Urteil vom Europäischer Gerichtshof - T-25/16

URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)

4. Mai 2017(*)

„Unionsmarke – Widerspruchsverfahren – Anmeldung der Unionsbildmarke GELENKGOLD – Ältere Unionsbildmarke mit der Darstellung eines Tigers – Relatives Eintragungshindernis – Verwechslungsgefahr – Ähnlichkeit der Zeichen – Rechtskraft – Durch Benutzung erlangte erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke – Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Anspruch auf rechtliches Gehör – Art. 75 Satz 2 der Verordnung Nr. 207/2009 – Serienmarke“

In der Rechtssache T‑25/16

Haw Par Corp.Ltd mit Sitz in Singapur (Singapur), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte R.-D. Härer, C. Schultze, J. Ossing, C. Weber, H. Ranzinger, C. Gehweiler und C. Brockmann,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch D. Walicka als Bevollmächtigte,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelferin vor dem Gericht:

Cosmowell GmbH mit Sitz in Sankt Johann in Tirol (Österreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte J. Sachs und C. Sachs,

wegen Aufhebung der Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des EUIPO vom 4. November 2015 (Sache R 1907/2015-1) zu einem Widerspruchsverfahren zwischen Haw Par und Cosmowell

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten G. Berardis (Berichterstatter) sowie des Richters S. Papasavvas und der Richterin O. Spineanu-Matei,

Kanzler: I. Dragan, Verwaltungsrat,

aufgrund der am 25. Januar 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 22. April 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des EUIPO,

aufgrund der am 11. April 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

aufgrund der schriftlichen Fragen des Gerichts an die Parteien und der am 16. und 30. November sowie am 5. Dezember 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Antworten der Parteien auf diese Fragen,

auf die mündliche Verhandlung vom 11. Januar 2017, an der die Klägerin nicht teilgenommen hat,

folgendes

Urteil

 Sachverhalt

1        Am 11. Mai 2011 meldete die Streithelferin, die Cosmowell GmbH, nach der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) eine Unionsmarke an.

2        Dabei handelte es sich um folgendes Bildzeichen:

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3        Es wurden folgende Waren der Klasse 5 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet: „Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke; Nahrungsergänzungsstoffe; Nahrungsergänzungsmittel für medizinische Zwecke; Nahrungsergänzungsmittel für nicht medizinische Zwecke; mineralische Nahrungsergänzungsmittel“.

4        Die Anmeldung der Unionsmarke wurde im Blatt für Gemeinschaftsmarken Nr. 118/2011 vom 27. Juni 2011 veröffentlicht.

5        Am 14. September 2011 erhob die Klägerin, die Haw Par Corp. Ltd, Widerspruch nach Art. 41 der Verordnung Nr. 207/2009 gegen die Eintragung der angemeldeten Marke für die oben in Rn. 3 genannten Waren.

6        Der Widerspruch wurde u. a. auf die nachfolgend wiedergegebene, am 25. November 1998 unter der Nr. 228288 eingetragene und bis zum 16. April 2016 verlängerte ältere Unionsbildmarke gestützt:

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7        Die ältere Marke Nr. 228288 (im Folgenden: geprüfte ältere Marke) kennzeichnet u. a. folgende Waren der Klasse 5 des Abkommens von Nizza: „Pharmazeutische Präparate; medizinische Präparate und Heilmittel für die Anwendung beim Menschen; Pflaster, Bandagen und Verbandmaterial; medizinische Pflaster, Bandagen und Verbandmaterial; Desinfektionsmittel; Mittel zur Vertilgung von schädlichen Tieren; Fungizide; Herbizide; Insektenvertreibungsmittel“.

8        Die Klägerin stützte sich ferner auf

–        die nachfolgend wiedergegebene, am 25. November 1998 eingetragene und bis zum 16. April 2016 verlängerte Unionsmarke Nr. 228247:

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–        die nachfolgend wiedergegebene, am 8. Oktober 1998 eingetragene und bis zum 10. Oktober 2016 verlängerte Unionsmarke Nr. 396770:

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–        die nachfolgend wiedergegebene, am 10. März 1999 eingetragene und bis zum 16. April 2016 verlängerte Unionsmarke Nr. 228304:

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9        Der Widerspruch wurde auf Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 gestützt.

10      Am 30. August 2012 gab die Widerspruchsabteilung dem Widerspruch in vollem Umfang statt.

11      Am 29. Oktober 2012 legte die Klägerin nach den Art. 58 bis 64 der Verordnung Nr. 207/2009 gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung Beschwerde beim EUIPO ein.

12      Mit Entscheidung vom 5. September 2013 (im Folgenden: erste Entscheidung) wies die Vierte Beschwerdekammer des EUIPO die Beschwerde zurück und bestätigte das Bestehen einer Verwechslungsgefahr. Sie stellte hierzu u. a. fest, dass

–        von einem erhöhten Aufmerksamkeitsgrad der maßgeblichen Verkehrskreise auszugehen und das betroffene Gebiet das der gesamten Europäischen Union sei, obwohl zweckmäßigerweise zunächst auf die deutschsprachigen Verkehrskreise abgestellt werden sollte;

–        die Waren teils identisch und teils ähnlich seien;

–        der Vergleich der Zeichen, der die ältere Marke in der Form ihrer Eintragung und nicht ihrer vermeintlichen Benutzung zu berücksichtigen habe, zu der Feststellung führe, dass diese dem Bild nach zu einem mittleren Grad und dem Sinn nach hochgradig ähnlich seien, während ein klanglicher Vergleich nicht vorgenommen werden könne;

–        der älteren Marke eine inhärente durchschnittliche Kennzeichnungskraft zukomme;

–        für die maßgeblichen Verkehrskreise unabhängig von der Frage, ob diese Marke durch ihre Verwendung in Deutschland eine erhöhte Kennzeichnungskraft erlangt habe, Verwechslungsgefahr bestehe.

13      Mit Klageschrift, die am 11. November 2013 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Streithelferin Klage auf Aufhebung der ersten Entscheidung. Diese Klage wurde unter dem Aktenzeichen T‑599/13 in das Register eingetragen.

14      Mit Urteil vom 7. Mai 2015, Cosmowell/HABM – Haw Par (GELENKGOLD) (T‑599/13, EU:T:2015:262) (im Folgenden: Aufhebungsurteil), gab das Gericht dieser Klage statt und stellte u. a. fest, dass

–        den Ausführungen der Vierten Beschwerdekammer zur Bestimmung der maßgeblichen Verkehrskreise und deren Grad an Aufmerksamkeit beizupflichten sei (Aufhebungsurteil, Rn. 22 bis 24);

–        für den Vergleich der Waren das Gleiche gelte (Aufhebungsurteil, Rn. 25 bis 27);

–        die visuelle Ähnlichkeit der Zeichen entgegen der Feststellung der Vierten Beschwerdekammer nicht mittel, sondern schwach sei (Aufhebungsurteil, Rn. 48 und 49);

–        entgegen der Feststellung der Vierten Beschwerdekammer ein klanglicher Vergleich der Zeichen möglich sei, da auf die angemeldete Marke durch Aussprechen ihres Wortelements „GelenkGold“ Bezug genommen werden könne, während sich die geprüfte ältere Marke ohne Weiteres mit dem genauen und konkreten Wort „Tiger“ in Verbindung bringen lasse, und sich diese Zeichen daher klanglich unterschieden (Aufhebungsurteil, Rn. 53, 64 und 65);

–        die begriffliche Ähnlichkeit der Zeichen entgegen der Feststellung der Vierten Beschwerdekammer nicht hoch, sondern mittel sei (Aufhebungsurteil, Rn. 66 bis 71);

–        das von der Vierten Beschwerdekammer festgestellte Bestehen einer Verwechslungsgefahr daher nicht bestätigt werden könne, sofern nicht nachgewiesen werde, dass die geprüfte ältere Marke über eine erhöhte Kennzeichnungskraft aufgrund ihrer Benutzung verfüge, was vom EUIPO zu prüfen sei (Aufhebungsurteil, Rn. 76 und 81).

15      Das Aufhebungsurteil ist rechtskräftig geworden, da es nicht angefochten wurde.

16      Mit Entscheidung des Präsidiums der Beschwerdekammern vom 12. September 2015 wurde das neue Verfahren vor dem EUIPO der Ersten Beschwerdekammer zugewiesen.

17      Mit Entscheidung vom 4. November 2015 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) hob die Erste Beschwerdekammer die Entscheidung der Widerspruchsabteilung auf und wies den Widerspruch zurück. Erstens folgte sie den Feststellungen, die das Gericht im Aufhebungsurteil zu den maßgeblichen Verkehrskreisen, dem Vergleich der Waren und dem Vergleich der Zeichen getroffen hatte. Zweitens würdigte sie die Beweise, die die Klägerin vor der Widerspruchsabteilung vorgelegt hatte, um die erhöhte Kennzeichnungskraft nachzuweisen, die die geprüfte ältere Marke aufgrund ihrer Bekanntheit beim Publikum aufweise. Insoweit entkräftete sie die Schlussfolgerung der Widerspruchsabteilung, dass der geprüften älteren Marke aufgrund dieser Beweise eine solche Kennzeichnungskraft zuerkannt werden könne. Infolgedessen entschied die Erste Beschwerdekammer, dass die schwache visuelle Ähnlichkeit der Zeichen und ihre mittlere begriffliche Ähnlichkeit angesichts der klanglichen Unterschiede und des erhöhten Aufmerksamkeitsgrads der maßgeblichen Verkehrskreise selbst bei identischen Waren nicht ausreichten, um das Bestehen einer Verwechslungsgefahr zu begründen.

 Anträge der Parteien

18      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem EUIPO und der Streithelferin die Kosten einschließlich der im Verfahren vor der Beschwerdekammer entstandenen Kosten aufzuerlegen.

19      Das EUIPO beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

20      Nach einer Klarstellung in der mündlichen Verhandlung auf eine Frage des Gerichts hin beantragt die Streithelferin,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten dieses Verfahrens aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

21      Die Klägerin stützt ihre Klage im Wesentlichen auf drei Gründe, nämlich erstens einen Fehler beim klanglichen Vergleich der Zeichen und bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr, zweitens einen Verstoß gegen Art. 75 Satz 2 der Verordnung Nr. 207/2009 und drittens das Versäumnis, auf das zur Stützung des Widerspruchs geltend gemachte Argument zum Vorliegen einer Serie älterer Marken einzugehen.

 Vorbemerkungen

22      Gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 ist die angemeldete Marke auf Widerspruch des Inhabers einer älteren Marke von der Eintragung ausgeschlossen, wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit einer älteren Marke und wegen der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen in dem Gebiet besteht, in dem die ältere Marke Schutz genießt. Dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.

23      Nach ständiger Rechtsprechung liegt Verwechslungsgefahr dann vor, wenn das Publikum glauben könnte, dass die betreffenden Waren oder Dienstleistungen von demselben Unternehmen oder gegebenenfalls von wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen. Nach dieser Rechtsprechung ist die Verwechslungsgefahr entsprechend der Wahrnehmung der in Rede stehenden Zeichen und Waren oder Dienstleistungen durch das maßgebliche Publikum umfassend und unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Wechselbeziehung zwischen der Ähnlichkeit der Zeichen und der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen, zu beurteilen (vgl. Urteil vom 9. Juli 2003, Laboratorios RTB/HABM – Giorgio Beverly Hills [GIORGIO BEVERLY HILLS], T‑162/01, EU:T:2003:199, Rn. 30 bis 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24      Die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr impliziert eine gewisse Wechselbeziehung der berücksichtigten Faktoren, insbesondere zwischen der Ähnlichkeit der Marken und der Ähnlichkeit der durch die Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen. So kann ein geringer Grad der Ähnlichkeit der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden und umgekehrt (Urteil vom 29. September 1998, Canon, C‑39/97, EU:C:1998:442, Rn. 17, und vom 14. Dezember 2006, Mast-Jägermeister/HABM – Licorera Zacapaneca [VENADO mit Rahmen u. a.], T‑81/03, T‑82/03 und T‑103/03, EU:T:2006:397, Rn. 74).

25      Überdies ist die Verwechslungsgefahr umso größer, je größer sich die Kennzeichnungskraft der älteren Marke darstellt (Urteil vom 11. November 1997, SABEL, C‑251/95, EU:C:1997:528, Rn. 24).

 Zum ersten Klagegrund: Fehler beim klanglichen Vergleich der Zeichen und bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr

26      Die Klägerin trägt nichts zu den bildlichen und begrifflichen Aspekten des Zeichenvergleichs vor. Dagegen hält sie die Beurteilungen der Ersten Beschwerdekammer zum klanglichen Vergleich der Zeichen für unbegründet. Hierzu macht sie geltend, die angefochtene Entscheidung berücksichtige nicht, dass die Anmeldemarke ebenso wie die geprüfte ältere Marke die offensichtliche Darstellung eines Tigers enthalte. Dies führe – entgegen der Auffassung der Ersten Beschwerdekammer, der zufolge die maßgeblichen Verkehrskreise bei der Anmeldemarke nur deren Wortelement „GelenkGold“ aussprächen – zu einer hohen klanglichen Ähnlichkeit. Diese klangliche Ähnlichkeit verbunden mit einer schwachen visuellen Ähnlichkeit und einer mittleren begrifflichen Ähnlichkeit hätte die Beschwerdekammer nach Ansicht der Klägerin veranlassen müssen, angesichts der Identität der Waren eine Verwechslungsgefahr festzustellen, selbst wenn sie statt von einer durch Benutzung erhöhten Kennzeichnungskraft – für die die Klägerin allerdings den Nachweis erbracht habe – von einer nur durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der geprüften älteren Marke ausgegangen sei.

27      Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

28      Im Rahmen prozessleitender Maßnahmen im Sinne von Art. 89 seiner Verfahrensordnung hat das Gericht die Parteien u. a. gebeten, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Rechtskraft des Aufhebungsurteils der Zulässigkeit dieses Klagegrundes insofern entgegenstehe, als die Erste Beschwerdekammer die Feststellungen dieses Urteils zum klanglichen Unterschied zwischen den Zeichen und zu dessen Folgen für die Verwechslungsgefahr bekräftigt habe.

29      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Frage der Rechtskraft zur öffentlichen Ordnung gehört und daher vom Unionsrichter von Amts wegen zu beachten ist (Urteil vom 1. Juni 2006, P & O European Ferries [Vizcaya] und Diputación Foral de Vizcaya/Kommission, C‑442/03 P und C‑471/03 P, EU:C:2006:356, Rn. 45).

30      In ihrer Antwort auf die oben in Rn. 28 genannte Frage des Gerichts macht die Klägerin geltend, dass die Rechtskraft nur die Entscheidung zum Vorliegen einer Verwechslungsgefahr betreffe und nicht auch Vorfragen zu dieser Entscheidung wie die klangliche Ähnlichkeit der Zeichen. Das Gericht habe im Aufhebungsurteil keine Entscheidung zum Vorliegen einer Verwechslungsgefahr getroffen, weil es die Beweise für die erhöhte Kennzeichnungskraft der geprüften älteren Marke, die die Vierte Beschwerdekammer in der ersten Entscheidung nicht gewürdigt habe, selbst nicht habe würdigen können. Die Rechtskraft des Aufhebungsurteils stehe daher der Zulässigkeit des ersten Klagegrundes nicht entgegen, weil die Beurteilung der klanglichen Ähnlichkeit nur einen Teilaspekt der Verwechslungsgefahr darstelle und die Verwechslungsgefahr stets unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu prüfen sei.

31      Das EUIPO und die Streithelferin vertreten in ihren Antworten auf die genannte Frage des Gerichts im Wesentlichen die Auffassung, dass der erste Klagegrund wegen der Rechtskraft des Aufhebungsurteils unzulässig sei.

32      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass gegen das Aufhebungsurteil kein Rechtsmittel eingelegt wurde, obwohl sowohl das EUIPO als auch die Klägerin, die in der Rechtssache T‑599/13 unterlagen, ein Rechtsmittel hätten einlegen können. Das Aufhebungsurteil hat somit Rechtskraft erlangt.

33      In der Rechtsprechung wurde bereits auf die Bedeutung hingewiesen, die der Grundsatz der Rechtskraft sowohl in der Unionsrechtsordnung als auch in den nationalen Rechtsordnungen hat. Zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege sollen nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordene Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können (vgl. Urteil vom 19. April 2012, Artegodan/Kommission, C‑221/10 P, EU:C:2012:216, Rn. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      In diesem Zusammenhang wurde entschieden, dass sich die Rechtskraft lediglich auf diejenigen Tatsachen- und Rechtsfragen erstreckt, die tatsächlich oder notwendigerweise Gegenstand der betreffenden gerichtlichen Entscheidung waren, und dass die Rechtskraft nicht nur den Tenor dieser Entscheidung umfasst, sondern auch deren Gründe, die den Tenor tragen und daher von diesem nicht zu trennen sind (vgl. Urteil vom 19. April 2012, Artegodan/Kommission, C‑221/10 P, EU:C:2012:216, Rn. 87 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Im vorliegenden Fall ist erstens festzustellen, dass das Gericht u. a. in den Rn. 53, 64 und 65 des Aufhebungsurteils entschieden hat, dass entgegen der von der Vierten Beschwerdekammer in der ersten Entscheidung vertretenen Auffassung ein klanglicher Vergleich der Zeichen vorgenommen werden könne, da die angemeldete Marke mit ihrem Wortelement „GelenkGold“ ausgesprochen werde, während die geprüfte ältere Marke leicht mit dem genauen und konkreten Wort „Tiger“ in Verbindung gebracht werden könne; dies mache diese Zeichen klanglich unterschiedlich.

36      Zweitens ist das Gericht in den Rn. 75, 76 und 81 des Aufhebungsurteils der Beurteilung der Vierten Beschwerdekammer in der ersten Entscheidung, dass im vorliegenden Fall eine Verwechslungsgefahr festzustellen sei, ohne dass nachgewiesen werden müsste, dass die ältere geprüfte Marke über eine erhöhte Kennzeichnungskraft verfüge, nicht gefolgt. Diese Schlussfolgerung beruhe nämlich auf drei unzutreffenden Feststellungen. Die Vierte Beschwerdekammer habe zu Unrecht festgestellt, dass die bildliche Ähnlichkeit mittleren Grades sei, obwohl sie nur schwach sei, dass eine hochgradige begriffliche Ähnlichkeit vorliege, die jedoch nur mittleren Grades sei, und dass ein Vergleich der Zeichen in klanglicher Hinsicht nicht möglich sei, obwohl die Zeichen insoweit unterschiedlich seien. Daher gelangte das Gericht zu der Auffassung, dass das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr von der durch die Vierte Beschwerdekammer nicht geprüften Frage abhänge, ob eine erhöhte Kennzeichnungskraft der geprüften älteren Marke nachgewiesen worden sei, was gemäß der oben in Rn. 25 angeführten Rechtsprechung die Wahrscheinlichkeit einer Verwechslungsgefahr erhöht hätte.

37      In der angefochtenen Entscheidung machte sich die Erste Beschwerdekammer die vom Gericht im Aufhebungsurteil angestellten Erwägungen zu eigen.

38      Insbesondere stellte sie in Rn. 25 der angefochtenen Entscheidung unter Bezugnahme auf das Aufhebungsurteil fest, dass sich die Zeichen in klanglicher Hinsicht unterschieden.

39      Ferner gelangte die Beschwerdekammer, nachdem sie die Beweise für die angebliche durch Benutzung erlangte erhöhte Unterscheidungskraft der geprüften älteren Marke gewürdigt und als für den Nachweis dieser Unterscheidungskraft unzureichend erachtet hatte, in Rn. 43 der angefochtenen Entscheidung zu dem Schluss, dass die bloß schwache visuelle und mittlere begriffliche Ähnlichkeit der Zeichen im Verhältnis zur klanglichen Unähnlichkeit der Zeichen und der erhöhten Aufmerksamkeit der maßgeblichen Verkehrskreise auch bei identischen bzw. ähnlichen Waren nicht ausreichten, um vorliegend eine Verwechslungsgefahr zu begründen.

40      Folglich ist die Erste Beschwerdekammer mit dem Erlass der angefochtenen Entscheidung dem Aufhebungsurteil nachgekommen, wozu das EUIPO nach Art. 266 Abs. 1 AEUV sowie Art. 65 Abs. 6 der Verordnung Nr. 207/2009 verpflichtet war.

41      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Feststellungen des Gerichts im Aufhebungsurteil sowohl zur klanglichen Ähnlichkeit der Zeichen als auch zur Erforderlichkeit der Würdigung der Beweise für die Unterscheidungskraft der geprüften älteren Marke Nr. 1 des Tenors dieses Urteils, mit der die erste Entscheidung aufgehoben wurde, entscheidend stützen. Sie sind daher von der Rechtskraft des Aufhebungsurteils erfasst.

42      Nach ständiger Rechtsprechung steht die Rechtskraft eines Urteils der Zulässigkeit einer Klage entgegen, wenn die Klage, die zu dem fraglichen Urteil geführt hat, dieselben Parteien und denselben Gegenstand betraf und auf denselben Grund gestützt wurde, wobei diese Voraussetzungen nebeneinander vorliegen müssen (vgl. Urteil vom 25. Juni 2010, Imperial Chemical Industries/Kommission, T‑66/01, EU:T:2010:255, Rn. 197 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Insoweit ist erstens festzustellen, dass die Parteien der vorliegenden Rechtssache dieselben sind wie in der Rechtssache, in der das Aufhebungsurteil ergangen ist, auch wenn die Rollen der Streithelferin und der Klägerin vertauscht sind.

44      Was zweitens die Identität des Streitgegenstands betrifft, so sind zwar die erste Entscheidung und die angefochtene Entscheidung verschiedene Rechtsakte, doch schließt die zuletzt genannte das Verfahren ab, das vor dem EUIPO eben aus dem Grund fortgesetzt wurde, dass die erste Entscheidung aufgehoben worden war und das Aufhebungsurteil durchgeführt werden musste. Die Voraussetzung der Identität des Streitgegenstands ist somit erfüllt.

45      Drittens ist in Bezug auf die Identität des Grundes festzustellen, dass die Klägerin das Gericht um eine Entscheidung zur klanglichen Ähnlichkeit zwischen denselben Zeichen ersucht, um die es im Aufhebungsurteil ging, und zwar auf der Grundlage derselben Argumente, die bereits in jenem Urteil gewürdigt wurden, nämlich zur Möglichkeit des Vergleichs zwischen einer reinen Bildmarke, die aus einem Zeichen besteht, das leicht mit einem bestimmten Wort in Verbindung gebracht werden kann, und einer zusammengesetzten Marke, die zusätzlich zu einem solchen Bildelement aus einem Wortelement besteht. Zudem verlangt die Klägerin im Wesentlichen, das Gericht möge seine eigene Feststellung bezüglich der klanglichen Unterschiede zwischen diesen Zeichen außer Acht lassen und somit unabhängig vom Nachweis einer erhöhten Unterscheidungskraft der älteren Marke auf das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr zwischen den einander gegenüberstehenden Marken erkennen. Somit ist auch diese Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt.

46      Nach alledem ist festzustellen, dass der erste Klagegrund gemäß der oben in Rn. 42 angeführten Rechtsprechung unzulässig ist.

 Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 75 Satz 2 der Verordnung Nr. 207/2009

47      Die Klägerin trägt vor, die Widerspruchsabteilung habe in ihrer Entscheidung festgestellt, dass die von der Klägerin vorgelegten Nachweise belegten, dass die geprüfte ältere Marke aufgrund ihrer Bekanntheit beim Publikum eine erhöhte Kennzeichnungskraft aufweise. Dass diese Nachweise ausreichend seien, sei vor dem EUIPO oder dem Gericht in dem Verfahren, in dem das Aufhebungsurteil ergangen sei, nicht in Abrede gestellt worden. Indem die Erste Beschwerdekammer ohne vorherige Anhörung der Klägerin festgestellt habe, dass diese Nachweise nicht ausreichend seien, habe sie den in Art. 75 Satz 2 der Verordnung Nr. 207/2009 niedergelegten Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

48      Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

49      Zwischen den Parteien ist – ihren schriftlichen Stellungnahmen auf eine Frage des Gerichts und der Erklärung der Streithelferin in der mündlichen Verhandlung zufolge – unstreitig, dass die Widerspruchsabteilung in ihrer Entscheidung der Auffassung war, dass die von der Klägerin zum Nachweis einer erhöhten Kennzeichnungskraft der geprüften älteren Marke vorgelegten Beweise zu diesem Zweck ausreichend gewesen seien, aber nur für die Waren „pharmazeutische Präparate zur Förderung der Durchblutung“.

50      Vor der Vierten Beschwerdekammer machte die Streithelferin geltend, dass die bei der Widerspruchsabteilung vorgelegten Beweise nicht relevant seien, weil sie sich im Wesentlichen auf das Wortelement „Tiger Balm“ bezögen, und nicht auf die Darstellung eines Tigers. Die Klägerin hat in ihrer Stellungnahme auf dieses Vorbringen geantwortet, ohne jedoch weitere Beweise vorzulegen.

51      Die Vierte Beschwerdekammer musste sich zu der Frage, ob die Beweise der Klägerin für den Nachweis der erhöhten Kennzeichnungskraft der geprüften älteren Marke ausreichten, in der ersten Entscheidung nicht äußern, da sie zu dem Schluss gelangte, dass unabhängig von einer etwaigen erhöhten Kennzeichnungskraft dieser Marke eine Verwechslungsgefahr bestehe.

52      Im Aufhebungsurteil ist das Gericht auf diese Frage auch nicht eingegangen, und zwar gerade weil die Beschwerdekammer dies nicht getan hatte und das Gericht diese Prüfung nicht selbst erstmalig vornehmen konnte.

53      Die Erste Beschwerdekammer, die nach dem Aufhebungsurteil mit der Sache befasst wurde, erließ die angefochtene Entscheidung ohne Anhörung der Parteien, die sich daher vor ihr nicht zur Kennzeichnungskraft der geprüften älteren Marke äußern konnten. Sie entschied allein auf Basis der Aktenlage des vorausgegangenen Verfahrens über die Frage, ob die Klägerin eine erhöhte Kennzeichnungskraft der geprüften älteren Marke nachgewiesen hatte, und verneinte diese.

54      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 75 Satz 2 der Verordnung Nr. 207/2009, wonach die Entscheidungen des EUIPO nur auf Gründe gestützt werden dürfen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, im Rahmen des Unionsmarkenrechts den allgemeinen Grundsatz des Schutzes der Verteidigungsrechte gewährleistet, der vorsieht, dass die Adressaten behördlicher Entscheidungen, die ihre Interessen spürbar berühren, Gelegenheit erhalten müssen, ihren Standpunkt gebührend darzulegen (Beschluss vom 4. März 2010, Kaul/HABM, C‑193/09 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:121, Rn. 58).

55      Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die Klägerin im Rahmen des Verfahrens, in dem die erste Entscheidung erging, die Möglichkeit hatte, vor der Vierten Beschwerdekammer, die von der Streithelferin mit einer Beschwerde gegen die für die Klägerin günstige Entscheidung der Widerspruchsabteilung befasst worden war, zu allen Gesichtspunkten ihres Widerspruchs, einschließlich der erhöhten Kennzeichnungskraft der geprüften älteren Marke, Stellung zu nehmen.

56      Zudem ist darauf hinzuweisen, dass sich die Erste Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung nicht auf andere tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gestützt hat als die, über die die Vierte Beschwerdekammer beim Erlass der ersten Entscheidung verfügte und zu denen die Klägerin Stellung nehmen konnte.

57      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass Art. 75 Satz 2 der Verordnung Nr. 207/2009 keineswegs verlangte, die Klägerin nach Wiedereröffnung des Verfahrens vor dem EUIPO, nachdem die erste Entscheidung aufgehoben worden war, erneut aufzufordern, sich zu den rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten, zu denen sie bereits im Rahmen des vor der Vierten Beschwerdekammer durchgeführten schriftlichen Verfahrens Gelegenheit hatte, Stellung zu nehmen, zu äußern, da der Vorgang von der Ersten Beschwerdekammer unverändert wiederaufgenommen wurde (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Beschluss vom 4. März 2010, Kaul/HABM, C‑193/09 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:121, Rn. 59 und 60).

58      Die Klägerin räumt zwar ein, dass den Parteien in der Regel nicht nochmals Gelegenheit zu geben sei, sich zu Punkten zu äußern, zu denen sie bereits im vorinstanzlichen Verfahren hätten Stellung nehmen können; sie macht jedoch geltend, dass der Fall anders liege, wenn die Beschwerdekammer die zweite Entscheidung auf andere tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte stütze als die der ersten Entscheidung.

59      Sie verweist in diesem Zusammenhang auf das Urteil vom 13. April 2011, Safariland/HABM – DEF‑TEC Defense Technology (FIRST DEFENSE AEROSOL PEPPER PROJECTOR) (T‑262/09, EU:T:2011:171). Ihrer Auffassung nach ergibt sich aus diesem Urteil, dass zwar nicht generell ein Anspruch bestehe, von der Beschwerdekammer gehört zu werden, wenn diese nach der Aufhebung einer Entscheidung durch den Unionsrichter erneut entscheide, ein solcher Anspruch aber unter den besonderen Umständen des Einzelfalls gegeben sein könne. Dies sei hier der Fall, weil die Erste Beschwerdekammer von den Feststellungen der Widerspruchsabteilung zur erhöhten Kennzeichnungskraft der geprüften älteren Marke, die die Vierte Beschwerdekammer nicht beanstandet habe, habe abweichen wollen.

60      Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass die Beschwerdekammer, die erneut über eine Sache entscheidet, unter bestimmten Umständen verpflichtet ist, die Beteiligten zu der einen oder anderen Frage zu hören, die sie für ihre Entscheidung zu prüfen hat, ergibt sich eine solche Verpflichtung aus den vorliegenden Umständen nicht.

61      Wie oben in Rn. 50 festgestellt worden ist, hatte nämlich die Streithelferin in ihrer Beschwerde vor der Vierten Beschwerdekammer die Erheblichkeit der von der Klägerin vor der Widerspruchsabteilung vorgelegten Beweise in Zweifel gezogen. Die Klägerin, die den Inhalt der ersten Entscheidung, in der die Frage der erhöhten Kennzeichnungskraft nicht geprüft wurde, ja noch nicht kannte, hätte somit auf die Rügen der Streithelferin mit der Vorlage weiterer Beweise reagieren können, entschied sich jedoch dafür, dies nicht zu tun.

62      Das von der Klägerin aus dem Urteil vom 13. April 2011, FIRST DEFENSE AEROSOL PEPPER PROJECTOR (T‑262/09, EU:T:2011:171), hergeleitete Argument dringt daher nicht durch.

63      Nach alledem ist der vorliegende Klagegrund zurückzuweisen.

 Zum dritten Klagegrund: Versäumnis, auf das zur Stützung des Widerspruchs geltend gemachte Argument zum Vorliegen einer Serie älterer Marken einzugehen

64      Die Klägerin wirft der Ersten Beschwerdekammer vor, sich auf die Feststellung beschränkt zu haben, dass die anderen älteren Marken als die geprüfte ältere Marke noch größere Unterschiede im Vergleich zur Anmeldemarke aufwiesen und daher die Feststellung einer Verwechslungsgefahr nicht zuließen. Damit habe die Erste Beschwerdekammer das von der Klägerin zur Begründung ihres Widerspruchs geltend gemachte Argument, dass die älteren Marken als Serienmarke anzusehen seien, mit der die Anmeldemarke gedanklich in Verbindung gebracht werden könne, unberücksichtigt gelassen.

65      Das EUIPO und die Streithelferin treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

66      Aus Art. 64 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 und einer gefestigten Rechtsprechung ergibt sich, dass zwischen den verschiedenen Stellen des EUIPO, also dem Prüfer, der Widerspruchsabteilung, der Markenverwaltungs- und Rechtsabteilung und den Löschungsabteilungen einerseits sowie den Beschwerdekammern andererseits, eine funktionale Kontinuität besteht. Aus dieser funktionalen Kontinuität folgt, dass die Beschwerdekammern im Rahmen ihrer Überprüfung der von den zuvor befassten Stellen des EUIPO erlassenen Entscheidungen ihre eigene Entscheidung auf das gesamte tatsächliche und rechtliche Vorbringen zu stützen haben, das die Parteien entweder im Verfahren vor der Dienststelle, die als erste entschieden hat, oder im Beschwerdeverfahren geltend gemacht haben (vgl. Urteil vom 25. November 2015, Ewald Dörken/HABM – Schürmann [VENT ROLL], T‑223/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:879, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

67      Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin in ihrem Widerspruch zur Untermauerung des Bestehens einer Verwechslungsgefahr vorgetragen, dass sie über eine Serie von Marken mit der Darstellung eines Tigers verfüge und die angemeldete Marke als zu dieser Serie gehörend wahrgenommen werden könne.

68      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass, wenn der Widerspruch gegen eine Unionsmarke auf mehrere ältere Marken gestützt wird und diese Marken Merkmale aufweisen, die es ermöglichen, sie als Teil ein und derselben „Serie“ oder „Familie“ zu betrachten, was insbesondere dann der Fall sein kann, wenn sie insgesamt ein und dasselbe Unterscheidungsmerkmal unter Hinzufügung eines Bild‑ oder Wortbestandteils wiedergeben, der sie voneinander unterscheidet, oder wenn sie durch die Wiederholung ein und desselben als Silbe vorangestellten oder angehängten Wortes aus einer Ursprungsmarke gekennzeichnet sind, dies nach der Rechtsprechung ein für die Beurteilung des Vorliegens einer Verwechslungsgefahr maßgeblicher Faktor ist (Urteil vom 23. Februar 2006, Il Ponte Finanziaria/HABM – Marine Enterprise Projects [BAINBRIDGE], T‑194/03, EU:T:2006:65, Rn. 123). Beim Vorliegen einer Familie oder Serie von Marken ergibt sich die Verwechslungsgefahr nämlich daraus, dass der Verbraucher sich hinsichtlich der Herkunft oder des Ursprungs der von der Anmeldemarke erfassten Waren oder Dienstleistungen irren kann und zu Unrecht annimmt, dass die Anmeldemarke zu dieser Familie oder Serie von Marken gehört (Urteil vom 16. Juni 2011, Union Investment Privatfonds/UniCredito Italiano, C‑317/10 P, EU:C:2011:405, Rn. 54).

69      Allerdings brauchte die Widerspruchsabteilung dieses Argument nicht zu prüfen, weil sie mit einer hiervon unabhängigen Begründung, die insbesondere auf die Identität oder Ähnlichkeit der Waren, die bildliche und begriffliche Ähnlichkeit der Zeichen sowie die durch Benutzung erlangte erhöhte Kennzeichnungskraft der geprüften älteren Marke (vgl. oben, Rn. 49) gestützt war, auf das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr erkennen und dem Widerspruch somit stattgeben konnte.

70      Ebenso wies die Vierte Beschwerdekammer in der ersten Entscheidung die von der Streithelferin eingelegte Beschwerde zurück und bestätigte das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr, ohne auf das Vorbringen der Klägerin in Bezug auf eine angebliche Serie älterer Marken eingehen zu müssen.

71      Folglich wurde dieses Vorbringen auch im Aufhebungsurteil nicht erörtert und brauchte dort auch nicht behandelt zu werden.

72      Dagegen war die Erste Beschwerdekammer, die eine Verwechslungsgefahr im vorliegenden Fall aufgrund der Feststellungen im Aufhebungsurteil zur Ähnlichkeit der Zeichen und des fehlenden Nachweises einer erhöhten Kennzeichnungskraft der geprüften älteren Marke ausgeschlossen hat, nach der oben in Rn. 66 angeführten Rechtsprechung grundsätzlich verpflichtet, alle anderen Argumente der Klägerin zu prüfen, die das Vorliegen einer solchen Gefahr belegen könnten.

73      In dieser Hinsicht ist festzustellen, dass die angefochtene Entscheidung keine Passage enthält, die speziell der Frage der Serienmarke gewidmet ist.

74      Jedoch kann die Verwechslungsgefahr aufgrund des Bestehens einer Serie oder einer Familie von älteren Marken nur dann geltend gemacht werden, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind (vgl. Urteil vom 27. Juni 2012, Hearst Communications/HABM – Vida Estética [COSMOBELLEZA], T‑344/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:324, Rn. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung).

75      Erstens muss der Inhaber einer Serie älterer Eintragungen den Nachweis der Benutzung aller zu der Serie gehörender Marken oder zumindest einer Reihe von Marken, die eine Serie bilden können, erbringen. Denn damit die Gefahr bestehen kann, dass sich die Verkehrskreise über die Zugehörigkeit der angemeldeten Marke zu der Serie irren, müssen die älteren Marken, die dieser Serie angehören, notwendigerweise auf dem Markt präsent sein. Da die Berücksichtigung des Seriencharakters der älteren Marken die Erweiterung des Schutzbereichs der zu der Serie gehörenden Marken, einzeln betrachtet, mit sich bringt, ist jede abstrakte Beurteilung der Verwechslungsgefahr, die allein auf dem Vorliegen mehrerer Eintragungen von Marken mit dem gleichen unterscheidungskräftigen Bestandteil beruht, wenn es an einer tatsächlichen Benutzung der Marken fehlt, als ausgeschlossen zu betrachten. Fehlt es am Nachweis einer solchen Benutzung, ist die Verwechslungsgefahr, die möglicherweise durch das Auftreten der angemeldeten Marke auf dem Markt entsteht, anhand eines Vergleichs jeder der älteren Marken für sich genommen mit der angemeldeten Marke zu beurteilen (Urteil vom 23. Februar 2006, BAINBRIDGE, T‑194/03, EU:T:2006:65, Rn. 126).

76      Zweitens muss die angemeldete Marke nicht nur den zur Serie gehörenden ähnlich sein, sondern auch Merkmale aufweisen, die geeignet sind, sie mit der Serie in Verbindung zu bringen. Dies könnte beispielsweise dann nicht der Fall sein, wenn ein den älteren Serienmarken gemeinsamer Bestandteil in der angemeldeten Marke an einer anderen Stelle als an derjenigen, an der er sich gewöhnlich bei den zu der Serie gehörenden Marken befindet, oder mit einem anderen semantischen Inhalt verwendet wird (Urteil vom 23. Februar 2006, BAINBRIDGE, T‑194/03, EU:T:2006:65, Rn. 127).

77      Im vorliegenden Fall hat die Klägerin keine speziellen Beweise vorgelegt, um nachzuweisen, dass die älteren Marken im Sinne der oben in Rn. 75 genannten Voraussetzung (im Folgenden: erste Voraussetzung) auf dem Markt präsent waren. Sie hat nämlich vor der Widerspruchsabteilung lediglich die Beweise vorgelegt, die die Erste Beschwerdekammer gewürdigt hat, um festzustellen, ob die geprüfte ältere Marke aufgrund ihrer Bekanntheit beim Publikum über eine erhöhte Kennzeichnungskraft verfügte. Insoweit ergibt sich aus den Akten des EUIPO, die dieses dem Gericht auf eine prozessleitende Maßnahme hin zur Verfügung gestellt hat, dass sich die fraglichen Beweise nicht speziell auf die geprüfte ältere Marke bezogen, sondern allgemeiner auf alle älteren Marken. Die Klägerin konnte nämlich, als sie diese Beweise bei der Widerspruchsabteilung vorlegte, nicht wissen, dass sowohl diese als auch die Erste Beschwerdekammer sich bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr auf die geprüfte ältere Marke konzentrieren würden. Daher ist davon auszugehen, dass die von der Ersten Beschwerdekammer aus den fraglichen Beweisen gezogenen Schlussfolgerungen in Bezug auf das Fehlen einer erhöhten Kennzeichnungskraft der geprüften älteren Marke auf sämtliche älteren Marken übertragbar sind.

78      Es ist zwar zutreffend, dass das für die Feststellung einer durch Benutzung erhöhten Kennzeichnungskraft einer älteren Marke erforderliche Beweisniveau höher ist als das für den Nachweis, dass eine Marke auf dem Markt präsent ist, erforderliche Beweisniveau. So ist es durchaus möglich, dass die von einem Widerspruchsführer vorgelegten Beweise nicht ausreichend sind, um nachzuweisen, dass seine Marke über eine erhöhte Kennzeichnungskraft verfügt, während mit denselben Beweisen dargetan werden könnte, dass diese Marke auf dem Markt präsent ist und damit Teil einer Serie von Marken sein kann. Das Gegenteil trifft nicht zu, denn eine Marke, deren Präsenz auf dem Markt im Hinblick auf das Vorliegen einer Serienmarke nicht nachgewiesen ist, kann keine durch Benutzung erhöhte Kennzeichnungskraft haben.

79      Hierzu ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass der für den Nachweis der Erfüllung der ersten Voraussetzung erforderliche Beweisgrad der gleiche ist wie der für den Nachweis der ernsthaften Benutzung im Sinne von Art. 42 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009. Das Gericht hat nämlich im Zusammenhang mit der Prüfung dieser Voraussetzung in entsprechender Anwendung der Rechtsprechung zur ernsthaften Benutzung festgestellt, dass für die einen bestimmten Fall betreffende Prüfung, ob eine Marke tatsächlich benutzt wurde, eine umfassende Beurteilung der vorgelegten Unterlagen vorzunehmen ist, wobei alle relevanten Faktoren des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Eine solche Beurteilung muss anhand sämtlicher Tatsachen und Umstände erfolgen, die die tatsächliche geschäftliche Verwertung der Marken belegen können; dazu gehören insbesondere Verwendungen, die im betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen werden, um Marktanteile für die durch diese Marken geschützten Waren oder Dienstleistungen zu halten oder hinzuzugewinnen, die Art dieser Waren oder Dienstleistungen, die Merkmale des Marktes sowie der Umfang und die Häufigkeit der Benutzung der Marken (vgl. Urteil vom 5. Juli 2016, Future Enterprises/EUIPO – McDonald’s International Property [MACCOFFEE], T‑518/13, EU:T:2016:389, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

80      Ferner zielen nach der Rechtsprechung die Bestimmungen über den Nachweis der ernsthaften Benutzung der älteren Marke weder auf eine Bewertung des kommerziellen Erfolgs noch auf eine Überprüfung der Geschäftsstrategie eines Unternehmens oder darauf ab, den Markenschutz nur umfangreichen geschäftlichen Verwertungen von Marken vorzubehalten (vgl. Urteil vom 17. Januar 2013, Reber/HABM – Wedl & Hofmann [Walzer Traum], T‑355/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:22, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

81      Dagegen ist die durch Benutzung erhöhte Kennzeichnungskraft einer Marke mit dem geschäftlichen Erfolg des Unternehmens, das diese Marke benutzt, verknüpft.

82      Im vorliegenden Fall hat die Erste Beschwerdekammer festgestellt, dass die von der Klägerin vorgelegten Beweise nicht ausreichten, um eine erhöhte Kennzeichnungskraft der geprüften älteren Marke nachzuweisen. Wie oben in Rn. 77 ausgeführt worden ist, kann diese Beurteilung, auch wenn sie ausdrücklich nur im Hinblick auf die geprüfte ältere Marke vorgenommen worden ist, auf sämtliche älteren Marken übertragen werden.

83      Zwar kann angesichts der Ausführungen oben in den Rn. 78 bis 81 aufgrund dieser Umstände nicht automatisch ausgeschlossen werden, dass die von der Ersten Beschwerdekammer geprüften Beweise ausreichen, um zum Zweck der Anerkennung einer Serienmarke festzustellen, dass die älteren Marken auf dem Markt präsent sind.

84      Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass die Erste Beschwerdekammer in Bezug auf die fraglichen Beweise das Folgende bemerkt hat.

85      Erstens seien die einzigen Nachweise, die den Vertrieb der mit der Darstellung eines Tigers versehenen Waren der Klägerin in Deutschland belegten, drei Rechnungen und eine veröffentlichte Anzeige. Die meisten Dokumente (Gebrauchsinformation, Abbildungen von Verpackungen, Anzeigenvorlagen und Tabelle mit Lieferungen) stammten direkt von der Klägerin ohne jegliche Bestätigung, wie etwa Unterlagen und Informationen Dritter, aus denen die Stellung der Klägerin auf dem Markt klar hervorgehen könnte (Rn. 35 der angefochtenen Entscheidung).

86      Zweitens sei der von der Klägerin vorgelegte Wikipedia-Auszug kein zuverlässiger Beweis, weil der Inhalt dieser Enzyklopädie jederzeit und in bestimmten Fällen von jedem Besucher, selbst anonym, geändert werden könne (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Februar 2010, O2 [Germany]/HABM [Homezone], T‑344/07, EU:T:2010:35, Rn. 46) (Rn. 36 der angefochtenen Entscheidung).

87      Drittens seien die von der Klägerin vorgelegten Auszüge zweier Webseiten nach dem Anmeldedatum der Unionsmarke datiert und reichten damit per se nicht aus, um die Marktpräsenz der älteren Marken in Deutschland zu beweisen (Rn. 37 der angefochtenen Entscheidung).

88      Viertens seien die Urteile der deutschen Gerichte, auf die sich die Klägerin stütze, nicht relevant, da sie nicht die Darstellung eines Tigers beträfen, sondern die Wortbestandteile „Tigerbalm“, „Tiger“ bzw. „Tiger balm“, ohne einen Bezug auf dieses Bild zu nehmen (Rn. 37 der angefochtenen Entscheidung).

89      Fünftens seien die für Großbritannien (sechs Rechnungen, eine interne Lieferaufstellung, zwei undatierte Anzeigen und der Auszug aus der Webseite der Klägerin), Frankreich (fünf Rechnungen und eine Anzeige), Belgien (zwei Rechnungen und eine Anzeige), die Niederlande (eine Rechnung und eine Anzeige) und Schweden (vier Rechnungen und eine Anzeige) eingereichten Nachweise ebenfalls unzureichend.

90      Unter diesen Umständen ist die Erste Beschwerdekammer zu dem Schluss gelangt, dass diese Beweise es nicht ermöglichten, für jedes betroffene Land den Marktanteil, die Intensität, die geografische Ausdehnung, den Werbeaufwand des Unternehmens für die Marke und letztendlich die Erkennung seitens der Verkehrskreise festzustellen (Rn. 38 und 41 der angefochtenen Entscheidung), während die Klägerin Erklärungen von Industrie- und Handelskammern oder von anderen Berufsverbänden, Meinungsumfragen, eidesstattliche Versicherungen und Jahresberichte, Buchprüfungen und Inspektionen ihres Unternehmens sowie Rechnungen, beispielsweise von Apotheken oder Supermärkten, in denen die mit dem Bildzeichen versehenen Produkte verkauft würden, hätte einreichen können, die in einer objektiven Weise Rückschlüsse auf die Bekanntheit der geprüften älteren Bildmarke beim Publikum zugelassen hätten (Rn. 38, 39 und 41 der angefochtenen Entscheidung).

91      Zum einen ist diesen Erwägungen der Beschwerdekammer zuzustimmen, zumal die Klägerin sie in der Sache nicht in Frage gestellt hat und in der vorliegenden Rechtssache nur einen Verstoß gegen Verteidigungsrechte geltend macht, ohne die Beurteilungen der Beschwerdekammer zu rügen.

92      Zum anderen lassen diese Erwägungen den Schluss zu, dass die Beweise, die die Klägerin vor der Widerspruchsabteilung vorgelegt hat, eine so unbedeutende Benutzung der älteren Marke im Geschäftsverkehr belegen, dass sie nicht nur für den Nachweis einer erhöhten Kennzeichnungskraft dieser Marken, sondern auch für den Nachweis der Präsenz der Marken auf dem Markt im Sinne der ersten Voraussetzung unzureichend sind.

93      Die oben in den Rn. 85 bis 90 zusammengefassten Erwägungen der Ersten Beschwerdekammer genügen somit, um auch das vor der Widerspruchsabteilung vorgebrachte Argument der Klägerin zum Vorliegen einer Serienmarke, mit der die angemeldete Marke von den maßgeblichen Verkehrskreisen in Verbindung gebracht werden könnte, zurückzuweisen.

94      Deshalb ist der dritte Klagegrund zurückzuweisen und damit die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

95      Gemäß Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

96      Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen des EUIPO und der Streithelferin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Haw Par Corp. Ltd trägt die Kosten.


Berardis

Papasavvas

Spineanu-Matei

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 4. Mai 2017.

Der Kanzler

 

      Der Präsident

E. Coulon


*      Verfahrenssprache: Deutsch.

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