Urteil vom Europäischer Gerichtshof - T-28/16

URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)

3. April 2017 ( *1 )

„EGFL und ELER — Von der Finanzierung ausgeschlossene Ausgaben — Entwicklung des ländlichen Raums — Flurbereinigungen und Dorferneuerungen — Auswahlkriterien für Vorhaben — Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit — Subsidiarität — Berechtigtes Vertrauen — Verhältnismäßigkeit — Begründungspflicht“

In der Rechtssache T‑28/16

Bundesrepublik Deutschland, zunächst vertreten durch T. Henze und A. Lippstreu, dann durch T. Henze und D. Klebs als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch J. Aquilina und B. Eggers als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend einen auf Art. 263 AEUV gestützten Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 1 und des Anhangs des Durchführungsbeschlusses (EU) 2015/2098 der Europäischen Kommission vom 13. November 2015 über den Ausschluss bestimmter von den Mitgliedstaaten zulasten des Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) und des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) getätigter Ausgaben von der Finanzierung durch die Europäische Union (ABl. 2015, L 303, S. 35), soweit darin von der zuständigen Zahlstelle der Bundesrepublik Deutschland zulasten des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) geleistete Zahlungen in Höhe von insgesamt 7719920,30 Euro von der Finanzierung durch die Union ausgeschlossen werden,

erlässt

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Prek sowie des Richters F. Schalin (Berichterstatter) und der Richterin J. Costeira,

Kanzler: S. Bukšek Tomac, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2016

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1

Gemäß Art. 15 der Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 des Rates vom 20. September 2005 über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) (ABl. 2005, L 277, S. 1) wirkt der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) in den Mitgliedstaaten in Form von Entwicklungsprogrammen für den ländlichen Raum, die ein Bündel von regionalen Programmen umfassen können, was in Deutschland aufgrund der föderalen Struktur dieses Mitgliedstaats der Fall ist.

2

Für den Programmplanungszeitraum 2007-2013 wurde das Entwicklungsprogramm für den Freistaat Bayern (Deutschland) mit dem Titel „Bayerisches Zukunftsprogramm Agrarwirtschaft und Ländlicher Raum 2007-2013 aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds (ELER) gemäß Verordnung (EG) Nr. 1698/2005“ (im Folgenden: BayZAL), das Flurbereinigungs- und Dorferneuerungsmaßnahmen umfasst, der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vorgelegt, die es mit der Entscheidung K(2007) 3994 endg. vom 5. September 2007 (im Folgenden: Entscheidung vom 5. September 2007) genehmigte. Sie sieht eine Finanzierung durch den ELER in einer Gesamthöhe von bis zu 1253943708 Euro für den gesamten Programmplanungszeitraum vor.

3

Nach einer ersten, von ihren Dienststellen vom 2. bis 6. März 2009 durchgeführten Prüfung war die Kommission der Ansicht, dass es in den Jahren 2007 und 2008 Versäumnisse bei der Anwendung der Auswahlkriterien für die durch den ELER unterstützten Vorhaben der Flurbereinigung und Dorferneuerung in Bayern gegeben habe und dass dies ein Mangel eines Schlüsselkriteriums sei. Am Ende des Verfahrens, das insbesondere die Befassung der in der Verordnung (EG) Nr. 885/2006 der Kommission vom 21. Juni 2006 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung Nr. 1290/2005 des Rates hinsichtlich der Zulassung der Zahlstellen und anderen Einrichtungen sowie des Rechnungsabschlusses für den EGFL und den ELER (ABl. 2006, L 171, S. 90) vorgesehenen Schlichtungsstelle umfasste, setzte die Kommission eine finanzielle Berichtigung für die vom ELER in den Jahren 2007 und 2008 unterstützten Projekte fest, die einer pauschalen Anlastung in Höhe von 10 %, d. h. 1040620,50 Euro, entsprach.

4

Vom 8. bis 12. Juli 2013 führten die Dienststellen der Kommission eine zweite, insbesondere die Umsetzung der Flurbereinigungen und Dorferneuerungen im Rahmen des BayZAL betreffende Prüfung durch, um das in Bayern geschaffene Verwaltungs- und Kontrollsystem zu überprüfen.

5

Mit Schreiben vom 3. September 2013 teilte die Kommission den deutschen Behörden das Ergebnis der Prüfung mit. Sie stellte Mängel bei der Festlegung oder Anwendung von Auswahlkriterien für die vom ELER in Bayern unterstützten Vorhaben fest, und zwar sowohl für die Jahre 2007 und 2008, die bereits zu einer Berichtigung geführt hatten, als auch für die Jahre 2009 bis 2012 sowie ab 2013. Zwischen den Dienststellen der Kommission und den deutschen Behörden fand ein bilaterales Gespräch statt. Ferner wurde ein zweites Schlichtungsverfahren gemäß Art. 16 der Verordnung Nr. 885/2006 eingeleitet, das jedoch zu keinem Ergebnis führte.

6

Am 13. November 2015 nahm die Kommission schließlich den Durchführungsbeschluss (EU) 2015/2098 über den Ausschluss bestimmter von den Mitgliedstaaten zulasten des Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) und des ELER getätigter Ausgaben von der Finanzierung durch die Europäische Union (ABl. 2015, L 303, S. 35, im Folgenden: angefochtener Beschluss) an, mit dem sie eine pauschale Berichtigung in Höhe von 10 % der von den deutschen Behörden in Bayern getätigten Ausgaben für die Jahre 2009 bis 2014 vornahm. Nach Korrektur der Berechnungsgrundlagen – die Kommission hatte zunächst eine Berichtigung in Höhe von 11046145,96 Euro vorgesehen – belief sich der endgültige Betrag der Berichtigung auf 7719920 Euro.

7

Die Rügen der Kommission, auf die der Erlass des angefochtenen Beschlusses zurückzuführen ist, finden sich in dem von der Schlichtungsstelle im Rahmen ihrer Befassung durch die deutschen Behörden nach der zweiten Prüfung erstellten Bericht vom 12. Juni 2015 und im zusammenfassenden Bericht der Kommission vom 19. Oktober 2015 (im Folgenden: zusammenfassender Bericht). Diese Rügen können im Wesentlichen wie folgt zusammengefasst werden.

8

Die Flurbereinigungen und Dorferneuerungen in Bayern werden nach den Angaben der deutschen Behörden in drei Phasen durchgeführt:

Die erste Phase, die Initial- und Beratungsphase, ermöglicht die Zusammenführung der regionalen, kommunalen oder lokalen Akteure, um sie anzuhören, die Ziele und Aufgabenstellungen zu klären und festzustellen, ob die verschiedenen Akteure bereit sind, den Prozess weiterzuverfolgen und auf die Hilfemöglichkeiten zurückzugreifen. Diese Phase wird von den zuständigen Regionalbehörden – im vorliegenden Fall die Ämter für ländliche Entwicklung – eingeleitet, wenn sie ein Flurbereinigungs- oder Dorferneuerungsverfahren für erforderlich halten und es ihrer Ansicht nach im Interesse der Beteiligten durchgeführt werden muss.

Die zweite Phase umfasst die Entscheidung der Ämter für ländliche Entwicklung über die Durchführung der Flurbereinigung oder der Dorferneuerung, was zur Entstehung einer aus Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten bestehenden Teilnehmergemeinschaft führt, die Antragsteller und Zuwendungsempfänger sein wird.

Die dritte Phase umfasst die Detailplanung und die konkrete Durchführung der Flurbereinigung oder Dorferneuerung in den betroffenen Bereichen.

9

Nach Ansicht der Kommission sind in den Jahren 2007 und 2008 die Flurbereinigungs- und Dorferneuerungsvorhaben erstens nicht – wie in Art. 71 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1698/2005 vorgesehen – auf der Grundlage vom zuständigen Gremium festgelegter Auswahlkriterien genehmigt worden.

10

Zweitens seien in Bezug auf die Jahre 2009 bis 2012 die Kriterien für die Auswahl der Projekte, wie sie ursprünglich im BayZAL aufgeführt gewesen seien, mit Entscheidung des aufgrund von Art. 77 der Verordnung Nr. 1698/2005 eingesetzten und für die Prüfung der Auswahlkriterien während des Programmplanungszeitraums 2007-2013 zuständigen Begleitausschusses vom 22. Dezember 2008 (im Folgenden: Entscheidung vom 22. Dezember 2008) zwar für die erste und die zweite Phase der Flurbereinigungs- und Dorferneuerungsvorhaben geändert worden. Diese Kriterien seien aber nicht geeignet, um Projekte aus den förderfähigen Projekten auszuwählen, da keine Rangfolge dieser Projekte aufgestellt worden und ihre Auswahl unklar und daher intransparent sei. Ferner habe es kein Auswahlkriterium gegeben, um über die Eröffnung der Verfahren zu entscheiden. Diese Verfahren bestünden aus verschiedenen Projekten oder Vorhaben, die zum Zeitpunkt der sie betreffenden Entscheidung nicht bekannt seien, so dass sie erst in den Jahren nach der Eröffnung des Verfahrens genehmigt würden.

11

Was drittens das Jahr 2013 anbelange, seien im Dezember 2012 neue Auswahlkriterien genehmigt worden, die auch auf das Vorauswahlverfahren, d. h. die Auswahl der in Bayern durchgeführten Verfahren, Anwendung fänden. Die Umsetzung der Auswahlkriterien erfolge anhand von drei Checklisten:

Checkliste A enthalte die Auswahlkriterien, die die Kontrolle ermöglichten, ob das Verfahren als mit dem Arbeitsprogramm des BayZAL vereinbar betrachtet und in dieses aufgenommen werden könne.

Checkliste B enthalte die Auswahlkriterien, die die Kontrolle ermöglichten, ob die Durchführung eines Verfahrens oder eines Vorhabens, das in das Arbeitsprogramm aufgenommen werden könne, beginnen könne.

Checkliste C enthalte die Auswahlkriterien, die die Auswahl eines Projekts ermöglichten.

12

Die Erstellung der Checkliste C wurde im Dezember 2008 beschlossen, und sie wurde ab 2009 angewandt. Die Checklisten A und B wurden 2013 erstellt und rückwirkend auf alle Verfahren und Projekte ab 2009 angewandt.

13

Die Kommission hält diese Checklisten aber nach wie vor für unzureichend, insbesondere deshalb, weil sie noch immer keine Rangfolge der in Bayern durchgeführten Verfahren enthielten und nicht auf die Verfahren Anwendung fänden, über deren Einleitung noch nicht entschieden sei, so dass die Auswahl der Vorhaben und Projekte in dieser Phase weiterhin nicht transparent sei.

Verfahren und Anträge der Parteien

14

Mit Klageschrift, die am 26. Januar 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Bundesrepublik Deutschland die vorliegende Klage erhoben.

15

Die Klagebeantwortung, die Erwiderung und die Gegenerwiderung sind am 8. April, am 25. Mai und am 7. Juli 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen.

16

Die Bundesrepublik Deutschland beantragt,

Art. 1 und den Anhang des angefochtenen Beschlusses für nichtig zu erklären, soweit darin von ihrer zuständigen Zahlstelle zulasten des ELER geleistete Zahlungen in Höhe von insgesamt 7719920,30 Euro von der Finanzierung durch die Europäische Union ausgeschlossen werden;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

17

Die Kommission beantragt,

die Klage abzuweisen;

der Bundesrepublik Deutschland die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

18

Die Bundesrepublik Deutschland macht im Rahmen der Klage vier Klagegründe geltend.

19

Erstens rügt sie, dass die Kommission einen Rechtsfehler in Form der Verletzung von Art. 71 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 1698/2005 begangen habe, da sie die Voraussetzungen dieser Verordnung für die Zuschussfähigkeit der im Rahmen des ELER berücksichtigten Ausgaben missachtet habe.

20

Zweitens habe die Kommission gegen das aus Art. 6 der Verordnung Nr. 1698/2005 resultierende Partnerschaftsprinzip, den in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und den Grundsatz des Vertrauensschutzes verstoßen, weil sie eine Praxis, die sie genehmigt bzw. der sie nicht widersprochen habe, als unzulässig eingestuft habe.

21

Drittens habe die Kommission durch einen Eingriff in die Verfahrensautonomie und die Planungshoheit der Mitgliedstaaten im Bereich Raumordnung gegen das in Art. 5 EUV verankerte Subsidiaritätsprinzip verstoßen.

22

Viertens habe die Kommission Art. 52 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über die Finanzierung, die Verwaltung und das Kontrollsystem der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 352/78, (EG) Nr. 165/94, (EG) Nr. 2799/98, (EG) Nr. 814/2000, (EG) Nr. 1290/2005 und (EG) Nr. 485/2008 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 549), Art. 31 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1290/2005 des Rates vom 21. Juni 2005 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (ABl. 2005, L 209, S. 1) und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, indem sie bei der von ihr vorgenommenen pauschalen Berichtigung von 10 % zum einen die Art und die allenfalls geringe Tragweite eines etwaigen Verstoßes im Zusammenhang mit den Auswahlkriterien nicht angemessen gewürdigt sowie zum anderen den Umstand außer Acht gelassen habe, dass der Union weder ein finanzieller Schaden entstanden sei noch ein reales Risiko für den Eintritt eines solchen Schadens bestanden habe. Darüber hinaus leide der angefochtene Beschluss in diesem Punkt an einem Begründungsmangel.

Erster Klagegrund: Verletzung von Art. 71 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 1698/2005 wegen Missachtung der Voraussetzungen der Zuschussfähigkeit von Ausgaben durch die Kommission

23

Erstens verweist die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Klageschrift darauf, dass gemäß Art. 71 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1698/2005 die Ausgaben nur dann für eine Beteiligung des ELER in Betracht kämen, wenn sie für Vorhaben getätigt würden, die nach den vom zuständigen Gremium festgelegten Auswahlkriterien beschlossen worden seien; der Begriff „Vorhaben“ werde in Art. 2 Buchst. e der Verordnung definiert als „ein Projekt, ein Vertrag oder eine sonstige Initiative, die nach den im betreffenden Entwicklungsprogramm für den ländlichen Raum festgelegten Kriterien ausgewählt und von einem oder mehreren Begünstigten durchgeführt werden, um die Ziele gemäß Artikel 4 zu erreichen“.

24

Die Kommission verlange aber, dass die Auswahlkriterien während der ersten und der zweiten Phase des Flurbereinigungs- und Dorferneuerungsverfahrens in Bayern anzuwenden seien, obwohl es sich um vorgelagerte Phasen dieses Verfahrens handele, in denen es noch keine Vorhaben und Begünstigten gebe, allenfalls „potenziell Begünstigte“, die erst in der dritten Phase des Flurbereinigungs- und Dorferneuerungsverfahrens nach der Entstehung der Teilnehmergemeinschaft, die Antragsteller werden, vorkämen.

25

Zweitens sei die Kommission zu Unrecht der Auffassung, dass die deutschen Behörden in den ersten beiden Phasen des Flurbereinigungs- und Dorferneuerungsverfahrens eine rechtswidrige Vorauswahl der Projekte durchführten, bei der sie nach intransparenten Kriterien über die Einleitung der dritten Phase entschieden. Diese beiden Phasen seien Teil eines komplexen Informations-, Beratungs- und Auslotungsprozesses, der dazu diene, die Zweckmäßigkeit der Einleitung des Verfahrens zu bewerten und zu prüfen, ob die Vorbedingungen der bundesrechtlichen Vorschriften über Flurbereinigungen gegeben seien. Dieser Vorwurf der Kommission leide auch an einem Begründungsmangel.

26

Drittens stelle die Kommission an die Auswahlkriterien überzogene, nicht dem geltenden Recht entsprechende und nicht in der Verordnung Nr. 1698/2005 aufgeführte Anforderungen, wenn sie verlange, eine Rangfolge der Projekte festzulegen, eine Auswahlliste in Form einer Übersichtstabelle aufzustellen oder gar festzustellen, welches Verfahren die Auswahlkriterien am besten erfülle. Die Auswahlkriterien, wie sie insbesondere durch die Entscheidung vom 22. Dezember 2008 in Anwesenheit von Vertretern der Kommission festgelegt worden seien, seien auf alle förderfähigen Projekte angewandt worden. Der Entscheidung vom 22. Dezember 2008 sei die Checkliste C für die „Auswahlkriterien Ländliche Entwicklung“ beigefügt worden, die später durch die Checklisten A und B ergänzt worden sei.

27

Darüber hinaus missachte die Kommission auch ihre eigenen Leitlinien, wie sie sich aus dem Dokument Nr. VI/10535/99 vom 23. Juli 2002 mit dem Titel „Leitlinien für die Durchführung der Verwaltungs-, Kontroll- und Sanktionsregelungen bei den Maßnahmen der Entwicklung des ländlichen Raums gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1257/1999 des Rates – Aus dem EAGFL-Garantie finanzierte Maßnahmen“ ergäben, die sie im Jahr 2002 erlassen und in ihrer Mitteilung an die deutschen Behörden vom 11. Mai 2009 erwähnt habe. Zwar beträfen diese Leitlinien die Direktzahlungen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und nicht den ELER. Dennoch könne aus ihnen abgeleitet werden, dass die Auswahlkriterien nur dazu dienten, unter den als zuschussfähig bewerteten konkreten Beihilfeanträgen eine Auswahl zu treffen. Diese Kriterien erlangten somit nur dann tatsächliche Relevanz, wenn tatsächlich eine Auswahl getroffen werden müsse, beispielsweise aufgrund knapper Mittel im Hinblick auf die Zahl der Projekte; dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall.

28

Im Rahmen der Erwiderung hebt die Bundesrepublik Deutschland zur Stützung ihrer Argumentation in Bezug auf eine unzutreffende Auslegung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1698/2005 durch die Kommission die Unterscheidung zwischen „Maßnahmen“ und „Vorhaben“ im Sinne der Definitionen in Art. 2 Buchst. d bzw. e der Verordnung Nr. 1698/2005 hervor. Beim Flurbereinigungsverfahren handele es sich gerade nicht um ein „Vorhaben“, sondern um eine „Maßnahme“ im Sinne dieser Definitionen, wobei sich „Maßnahmen“ auf höherer Ebene als „Vorhaben“ befänden. Das Unionsrecht enthalte aber keine Verpflichtung für die Mitgliedstaaten, schon auf der Stufe der Maßnahmen Auswahlkriterien anzuwenden, da der erforderliche Konkretisierungsgrad, um von einem Vorhaben sprechen zu können, noch nicht erreicht sei. Ferner gebe es zu dem frühen Zeitpunkt, auf den die Kommission abstellen wolle, noch keinen „Begünstigten“ im Sinne der Verordnung Nr. 1698/2005. Der von der Kommission verwendete Begriff „potenziell Begünstigter“ habe keine rechtliche Bedeutung, und mit der Verwendung dieses Begriffs räume die Kommission implizit ein, dass es in der ersten und der zweiten Phase des Flurbereinigungs- und Dorferneuerungsverfahrens keinen konkreten Begünstigten gebe. Überdies bestreitet die Bundesrepublik Deutschland die Behauptung der Kommission, dass sie deren Analyse teile, weil sie keine Klage gegen die ihr von der Kommission im Jahr 2013 auferlegte finanzielle Berichtigung für die Jahre 2007 und 2008 erhoben habe.

29

Der von der Kommission angestellte Vergleich mit den in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern geltenden Verfahren, die sie als Beispiele anführe, greife insbesondere deshalb nicht durch, weil es die bundesrechtlichen Vorschriften über Flurbereinigungen gestatteten, wesentliche Aufgaben der für die Flurbereinigung zuständigen Behörde den Teilnehmergemeinschaften zu übertragen, was den Fall des Freistaats Bayern nach den bayrischen Vorschriften zur Umsetzung der bundesrechtlichen Vorschriften über Flurbereinigungen von den anderen unterscheide. Im Übrigen betreffe das in Bezug auf Mecklenburg-Vorpommern erwähnte Verfahren ausschließlich den Programmplanungszeitraum 2014-2020.

30

Die Kommission tritt dem Vorbringen entgegen und macht geltend, die von ihr insbesondere im Lauf des Schlichtungsverfahrens und in ihrem zusammenfassenden Bericht vorgebrachten Rügen seien begründet.

31

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission, wenn sie es aufgrund von Verstößen gegen Unionsrecht, die einem Mitgliedstaat zuzurechnen sind, ablehnt, bestimmte Ausgaben dem Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) oder dem ELER anzulasten, das Vorliegen dieser Verstöße nachweisen muss (Urteil vom 28. Oktober 1999, Italien/Kommission, C‑253/97, EU:C:1999:527, Rn. 6). Mit anderen Worten muss die Kommission ihre Entscheidung rechtfertigen, mit der sie feststellt, dass der betroffene Mitgliedstaat keine oder mangelhafte Kontrollen durchgeführt hat (Urteil vom 8. Mai 2003, Spanien/Kommission, C‑349/97, EU:C:2003:251, Rn. 46).

32

Die Kommission braucht die Unzulänglichkeit der Kontrollen der nationalen Verwaltungen oder die Unrichtigkeit der vorgelegten Zahlen nicht erschöpfend darzutun, muss aber einen Beweis für die ernsthaften und vernünftigen Zweifel vorlegen, die sie hinsichtlich dieser Kontrollen oder dieser Angaben hegt (Urteile vom 20. September 2001, Belgien/Kommission, C‑263/98, EU:C:2001:455, Rn. 36, und vom 8. Mai 2003, Spanien/Kommission, C‑349/97, EU:C:2003:251, Rn. 47).

33

Es ist sodann Sache dieses Mitgliedstaats, nachzuweisen, dass die Voraussetzungen für eine von der Kommission abgelehnte Finanzierung vorliegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2001, Belgien/Kommission, C‑263/98, EU:C:2001:455, Rn. 37). Mit anderen Worten kann der betroffene Mitgliedstaat die Feststellungen der Kommission nur dadurch erschüttern, dass er seine Behauptungen auf Umstände stützt, mit denen das Vorhandensein eines zuverlässigen und funktionierenden Kontrollsystems nachgewiesen wird. Gelingt dem Mitgliedstaat nicht der Nachweis, dass die Feststellungen der Kommission unzutreffend sind, so können diese Feststellungen ernsthafte Zweifel begründen, ob ein angemessenes und wirksames System von Maßnahmen zur Überwachung und Kontrolle eingeführt worden ist (Urteile vom 28. Oktober 1999, Italien/Kommission, C‑253/97, EU:C:1999:527, Rn. 7, und vom 8. Mai 2003, Spanien/Kommission, C‑349/97, EU:C:2003:251, Rn. 48).

34

Im vorliegenden Fall ist hervorzuheben, dass die Durchführung der Politik der Entwicklung des ländlichen Raums der Union im Rahmen der GAP mit einem Finanzierungs- und Planungsinstrument wie dem ELER auf dem Grundsatz einer gemeinsamen Verwaltung durch die Union und die Mitgliedstaaten beruht, wobei das Unionsrecht den allgemeinen rechtlichen Rahmen festlegt, der durch die nationalen Rechtsordnungen ergänzt wird (Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe in der Rechtssache Občina Gorje, C‑111/15, EU:C:2016:280, Nr. 7).

35

Was erstens die Bestimmungen der Union zur Finanzierung des ELER für den Programmplanungszeitraum 2007-2013 anbelangt, sind diese in der Verordnung Nr. 1290/2005 enthalten. Für den Programmplanungszeitraum 2014-2020 gilt die Verordnung Nr. 1306/2013.

36

Die allgemeinen Bestimmungen über das Funktionieren des ELER während des Programmplanungszeitraums 2007-2013 sind in der Verordnung Nr. 1698/2005 enthalten, die durch die für den anschließenden Programmplanungszeitraum (2014-2020) geltende Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über die Förderung der ländlichen Entwicklung durch den ELER und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 1698/2005 (ABl. 2013, L 347, S. 487) aufgehoben wurde.

37

Für die in der Verordnung Nr. 1698/2005 vorgesehene Unterstützung der Entwicklung des ländlichen Raums werden vier Schwerpunkte gesetzt, die Gegenstand einer entsprechenden Zahl gesonderter Abschnitte ihres Titels IV sind. In Abschnitt 1 („Schwerpunkt 1 – Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft“) sieht Art. 30 vor, dass die Beihilfe „insbesondere … zur Flurbereinigung und ‑verbesserung gewährt werden [kann]“. In Abschnitt 3 („Schwerpunkt 3 – Lebensqualität im ländlichen Raum und Diversifizierung der ländlichen Wirtschaft“) bestimmt Art. 52, dass die „Beihilfen für diesen Schwerpunkt … Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität im ländlichen Raum“ einschließlich der „Dorferneuerung und ‑entwicklung“ umfassen. Die Maßnahmen zur Flurbereinigung und die Maßnahmen zur Dorferneuerung gehören somit zu zwei verschiedenen Schwerpunkten.

38

Gemäß Art. 71 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1698/2005 kommen die Ausgaben „nur dann für eine Beteiligung des ELER in Betracht, wenn sie für Vorhaben getätigt werden, die nach den von dem zuständigen Gremium festgelegten Auswahlkriterien von der Verwaltungsbehörde des betreffenden Programms oder unter deren Verantwortung beschlossen wurden“. Der Begriff des „Vorhabens“ ist in Art. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 1698/2005 definiert als „ein Projekt, ein Vertrag oder eine sonstige Initiative, die nach den im betreffenden Entwicklungsprogramm für den ländlichen Raum festgelegten Kriterien ausgewählt und von einem oder mehreren Begünstigten durchgeführt werden, um die Ziele gemäß Artikel 4 zu erreichen“. In Art. 2 Buchst. d dieser Verordnung wird der Begriff „Maßnahme“ definiert als „ein Bündel von Vorhaben, die zur Umsetzung eines Schwerpunkts im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 beitragen“.

39

Ergänzende Bestimmungen sind in der Verordnung (EG) Nr. 1974/2006 der Kommission vom 15. Dezember 2006 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 1698/2005 (ABl. 2006, L 368, S. 15) zu finden, nach deren Art. 48 Abs. 1 die Mitgliedstaaten zum wirksamen Schutz der finanziellen Interessen der Union „dafür Sorge [tragen], dass alle von ihnen geplanten Entwicklungsmaßnahmen für den ländlichen Raum überprüft und kontrolliert werden können“, und zu diesem Zweck „Kontrollmaßnahmen fest[legen], die ihnen hinreichende Gewähr dafür bieten, dass die Förderkriterien und sonstigen Verpflichtungen eingehalten werden“.

40

Nach Art. 49 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1305/2013 sollen mit den Auswahlkriterien (die die Verwaltungsbehörde des Programms zur Entwicklung des ländlichen Raums nach Anhörung des Begleitausschusses festlegt) „die Gleichbehandlung der Antragsteller, eine bessere Nutzung der Finanzmittel und die Ausrichtung der Maßnahmen im Einklang mit den Prioritäten der Union für die Entwicklung des ländlichen Raums gewährleistet werden. Bei der Festlegung und Anwendung der Auswahlkriterien wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Größe des Vorhabens berücksichtigt.“

41

Was zweitens die bundesrechtlichen Regelungen anbelangt, die auf Flurbereinigungen und Dorferneuerungen in Bayern anwendbar sind, sind diese im Flurbereinigungsgesetz (im Folgenden: FlurbG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 1976 (BGBl. 1976 I S. 546), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Dezember 2008 (BGBl. 2008 I S. 2794), geregelt. Nach den Art. 1 und 37 des FlurbG wird durch Flurbereinigungen Grundbesitz neu geordnet – insbesondere durch die Neueinteilung der Feldmark und zersplitterten oder unwirtschaftlich geformten Grundbesitzes –, um die Arbeitsbedingungen in der Land- und Forstwirtschaft zu verbessern.

42

Im Freistaat Bayern wird der durch das FlurbG auf Bundesebene vorgegebene Rechtsrahmen durch das Gesetz zur Ausführung des Flurbereinigungsgesetzes ergänzt. Die Ämter für ländliche Entwicklung regen die Dorferneuerungen und Flurbereinigungen an und sind für diese auch verantwortlich.

43

Was den Rechtsfehler anbelangt, den die Kommission begangen haben soll, nämlich die Verletzung von Art. 71 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 1698/2005, ist darauf hinzuweisen, dass im Bereich des Zusammenspiels zwischen einer Verordnung und einzelstaatlichen Vorschriften, auf die verwiesen wird, die unmittelbare Geltung einer Verordnung kein Hindernis dafür ist, dass im Text dieser Verordnung ein Unionsorgan oder ein Mitgliedstaat zum Erlass von Durchführungsmaßnahmen ermächtigt wird, und dass im letztgenannten Fall sich die Modalitäten der Ausübung dieser Befugnis nach dem öffentlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaats bestimmen (vgl. entsprechend Urteil vom 27. September 1979, Eridania-Zuccherifici nazionali und Società italiana per l’industria degli zuccheri, 230/78, EU:C:1979:216, Rn. 34).

44

Enthält eine Verordnung eine solche Ermächtigung, folgt daraus weder, dass die Mitgliedstaaten beim Erlass von Durchführungsbestimmungen ein unbegrenztes Ermessen haben, noch, dass diese einen bestimmten Inhalt haben müssen. Die Mitgliedstaaten haben die Bedingungen und Grenzen zu beachten, die von den Bestimmungen des Unionsrechts gesetzt werden, die speziell in diesem Zusammenhang gelten oder sogar die konkrete Rechtsgrundlage der fraglichen Regelungstätigkeit darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Dezember 2015, Finnland/Kommission, T‑124/14, EU:T:2015:955, Rn. 44).

45

Im Licht der vorstehenden Erwägungen ist darauf hinzuweisen, dass sich aus dem 61. Erwägungsgrund und Art. 71 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1698/2005 ergibt, dass gemäß dem Subsidiaritätsprinzip die Regeln für die Zuschussfähigkeit der Ausgaben grundsätzlich auf nationaler Ebene festgelegt werden und die Ausgaben nur dann in Betracht kommen, wenn sie für Vorhaben getätigt werden, die nach den von dem zuständigen Gremium festgelegten Auswahlkriterien beschlossen wurden.

46

Im vorliegenden Fall entspricht die Festlegung von Auswahlkriterien, die eine Entscheidung über die Zuschussfähigkeit der Ausgaben mit Beteiligung des ELER ermöglichen, den Maßnahmen zur Durchführung, die den einzelstaatlichen Behörden durch die Verordnung Nr. 1698/2005 übertragen sind, um die durch diese Verordnung festgelegten Ziele zu erreichen, hier die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den ELER.

47

In diesem Zusammenhang ist es Sache der deutschen Behörden, unter Beachtung der Leitlinien und Beschränkungen, die in der ihr durch die Verordnung Nr. 1698/2005 übertragenen Ermächtigung festgelegt sind, bei der Festlegung von Auswahlkriterien in Bezug auf die betroffenen Ausgaben und bei der Anwendung dieser Kriterien tätig zu werden.

48

Die Modalitäten der Umsetzung der Flurbereinigungen und Dorferneuerungen sollen jedoch in Gänze nur durch das innerstaatliche Recht geregelt werden. Die Verordnung Nr. 1698/2005 gestattet es der Kommission nämlich nicht, ein Verfahren oder bestimmte Varianten von Rechtsvorschriften vorzugeben, um Flurbereinigungen und Dorferneuerungen im betreffenden Mitgliedstaat umzusetzen.

49

Soweit die deutschen Behörden eine Beteiligung des ELER an den Ausgaben im Rahmen der Flurbereinigungen und Dorferneuerungen in Bayern beantragen, ist hingegen erstens zu prüfen, ob es Auswahlkriterien gibt, die dem Ziel der Verordnung Nr. 1698/2005 dienen, und zweitens, welche Voraussetzungen für die wirksame Umsetzung dieser Kriterien gelten.

50

Was die Qualifikation der Flurbereinigungen und Dorferneuerungen als „Vorhaben“ anbelangt, was nach dem Wortlaut von Art. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 1698/2005 erfordert, diese den Auswahlkriterien zu unterwerfen, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung aus dem Gebot der einheitlichen Anwendung des Rechts der Union wie auch aus dem Gleichheitssatz folgt, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen (vgl. entsprechend Urteil vom 25. Oktober 2012, Ketelä, C‑592/11, EU:C:2012:673, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51

Im Einklang mit der Auffassung der Kommission ist der Begriff des „Vorhabens“ in Art. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 1698/2005 – indem auf „ein Projekt, ein[en] Vertrag oder eine sonstige Initiative“ verwiesen wird, die von einem oder mehreren Begünstigten durchgeführt werden, um die Ziele der Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums zu erreichen – indes sehr weit, so dass trotz der unterschiedlichen Arten betroffener Vorhaben und unabhängig von der speziellen Situation des fraglichen innerstaatlichen Verfahrens eine Auswahl, wie sie in der Verordnung vorgesehen ist, ordnungsgemäß durchgeführt werden kann.

52

Die Flurbereinigungen und Dorferneuerungen sind ab dem Moment, ab dem sie Teil eines Projekts, eines Vertrags oder einer sonstigen Initiative sind, mit denen eine konkrete Umsetzung veranlasst werden soll, als Vorhaben zu betrachten und ab dann den in der Verordnung Nr. 1698/2005 vorgesehenen Auswahlkriterien zu unterwerfen.

53

Demgegenüber ist der Begriff der „Maßnahme“ im Sinne des Art. 2 Buchst. d der Verordnung Nr. 1698/2005, d. h. einem „Bündel von Vorhaben, die zur Umsetzung eines Schwerpunkts … beitragen“, als eine abstrakte Kategorie von Vorhaben zu betrachten, für die sich die Mitgliedstaaten in ihrem Entwicklungsprogramm entscheiden können, um die Umsetzung eines der vier in der Verordnung Nr. 1698/2005 erwähnten Schwerpunkte voranzutreiben. Die Flurbereinigung ist somit eine Maßnahme, wenn sie die allgemeine Tätigkeit der Rationalisierung der Nutzung landwirtschaftlicher Flächen bezeichnet. Gleiches gilt für die Dorferneuerung, wenn sie die allgemeine Tätigkeit der Verbesserung der Lebensbedingungen im ländlichen Raum bezeichnet. Umgekehrt sind Flurbereinigung oder Dorferneuerung ab dem Moment, zu dem sie Teil einer identifizierbaren Initiative sind, insbesondere im Zusammenhang mit einem geografischen Ort oder einer identifizierten Gemeinschaft von Individuen, als Vorhaben zu betrachten.

54

Angesichts der sofortigen und unmittelbaren Wirkung der Verordnung Nr. 1698/2005 hat diese Einordnung zur Folge, dass die Umsetzung der Auswahlkriterien vorgeschrieben wird, und zwar unabhängig von der Phase, in der sich das fragliche Vorhaben im Hinblick auf die innerstaatlichen Rechtsvorschriften befindet. Das Gegenteil in Betracht zu ziehen, würde den Grundsatz der autonomen und einheitlichen Auslegung der Begriffe des Unionsrechts in Frage stellen.

55

Die Bundesrepublik Deutschland geht daher zu Unrecht davon aus, dass die Flurbereinigungen und Dorferneuerungen in Bayern eine besondere Situation darstellen, die der Umsetzung der Auswahlkriterien in den ersten beiden Phasen wegen des Fehlens konkreter Projekte oder von Gemeinschaften von Begünstigten entgegensteht.

56

Die Bundesrepublik Deutschland räumt im Übrigen ein, dass die ersten beiden Phasen der Vorhaben der Flurbereinigung und Dorferneuerung in Bayern den Auswahlkriterien unterworfen werden können, da sie nach der Entscheidung vom 22. Dezember 2008 die im BayZAL ursprünglich aufgeführten Kriterien für die Auswahl der Projekte mit dem Ziel geändert hat, diese in der ersten und der zweiten Phase anzuwenden, obwohl sie von der Kommission als ungeeignet betrachtet worden sind. Das von der Kommission als Anlage vorgelegte Dokument der Behörden des Regierungsbezirks Oberpfalz mit dem Titel „Arbeitsprogramm 2003 der Regierung der Oberpfalz und der Direktion für ländliche Entwicklung Regensburg (Zeitplan 2003)“ lässt im Übrigen den Schluss zu, dass die lokalen Behörden eine Rangfolge der Flurbereinigungen und Dorferneuerungen aufgestellt haben, um diese in vier Gruppen einzuteilen, die nach einer Fälligkeit, die mehr oder weniger weit von einer Anordnung des Flurbereinigungsverfahrens entfernt ist, unterstützt werden sollen. Wie die Kommission bemerkt, wurden die ältesten Anträge im Jahr 1985 registriert und deutet die große Zahl der nicht beschiedenen Anträge darauf hin, dass nicht alle eine Finanzierung erhalten haben dürften, insbesondere deshalb, weil sie nicht in das Arbeitsprogramm der lokal zuständigen Ämter für ländliche Entwicklung aufgenommen wurden.

57

Diese Feststellungen erlauben es, die Einwände der deutschen Behörden gegen den – begründeten – Vorwurf der Kommission zurückzuweisen, dass die zuständigen Behörden während der ersten beiden Phasen des Flurbereinigungs- und Dorferneuerungsverfahrens in Bayern in der Tat eine Vorauswahl der Projekte, die eine Finanzierung durch den ELER erhalten sollten, durchführten, aber über die Einleitung der dritten Phase nach intransparenten Kriterien entschieden, was darüber hinaus gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoße, auf den sich alle Einrichtungen oder Personen, die eine Finanzierung durch den ELER erhalten wollten, rechtmäßig berufen könnten. Diese Situation, die vor dem Erlass der Entscheidung vom 22. Dezember 2008 bestand, hat seither fortbestanden.

58

Denn wie die Bundesrepublik Deutschland in Rn. 54 der Erwiderung einräumt, wurde die Checkliste A zwar im Rahmen der Entscheidung vom 22. Dezember 2008 eingeführt, um die Dokumentation der zur Anordnung von Dorferneuerungs- oder Flurneuordnungsverfahren erforderlichen Vorbereitungsarbeiten zu verbessern. Sie enthält jedoch keine Auswahlkriterien nach Art. 71 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1698/2005, da die deutschen Behörden in jedem Fall der Ansicht sind, dass es, selbst wenn sie entschieden, ein Vorhaben in das Arbeitsprogramm BayZal aufzunehmen, es zu diesem Zeitpunkt noch keine Zuwendungsempfänger gebe und keine Anträge auf Förderung von konkreten Projekten gestellt werden könnten.

59

Der von den deutschen Behörden behauptete Begründungsmangel in Bezug auf den Vorwurf der Kommission hinsichtlich der rechtswidrigen Vorauswahl der Anträge auf Förderung ist ebenfalls zurückzuweisen. Im besonderen Zusammenhang der Ausarbeitung der Entscheidungen über den Rechnungsabschluss im Bereich der GAP ist eine Entscheidung dann als ausreichend begründet anzusehen, wenn der Staat, der Adressat der Entscheidung ist, eng am Verfahren ihrer Ausarbeitung beteiligt war und die Gründe kannte, aus denen die Kommission der Ansicht war, den streitigen Betrag nicht zulasten des EGFL oder des ELER übernehmen zu müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Dezember 1990, Niederlande/Kommission,C‑22/89, EU:C:1990:471, Rn. 18). Die deutschen Behörden haben vor Erlass des angefochtenen Beschlusses an einem Schlichtungsverfahren gemäß Art. 16 der Verordnung Nr. 885/2006 teilgenommen, so dass sie eng am Verfahren der Ausarbeitung dieses Beschlusses beteiligt waren und die Gründe kannten, aus denen die Kommission der Ansicht war, den streitigen Betrag nicht zulasten des EGFL übernehmen zu müssen, und zwar wegen der rechtswidrigen Auswahl der Projekte während der ersten beiden Phasen der Flurbereinigungs- und Dorferneuerungsverfahren, wie sie in Bayern durchgeführt wurden.

60

Was schließlich das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland betrifft, die Kommission stelle an die Auswahlkriterien selbst überzogene Anforderungen, ist auf Folgendes hinzuweisen.

61

Nach ständiger Rechtsprechung ist eine auslegungsbedürftige Bestimmung des abgeleiteten Unionsrechts im Bereich der GAP nach Möglichkeit so auszulegen, dass sie mit den Vorschriften des Vertrags vereinbar ist (vgl. Urteil vom 13. April 2011, Deutschland/Kommission, T‑576/08, EU:T:2011:166, Rn. 103 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62

Im vorliegenden Fall geht aus Art. 71 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1698/2005 hervor, dass die Ausgaben für Vorhaben wie Flurbereinigungen und Dorferneuerungen nach Auswahlkriterien getätigt werden müssen. Aus Art. 73 der Verordnung Nr. 1698/2005 geht indes ausdrücklich hervor, dass der Kommission im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung zwischen den Unionsorganen und den Mitgliedstaaten die Wahrung der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung gemäß Art. 274 EG, dessen Bestimmungen sich nunmehr in Art. 317 AEUV finden, obliegt.

63

Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung darf zwar nicht auf eine rein rechnerische Definition reduziert werden. Er impliziert gleichwohl, dass die Haushaltsmittel im Einklang mit den Grundsätzen der Sparsamkeit, der Wirksamkeit und der Wirtschaftlichkeit verwendet werden, wobei der letztgenannte Grundsatz – wie aus Art. 28a der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates vom 25. Juni 2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 2002, L 248, S. 1) in der geänderten Fassung und Art. 30 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates (ABl. 2012, L 298, S. 1) hervorgeht – die optimale Relation zwischen den eingesetzten Mitteln und den erzielten Ergebnissen betrifft.

64

Die Beachtung dieser Grundsätze verlangt, dass es die ausgewählten Auswahlkriterien ermöglichen, vorrangig die den Zielen der Entwicklung des ländlichen Raums am besten entsprechenden Vorhaben zu fördern, wie sie sich aus den vier in der Verordnung Nr. 1698/2005 erwähnten Schwerpunkten ergeben.

65

Es muss daher gewährleistet sein, dass mit den ausgewählten Kriterien unter allen Vorhaben, für die eine Finanzierung durch den EGFL beantragt wird, diejenigen festgestellt werden können, die am besten geeignet sind, die Zielsetzungen der GAP mit der Verordnung Nr. 1698/2005 zu erreichen.

66

In diesem Rahmen kann unter Berücksichtigung der Zusammenarbeit zwischen der Union und den Mitgliedstaaten die Liste der Auswahlkriterien zwar frei von den deutschen Behörden festgelegt werden, ohne zwingend eine Rangfolge oder eine bezifferte Aufstellung der Vorhaben zu enthalten. Sie muss aber die Feststellung derjenigen Vorhaben ermöglichen, die unter Berücksichtigung ihrer Eignung vorrangig durch den ELER zu fördern sind.

67

Daher ist zu prüfen, ob die von den deutschen Behörden umgesetzten Auswahlmodalitäten diesen Anforderungen entsprechen.

68

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass – wie die Kommission zu Recht geltend macht – die Kriterien der Förderfähigkeit von Vorhaben von den Auswahlkriterien unterschieden werden müssen.

69

Die Kriterien der Förderfähigkeit erlauben allenfalls die Feststellung, dass die Vorhaben die unabdingbaren Voraussetzungen für eine Finanzierung durch den ELER erfüllen, also etwa in den Grundzügen den Zielen der GAP entsprechen, wie sie im BayZal übernommen worden sind, aber nicht die Feststellung, welche Vorhaben nach ihrer Eignung vorrangig zu finanzieren sind.

70

Die zu prüfenden Auswahlkriterien der deutschen Behörden sind zum einen diejenigen, die im Dezember 2008 nach der ersten Prüfung der Kommission eingeführt wurden und in der Checkliste C enthalten sind, und zum anderen diejenigen, die in den im Dezember 2012 festgelegten Checklisten A und B enthalten sind.

71

Die Checkliste C mit dem Titel „Kriterien zur Förderung einer/mehrerer Maßnahme(n) mit ELER-Mitteln“ entspricht der Checkliste, die seit Dezember 2008 durch die deutschen Behörden erstellt worden war.

72

Sie besteht aus drei Tabellen, deren erste den Titel „Übereinstimmung mit den Zielen des BayZAL“ trägt und einen Katalog von Fragen enthält, mit denen überprüft werden soll, ob das fragliche Vorhaben den Zielen des BayZAL entspricht. Die zweite Tabelle, die die „maßnahmencodeübergreifende[n] Auswahlkriterien“ betrifft, hat das Ziel zu überprüfen, ob die Grundvoraussetzungen für den Erhalt einer Subvention eingehalten sind, insbesondere im Hinblick auf die Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Projektträgers, die gesicherte Finanzierung, die Absicherung, dass das Vorhaben im Fördergebiet liegt, der Förderzeitraum beachtet und eine Doppelförderung ausgeschlossen ist. Die dritte Tabelle mit dem Titel „Maßnahmencodespezifische Auswahlkriterien“ nennt fünf Kriterien, die als Zusammenfassung dienen, wie die Aufnahme des Vorhabens in das Arbeitsprogramm, von denen mindestens zwei erfüllt sein müssen, damit das Vorhaben mit ELER-Mitteln gefördert werden kann.

73

Anhand der Kriterien der Checkliste C kann die Zuschussfähigkeit eines Vorhabens festgestellt werden, aber sie enthalten keine Angaben, die eine vergleichende Bewertung in Bezug auf andere ebenfalls zuschussfähige Projekte ermöglichen. Unter diesen Umständen entsprechen sie nicht den Erfordernissen der Verordnung Nr. 1698/2005.

74

Die Checkliste A trägt die Überschrift „Kriterien zur Aufnahme eines Verfahrens/eines Vorhabens in das Arbeitsprogramm“ und besteht aus vier Tabellen: „Entwicklung der ländlichen Räume (Strategie)“, „Regionale Synergien“, „Kommunales Engagement und aktuelle Leistungen der Verwaltung in der Gemeinde“ und „Übereinstimmung mit den Zielen der ländlichen Entwicklung“.

75

Diese vier Tabellen führen eine bestimmte Anzahl von Kriterien auf, bei denen zu prüfen ist, ob sie erfüllt sind, um zu entscheiden, ob ein beantragtes Flurbereinigungsverfahren in das Arbeitsprogramm aufzunehmen ist. Wie jedoch die Kommission vorträgt, existiert keine Verbindung zwischen den Kriterien, der Anzahl der „Ja“‑ bzw. „Nein“-Antworten und der Gesamtbewertung, wonach das Verfahren, das einem Vorhaben der Flurbereinigung oder Dorferneuerung entspricht, in das Arbeitsprogramm des zuständigen Amtes für ländliche Entwicklung aufgenommen werden kann.

76

Die Checkliste A ermöglicht zwar, die theoretische Zuschussfähigkeit eines Vorhabens zu prüfen, lässt aber keinen Vergleich zu und entspricht auch nicht den Anforderungen der Verordnung Nr. 1698/2005.

77

Die Checkliste B trägt die Überschrift „Kriterien zur Einleitung eines Verfahrens/eines Vorhabens“ und erlaubt es, eine formelle Entscheidung über die Einleitung eines Verfahrens der Flurbereinigung nach den in Bayern geltenden Rechtsvorschriften zu treffen.

78

Sie umfasst nur sechs formale Kriterien, um festzustellen, ob ein Verfahren eingeleitet werden kann, wie das Kriterium der tatsächlichen Aufnahme des Verfahrens oder des Vorhabens in das Arbeitsprogramm. Diese Kriterien betreffen zwar die mögliche Zuschussfähigkeit aus dem ELER, erlauben aber offensichtlich nicht den Vergleich mit anderen Vorhaben.

79

Was das Vorbringen der deutschen Behörden betrifft, wonach in Bezug auf das Dokument Nr. VI/10535/99, auf das die Kommission in ihrem Schreiben vom 11. Mai 2009 Bezug genommen hat, die Auswahl der Vorhaben lediglich „eventuell“, also nicht verbindlich sei, ist festzustellen, dass die Leitlinien im Dokument Nr. VI/10535/99 den vorherigen Programmplanungszeitraum (2000-2006) betreffen und der fakultative Charakter der Auswahl nicht in die Verordnung Nr. 1698/2005 übernommen wurde.

80

Das Dokument Nr. VI/10535/99 heranzuziehen, um es der Anwendung der zwingenden Vorschriften der Verordnung Nr. 1698/2005 entgegenzuhalten, ist also nicht möglich. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Wortlaut des Schreibens der Kommission vom 11. Mai 2009 das Dokument Nr. VI/10535/99 für die Modalitäten der Umsetzung der Auswahlkriterien und nicht für die Möglichkeit ihrer Umsetzung oder Nichtumsetzung erwähnt war.

81

Aus alledem folgt, dass die Kommission keinen Fehler begangen hat, als sie davon ausgegangen ist, dass Art. 71 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1698/2005 Kriterien für eine vergleichende Auswahl der Vorhaben vorsehe und die in Bayern umgesetzten Kriterien dieses Erfordernis nicht erfüllten.

82

Es ist ferner darauf hinzuweisen, dass sich die deutschen Behörden zwar nur auf die Verletzung der Verordnung Nr. 1698/2005, die den Programmplanungszeitraum 2007-2013 betrifft, beziehen, die Verpflichtung zur Auswahl der Flurbereinigungs- und Dorferneuerungsvorhaben, wie sich aus Art. 49 der Verordnung Nr. 1305/2013 ergibt, aber für den Programmplanungszeitraum 2014-2020 beibehalten wurde. Da die Bundesrepublik Deutschland nicht dargetan hat, dass die Kommission in Bezug auf das Jahr 2014 einen Fehler begangen hat, als sie die Anwendung vergleichender Auswahlkriterien verlangt hat, ist der angefochtene Beschluss in dieser Beziehung nicht zu rügen.

83

Nach der vorstehenden Analyse ist der erste Klagegrund zurückzuweisen.

Zweiter Klagegrund: Verletzung des aus Art. 6 der Verordnung Nr. 1698/2005 resultierenden Partnerschaftsprinzips, des in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV verankerten Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit und des Grundsatzes des Vertrauensschutzes

84

Die Bundesrepublik Deutschland macht geltend, die Kommission habe mit der Annahme des angefochtenen Beschlusses gegen das Partnerschaftsprinzip sowie gegen die gegenseitige Loyalitätspflicht der Union und der Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 1 und 3 der Verordnung Nr. 1698/2005 und Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV verstoßen.

85

Erstens habe die Kommission mit der Entscheidung vom 5. September 2007 das BayZAL genehmigt. Dieses erläutere aber das in Bayern geltende Verfahren der Flurbereinigung bzw. Dorferneuerung genau, insbesondere die unterschiedlichen Phasen dieses Verfahrens und dessen möglicherweise mehrjährige Laufzeit sowie die Notwendigkeit, auch Vorhaben oder Projekte, über die vor dem Beginn des Programmplanungszeitraums im Jahr 2007 entschieden worden sei und die sich bereits in der Durchführungsphase befunden hätten, in die Finanzierung einzubeziehen.

86

Die der Entscheidung vom 5. September 2007 vorausgegangene neunmonatige Abstimmungsphase habe es der Kommission ermöglicht, alle relevanten Gesichtspunkte des in Bayern geltenden Verfahrens kennenzulernen, so dass sie dieses Vorgehen der deutschen Behörden nicht in Frage stellen könne. Schließlich hätte die Kommission, wenn sie ein anderes Vorgehen der deutschen Behörden für notwendig erachtet hätte, eine die Entscheidung vom 5. September 2007 abändernde Entscheidung erlassen müssen, was sie jedoch nicht getan habe.

87

Zweitens sei der Begleitausschuss ab November 2007 in Anwesenheit von Vertretern der Kommission mehrfach zusammengetreten. Da diese sich nicht mit dem ursprünglich geplanten Ansatz einverstanden gezeigt hätten, seien zusätzliche Auswahlkriterien festgelegt worden. Die Vertreter der Kommission hätten hinsichtlich dieser Kriterien keine Zweifel geäußert und auch keine Einwände dagegen erhoben, dass aufgrund ausreichend vorhandener Finanzmittel kein Ranking der Vorhaben notwendig sei.

88

Die deutschen Behörden hätten sich auf die von der Kommission sowohl durch die Genehmigung des BayZAL als auch durch das Verhalten ihrer Vertreter in den Sitzungen des Begleitausschusses geweckten Erwartungen verlassen, so dass ein Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes vorliege.

89

In der Erwiderung beruft sich die Bundesrepublik Deutschland ferner – hilfsweise – auf eine Mitverantwortung der Kommission für eine etwaige Verletzung der Verordnung Nr. 1698/2005, aus der folge, dass die Kommission den Betrag der finanziellen Berichtigung jedenfalls hätte begrenzen müssen.

90

Die Kommission trägt vor, der zweite Klagegrund sei wegen des Vorrangs des abgeleiteten Unionsrechts, hier der Verordnung Nr. 1698/2005, vor den Bestimmungen des BayZAL zurückzuweisen. Sie habe das BayZAL zwar in der Tat genehmigt, doch hindere dies die deutschen Behörden nicht an der Durchführung einer vergleichenden Auswahl der fraglichen Vorhaben.

91

Überdies habe es sich bei der Teilnahme ihrer Vertreter an den Arbeiten des Begleitausschusses um eine Teilnahme in beratender Funktion im Sinne von Art. 77 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1698/2005 gehandelt. Unter diesen Umständen könne keine Rede davon sein, dass die von den deutschen Behörden beanspruchte Vorgehensweise, die die Umsetzung vergleichender Auswahlkriterien ausschließe, gebilligt worden sei. Zu verweisen sei insbesondere auf das Schreiben vom 11. Mai 2009 an die deutschen Behörden, in dem unmissverständlich darauf hingewiesen worden sei, dass diese Kriterien umgesetzt werden müssten.

92

Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV sieht vor, dass sich die Union und die Mitgliedstaaten nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben, achten und gegenseitig unterstützen. Nach Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1698/2005 werden außerdem die Interventionen des ELER „in enger Abstimmung … zwischen der Kommission und dem Mitgliedstaat sowie mit den Behörden und Stellen, die der Mitgliedstaat im Rahmen seiner einzelstaatlichen Regelungen und seiner Praxis benennt, umgesetzt“, wobei sich die Partnerschaft nach Art. 6 Abs. 3 „auf die Ausarbeitung und Begleitung des nationalen Strategieplans sowie auf die Ausarbeitung, Durchführung, Begleitung und Bewertung der Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum [erstreckt]“.

93

Der Grundsatz des Vertrauensschutzes zählt nach ständiger Rechtsprechung zu den tragenden Grundsätzen der Union. Auf diesen Grundsatz kann sich jeder berufen, bei dem ein Unionsorgan begründete Erwartungen geweckt hat (vgl. Urteil vom 14. März 2013, Agrargenossenschaft Neuzelle, C‑545/11, EU:C:2013:169, Rn. 23 und 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

94

Präzise, nicht an Bedingungen geknüpfte und übereinstimmende Auskünfte von zuständiger und zuverlässiger Seite stellen unabhängig von der Form ihrer Mitteilung Zusicherungen dar, die solche Erwartungen wecken können. Dagegen kann niemand eine Verletzung dieses Grundsatzes geltend machen, dem die Verwaltung keine präzisen Zusicherungen gegeben hat (Urteil vom 14. März 2013, Agrargenossenschaft Neuzelle, C‑545/11, EU:C:2013:169, Rn. 25).

95

Im vorliegenden Fall ist erstens darauf hinzuweisen, dass – wie die Kommission geltend macht – der Umstand, dass das BayZal nicht vorsah, die Bewilligung der ELER-Förderung von der Durchführung einer vergleichenden Auswahl zwischen den potenziell förderfähigen Vorhaben abhängig zu machen, ohne Bedeutung für die Auslegung des Art. 71 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1698/2005 ist, wie sie oben in den Rn. 65 und 66 formuliert worden ist und wonach die Umsetzung dieser Kriterien zwingend war (vgl. entsprechend Urteil vom 7. Juli 2016, Polen/Kommission, C‑210/15 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:529, Rn. 43).

96

Da diese Auslegung sowohl für die deutschen Behörden als auch die Kommission gilt, war somit – in einem ersten Schritt – die Erstellung und dann – in einem nächsten Schritt – die Umsetzung vergleichender Auswahlkriterien zwingend.

97

Die Billigung des BayZal durch die Kommission konnte daher nicht den Verzicht der Kommission auf das Erfordernis vergleichender Auswahlkriterien zur Folge haben, was in jedem Fall dazu geführt hätte, dass sie ihre Befugnisse überschritten hätte. Folglich verkennt die Bundesrepublik Deutschland die Bedeutung der Genehmigung des BayZal.

98

Die Kommission war jedenfalls auch nicht verpflichtet, eine Entscheidung zur Änderung ihrer Entscheidung vom 5. September 2007 zu erlassen. Die Bestimmungen des BayZal und die der innerstaatlichen Rechtsvorschriften des FlurbG und des Gesetzes zur Ausführung des Flurbereinigungsgesetzes sind nämlich mit der Umsetzung vergleichender Auswahlkriterien vereinbar. Die Untätigkeit der deutschen Behörden liegt vielmehr in der mangelnden Erstellung und Umsetzung solcher Kriterien.

99

Zweitens ist darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 77 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1698/2005 die Teilnahme der Dienststellen der Kommission an den Sitzungen des Begleitausschusses eine beratende war, so dass es keinen Anlass gibt, ihnen eine angebliche unveränderliche Position entgegenzuhalten, die sie in diesem Rahmen eingenommen hätten. Ferner haben sie nach den im Dezember 2008 eingeführten Änderungen erklärt, dass sie mit dem Fehlen der vergleichenden Auswahlkriterien nicht einverstanden seien. Das geht insbesondere aus dem Schreiben der Kommission an die deutschen Behörden vom 11. Mai 2009 hervor, in dessen Anhang unter Punkt 2.2.2 unter der Überschrift „Neue Kontrollliste ‚Auswahlkriterien in der ländlichen Entwicklung‘“ Zweifel hinsichtlich der Modalitäten des Vergleichs zwischen neuen Projekten und den vor 2009 eingeleiteten Projekten formuliert werden, ergänzt durch eine Aufforderung an die deutschen Behörden, die Modalitäten der Auswahl dieser Projekte klarer darzulegen.

100

Die Bundesrepublik Deutschland macht also zu Unrecht eine Verletzung des Partnerschaftsprinzips und der Loyalitätspflicht sowie eine angebliche Mitverantwortung der Kommission geltend. Das Vorbringen in Bezug auf genaue, nicht an Bedingungen geknüpfte und übereinstimmende Auskünfte der Dienststellen der Kommission, nach denen das Auswahlsystem in der bestehenden Form ausreichend gewesen sei, ist ebenfalls unbegründet. Die Rüge des Verstoßes gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes ist daher ebenfalls zurückzuweisen.

101

Nach der vorstehenden Analyse ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen.

Dritter Klagegrund: Verstoß gegen das in Art. 5 EUV verankerte Subsidiaritätsprinzip

102

Im Rahmen des dritten Klagegrundes macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, die Kommission verstoße durch ihre extensive Auslegung der Verordnung Nr. 1698/2005, die die Anwendung von Auswahlkriterien auf die verschiedenen Phasen des in Bayern geltenden Flurbereinigungs- und Dorferneuerungsverfahrens verlange, gegen das Subsidiaritätsprinzip, da sie in die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten und in die Planungshoheit der Kommunen eingreife. Dabei handele es sich um Bereiche, deren Verwaltung besser von den Mitgliedstaaten und gegebenenfalls von den regionalen und lokalen Akteuren sichergestellt werden könne und die in Deutschland unter dem Schutz des Grundgesetzes stünden.

103

Die Kommission verfolge das Ziel, die drei Phasen des Flurbereinigungs- und Dorferneuerungsverfahrens in Bayern auf eine einzige Phase zu reduzieren, was sich negativ auf die Bürgerbeteiligung auswirken und zur Einbeziehung schlecht vorbereiteter Projekte führen würde, wodurch zusätzliche Kosten entstünden.

104

In diesem Zusammenhang sei nochmals darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 1698/2005 Auswahlkriterien nur in Bezug auf Vorhaben vorsehe, die sich in der dritten Phase befänden.

105

Die Kommission trägt vor, der dritte Klagegrund sei zurückzuweisen, da einzelstaatliche Regelungen die unmittelbar anwendbaren Regeln des Unionsrechts auch vor dem Hintergrund des Subsidiaritätsprinzips nicht in Frage stellen könnten.

106

Es treffe jedenfalls nicht zu, dass sie die Kontrolle über das in Bayern geltende Verfahren übernehmen wolle, das ihrer Ansicht nach vollauf mit der Verpflichtung zur Umsetzung von Auswahlkriterien vereinbar sei. Wenn sich die deutschen Behörden dazu außerstande sähen, hätten sie auch die Möglichkeit, andere Maßnahmen des betreffenden Schwerpunkts der Verordnung Nr. 1698/2005 auszuwählen.

107

Gemäß dem in Art. 5 Abs. 3 EUV niedergelegten Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können, sondern wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind (Urteil vom 17. Juni 2009, Portugal/Kommission, T‑50/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2009:206, Rn. 105).

108

Die Notwendigkeit, das Subsidiaritätsprinzip zu berücksichtigen, ergibt sich im vorliegenden Fall insbesondere aus dem Wortlaut des 61. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 1698/2005, in dem es heißt, dass „[e]ntsprechend dem Subsidiaritätsprinzip … für die Zuschussfähigkeit der Ausgaben bis auf bestimmte Ausnahmen die einschlägigen einzelstaatlichen Bestimmungen gelten [sollten]“. Dies wird ergänzt durch den 63. Erwägungsgrund dieser Verordnung, wonach „[i]m Rahmen der dezentralen Durchführung der Aktionen des ELER Garantien gegeben werden [sollten], die insbesondere die Qualität der Umsetzung, die Ergebnisse, die Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung und die Kontrolle betreffen“.

109

Da die Kommission für die Ausführung des Haushaltsplans der Union zuständig ist, muss sie insoweit zum einen die Bedingungen überprüfen, unter denen die Zahlungen und die Kontrollen erfolgt sind, und kann sie zum anderen die Finanzierung nur übernehmen, wenn diese Bedingungen jede erforderliche Gewähr dafür bieten, dass die Ausgaben in Übereinstimmung mit den Unionsvorschriften vorgenommen wurden (vgl. entsprechend Urteil vom 17. Juni 2009, Portugal/Kommission, T‑50/07, nicht veröffentlicht, EU:T:2009:206, Rn. 106).

110

Wenngleich die Aufteilung der Aufgaben zwischen der Kommission und den deutschen Behörden dazu führt, Letzteren – insbesondere da die Verordnung Nr. 1698/2005 auf die innerstaatlichen Umsetzungsmaßnahmen verweist – die Erarbeitung der einschlägigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften über die Zuschussfähigkeit der Ausgaben zu überlassen, ändert dies jedoch nichts an der Tatsache, dass die Kommission verpflichtet ist, zu kontrollieren, ob die deutschen Behörden ihre Verpflichtungen in diesem Bereich tatsächlich erfüllen, ohne dass der Kommission dadurch jedoch die Befugnis übertragen würde, bestimmte Regeln in Bezug auf die innerstaatlichen Rechtsvorschriften über das Flurbereinigungs- und Dorferneuerungsverfahren vorzuschreiben.

111

Wie die Kommission geltend macht, bestehen die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nach Art. 71 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1698/2005 in der Umsetzung der Auswahlkriterien, die die Durchführung einer vergleichenden Auswahl der betroffenen Vorhaben erlauben; dieses Ziel kann erreicht werden, ohne dass das für Flurbereinigungs- und Dorferneuerungsverfahren geltende mitgliedstaatliche oder gar regionale Recht in Frage gestellt wird.

112

Die Bundesrepublik Deutschland kann sich also nicht auf einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip berufen, da sie nicht nachgewiesen hat, dass die Kommission in ihre Zuständigkeit, wie sie sich aus dem Subsidiaritätsprinzip ergibt, eingegriffen hat, als sie die Einhaltung von Art. 71 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1698/2005 verlangt hat.

113

Nach der vorstehenden Analyse ist der dritte Klagegrund zurückzuweisen.

Vierter Klagegrund: Verstoß gegen Art. 52 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1306/2013, Art. 31 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1290/2005 und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie Begründungsmangel

114

Die Bundesrepublik Deutschland, die im Rahmen des vierten Klagegrundes ihr Vorbringen wiederholt, dass sie keine Bestimmungen der Verordnung Nr. 1698/2005 verletzt habe, macht hilfsweise geltend, die Kommission habe dadurch, dass sie ihr eine pauschale Berichtigung von 10 % auferlegt habe, jedenfalls die Art und die geringe Tragweite des Verstoßes falsch bewertet, weil sie verkannt habe, dass der Union weder ein finanzieller Schaden entstanden sei noch eine solche Gefahr bestanden habe.

115

Unter Bezugnahme auf die im Dokument Nr. VI/5330/97 vom 23. Dezember 1997 mit dem Titel „Leitlinien zur Berechnung der finanziellen Auswirkungen im Rahmen der Vorbereitung der Entscheidung über den Rechnungsabschluss des EAGFL-Garantie“ festgelegten Leitlinien zur Anwendung von finanziellen Berichtigungen habe die Kommission fälschlich angenommen, dass eine Schlüsselkontrolle verletzt worden sei.

116

Bei allen Vorhaben, für die eine Finanzierung aus dem ELER beantragt worden sei, hätten nämlich – wie im Übrigen auch die Schlichtungsstelle anerkannt habe – die in der Verordnung Nr. 1698/2005 aufgestellten Fördervoraussetzungen vorgelegen, hätten die Projekte mit den Zielen des ELER im Einklang gestanden und seien auch ausreichende Finanzmittel verfügbar gewesen. Darüber hinaus würden Auswahlkriterien von der Definition der Schlüsselkontrollen im Dokument Nr. VI/5330/97 nicht erfasst.

117

Nur ein Fall der absoluten Unmöglichkeit, die Förderfähigkeit der fraglichen Vorhaben zu beurteilen, könne eine Berichtigung von 10 % nach sich ziehen, nicht aber angebliche Mängel bei der Auswahl der besten Projekte aus allen förderfähigen Vorhaben.

118

Die Berichtigung von 10 % verletze auch Art. 52 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1306/2013 und Art. 31 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1290/2005, denn die Kommission habe der Art des Verstoßes nicht angemessen Rechnung getragen, da sie Mängel bei der Beurteilung der Förderfähigkeit der Ausgaben und Mängel beim Auswahlverfahren gleichgesetzt habe.

119

Der Begründungsmangel liege schließlich darin, dass die Kommission nicht dargelegt habe, worin die Verletzung der Schlüsselkontrollen in Bezug auf die Auswahlkriterien im Sinne ihrer Leitlinien bestehen solle.

120

In der Erwiderung führt die Bundesrepublik Deutschland aus, die Kommission habe im schriftlichen Verfahren vor dem Gericht die Anwendung des Berichtigungssatzes von 10 % nachträglich damit gerechtfertigt, dass im Fall anderer Mitgliedstaaten bei Mängeln gleicher Art eine auf 5 % beschränkte finanzielle Berichtigung angewendet worden sei, da sie für die Klassifizierung der Vorhaben immerhin ein Punktesystem verwendet hätten. Abgesehen davon, dass diese Begründung verspätet sei, stütze sie sich auf einen Grund, der im Widerspruch dazu stehe, dass die Verordnung Nr. 1698/2005 kein Punktesystem für die Klassifizierung der Vorhaben vorsehe.

121

Schließlich sei die Behauptung der Kommission zurückzuweisen, dass die ordnungsgemäße Auswahl gar nicht durch Verwaltungskontrollen sichergestellt worden sei; diese seien vielmehr für jedes Vorhaben durchgeführt und dokumentiert worden.

122

Die Kommission trägt vor, Art. 24 ihrer Verordnung (EU) Nr. 65/2011 vom 27. Januar 2011 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 1698/2005 hinsichtlich der Kontrollverfahren und der Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen bei Maßnahmen zur Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums (ABl. 2011, L 25, S. 8) sehe vor, dass im Rahmen der Auswahl der Vorhaben Verwaltungskontrollen durchzuführen seien. Die Auswahl der Vorhaben bestehe aber nicht nur darin, die Checklisten A, B und C auszufüllen und zu überprüfen, dass die Ausgaben aufgrund ihrer Aufnahme in das BayZAL förderfähig seien, sondern auch in der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Auswahl der potenziell förderfähigen Vorhaben.

123

Der zentrale Vorgang, bei dem die örtliche Verwaltung darüber entscheiden solle, ob ein Vorhaben in die Förderung durch den ELER aufgenommen werde, sei somit nicht überprüft worden, da die Checklisten A, B und C keine vergleichende Bewertung der Projekte sicherstellten. Alle geförderten Vorhaben entsprächen hinsichtlich der Ausgaben den Förderfähigkeitskriterien, so dass das Risiko für den ELER zwar nicht 100 % betrage, aber das Fehlen einer vergleichenden Auswahl ein erhöhtes Risiko zur Folge habe und es sich um eine Unzulänglichkeit einer Schlüsselkontrolle handele, die die Anwendung des Berichtigungssatzes von 10 % rechtfertige.

124

Zu dem von der Bundesrepublik Deutschland angeführten Begründungsmangel sei festzustellen, dass der Satz von 10 % – anders als bei den mit einer 5%igen Kürzung belegten Mitgliedstaaten – wegen des völligen Fehlens einer ordnungsgemäßen Auswahl der Vorhaben auferlegt worden sei und nicht deshalb, weil kein Bewertungssystem auf der Grundlage von Punkten verwendet worden sei. Die Bundesrepublik Deutschland sei darüber durch die Korrespondenz während des Verwaltungsverfahrens und durch den zusammenfassenden Bericht der Kommission regelmäßig informiert worden, so dass ihr die Gründe für die Anwendung des Satzes von 10 % bekannt gewesen seien.

125

Was die finanziellen Berichtigungen im Bereich des ELER anbelangt, sieht Art. 31 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1290/2005 vor, dass die Kommission die auszuschließenden Beträge insbesondere unter Berücksichtigung des Umfangs der festgestellten Nichtübereinstimmung bemisst. Sie trägt dabei der Art und Schwere des Verstoßes sowie dem der Union entstandenen finanziellen Schaden Rechnung (Urteil vom 26. Februar 2015, Litauen/Kommission, T‑365/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:113, Rn. 52).

126

In Anhang 2 des Dokuments Nr. VI/5330/97 werden die finanziellen Auswirkungen von Mängeln der mitgliedstaatlichen Kontrollen präzisiert. Eine pauschale finanzielle Berichtigung kann – abhängig von der Höhe des Risikos des Verlusts – ins Auge gefasst werden, wenn es anhand der Ergebnisse der Überprüfung nicht möglich ist, die der Gemeinschaft durch eine mangelhafte Kontrolle entstandenen Verluste durch eine Extrapolation auf statistischem Wege oder durch Bezugnahme auf andere überprüfbare Daten zu bewerten (Urteil vom 26. Februar 2015, Litauen/Kommission, T‑365/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:113, Rn. 53).

127

Im Dokument Nr. VI/5330/97 sieht die Kommission für die Feststellung des Grades des Verlustrisikos für die Mittel der Union zwei Kategorien von Kontrollen vor. Schlüsselkontrollen sind die körperlichen und administrativen Kontrollen, die erforderlich sind, um die wesentlichen Elemente eines Antrags zu überprüfen, insbesondere die Existenz der Person, die den Antrag stellt, die Erzeugnismenge und die qualitativen Merkmale einschließlich der Einhaltung der Fristen, Ernteauflagen, Haltungszeiträume usw. Diese Schlüsselkontrollen werden vor Ort und durch Gegenkontrollen mit unabhängigen Daten wie den Liegenschaftsbüchern vorgenommen. Zusatzkontrollen sind die administrativen Maßnahmen, die erforderlich sind, um die Anträge korrekt zu bearbeiten, also beispielsweise die Überprüfung der Einhaltung der Einreichungsfristen, die Erkennung von Doppelbeantragungen, die Risikoanalyse, die Anwendung von Sanktionen und die angemessene Überwachung der Verfahren (Urteil vom 26. Februar 2015, Litauen/Kommission, T‑365/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:113, Rn. 54).

128

Für die Berechnung der nicht förderfähigen Ausgaben sieht das Dokument Nr. VI/5330/97 vier Arten von Pauschalberichtigungen vor:

25 % der Ausgaben, wenn ein Mitgliedstaat ein Kontrollsystem überhaupt nicht oder nur in äußerst mangelhafter Weise anwendet und es Beweise gibt, die auf weit verbreitete Unregelmäßigkeiten sowie auf Fahrlässigkeit bei der Bekämpfung betrügerischer und unregelmäßiger Praktiken schließen lassen, und daher die Gefahr besteht, dass dem EGFL besonders hohe Verluste entstehen;

10 % der Ausgaben, wenn eine oder mehrere Schlüsselkontrollen nicht oder nur so unzulänglich bzw. so selten vorgenommen werden, dass es absolut unmöglich ist, die Förderfähigkeit eines Antrags zu beurteilen oder eine Unregelmäßigkeit zu verhüten, und daher der Schluss zulässig ist, dass nach vernünftigem Ermessen die Gefahr eines sehr hohen und generalisierten Verlusts zum Schaden des EGFL besteht;

5 % der Ausgaben, wenn zwar alle Schlüsselkontrollen vorgenommen wurden, jedoch nicht in der nach den Verordnungen vorgeschriebenen Zahl, Häufigkeit oder Intensität, und somit der Schluss zulässig ist, dass die Kontrollen nach vernünftigem Ermessen keine ausreichende Gewähr für die Ordnungsmäßigkeit der Anträge bieten und dass die Gefahr eines Verlusts zum Nachteil des EGFL besteht;

2 % der Ausgaben, wenn der Mitgliedstaat zwar die Schlüsselkontrollen in angemessener Weise vorgenommen hat, es aber vollständig versäumt hat, eine oder mehrere Zusatzkontrollen durchzuführen, und somit ein geringeres Verlustrisiko für den EGFL besteht und auch der Verstoß weniger gravierend ist.

129

Im vorliegenden Fall geht aus den Schlussfolgerungen des zusammenfassenden Berichts hervor, dass die Kommission der Ansicht war, dass die Auswahl der Vorhaben intransparent geblieben sei, und dass damit eine Gefahr für den ELER bestand, so dass eine pauschale Kürzung in Höhe von 10 % vorzunehmen war.

130

Wie die Kommission geltend gemacht hat, ist der intransparente Charakter der Auswahl nicht darauf zurückzuführen, dass die deutschen Behörden nicht auf ein spezielles System der Bewertungskriterien einschließlich eines Rating-Systems zurückgegriffen haben, sondern vor allem auf die mangelnde Umsetzung der vergleichenden Auswahlkriterien gemäß Art. 71 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1698/2005, wie dies bei der Prüfung des ersten Klagegrundes bereits gezeigt wurde, so dass die deutschen Behörden eine der ihnen durch diese Vorschrift obliegenden grundlegenden Verpflichtungen verkannt haben.

131

Gemäß Art. 31 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1290/2005 ist es Aufgabe der Kommission, die Schlussfolgerungen aus den festgestellten Mängeln zu ziehen, indem sie die auszuschließenden Beträge insbesondere unter Berücksichtigung des Umfangs der Nichtübereinstimmung bemisst und dabei der Art und Schwere des Verstoßes sowie dem der Union entstandenen finanziellen Schaden Rechnung trägt.

132

Da die festgestellten Mängel die deutschen Behörden daran hinderten, die Förderfähigkeit der Anträge unter den Bedingungen des Art. 71 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1698/2005 zu bestimmen, führen sie zur Unzulänglichkeit einer Schlüsselkontrolle, die den Schluss zulässt, dass nach vernünftigem Ermessen die Gefahr eines sehr hohen und generalisierten Verlusts zum Schaden des EGFL besteht. Die Behauptung, dass für alle Vorhaben ausreichende Finanzmittel vorhanden gewesen seien, trifft nämlich sachlich nicht zu, wenn alle Anträge auf Dorferneuerungs- oder Flurneuordnungsvorhaben, insbesondere die, die nicht in das Arbeitsprogramm der lokal zuständigen Ämter für ländliche Entwicklung aufgenommen wurden, berücksichtigt werden. Das Versäumnis der deutschen Behörden zieht auch ein Risiko nach sich, dass Mittel der Union für Vorhaben bereitgestellt werden, denen die erforderliche Eignung fehlt, so dass das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland, der Union sei aufgrund ausreichend vorhandener Finanzmittel weder ein finanzieller Schaden entstanden noch habe eine solche Gefahr bestanden, in jedem Fall als ins Leere gehend anzusehen ist.

133

Im Rahmen einer abstrakten Beurteilung der Gefahr ist im Hinblick auf die unbestimmte Zahl betroffener Einzelfälle und ihrer Umstände der Pauschalbetrag der nicht förderfähigen Ausgaben unter Berücksichtigung der Empfehlungen im Dokument Nr. VI/5330/97 mit 10 % angemessen bewertet worden.

134

Bei der Bestimmung dieses Satzes hat die Kommission somit – entgegen dem Vorbringen der deutschen Behörden – weder Art. 52 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1306/2013 noch Art. 31 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1290/2005 verkannt, noch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt.

135

Hinsichtlich der angeblichen Verletzung der Begründungspflicht ist erneut darauf hinzuweisen, dass die deutschen Behörden eng am Verfahren der Ausarbeitung dieser Entscheidung beteiligt waren, da sie vor Erlass des angefochtenen Beschlusses an einem Schlichtungsverfahren gemäß Art. 16 der Verordnung Nr. 885/2006 teilgenommen haben. Sie kannten somit die Gründe, aus denen die Kommission der Ansicht war, einen Satz von 10 % anwenden zu müssen.

136

Der Verweis auf eine Berichtigung in Höhe von 5 % in Bezug auf bestimmte Mitgliedstaaten erscheint daher nicht als eine nachträglich durch die Kommission vorgebrachte Begründung, um die Anwendung eines Satzes von 10 % zu rechtfertigen. Das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland hierzu ist daher zurückzuweisen.

137

Angesichts der vorstehenden Analyse ist der vierte Klagegrund zurückzuweisen und die Klage somit insgesamt abzuweisen.

Kosten

138

Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

139

Da die Bundesrepublik Deutschland unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten.

 

Prek

Schalin

Costeira

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 3. April 2017.

Der Kanzler

E. Coulon

Der Präsident

M. Prek


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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