Urteil vom Europäischer Gerichtshof - T-725/14

URTEIL DES GERICHTS (Dritte erweiterte Kammer)

1. Februar 2017 ( *1 )

„Außervertragliche Haftung — Art. 47 der Grundrechtecharta — Angemessene Verfahrensdauer — Umstände der Rechtssache — Bedeutung des Rechtsstreits — Komplexität des Rechtsstreits — Verhalten der Parteien und Zwischenstreitigkeiten — Nichtvorliegen einer Phase der ungerechtfertigten Untätigkeit“

In der Rechtssache T‑725/14

Aalberts Industries NV mit Sitz in Utrecht (Niederlande), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte R. Wesseling und M. Tuurenhout,

Klägerin,

gegen

Europäische Union, vertreten durch den Gerichtshof der Europäischen Union, dieser zunächst vertreten durch A. Placco, dann durch J. Inghelram und E. Beysen als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Europäische Kommission, vertreten durch S. Noë, P. van Nuffel und V. Bottka als Bevollmächtigte,

Streithelferin,

wegen einer Klage gemäß Art. 268 AEUV auf Ersatz des Schadens, der der Klägerin durch die Dauer des Verfahrens vor dem Gericht in der Rechtssache, die zu dem Urteil vom 24. März 2011, Aalberts Industries u. a./Kommission (T‑385/06, EU:T:2011:114), geführt hat, entstanden sein soll,

erlässt

DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Papasavvas sowie der Richterin I. Labucka und der Richter E. Bieliūnas (Berichterstatter), V. Kreuschitz und I. S. Forrester,

Kanzler: A. Lamote, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. Juli 2016

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1

Mit Klageschrift, die am 14. Dezember 2006 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Klägerin, die Aalberts Industries NV, zusammen mit der Simplex Armaturen + Fittings GmbH & Co. KG (im Folgenden: Simplex) und der Acquatis France SAS, jetzt Comap SA (im Folgenden: Acquatis), eine Klage gegen die Entscheidung K(2006) 4180 der Kommission vom 20. September 2006 in einem Verfahren nach Artikel [101 AEUV] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/F‑1/38.121 – Rohrverbindungen) (im Folgenden: Entscheidung K[2006] 4180). In der Klageschrift beantragten diese Gesellschaften im Wesentlichen, diese Entscheidung für nichtig zu erklären, hilfsweise, die mit dieser Entscheidung gegen sie verhängte Geldbuße herabsetzen.

2

Mit Urteil vom 24. März 2011, Aalberts Industries u. a./Kommission (T‑385/06, EU:T:2011:114) erklärte das Gericht Art. 1 der Entscheidung K(2006) 4180 für nichtig, soweit die Europäische Kommission darin festgestellt hatte, dass die oben in Rn. 1 genannten Unternehmen vom 25. Juni 2003 bis zum 1. April 2004 an einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV teilgenommen hatten. Das Gericht erklärte auch Art. 2 Buchst. a dieser Entscheidung für nichtig. In diesem Artikel hatte die Kommission gegen die Klägerin eine Geldbuße in Höhe von 100,80 Mio. Euro gesamtschuldnerisch mit ihren Tochtergesellschaften Simplex und Acquatis festgesetzt. Schließlich erklärte das Gericht Art. 2 Buchst. b Nr. 2 der Entscheidung K(2006) 4180 für nichtig, wonach Simplex und Acquatis in Höhe von 2,04 Mio. Euro für gesamtschuldnerisch haftbar erklärt worden waren.

3

Mit der am 6. Juni 2011 eingereichten Rechtsmittelschrift legte die Kommission ein Rechtsmittel gegen das Urteil vom 24. März 2011, Aalberts Industries u. a./Kommission (T‑385/06, EU:T:2011:114) ein.

4

Mit Urteil vom 4. Juli 2013, Kommission/Aalberts Industries u. a. (C‑287/11 P, EU:C:2013:445), wies der Gerichtshof dieses Rechtsmittel zurück.

Verfahren und Anträge der Parteien

5

Mit Klageschrift, die am 14. Oktober 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage gegen die Europäische Union, vertreten durch den Gerichtshof der Europäischen Union oder durch die Kommission, erhoben.

6

Mit gesonderten Schriftsätzen, die am 17. November 2014 bzw. am 17. Dezember 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben die Kommission und der Gerichtshof der Europäischen Union jeweils eine Einrede der Unzulässigkeit nach Art. 114 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts vom 2. Mai 1991 erhoben.

7

Mit Beschluss vom 13. Februar 2015, Aalberts Industries/Europäische Union (T‑725/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:107), hat das Gericht zum einen die vom Gerichtshof der Europäischen Union erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückgewiesen und zum anderen die Klage abgewiesen, soweit sie gegen die Union, vertreten durch die Kommission, gerichtet war.

8

Mit Rechtsmittelschrift, die am 19. März 2015 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat der Gerichtshof der Europäischen Union ein Rechtsmittel gegen den Beschluss vom 13. Februar 2015, Aalberts Industries/Europäische Union (T‑725/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:107) eingelegt, das unter dem Aktenzeichen C‑132/15 P in das Register eingetragen worden ist.

9

Mit Beschluss vom 14. April 2015 hat der Präsident der Dritten Kammer des Gerichts auf Antrag des Gerichtshofs der Europäischen Union das Verfahren in der vorliegenden Rechtssache bis zur verfahrensbeendenden Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache C‑132/15 P, Gerichtshof/Aalberts Industries, ausgesetzt.

10

Mit Beschluss vom 18. Dezember 2015, Gerichtshof/Aalberts Industries (C‑132/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:858), ist die Rechtssache im Register des Gerichtshofs gestrichen worden.

11

Nach der Wiederaufnahme des Verfahrens in der vorliegenden Rechtssache hat die Kommission mit dem am 15. Januar 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Schriftsatz beantragt, als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Gerichtshofs der Europäischen Union zugelassen zu werden.

12

Am 16. Februar 2016 hat der Gerichtshof der Europäischen Union eine Klagebeantwortung eingereicht.

13

Am 17. Februar 2016 hat das Gericht die vorliegende Rechtssache an die Dritte erweiterte Kammer verwiesen.

14

Am 2. März 2016 hat das Gericht entschieden, dass ein zweiter Schriftsatzwechsel nicht erforderlich ist. Im Übrigen hat es den Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen prozessleitender Maßnahmen im Sinne von Art. 89 der Verfahrensordnung des Gerichts aufgefordert, mitzuteilen, ob er die Genehmigung sowohl der Klägerinnen in der Rechtssache, in der das Urteil vom 24. März 2011, Aalberts Industries u. a./Kommission (T‑385/06, EU:T:2011:114) (im Folgenden: Rechtssache T‑385/06) ergangen ist, als auch der Kommission zur Vorlage bestimmter Schriftstücke, die in den Anlagen der Klagebeantwortung enthalten sind und sich auf die Rechtssache T‑385/06 beziehen, beantragt und erhalten hat.

15

Mit Beschluss vom 15. März 2016, Aalberts Industries/Europäische Union (T‑725/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:208) hat der Präsident der Dritten erweiterten Kammer des Gerichts dem Antrag der Kommission auf Zulassung als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Gerichtshofs der Europäischen Union stattgegeben und der Kommission die Rechte nach Art. 116 § 6 der Verfahrensordnung vom 2. Mai 1991 zuerkannt.

16

Am 18. März 2016 hat der Gerichtshof der Europäischen Union auf die oben in Rn. 14 genannte Frage geantwortet. Er hat in erster Linie beantragt, festzustellen, dass er die Genehmigung der Klägerin und der Kommission zur Vorlage der die Rechtssache T‑385/06 betreffenden Schriftstücke weder habe beantragen noch erhalten müssen, hilfsweise, festzustellen, dass diese Genehmigung von der Klägerin und der Kommission stillschweigend erteilt worden sei. Äußerst hilfsweise hat der Gerichtshof der Europäischen Union beantragt, seine Antwort als Antrag auf eine prozessleitende Maßnahme zu behandeln, mit der das Gericht im Rahmen der vorliegenden Klage die Vorlage der Schriftstücke anordnen möge, die in der Akte des Verfahrens T‑385/06 enthalten seien, und insbesondere derjenigen Schriftstücke, die der Klagebeantwortung als Anlagen beigefügt seien.

17

Am 4. April 2016 hat der Präsident der Dritten erweiterten Kammer des Gerichts erstens entschieden, die Schriftstücke, die in den Anlagen der in dieser Rechtssache eingereichten Klagebeantwortung enthalten sind und sich auf die Rechtssache T‑385/06 beziehen, aus der Akte zu entfernen. Diese Entscheidung ist damit begründet worden, dass der Gerichtshof der Europäischen Union weder die Genehmigung der Parteien in der Rechtssache T‑385/06 zur Vorlage dieser Schriftstücke beantragt und erlangt hat, noch gemäß Art. 38 Abs. 2 der Verfahrensordnung den Zugang zu den Akten jener Rechtssache beantragt hatte. Zweitens hat der Präsident der Dritten erweiterten Kammer des Gerichts gemäß Art. 88 Abs. 3 der Verfahrensordnung beschlossen, die Klägerin aufzufordern, zu dem Antrag auf Erlass einer prozessleitenden Maßnahme Stellung zu nehmen, der vom Gerichtshof der Europäischen Union in seiner oben in Rn. 16 erwähnten Antwort vom 18. März 2016 äußerst hilfsweise gestellt worden ist.

18

Am 20. April 2016 hat die Klägerin beantragt, den Antrag des Gerichtshofs der Europäischen Union auf Erlass einer prozessleitenden Maßnahme zurückweisen.

19

Am 11. Mai 2016 hat das Gericht festgestellt, dass es für die Aufbereitung und Regelung der vorliegenden Rechtssache in Anbetracht ihres Gegenstands erforderlich sei, dass ihm die Akten der Rechtssache T‑385/06 zur Verfügung ständen. Deshalb hat das Gericht im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 89 der Verfahrensordnung beschlossen, die Akten der Rechtssache T‑385/06 im vorliegenden Verfahren hinzuzuziehen.

20

Am 17. Juni 2016 hat der Gerichtshof der Europäischen Union die Zustellung der Akten der Rechtssache T‑385/06 beantragt.

21

Am 29. Juni 2016 hat das Gericht die Klägerin aufgefordert, ein Dokument vorzulegen.

22

Die Parteien haben in der Sitzung vom 19. Juli 2016 mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

23

Die Klägerin beantragt,

die Union, vertreten durch den Gerichtshof der Europäischen Union, zum Ersatz des ihr aufgrund der unangemessen langen Dauer des Verfahrens vor dem Gericht entstandenen Schadens zu verurteilen, und zwar zur Zahlung

von 1014863 Euro für den materiellen Schaden und von 5040000 Euro für den immateriellen Schaden oder eines vom Gericht nach billigem Ermessen festzusetzenden Betrags;

zuzüglich von Ausgleichszinsen auf diese Beträge vom 13. Januar 2010 an bis zum Tag der Verkündung des Urteils über diese Klage zu dem von der Europäischen Zentralbank (EZB) für ihre Hauptrefinanzierungsgeschäfte festgelegten Zinssatz, der in dem betreffenden Zeitraum gilt, erhöht um zwei Prozentpunkte, oder zu einem vom Gericht nach billigem Ermessen festzusetzenden Zinssatz;

der Union, vertreten durch den Gerichtshof der Europäischen Union, die Kosten aufzuerlegen.

24

Der Gerichtshof der Europäischen Union beantragt, unterstützt durch die Kommission,

den Antrag auf Schadensersatz als unbegründet zurückzuweisen;

hilfsweise, den Antrag auf Ersatz des geltend gemachten materiellen Schadens als unbegründet zurückzuweisen und der Klägerin einen Ersatz des geltend gemachten immateriellen Schadens in Höhe von höchstens 5000 Euro zuzuerkennen;

der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

25

Nach Art. 340 Abs. 2 AEUV ersetzt die Union im Bereich der außervertraglichen Haftung den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind.

26

Nach ständiger Rechtsprechung ergibt sich aus Art. 340 Abs. 2 AEUV, dass die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft und der Anspruch auf Schadensersatz davon abhängen, dass eine Reihe von Voraussetzungen, nämlich Rechtswidrigkeit des den Organen vorgeworfenen Verhaltens, tatsächliches Vorliegen eines Schadens und Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen diesem Verhalten und dem geltend gemachten Schaden, erfüllt sind (Urteile vom 29. September 1982, Oleifici Mediterranei/EWG, 26/81, EU:C:1982:318, Rn. 16, und vom 9. September 2008, FIAMM u. a./Rat und Kommission, C‑120/06 P und C‑121/06 P, EU:C:2008:476, Rn. 106).

27

Die Klägerin beantragt Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens, der ihr aufgrund des Verstoßes gegen die Anforderungen an die Einhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer (im Folgenden: angemessene Verfahrensdauer) in der Rechtssache T‑385/06 entstanden sind.

28

Zum Ersten macht sie geltend, dass das Verfahren in der Rechtssache T‑385/06 vier Jahre und drei Monate gedauert habe und die Prüfung dieser Rechtssache mehr als zwei Jahre und zwei Monate „ins Stocken geraten“ sei. Das Gericht habe nicht zu beurteilen, welche Verfahrensdauer in dieser Rechtssache angemessen gewesen wäre. Es sei nämlich allein zu beurteilen, ob die Dauer des Verfahrens unangemessen gewesen sei, soweit sie mehr als drei Jahre betragen habe. In Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falles hätte die Verfahrensdauer in der Rechtssache T‑385/06 drei Jahre nicht überschreiten dürfen.

29

Zum Zweiten macht die Klägerin geltend, dass bei einem Rechtsstreit über eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln das grundlegende Gebot der für die Wirtschaftsteilnehmer unerlässlichen Rechtssicherheit sowie das Ziel, zu gewährleisen, dass der Wettbewerb im Binnenmarkt nicht verfälscht werde, es rechtfertigten, dass ihre Klage sorgfältig und innerhalb angemessener Frist, die so kurz wie möglich sein müsse, geprüft werde. Des Weiteren bringt die Klägerin vor, dass die ihr durch die Entscheidung K(2006) 4180 auferlegte Geldbuße in Höhe von mehr als 100 Mio. Euro zu negativen Schlagzeilen geführt habe, die sich auf den Börsenkurs ihrer Aktien und auf die Bewertung durch die Finanzanalysten ausgewirkt hätten. Auch sei ihr Ruf bei ihren Kunden durch die Entscheidung K(2006) 4180, mit der ihr zu Unrecht eine Geldbuße auferlegt worden sei und die am Ende vom Gericht für nichtig erklärt worden sei, beschädigt worden.

30

Zum Dritten macht die Klägerin geltend, dass die Verfahrensdauer in der Rechtssache T‑385/06 durch nichts in dieser Rechtssache gerechtfertigt werden könne. Die Dauer des Verfahrens lasse sich nämlich nicht mit der Komplexität der Rechtssache T‑385/06 rechtfertigen. Im Übrigen könne diese Dauer nicht mit dem Verhalten der Parteien erklärt werden, da das schriftliche Verfahren in der Rechtssache T‑385/06 zehn Monate nach der Einreichung der Klageschrift beendet worden sei.

31

Der Gerichtshof der Europäischen Union tritt diesen Vorbringen entgegen.

32

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union insbesondere bestimmt, dass „[j]ede Person … ein Recht darauf [hat], dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird“.

33

Dieses Recht, das als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts bereits vor dem Inkrafttreten der Grundrechtecharta bekräftigt worden ist, gilt auch im Rahmen einer Klage gegen eine Entscheidung der Kommission (vgl. Urteil vom 16. Juli 2009, Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland/Kommission, C‑385/07 P, EU:C:2009:456, Rn. 178 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

In der Rechtssache T‑385/06 wurde die Klageschrift der Kanzlei des Gerichts am 14. Dezember 2006 mittels Fax übermittelt, und das Original dieser Klageschrift ging der Kanzlei am darauffolgenden 21. Dezember zu. Im Übrigen endete das Verfahren in der Rechtssache T‑385/06 am 24. März 2011 mit der Verkündung des Urteils Aalberts Industries u. a./Kommission (T‑385/06, EU:T:2011:114). Auf den ersten Blick ist die Verfahrensdauer in dieser Rechtssache von mehr als vier Jahren und drei Monaten somit sehr lang.

35

Jedoch ist die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens vor dem Gericht anhand der Umstände jeder einzelnen Rechtssache und insbesondere anhand der Bedeutung des Rechtsstreits für den Betroffenen, der Komplexität der Rechtssache sowie des Verhaltens des Klägers und der zuständigen Behörden zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Dezember 1998, Baustahlgewebe/Kommission,C‑185/95 P, EU:C:1998:608, Rn. 29, und vom 9. September 2008, FIAMM u. a./Rat und Kommission, C‑120/06 P und C‑121/06 P, EU:C:2008:476, Rn. 212).

36

Zudem gehören zu den Umständen, die bei der Beurteilung der Angemessenheit einer Verfahrensdauer zu berücksichtigen sind, das Verhalten der „Beteiligten“ und Zwischenstreitigkeiten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2009, Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland/Kommission, C‑385/07 P, EU:C:2009:456, Rn. 181 und 184).

37

Die Liste der relevanten Kriterien ist dabei nicht abschließend, und die Beurteilung der Angemessenheit der Frist erfordert keine systematische Prüfung der Umstände des Falles anhand jedes Kriteriums, wenn die Dauer des Verfahrens anhand eines von ihnen gerechtfertigt erscheint. Die Komplexität der Sache oder vom Kläger herbeigeführte Verzögerungen können daher herangezogen werden, um eine auf den ersten Blick zu lange Dauer zu rechtfertigen (vgl. Urteil vom 16. Juli 2009, Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland/Kommission, C‑385/07 P, EU:C:2009:456, Rn. 182 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Daraus folgt, dass die Angemessenheit einer Frist nicht unter Heranziehung einer präzisen, abstrakt festgelegten Obergrenze geprüft werden kann, sondern in jedem Einzelfall anhand der konkreten Umstände zu beurteilen ist (Urteile vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, EU:C:2002:582, Rn. 192, und vom 28. Februar 2013, Überprüfung Arango Jaramillo u. a./EIB, C‑334/12 RX‑II, EU:C:2013:134, Rn. 29).

39

Im vorliegenden Fall ist somit zu prüfen, ob sich anhand der in der Rechtssache T‑385/06 vorliegenden Umstände die Dauer des Verfahrens in dieser Rechtssache erklären lässt. Dazu sind erstens die Bedeutung des Rechtsstreits für die Klägerin, zweitens die Komplexität der Rechtssache T‑385/06, drittens der Einfluss des Verhaltens der Parteien und die Zwischenstreitigkeiten und viertens das mögliche Vorliegen einer ungerechtfertigten Phase der Untätigkeit bei der Behandlung der Rechtssache T‑385/06 zu untersuchen.

Zur Bedeutung der Rechtssache T‑385/06 für die Klägerin

40

Bei einem Rechtsstreit über eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln sind das grundlegende Gebot der für die Wirtschaftsteilnehmer unerlässlichen Rechtssicherheit und das Ziel, zu gewährleisten, dass der Wettbewerb im Binnenmarkt nicht verfälscht wird, nicht nur für den Kläger und seine Konkurrenten, sondern wegen der großen Zahl betroffener Personen und der berührten finanziellen Interessen auch für Dritte von erheblichem Interesse (Urteil vom 16. Juli 2009, Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland/Kommission, C‑385/07 P, EU:C:2009:456, Rn. 186).

41

Im vorliegenden Fall hat die Kommission in der Entscheidung K(2006) 4180 festgestellt, dass die Klägerin vom 25. Juni 2003 bis zum 1. April 2004 an einer einheitlichen, komplexen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV teilgenommen hat. In dieser Entscheidung hat die Kommission gegen die Klägerin eine Geldbuße in Höhe von 100,80 Mio. Euro, davon gesamtschuldnerisch mit Simplex und Acquatis in Höhe von 55,15 Mio. Euro, festgesetzt, weil sie mit diesen zwei Gesellschaften eine wirtschaftliche Einheit gebildet hatte.

42

Daraus folgt, dass die Rechtssache T‑385/06 für die Klägerin tatsächlich von Bedeutung war.

Zur Komplexität der Rechtssache T‑385/06

43

Zum Ersten ist darauf hinzuweisen, dass die von der Klägerin in der Rechtssache T‑385/06 erhobene Klage eine eingehende Beurteilung des Sachverhalts und zahlreicher rechtlicher Fragen erforderte.

44

Die Kommission hatte in der Entscheidung K(2006) 4180 festgestellt, dass 30 zu elf Konzernen gehörende Unternehmen an einer einheitlichen, komplexen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und seit dem 1. Januar 1994 gegen Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) beteiligt gewesen seien, indem sie an einem Bündel von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen auf dem Markt für Rohrverbindungen aus Kupfer und Kupferlegierungen in Form von Preisfestsetzung, Vereinbarung von Preislisten, Preisnachlässen und Rückvergütungen sowie von Mechanismen zur Durchführung von Preiserhöhungen, Aufteilung von Märkten und Kunden und Austausch sonstiger Wirtschaftsinformationen teilgenommen hätten. Außerdem hatte die Kommission der Klägerin wegen dieser in der Zeit vom 25. Juni 2003 bis zum 1. April 2004 begangenen Zuwiderhandlung eine Geldbuße auferlegt.

45

Die Klägerin rechtfertigte bei der Einreichung der Klageschrift in einem Begleitschreiben den Umfang dieser Klageschrift damit, dass die Kommission in ihrer Entscheidung über die Verhängung der Geldbuße 220 Seiten benötigt habe, um ein komplexes Geflecht von Tatsachen zu beschreiben und zu analysieren. Ferner führte die Klägerin in diesem Schreiben aus, dass sie sich, anders als es in der Mehrheit der Wettbewerbssachen geschehen sei, die im selben Zeitraum eingeleitet worden seien, gegen alle Gesichtspunkte der Entscheidung K(2006) 4180 wende.

46

Im Übrigen umfassten die Anlagen der Klageschrift mehr als 750 Seiten, von denen 220 Seiten die Entscheidung K(2006) 4180 wiedergaben. Die Kommission fügte ihrer Klagebeantwortung Anlagen im Umfang von mehr als 120 Seiten bei. Der Erwiderung waren mehr als 160 Seiten an Anlagen beigefügt.

47

Schließlich machte die Klägerin in der Rechtssache T‑385/06 fünf Klagegründe geltend. Mit dem ersten Klagegrund wurde gerügt, dass die Zuwiderhandlung zu Unrecht der Klägerin als Muttergesellschaft zugerechnet worden sei. Mit dem zweiten Klagegrund wurde geltend gemacht, dass keine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV vorliege. Mit dem dritten Klagegrund wurde behauptet, dass eine Beteiligung an einer einheitlichen, komplexen und fortgesetzten Zuwiderhandlung nicht stattgefunden habe. Mit dem vierten Klagegrund wurde eine Verletzung von Art. 23 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) und der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 [KS] festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3) gerügt. Mit dem fünften Klagegrund wurde ein Verstoß gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung und gegen Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 wegen Verletzung des Grundsatzes der Waffengleichheit durch die Kommission geltend gemacht.

48

Damit erforderte die in der Rechtssache T‑385/06 erhobene Klage eine eingehende Prüfung der komplexen und zahlreichen Sachverhalte, die sich teilweise vor der Zeit der der Klägerin in der Entscheidung K(2006) 4180 zur Last gelegten Zuwiderhandlung ereignet hatten. Im Übrigen warfen einige der in dieser Rechtssache geltend gemachten Klagegründe heikle Rechtsfragen auf, die insbesondere mit dem Begriff der einheitlichen, komplexen und fortgesetzten Zuwiderhandlung zusammenhingen.

49

Zum Zweiten ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtssache T‑385/06 angesichts der in ihr gestellten Anträge und geltend gemachten Klagegründe Zusammenhänge mit den neun weiteren Klagen aufwies, die gegen die Entscheidung K(2006) 4180 im Dezember 2006 in mehreren Verfahrenssprachen erhoben worden waren.

50

In der Rechtssache T‑385/06 und in der Rechtssache, in der das Urteil vom 24. März 2011, IMI u. a./Kommission (T‑378/06, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:109) ergangen ist, beantragten Acquatis und Simplex nämlich die Nichtigerklärung von Art. 2 Buchst. b Nr. 2 der Entscheidung K(2006) 4180, mit dem ihnen gesamtschuldnerisch eine Geldbuße in Höhe von 2,04 Mio. Euro auferlegt worden war. Aufgrund dessen sah sich die Kommission gezwungen, in jeder dieser Rechtssachen eine Einrede der Rechtshängigkeit zu erheben. Das Gericht gab der Einrede statt und der Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 2 Buchst. b Nr. 2 der Entscheidung K(2006) 4180 wurde mit Urteil vom 24. März 2011, IMI u. a./Kommission (T‑378/06, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:109) für unzulässig erklärt. Dagegen erklärte das Gericht mit Urteil vom 24. März 2011, Aalberts Industries u. a./Kommission (T‑385/06, EU:T:2011:114) Art. 2 Buchst. b Nr. 2 der Entscheidung K(2006) 4180 für nichtig.

51

Im Rahmen ihres vierten Klagegrundes in der Rechtssache T‑385/06, der die Höhe der Geldbuße betraf, rügte die Klägerin zudem einen Rechenfehler, der einen Zusammenhang mit der Klage in der Rechtssache aufwies, in der das Urteil vom 24. März 2011, IMI u. a./Kommission (T‑378/06, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:109) erging. Die Klägerin warf der Kommission nämlich vor, Acquatis und Simplex zweimal die besondere Schwere der Zuwiderhandlung zugerechnet zu haben, wie sich aus Art. 2 Buchst. a und b der Entscheidung K(2006) 4180 ergebe.

52

Überdies machte die Klägerin ebenfalls im Rahmen des vierten Klagegrundes, der die Höhe der Geldbuße betraf, einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung bei der Bestimmung der Größe des relevanten räumlichen Marktes, einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und gegen die Begründungspflicht bei der Einordnung der Kartellbeteiligten in drei Kategorien je nach deren jeweiligen Marktanteilen und einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Bestimmung der von ihr gehaltenen Marktanteile geltend. Diese Fragen wiesen damit einen sehr engen Zusammenhang mit der Marktsituation der anderen Adressaten der Entscheidung K(2006) 4180 und infolgedessen mit den neun weiteren gegen diese Entscheidung erhobenen Klagen auf. Außerdem wurde die Kommission im November 2009 im Rahmen einer in der Rechtssache T‑385/06 erlassenen prozessleitenden Maßnahme, die mit dem Vorbringen der Klägerin zu ihrem vierten Klagegrund zusammenhing, aufgefordert, eine nicht vertrauliche Version einer Tabelle, die sich in der Anlage der Entscheidung K(2006) 4180 befand, sowie die Daten vorzulegen, auf die sie sich bei der Erstellung dieser Tabelle gestützt hatte.

53

Schließlich rügte die Klägerin im Rahmen ihres fünften Klagegrundes den Mangel an Objektivität und Unparteilichkeit der Kommission sowie die Beweislastumkehr bei den Erklärungen der Unternehmen, die einen Kronzeugenantrag gestellt hatten.

54

Somit wies die Behandlung der Rechtssache T‑385/06 eine unbestreitbare Komplexität auf, da sie eine parallele Prüfung der neun weiteren Klagen, die in mehreren Verfahrenssprachen gegen die Entscheidung K(2006) 4180 erhoben worden waren, erforderte.

55

Daraus folgt, dass die Rechtssache T‑385/06 in Anbetracht der tatsächlichen und rechtlichen Aspekte der in dieser Rechtssache erhobenen Klage und in Anbetracht der Zahl der parallelen Klagen, die gegen die Entscheidung K(2006) 4180 erhoben worden waren, einen erhöhten Grad an Komplexität aufwies.

Verhalten der Parteien und Zwischenstreitigkeiten in der Rechtssache T‑385/06

56

Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass die von der Klägerin am 14. Dezember 2006 in der Rechtssache T‑385/06 eingereichte Klageschrift 75 Seiten umfasste.

57

Das Gericht forderte die Klägerin auf, eine gekürzte Fassung der ursprünglichen Fassung der Klageschrift einzureichen, da Letztere die in den vom Gericht erlassenen Praktischen Anweisungen für die Parteien vom 14. März 2002 (ABl. 2002, L 87, S. 48, im Folgenden: Praktische Anweisungen für die Parteien) vorgegebene Seitenzahl, nämlich 50 Seiten, überschritt.

58

Dementsprechend reichte die Klägerin erst am 13. Februar 2007 eine gekürzte Fassung der ursprünglichen Klageschrift ein. Diese gekürzte Fassung wurde der Kommission zugestellt. Im Übrigen war dieser gekürzten Fassung ein Schreiben beigefügt, in dem die Klägerin darauf hinwies, dass die Zahl der Seiten der gekürzten Fassung, nämlich 65 Seiten, wiederum die in den Praktischen Anweisungen für die Parteien festgelegte Grenze von 50 Seiten überschreite.

59

Zum anderen ist zum Verhalten der Kommission festzustellen, dass sie, nachdem ihr Antrag auf Fristverlängerung abgelehnt worden war, am 3. Mai 2007 ihre 66 Seiten umfassende Klagebeantwortung einreichte. In dem Begleitschreiben zu ihrer Klagebeantwortung erklärte sie, dass die Länge dieser Klagebeantwortung durch die Länge der Klageschrift bedingt sei.

60

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission mit Schriftsatz vom 3. Juli 2007 beantragte, die für die Einreichung der Gegenerwiderung ursprünglich auf den 10. August 2007 festgesetzte Frist bis zum 28. September 2007 zu verlängern. Diesen Antrag stützte sie auf folgende Gründe. Erstens gehöre die Rechtssache T‑385/06 zu einer Gruppe von zehn Klagen, die gegen die Entscheidung K(2006) 4180 in drei verschiedenen Sprachen erhoben worden seien, so dass eine Koordinierung erforderlich sei. Zweitens sei in fünf der zehn in Rede stehenden Rechtssachen den Klägern auf ihren Antrag hin eine Fristverlängerung für die Einreichung ihrer Erwiderung gewährt worden, was zweierlei zur Folge gehabt habe: Zum einen seien der Kommission am 3. Juli 2007 nur fünf Erwiderungen übermittelt worden und zum anderen laufe die Frist für die Einreichung der Gegenerwiderung in den Rechtssachen, in denen diese Verlängerung gewährt worden sei, im August bzw. im September 2007 ab. Drittens müsse die Kohärenz ihrer Gegenerwiderungen gewährleistet sein. Viertens habe das Gericht ihr bereits in vier zusammenhängenden Rechtssachen eine Fristverlängerung gewährt.

61

Aufgrund dessen setzte der Kanzler des Gerichts die Parteien mit Schreiben vom 10. Juli 2007 davon in Kenntnis, dass die Frist für die Einreichung der Gegenerwiderung durch Entscheidung des Präsidenten der Kammer bis zum 28. September 2007 verlängert worden sei. Die Kommission reichte daraufhin am 27. September 2007 eine Gegenerwiderung in der Verfahrenssprache ein. In ihrem Begleitschreiben führte sie aus, dass die Zahl der Seiten der Gegenerwiderung die in den Praktischen Anweisungen für die Parteien vorgeschriebene Länge geringfügig überschreite, was aber hauptsächlich auf die Länge der Erwiderung und die darin enthaltenen Ungenauigkeiten zurückzuführen sei.

62

Nach alledem ist festzustellen, dass in der Rechtssache T‑385/06 das Verhalten der Parteien zur Gesamtdauer des Verfahrens beigetragen hat.

Zur Rüge einer ungerechtfertigten Phase der Untätigkeit in der Rechtssache T‑385/06

63

Zum Ersten ist festzuhalten, dass in der Rechtssache T‑385/06 zwischen dem Ende des schriftlichen Verfahrens durch die Einreichung der Gegenerwiderung der Kommission am 27. September 2007 und der Eröffnung des mündlichen Verfahrens am 28. Oktober 2009 ein Zeitraum von zwei Jahren und einem Monat, d. h. von 25 Monaten, lag.

64

Während dieses Zeitraums wurden insbesondere die Argumente der Parteien zusammengefasst, die Rechtssachen aufbereitet, die Rechtsstreitigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht analysiert und der mündliche Teil des Verfahrens vorbereitet.

65

Im Übrigen betraf die Rechtssache T‑385/06 wie gesagt eine Klage, die gegen eine Entscheidung der Kommission über ein Verfahren nach Art. 101 AEUV erhoben worden war.

66

Klagen, die wie die Klage in der Rechtssache T‑385/06 die Anwendung des Wettbewerbsrechts durch die Kommission betreffen, weisen u. a. wegen der Länge der angefochtenen Entscheidung, des Aktenumfangs und der Notwendigkeit, zahlreiche komplexe Sachverhalte detailliert zu beurteilen, die oft einen langen Zeitraum und ein räumlich großes Gebiet umfassen, einen höheren Grad an Komplexität auf als andere Arten von Rechtssachen.

67

Daher ist ein Zeitraum von 15 Monaten zwischen dem Ende des schriftlichen Verfahrens und der Eröffnung des mündlichen Verfahrens für die Behandlung von Rechtssachen, die wie die Rechtssache T‑385/06 die Anwendung des Wettbewerbsrechts betreffen, grundsätzlich angemessen.

68

Im Übrigen muss berücksichtigt werden, dass gegen die Entscheidung K(2006) 4180 mehrere Klagen erhoben worden waren.

69

Klagen, die gegen ein und dieselbe Entscheidung der Kommission erhoben werden, die aufgrund des Wettbewerbsrechts der Union ergangen ist, erfordern grundsätzlich eine parallele Behandlung, und zwar auch dann, wenn diese Klagen nicht miteinander verbunden sind. Diese parallele Behandlung ist insbesondere wegen des Zusammenhangs dieser Klagen und wegen des Erfordernisses der Kohärenz bei deren Analyse und bei der Entscheidung über sie gerechtfertigt.

70

Daher kann die parallele Behandlung von zusammenhängenden Rechtssachen eine einmonatige Verlängerung des Zeitraums zwischen dem Ende des schriftlichen Verfahrens und der Eröffnung des mündlichen Verfahrens je zusätzlicher in einem solchen Zusammenhang stehenden Rechtssache rechtfertigen.

71

Im vorliegenden Fall waren zehn Klagen gegen die Entscheidung K(2006) 4180 in drei verschiedenen Verfahrenssprachen erhoben worden.

72

Unter diesen Umständen rechtfertigte die Behandlung von neun weiteren Rechtssachen, die Klagen gegen die Entscheidung K(2006) 4180 betrafen, eine Verlängerung des Verfahrens in der Rechtssache T‑385/06 um neun Monate.

73

Deshalb ist festzustellen, dass ein Zeitraum von 24 Monaten (15 Monate plus neun Monate) zwischen dem Ende des schriftlichen Verfahrens und der Eröffnung des mündlichen Verfahrens für die Behandlung der Rechtssache T‑385/06 grundsätzlich angemessen war.

74

Schließlich wurden, wie sich oben aus den Rn. 43 bis 48 ergibt, mit der Klage in der Rechtssache T‑385/06 sämtliche Aspekte der Entscheidung K(2006) 4180, die die Klägerin betrafen, angegriffen und dabei komplexe tatsächliche und rechtliche Fragen aufgeworfen, die in ihrer Gesamtheit vor der Eröffnung des mündlichen Verfahrens geprüft werden mussten. Im Übrigen waren die von den Parteien eingereichten Schriftsätze besonders lang und umfassten umfangreiche Anlagen, die einer eingehenden Untersuchung und Prüfung vor der Eröffnung des mündlichen Verfahrens bedurften, um insbesondere ihren Beweiswert zu beurteilen und die jeweiligen Sachverhalte vollständig zu klären. Wie sich im Übrigen oben aus den Rn. 49 bis 54 ergibt, bestand zwischen der Rechtssache T‑385/06 und den neun weiteren Klagen, die in mehreren verschiedenen Sprachen gegen diese Entscheidung erhoben worden waren, ein enger Zusammenhang. Außerdem musste der Kommission für die Einreichung einer Fassung der Gegenerwiderung in der Arbeitssprache des Gerichtshofs der Europäischen Union eine relative lange Frist gewährt werden.

75

Diese objektiven Umstände können daher eine Verlängerung des Zeitraums zwischen dem Ende des schriftlichen Verfahrens und der Eröffnung des mündlichen Verfahrens in der Rechtssache T‑385/06 um mindestens einen Monat rechtfertigen.

76

Infolgedessen ist festzustellen, dass der Zeitraum von 25 Monaten zwischen dem Ende des schriftlichen Verfahrens und der Eröffnung des mündlichen Verfahrens in der Rechtssache T‑385/06 keine Phase einer ungerechtfertigten Untätigkeit bei der Behandlung dieser Rechtssache aufweist.

77

Zum Zweiten macht die Klägerin nicht geltend, dass die Verfahrensdauer zwischen der Einreichung der Klageschrift und der Einreichung der Gegenerwiderung oder zwischen der Eröffnung des mündlichen Verfahrens und der Verkündung des Urteils vom 24. März 2011, Aalberts Industries u. a./Kommission (T‑385/06, EU:T:2011:114) nicht gerechtfertigt gewesen ist.

78

Jedenfalls ist festzustellen, dass erstens der Zeitraum zwischen der Einreichung der Klageschrift und der Einreichung der Gegenerwiderung durch das Verhalten der Parteien sowie die Komplexität der Rechtssache T‑385/06 gerechtfertigt wird. Zweitens erklärt sich der Zeitraum zwischen der Eröffnung des mündlichen Verfahrens und der Verkündung des Urteils vom 24. März 2011, Aalberts Industries u. a./Kommission (T‑385/06, EU:T:2011:114), ebenfalls durch die tatsächliche und rechtliche Komplexität dieser Rechtssache.

79

Daher ist die Gesamtdauer des Verfahrens in der Rechtssache T‑385/06 unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieser Rechtssache, insbesondere ihrer tatsächlichen und rechtlichen Komplexität, des Verhaltens der Parteien und der Tatsache, dass es keine Phase unerklärlicher Untätigkeit im Laufe der einzelnen Verfahrensabschnitte in dieser Rechtssache gegeben hat, gerechtfertigt.

80

Nach alledem ist in der Rechtssache T‑385/06 ein Verstoß gegen Art. 47 Abs. 2 der Grundrechtecharta und insbesondere die Nichteinhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer auszuschließen.

81

Nach ständiger Rechtsprechung ist die Klage, wenn eine der Voraussetzungen der außervertraglichen Haftung der Union nicht erfüllt ist, insgesamt abzuweisen, ohne dass die übrigen Voraussetzungen dieser Haftung geprüft werden müssen (Urteil vom 14. Oktober 1999, Atlanta/Europäische Gemeinschaft, C‑104/97 P, EU:C:1999:498, Rn. 65, vgl. auch in diesem Sinne Urteil vom 15. September 1994, KYDEP/Rat und Kommission, C‑146/91, EU:C:1994:329, Rn. 81).

82

Die Klage ist daher insgesamt abzuweisen.

Kosten

83

Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

84

In dem Beschluss vom 13. Februar 2015, Aalberts Industries/Europäische Union (T‑725/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:107) wurde die Unzulässigkeitseinrede des Gerichtshofs der Europäischen Union zurückgewiesen und die Kostenentscheidung insoweit vorbehalten. Der Union, vertreten durch den Gerichtshof der Europäischen Union, sind daher neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Klägerin aufzuerlegen, die durch die Unzulässigkeitseinrede des Gerichtshofs der Europäischen Union bedingt sind, die zu dem Beschluss vom 13. Februar 2015, Aalberts Industries/Europäische Union (T‑725/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:107), geführt hat.

85

Dagegen sind der Klägerin, soweit sie mit ihren Klageanträgen in der Sache unterlegen ist, ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Union, vertreten durch den Gerichtshof der Europäischen Union, wie von der Union beantragt, aufzuerlegen.

86

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Demgemäß hat die Kommission ihre eigenen Kosten zu tragen.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Die Europäische Union, vertreten durch den Gerichtshof der Europäischen Union, hat neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Aalberts Industries NV zu tragen, soweit diese Kosten durch die Unzulässigkeitseinrede des Gerichtshofs der Europäischen Union bedingt sind, die zu dem Beschluss vom 13. Februar 2015, Aalberts Industries/Europäische Union (T‑725/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:107), geführt hat.

 

3.

Aalberts Industries hat neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Union, vertreten durch den Gerichtshof der Europäischen Union zu tragen, soweit sie durch die Klage bedingt sind, die zum vorliegenden Urteil geführt hat.

 

4.

Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten.

 

Papasavvas

Labucka

Bieliūnas

Kreuschitz

Forrester

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 1. Februar 2017.

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.

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Referenzen

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