Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-323/15

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

15. März 2017 ( *1 )

„Rechtsmittel — Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH-Verordnung) — Art. 57 Buchst. f — Zulassung — Besonders besorgniserregende Stoffe — Ermittlung — Gleicher Grad der Besorgnis — Cyclohexan‑1,2‑dicarbonsäureanhydrid, cis‑Cyclohexan‑1,2‑dicarbonsäureanhydrid und trans‑Cyclohexan‑1,2‑dicarbonsäureanhydrid“

In der Rechtssache C‑323/15 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 30. Juni 2015,

Polynt SpA mit Sitz in Scanzorosciate (Italien), Prozessbevollmächtigte: C. Mereu und M. Grunchard, avocats,

Rechtsmittelführerin,

unterstützt durch

New Japan Chemical mit Sitz in Osaka (Japan), Prozessbevollmächtigte: C. Mereu und M. Grunchard, avocats,

REACh ChemAdvice GmbH mit Sitz in Kelkheim (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: C. Mereu und M. Grunchard, avocats,

Streithelferinnen im ersten Rechtszug,

andere Parteien des Verfahrens:

Sitre Srl mit Sitz in Mailand (Italien), Prozessbevollmächtigte: C. Mereu und M. Grunchard, avocats,

Klägerin im ersten Rechtszug,

Europäische Chemikalienagentur (ECHA), vertreten durch M. Heikkilä, C. Buchanan, W. Broere und T. Zbihlej als Bevollmächtigte, im Beistand von J. Stuyck, avocaat,

Beklagte im ersten Rechtszug,

unterstützt durch

Königreich der Niederlande, vertreten durch C. Schillemans und M. Bulterman als Bevollmächtigte,

Europäische Kommission, vertreten durch D. Kukovec und K. Mifsud-Bonnici als Bevollmächtigte,

Streithelfer im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Regan, J.‑C. Bonichot, A. Arabadjiev und C. G. Fernlund (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Juni 2016,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. September 2016

folgendes

Urteil

1

Mit ihrem Rechtsmittel beantragt Polynt die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 30. April 2015, Polynt und Sitre/ECHA (T‑134/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:254, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage auf teilweise Nichtigerklärung der Entscheidung ED/169/2012 der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) vom 18. Dezember 2012 über die Aufnahme besonders besorgniserregender Stoffe in die Kandidatenliste (im Folgenden: streitige Entscheidung) gemäß Art. 59 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (ABl. 2006, L 396, S. 1 und Berichtigung ABl. 2007, L 136, S. 3), geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 (ABl. 2008, L 353, S. 1, im Folgenden: REACH-Verordnung), soweit sie Cyclohexan‑1,2‑dicarbonsäureanhydrid (EG Nr. 201‑604‑9), cis‑Cyclohexan-1,2-dicarbonsäureanhydrid (EG Nr. 236‑086‑3) und trans‑Cyclohexan‑1,2‑dicarbonsäureanhydrid (EG Nr. 238‑009‑9) (im Folgenden zusammen: HHPA) betrifft, abgewiesen hat.

Rechtlicher Rahmen

2

Art. 57 („In Anhang XIV aufzunehmende Stoffe“) der REACH-Verordnung sieht vor:

„Folgende Stoffe können nach dem Verfahren des Artikels 58 in Anhang XIV aufgenommen werden:

a)

Stoffe, die die Kriterien für die Einstufung in die Gefahrenklasse Karzinogenität der Kategorie 1A oder 1B gemäß Anhang I Abschnitt 3.6 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 erfüllen;

b)

Stoffe, die die Kriterien für die Einstufung in die Gefahrenklasse Keimzellmutagenität der Kategorie 1A oder 1B gemäß Anhang I Abschnitt 3.5 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 erfüllen;

c)

Stoffe, die wegen Beeinträchtigung der Sexualfunktion und Fruchtbarkeit sowie der Entwicklung die Kriterien für die Einstufung in die Gefahrenklasse Reproduktionstoxizität der Kategorie 1A oder 1B gemäß Anhang I Abschnitt 3.7 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 erfüllen;

d)

Stoffe, die nach den Kriterien des Anhangs XIII der vorliegenden Verordnung persistent, bioakkumulierbar und toxisch sind;

e)

Stoffe, die nach den Kriterien des Anhangs XIII der vorliegenden Verordnung sehr persistent und sehr bioakkumulierbar sind;

f)

Stoffe – wie etwa solche mit endokrinen Eigenschaften oder solche mit persistenten, bioakkumulierbaren und toxischen Eigenschaften oder sehr persistenten und sehr bioakkumulierbaren Eigenschaften, die die Kriterien der Buchstaben d oder e nicht erfüllen – die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt haben, die ebenso besorgniserregend sind wie diejenigen anderer in den Buchstaben a bis e aufgeführter Stoffe, und die im Einzelfall gemäß dem Verfahren des Artikels 59 ermittelt werden.“

3

Art. 58 („Aufnahme von Stoffen in Anhang XIV“) der REACH-Verordnung sieht vor:

„…

(5)   Vorbehaltlich des Absatzes 6 wird ein Stoff nach Aufnahme in Anhang XIV keinen neuen Beschränkungen nach dem Verfahren des Titels VIII aufgrund der Risiken für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt unterworfen, die sich aufgrund der in Anhang XIV aufgeführten inhärenten Eigenschaften aus der Verwendung des Stoffes als solchem, in einem Gemisch oder der Aufnahme eines Stoffes in ein Erzeugnis ergeben.

(6)   Ein in Anhang XIV aufgeführter Stoff darf neuen Beschränkungen nach dem Verfahren des Titels VIII aufgrund der Risiken für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt unterworfen werden, die sich aus dem Vorhandensein des Stoffes in einem Erzeugnis/in Erzeugnissen ergeben.

(7)   Stoffe, für die alle Verwendungen nach Titel VIII oder aufgrund anderer gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften verboten wurden, werden nicht in Anhang XIV aufgenommen oder werden daraus gestrichen.

(8)   Stoffe, die aufgrund neuer Informationen nicht mehr die Kriterien des Artikels 57 erfüllen, werden nach dem in Artikel 133 Absatz 4 genannten Verfahren aus Anhang XIV gestrichen.“

4

Art. 59 („Ermittlung von in Artikel 57 genannten Stoffen“) der REACH-Verordnung sieht vor:

„(1)   Das Verfahren der Absätze 2 bis 10 des vorliegenden Artikels gilt für die Ermittlung von Stoffen, die die Kriterien des Artikels 57 erfüllen, und für die Festlegung einer Liste der für eine Aufnahme in Anhang XIV in Frage kommenden Stoffe. …

(3)   Jeder Mitgliedstaat kann ein Dossier nach Anhang XV für Stoffe ausarbeiten, die seiner Auffassung nach die Kriterien des Artikels 57 erfüllen, und dieses der Agentur übermitteln. …

(7)   Gehen Bemerkungen ein bzw. gibt die Agentur selbst Bemerkungen ab, so überweist sie das Dossier innerhalb von 15 Tagen nach Ablauf der 60-Tage-Frist nach Absatz 5 an den Ausschuss der Mitgliedstaaten.

(8)   Erzielt der Ausschuss der Mitgliedstaaten innerhalb von 30 Tagen nach der Überweisung einstimmig eine Einigung über die Ermittlung, so nimmt die Agentur den Stoff in die in Absatz 1 genannte Liste auf. Die Agentur kann diesen Stoff in ihre Empfehlungen nach Artikel 58 Absatz 3 aufnehmen.

(9)   Gelangt der Ausschuss der Mitgliedstaaten zu keiner einstimmigen Einigung, so arbeitet die Kommission innerhalb von drei Monaten nach Eingang der Stellungnahme des Ausschusses der Mitgliedstaaten einen Entwurf für einen Vorschlag zur Ermittlung des Stoffes aus. Eine endgültige Entscheidung über die Ermittlung des Stoffes wird nach dem in Artikel 133 Absatz 3 genannten Verfahren erlassen.

(10)   Die Agentur veröffentlicht und aktualisiert die Liste nach Absatz 1 unverzüglich auf ihrer Website, nachdem über die Aufnahme eines Stoffes entschieden wurde.“

5

In Art. 60 („Zulassungserteilung“) der REACH-Verordnung heißt es:

„(1)   Entscheidungen über Zulassungsanträge nach diesem Titel trifft die Kommission.

(2)   Unbeschadet des Absatzes 3 wird eine Zulassung erteilt, wenn das Risiko für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt, das sich aus der Verwendung des Stoffes aufgrund der in Anhang XIV aufgeführten inhärenten Eigenschaften ergibt, nach Anhang I Abschnitt 6.4 und wie im Stoffsicherheitsbericht des Antragstellers dokumentiert, unter Berücksichtigung der Stellungnahme des in Artikel 64 Absatz 4 Buchstabe a genannten Ausschusses für Risikobeurteilung angemessen beherrscht wird. Bei der Erteilung der Zulassung und bei den jeweiligen dort festgelegten Bedingungen berücksichtigt die Kommission alle zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannten Einleitungen, Emissionen und Freisetzungen einschließlich der Risiken im Zusammenhang mit einer diffusen oder weit verbreiteten Verwendung.

Die Kommission berücksichtigt nicht die Risiken für die menschliche Gesundheit aus der Verwendung eines Stoffes in einem Medizinprodukt, für das die Richtlinie 90/385/EWG des Rates vom 20. Juni 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über aktive implantierbare medizinische Geräte, die Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte oder die Richtlinie 98/79/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 1998 über In-vitro-Diagnostika gilt.

(3)   Absatz 2 gilt nicht für

a)

Stoffe, die die Kriterien des Artikels 57 Buchstaben a, b, c oder f erfüllen und für die kein Schwellenwert nach Anhang I Abschnitt 6.4 festgelegt werden kann;

b)

Stoffe, die die Kriterien des Artikels 57 Buchstaben d oder e erfüllen;

c)

Stoffe mit persistenten, bioakkumulierbaren und toxischen oder sehr persistenten und sehr bioakkumulierbaren Eigenschaften, die nach Artikel 57 Buchstabe f ermittelt werden.

(4)   In Fällen, in denen die Zulassung nach Absatz 2 nicht erteilt werden kann, oder für die in Absatz 3 aufgeführten Stoffe kann eine Zulassung nur erteilt werden, wenn nachgewiesen wird, dass der sozioökonomische Nutzen die Risiken überwiegt, die sich aus der Verwendung des Stoffes für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt ergeben, und wenn es keine geeigneten Alternativstoffe oder ‑technologien gibt. …“

Vorgeschichte des Rechtsstreits

6

Aus den Rn. 1 bis 3 des angefochtenen Urteils geht hervor, dass HHPA ein zyklisches Säureanhydrid ist. Dieser Stoff ist als Zwischenprodukt oder Monomer für industrielle Zwecke und für die Herstellung von Artikeln oder Zwischenprodukten in der Produktion von Polymerharzen bestimmt. HHPA wurde gemäß Anhang VI Teil 3 Tabelle 3.1 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (ABl. 2008, L 353, S. 1) unter die Inhalationsallergene der Kategorie 1 eingestuft, die beim Einatmen allergische oder asthmaartige Symptome oder Atembeschwerden verursachen können.

7

Aus Rn. 4 des angefochtenen Urteils geht hervor, dass das Königreich der Niederlande am 6. August 2012 der ECHA ein Dossier übermittelte, in dem es vorschlug, HHPA als besonders besorgniserregenden Stoff zu ermitteln, der in Anhang XIV der REACH-Verordnung aufzunehmen ist.

8

Nach Abschluss des Verfahrens gemäß Art. 59 der REACH-Verordnung erließ die ECHA die streitige Entscheidung, mit der sie HHPA als Stoff ermittelte, der die Kriterien des Art. 57 Buchst. f dieser Verordnung erfüllt.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

9

Mit Klageschrift, die am 28. Februar 2013 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob Polynt Klage auf teilweise Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung und auf Verurteilung der ECHA zur Tragung der Kosten.

10

Mit Beschlüssen vom 6. September 2013 sind das Königreich der Niederlande und die Kommission als Streithelfer zur Unterstützung der ECHA zugelassen worden.

11

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht die Klage abgewiesen und Polynt die Kosten auferlegt.

Anträge der Parteien

12

Polynt beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären;

hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Entscheidung über ihre Nichtigkeitsklage an das Gericht zurückzuverweisen;

die ECHA zu verurteilen, die Kosten für die Verfahren vor dem Gerichtshof und dem Gericht zu tragen.

13

Die ECHA beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen und

Polynt zu verurteilen, die Kosten für die Verfahren vor dem Gerichtshof und dem Gericht zu tragen.

14

Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und Polynt die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

Erster bis dritter Rechtsmittelgrund: fehlerhafte Auslegung und Anwendung des Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung

Vorbringen der Parteien

15

Polynt macht geltend, dass in Rn. 71 des angefochtenen Urteils bestätigt werde, dass die ECHA nicht verpflichtet sei, eine Risikobewertung zu berücksichtigen, während in Rn. 73 dieses Urteils das Gegenteil ausgeführt werde. Aufgrund dieses Widerspruchs habe das Gericht Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung fehlerhaft ausgelegt und angewandt.

16

In Rn. 81 dieses Urteils habe das Gericht u. a. das Vorbringen von Polynt zur Notwendigkeit der Berücksichtigung bestehender Risikomanagementmaßnahmen zurückgewiesen, da die inhärenten Eigenschaften ausreichend seien, um die Ermittlung eines Stoffes als besonders besorgniserregend zu rechtfertigen. Polynt bestreitet diese Auslegung von Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung.

17

Polynt macht geltend, dass – anders als es das Gericht in den Rn. 61 und 68 des angefochtenen Urteils festgestellt habe – aus Art. 60 Abs. 2 der REACH-Verordnung nicht hervorgehe, dass der Umstand, dass die mit der Verwendung eines Stoffes verbundenen negativen Auswirkungen auf angemessene Weise kontrolliert werden könnten, seiner Ermittlung als besonders besorgniserregender Stoff nicht entgegenstehe. Die Auslegung des Gerichts widerspreche den „Leitlinien zur Erstellung eines Dossiers nach Anhang XV zur Ermittlung besonders besorgniserregender Stoffe“ in ihrer zum Zeitpunkt der streitigen Entscheidung geltenden Fassung, wie sie in Rn. 49 des angefochtenen Urteils erwähnt seien.

18

Die ECHA und die Kommission sind der Auffassung, dass die Begründung des angefochtenen Urteils nicht widersprüchlich sei. Das Gericht habe das Urteil vom 21. Juli 2011, Etimine (C‑15/10, EU:C:2011:504) korrekt angewandt, als es in Rn. 71 des angefochtenen Urteils entschieden habe, dass Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung keine Risikobewertung vorschreibe. Die ECHA ist der Ansicht, dass allein die Bewertung der durch die inhärenten Eigenschaften eines Stoffes bedingten Gefahren notwendig sei. Die ECHA und die Kommission tragen weiter vor, dass keine normale Risikobewertung für HHPA habe durchgeführt werden können, da es nicht möglich gewesen sei, den Grenzwert, unterhalb dessen der Stoff keine Wirkung ausübe („Derived No-Effect Level“), für diesen Stoff zu definieren.

19

Die ECHA und die Kommission sind der Ansicht, dass das Gericht zu Recht festgestellt habe, dass dann, wenn Stoffe, deren Verwendung beherrscht werden könne, nicht als besonders besorgniserregend ermittelt und in Anhang XIV der REACH-Verordnung aufgenommen werden könnten, Art. 60 Abs. 2 dieser Verordnung seine Bedeutung genommen würde.

Würdigung durch den Gerichtshof

20

Um zu entscheiden, ob – wie Polynt geltend macht – das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, als es in den Rn. 61, 68, 71 und 81 des angefochtenen Urteils entschieden hat, in Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung schreibe – unter Ausschluss jeder Berücksichtigung der Daten zur Exposition von Menschen, die die bestehenden Risikomanagementmaßnahmen widerspiegeln – eine Prüfung der inhärenten Eigenschaften der in Rede stehenden Stoffe vor, ist darauf hinzuweisen, dass es nach Art. 1 Abs. 1 der REACH-Verordnung Zweck dieser Verordnung ist, ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt sicherzustellen, einschließlich der Förderung alternativer Beurteilungsmethoden für von Stoffen ausgehende Gefahren, sowie den freien Verkehr von Stoffen im Binnenmarkt zu gewährleisten und gleichzeitig Wettbewerbsfähigkeit und Innovation zu verbessern. Dazu wird mit der REACH-Verordnung ein integriertes System zur Kontrolle chemischer Stoffe eingeführt, das ihre Registrierung, Bewertung und Zulassung sowie gegebenenfalls Beschränkungen ihrer Verwendung umfasst.

21

Wie insbesondere in den Erwägungsgründen 69 und 70 der REACH-Verordnung betont wird, sollte bei „besonders besorgniserregenden“ Stoffen mit großer Umsicht vorgegangen werden. Diese Stoffe sind daher einem Zulassungsverfahren gemäß Titel VII dieser Verordnung unterworfen. Nach Art. 55 dieser Verordnung ist es Zweck dieses Zulassungsverfahrens, „sicherzustellen, dass der Binnenmarkt reibungslos funktioniert und gleichzeitig die von besonders besorgniserregenden Stoffen ausgehenden Risiken ausreichend beherrscht werden und dass diese Stoffe schrittweise durch geeignete Alternativstoffe oder ‑technologien ersetzt werden, sofern diese wirtschaftlich und technisch tragfähig sind“.

22

Erste Phase dieses Zulassungsverfahrens ist das Verfahren zur Ermittlung besonders besorgniserregender Stoffe auf der Grundlage der Kriterien des Art. 57 der REACH-Verordnung. Die zweite Phase ist die Aufnahme dieser Stoffe in das Verzeichnis der zulassungspflichtigen Stoffe nach Anhang XIV dieser Verordnung, und die dritte und letzte Phase betrifft das Verfahren, das gegebenenfalls zur Erteilung der Zulassung eines besonders besorgniserregenden Stoffes führt.

23

Für die Ermittlung der Stoffe, die in das Verzeichnis der zulassungspflichtigen Stoffe nach Anhang XIV der REACH-Verordnung aufgenommen werden sollen, werden in Art. 57 dieser Verordnung verschiedene Situationen unterschieden.

24

Art. 57 Buchst. a bis c dieser Verordnung zielt zunächst auf die Stoffe, die die Kriterien für die Einstufung in die Gefahrenklassen Karzinogenität, Keimzellmutagenität oder Reproduktionstoxizität der Kategorie 1A oder 1B gemäß den Abschnitten 3.5 bis 3.7 des Anhangs I der Verordnung Nr. 1272/2008 erfüllen (im Folgenden: CMR). Sodann betrifft dieser Art. 57 in seinen Buchst. d und e die Stoffe, die nach den Kriterien des Anhangs XIII der REACH-Verordnung persistent, bioakkumulierbar und toxisch (im Folgenden: PBT) oder sehr persistent und sehr bioakkumulierbar (im Folgenden: vPvB) sind. Diese Kriterien beruhen auf der Bewertung der von diesen Stoffen ausgehenden Gefahren. Schließlich erfasst Art. 57 Buchst. f dieser Verordnung alle anderen Stoffe, die nicht die vorstehenden Kriterien erfüllen, die aber „nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt haben, die ebenso besorgniserregend sind wie diejenigen anderer in den Buchstaben a bis e aufgeführter Stoffe, und die im Einzelfall gemäß dem Verfahren des Artikels 59 ermittelt werden“.

25

Somit ist seinem Wortlaut zu entnehmen, dass Art. 57 der REACH-Verordnung in Bezug auf die in Rede stehenden Stoffe keine Risikobeurteilung vorschreibt, die der im Rahmen des Bewertungsverfahrens nach Anhang I Abschnitt 6 der REACH-Verordnung oder im Rahmen des Zulassungsverfahrens nach Art. 64 Abs. 4 dieser Verordnung oder im Fall des Verfahrens für Beschränkungen nach Art. 70 der Verordnung entspricht. Darüber hinaus ist in Art. 57 in Buchst. f ein autonomes Verfahren vorgesehen, mit dem Stoffe als besonders besorgniserregend ermittelt werden können, die nach der genannten Bestimmung noch nicht als solche ermittelt worden sind.

26

Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung setzt für die Ermittlung von Stoffen, die nicht die Kriterien der Einstufung CMR, PBT oder vPvB erfüllen, voraus, dass auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse für jeden Einzelfall zum einen festgestellt wird, dass die in Rede stehenden Stoffe wahrscheinlich schwerwiegende Wirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt haben, und zum anderen, dass diese Wirkungen „ebenso besorgniserregend“ wie diejenigen der CMR‑, PBT‑ oder vPvB-Stoffe sind. Diese Voraussetzungen sind kumulativ, so dass die Ermittlung eines Stoffes als besonders besorgniserregend ausgeschlossen ist, sofern eine dieser Voraussetzungen fehlt.

27

Die erste Voraussetzung verlangt, dass die Wirkungen des Stoffes auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt beispielsweise wegen ihrer Bedeutung oder ihrer Unumkehrbarkeit als „schwerwiegend“ betrachtet werden können. Die Prüfung dieser Voraussetzung beruht auf einer Bewertung der Gefahren für die Gesundheit oder die Umwelt anhand der relevanten Teile von Anhang I Abschnitte 1 bis 4 der REACH-Verordnung, wie es in Anhang XV Abschnitt 2 dieser Verordnung heißt. Es ist daher offensichtlich, dass diese erste Voraussetzung des Art. 57 Buchst. f dieser Verordnung eine Prüfung der durch die inhärenten Eigenschaften des in Rede stehenden Stoffes bedingten Gefahren verlangt.

28

Insoweit ist die Einstufung eines Stoffes nach Anhang I der Verordnung Nr. 1272/2008 ein relevanter, aber kein entscheidender Faktor. Gehört ein Stoff zu einer der in der Verordnung vorgesehenen Klassen der Gefahren für die Gesundheit oder die Umwelt, kann dieser Umstand ausreichen, um die Wahrscheinlichkeit „schwerwiegende[r] Wirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt“ zu belegen. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 61 und 63 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, ist die Zugehörigkeit zu einer Gefahrenklasse jedoch weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung in dieser Hinsicht.

29

Aus der Struktur des Art. 57 der REACH-Verordnung ergibt sich nämlich, dass der Unionsgesetzgeber zum einen der Auffassung war, dass nicht alle besonders besorgniserregenden Stoffe notwendigerweise zu den Gefahrenklassen nach Anhang I der Verordnung Nr. 1272/2008 gehören. So erfasst der Anwendungsbereich von Art. 57 Buchst. f ausdrücklich Stoffe mit endokriner Wirkung, obwohl diese Art der Wirkungen zu keiner der Gefahrenklassen dieses Anhangs gehört.

30

Zum anderen war der Unionsgesetzgeber der Ansicht, dass nicht alle in Anhang I der Verordnung Nr. 1272/2008 vorgesehenen Gefahrenklassen notwendigerweise besonders besorgniserregend sind. Nicht vorgesehen zu haben, dass alle Inhalationsallergene – wie es für die CMR-Stoffe vorgesehen ist – als besonders besorgniserregende Stoffe betrachtet werden, obwohl diese Stoffe zu einer solchen Gefahrenklasse gehören, zeigt, dass es Absicht des Unionsgesetzgebers war, das Zulassungsverfahren nach einer Einzelfallprüfung nur für bestimmte Stoffe vorzusehen und nicht auf alle als für die Gesundheit oder die Umwelt gefährlich eingestuften Stoffe anzuwenden.

31

Was die zweite Voraussetzung des Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung anbelangt, ist wissenschaftlich nachzuweisen, dass diese Wirkungen „ebenso besorgniserregend“ wie diejenigen der CMR‑, PBT‑ oder vPvB-Stoffe sind.

32

Insoweit ist hervorzuheben, dass in Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung hinsichtlich der Art der Besorgnis, die für die Ermittlung anderer Stoffe als CMR‑, PBT‑ oder vPvB-Stoffe berücksichtigt werden kann, weder Kriterien festgelegt werden noch genaue Angaben enthalten sind. Unter diesen Umständen ist zu klären, ob – wie Polynt geltend macht – das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, als es entschieden hat, dass der in Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung verwendete Ausdruck „besorgniserregend“ sich nur auf die Prüfung der durch die inhärenten Eigenschaften des in Rede stehenden Stoffes bedingten Gefahren bezieht und jede andere Erwägung ausgeschlossen ist.

33

Wäre dies die Absicht des Unionsgesetzgebers gewesen, dann wäre es ausreichend gewesen, in Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung etwa vorzusehen, dass Stoffe als besonders besorgniserregend ermittelt werden können, für die wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass sie „ebenso schwerwiegende Wirkungen“ wie CMR‑, PBT‑ oder vPvB-Stoffe oder „Wirkungen gleicher Schwere“ wie diese Stoffe haben.

34

Dem Wortlaut von Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung, wonach die Ermittlung anderer Stoffe als CMR‑, PBT‑ oder vPvB-Stoffe nur möglich ist in Bezug auf solche Stoffe, deren schwerwiegende Wirkungen „ebenso besorgniserregend“ sind wie die der CMR‑, PBT‑ oder vPvB-Stoffe, ist jedoch zu entnehmen, dass der Anwendungsbereich dieser Vorschrift die Möglichkeit umfasst, für den Vergleich Faktoren zu berücksichtigen, die über die durch die inhärenten Eigenschaften des in Rede stehenden Stoffes bedingten Gefahren allein hinausgehen.

35

In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die Anwendung des Zulassungsverfahrens voraussetzt, dass zuvor die Kriterien nach Art. 57 der REACH-Verordnung erfüllt sind. Sobald ein Stoff als besonders besorgniserregend ermittelt wurde, unterfällt er dem Zulassungsverfahren, obwohl seine formelle Aufnahme in das Verzeichnis der zulassungspflichtigen Stoffe abhängig von der Priorität, die die ECHA dem Stoff beimisst, gemäß Art. 58 dieser Verordnung zeitlich aufgeschoben werden kann.

36

Für einen Stoff, der nicht in die Gefahrenkategorien CMR, PBT oder vPvB fällt, die vom Gesetzgeber ausdrücklich als besonders besorgniserregend eingestuft wurden, impliziert seine Ermittlung als solcher nach Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung wegen des gleichen Grades der Besorgnis wie bei CMR‑, PBT‑ oder vPvB-Stoffen auch, dass sichergestellt wird, dass unter den verschiedenen Verfahren dieser Verordnung das Zulassungsverfahren durchgeführt wird, damit die Risiken, die sich aus der Verwendung des Stoffes ergeben, kontrolliert werden können. Diese Festlegung setzt die Berücksichtigung einer größeren Bandbreite von Faktoren voraus, als sie für eine einfache technische Aufgabe der Einstufung der Wirkungen oder der inhärenten Eigenschaften eines Stoffes relevant sind.

37

Insoweit ist zu den Gefahren für die menschliche Gesundheit darauf hinzuweisen, dass die CMR-Stoffe die einzigen sind, die schon aufgrund ihrer Einstufung gemäß Anhang I der Verordnung Nr. 1272/2008 als besonders besorgniserregend einzustufen sind und somit dem Zulassungsverfahren unterliegen. Aus den Vorarbeiten, die zum Erlass der REACH-Verordnung führten, insbesondere aus Punkt 1.7 des Vorschlags des Europäischen Parlaments und des Rates (SEK[2003] 1171) ergibt sich, dass diese Behandlung aufgrund „der im Allgemeinen so schwerwiegenden und normalerweise irreversiblen Wirkungen der [CMR-]Stoffe der Kategorie 1 und 2 … gerechtfertigt [ist], denn hier heißt es: vorsorgen statt heilen“.

38

Der Unionsgesetzgeber war also der Auffassung, dass die Wirkungen dieser Stoffe auf die menschliche Gesundheit von Natur aus so besorgniserregend sind, dass es gerechtfertigt ist, diese von allen anderen Stoffen abzugrenzen, einschließlich der Stoffe anderer Gefahrenklassen, die zum Tod oder anderen irreversiblen Wirkungen führen können. So haben die ECHA und die Kommission in Beantwortung der schriftlichen Fragen des Gerichtshofs dargelegt, dass der Grad der Besorgnis bei den CMR-Stoffen nicht nur aus der Schwere ihrer Wirkungen, die oft unumkehrbar sind, sondern auch aus den Folgen dieser Wirkungen für die Gesellschaft und den Schwierigkeiten herrührt, eine Bewertung ihrer Risiken auf der Grundlage einer Wirkungsschwelle durchzuführen.

39

Dies zeigt, dass mit der REACH-Verordnung bezweckt wird, das Zulassungsverfahren bestimmten Stoffen vorzubehalten, die – nicht nur wegen der Schwere ihrer für die Gesundheit oder die Umwelt gefährlichen Wirkungen, sondern auch unter Berücksichtigung anderer Faktoren – als besonders besorgniserregend ermittelt wurden. Die zuletzt genannten Faktoren können über die Wahrscheinlichkeit hinaus, dass die schwerwiegenden Wirkungen eines Stoffes unter den normalen Umständen seiner Anwendung hervortreten, auch die Schwierigkeit umfassen, in angemessener Weise die durch diese Stoffe hervorgerufenen Risiken zu bewerten, wenn es nicht möglich ist, mit der notwendigen Sicherheit den Grenzwert, unterhalb dessen der Stoff keine Wirkung ausübt, oder die abgeschätzte Nicht-Effekt-Konzentration festzustellen, oder auch den Grad der Besorgnis, den diese Stoffe in der Öffentlichkeit hervorrufen, die Zahl der betroffenen Personen sowie die Auswirkungen dieser Wirkungen auf das Leben, insbesondere das Berufsleben, der betroffenen Personen.

40

Indem Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung regelt, dass im Einzelfall Stoffe ermittelt werden können, wenn ihre schwerwiegenden Wirkungen auf die menschliche Gesundheit „ebenso besorgniserregend“ wie diejenigen der CMR-Stoffe sind, untersagt er also nicht die Berücksichtigung anderer Daten als derjenigen in Bezug auf die durch die inhärenten Eigenschaften der in Rede stehenden Stoffe bedingten Gefahren.

41

Entgegen dem Vorbringen der ECHA und der Kommission hat im Rahmen der Prüfung der zweiten in Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung genannten Voraussetzung die Berücksichtigung der Daten zur Exposition von Menschen, die – soweit vorhanden – die bestehenden Risikomanagementmaßnahmen widerspiegeln, nicht zur Folge, dass die Ermittlung eines Stoffes als besonders besorgniserregend unmöglich würde und Art. 60 Abs. 2 dieser Verordnung seine Bedeutung verlieren würde. Die Berücksichtigung dieser Daten gestattet es, für andere Stoffe als CMR‑, PBT‑ oder vPvB-Stoffe zu präzisieren, welche Faktoren vorliegen müssen, damit das Zulassungsverfahren – im Licht der Gesamtheit der verfügbaren Daten – im Hinblick auf die Besorgnis wegen ihrer schwerwiegenden Wirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf die Umwelt am besten geeignet erscheint.

42

Diese Daten sind in jedem Fall im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nach Anhang XV der REACH-Verordnung erforderlich. Abschnitt 2 dieses Anhangs sieht nämlich unter der Überschrift „Informationen über Expositionen, Ersatzstoffe und Risiken“ vor, dass die „verfügbaren Informationen über Verwendung und Exposition sowie Informationen über Alternativstoffe oder ‑technologien … anzugeben [sind]“.

43

Darüber hinaus weist auch das Dokument der ECHA mit dem Titel „Leitlinien zur Erstellung eines Dossiers nach Anhang XV zur Ermittlung besonders besorgniserregender Stoffe“, das in Rn. 49 des angefochtenen Urteils erwähnt wird und den Zweck hat, den Mitgliedstaaten und der ECHA technische Leitlinien zur Erstellung von Dossiers zur Stützung eines Vorschlags für die Ermittlung eines Stoffes als besonders besorgniserregend nach dem in Art. 59 der REACH-Verordnung vorgesehenen Verfahren bereitzustellen, in seinem Abschnitt 3.3.3.2 darauf hin, dass Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung nicht die Berücksichtigung anderer Daten als derjenigen in Bezug auf die durch die inhärenten Eigenschaften der in Rede stehenden Stoffe bedingten Gefahren untersagt.

44

Das Gericht hat daher rechtsfehlerhaft festgestellt, dass Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung grundsätzlich jegliche Berücksichtigung anderer Daten als derjenigen in Bezug auf die durch die inhärenten Eigenschaften des in Rede stehenden Stoffes bedingten Gefahren, wie die Daten zur Exposition von Menschen, die die bestehenden Risikomanagementmaßnahmen widerspiegeln, ausschließt.

45

Es ist jedoch festzustellen, dass dieser Rechtsfehler nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen kann. Trotz dieser fehlerhaften Auslegung des Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung hat das Gericht nämlich anschließend dennoch in den Rn. 59 und 60, 74 bis 77 sowie 82, 87 und 88 des angefochtenen Urteils die von den Klägerinnen hierzu vorgelegten Daten geprüft, um sie als nicht schlüssig zu bewerten.

46

Insoweit ist daran zu erinnern, dass es allein Sache des Gerichts ist, den Wert der ihm vorgelegten Beweise zu beurteilen. Diese Beurteilung ist somit, sofern die Beweise nicht verfälscht werden, keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs unterliegt.

47

Zur Kontrolle dieser Tatsachenwürdigungen ist der Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren nicht befugt, und da Polynt keine Verfälschung der Beweise, auf denen sie beruhen, geltend macht, sind folglich die Rechtsmittelgründe 1 bis 3 als ins Leere gehend zurückzuweisen.

Vierter Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler in der Würdigung des Vorbringens zur fehlenden Exposition von Verbrauchern oder Arbeitnehmern gegenüber dem Stoff, was zu einer fehlerhaften Anwendung des Art. 57 Buchst. f der REACH-Verordnung geführt habe

Vorbringen der Parteien

48

Polynt rügt die Begründung, mit der das Gericht ihr Vorbringen in Bezug auf das fehlende Risiko der Exposition von Verbrauchern oder Arbeitnehmern gegenüber HHPA dank der Risikomanagementmaßnahmen und geltenden Rechtsvorschriften zurückgewiesen habe, indem es in Rn. 67 des angefochtenen Urteils urteilte, dass nicht jede Exposition gegenüber diesem Stoff ausgeschlossen werden könne. Diese Begründung, die Polynt in der mündlichen Verhandlung als einer unerfüllbaren Beweislast gleichkommend gerügt hat, weiche von der Rechtsprechung ab, nach der es im Rahmen einer Risikobewertung, die das Vorsorgeprinzip anwende, kein Risikoniveau „Null“ gebe (Urteil vom 11. September 2002, Pfizer Animal Health/Rat, T‑13/99, EU:T:2002:209, Rn. 145).

49

Die ECHA und die Kommission beantragen, den vierten Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Würdigung durch den Gerichtshof

50

In Rn. 67 des angefochtenen Urteils hat das Gericht zum einen darauf hingewiesen, dass die Klägerinnen eingeräumt hätten, dass nicht jede Exposition von Menschen gegenüber HHPA ausgeschlossen werden könne, da geringe Mengen von nicht reagiertem HHPA noch in den für Verbraucher bestimmten Endprodukten enthalten sein könnten, und zum anderen an verschiedene diesbezügliche Feststellungen der ECHA in dem in Rn. 55 des angefochtenen Urteils erwähnten Unterstützungsdokument erinnert, insbesondere an den Umstand, dass die Exposition gegenüber HHPA selbst bei einem verhältnismäßig niedrigen Expositionsgrad zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Form von Atembeschwerden bei den Arbeitnehmern führt.

51

Entgegen der Auffassung von Polynt hat das Gericht keinen Beweis eines Risikoniveaus „Null“ verlangt. In Rn. 67 des angefochtenen Urteils, die in ihrem Kontext zu lesen ist, werden nämlich nur bestimmte Tatsachenfeststellungen dargelegt und auf die einschlägigen Abschnitte des Unterstützungsdokuments der ECHA verwiesen.

52

Da Polynt weder die materielle Unrichtigkeit der Tatsachenfeststellungen des Gerichts noch die Verfälschung der Beweise, auf die das Gericht Bezug genommen hat, gerügt hat, ist festzustellen, dass der vierte Rechtsmittelgrund gegen Feststellungen tatsächlicher Art gerichtet ist, für die allein das Gericht zuständig ist.

53

Der vierte Rechtsmittelgrund ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

54

Nach alledem ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

Kosten

55

Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entscheidet dieser über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der gemäß deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

56

Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

57

Nach Art. 184 Abs. 4 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof entscheiden, dass einer erstinstanzlichen Streithilfepartei, die am schriftlichen oder mündlichen Verfahren vor dem Gerichtshof teilgenommen hat, ihre eigenen Kosten auferlegt werden können.

58

Da die ECHA die Verurteilung von Polynt zur Tragung der Kosten beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind Polynt die Kosten aufzuerlegen.

59

Das Königreich der Niederlande und die Kommission, Streithelfer im ersten Rechtszug, tragen ihre eigenen Kosten.

60

New Japan Chemical und REACh ChemAdvice, Streithelferinnen im ersten Rechtszug, tragen ihre eigenen Kosten.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

 

2.

Die Polynt SpA trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA).

 

3.

Das Königreich der Niederlande und die Europäische Kommission tragen ihre eigenen Kosten.

 

4.

Die New Japan Chemical und REACh ChemAdvice GmbH tragen ihre eigenen Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

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