Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-544/15

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

4. April 2017 ( 1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts — Richtlinie 2004/114/EG — Art. 6 Abs. 1 Buchst. d — Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen — Ablehnung der Zulassung — Begriff der ‚Bedrohung für die öffentliche Sicherheit‘ — Beurteilungsraum“

In der Rechtssache C‑544/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Berlin (Deutschland) mit Entscheidung vom 14. Oktober 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Oktober 2015, in dem Verfahren

Sahar Fahimian

gegen

Bundesrepublik Deutschland,

Beteiligte:

Stadt Darmstadt,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, L. Bay Larsen, T. von Danwitz und E. Juhász, der Kammerpräsidentinnen M. Berger und A. Prechal, der Kammerpräsidenten M. Vilaras und E. Regan (Berichterstatter) sowie der Richter A. Rosas, A. Borg Barthet, D. Šváby, E. Jarašiūnas und C. Lycourgos,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. September 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von Sahar Fahimian, vertreten durch Rechtsanwalt P. von Auer,

der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und T. Henze als Bevollmächtigte,

der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet und M. Jacobs als Bevollmächtigte,

der griechischen Regierung, vertreten durch T. Papadopoulou als Bevollmächtigte,

der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas, F. X. Bréchot und E. Armoët als Bevollmächtigte,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und F. Erlbacher als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. November 2016

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/114/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 über die Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zur Absolvierung eines Studiums oder zur Teilnahme an einem Schüleraustausch, einer unbezahlten Ausbildungsmaßnahme oder einem Freiwilligendienst (ABl. 2004, L 375, S. 12).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Sahar Fahimian und der Bundesrepublik Deutschland wegen deren Weigerung, ihr ein Visum zur Absolvierung eines Studiums zu erteilen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2004/114

3

In den Erwägungsgründen 6, 7, 14, 15 und 24 der Richtlinie 2004/114 heißt es:

„(6)

Ein Ziel der bildungspolitischen Maßnahmen der Gemeinschaft ist es, darauf hinzuwirken, dass ganz Europa im Bereich von Studium und beruflicher Bildung weltweit Maßstäbe setzt. Die Förderung der Bereitschaft von Drittstaatsangehörigen, sich zu Studienzwecken in die Gemeinschaft zu begeben, ist ein wesentliches Element dieser Strategie. Dazu gehört auch die Annäherung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der Einreise- und Aufenthaltsbedingungen.

(7)

Die Zuwanderung zu den in dieser Richtlinie genannten Zwecken, die per definitionem zeitlich begrenzt und von der Situation auf dem Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats unabhängig ist, stellt sowohl für die betreffenden Personen als auch für ihren Herkunfts- und den Aufnahmestaat eine Bereicherung dar und trägt zugleich allgemein zu einem besseren interkulturellen Verständnis bei.

(14)

Die Zulassung für die in dieser Richtlinie festgelegten Zwecke kann aus besonderen Gründen abgelehnt werden. Insbesondere könnte die Zulassung verweigert werden, falls ein Mitgliedstaat ausgehend von einer auf Tatsachen gestützten Beurteilung zu der Auffassung gelangt, dass der betreffende Drittstaatsangehörige eine potenzielle Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Der Begriff der öffentlichen Ordnung kann die Verurteilung wegen der Begehung einer schweren Straftat umfassen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit auch Fälle umfasst, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder extremistische Bestrebungen hat oder hatte.

(15)

Bestehen Zweifel an den Antragsgründen, so könnten die Mitgliedstaaten alle Nachweise verlangen, die für die Prüfung der Schlüssigkeit des Antrags – insbesondere anhand der Studienpläne des Antragstellers – erforderlich sind, um dem Missbrauch und der falschen Anwendung des in dieser Richtlinie festgelegten Verfahrens vorzubeugen.

(24)

Da das Ziel der vorgeschlagenen Maßnahme, nämlich die Bedingungen für die Aufnahme von Drittstaatsangehörigen zu Studienzwecken oder zur Teilnahme an Schüleraustauschprogrammen, unbezahlter Ausbildung oder Freiwilligendienst festzulegen, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher wegen seines Umfangs oder seiner Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel niedergelegten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.“

4

Art. 1 dieser Richtlinie lautet:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Festlegung

a)

der Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten zu Studienzwecken oder zur Teilnahme an einem Schüleraustausch, einer unbezahlten Ausbildungsmaßnahme oder einem Freiwilligendienst;

b)

der Bestimmungen über die Verfahren, nach denen Drittstaatsangehörige in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu diesen Zwecken zugelassen werden.“

5

Nach Art. 3 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 der Richtlinie gilt diese u. a. „für Drittstaatsangehörige, die einen Antrag auf Zulassung ins Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu Studienzwecken stellen“.

6

Kapitel II der Richtlinie 2004/114 betrifft die „Zulassungsbedingungen“. Es besteht aus den Art. 5 bis 11 der Richtlinie. Art. 5 lautet:

„Ein Drittstaatsangehöriger wird nach dieser Richtlinie nur dann zugelassen, wenn sich nach Prüfung der Unterlagen zeigt, dass er die Bedingungen de[s] Artikel[s] 6 und – je nach Kategorie – der Artikel 7, 8, 9, 10 oder 11 erfüllt.“

7

Art. 6 der Richtlinie bestimmt:

„(1)   Ein Drittstaatsangehöriger, der die Zulassung zu den in den Artikeln 7 bis 11 genannten Zwecken beantragt, muss folgende Bedingungen erfüllen:

a)

Er muss ein nach einzelstaatlichem Recht gültiges Reisedokument vorlegen. Die Mitgliedstaaten können verlangen, dass die Geltungsdauer des Reisedokuments mindestens die Dauer des geplanten Aufenthalts abdeckt.

b)

Sofern er nach dem einzelstaatlichen Recht des Aufnahmemitgliedstaats minderjährig ist, muss er eine Erlaubnis der Eltern für den geplanten Aufenthalt vorlegen.

c)

Er muss über eine Krankenversicherung verfügen, die sich auf alle Risiken erstreckt, die normalerweise in dem betreffenden Mitgliedstaat für die eigenen Staatsangehörigen abgedeckt sind.

d)

Er darf nicht als eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit betrachtet werden.

e)

Er muss auf Verlangen des Mitgliedstaats einen Nachweis über die Zahlung der Gebühr für die Bearbeitung des Antrags nach Artikel 20 erbringen.

(2)   Die Mitgliedstaaten erleichtern das Zulassungsverfahren für die in den Artikeln 7 bis 11 bezeichneten Drittstaatsangehörigen, die an Gemeinschaftsprogrammen zur Förderung der Mobilität in die Gemeinschaft oder innerhalb der Gemeinschaft teilnehmen.“

8

Die Art. 7 bis 11 der Richtlinie 2004/114 betreffen die besonderen Zulassungsbedingungen für Studenten, Schüler, unbezahlte Auszubildende und Freiwillige sowie die Mobilität der Studenten. Art. 7 („Besondere Bedingungen für Studenten“) dieser Richtlinie bestimmt in Abs. 1:

„Ein Drittstaatsangehöriger, der die Zulassung zu Studienzwecken beantragt, muss zusätzlich zu den allgemeinen Bedingungen des Artikels 6 folgende Bedingungen erfüllen:

a)

Er muss von einer höheren Bildungseinrichtung zu einem Studienprogramm zugelassen worden sein.

b)

Er muss den von einem Mitgliedstaat verlangten Nachweis erbringen, dass er während seines Aufenthalts über die nötigen Mittel verfügt, um die Kosten für seinen Unterhalt, das Studium und die Rückreise zu tragen. Die Mitgliedstaaten geben bekannt, welchen Mindestbetrag sie als monatlich erforderliche Mittel im Sinne dieser Bestimmung unbeschadet einer Prüfung im Einzelfall vorschreiben.

c)

Er muss auf Verlangen des Mitgliedstaats eine hinreichende Kenntnis der Sprache nachweisen, in der das Studienprogramm, an dem er teilnehmen möchte, erteilt wird.

d)

Er muss auf Verlangen des Mitgliedstaats nachweisen, dass er die von der Einrichtung geforderten Gebühren entrichtet hat.“

9

Art. 12 der Richtlinie 2004/114 lautet:

„(1)   Der Aufenthaltstitel wird dem Studenten für mindestens ein Jahr erteilt und kann verlängert werden, wenn der Inhaber die Bedingungen der Artikel 6 und 7 weiterhin erfüllt. Beträgt die Dauer des Studienprogramms weniger als ein Jahr, so wird der Aufenthaltstitel für die Dauer dieses Programms erteilt.

(2)   Unbeschadet des Artikels 16 kann ein Aufenthaltstitel in den Fällen nicht verlängert oder entzogen werden, in denen der Inhaber

a)

die Beschränkungen seines Zugangs zur Erwerbstätigkeit gemäß Artikel 17 dieser Richtlinie nicht einhält;

b)

keine ausreichenden Studienfortschritte gemäß dem einzelstaatlichen Recht oder der einzelstaatlichen Verwaltungspraxis macht.“

10

Art. 18 („Verfahrensgarantien und Transparenz“) der Richtlinie bestimmt in den Abs. 2 und 4:

„(2)   Sind die Unterlagen zur Begründung des Antrags unzureichend, so kann die Prüfung des Antrags ausgesetzt werden, und die zuständigen Behörden teilen dem Antragsteller mit, welche zusätzlichen Informationen sie benötigen.

(4)   Wird ein Antrag abgelehnt oder ein gemäß dieser Richtlinie erteilter Aufenthaltstitel entzogen, so ist der betroffenen Person das Recht einzuräumen, vor den öffentlichen Stellen des betreffenden Mitgliedstaats einen Rechtsbehelf einzulegen.“

Verordnung (EU) Nr. 267/2012

11

Nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. d der Verordnung (EU) Nr. 267/2012 des Rates vom 23. März 2012 über restriktive Maßnahmen gegen Iran und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 961/2010 (ABl. 2012, L 88, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1263/2012 des Rates vom 21. Dezember 2012 (ABl. 2012, L 356, S. 34) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 267/2012) werden die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen eingefroren, die Eigentum oder Besitz der in Anhang IX aufgeführten Personen, Organisationen und Einrichtungen sind, in Bezug auf die festgestellt wurde, dass sie „sonstige Personen, Organisationen oder Einrichtungen sind, die die iranische Regierung beispielsweise materiell, logistisch oder finanziell unterstützen, oder Organisationen, die in ihrem Eigentum oder unter ihrer Kontrolle stehen, oder Personen, die mit ihnen in Verbindung stehen“.

12

Dieser Anhang wurde mehrfach geändert, u. a. durch den Erlass zusätzlicher restriktiver Maßnahmen. In seiner durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1202/2014 des Rates vom 7. November 2014 (ABl. 2014, L 325, S. 3) geänderten Fassung enthält er unter Titel I Abschnitt B betreffend Personen und Organisationen, die an nuklearen Tätigkeiten oder Tätigkeiten im Zusammenhang mit ballistischen Raketen beteiligt sind, sowie Personen und Organisationen, die die Regierung Irans unterstützen, die Sharif University of Technology (Technologische Universität Sharif) (Iran) (im Folgenden: SUT).

13

Begründet wurde die Aufnahme der SUT in die Liste wie folgt:

„[Die SUT] hat eine Reihe von Kooperationsabkommen mit iranischen Regierungsorganisationen, die von den VN und/oder der EU benannt sind und in militärischen oder militärisch relevanten Bereichen tätig sind, insbesondere im Bereich der Herstellung und Beschaffung ballistischer Raketen. Dazu gehören: [e]in Abkommen mit der von der EU benannten Organisation der Luft- und Raumfahrtindustrien unter anderem über die Herstellung von Satelliten; Zusammenarbeit mit dem iranischen Verteidigungsministerium und dem Korps der Iranischen Revolutionsgarde (IRGC) bei Smartboat-Wettkämpfen; ein umfassenderes Abkommen mit der Luftwaffe des IRGC über den Ausbau und die Stärkung der Beziehungen der Universität, der organisatorischen und strategischen Zusammenarbeit.

[Die] SUT beteiligt sich an einem Abkommen zwischen sechs Universitäten, mit dem die iranische Regierung durch verteidigungsrelevante Forschung unterstützt wird; und [die] SUT bietet Ingenieur-Studiengänge im Bereich der unbemannten Luftfahrzeuge (UAV) an, die unter anderem vom Wissenschaftsministerium konzipiert wurden. Alles in allem ergibt sich ein umfangreiches Engagement gegenüber der iranischen Regierung in militärischen [oder] militärisch relevanten Bereichen, das als Unterstützung der iranischen Regierung zu werten ist.“

Deutsches Recht

14

Das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) (im Folgenden: AufenthG) bestimmt in § 4 („Erfordernis eines Aufenthaltstitels“) Abs. 1:

„Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels … Die Aufenthaltstitel werden erteilt als

1.

Visum im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3,

…“

15

§ 6 („Visum“) AufenthG bestimmt in Abs. 3:

„Für längerfristige Aufenthalte ist ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird. Die Erteilung richtet sich nach den für die Aufenthaltserlaubnis, die Blaue Karte EU, die Niederlassungserlaubnis und die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU geltenden Vorschriften. …“

16

§ 16 („Studium; Sprachkurse; Schulbesuch“) Abs. 1 AufenthG sieht vor:

„Einem Ausländer kann zum Zweck des Studiums an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule oder vergleichbaren Ausbildungseinrichtung eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. … Die Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Studiums darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer von der Ausbildungseinrichtung zugelassen worden ist; eine bedingte Zulassung ist ausreichend. Ein Nachweis von Kenntnissen in der Ausbildungssprache wird nicht verlangt, wenn die Sprachkenntnisse bei der Zulassungsentscheidung bereits berücksichtigt worden sind oder durch studienvorbereitende Maßnahmen erworben werden sollen. Die Geltungsdauer bei der Ersterteilung und Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für ein Studium beträgt mindestens ein Jahr und soll bei Studium und studienvorbereitenden Maßnahmen zwei Jahre nicht überschreiten; sie kann verlängert werden, wenn der Aufenthaltszweck noch nicht erreicht ist und in einem angemessenen Zeitraum noch erreicht werden kann.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

17

Die 1985 geborene Sahar Fahimian ist iranische Staatsangehörige. Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass sie über einen von der SUT verliehenen Hochschulabschluss in Form eines Master of science auf dem Gebiet der Informationstechnologie verfügt. Die SUT ist auf die Lehre in den Fächern Technik, Ingenieurwissenschaften und Physik spezialisiert.

18

Am 21. November 2012 beantragte Frau Fahimian bei der deutschen Botschaft in Teheran die Erteilung eines Visums zur Aufnahme eines Promotionsstudiums im Rahmen des Projekts „Vertrauenswürdige Eingebettete und Mobile Systeme“ am Center for Advanced Security Research Darmstadt (CASED) (Zentrum für zukunftsorientierte Sicherheitsforschung, Darmstadt) der Technischen Universität Darmstadt (Deutschland).

19

Frau Fahimian fügte ihrem Antrag einen Nachweis der Zulassung durch die Universität Darmstadt sowie ein Schreiben des Managing Director des Center for Advanced Security Research Darmstadt vom 14. November 2012 bei. Der Gegenstand des Forschungsvorhabens von Frau Fahimian wird in diesem Schreiben wie folgt beschrieben: „Sicherheit mobiler Systeme, insbesondere Angriffserkennung auf Smartphones bis hin zu Sicherheitsprotokollen“. Der Managing Director führt weiter aus, dass die Aufgabe von Frau Fahimian im Rahmen dieses Vorhabens darin bestehen wird, „neue effiziente und effektive Schutzmechanismen für Smartphones unter den bekannten Beschränkungen beschränkter Energie, beschränkter Computer-Ressourcen und beschränkter Bandbreite zu finden“.

20

Zur Finanzierung ihres Promotionsstudiums sollte Frau Fahimian ein Stipendium dieses Forschungszentrums erhalten.

21

Nachdem ihr Visumantrag am 27. Mai 2013 abgelehnt worden war, strengte Frau Fahimian ein Remonstrationsverfahren an, das ohne Erfolg blieb und mit Rechtsbehelfsbescheid vom 22. Oktober 2013 abgeschlossen wurde.

22

Am 22. November 2013 erhob sie beim vorlegenden Gericht Klage gegen den ablehnenden Bescheid und auf Erteilung des von ihr begehrten Visums. Das vorlegende Gericht stellt fest, dass die Parteien über die Frage streiten, ob Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/114 einer Zulassung von Frau Fahimian in das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland entgegenstehen.

23

Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass nach Auffassung der Beklagten des Ausgangsverfahrens die Lage in Iran die Gefahr begründet, die von Frau Fahimian während ihres Studienaufenthalts erworbenen Fähigkeiten könnten später in ihrem Herkunftsland missbräuchlich eingesetzt werden. Seitens der iranischen Regierung werde seit geraumer Zeit ein groß angelegtes Cyberprogramm unterhalten, mit dem sie sich in westlichen Ländern Zugang zu vertraulichen Informationen zu verschaffen suche. Hacker hätten es dabei insbesondere auf sensible Daten aus den Bereichen der Luft- und Raumfahrt sowie der Rüstungsindustrie abgesehen. Nach Aussagen von Sicherheitsexperten würden Hackerangriffe nicht zuletzt unternommen, um Baupläne und Forschungsergebnisse für das iranische Nuklearprogramm zu beschaffen, das im Verdacht stehe, militärische Zwecke zu verfolgen.

24

In diesem Zusammenhang sei in der Staatengemeinschaft die Bedeutung des Engagements der SUT in der militärisch orientierten Forschung in Iran anerkannt. Die Art dieses Engagements habe den Unionsgesetzgeber dazu veranlasst, die SUT erstmals mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1264/2012 des Rates vom 21. Dezember 2012 zur Durchführung der Verordnung Nr. 267/2012 (ABl. 2012, L 356, S. 55) in die in Anhang IX der Verordnung Nr. 267/2012 enthaltene Liste der Einrichtungen, die restriktiven Maßnahmen unterliegen, aufzunehmen. Diese Aufnahme wurde vom Gericht der Europäischen Union in seinem Urteil vom 3. Juli 2014, Sharif University of Technology/Rat (T‑181/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:607) für nichtig erklärt. Mit der Durchführungsverordnung Nr. 1202/2014 nahm der Unionsgesetzgeber die SUT erneut in die Liste auf. Die erneute Aufnahme beruhe auf der zwischen dieser Universität und dem iranischen Regime nachweislich bestehenden engen Verbindung in militärischen oder militärisch relevanten Bereichen.

25

Außerdem sei nicht auszuschließen, dass Verbindungen von Frau Fahimian zu ihren Kontakten an der SUT auch nach ihrem dort erreichten Studienabschluss fortbestünden.

26

Ferner befürchtet die Beklagte des Ausgangsverfahrens, dass das von Frau Fahimian während ihres Promotionsstudiums in Deutschland erworbene Wissen in Iran auch zum Zweck der internen Repression oder allgemein im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen verwendet werden könnte. Die Technologien, die Gegenstand des Forschungsvorhabens von Frau Fahimian seien, könnten von den iranischen Behörden zur Überwachung der Bevölkerung eingesetzt werden.

27

Das vorlegende Gericht hat jedoch Zweifel, ob sich die Beklagte des Ausgangsverfahrens zu Recht auf Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/114 beruft. Sie habe im Zusammenhang mit dem Verhalten von Frau Fahimian oder ihren Kontakten zu bestimmten Personen keine konkreten Umstände angeführt und auch den Zusammenhang zwischen den von Frau Fahimian während ihres Promotionsstudiums erworbenen Fähigkeiten und deren späterem missbräuchlichen Einsatz nicht dargetan.

28

Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht Berlin (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

a)

Ist Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/114 dahin auszulegen, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Prüfung, ob ein Drittstaatsangehöriger, der die Zulassung zu den in den Art. 7 bis 11 der Richtlinie genannten Zwecken beantragt, als eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit betrachtet wird, über einen Beurteilungsspielraum verfügen, aufgrund dessen die behördliche Einschätzung nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt?

b)

Im Fall einer Bejahung von Frage 1 a):

Welchen rechtlichen Grenzen unterliegen die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Einschätzung, dass ein Drittstaatsangehöriger, der die Zulassung zu den in den Art. 7 bis 11 der Richtlinie 2004/114 genannten Zwecken beantragt, als eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zu betrachten ist, insbesondere im Hinblick auf die der Einschätzung zugrunde zu legenden Tatsachen und deren Würdigung?

2.

Unabhängig von der Beantwortung der Fragen 1 a) und 1 b):

Ist Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/114 dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten hiernach befugt sind, in einem Sachverhalt wie dem vorliegenden, in dem eine Drittstaatsangehörige aus der Islamischen Republik Iran, die ihren Hochschulabschluss im Iran an der auf Technik, Ingenieurwissenschaften und Physik spezialisierten SUT (Teheran) erworben hat, die Einreise zum Zweck der Aufnahme eines Promotionsstudiums im Bereich der IT‑Sicherheitsforschung im Projekt „Vertrauenswürdige Eingebettete und Mobile Systeme“, insbesondere Entwicklung effektiver Schutzmechanismen für Smartphones, anstrebt, die Zulassung in ihr Hoheitsgebiet mit Hinweis darauf zu versagen, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die im Zusammenhang mit dem Forschungsvorhaben erlangten Fähigkeiten im Iran missbräuchlich eingesetzt würden, etwa zur Verschaffung von vertraulichen Informationen in westlichen Ländern, zum Zweck der internen Repression oder allgemein im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen?

Zu den Vorlagefragen

29

Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/114 dahin auszulegen ist, dass die zuständigen nationalen Behörden, wenn ein Drittstaatsangehöriger bei ihnen ein Visum zur Absolvierung eines Studiums beantragt, bei der Feststellung, ob der Betreffende eine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit im Sinne dieser Vorschrift darstellt, über einen weiten Beurteilungsspielraum verfügen, der nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt, und ob diese Behörden die Erteilung des beantragten Visums unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens verweigern dürfen.

30

Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur deren Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. u. a. Urteil vom 10. September 2014, Ben Alaya, C‑491/13, EU:C:2014:2187, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31

Erstens ist in Bezug auf die allgemeine Systematik der Richtlinie 2004/114 festzustellen, dass gemäß ihrem Art. 5 ein Drittstaatsangehöriger nach dieser Richtlinie nur dann in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zugelassen wird, wenn sich nach Prüfung der Unterlagen zeigt, dass er die allgemeinen Bedingungen gemäß Art. 6 und, falls er die Zulassung zu Studienzwecken beantragt, die besonderen Bedingungen nach Art. 7 der Richtlinie erfüllt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2014, Ben Alaya, C‑491/13, EU:C:2014:2187, Rn. 23).

32

Insbesondere prüfen die Mitgliedstaaten, ob gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/114 – bei Auslegung dieser Vorschrift im Licht des 14. Erwägungsgrundes der Richtlinie – Gründe vorliegen, aus denen sich eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit ergibt. Solche Gründe können die Ablehnung der Zulassung eines solchen Drittstaatsangehörigen rechtfertigen (Urteil vom 10. September 2014, Ben Alaya, C‑491/13, EU:C:2014:2187, Rn. 24).

33

Gemäß Art. 12 der Richtlinie 2004/114 muss Studenten aus Drittstaaten ein Aufenthaltstitel erteilt werden, wenn sie die in den Art. 6 und 7 der Richtlinie abschließend aufgezählten allgemeinen und besonderen Bedingungen erfüllen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2014, Ben Alaya, C‑491/13, EU:C:2014:2187, Rn. 27).

34

Zweitens geht, was die Ziele der Richtlinie 2004/114 betrifft, aus deren Art. 1 Buchst. a in Verbindung mit ihrem 24. Erwägungsgrund hervor, dass diese Richtlinie die Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten zu Studienzwecken festlegen soll (vgl. u. a. Urteil vom 10. September 2014, Ben Alaya, C‑491/13, EU:C:2014:2187, Rn. 28).

35

In dieser Hinsicht hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass die Richtlinie 2004/114 nach ihren Erwägungsgründen 6 und 7 die Bereitschaft von Studenten, die Drittstaatsangehörige sind, fördern soll, sich zu Bildungszwecken in die Union zu begeben, und dass damit darauf hingewirkt werden soll, dass Europa im Bereich von Studium und beruflicher Bildung weltweit Maßstäbe setzt (Urteil vom 21. Juni 2012, Sommer, C‑15/11, EU:C:2012:371, Rn. 39).

36

Somit kann ein Mitgliedstaat nicht über die in den Art. 6 und 7 der Richtlinie 2004/114 vorgesehenen Bedingungen hinaus zusätzliche Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zu Studienzwecken einführen, ohne dass dies den Zielen der Richtlinie zuwiderliefe (vgl. u. a. Urteil vom 10. September 2014, Ben Alaya, C‑491/13, EU:C:2014:2187, Rn. 30).

37

Dagegen wird den zuständigen nationalen Behörden von der Richtlinie 2004/114 ein Beurteilungsspielraum zuerkannt, soweit es um die Frage geht, ob die allgemeinen und besonderen Bedingungen der Art. 6 und 7 der Richtlinie erfüllt sind, insbesondere, ob der Zulassung des Drittstaatsangehörigen Gründe entgegenstehen, aus denen sich eine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit ergibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2014, Ben Alaya, C‑491/13, EU:C:2014:2187, Rn. 33).

38

In der Richtlinie 2004/114 ist der Begriff „öffentliche Sicherheit“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Buchst. d, auf den im Ausgangsverfahren die Nichterteilung des Visums gestützt wird, nicht definiert.

39

Der Gerichtshof hat jedoch bereits darauf hingewiesen, dass der Begriff „öffentliche Sicherheit“, sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats umfasst. Die öffentliche Sicherheit kann daher sowohl durch die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie die Gefährdung des Überlebens der Bevölkerung als auch durch die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen berührt werden (vgl. u. a. Urteile vom 23. November 2010, Tsakouridis, C‑145/09, EU:C:2010:708, Rn. 43 und 44, und vom 15. Februar 2016, N., C‑601/15 PPU, EU:C:2016:84, Rn. 66).

40

Zur Voraussetzung der Bedrohung für die öffentliche Sicherheit ist festzustellen, dass anders als etwa bei Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 7, und Berichtigungen ABl. 2004, L 229, S. 35, und ABl. 2007, L 204, S. 28), wonach bei einer zum Schutz der öffentlichen Sicherheit getroffenen Maßnahme ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein darf und dieses Verhalten eine „tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche“ Gefahr für dieses Grundinteresse der Gesellschaft darstellen muss (vgl. u. a. Urteile vom 22. Mai 2012, I., C‑348/09, EU:C:2012:300, Rn. 30, vom 13. September 2016, Rendón Marín, C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 84, und vom 13. September 2016, CS, C‑304/14, EU:C:2016:674, Rn. 40), aus Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/114 in Verbindung mit deren 14. Erwägungsgrund hervorgeht, dass die Zulassung eines Drittstaatsangehörigen abgelehnt werden kann, wenn die für die Bearbeitung seines Visumantrags zuständigen nationalen Behörden aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Beurteilung zu der Auffassung gelangen, dass der betreffende Drittstaatsangehörige eine – auch nur „potenzielle“ – Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt. Bei dieser Beurteilung können daher außer dem persönlichen Verhalten des Antragstellers auch andere Kriterien berücksichtigt werden, die etwa seinen beruflichen Werdegang betreffen.

41

Die Beurteilung der individuellen Situation des Visumantragstellers kann mit komplexen Bewertungen verbunden sein, die sich u. a. auf eine Beurteilung der Persönlichkeit des Antragstellers, seine Integration in dem Land, in dem er lebt, die politische, soziale und wirtschaftliche Lage dieses Landes sowie auf die Bedrohung beziehen, die möglicherweise mit der Zulassung des Antragstellers zu Studienzwecken in das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats verbunden ist, weil die Gefahr besteht, dass die von diesem Antragsteller während seines Studiums erworbenen Fähigkeiten später in seinem Herkunftsland zu die öffentliche Sicherheit beeinträchtigenden Zwecken eingesetzt werden können. Solche Bewertungen erfordern eine Prognose über das voraussichtliche Verhalten des Visumantragstellers und müssen u. a. auf einer vertieften Kenntnis seines Wohnsitzstaats sowie auf der Analyse verschiedener Dokumente und der Aussagen des Antragstellers beruhen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2013, Koushkaki, C‑84/12, EU:C:2013:862, Rn. 56 und 57).

42

Unter diesen Umständen verfügen die zuständigen nationalen Behörden über einen weiten Beurteilungsspielraum bei der Würdigung der Tatsachen, die für die Feststellung maßgeblich sind, ob die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/114 genannten Gründe, nämlich eine Bedrohung u. a. für die öffentliche Sicherheit, der Zulassung des Drittstaatsangehörigen entgegenstehen (vgl. entsprechend Urteil vom 19. Dezember 2013, Koushkaki, C‑84/12, EU:C:2013:862, Rn. 60).

43

Für die Feststellung, ob der Visumantragsteller eine – auch nur potenzielle – Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellt, müssen die nationalen Behörden eine Gesamtbetrachtung aller seine Situation kennzeichnenden Umstände vornehmen.

44

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die zuständigen nationalen Behörden im Rahmen der Prüfung der Bedingungen für die Zulassung nach dem 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/114 nicht daran gehindert, alle Nachweise zu verlangen, die für die Prüfung der Schlüssigkeit des Zulassungsantrags erforderlich sind (Urteil vom 10. September 2014, Ben Alaya, C‑491/13, EU:C:2014:2187, Rn. 34). Dabei können diese Behörden gemäß Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie vom Antragsteller die von ihnen benötigten zusätzlichen Informationen verlangen, wenn die zur Begründung des Visumsantrags vorgelegten Unterlagen nicht ausreichen, um eine mögliche Bedrohung für die öffentlichen Sicherheit beurteilen zu können.

45

Bei der gerichtlichen Kontrolle des Beurteilungsspielraums der zuständigen nationalen Behörden im Rahmen von Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/114 muss das nationale Gericht unter Berücksichtigung der Beweislastverteilung, wie sie sich aus der vorstehenden Randnummer ergibt, u. a. prüfen, ob die angefochtene Entscheidung auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht.

46

Da die zuständigen nationalen Behörden bei der Beurteilung des Sachverhalts über einen weiten Spielraum verfügen, ist die gerichtliche Kontrolle der Beurteilung auf die Prüfung offenkundiger Fehler beschränkt. Außerdem muss sich die Kontrolle insbesondere auf die Wahrung der Verfahrensgarantien beziehen, der eine grundlegende Bedeutung zukommt. Zu diesen Garantien gehören die Verpflichtung der Behörden, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. März 2010, ERG u. a., C‑379/08 und C‑380/08, EU:C:2010:127, Rn. 60 und 61, sowie vom 16. Juni 2015, Gauweiler u. a., C‑62/14, EU:C:2015:400, Rn. 69), sowie die Verpflichtung, ihre Entscheidung hinreichend zu begründen, um dem nationalen Gericht im Rahmen des Rechtsbehelfs nach Art. 18 Abs. 4 der Richtlinie 2004/114 die Prüfung zu ermöglichen, ob die für die Ausübung des Beurteilungsspielraums maßgeblichen sachlichen und rechtlichen Umstände vorgelegen haben (vgl. entsprechend Urteile vom 21. November 1991, Technische Universität München, C‑269/90, EU:C:1991:438, Rn. 14, sowie vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala, C‑413/06 P, EU:C:2008:392, Rn. 69). Zum letztgenannten Gesichtspunkt ist darauf hinzuweisen, dass nach dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/114 die Nichtzulassung eines Drittstaatsangehörigen zu Studienzwecken auf „besonderen Gründen“ beruhen muss.

47

Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht im Zusammenhang mit der Klage von Frau Fahimian gegen die Entscheidung der deutschen Behörden, ihr das von ihr beantragte Visum zu Studienzwecken nicht zu erteilen, alle ihre Situation kennzeichnenden Umstände zu berücksichtigen.

48

Von besonderer Bedeutung ist dabei im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/114, dass Frau Fahimian einen Hochschulabschluss der SUT besitzt, dass diese Universität in die in Anhang IX der Verordnung Nr. 267/2012 enthaltene Liste der Einrichtungen, die restriktiven Maßnahmen unterliegen, aufgenommen war und bleibt und dass die von Frau Fahimian im Rahmen ihrer Promotion in Deutschland geplante Forschungstätigkeit den sensiblen Bereich der IT‑Sicherheit betrifft.

49

Dasselbe gilt für die zusätzlichen Informationen, die den zuständigen nationalen Behörden vorliegen und die Anlass zu der Befürchtung geben, dass Frau Fahimian die Kenntnisse, die sie in Deutschland erwürbe, später für missbräuchliche Zwecke verwenden könnte, etwa zu den vom vorlegenden Gericht in seiner zweiten Frage angeführten, die der Wahrung der öffentlichen Sicherheit zuwiderlaufen.

50

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/114 dahin auszulegen ist, dass die zuständigen nationalen Behörden, bei denen ein Drittstaatsangehöriger ein Visum zu Studienzwecken beantragt, über einen weiten Beurteilungsspielraum verfügen, wenn sie anhand aller die Situation des Drittstaatsangehörigen kennzeichnenden relevanten Umstände prüfen, ob er eine – auch nur potenzielle – Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellt. Diese Bestimmung ist außerdem dahin auszulegen, dass sie die zuständigen nationalen Behörden nicht daran hindert, einem Drittstaatsangehörigen, der einen Hochschulabschluss einer Universität besitzt, die wegen ihres umfangreichen Engagements gegenüber der iranischen Regierung in militärischen oder militärisch relevanten Bereichen restriktiven Maßnahmen der Union unterliegt, und der in dem betreffenden Mitgliedstaat in einem für die öffentliche Sicherheit sensiblen Bereich forschen möchte, die Zulassung in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats zu Studienzwecken zu verweigern, wenn die Behörden aufgrund der ihnen vorliegenden Informationen Anlass zu der Befürchtung haben, dass die Kenntnisse, die der Betreffende bei seiner Forschung erwürbe, später zu Zwecken verwendet werden könnten, die der öffentlichen Sicherheit zuwiderlaufen. Es ist Sache des mit einer Klage gegen diese Entscheidung befassten nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die Entscheidung der zuständigen nationalen Behörden, das beantragte Visum nicht zu erteilen, auf einer ausreichenden Begründung und einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht.

Kosten

51

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/114/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 über die Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zur Absolvierung eines Studiums oder zur Teilnahme an einem Schüleraustausch, einer unbezahlten Ausbildungsmaßnahme oder einem Freiwilligendienst dahin auszulegen ist, dass die zuständigen nationalen Behörden, bei denen ein Drittstaatsangehöriger ein Visum zu Studienzwecken beantragt, über einen weiten Beurteilungsspielraum verfügen, wenn sie anhand aller die Situation des Drittstaatsangehörigen kennzeichnenden relevanten Umstände prüfen, ob er eine – auch nur potenzielle – Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellt. Diese Bestimmung ist außerdem dahin auszulegen, dass sie die zuständigen nationalen Behörden nicht daran hindert, einem Drittstaatsangehörigen, der einen Hochschulabschluss einer Universität besitzt, die wegen ihres umfangreichen Engagements gegenüber der iranischen Regierung in militärischen oder militärisch relevanten Bereichen restriktiven Maßnahmen der Union unterliegt, und der in dem betreffenden Mitgliedstaat in einem für die öffentliche Sicherheit sensiblen Bereich forschen möchte, die Zulassung in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats zu Studienzwecken zu verweigern, wenn die Behörden aufgrund der ihnen vorliegenden Informationen Anlass zu der Befürchtung haben, dass die Kenntnisse, die der Betreffende bei seiner Forschung erwürbe, später zu Zwecken verwendet werden könnten, die der öffentlichen Sicherheit zuwiderlaufen. Es ist Sache des mit einer Klage gegen diese Entscheidung befassten nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die Entscheidung der zuständigen nationalen Behörden, das beantragte Visum nicht zu erteilen, auf einer ausreichenden Begründung und einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht.

 

Lenaerts

Tizzano

Ilešič

Bay Larsen

von Danwitz

Juhász

Berger

Prechal

Vilaras

Regan

Rosas

Borg Barthet

Šváby

Jarašiūnas

Lycourgos

Verkündet in Luxemburg in öffentlicher Sitzung am 4. April 2017.

Der Kanzler

A. Calot Escobar

Der Präsident

K. Lenaerts


( 1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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Referenzen

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