßig erklärt wird — Rechtsfehler“

In der Rechtssache T‑474/15

Global Garden Products Italy SpA (GGP Italy) mit Sitz in Castelfranco Veneto (Italien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. Villani, L. D’Amario und M. Caccialanza,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, zunächst vertreten durch G. Braga da Cruz und L. Cappelletti, dann durch G. Braga da Cruz und C. Zadra als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Republik Lettland, vertreten durch I. Kalniņš und D. Pelše als Bevollmächtigte,

Streithelferin,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Durchführungsbeschlusses (EU) 2015/902 der Kommission vom 10. Juni 2015 über eine von Lettland gemäß der Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates verhängte Maßnahme zum Verbot des Inverkehrbringens eines Rasenmähers, hergestellt von GGP Italy SpA (ABl. 2015, L 147, S. 22),

erlässt

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Richters S. Gervasoni in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten und der Richter L. Madise (Berichterstatter) und Z. Csehi,

Kanzler: J. Palacio González, Hauptverwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. September 2016

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1

Art. 11 der Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG (Neufassung) (ABl. 2006, L 157, S. 24) sieht eine Schutzklausel vor, wonach insbesondere ein Mitgliedstaat, der feststellt, dass eine Maschine im Sinne dieser Richtlinie eine Gefahr für die Gesundheit und Sicherheit von Personen darstellt, alle erforderlichen Maßnahmen trifft, um diese Gefahr abzuwenden, und darüber die Europäische Kommission unterrichtet, damit diese prüft, ob diese Maßnahmen gerechtfertigt sind, und ihre diesbezügliche Entscheidung allen Mitgliedstaaten mitteilt.

2

Die Klägerin, die Global Garden Products Italy SpA (GGP Italy), stellt Geräte für den Gartenbau her. Sie stellte u. a. den elektrischen Rasenmäher „Stiga Collector 35 EL (C 350, 297352654/S13)“ (im Folgenden: fraglicher Rasenmäher) her, der ihren Angaben zufolge in mehrere Mitgliedstaaten, darunter auch nach Lettland, exportiert wurde.

3

Nach der von der Klägerin ausgestellten EG-Konformitätserklärung vom 3. September 2012 über die Übereinstimmung des fraglichen Rasenmähers mit der Richtlinie war das Gerät Gegenstand einer positiven Konformitätsprüfung durch eine benannte Stelle im Sinne von Art. 14 dieser Richtlinie, der TÜV Rheinland LGA Products GmbH. Letztere verwies insbesondere auf die harmonisierte Norm des Europäischen Komitees für Elektrotechnische Normung (Cenelec) EN 60335-2-77:2006 mit dem Titel „Sicherheit elektrischer Geräte für den Hausgebrauch und ähnliche Zwecke – Teil 2-77: Besondere Anforderungen für handgeführte elektrisch betriebene Rasenmäher (IEC 60335-2-77:1996, [modifiziert])“.

4

Die harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2006 hatte zum Ziel, für die von ihr erfassten Geräte, die ihr entsprachen, eine Bescheinigung der Vermutung der Konformität mit den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen gemäß Anhang I der Richtlinie 98/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Maschinen (ABl. 1998, L 207, S. 1), die durch die Richtlinie 2006/42 ersetzt wurde, zu ermöglichen. Im Hinblick auf den Sachverhalt des Rechtsstreits ist darauf hinzuweisen, dass Nr. 1.3.8 dieses Anhangs die „Auswahl der Schutzeinrichtungen gegen Gefahren durch bewegliche Teile“ behandelt und die Anforderungen an die verschiedenen Schutzeinrichtungen beschreibt, je nachdem, ob die beweglichen Teile der Kraftübertragung dienen oder am Arbeitsprozess teilnehmen. Nr. 1.4.1 dieses Anhangs enthält allgemeine Anforderungen an Schutzeinrichtungen, die insbesondere „ausreichend Abstand zum Gefahrenbereich haben [müssen]“. Jedoch sieht die harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2006 in diesem Zusammenhang keinen genauen Mindestabstand zwischen der Kante der beweglichen Schneidmesser und der hinteren Messerabdeckung vor (Nr. 20.103.1.1).

5

Im April 2013 entnahm das Patērētāju tiesību aizsardzības centrs (Zentrum zum Schutz der Verbraucherrechte, Lettland), das von der Republik Lettland als für die Marktaufsicht zuständige Behörde im Sinne von Art. 4 der Richtlinie 2006/42 benannt worden war, Exemplare des fraglichen Rasenmähers bei einem in Lettland niedergelassenen Händler. Dieser Schritt erfolgte im Rahmen einer gemeinsamen Maßnahme zur Überwachung von in Verkehr gebrachten Rasenmähern, die im Jahr 2011 von Prosafe (Product Safety Forum of Europe, Europäisches Forum für Produktsicherheit), einer Vereinigung, der insbesondere nationale Behörden, wie das Zentrum zum Schutz der Verbraucherrechte, angehören, durchgeführt wurde.

6

Ein im Jahr 2013 hergestelltes Exemplar des fraglichen Rasenmähers wurde vom Slovenski institut za kakovost in meroslovje (Slowenisches Institut für Qualitätssicherung und Messwesen) in Ljubljana, einer benannten Stelle im Sinne von Art. 14 der Richtlinie 2006/42, geprüft. Aus dem Prüfbericht geht hervor, dass die Prüfung insbesondere in Bezug auf die Anforderungen dieser Richtlinie und der Vorschriften der harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2010 des Cenelec erfolgte, die den gleichen Gegenstand hat wie die oben in den Rn. 3 und 4 angeführte frühere harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2006.

7

Das Slowenische Institut für Qualitätssicherung und Messwesen stellte die Nichtübereinstimmung der betreffenden Maschine mit der harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2010 fest, was den Abstand zwischen der Kante der beweglichen Schneidmesser und der hinteren Messerabdeckung betrifft. Dieser Abstand wurde mit 87 mm gemessen, während laut Nr. 20.107.1.1 dieser Norm u. a. ein Mindestabstand von 120 mm vorgeschrieben ist. Diese Stelle schloss daraus, dass die Vorschriften der Nrn. 1.3.8 und 1.4.1 des Anhangs der Richtlinie 2006/42 nicht eingehalten worden seien. Diese Vorschriften entsprechen jenen mit der gleichen Nummerierung im oben in Rn. 4 angeführten Anhang I der Richtlinie 98/37 und sind hinsichtlich der Anforderungen an Schutzeinrichtungen, die „ausreichend Abstand zum Gefahrenbereich haben“ müssen, gleich formuliert. Der Bericht dieser Stelle ging beim Zentrum zum Schutz der Verbraucherrechte (im Folgenden: lettische Behörden) am 9. Oktober 2013 ein.

8

Mit Schreiben vom 3. Dezember 2013 forderten diese Behörden den betreffenden Händler des Rasenmähers in Lettland auf, freiwillig tätig zu werden, um „den Vertrieb eines nicht sicheren Rasenmähers in dem Land zu verhindern“.

9

Mit Schreiben vom 12. Dezember 2013 informierten die lettischen Behörden auch die Klägerin über das Ergebnis der Prüfung des fraglichen Rasenmähers und über die festgestellte Nichtübereinstimmung hinsichtlich des Abstands zwischen der Kante der beweglichen Schneidmesser und der hinteren Wand der Schutzeinrichtung. Sie ersuchten diese, diese Nichtübereinstimmung zu erklären, anzugeben, welche Maßnahmen er zu treffen gedenke, und darzulegen, warum sich die EG-Konformitätserklärung auf die harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2006 beziehe, die ihrer Ansicht nach bis 2011 anwendbar gewesen sei, während die Maschine im Jahr 2013 hergestellt worden sei. Der Bericht des Slowenischen Instituts für Qualitätssicherung und Messwesen wurde diesem Schreiben beigelegt.

10

Im Laufe der verschiedenen darauffolgenden Diskussionen mit den lettischen Behörden machte die Klägerin geltend, die harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2010 habe die harmonisierte Norm EN 60335‑2‑77:2006 erst am 1. September 2013 endgültig ersetzt, seit diesem Zeitpunkt sei der fragliche Rasenmäher nicht mehr hergestellt worden, und dieser entspreche der harmonisierten Norm EN 60335‑2-77:2006. Die Klägerin räumte ein, dass im Amtsblatt der Europäischen Union vom 8. April 2011, in dem die harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2010 erstmals veröffentlicht worden war (ABl. 2011, C 110, S. 52), in der Tabelle der Titel und Bezugsdaten der harmonisierten Normen die Referenz der ersetzen Norm und das Datum der Beendigung der Annahme der durch die ersetzte Norm begründeten Konformitätsvermutung fehlten. Sie wies jedoch darauf hin, dass in der dieses Datum betreffenden Spalte eine Anmerkung 1 enthalten sei, die besage: „Allgemein wird das Datum der Beendigung der Annahme der Konformitätsvermutung das Datum der Zurücknahme sein (‚Dow‘), das von der europäischen Normungsorganisation bestimmt wird, aber die Benutzer dieser Normen werden darauf aufmerksam gemacht, dass dies in bestimmten Ausnahmefällen anders sein kann.“ In diesem Zusammenhang verwies die Klägerin auf Angaben in der harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2010 selbst und auf Angaben auf der Internetseite des Europäischen Komitees für Normung (CEN), wonach im vorliegenden Fall das Datum der Zurücknahme (Dow) (im Folgenden: Datum der Zurücknahme) der 1. September 2013 sei.

11

Die lettischen Behörden verwiesen ihrerseits auf die Richtlinie 2006/42 und betonten, Art. 5 sehe vor, dass der Hersteller einer Maschine oder sein Bevollmächtigter vor dem Inverkehrbringen der Maschine sicherstellen müsse, dass die Maschine die einschlägigen in der Richtlinie aufgeführten grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen erfülle. Sie wiesen darauf hin, dass dies nach Art. 7 dieser Richtlinie durch eine Erklärung erfolgen könne, der zufolge diese Maschine einer im Amtsblatt veröffentlichten, für die betreffende Maschine relevanten, harmonisierten Norm entspreche, die eine Vermutung der Konformität mit den genannten Anforderungen nach sich ziehe. Andernfalls müsse der Betroffene mit anderen Mitteln nachweisen, dass die Anforderungen in einem zumindest gleichwertigen Ausmaß erfüllt würden wie durch die Erfüllung der harmonisierten Norm. Die lettischen Behörden fügten hinzu, die harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2006 sei in den Jahren 2012 und 2013, als die EG-Konformitätserklärung für den fraglichen Rasenmäher abgegeben und das geprüfte Exemplar hergestellt worden sei, nicht mehr anwendbar gewesen, und eine Konformität mit dieser habe nicht mehr zu einer Vermutung der Konformität mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen geführt, da die harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2010 am 8. April 2011 im Amtsblatt veröffentlicht worden sei. Die harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2010 sei sicher anspruchsvoller als ihre Vorgängerin, stelle jedoch den „Stand der Technik“ auf diesem Gebiet dar. Aus dem Prüfbericht des Slowenischen Instituts für Qualitätssicherung und Messwesen gehe auch hervor, dass der fragliche Rasenmäher die Anforderungen an die Sicherheit nicht in einem zumindest gleichwertigen Ausmaß erfülle wie durch die Erfüllung der geltenden harmonisierten Norm. Die lettischen Behörden gaben am 19. März 2014 bekannt, dass sie den Verkauf verbieten würden.

12

Im Mai 2014 wurde im RAPEX (gemeinschaftliches System zum raschen Informationsaustausch über gefährliche Non-Food-Produkte) eine Bekanntmachung über den fraglichen Rasenmäher veröffentlicht. An diesem von der Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Dezember 2001 über die allgemeine Produktsicherheit (ABl. 2002, L 11, S. 4) vorgesehenen System nehmen die Kommission und die Verbraucherschutzbehörden der Mitgliedstaaten sowie anderer Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum teil. Es ermöglicht der Kommission, nach der Meldung der nationalen Behörden jede Woche eine Liste mit Produkten zu erstellen und zu veröffentlichen, von denen eine ernste Gefahr für die Gesundheit und die Sicherheit von Verbrauchern ausgeht.

13

Die Bekanntmachung im RAPEX betreffend den fraglichen Rasenmäher weist jedoch auf eine „sonstige Gefahrenstufe“ und nicht auf eine „ernste Gefahr“ hin, wie dies bei den anderen in der wöchentlichen Liste enthaltenen Produkten der Fall ist. Die festgestellte Gefahr besteht darin, dass „[d]ie Klingen … nicht hinreichend geschützt [sind]“, dass „folglich … eine Person während der Verwendung oder Wartung an den Füßen oder Händen geschnitten werden [kann]“ und dass „das Produkt … die Mindestanforderungen der Maschinenrichtlinie und der harmonisierten Norm EN 60335-2-77 nicht [erfüllt]“. Es wird hinzugefügt, dass freiwillig Schritte unternommen worden seien, um das Produkt aus dem Verkehr zu ziehen.

14

Es ist zu präzisieren, dass nach Art. 2 der Richtlinie 2001/95 die Rücknahme als jede Maßnahme definiert ist, mit der verhindert werden soll, dass ein gefährliches Produkt vertrieben, ausgestellt oder dem Verbraucher angeboten wird, und dass sich diese vom Rückruf unterscheidet, der als jede Maßnahme definiert ist, die auf Erwirkung der Rückgabe eines dem Verbraucher vom Hersteller oder Händler bereits gelieferten oder zur Verfügung gestellten gefährlichen Produkts abzielt.

15

Mit Schreiben vom 11. Juni 2014 gab der Händler des fraglichen Rasenmähers in Lettland den lettischen Behörden bekannt, dass er die Maschine aus dem Verkehr gezogen habe. Zudem bestätigte die Klägerin in einem Schreiben vom 28. August 2014, dass sie den fraglichen Rasenmäher vom lettischen Markt genommen habe, um die ihr Produkt betreffende Bekanntmachung, die ihren Ruf schädigen könne, aus dem RAPEX entfernen zu lassen, und teilte mit, dass dieser seit dem 1. September 2013 weder hergestellt noch irgendwo auf dem Gebiet der Europäischen Union in Verkehr gebracht werde.

16

Am 1. Juli 2014 unterrichteten die lettischen Behörden die Kommission nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/42 über eine freiwillige Maßnahme, mit der der fragliche Rasenmäher aus dem Verkehr gezogen und dem Markt nicht mehr zur Verfügung gestellt wurde. Die Vorschriften dieses Artikels über die Schutzklausel bestimmen:

„(1)   Stellt ein Mitgliedstaat fest, dass eine von dieser Richtlinie erfasste und mit der CE-Kennzeichnung versehene Maschine, der die EG-Konformitätserklärung beigefügt ist, bei bestimmungsgemäßer oder vernünftigerweise vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit und Gesundheit von Personen … zu gefährden droht, so trifft er alle erforderlichen Maßnahmen, um diese Maschine aus dem Verkehr zu ziehen, ihr Inverkehrbringen und/oder die Inbetriebnahme dieser Maschine zu untersagen oder den freien Verkehr hierfür einzuschränken.

(2)   Der Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten unverzüglich über eine solche Maßnahme, begründet seine Entscheidung und gibt insbesondere an, ob die Nichtübereinstimmung zurückzuführen ist auf

a)

Nichterfüllung der in [Anhang I] genannten grundlegenden [Gesundheits- und Sicherheits-]Anforderungen;

(3)   Die Kommission konsultiert unverzüglich die Betroffenen.

Die Kommission prüft im Anschluss an diese Konsultation, ob die von dem Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen gerechtfertigt sind oder nicht, und teilt ihre Entscheidung dem Mitgliedstaat, der die Initiative ergriffen hat, den übrigen Mitgliedstaaten und dem Hersteller oder seinem Bevollmächtigten mit.

(5)   Ist eine Maschine, die den Anforderungen nicht entspricht, mit der CE-Kennzeichnung versehen, so ergreift der zuständige Mitgliedstaat gegenüber demjenigen, der die Kennzeichnung angebracht hat, die geeigneten Maßnahmen und unterrichtet hiervon die Kommission. Die Kommission unterrichtet die anderen Mitgliedstaaten.

(6)   Die Kommission stellt sicher, dass die Mitgliedstaaten über den Verlauf und die Ergebnisse des Verfahrens laufend unterrichtet werden.“

17

Das Meldeformular der lettischen Behörden erwähnt eine Nichterfüllung der in den Nrn. 1.3.8 und 1.4.1 des Anhangs I der Richtlinie 2006/42 aufgeführten grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen für die Schutzeinrichtungen für bewegliche Teile, deren Inhalt oben in den Rn. 4 und 7 angeführt ist. Es habe ein Test in Bezug auf die Vorschriften der harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2010 stattgefunden, und in diesem Zusammenhang sei ein unzureichender Abstand zwischen der Kante der beweglichen Schneidemesser und der hinteren Messerabdeckung festgestellt worden, der sich auf das normale Funktionieren des fraglichen Rasenmähers ausgewirkt habe. Ferner wird mitgeteilt, der Händler habe freiwillige Maßnahmen ergriffen, um den fraglichen Rasenmäher aus dem Verkehr zu ziehen und dem Markt nicht mehr zur Verfügung zu stellen, und der Hersteller sei mit Schreiben vom 12. Dezember 2013 informiert worden. Der oben in Rn. 7 angeführte Prüfbericht des Slowenischen Instituts für Qualitätssicherung und Messwesen war dem Formular beigelegt.

18

Mit Schreiben vom 24. September 2014 forderte die Kommission die Klägerin gemäß Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 2006/42 unter Bezugnahme auf ein Verbot des Inverkehrbringens auf, sich zur Meldung der lettischen Behörden zu äußern, und wies auf die aus dem Prüfbericht des Slowenischen Instituts für Qualitätssicherung und Messwesen hervorgehende Nichtübereinstimmung mit der Norm EN 60335-2-77:2010 hin. In diesem Schreiben schlug die Kommission der Klägerin ein Treffen mit ihren Dienststellen vor.

19

Mit Schreiben vom 4. Oktober 2014 antwortete die Klägerin der Kommission, dass der betreffende Rasenmäher seit 1. September 2013 nicht mehr hergestellt werde und dass er nicht mehr vermarktet werde, wobei das Produkt vor allem von den Händlern und Wiederverkäufern in Lettland aus dem Verkehr gezogen worden sei. Die Klägerin fügte hinzu, ihrer Ansicht nach erfülle der fragliche Rasenmäher die Anforderungen der „Maschinenrichtlinie“, die zum Zeitpunkt seiner Herstellung und des Inverkehrbringens anwendbar gewesen sei.

20

In Anbetracht dieser Gegebenheiten erließ die Kommission am 10. Juni 2015 den Durchführungsbeschluss (EU) 2015/902 über eine von Lettland gemäß der Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates verhängte Maßnahme zum Verbot des Inverkehrbringens eines Rasenmähers, hergestellt von GGP Italy SpA (ABl. 2015, L 147, S. 22, im Folgenden: angefochtener Beschluss).

21

Die Kommission nahm im angefochtenen Beschluss insbesondere auf die Meldung der lettischen Behörden Bezug und führte aus, diese hätten eine Maßnahme erlassen, um das Inverkehrbringen des fraglichen Rasenmähers zu verbieten. Letzterer trage die CE-Kennzeichnung nach der Richtlinie 2006/42, erfülle jedoch laut den Akten nicht die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen der Nrn. 1.3.8 und 1.4.1 des Anhangs I der Richtlinie 2006/42, „[da] der Abstand zwischen der hinteren Gerätewand und der Messerkante … zu kurz [sei], was eine Beeinträchtigung der sicheren Handhabung des Gerätes zur Folge ha[be]“. Der Hersteller habe das Produkt freiwillig vom lettischen Markt genommen, und die nationale Maßnahme sei als gerechtfertigt anzusehen. Die Mitgliedstaaten wurden als Adressaten des angefochtenen Beschlusses benannt.

22

Im Juli 2015 erschien eine Veröffentlichung der schwedischen Behörden, worin auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen und festgehalten wurde, dass der fragliche Rasenmäher weder verkauft noch verwendet werden könne.

Verfahren und Anträge der Verfahrensbeteiligten

23

Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 17. August 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

24

Mit besonderem Schriftsatz, der am 16. Oktober 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin ferner beantragt, im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes den Vollzug des angefochtenen Beschlusses auszusetzen und jegliche andere als nützlich erachtete Maßnahmen zu erlassen. Mit Beschluss vom 10. Dezember 2015, GGP Italy/Kommission (T‑474/15, EU:T:2015:958), hat der Präsident des Gerichts diesen Antrag zurückgewiesen und die Kostenentscheidung vorbehalten.

25

Mit Schriftsatz, der am 16. November 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Republik Lettland beantragt, als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden. Mit Beschluss vom 16. Dezember 2015 hat der Präsident der Zweiten Kammer des Gerichts diesem Antrag stattgegeben.

26

Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

27

Die Verfahrensbeteiligten haben in der Sitzung vom 21. September 2016 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

28

Die Klägerin beantragt,

den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

jede weitere für erforderlich erachtete Maßnahme zu erlassen;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

29

Die Kommission beantragt,

die Klage abzuweisen;

der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

30

Die Republik Lettland beantragt, die Klage abzuweisen.

Rechtliche Würdigung

Zur Zulässigkeit des Antrags, das Gericht möge „jede weitere für erforderlich erachtete Maßnahme erlassen“

31

Aus Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, die nach Art. 53 dieser Satzung auf das Gericht Anwendung findet, sowie aus Art. 76 der Verfahrensordnung des Gerichts ergibt sich, dass die Klageschrift den Streitgegenstand, die Anträge und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muss und dass diese Angaben so klar und deutlich sein müssen, dass sie dem Beklagten die Vorbereitung seines Verteidigungsvorbringens und dem Gericht die Wahrnehmung seiner Kontrollaufgabe ermöglichen. Folglich müssen die Anträge der Klageschrift präzise und eindeutig formuliert sein, damit der Richter nicht ultra petita entscheidet oder eine Rüge übergeht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Dezember 1962, Meroni/Hohe Behörde, 46/59 und 47/59, EU:C:1962:44, S. 801, vom 10. Mai 2012, Kommission/Estland,C‑39/10, EU:C:2012:282, Rn. 24, sowie Beschluss vom 13. April 2011, Planet/Kommission,T‑320/09, EU:T:2011:172, Rn. 22).

32

Im vorliegenden Fall erfüllt der Antrag der Klägerin, wonach das Gericht „jede weitere für erforderlich erachtete Maßnahme erlassen“ möge, die oben genannten Anforderungen offensichtlich nicht. Er ist folglich unzulässig.

Zur Begründetheit

33

Die Klägerin stützt ihre Nichtigkeitsklage auf zwei Klagegründe. Zum einen rügt sie im Kern einen Verstoß gegen Art. 20 der Richtlinie 2006/42, da die Kommission den angefochtenen Beschluss nach einem Verfahren erlassen habe, das hinsichtlich der Vorschriften dieses Artikels, die darauf abzielten, die Verteidigungsrechte der Betroffenen zu gewährleisten, rechtsfehlerhaft sei. Zum anderen rügt sie auch einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 und Art. 11 dieser Richtlinie, die den Herstellern von Maschinen aufgrund eines Nachweises der Konformität ihrer Produkte mit den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen und den anderen Vorschriften dieser Richtlinie deren freie Vermarktung in der Union erlaubten, und die unter bestimmten Voraussetzungen den öffentlichen Behörden erlaubten, Schutzmaßnahmen zu erlassen.

Zum Klagegrund der Verletzung von Art. 20 der Richtlinie 2006/42

34

Art. 20 der Richtlinie 2006/42 sieht Folgendes vor:

„Jede aufgrund dieser Richtlinie getroffene Maßnahme, die das Inverkehrbringen und/oder die Inbetriebnahme einer von dieser Richtlinie erfassten Maschine einschränkt, ist ausführlich zu begründen. Sie wird dem Betroffenen unverzüglich mitgeteilt; gleichzeitig wird ihm mitgeteilt, welche Rechtsbehelfe ihm nach den jeweiligen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zur Verfügung stehen und welche Fristen hierfür gelten.“

35

In diesem Zusammenhang macht die Klägerin geltend, ihr sei die Entscheidung der lettischen Behörden, wonach der fragliche Rasenmäher aus dem Verkehr gezogen und sein Inverkehrbringen verboten worden sei, auf deren Grundlage die Kommission den angefochtenen Beschluss erlassen habe, nicht mitgeteilt worden. Aus dem Streithilfeschriftsatz der lettischen Regierung gehe im Übrigen hervor, dass vor der Befassung der Kommission keine verbindliche endgültige Entscheidung erlassen worden sei. Letztere habe daher eine inexistente Entscheidung bestätigt, und insofern sei auch der angefochtene Beschluss rechtswidrig. Folglich sei keine der Vorschriften von Art. 20 der Richtlinie 2006/42 eingehalten worden. Insbesondere seien die Rechtsbehelfe in Lettland weder mitgeteilt noch angesichts des Vorstehenden praktikabel gewesen. Wie aus der Klagebeantwortung hervorgehe, habe sich die Kommission einzig und allein auf der Grundlage des von den lettischen Behörden übermittelten Formulars mit einer rein formalen Kontrolle der angeblichen Unterrichtung des Händlers in Lettland und des Herstellers von den im Hinblick auf den fraglichen Rasenmäher getroffenen Maßnahmen begnügt. Die Angaben auf diesem Formular seien tatsächlich mehrdeutig, ja unrichtig bzw. stünden im Widerspruch zu den Erklärungen der lettischen Regierung in ihrem Streithilfeschriftsatz, insbesondere was die in Bezug auf den Händler getroffene Maßnahme und ihre Mitteilung an den Hersteller betreffe, und entsprächen darüber hinaus, was deren Natur betreffe, nicht den Feststellungen der Kommission im angefochtenen Beschluss. Letzterer enthalte nur ein Verbot des Inverkehrbringens und keine Aussage darüber, ob das Produkt aus dem Verkehr zu ziehen sei, was jedoch auf dem Formular erwähnt sei.

36

Nach Ansicht der Kommission bezieht sich dieser Klagegrund nicht auf den angefochtenen Beschluss, sondern auf die von den lettischen Behörden erlassene Maßnahme. Sie hält ihn für unzulässig. Hilfsweise trägt die Kommission vor, sie habe im Rahmen der Anwendung von Art. 11 der Richtlinie 2006/42 betreffend den auf Initiative eines Mitgliedstaats ausgelösten Schutzmechanismus nicht in jeder Hinsicht die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen nationaler Behörden zu kontrollieren, was Sache der nationalen Gerichte sei, sondern sie habe zu prüfen, ob diese Maßnahmen sachlich gerechtfertigt seien. Die Kommission verweist in diesem Zusammenhang auf das Urteil vom 15. Juli 2015, CSF/Kommission (T‑337/13, EU:T:2015:502, Rn. 100). Sie fügt hinzu, die Klägerin habe keine verfahrensrechtlichen Probleme mit den nationalen Behörden erwähnt, als sie sie um eine Stellungnahme gebeten habe. Der Grund, weshalb im angefochtenen Beschluss nur von einem Verbot des Inverkehrbringens und nicht davon die Rede sei, es aus dem Verkehr zu ziehen, liege darin, dass die Klägerin selbst Maßnahmen getroffen habe, um es aus dem Verkehr zu ziehen, von denen die lettischen Behörden bereits am 28. August 2014 in Kenntnis gesetzt worden seien, und dass es bei dem Beschluss darum gegangen sei, ein mögliches neuerliches Inverkehrbringen der betreffenden Maschine in irgendeinem Mitgliedstaat der Union zu untersagen.

37

Die lettische Regierung trägt ihrerseits vor, die lettischen Behörden hätten das nationale Verfahren eingehalten und mit ihrem oben in Rn. 11 angeführten Schreiben vom 19. März 2014 ihre Position begründet und eine restriktive Maßnahme angekündigt. Sie hätten jedoch keine endgültige, auf innerstaatlicher Ebene anfechtbare Maßnahme getroffen, um auf die Bestätigung oder Ablehnung ihrer Position durch die Kommission im Rahmen der Anwendung von Art. 11 der Richtlinie 2006/42 zu warten.

38

Zunächst ist davon auszugehen, dass sich der vorliegende Klagegrund entgegen dem Vorbringen der Kommission gegen den angefochtenen Beschluss und nicht gegen die von den lettischen Behörden getroffene Maßnahme richtet, auch wenn er auf der Kritik des Verhaltens Letzterer beruht. Er stellt sich sehr wohl als Rechtsbehelf gegen den angefochtenen Beschluss dar und besteht darin, der Kommission vorzuwerfen, gegen Art. 20 der Richtlinie 2006/42 verstoßen zu haben, als sie eine nationale Maßnahme für gerechtfertigt erklärt habe, die ihrerseits unter Verstoß gegen diese Vorschrift erlassen worden sei. Daher kann der vorliegende Klagegrund nicht als unzulässig und auch nicht als von vornherein ins Leere gehend erachtet werden, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat.

39

In der Sache ist darauf hinzuweisen, dass bereits in dem von der Kommission angeführten Urteil vom 15. Juli 2015, CSF/Kommission (T‑337/13, EU:T:2015:502, Rn. 100) festgestellt worden ist, dass es nicht Aufgabe der Kommission ist, im Rahmen des Erlasses eines Beschlusses wie des angefochtenen, der auf der Grundlage von Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 2006/42 beruht, in jeder Hinsicht die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen nationaler Behörden zu kontrollieren, die zur Auslösung der in diesem Artikel vorgesehenen Schutzklausel führen. In diesem Zusammenhang erwähnt Art. 20 dieser Richtlinie, dessen Verletzung von der Klägerin geltend gemacht wird, ausdrücklich die „Rechtsbehelfe[, die dem Betroffenen] nach den jeweiligen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zur Verfügung stehen“, was zum einen bedeutet, dass auf die nationalen Maßnahmen abgezielt wird, die auf der Grundlage der Richtlinie getroffen werden, und zum anderen, dass deren Kontrolle den nationalen Gerichten obliegt. Aus diesem Artikel ergeben sich somit keine Verpflichtungen für die Kommission.

40

Im Rahmen der Umsetzung von Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 2006/42 besteht die Rolle der Kommission in erster Linie darin, zu prüfen, ob die erforderlichen Maßnahmen, die ihr von einem Mitgliedstaat gemeldet werden, in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht gerechtfertigt sind, um zu verhindern, dass eine Maschine, wie es in Abs. 1 dieses Artikels heißt, die Sicherheit oder Gesundheit von Personen oder gegebenenfalls von Haustieren oder Sachen oder der Umwelt zu gefährden droht (Urteil vom 15. Juli 2015, CSF/Kommission, T‑337/13, EU:T:2015:502, Rn. 101) Auf ein von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgebrachtes Argument ist zu erwidern, dass die Würdigung, die in dem oben genannten Urteil im Zusammenhang mit der behaupteten Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die nationalen Behörden erfolgte, auch im vorliegenden Fall relevant ist, in dem die Verletzung einer Vorschrift einer Richtlinie durch die nationalen Behörden geltend gemacht wird. In beiden Rechtssachen geht es um mögliche Verstöße nationaler Behörden gegen Grundsätze oder Vorschriften des Unionsrechts, deren Einhaltung von den nationalen Gerichten zu überprüfen ist.

41

Das Vorbringen der Klägerin, wonach die Kommission gegen Art. 20 der Richtlinie 2006/42 verstoßen habe, als sie eine nationale Maßnahme für gerechtfertigt erklärt habe, die ihrerseits unter Verstoß gegen diese Vorschrift erlassen worden sei, kann somit keinen Erfolg haben.

42

Im Übrigen ist zu dem Vorbringen der Klägerin, das sich auf von der lettischen Regierung im Laufe des Verfahrens vorgelegte Beweise bezog und wonach die Kommission auch nicht eine nicht zwingende, ja nicht existierende nationale Entscheidung bestätigen könne, ohne gegen Art. 20 der Richtlinie 2006/42 zu verstoßen, zu sagen, dass nichts dagegen spricht, dass die „erforderlichen Maßnahmen“, die ein Mitgliedstaat erlassen und der Kommission nach der Schutzklausel gemäß Art. 11 dieser Richtlinie mitteilen muss, in Form von nicht einseitigen Maßnahmen oder von nicht unmittelbar zwingenden Maßnahmen ergehen. Wenn im Übrigen solche Maßnahmen nicht in den Anwendungsbereich dieser Schutzklausel fielen, könnte deren Tragweite beträchtlich eingeschränkt werden, da weder die Kommission noch jene Mitgliedstaaten, die bei einer Maschine keine Gefahr festgestellt haben, davon informiert würden, sofern der Hersteller dieser Maschine, sein Bevollmächtigter oder die Händler freiwillige Maßnahmen ergriffen hätten oder nicht zwingenden Maßnahmen nachgekommen wären. Daher stellt eine Mitteilung wie die hier erfolgte, der zufolge der Händler im Anschluss an eine Aktion der nationalen Behörden freiwillige Maßnahmen ergriffen hat, um das Produkt aus dem Verkehr zu ziehen und nicht mehr in Verkehr zu bringen, sehr wohl eine Mitteilung über eine erforderliche Maßnahme dar, die zu einem Beschluss der Kommission nach Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 2006/42 führen kann.

43

Nach alledem ist der Klagegrund eines Verstoßes der Kommission gegen Art. 20 der Richtlinie 2006/42 als unbegründet zurückzuweisen.

Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 und Art. 11 der Richtlinie 2006/42

44

Von den von der Klägerin geltend gemachten Vorschriften der Richtlinie 2006/42 sieht Art. 5 Abs. 1 vor, dass der Hersteller oder sein Bevollmächtigter vor dem Inverkehrbringen oder der Inbetriebnahme einer Maschine insbesondere sicherstellen muss, dass die Maschine die in Anhang I dieser Richtlinie aufgeführten, für sie geltenden grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen erfüllt. Weiter muss er die zutreffenden Konformitätsbewertungsverfahren durchführen, die EG-Konformitätserklärung ausstellen und die CE-Kennzeichnung auf der Maschine anbringen. Art. 6 Abs. 1 schreibt vor, dass die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen oder die Inbetriebnahme einer Maschine nicht untersagen, beschränken oder behindern dürfen, wenn diese den Bestimmungen der Richtlinie entspricht. Art. 7 sieht insbesondere vor, dass die Mitgliedstaaten eine Maschine, die mit der CE-Kennzeichnung versehen ist und der die EG-Konformitätserklärung beigefügt ist, als den Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechend betrachten. Wenn eine Maschine nach einer harmonisierten Norm hergestellt worden ist, deren Fundstellen von der Kommission im Amtsblatt veröffentlicht worden sind, wird nach dieser Vorschrift davon ausgegangen, dass sie den von dieser harmonisierten Norm erfassten grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen entspricht. Es sei darauf hingewiesen, dass die „harmonisierte Norm“ selbst in Art. 2 als „eine nicht verbindliche technische Spezifikation, die von einer europäischen Normenorganisation, nämlich dem Europäischen Komitee für Normung (CEN), dem Europäischen Komitee für Elektrotechnische Normung (Cenelec) oder dem Europäischen Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI), aufgrund eines Auftrags der Kommission nach den in der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft [(ABl. 1998, L 204, S. 37)] festgelegten Verfahren angenommen wurde“, definiert ist. Schließlich legt Art. 11 der Richtlinie, der teils oben in Rn. 16 wiedergegeben ist, die Bedingungen für die Anwendung der Schutzklausel fest.

45

Im Wesentlichen vertritt die Klägerin die Ansicht, die nach der Weigerung der lettischen Behörden erfolgte Weigerung der Kommission, zuzugestehen, dass für ein Inverkehrbringen oder eine Inbetriebnahme vor dem 1. September 2013 die Konformität des fraglichen Rasenmähers mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42 aufgrund seiner Konformität mit der harmonisierten Norm EN 60335‑2‑77:2006 vermutet werden könne, stelle einen Verstoß gegen die oben genannten Vorschriften dar.

46

Da für die Prüfung des vorliegenden Klagegrundes und des diesbezüglichen Vorbringens der Parteien wichtig ist, welche der verschiedenen einschlägigen Rechtstexte im Laufe der Zeit anwendbar waren, ist es zweckmäßig, die folgenden Daten in Erinnerung zu rufen:

ab 1993: Anwendung der ersten „Maschinenrichtlinie“ und ihrer Änderungen, die in konsolidierter Form zur Richtlinie 98/37 geführt haben;

9. Juni 2006: Veröffentlichung der Richtlinie 2006/42 im Amtsblatt;

6. November 2007: erste Veröffentlichung der harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2006 im Amtsblatt;

28. März 2009: letzte Veröffentlichung der harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2006 im Amtsblatt;

29. Dezember 2009: Aufhebung der Richtlinie 98/37 und Datum des Inkrafttretens der Umsetzungsmaßnahmen der Richtlinie 2006/42;

8. April 2011: erste Veröffentlichung der harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2010 im Amtsblatt;

3. September 2012: EG-Konformitätsnachweis für den fraglichen Rasenmäher in Bezug auf die harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2006;

1. September 2013: vom Cenelec festgelegtes Datum der Zurücknahme der harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2006.

47

In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission zunächst geltend gemacht, der Klagegrund der Klägerin gehe ins Leere. Der angefochtene Beschluss verbiete tatsächlich für die Zukunft jegliches erneute Inverkehrbringen des fraglichen Rasenmähers in der gesamten Union, und es stehe fest, dass die Maschine im Juni 2015, als der angefochtene Beschluss erlassen worden sei, den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42 nicht entsprochen habe, unabhängig von der Frage, ob sie bis 31. August 2013 aufgrund ihrer Konformität mit der harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2006 die Vermutung der Konformität mit ihren Anforderungen in Anspruch nehmen könne.

48

Die Klägerin wiederum trägt vor, die Fundstelle der Norm, die die harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2006 für „handgeführte elektrisch betriebene Rasenmäher“ ersetzt habe, nämlich der harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2010, sei am 8. April 2011 im Amtsblatt veröffentlicht worden, ohne dass die Kommission explizit in der entsprechenden Spalte der Tabelle der Titel und Bezugsdaten der von dieser Veröffentlichung betroffenen harmonisierten Normen das Datum der Beendigung der durch die ersetzte Norm begründeten Annahme der Konformitätsvermutung angeführt habe. Unter diesen Umständen sei auf die Anmerkung 1 dieser Spalte hinzuweisen, die besage: „Allgemein wird das Datum der Beendigung der Annahme der Konformitätsvermutung das Datum der Zurücknahme sein (‚Dow‘), das von der europäischen Normungsorganisation bestimmt wird, aber die Benutzer dieser Normen werden darauf aufmerksam gemacht, dass dies in bestimmten Ausnahmefällen anders sein kann.“ Das Datum der Zurücknahme der harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2006 sei der 1. September 2013, was aus mehreren Dokumenten der Normungsorganisation und der Norm EN 60335-2-77:2010 selbst hervorgehe.

49

Die Klägerin fügt hinzu, während des Zeitraums vom 8. April 2011 bis 31. August 2013 hätten beide Fassungen der harmonisierten Norm EN 60335-2-77, jene aus dem Jahr 2006 und jene aus dem Jahr 2010, eine Vermutung der Konformität der betreffenden Maschinen mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42 begründen können. Ein solcher Überschneidungszeitraum, der im Übrigen dem Zeitraum entspreche, während dessen die mit der neuen Fassung der harmonisierten Norm nicht kompatiblen nationalen Normen noch beibehalten werden könnten, sei unabdingbar, damit die Hersteller der Maschinen Zeit hätten, um ihre Produkte und erforderlichenfalls ihre Verfahren und Produktionswerkzeuge an die Vorschriften der neuen Fassung der harmonisierten Norm anzupassen, und Zeit hätten, um die den Vorschriften der ersetzten Norm entsprechenden Maschinen zu verkaufen. Es erscheine nicht plausibel, dass ab dem 8. April 2011, dem Datum der Veröffentlichung der harmonisierten Norm EN 60335‑2-77:2010, von einem Tag auf den anderen die unter Berücksichtigung der harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2006 konzipierten Maschinen nicht mehr hergestellt und vermarktet werden könnten und Maschinen hergestellt und vermarktet werden müssten, die einer einige Tage zuvor noch nicht offiziellen harmonisierten Norm entsprächen.

50

Die Klägerin gesteht zu, dass das Datum der Beendigung der nach der früheren Fassung der harmonisierten Norm begründeten Konformitätsvermutung von der Kommission aus außergewöhnlichen Gründen auf ein Datum vor oder nach dem Datum der Zurücknahme festgelegt werden könne, aber in diesem Fall müsse die Kommission dies in der entsprechenden Spalte der Veröffentlichung im Amtsblatt betreffend die neue Fassung der harmonisierten Norm genau angeben, was im vorliegenden Fall nicht geschehen sei.

51

Die Klägerin stützt ihr Vorbringen insbesondere auf zwei öffentliche Dokumente der Kommission, und zwar den „Leitfaden für die Anwendung der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG – 2. Auflage Juni 2010“ (§ 161, „Stand der Technik“) und den Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU 2014 („Blue Guide“) (Abschnitt 4.1.2.6, „Überarbeitung harmonisierter Normen“).

52

Insofern als das Verteidigungsvorbringen der Kommission davon ausgeht, dass es vom 29. Dezember 2009 bis 8. April 2011 keine harmonisierte Norm gab, die für „handgeführte elektrisch betriebene Rasenmäher“ eine Vermutung der Konformität mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42 begründete, betont die Klägerin, dass die Hersteller solcher Maschinen kaum eine Wahl gehabt hätten, als sich weiterhin auf die zuletzt veröffentlichte harmonisierte Norm zu beziehen, nämlich die Norm EN 60335-2-77:2006, um die Erfüllung dieser Anforderungen nachzuweisen, vor allem da diese Norm in die nationalen Rechtsordnungen umgesetzt worden sei, insbesondere in die italienische, der sie angehöre, und dass die nationalen Umsetzungsnormen bis zu dem Zeitpunkt der Rücknahme gültig bleiben könnten, der in der sie ersetzenden harmonisierten Norm angegeben sei. Für den Zeitraum nach dem 8. April 2011 bis zum Datum der Zurücknahme zeige das Fortbestehen der nationalen Normen zur Umsetzung der harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2006, dass es noch möglich sei, auf deren Vorschriften Bezug zu nehmen, auch wenn sich die Hersteller ebenso auf die neue harmonisierte Norm EN 60335‑2‑77:2010 hätten beziehen können.

53

Die Kommission weist ihrerseits für den Fall, dass der Klagegrund in der Sache gewürdigt wird, das Vorbringen der Klägerin mit Unterstützung der lettischen Regierung zurück. Sie macht geltend, die Richtlinie 2006/42 habe die Richtlinie 98/37 ersetzt, und die Mitgliedstaaten müssten die Vorschriften der Richtlinie 2006/42 nach deren Art. 26 ab dem 29. Dezember 2009, dem Datum der Aufhebung der Richtlinie 98/37, anwenden. Die harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2006 sei nur ausgearbeitet worden, um eine Vermutung der Konformität mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 98/37 zu ermöglichen. Aus ihr habe man niemals eine solche Vermutung hinsichtlich der grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42 ableiten können. Dies erkläre, warum die Veröffentlichungen im Amtsblatt, die die harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2010 erwähnten und die sich alle auf harmonisierte Normen nach der Richtlinie 2006/42 bezögen, insbesondere jene vom 8. April 2011, in der erstmals die genannte Norm erwähnt worden sei, in den Spalten der Tabellen für die ersetzten Normen keinen Hinweis auf die harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2006 enthielten. Daher sei die Anmerkung 1 in der zweiten Spalte betreffend das Datum der Beendigung der Annahme der Konformitätsvermutung für die ersetzte Norm, auf die die Klägerin ihr Vorbringen stütze, dass sie sich bis zum Zeitpunkt der Zurücknahme der harmonisierten Norm EN 60335‑2‑77:2006 auf Letztere stützen könne, im vorliegenden Fall irrelevant. Allgemein hätten Angaben der Normungsorganisationen über die Zurücknahmedaten keinen Einfluss auf die Feststellung, ob die Einhaltung einer harmonisierten Norm eine Vermutung der Konformität mit den einschlägigen grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen begründen könne, sofern diese Daten von der Kommission in den Veröffentlichungen über harmonisierte Normen nicht aufgegriffen würden.

54

Für die „handgeführten elektrisch betriebenen Rasenmäher“ habe es für die Hersteller somit drei verschiedene Zeiträume gegeben, was den Nachweis der Konformität ihrer Produkte mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der aufeinanderfolgenden einschlägigen Richtlinien betreffe. Bis zum 28. Dezember 2009, dem letzten Tag der Anwendung der Richtlinie 98/37, hätten sie sich auf die harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2006 beziehen können, um die Vermutung der Konformität ihrer Produkte mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen dieser Richtlinie in Anspruch nehmen zu können. Ab dem 29. Dezember 2009 bis zum 8. April 2011 hätten die Hersteller aufgrund der Tatsache, dass die Richtlinie 2006/42 die Richtlinie 98/37 ersetzt habe, jedoch keine nach der Richtlinie 2006/42 anwendbare harmonisierte Norm für „handgeführte elektrisch betriebene Rasenmäher“ im Amtsblatt veröffentlicht worden sei, die Konformität ihrer Maschinen mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42 mit anderen Mitteln als unter Berufung auf eine harmonisierte Norm nachweisen müssen, insbesondere durch einen Hinweis in der technischen Dokumentation auf sonstige Normen und technische Spezifikationen, beispielsweise auf nationale Regelungen, nicht harmonisierte europäische oder internationale Normen oder herstellereigene technische Spezifikationen. Schließlich könnten die Hersteller seit dem 8. April 2011 die Vermutung der Konformität mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42 unter Berufung auf die harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2010 in Anspruch nehmen. Daher sei es in der EG-Konformitätserklärung des fraglichen Rasenmähers vom September 2012 nicht möglich gewesen, auf die harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2006 zu verweisen, um den Nachweis für eine Vermutung der Konformität mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42 zu erbringen. Auch die im Jahr 2013 nach dieser Norm hergestellten Exemplare könnten eine solche Vermutung nicht in Anspruch nehmen.

55

Zunächst ist das in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Argument der Kommission zu prüfen, wonach der zweite von der Klägerin vorgebrachte Nichtigkeitsgrund ins Leere gehe, weil der angefochtene Beschluss jegliches erneute Inverkehrbringen des fraglichen Rasenmähers ab seiner Veröffentlichung im Juni 2015 verbiete, also für einen Zeitraum nach jenem, um den es in diesem Klagegrund gehe, der sich auf einen Teil der Jahre 2012 und 2013 beziehe.

56

Diesem Argument kann nicht gefolgt werden.

57

Der geprüfte Klagegrund richtet sich nämlich gegen einen Beschluss, der die Beurteilung der nationalen Behörden hinsichtlich einer 2012 oder 2013 vor dem 1. September in Verkehr gebrachten Maschine bestätigte, wonach Letztere die grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42 nicht erfüllte, weil sie nicht der harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2010 entsprach, während ihr Hersteller von einer Vermutung der Konformität mit diesen Anforderungen auf der Grundlage ihrer Konformität mit der Norm EN 60335-2-77:2006 ausging. Folglich kann der geprüfte Klagegrund, der diese Beurteilung unmittelbar in Frage stellt, wenn er sich als begründet herausstellt, nicht ins Leere gehen. Es kann im Übrigen hinzugefügt werden, dass die Klägerin ein Interesse daran hatte und hat, den angefochtenen Beschluss zu bekämpfen, obwohl sie bestätigt hat, dass sie den fraglichen Rasenmäher freiwillig aus dem Verkehr gezogen habe und ihn nicht wieder vermarkte, da die bestrittene Beurteilung sicherlich eine Rufschädigung nach sich zieht, insbesondere wenn man die Bekanntheit der Marke des fraglichen Rasenmähers und die Tatsache berücksichtigt, dass die schwedischen Behörden bereits festgestellt haben, dass diese Maschine nicht mehr verwendet werden dürfe. Das Rechtsschutzinteresse der Klägerin besteht auch insofern, als durch eine mögliche Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses vermieden werden könnte, dass sich der geltend gemachte Rechtsverstoß in Zukunft wiederholt (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteile vom 19. September 1985, Hoogovens Groep/Kommission, 172/83 und 226/83, EU:C:1985:355, Rn. 19, und vom 28. Mai 2013, Abdulrahim/Rat und Kommission, C‑239/12 P, EU:C:2013:331, Rn. 61 bis 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58

Was schließlich die Prüfung des Klagegrundes in der Sache angeht, so ist vorab darauf hinzuweisen, dass die Bezugnahme auf eine harmonisierte Norm nur eine der Möglichkeiten ist, die ein Hersteller zur Verfügung hat, um nachzuweisen, dass eine seiner Maschinen den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der einschlägigen Richtlinie entspricht. Sowohl Art. 8 und die Anhänge V oder VI der Richtlinie 98/37 als auch Art. 12 und die Anhänge VII, VIII, IX oder X der Richtlinie 2006/42 sehen Konformitätsbewertungsverfahren vor, die sich nicht notwendigerweise auf harmonisierte Normen beziehen, deren Fundstellen veröffentlicht wurden.

59

Jedoch stützte im vorliegenden Fall zum einen die Kommission ihre Schlussfolgerung betreffend die Nichterfüllung der grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42 nur auf die Feststellung der Nichtübereinstimmung des Rasenmähers mit der harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2010, was aus dem angefochtenen Beschluss und dem oben in Rn. 18 angeführten Schreiben hervorgeht. Zum anderen versuchte die Klägerin ihrerseits weder während des Verfahrens vor den lettischen Behörden noch während des Verfahrens vor der Kommission, die Konformität des fraglichen Rasenmähers mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42 auf andere Weise als durch Verweisung auf die harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2006 nachzuweisen. Es ist daher zu prüfen, ob die letztgenannte harmonisierte Norm, von der weder die Kommission noch die lettischen Behörden behaupteten, dass ihr der fragliche Rasenmäher nicht entsprochen habe, seit dem 3. September 2012, dem Zeitpunkt der Abgabe der EG-Konformitätserklärung für den genannten Rasenmäher, bis zum 31. August 2013, dem laut Aussage der Klägerin letzten Zeitpunkt seiner Herstellung, zu ihren Gunsten eine Vermutung der Konformität mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42 begründen konnte.

60

Wie oben in Rn. 44 angeführt, verleiht nach Art. 7 der Richtlinie 2006/42, insbesondere nach dessen Abs. 2 und 3, die Veröffentlichung der Fundstelle einer harmonisierten Norm durch die Kommission im Amtsblatt dieser einen rechtlichen Rang, der es den Herstellern der Maschinen oder ihren Bevollmächtigten ermöglicht, für die Maschinen, die sie vermarkten und die der Norm entsprechen, eine Vermutung der Konformität mit den einschlägigen, von dieser harmonisierten Norm erfassten, grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen derselben Richtlinie in Anspruch zu nehmen. Beiläufig kann festgehalten werden, dass der Mechanismus – vorbehaltlich einer Umsetzung der harmonisierten Norm in eine nationale Norm – im Rahmen der Richtlinie 98/37, deren Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 1 bestimmte, dass dann, wenn „eine nationale Norm in Umsetzung einer harmonisierten Norm, deren Fundstelle im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht worden ist, einer oder mehreren grundlegenden Sicherheitsanforderungen [entspricht], … bei nach dieser Norm hergestellten Maschinen oder Sicherheitsbauteilen davon ausgegangen [wird], dass sie den betreffenden grundlegenden Anforderungen genügen“, im Kern derselbe war. Daher sind, wie Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona in Nr. 54 seiner von der Kommission in der mündlichen Verhandlung erwähnten Schlussanträge in der Rechtssache James Elliott Construction (C‑613/14, EU:C:2016:63) ausgeführt hat, Entscheidungen über die Veröffentlichung harmonisierter Normen Rechtsakte, die mit der Nichtigkeitsklage angreifbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Oktober 2016, James Elliott Construction, C‑613/14, EU:C:2016:821, Rn. 38 bis 43). Im Beschluss vom 25. Mai 2004, Schmoldt u. a./Kommission (T‑264/03, EU:T:2004:157, Rn. 91 bis 94), hat das Gericht klargestellt, dass es sich um Rechtsakte mit allgemeiner Geltung handelt. Daraus leitet es ab, dass die Regelung für solche Veröffentlichungen jene für Rechtsakte mit allgemeiner Geltung der Organe der Union ist.

61

Es ist festzustellen, dass Art. 7 der Richtlinie 2006/42 uneingeschränkt auf harmonisierte Normen abzielt, deren Fundstellen im Amtsblatt veröffentlicht worden sind, ohne seine Tragweite und seinen Inhalt auf harmonisierte Normen zu beschränken, die gemäß dieser Richtlinie veröffentlicht wurden. Aufgrund dieser Vorschrift kann man somit nicht davon ausgehen, dass die Veröffentlichungen der Fundstellen der harmonisierten Normen gemäß der Richtlinie 98/37 implizit zur gleichen Zeit aufgehoben wurden wie Letztere. Daraus folgt, dass die harmonisierten Normen, deren Fundstellen gemäß der Richtlinie 98/37 veröffentlicht worden sind, in den Anwendungsbereich von Art. 7 der Richtlinie 2006/42 fallen, solange die Entscheidung, die ihnen einen rechtlichen Rang verleiht, um eine Vermutung der Konformität mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens oder der Inbetriebnahme der betreffenden Maschine anwendbaren Richtlinie zu begründen, nämlich die Veröffentlichung ihrer Fundstelle im Amtsblatt, nicht ausdrücklich aufgehoben worden ist. Diese Auslegung entspricht Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2006/42, wonach „Verweisungen auf die aufgehobene Richtlinie [98/37] … als Verweisungen auf die vorliegende Richtlinie [gelten] und … nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang XII zu lesen [sind]“. Mit dieser Vorschrift soll allgemein verhindert werden, dass die Rechtsakte oder Rechtsvorschriften, deren Umsetzung ursprünglich an die Vorschriften der Richtlinie 98/37 geknüpft war, nicht bloß deshalb ihre Bedeutung verlieren, weil die Richtlinie 98/37 aufgehoben und durch die Richtlinie 2006/42 ersetzt wurde, und dass so unter Umständen ein rechtsfreier Raum entsteht (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 16. Oktober 2003, Irland/Kommission, C‑339/00, EU:C:2003:545, Rn. 35 bis 39). Im vorliegenden Fall geht aus der Tabelle des Anhangs XII der Richtlinie 2006/42 hervor, dass Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/37 Art. 7 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2006/42 entspricht, worauf nacheinander die Veröffentlichungen der harmonisierten Normen im Amtsblatt beruhten.

62

Im vorliegenden Fall stellt sich somit die Frage, ob die Veröffentlichung der Fundstelle der harmonisierten Norm EN 60335‑2‑77:2006, die ursprünglich gemäß der Richtlinie 98/37 durch die Kommission erfolgte (erste Veröffentlichung am 6. November 2007 [ABl. 2007, C 254, S. 52], letzte Veröffentlichung am 28. März 2009 [ABl. 2009, C 74, S. 55]), die, wie zuvor festgestellt worden ist, nach Art. 7 der Richtlinie 2006/42 für den Zeitraum bis zu ihrer Aufhebung gültig ist, Gegenstand einer ausdrücklichen Aufhebung vor oder in dem hier streitigen Zeitraum war, der sich vom 3. September 2012 (Datum der EG-Konformitätserklärung für den fraglichen Rasenmäher) bis 31. August 2013 (nach Aussage der Klägerin Datum der Beendigung der Herstellung des fraglichen Rasenmähers) erstreckt. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass diese Veröffentlichung jedenfalls für Maschinen, die ab dem 1. September 2013 in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen wurden, nicht mehr eine Vermutung der Konformität mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42 begründen konnte, weil, in Bezug auf die Position der Klägerin, der in der nachfolgenden Fassung EN 60335-2-77:2010 festgelegte Zeitpunkt der Zurücknahme dieser harmonisierten Norm gekommen war.

63

Wenn ein Rechtsakt allgemeiner Geltung nicht wegen seiner Unvereinbarkeit mit einer später ergangenen höherrangigen Vorschrift implizit aufgehoben wird und wenn bei seiner Veröffentlichung keine befristete Geltungsdauer verkündet wird, kann ein solcher Rechtsakt nur durch eine neue Entscheidung der zuständigen Behörde, die ihrerseits veröffentlicht wird, aufgehoben werden. Insoweit ist festzuhalten, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit, der ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, verlangt, dass die Rechtsvorschriften und Regelungen der Union klar und deutlich sind, und insbesondere, dass ihre Anwendung für die Betroffenen vorhersehbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. Juli 1981, Gondrand und Garancini, 169/80, EU:C:1981:171, Rn. 17, und vom 22. Februar 1984, Kloppenburg, 70/83, EU:C:1984:71, Rn. 11). Insbesondere soll der Grundsatz der Rechtssicherheit, wie im Urteil vom 21. Oktober 1997, Deutsche Bahn/Kommission (T‑229/94, EU:T:1997:155, Rn. 113) entschieden worden ist, die Voraussehbarkeit der unter das Unionsrecht fallenden Tatbestände und Rechtsbeziehungen gewährleisten. Hierzu ist es wesentlich, dass die Organe die Unantastbarkeit der von ihnen erlassenen Rechtsakte, die die rechtliche und sachliche Lage der Rechtssubjekte berühren, wahren; sie können diese daher nur unter Beachtung der Zuständigkeits- und Verfahrensregeln ändern.

64

Im vorliegenden Fall enthalten die aufeinanderfolgenden Veröffentlichungen der Fundstellen der harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2006 im Amtsblatt kein begrenztes Wirkungsdatum jeder dieser Veröffentlichungen, obwohl sie nach dem Erlass der Richtlinie 2006/42 erfolgten. Zudem enthält keine der Veröffentlichungen der Fundstellen der harmonisierten Normen, die in der Folge gemäß dieser neuen Richtlinie erfolgten, und auch kein anderes von der Kommission veröffentlichtes Dokument einen Hinweis auf die Aufhebung der harmonisierten Norm EN 60335‑2‑77:2006, abgesehen von Anmerkung 1 in der Spalte mit dem Titel „Datum der Beendigung der Annahme der Konformitätsvermutung für die ersetzte Norm“ in den Tabellen der Veröffentlichungen mit den Fundstellen der harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2010. Wie bereits erläutert, besagt diese Anmerkung: „Allgemein wird das Datum der Beendigung der Annahme der Konformitätsvermutung das Datum der Zurücknahme sein (‚Dow‘), das von der europäischen Normungsorganisation bestimmt wird, aber die Benutzer dieser Normen werden darauf aufmerksam gemacht, dass dies in bestimmten Ausnahmefällen anders sein kann.“ Wie bereits oben in Rn. 10 aufgeführt, hat das Europäische Komitee für Elektrotechnische Normung (Cenelec) in der harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2010 den 1. September 2013 als Datum der Zurücknahme der ersetzten harmonisierten Norm EN 60335-2-77:2006 festgelegt, und folglich erfolgte die Aufhebung der Veröffentlichung der Fundstelle Letzterer zu diesem Zeitpunkt. Unter diesen Umständen konnte die Konformität des fraglichen Rasenmähers mit der harmonisierten Norm EN 60335‑2‑77:2006 entgegen dem Vorbringen der Kommission und der lettischen Regierung für ein Inverkehrbringen oder eine Inbetriebnahme bis einschließlich 31. August 2013 eine Vermutung der Konformität dieser Maschine mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42 begründen.

65

Zudem kann gesagt werden, dass der von der Kommission verteidigte Standpunkt im Übrigen der Systematik der beiden aufeinanderfolgenden Richtlinien 98/37 und 2006/42 zuwiderläuft, wodurch für das gesamte Unionsgebiet ein wirksamer Mechanismus geschaffen werden soll, der durch die Einbindung der von der Kommission beauftragten Normungsorganisationen den Herstellern und ihren Bevollmächtigten ermöglicht, die grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen hinsichtlich der von ihnen vermarkteten Maschinen einzuhalten, und zwar in einem Rahmen, der ihnen eine gewisse Sicherheit und Vereinfachung des Inverkehrbringens in allen Mitgliedstaaten bietet und der auch der Öffentlichkeit annehmbare Garantien bietet. Ohne dass diese die einzige Möglichkeit für einen Hersteller oder seinen Bevollmächtigten darstellt, die Erfüllung dieser Anforderungen nachzuweisen, erlaubt ihnen die Konformität mit einer von diesen Stellen erlassenen harmonisierten Norm, deren Fundstelle im Amtsblatt veröffentlicht ist, im Rahmen eines klaren Verfahrens für das betreffende Produkt eine Vermutung der Konformität mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen in Anspruch zu nehmen, die von dieser harmonisierten Norm erfasst sind. Sowohl Art. 5 der Richtlinie 98/37 als auch Art. 7 der Richtlinie 2006/42 enthalten in diesem Zusammenhang Vorschriften, die dem Mechanismus der Konformität mit den veröffentlichten harmonisierten Normen einen wichtigen Platz einräumen. Letzterer Artikel verstärkt dies sogar, indem er die Möglichkeit einer Bezugnahme auf diese harmonisierten Normen, um die oben genannte Vermutung in Anspruch nehmen zu können, vom Vorhandensein nationaler Normen, die diese „umsetzen“, unabhängig macht.

66

Die These der Kommission, wonach alle harmonisierten Normen, die ursprünglich gemäß der Richtlinie 98/37 angenommen wurden, keinerlei Wirksamkeit besitzen, um eine Vermutung der Konformität mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42 zu begründen, führt dazu, dass die Anzahl der harmonisierten Normen, die während des ersten Zeitraums der Anwendung Letzterer verwendet werden können, und somit auch die Effizienz des Systems maßgeblich verringert wird. So umfasst beispielsweise die letzte Veröffentlichung der „Titel und der Bezugsdaten der harmonisierten Normen im Sinne [der Richtlinie 98/37]“ im Amtsblatt im März 2009 57 Seiten (ABl. 2009, C 74, S. 4), während die erste entsprechende Veröffentlichung gemäß der Richtlinie 2006/42 im September 2009 nur 26 Seiten umfasst (ABl. 2009, C 214, S. 1) und die zweite entsprechende Veröffentlichung, die unmittelbar vor der Anwendung der Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie 2006/42, am 29. Dezember 2009 erfolgte, auch nur 37 Seiten umfasst (ABl. 2009, C 309, S. 29). Da man davon ausgehen kann, dass eine Seite dieser genannten Veröffentlichungen durchschnittlich zehn harmonisierte Normen enthält, würde die Position der Kommission dazu führen, dass zum Zeitpunkt der konkreten Anwendung der Richtlinie 2006/42, Ende Dezember 2009, um etwa 200 harmonisierte Normen weniger als zum Ende des Anwendungszeitraums der Richtlinie 98/37 von den Herstellern verwendet werden konnten, um das Vorhandensein einer Vermutung der Konformität ihrer Produkte mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der neuen Richtlinie nachzuweisen, was im Widerspruch zur wichtigen Rolle des Mechanismus der Konformität mit den harmonisierten Normen der beiden aufeinanderfolgenden Richtlinien stünde. Es ist festzustellen, dass man bis zur Veröffentlichung im April 2011 (ABl. 2011, C 110, S. 1) warten muss, um ein vergleichbares Volumen an harmonisierten Normen zu finden, deren Fundstellen für die zwei Richtlinien veröffentlicht wurden.

67

Der Schaden für die Systematik der beiden aufeinanderfolgenden Richtlinien 98/37 und 2006/42 wird in vollem Umfang verdeutlicht durch die Aufeinanderfolge der drei von der Kommission ausgewiesenen Zeiträume, die oben in Rn. 54 aufgeführt sind, was dazu führen würde, dass ein Maschinentyp, der seit vielen Jahren Gegenstand einer veröffentlichten harmonisierten Norm war, während eines nicht zu vernachlässigenden Zeitraums (ungefähr 15 Monate im Fall der „handgeführten elektrisch betriebenen Rasenmäher“) „ohne harmonisierte Norm“ wäre, bis eine neue harmonisierte Norm gefunden wird. Zwar entsteht durch die Auslegung der Kommission kein rechtsfreier Raum, da die Hersteller und ihre Bevollmächtigten die Erfüllung der grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der einschlägigen Richtlinie für die Maschinen, die sie vermarkten wollen, auch mit anderen Mitteln dartun können als durch die Bezugnahme auf harmonisierte Normen, deren Fundstellen veröffentlicht wurden. Jedoch ist festzustellen, dass diese anderen Mittel weniger einfach sind. Folglich trägt die Kommission zumindest während eines bestimmten Zeitraums nicht dazu bei, den freien Verkehr der Waren im Binnenmarkt zu erleichtern und ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit und Sicherheit der Benutzer zu gewährleisten, wie dies die Rechtsgrundlage der Richtlinie 2006/42, Art. 114 AEUV, verlangt.

68

Es trifft zu, dass die grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung betont hat, in verschiedener Hinsicht umfassender sind als die in der Richtlinie 98/37 enthaltenen, aber es ist nötigenfalls Sache der Kommission, für eine rasche Annahme einer neuen harmonisierten Norm für bestimmte Typen von unter die Richtlinie fallenden Maschinen oder andere Ausrüstungen zu sorgen, die diesen neuen Anforderungen entspricht, und bei Bedarf in speziellen Fällen anzugeben, dass eine gemäß der Richtlinie 98/37 veröffentlichte harmonisierte Norm keine Vermutung der Konformität mit den neuen Anforderungen begründen kann. Art. 10 der Richtlinie 2006/42 sieht im Übrigen eine „Anfechtung einer harmonisierten Norm“ durch einen Mitgliedstaat oder die Kommission vor, die insbesondere dazu führen kann, dass die Fundstelle der harmonisierten Norm im Amtsblatt mit Einschränkungen belassen oder gestrichen wird. Jedoch hätte in diesen Fällen die Kommission in der Spalte „Datum der Beendigung der Annahme der Konformitätsvermutung für die ersetzte Norm“ der Tabellen der Veröffentlichungen der Titel und der Bezugsdaten der harmonisierten Normen gemäß der Richtlinie 2006/42 ein vom Datum der Zurücknahme abweichendes Datum anführen müssen, wenn die betreffende harmonisierte Norm tatsächlich ersetzt worden wäre, oder im Amtsblatt auf andere geeignete Weise die Aufhebung der Veröffentlichung der Fundstellen der betreffenden harmonisierten Norm angeben müssen, falls diese Norm noch nicht ersetzt gewesen wäre. Wie oben in Rn. 64 festgestellt, ist aus dem Fehlen eines besonderen Hinweises in den Tabellen der Veröffentlichungen der Titel und Bezugsdaten der harmonisierten Normen gemäß der Richtlinie 2006/42 oder in anderer Form e contrario gemäß der Anmerkung 1 in der Spalte mit dem Titel „Datum der Beendigung der Annahme der Konformitätsvermutung für die ersetzte Norm“ der Schluss zu ziehen, dass dieses Datum dem von der Normungsorganisation festgelegten Datum der Zurücknahme entspricht. Es kann im Übrigen festgestellt werden, dass die Entwicklungen der „Maschinenrichtlinie“, deren erste Fassung die Richtlinie 89/392/EWG des Rates vom 14. Juni 1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Maschinen (ABl. 1989, L 183, S. 9) war, einschließlich der Fälle, in denen eine Aufhebung der früheren Fassungen erfolgte oder wesentliche Zusätze aufgenommen wurden, nicht zu einer generellen Aufhebung der Veröffentlichungen der harmonisierten Normen nach den früheren Fassungen geführt haben (vgl. z. B. ABl. 2000, C 252, S. 5).

69

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Konformität mit einer harmonisierten Norm, deren Fundstelle gemäß der Richtlinie 98/37 während des Anwendungszeitraums der Richtlinie 2006/42 und vor dem Datum der Beendigung der durch sie begründeten Vermutung der Konformität mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen veröffentlicht wurde, eben nur eine Vermutung der Konformität mit diesen Anforderungen darstellt. Wenn in diesem Zusammenhang ein Mitgliedstaat und in der Folge die Kommission zur Ansicht gelangt wären, dass eine einer solchen Norm entsprechende Maschine dennoch nicht die grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42 erfüllte, hätte niemand sie daran hindern können, die Schutzklausel nach Art. 11 dieser Richtlinie anzuwenden, wobei sie jedoch eine Nichterfüllung dieser Anforderungen hätten nachweisen müssen.

70

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Klägerin zu Recht geltend gemacht hat, dass der fragliche Rasenmäher seit dem 3. September 2012, dem Zeitpunkt der Abgabe der EG-Konformitätserklärung, bis zum 31. August 2013, dem nach ihrer Aussage letzten Zeitpunkt seiner Herstellung, eine Vermutung der Konformität mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42 in Anspruch nehmen konnte. Die harmonisierte Norm EN 60335-2-77:2006, der der fragliche Rasenmäher unstreitig entsprach, konnte für ihn zwischen diesen Zeitpunkten für ein Inverkehrbringen oder eine Inbetriebnahme eine gültige Vermutung der Konformität mit den grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen dieser Richtlinie begründen, da diese Norm, obwohl ihre Fundstelle gemäß der Richtlinie 98/37 veröffentlicht wurde, gemäß der Richtlinie 2006/42 bis zu dem von der Normungsorganisation bei der Annahme der ihr vorangehenden harmonisierten Norm festgelegten Datum der Zurücknahme, nämlich dem 1. September 2013, gültig blieb, da von der Kommission keine gegenteilige Angabe im Amtsblatt veröffentlicht wurde.

71

Die Kommission beging daher einen Rechtsfehler, als sie den diesbezüglichen Standpunkt der Klägerin verwarf. Da sich der angefochtene Beschluss im Übrigen, wie oben aus Rn. 59 hervorgeht, nicht auf den konkreten Nachweis eines Verstoßes gegen die grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der Richtlinie 2006/42, sondern nur auf die Nichtübereinstimmung des fraglichen Rasenmähers mit der harmonisierten Norm EN 60335‑2‑77:2010 stützte, wobei dessen Konformität mit der harmonisierten Norm EN 60335‑2‑77:2006 für ihn noch während des betreffenden Zeitraums eine Vermutung der Konformität mit den genannten Anforderungen begründete, ist dem zweiten Klagegrund der Klägerin stattzugeben und der angefochtene Beschluss für nichtig zu erklären.

Kosten

72

Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Klägerin die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes aufzuerlegen.

73

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Die Republik Lettland trägt daher ihre eigenen Kosten.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Der Durchführungsbeschluss (EU) 2015/902 der Kommission vom 10. Juni 2015 über eine von Lettland gemäß der Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates verhängte Maßnahme zum Verbot des Inverkehrbringens eines Rasenmähers, hergestellt von GGP Italy SpA, wird für nichtig erklärt.

 

2.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

3.

Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Global Garden Products Italy SpA (GGP Italy) im Rahmen dieses Verfahrens und im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes.

 

4.

Die Republik Lettland trägt ihre eigenen Kosten.

 

Gervasoni

Madise

Csehi

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 26. Januar 2017.

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.

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