Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-58/16

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

6. April 2017(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Erhöhung der Gefahrenabwehr in Häfen – Richtlinie 2005/65/EG – Art. 2 Abs. 3 sowie Art. 6, 7 und 9 – Verstoß – Fehlende Risikobewertung für den Hafen – Hafengrenzen, Plan zur Gefahrenabwehr im Hafen und Beauftragter für die Gefahrenabwehr im Hafen – Fehlende Festlegung“

In der Rechtssache C‑58/16

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 1. Februar 2016,

Europäische Kommission, vertreten durch W. Mölls und L. Nicolae als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,

Beklagte,



erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras sowie der Richter J. Malenovský und D. Šváby (Berichterstatter),

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 2 Abs. 3 sowie den Art. 6, 7 und 9 der Richtlinie 2005/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 zur Erhöhung der Gefahrenabwehr in Häfen (ABl. 2005, L 310, S. 28) verstoßen hat, indem sie versäumt hat, in Bezug auf alle Häfen in Nordrhein-Westfalen (Deutschland) sicherzustellen, dass die Hafengrenzen festgelegt werden, Risikobewertungen und Pläne zur Gefahrenabwehr im Hafen genehmigt werden sowie ein Beauftragter für die Gefahrenabwehr zugelassen wird.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

2        Art. 2 („Geltungsbereich“) der Richtlinie 2005/65 sieht in den Abs. 3 und 4 vor:

„(3)      Die Mitgliedstaaten legen für jeden Hafen die Hafengrenzen für die Zwecke dieser Richtlinie fest und tragen dabei den Informationen aus der Risikobewertung für den Hafen angemessen Rechnung.

(4)      Wurden die Grenzen einer Hafenanlage im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 725/2004 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Erhöhung der Gefahrenabwehr auf Schiffen und in Hafenanlagen (ABl. 2004, L 129, S. 6)] von einem Mitgliedstaat so festgelegt, dass sie tatsächlich den Hafen umfassen, so haben die einschlägigen Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 725/2004 Vorrang vor den Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie.“

3        Art. 6 („Risikobewertung für den Hafen“) der Richtlinie 2005/65 bestimmt in den Abs. 1 und 4:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die unter diese Richtlinie fallenden Häfen Risikobewertungen erstellt werden. Diese Risikobewertungen tragen den besonderen Gegebenheiten in verschiedenen Bereichen eines Hafens und – soweit von der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaats als angezeigt erachtet – in angrenzenden Bereichen, die Auswirkungen auf die Gefahrenabwehr im Hafen haben, angemessen Rechnung und berücksichtigen die in Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 725/2004 durchgeführten Risikobewertungen für innerhalb der Grenzen des Hafens liegende Hafenanlagen.

(4)      Die Risikobewertungen für Häfen sind von dem jeweiligen Mitgliedstaat zu genehmigen.“

4        Art. 7 („Plan zur Gefahrenabwehr im Hafen“) der Richtlinie 2005/65 regelt in den Abs. 1 und 5:

„(1)      Unter Berücksichtigung der Ergebnisse von Risikobewertungen für den Hafen stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Pläne zur Gefahrenabwehr in Häfen ausgearbeitet, fortgeschrieben und aktualisiert werden. Die Pläne zur Gefahrenabwehr im Hafen tragen den besonderen Gegebenheiten der verschiedenen Bereiche eines Hafens angemessen Rechnung und beziehen die in Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 725/2004 erstellten Pläne zur Gefahrenabwehr für innerhalb der Grenzen des Hafens liegende Hafenanlagen ein.

(5)      Die Pläne zur Gefahrenabwehr im Hafen sind vor ihrer Durchführung von dem betreffenden Mitgliedstaat zu genehmigen.

…“

5        Art. 9 („Beauftragter für die Gefahrenabwehr im Hafen“) der Richtlinie 2005/65 sieht in den Abs. 1 und 3 vor:

„(1)      Für jeden Hafen ist von dem betreffenden Mitgliedstaat ein Beauftragter für die Gefahrenabwehr im Hafen zuzulassen. Soweit durchführbar, hat jeder Hafen einen eigenen Beauftragten für die Gefahrenabwehr im Hafen; gegebenenfalls kann allerdings ein Beauftragter für mehrere Häfen zuständig sein.

(3)      Ist der Beauftragte für die Gefahrenabwehr im Hafen nicht identisch mit dem/den Beauftragten zur Gefahrenabwehr in der/den Hafenanlage(n) gemäß der Verordnung (EG) Nr. 725/2004, so ist eine enge Zusammenarbeit zwischen ihnen sicherzustellen.“

6        Art. 18 („Durchführung“) der Richtlinie 2005/65 sieht in Abs. 1 Unterabs. 1 vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens bis zum 15[.] Juni 2007 nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.

…“

 Deutsches Recht

7        Im Land Nordrhein-Westfalen erfolgte die Umsetzung der Richtlinie 2005/65 ursprünglich durch das Gesetz über die Sicherheit in Häfen und Hafenanlagen im Land Nordrhein-Westfalen vom 30. Oktober 2007 (Gesetz- und Verordnungsblatt Nordrhein-Westfalen 2007, S. 470), geändert durch Gesetz vom 9. Februar 2010 (Gesetz- und Verordnungsblatt Nordrhein-Westfalen 2010, S. 135) (im Folgenden: Hafensicherheitsgesetz 2007).

8        Nach § 4 in Verbindung mit den §§ 13 und 14 dieses Gesetzes ist für die Risikobewertungen und die Festlegung der Hafengrenzen die Hafensicherheitsbehörde zuständig, d. h. die Bezirksregierung Düsseldorf (Deutschland).

9        Gemäß § 16 dieses Gesetzes werden die Pläne zur Gefahrenabwehr im Hafen (im Folgenden: Gefahrenabwehrpläne) vom Hafenbetreiber erstellt und der Hafensicherheitsbehörde zur Genehmigung vorgelegt. Die in diesen Plänen genannten Sicherungsmaßnahmen sind vom Hafenbetreiber und den sonstigen Eigentümern der Hafenflächen durchzuführen.

10      § 17 des Hafensicherheitsgesetzes 2007 sieht vor, dass der Hafenbetreiber mit Zustimmung der Hafensicherheitsbehörde einen Beauftragten für die Gefahrenabwehr im Hafen (im Folgenden: Beauftragter für die Gefahrenabwehr) sowie einen Vertreter zu bestellen hat.

11      Mit Urteil vom 19. Juni 2013 entschied das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, dass das Hafensicherheitsgesetz 2007, das den Hafenbetreiber zur Erstellung von Gefahrenabwehrplänen verpflichtete, keine Rechtsgrundlage für Kontrollen und Sperrungen auf öffentlichen Straßen in Hafengebieten biete. Daraufhin legte die nordrhein-westfälische Landesregierung einen Gesetzentwurf mit einer Neufassung des Hafensicherheitsgesetzes 2007 vor. Dieses neue Gesetz (im Folgenden: Hafensicherheitsgesetz 2015) wurde am 17. Dezember 2015 verabschiedet und am 29. Dezember 2015 im Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes verkündet. Es unterscheidet sich in einigen Punkten vom Hafensicherheitsgesetz 2007.

12      Nach den §§ 13 und 14 des Hafensicherheitsgesetzes 2015 verbleibt die Zuständigkeit für die Erstellung von Risikobewertungen und die Festlegung der Hafengrenzen bei der Hafensicherheitsbehörde.

13      In § 15 bestimmt dieses Gesetz, dass die Gefahrenabwehrpläne von der Hafensicherheitsbehörde erstellt werden, die Durchführung von Zugangskontrollen den Polizeibehörden obliegt und der Hafenbetreiber sowie die sonstigen Eigentümer und Nutzer im Hafen wie zuvor verpflichtet sind, die ihnen nach dem Gefahrenabwehrplan obliegenden, von ihrer Eigensicherungspflicht umfassten Maßnahmen durchzuführen. § 16 Abs. 1 des Gesetzes sieht vor, dass weiterhin ein Beauftragter für die Gefahrenabwehr vom Hafenbetreiber mit Zustimmung der Hafensicherheitsbehörde bestellt wird.

 Vorverfahren

14      Vom 28. Januar 2013 bis 1. Februar 2013 führte die Kommission eine Inspektion der Hafensicherheitsbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen durch. Bei dieser Gelegenheit stellte sie fest, dass es bei einer Reihe von der Richtlinie 2005/65 unterliegenden Häfen an Risikobewertungen und an der Zulassung eines Beauftragten für die Gefahrenabwehr fehlte.

15      Insoweit räumte die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Stellungnahme vom 21. August 2013 ein, dass es für einige Häfen noch keine Risikobewertung, keinen Gefahrenabwehrplan und keinen zugelassenen Beauftragten für die Gefahrenabwehr gebe. Die Erstellung aller Risikobewertungen wurde jedoch bis Ende 2014 oder Anfang 2015 in Aussicht gestellt.

16      Am 28. März 2014 leitete die Kommission das Verfahren EU-Pilot Nr. 6301/14/MOVE ein, in dessen Rahmen sie die Bundesrepublik Deutschland aufforderte, für jeden der in Rede stehenden 25 Häfen des Landes Nordrhein-Westfalen anzugeben, wie die Risikobewertungen durchgeführt und wann sie genehmigt wurden, wann der jeweilige Gefahrenabwehrplan genehmigt wurde und ob ein Beauftragter für die Gefahrenabwehr zugelassen wurde.

17      Am 27. Mai 2014 antwortete die Bundesrepublik Deutschland, dass der Sachstand seit der vom 28. Januar 2013 bis 1. Februar 2013 durchgeführten Inspektion unverändert sei und angesichts des Urteils des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Juni 2013 das Hafensicherheitsgesetz 2007 überarbeitet werden müsse. Daher seien keine weiteren Risikobewertungen durchgeführt, Gefahrenabwehrpläne genehmigt oder Beauftragte für die Gefahrenabwehr zugelassen worden.

18      Am 4. September 2014 teilte die Bundesrepublik Deutschland der Kommission einen Zeitplan mit, nach dem die Verabschiedung eines neuen Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2005/65 für 2015 vorgesehen war.

19      Mit Aufforderungsschreiben vom 17. Oktober 2014 wies die Kommission den Mitgliedstaat darauf hin, dass er gegen seine Verpflichtungen aus Art. 2 Abs. 3 sowie den Art. 6, 7 und 9 der Richtlinie 2005/65 verstoßen habe, da er nicht für jeden Hafen des Landes Nordrhein-Westfalen die Hafengrenzen festgelegt, Risikobewertungen und Gefahrenabwehrpläne genehmigt sowie einen Beauftragten für die Gefahrenabwehr zugelassen habe.

20      Ohne den von der Kommission im Aufforderungsschreiben erhobenen Beanstandungen entgegenzutreten, räumte die Bundesrepublik Deutschland mit Schreiben vom 9. Dezember 2014 ein, dass keine Fortschritte gemacht worden seien. Das neue Hafensicherheitsgesetz werde voraussichtlich im Laufe des Jahres 2015 verabschiedet.

21      Am 27. März 2015 gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie die im Aufforderungsschreiben dargelegten Beanstandungen wiederholte und der Bundesrepublik Deutschland eine Frist von zwei Monaten setzte, um dieser Stellungnahme nachzukommen.

22      Mit Antwortschreiben vom 20. Mai 2015 unterrichtete die Bundesrepublik Deutschland die Kommission über den Stand des Gesetzgebungsverfahrens und ihre Absicht, Maßnahmen zur Festlegung der Grenzen der betreffenden Häfen sowie vorbereitende Maßnahmen zur Durchführung der Richtlinie 2005/65 zu treffen.

23      Mit Schreiben vom 3. und vom 18. September 2015 informierte die Bundesrepublik Deutschland die Kommission über den Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung der Richtlinie 2005/65 und teilte mit, dass der Entwurf einer Neufassung des Hafensicherheitsgesetzes dem Landtag zur Beratung zugeleitet worden sei.

24      Da die Kommission der Ansicht war, dass die festgestellten Mängel bezüglich der tatsächlichen Durchführung der Richtlinie 2005/65 durch das Hafensicherheitsgesetz 2015 nicht behoben worden waren, beschloss sie, die vorliegende Klage zu erheben.

 Zur Klage

 Zum Umfang der Klage

25      Aus den Erklärungen der Kommission geht hervor, dass sie sich in Wirklichkeit nur auf elf Häfen des Landes Nordrhein-Westfalen bezieht, nämlich die Häfen Düsseldorf, Köln-Niehl I, Godorf, Duisburg-Rheinhausen, Neuss, Duisburg Außen-/Parallelhafen, Krefeld-Linn, Stromhafen Krefeld, Duisburg Ruhrort-Meiderich, Gelsenkirchen und Mülheim.

 Zur verspäteten Durchführung der Richtlinie 2005/65

 Vorbringen der Parteien

26      Die Kommission trägt vor, das Hauptargument der Bundesrepublik Deutschland, dass sie berechtigt gewesen sei, den Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen abzuwarten und erst dann das Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der Richtlinie 2005/65 einzuleiten, das zur Verabschiedung des Hafensicherheitsgesetzes 2015 geführt habe, könne nicht durchgreifen. Diese Situation lasse nämlich die Verantwortlichkeit des Mitgliedstaats für die ihm angelasteten Verstöße unberührt. Insoweit verweist die Kommission auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. u. a. Urteil vom 4. März 2010, Kommission/Italien, C‑297/08, EU:C:2010:115, Rn. 83), nach der sich ein Mitgliedstaat nicht auf interne Umstände berufen könne, um die Nichtbeachtung der Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen, die sich aus Vorschriften des Unionsrechts ergäben.

27      Die Bundesrepublik Deutschland macht ihrerseits geltend, sie habe ihre Verpflichtung aus Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2005/65 erfüllt. Mit dem Erlass des Hafensicherheitsgesetzes 2007 habe sie nämlich die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft gesetzt, die erforderlich gewesen seien, um der Richtlinie 2005/65 spätestens bis zum 15. Juni 2007 nachzukommen.

28      Dass der Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und sodann das erforderlich gewordene Gesetzgebungsverfahren abgewartet worden seien, entspreche den Grundsätzen des effektiven Rechtsschutzes und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Ohne gültige Rechtsgrundlage hätten die zuständigen Behörden nämlich nicht tätig werden können, ohne gegen diese Grundsätze zu verstoßen. Die dadurch entstandene Verzögerung könne der Bundesrepublik Deutschland daher nicht angelastet werden.

29      Mit dem Erlass des Hafensicherheitsgesetzes 2015 habe die Regierung des betreffenden Landes eine neue, wirksame Rechtsgrundlage geschaffen. Dieses Gesetz ermögliche die Durchführung der Arbeiten, die erforderlich seien, damit die Bundesrepublik Deutschland ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2005/65 erfüllen könne.

 Würdigung durch den Gerichtshof

30      Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Situation zu beurteilen ist, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde, und dass später eingetretene Änderungen vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden können (vgl. u. a. Urteil vom 30. Juni 2016, Kommission/Polen, C‑648/13, EU:C:2016:490, Rn. 121 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Soweit die Bundesrepublik Deutschland geltend macht, dass die Richtlinie 2005/65 mit dem Hafensicherheitsgesetz 2015 umgesetzt worden sei, genügt die Feststellung, dass dieses Gesetz nach Ablauf der Frist erlassen wurde, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde, und dass solche nachträglichen Änderungen des nationalen Rechts vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden können.

32      Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Vorschriften einer Richtlinie nach ständiger Rechtsprechung mit unbestreitbarer Verbindlichkeit und mit der Konkretheit, Bestimmtheit und Klarheit umgesetzt werden müssen, die notwendig sind, um dem Erfordernis der Rechtssicherheit zu genügen (vgl. u. a. Urteil vom 30. Juni 2016, Kommission/Polen, C‑648/13, EU:C:2016:490, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Im vorliegenden Fall trägt die Bundesrepublik Deutschland aber selbst vor, dass das Hafensicherheitsgesetz 2007 aufgrund des Urteils des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Juni 2013 nicht als Rechtsgrundlage dafür dienen konnte, der Richtlinie 2005/65 nachzukommen.

34      Das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland zu den Schwierigkeiten, auf die sie bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus der Richtlinie 2005/65 gestoßen sei, ist zurückzuweisen.

35      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann sich ein Mitgliedstaat nämlich nicht auf Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um die Nichteinhaltung der im Unionsrecht festgelegten Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen (Urteil vom 10. Juli 2014, Kommission/Belgien, C‑421/12, EU:C:2014:2064, Rn. 43).

36      Zudem ist darauf hinzuweisen, dass das Verfahren nach Art. 258 AEUV auf der objektiven Feststellung beruht, dass ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus dem Vertrag oder einem sekundären Rechtsakt verstoßen hat.

37      Somit kann sich die Bundesrepublik Deutschland weder auf den Erlass des Hafensicherheitsgesetzes 2007 noch auf die Folgen des Urteils des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Juni 2013 berufen.

 Zur fehlerhaften Umsetzung der Richtlinie 2005/65

 Vorbringen der Parteien

38      Die Kommission trägt vor, die vom 28. Januar 2013 bis 1. Februar 2013 durchgeführte Inspektion habe ergeben, dass es für die elf in Rede stehenden Häfen an Risikobewertungen gefehlt habe.

39      Die Bundesrepublik Deutschland sei den von der Kommission erhobenen Beanstandungen nicht entgegengetreten und bestreite allem Anschein nach nicht, dass es bei diesen elf Häfen an der Risikobewertung und der Festlegung der Hafengrenzen fehle. Dies folge insbesondere aus den Antwortschreiben, die der Mitgliedstaat im Vorverfahren, aber auch nach Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist eingereicht habe. Im Übrigen seien die bei den elf in Rede stehenden Häfen festgestellten Mängel nach wie vor nicht behoben.

40      Was die Verpflichtung zur Festlegung der Hafengrenzen gemäß Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 2005/65 angehe, so baue diese Festlegung auf der Risikobewertung auf, so dass sie für die elf Häfen ebenfalls fehle.

41      Bezüglich der Verpflichtung zur Zulassung eines Beauftragten für die Gefahrenabwehr für einen unter Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 2005/65 fallenden Hafen, dessen Grenzen in Übereinstimmung mit denen der Hafenanlage im Sinne der Verordnung Nr. 725/2004 festgelegt wurden, ist die Kommission der Ansicht, dass es stets eines Aktes der Zulassung für den Hafen insgesamt bedürfe, selbst wenn die Behörde auf einen Beauftragten zurückgreife, der bereits für die Hafenanlage im Sinne dieser Verordnung bestellt worden sei.

42      Die Bundesrepublik Deutschland macht ihrerseits geltend, dass nach Inkrafttreten des Hafensicherheitsgesetzes 2015 die Arbeiten wiederaufgenommen worden seien. In diesem Zusammenhang legt sie eine Übersicht vor, aus der sich der aktuelle Stand der Umsetzung der noch ausstehenden Risikobewertungen und Festlegungen der Hafengrenzen ergibt. Die elf Häfen, auf die sich die Kommission bezieht, werden in den Abschnitten „Noch in Bearbeitung“ und „In Bearbeitung …“ dieser Übersicht aufgeführt.

43      Die voraussichtlichen Hafengrenzen würden im Verfahren zur Erstellung einer Risikobewertung berücksichtigt, und die förmliche Festsetzung der Hafengrenzen erfolge nach Abschluss der Risikobewertung.

44      Für den Neusser Hafen habe es einen gültigen Risikobericht gegeben, der 2008 fertiggestellt worden sei und auf den 27. Januar 2009 datiere. Auch die Hafengrenzen seien festgelegt und verkündet worden, und der Hafenbetreiber sei nach damaliger Gesetzeslage zur Erstellung eines Gefahrenabwehrplans aufgefordert worden. Allerdings habe das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen der Risikobewertung teilweise die Grundlage entzogen, so dass sie entsprechend der neuen Gesetzesgrundlage neu vorgenommen werden müsse.

45      Hinsichtlich der Häfen Gelsenkirchen und Mülheim teilt die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Klagebeantwortung mit, dass sie derzeit daraufhin geprüft würden, ob sie einer Ausnahme im Sinne von Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 2005/65 unterlägen. Wenn ein Hafen unter diese Vorschrift falle, sei er kein Hafen im Sinne dieser Richtlinie mehr. In ihrer Gegenerwiderung ergänzt sie jedoch, dass die beiden betreffenden Häfen nicht mehr in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/65 fielen, da sich dort keine Hafenanlagen mehr befänden, die dem Internationalen Code für die Gefahrenabwehr auf Schiffen und in Hafenanlagen (ISPS) unterlägen.

46      Bezüglich der Bestellung eines Beauftragten für die Gefahrenabwehr weist der Mitgliedstaat darauf hin, dass diese mit der Genehmigung des Gefahrenabwehrplans erfolge. Daher habe die Hafensicherheitsbehörde dort, wo keine Gefahrenabwehrpläne vorgelegt worden seien, keine Beauftragten für die Gefahrenabwehr benennen können.

47      Entgegen der Auffassung der Kommission müsse der betreffende Mitgliedstaat, wenn ein Hafen unter Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 2005/65 falle, keinen Beauftragten für die Gefahrenabwehr im Sinne von Art. 9 dieser Richtlinie mehr zulassen. Daher seien die Hafensicherheitsbehörden der Häfen Duisburg/Plange, Duisburg-Huckingen, Dormagen-Stürzelberg, Duisburg-Walsum Süd, Duisburg/Norske, Kleve/ADM und Rheinberg/Solvay nicht verpflichtet gewesen, einen Beauftragten für die Gefahrenabwehr zu bestellen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

48      In ihrer Klage bezieht sich die Kommission auf elf Häfen, bei denen die Bundesrepublik Deutschland Art. 2 Abs. 3 sowie die Art. 6, 7 und 9 der Richtlinie 2005/65 nicht richtig angewandt haben soll.

49      Die Kommission stützt ihre Klage auf die Ergebnisse ihrer vom 28. Januar 2013 bis 1. Februar 2013 durchgeführten Inspektion der Hafensicherheitsbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen, aus denen sie insbesondere schloss, dass es bei den elf der Richtlinie 2005/65 unterliegenden Häfen an Risikobewertungen fehlte.

50      Die Bundesrepublik Deutschland bestreitet die Ergebnisse dieser Inspektion nicht und räumt überdies ein, dass das Hafensicherheitsgesetz 2007 keine Rechtsgrundlage dafür geboten habe, der Richtlinie 2005/65 nachzukommen. Daraus folgt gemäß der in Rn. 30 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung, dass dieser Mitgliedstaat bei Ablauf der von der Kommission in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist seine Verpflichtungen aus Art. 6 der Richtlinie 2005/65 nicht erfüllt hatte.

51      Diese Feststellung gilt nicht zuletzt für den Neusser Hafen, für den, wie die Bundesrepublik Deutschland im Wesentlichen vorträgt, eine gültige Risikobewertung vorgelegen haben soll. Denn wie aus Rn. 33 des vorliegenden Urteils hervorgeht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Verpflichtung zur Erstellung einer Risikobewertung für diesen Hafen unter der Geltung des Hafensicherheitsgesetzes 2007 wirksam erfüllt wurde. Die Bundesrepublik Deutschland räumt im Übrigen ein, dass diese Bewertung entsprechend dem neuen Gesetz neu vorgenommen werden müsse.

52      Die Feststellung gilt ebenfalls für die Häfen Gelsenkirchen und Mülheim, bezüglich deren die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Klagebeantwortung lediglich darauf verweist, dass gerade geprüft werde, ob die Richtlinie 2005/65 im Hinblick auf ihren Art. 2 Abs. 4 überhaupt anwendbar sei. In seiner Gegenerwiderung behauptet dieser Mitgliedstaat sodann, dass diese Häfen nicht mehr in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fielen, ohne dies jedoch substantiiert auszuführen.

53      Nach alledem ist die Verpflichtung zur Erstellung einer Risikobewertung hinsichtlich der elf Häfen, auf die sich die Kommission bezieht, nicht erfüllt worden. Daraus folgt notwendigerweise, dass die Genehmigung dieser Bewertungen durch die Bundesrepublik Deutschland nicht erfolgen konnte.

54      Überdies ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 2 Abs. 3 sowie den Art. 6 und 7 der Richtlinie 2005/65 die Risikobewertung für die Festlegung der Hafengrenzen und den Vorschlag wirksamer Maßnahmen, die in einem Gefahrenabwehrplan niedergelegt werden, erforderlich ist.

55      Was die Zulassung eines Beauftragten für die Gefahrenabwehr gemäß Art. 9 dieser Richtlinie anbelangt, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass diese Zulassung mit der Genehmigung des Gefahrenabwehrplans erfolgt.

56      Zum anderen bedingt das Fehlen von Risikobewertungen für die elf in Rede stehenden Häfen zwangsläufig das Fehlen der anschließenden Festlegung der Grenzen der betreffenden Häfen, der Genehmigung der Gefahrenabwehrpläne sowie der Zulassung eines Beauftragten für die Gefahrenabwehr für diese Häfen.

57      Zu diesem letzten Punkt trägt die Bundesrepublik Deutschland vor, dass aufgrund von Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 2005/65 die Zulassung eines Beauftragten für die Gefahrenabwehr nicht erforderlich sei. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 9 Abs. 1 und 3 dieser Richtlinie die Mitgliedstaaten für jeden Hafen einen Beauftragten für die Gefahrenabwehr zulassen müssen, und zwar auch, wenn die Hafenbehörde auf einen Beauftragten zurückgreift, der bereits nach der Verordnung Nr. 725/2004 für eine oder mehrere Hafenanlagen benannt wurde. Daher ist, wie die Kommission ausgeführt hat, stets ein Akt der Zulassung für den Hafen insgesamt erforderlich. Einen solchen hat die Bundesrepublik Deutschland aber für die elf Häfen, auf die sich die Kommission bezieht, nicht nachgewiesen.

58      Demnach ist die Klage der Kommission als begründet anzusehen und der Verstoß der Bundesrepublik Deutschland gegen Art. 2 Abs. 3 sowie die Art. 6, 7 und 9 der Richtlinie 2005/65 festzustellen.

59      Folglich ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 2 Abs. 3 sowie die Art. 6, 7 und 9 der Richtlinie 2005/65 verstoßen hat, indem sie in Bezug auf die deutschen Häfen Düsseldorf, Köln-Niehl I, Godorf, Duisburg-Rheinhausen, Neuss, Duisburg Außen-/Parallelhafen, Krefeld-Linn, Stromhafen Krefeld, Duisburg Ruhrort-Meiderich, Gelsenkirchen und Mülheim des Landes Nordrhein-Westfalen versäumt hat, sicherzustellen, dass die Hafengrenzen festgelegt werden, Risikobewertungen und Gefahrenabwehrpläne genehmigt werden sowie ein Beauftragter für die Gefahrenabwehr zugelassen wird.

 Kosten

60      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland beantragt hat und die Vertragsverletzung festgestellt worden ist, sind der Bundesrepublik Deutschland die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Bundesrepublik Deutschland hat gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 2 Abs. 3 sowie die Art. 6, 7 und 9 der Richtlinie 2005/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 zur Erhöhung der Gefahrenabwehr in Häfen verstoßen, indem sie in Bezug auf die deutschen Häfen Düsseldorf, Köln-Niehl I, Godorf, Duisburg-Rheinhausen, Neuss, Duisburg Außen/Parallelhafen, Krefeld-Linn, Stromhafen Krefeld, Duisburg Ruhrort-Meiderich, Gelsenkirchen und Mülheim des Landes Nordrhein-Westfalen (Deutschland) versäumt hat, sicherzustellen, dass die Hafengrenzen festgelegt werden, Risikobewertungen und Pläne zur Gefahrenabwehr im Hafen genehmigt werden sowie ein Beauftragter für die Gefahrenabwehr zugelassen wird.

2.      Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten.



Vilaras

Malenovský

Šváby

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 6. April 2017.

Der Kanzler

 

      Der Präsident der Achten Kammer

A. Calot Escobar

 

      M. Vilaras


* Verfahrenssprache: Deutsch.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen

This content does not contain any references.