Urteil vom Europäischer Gerichtshof - T-122/15

URTEIL DES GERICHTS (Vierte erweiterte Kammer)

16. Mai 2017 ( *1 )

„Wirtschafts- und Währungspolitik — Aufsicht über Kreditinstitute — Art. 6 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 — Art. 70 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 468/2014 — Einheitlicher Aufsichtsmechanismus — Befugnisse der EZB — Dezentralisierte Ausübung durch die nationalen Behörden — Bewertung der Bedeutung eines Kreditinstituts — Notwendigkeit einer direkten Beaufsichtigung durch die EZB“

In der Rechtssache T‑122/15

Landeskreditbank Baden-Württemberg – Förderbank mit Sitz in Karlsruhe (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte A. Glos, K. Lackhoff und M. Benzing, dann Rechtsanwälte A. Glos und M. Benzing,

Klägerin,

gegen

Europäische Zentralbank (EZB), zunächst vertreten durch E. Koupepidou, R. Bax und A. L. Riso, dann durch E. Koupepidou und R. Bax als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt H.‑G. Kamman,

Beklagte,

unterstützt durch

Europäische Kommission, vertreten durch W. Mölls und K.‑P. Wojcik als Bevollmächtigte,

Streithelferin,

wegen einer Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses ECB/SSM/15/1 der EZB vom 5. Januar 2015 gemäß Art. 6 Abs. 4 und Art. 27 Abs. 7 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die EZB (ABl. 2013, L 287, S. 63), mit dem es die EZB abgelehnt hat, die Klägerin als weniger bedeutendes Institut im Sinne von Art. 6 Abs. 4 dieser Verordnung einzustufen,

erlässt

DAS GERICHT (Vierte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Prek (Berichterstatter), der Richterin I. Labucka sowie der Richter J. Schwarcz, V. Kreuschitz und F. Schalin,

Kanzler: S. Bukšek Tomac, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. September 2016

folgendes

Urteil

I. Vorgeschichte des Rechtsstreits

1

Die Klägerin, die Landeskreditbank Baden-Württemberg – Förderbank, ist die Förderbank des Bundeslandes Baden-Württemberg (Deutschland). Sie wurde durch § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Landeskreditbank Baden-Württemberg errichtet und ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts, deren alleiniger Anteilseigner das Land Baden-Württemberg ist.

2

Am 25. Juni 2014 teilte die Europäische Zentralbank (EZB) der Klägerin im Wesentlichen mit, dass sie aufgrund ihrer Bedeutung der alleinigen Aufsicht der EZB und nicht der geteilten Aufsicht des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) nach Art. 6 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die EZB (ABl. 2013, L 287, S. 63, im Folgenden: Grundverordnung) unterliege, und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme.

3

Am 10. Juli 2014 trat die Klägerin dieser Analyse entgegen, wobei sie vor allem geltend machte, dass besondere Umstände im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Grundverordnung sowie der Art. 70 und 71 der Verordnung (EU) Nr. 468/2014 vom 16. April 2014 zur Einrichtung eines Rahmenwerks für die Zusammenarbeit zwischen der EZB und den nationalen zuständigen Behörden und den nationalen benannten Behörden innerhalb des SSM (ABl. 2014, L 141, S. 1, im Folgenden: SSM-Rahmenverordnung) vorlägen.

4

Am 1. September 2014 erließ die EZB einen Beschluss, mit dem sie die Klägerin als bedeutendes Kreditinstitut im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Grundverordnung einstufte.

5

Am 6. Oktober 2014 beantragte die Klägerin eine Überprüfung dieses Beschlusses gemäß Art. 24 Abs. 1, 5 und 6 der Grundverordnung in Verbindung mit Art. 7 des Beschlusses der EZB vom 14. April 2014 zur Einrichtung eines administrativen Überprüfungsausschusses und zur Festlegung der Vorschriften für seine Arbeitsweise (ABl. 2014, L 175, S. 47). Am 23. Oktober 2014 fand vor dem administrativen Überprüfungsausschuss eine mündliche Anhörung statt.

6

Am 20. November 2014 gab der administrative Überprüfungsausschuss eine Stellungnahme ab, in der er die Rechtmäßigkeit des Beschlusses der EZB feststellte.

7

Am 5. Januar 2015 erließ die EZB den Beschluss ECB/SSM/15/1 (im Folgenden: angefochtener Beschluss), mit dem der Beschluss vom 1. September 2014 unter Beibehaltung der Einstufung der Klägerin als bedeutendes Kreditinstitut aufgehoben und ersetzt wurde. Die EZB hob darin im Wesentlichen Folgendes hervor:

Die Einstufung der Klägerin als bedeutendes Kreditinstitut stehe nicht im Widerspruch zu den Zielen der Grundverordnung.

Das Risikoprofil eines Unternehmens sei im Stadium seiner Einstufung keine entscheidende Frage, und Art. 70 der SSM-Rahmenverordnung könne nicht dahin ausgelegt werden, dass er Kriterien enthalte, die keine Basis in der Grundverordnung hätten.

Selbst wenn sie der Ansicht wäre, dass es im Fall der Klägerin besondere Umstände gebe, müsste sie immer noch überprüfen, ob diese Umstände die Einstufung der Klägerin als weniger bedeutend rechtfertigten.

Gemäß Art. 70 Abs. 2 der SSM-Rahmenverordnung müsse der Begriff der besonderen Umstände eng ausgelegt werden, so dass die direkte Aufsicht durch sie nur unangemessen wäre, wenn ein Unternehmen von „bedeutend“ nach „weniger bedeutend“ herabgestuft werden könne.

Die Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu Auslegungszwecken könne sie nicht zu der Prüfung verpflichten, ob die Anwendung der Kriterien des Art. 6 Abs. 4 der Grundverordnung auf ein Institut verhältnismäßig sei, und die Prüfung der „Unangemessenheit“ der Einstufung eines Instituts als bedeutend komme nicht einer solchen Prüfung der Verhältnismäßigkeit gleich.

Die Angemessenheit der nationalen Aufsichtsregelungen und die Möglichkeit der Anwendung hoher Aufsichtsstandards ließen nicht den Schluss zu, dass die direkte Aufsicht durch die EZB unangemessen sei, da die Grundverordnung diese nicht vom Nachweis einer Unangemessenheit der nationalen Aufsichtsregelungen oder der nationalen Aufsichtsstandards abhängig mache.

II. Verfahren und Anträge der Parteien

8

Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 12. März 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

9

Mit Schriftsatz, der am 23. Juli 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Europäische Kommission beantragt, als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der EZB zugelassen zu werden.

10

Mit Entscheidung vom 27. August 2015 hat der Präsident der Vierten Kammer des Gerichts die Kommission als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der EZB zugelassen.

11

Die Kommission hat ihren Streithilfeschriftsatz am 9. Oktober 2015 eingereicht.

12

Auf Vorschlag der Vierten Kammer hat das Gericht gemäß Art. 28 der Verfahrensordnung des Gerichts die Rechtssache an einen erweiterten Spruchkörper verwiesen.

13

Das Gericht (Vierte erweiterte Kammer) hat auf Vorschlag des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

14

In der Sitzung vom 28. September 2016 haben die Parteien mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

15

Die Klägerin beantragt,

den angefochtenen Beschluss unter Anordnung der Fortgeltung der Ersetzung des Beschlusses vom 1. September 2014 für nichtig zu erklären;

der EZB die Kosten aufzuerlegen.

16

Die EZB und die Kommission beantragen,

die Klage abzuweisen;

der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

III. Rechtliche Würdigung

17

Die Klägerin stützt ihre Klage auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses auf fünf Klagegründe, mit denen sie im Wesentlichen erstens einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 4 der Grundverordnung und Art. 70 der SSM-Rahmenverordnung bei der Wahl der von der EZB angewandten Kriterien, zweitens offensichtliche Beurteilungsfehler bei der Würdigung des Sachverhalts, drittens einen Verstoß gegen die Begründungspflicht, viertens einen Ermessensmissbrauch der EZB durch Nichtausübung ihres Ermessens und fünftens einen Verstoß gegen die der EZB obliegende Pflicht zur Untersuchung und Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls geltend macht.

A. Erster Klagegrund: Anwendung rechtlich unzutreffender Kriterien durch die EZB

18

Im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes trägt die Klägerin im Wesentlichen drei Rügen vor.

19

Erstens rügt sie eine fehlerhafte Auslegung der in Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung stehenden Tatbestandsvoraussetzung der „Unangemessenheit“ der Einstufung eines Unternehmens als bedeutend. Mit der zweiten Rüge wirft die Klägerin der EZB vor, ihre Einstufung als bedeutendes Unternehmen unabhängig von der Prüfung der spezifischen und tatsächlichen Umstände und ohne Berücksichtigung der Ziele und Grundsätze der Grundverordnung für angemessen befunden zu haben. Im Rahmen der dritten Rüge wirft die Klägerin der EZB vor, bei der Auslegung des Begriffs „besondere Umstände“ in Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung einen Rechtsfehler begangen zu haben.

1.  Einschlägige Bestimmungen der Grundverordnung und der SSM-Rahmenverordnung

20

Nach Art. 4 („Der EZB übertragene Aufgaben“) Abs. 1 der Grundverordnung „[ist i]m Rahmen des Artikels 6 … die EZB … ausschließlich für die Wahrnehmung der folgenden Aufgaben zur Beaufsichtigung sämtlicher in den teilnehmenden Mitgliedstaaten niedergelassenen Kreditinstitute zuständig“. Dem schließt sich eine Liste von neun Aufgaben an.

21

Art. 6 („Zusammenarbeit innerhalb des einheitlichen Aufsichtsmechanismus“) der Grundverordnung hebt in Abs. 1 hervor, dass „[d]ie EZB … ihre Aufgaben innerhalb eines einheitlichen Aufsichtsmechanismus wahr[nimmt], der aus der EZB und den nationalen zuständigen Behörden besteht“, und dass „[d]ie EZB … dafür verantwortlich [ist], dass der einheitliche Aufsichtsmechanismus wirksam und einheitlich funktioniert“. Aus der Struktur von Art. 6 Abs. 4 bis 6 der Grundverordnung ergibt sich, dass innerhalb des SSM in Bezug auf sieben der neun Aufgaben, die in Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung aufgelistet werden, zwischen der Aufsicht über „bedeutende“ und der Aufsicht über als „weniger bedeutend“ eingestufte Unternehmen unterschieden wird.

22

Daraus folgt erstens, dass die Aufsicht über die „bedeutenden“ Unternehmen allein der EZB zufällt. Ebenso verhält es sich mit der Aufsicht über die „weniger bedeutenden“ Unternehmen, was die in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und c der Grundverordnung aufgezählten Aufgaben anbelangt.

23

Zweitens geht in Bezug auf die „weniger bedeutenden“ Unternehmen und die anderen in Art. 4 Abs. 1 der Grundverordnung genannten Aufgaben aus Art. 6 Abs. 5 in Verbindung mit Abs. 6 dieser Verordnung hervor, dass ihre Umsetzung unter Aufsicht der EZB den nationalen Behörden übertragen ist, die somit die unmittelbare Aufsicht über diese Unternehmen ausüben. In Art. 6 Abs. 6 der Grundverordnung heißt es nämlich, dass „[u]nbeschadet des Absatzes 5 dieses Artikels … die nationalen zuständigen Behörden in Bezug auf die in Absatz 4 Unterabsatz 1 dieses Artikels genannten Kreditinstitute innerhalb des in Absatz 7 dieses Artikels genannten Rahmenwerks und vorbehaltlich der darin festgelegten Verfahren die … Aufgaben wahr[nehmen] und … für diese sowie für die Annahme aller einschlägigen Aufsichtsbeschlüsse … verantwortlich [sind]“.

24

Gleichwohl wird die Ausübung dieser unmittelbaren Aufsicht durch die EZB eingeschränkt, die gemäß Art. 6 Abs. 5 Buchst. a und b der Grundverordnung über die Befugnisse verfügt, zum einen gegenüber diesen Behörden „Verordnungen, Leitlinien oder allgemeine Weisungen, nach denen die nationalen zuständigen Behörden die Aufgaben nach Artikel 4 [dieser Verordnung] … wahrnehmen“, zu erlassen und zum anderen einer nationalen Behörde die Zuständigkeit zu entziehen und zu beschließen, „sämtliche einschlägigen Befugnisse in Bezug auf ein oder mehrere … Kreditinstitute unmittelbar selbst auszuüben“.

25

Aus Art. 6 Abs. 7 der Grundverordnung geht hervor, dass die EZB dafür zuständig ist, ein Rahmenwerk zur Gestaltung der praktischen Modalitäten der Zusammenarbeit im Rahmen des SSM anzunehmen. Auf dieser Grundlage hat die EZB die SSM-Rahmenverordnung erlassen.

26

Drittens ist festzustellen, dass Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 1 der Grundverordnung als Kriterium für die Verteilung der Rollen innerhalb des SSM die Bedeutung des beaufsichtigten Unternehmens heranzieht. Auf dieser Grundlage wird zwischen „weniger bedeutenden“ und „bedeutenden“ Unternehmen unterschieden. Drei Kriterien werden aufgestellt, und zwar die Größe (Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 1 Ziff. i der Grundverordnung), die Relevanz für die Wirtschaft der Union oder eines teilnehmenden Mitgliedstaats (Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 1 Ziff. ii der Grundverordnung) und die Bedeutung der grenzüberschreitenden Tätigkeiten (Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 1 Ziff. iii der Grundverordnung).

27

Diese Kriterien werden in Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 2 der Grundverordnung erläutert, worin es heißt: „Sofern nicht durch besondere Umstände, die in der Methodik zu benennen sind, gerechtfertigt, gilt ein Kreditinstitut, eine Finanzholdinggesellschaft oder eine gemischte Finanzholdinggesellschaft nicht als weniger bedeutend, wenn eine der folgende[n] Bedingungen erfüllt ist“. Als eine dieser Bedingungen wird in Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 2 Ziff. i dieser Verordnung ein Gesamtwert der Aktiva von mehr als 30 Mrd. Euro genannt.

28

Viertens schließlich geht aus Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 2 der Grundverordnung hervor, dass die Einstufung als „bedeutendes“ Institut unter „besonderen Umständen“, mit deren Erläuterung die EZB beauftragt wurde, ausgeschlossen werden kann.

29

Diese Erläuterung der „besonderen Umstände“, aufgrund derer ein Kreditinstitut doch nicht als „bedeutend“ eingestuft werden kann, wurde in den Art. 70 und 71 der SSM-Rahmenverordnung vorgenommen, um deren Auslegung es im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes geht. Aus Art. 70 Abs. 1 dieser Verordnung geht hervor, dass es sich um „spezifische und tatsächliche Umstände [handelt], aufgrund derer die Einstufung eines beaufsichtigten Unternehmens als bedeutend unter Berücksichtigung der Ziele und Grundsätze der [Grund]-Verordnung und insbesondere des Erfordernisses der Sicherstellung der kohärenten Anwendung hoher Aufsichtsstandards unangemessen ist“. Gemäß Art. 70 Abs. 2 dieser Verordnung ist der Ausdruck „besondere Umstände“ eng auszulegen. Schließlich hebt Art. 71 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung die Notwendigkeit einer Prüfung dieser besonderen Umstände auf Einzelfallbasis und speziell für jedes beaufsichtigte Unternehmen hervor.

2.  Inhalt des angefochtenen Beschlusses

30

Im angefochtenen Beschluss stellte die EZB fest, dass der Wert der Aktiva der Klägerin 30 Mrd. Euro übersteige, und lehnte es ab, dem Vorbringen der Klägerin, es lägen „besondere Umstände“ im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Grundverordnung vor, die es rechtfertigten, dass sie weiterhin der unmittelbaren Aufsicht der deutschen Behörden unterliege, zu folgen.

31

Es sei nicht dargetan worden, dass ihre unmittelbare Aufsicht über die Klägerin „im Widerspruch zu den Zielen der Grundverordnung“ stehe, weshalb diese nicht unangemessen im Sinne von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung sei. Hierzu wurde in der Stellungnahme des administrativen Überprüfungsausschusses, in dessen Folge der angefochtene Beschluss erging, u. a. hervorgehoben, dass von den in Art. 6 Abs. 4 der Grundverordnung aufgestellten Bedeutsamkeitskriterien nur dann aufgrund „besonderer Umstände“ abgewichen werden könne, wenn diese darauf hindeuteten, dass die Ziele der Grundverordnung und insbesondere das Erfordernis der Sicherstellung der kohärenten Anwendung hoher Aufsichtsstandards durch die direkte Aufsicht der nationalen Behörden besser sichergestellt sei, was die Klägerin nicht nachgewiesen habe.

32

Das Vorbringen der Klägerin, die von den nationalen Behörden ausgeübte Aufsicht sei wegen ihres besonders niedrigen Risikoprofils ausreichend, hielt die EZB im Wesentlichen für irrelevant, da die Prüfung des Risikos, das ein Institut für die Stabilität des Finanzsystems oder seine Gläubiger darstelle, bei der Einstufung eines Unternehmens nicht zu berücksichtigen sei. Auch sei sie nicht verpflichtet, die Verhältnismäßigkeit der Einstufung eines Instituts als bedeutend zu prüfen. In Anwendung von Art. 6 Abs. 4 der Grundverordnung und Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenvereinbarung vertrat sie die Auffassung, sich auf die Prüfung allein der Unangemessenheit einer direkten Aufsicht durch die EZB beschränken zu müssen.

33

Schließlich hob die EZB auch hervor, dass sie selbst dann, wenn sie der Ansicht wäre, dass hinsichtlich des beaufsichtigten Unternehmens besondere Umstände im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Grundverordnung vorlägen, noch prüfen müsse, ob diese besonderen Umstände die Herabstufung eines Kreditinstituts von „bedeutend“ nach „weniger bedeutend“ rechtfertigen könnten.

3.  Zur Rüge, bei der Auslegung der Voraussetzung der Unangemessenheit der Einstufung eines beaufsichtigten Unternehmens als „bedeutend “ sei ein Rechtsfehler begangen worden

34

Wie oben in Rn. 31 ausgeführt wurde, geht aus dem angefochtenen Beschluss im Licht der Stellungnahme des administrativen Überprüfungsausschusses hervor, dass die EZB der Ansicht war, dass die Anwendung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung nur dann dazu hätte führen können, die Klägerin nicht als bedeutendes Unternehmen einzustufen, wenn eine direkte Beaufsichtigung durch die deutschen Behörden besser geeignet gewesen wäre, die Ziele der Grundverordnung sicherzustellen, als die Beaufsichtigung durch die EZB.

35

Die Klägerin ist im Wesentlichen der Ansicht, diese Analyse sei rechtsfehlerhaft. Der Verweis auf die Unangemessenheit der Einstufung eines beaufsichtigten Unternehmens als „bedeutend“ in Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung sei ein unbestimmter Rechtsbegriff, der im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in Art. 5 Abs. 4 EUV auszulegen sei, der regele, wie die Unionsorgane ihre Kompetenzen wahrzunehmen hätten. Die Einstufung eines Instituts als „bedeutend“ anhand des Kriteriums der Größe rechtfertige keine direkte Beaufsichtigung durch die EZB und sei somit „unangemessen“, denn sie sei nicht erforderlich, wenn eine Beaufsichtigung durch die zuständige nationale Behörde unter der Systemaufsicht der EZB zur Erreichung der Ziele der Grundverordnung genüge. Außerdem stehe der Wortlaut dieser beiden Bestimmungen einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Instituts als bedeutend nicht entgegen. Gleiches gelte für die systematische und die teleologische Auslegung dieser beiden Bestimmungen. Ferner treffe nicht zu, dass der EZB für sämtliche Institute die Zuständigkeit für alle in Art. 4 Abs. 1 der Grundverordnung aufgezählten Aufgaben übertragen worden sei. Diese Bestimmung führe in Verbindung mit Art. 6 Abs. 4 der Grundverordnung vielmehr zu der Schlussfolgerung, dass gemäß dem Subsidiaritätsgrundsatz die Zuständigkeitsübertragung nur für die bedeutenden Institute erfolgt sei und die nationalen Behörden für die direkte Beaufsichtigung weniger bedeutender Institute zuständig blieben.

36

Somit ist festzustellen, dass die Klägerin eine Auslegung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung im Licht eines Erfordernisses der Notwendigkeit der direkten Aufsicht der EZB vorschlägt, das sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder sogar dem Grundsatz der Subsidiarität, die in Art. 5 EUV verankert seien, ergebe. Daraus würde folgen, dass die EZB hätte prüfen müssen, ob mit der Beaufsichtigung durch die deutschen Behörden die Ziele der Grundverordnung hätten verwirklicht werden können. Wenn die Klägerin nachgewiesen hätte, dass sie ein geringes Risikoprofil aufwies, wäre somit das von der Grundverordnung verfolgte Ziel des Schutzes der Finanzstabilität durch die Aufsicht der deutschen Behörden hinreichend verwirklicht. Dies hätte nach dieser Auffassung gerechtfertigt, dass die Klägerin in Anwendung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung in ein „weniger bedeutendes“ Unternehmen herabgestuft wird.

37

Die EZB und die Kommission halten diese Auslegung für unzutreffend. Sie sind im Wesentlichen der Auffassung, dass die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität vom Gesetzgeber bei der Ausarbeitung der Grundverordnung bereits berücksichtigt worden seien, indem für die als weniger bedeutend eingestuften Unternehmen eine dezentralisierte Umsetzung bestimmter der in Art. 4 Abs. 1 der Grundverordnung aufgezählten Aufgaben durch die nationalen Behörden gestattet worden sei.

38

Vorab ist festzustellen, dass in den Schriftsätzen der Klägerin weder explizit noch implizit eine Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung dahin erhoben wird, dass dieser den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit oder der Subsidiarität oder Art. 6 der Grundverordnung zuwiderlaufe. In ihren Schriftsätzen hat sich die Klägerin somit dafür entschieden, ihre Argumentation nur auf der Auslegung dieser Bestimmung aufzubauen, ohne deren Gültigkeit in Frage zu stellen.

39

Für die Beantwortung der aufgeworfenen Auslegungsfragen und zur Bestimmung der genauen Bedeutung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung sind nicht nur dessen Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch der Zusammenhang, in dem er steht, und die Ziele, die mit der Regelung verfolgt werden, zu der er gehört (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2005, VEMW u. a., C‑17/03, EU:C:2005:362, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40

Da die wörtliche und die historische Auslegung einer Verordnung, insbesondere einer ihrer Bestimmungen, nicht die Beurteilung ihrer genauen Bedeutung ermöglichen, ist für die Auslegung der betreffenden Regelung sowohl auf ihre Zielsetzung als auch auf ihre Systematik abzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 31. März 1998, Frankreich u. a./Kommission, C‑68/94 und C‑30/95, EU:C:1998:148, Rn. 168, und vom 25. März 1999, Gencor/Kommission, T‑102/96, EU:T:1999:65, Rn. 148).

41

Außerdem ist nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung eine Bestimmung des abgeleiteten Unionsrechts möglichst so auszulegen, dass sie mit dem Vertrag und den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts vereinbar ist (Urteile vom 4. Oktober 2007, Schutzverband der Spirituosen-Industrie, C‑457/05, EU:C:2007:576, Rn. 22, vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala, C‑413/06 P, EU:C:2008:392, Rn. 174, und vom 25. November 2009, Deutschland/Kommission, T‑376/07, EU:T:2009:467, Rn. 22).

a)  Zur grammatikalischen Auslegung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung

42

In Bezug auf die grammatikalische Auslegung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung ist darauf hinzuweisen, dass dieser folgenden Wortlaut hat:

„Besondere Umstände im Sinne von Artikel 6 Absatz 4 Unterabsätze 2 und 5 der [Grundverordnung] liegen vor, wenn spezifische und tatsächliche Umstände vorliegen, aufgrund derer die Einstufung eines beaufsichtigten Unternehmens als bedeutend unter Berücksichtigung der Ziele und Grundsätze der [Grundverordnung] und insbesondere des Erfordernisses der Sicherstellung der kohärenten Anwendung hoher Aufsichtsstandards unangemessen ist.“

43

Es ist festzustellen, dass die grammatikalische Auslegung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung für den von der EZB in dem angefochtenen Beschluss eingenommenen Standpunkt spricht.

44

Der Wortlaut von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung stellt nämlich im Hinblick auf die Ziele der Grundverordnung ausschließlich die Prüfung der Angemessenheit der Einstufung eines Unternehmens als bedeutend und damit seiner Beaufsichtigung nur durch die EZB in den Mittelpunkt. Eine Prüfung der Notwendigkeit einer direkten Beaufsichtigung eines bedeutenden Unternehmens durch die EZB wird nicht erwähnt.

45

Während im Allgemeinen die Prüfung der Angemessenheit eines Unionsrechtsakts seine Geeignetheit betrifft, die mit der betreffenden Regelung verfolgten legitimen Ziele zu erreichen, besteht die Prüfung der Erforderlichkeit darin, zu prüfen, ob er nicht über die Grenzen dessen hinausgeht, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juni 2015, Gauweiler u. a., C‑62/14, EU:C:2015:400, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46

Da Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung auf „spezifische und tatsächliche Umstände [verweist], aufgrund derer die Einstufung eines beaufsichtigten Unternehmens als bedeutend unter Berücksichtigung der Ziele und Grundsätze der [Grundverordnung] unangemessen ist“, folgt daher daraus zwangsläufig, dass nur der Fall erfasst wird, in dem die direkte Beaufsichtigung durch die EZB wegen der Einstufung eines Unternehmens als „bedeutend“ weniger geeignet wäre, die Ziele der Grundverordnung zu erreichen, als eine direkte Beaufsichtigung dieses Unternehmens durch die nationalen Behörden. Hingegen lässt sich einer grammatikalischen Auslegung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung nicht die Möglichkeit entnehmen, ein „bedeutendes Unternehmen“ zu einem „weniger bedeutenden“ Unternehmen herabzustufen, weil eine direkte Beaufsichtigung durch die nationalen Behörden im Rahmen des SSM genauso geeignet wäre, die Ziele der Grundverordnung zu erreichen, wie eine Beaufsichtigung nur durch die EZB.

b)  Zur mit höherrangigem Recht einschließlich der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität vereinbaren Auslegung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung

47

Gegen diese grammatikalische Auslegung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass dieser gemäß den in Art. 5 Abs. 3 und 4 EUV genannten Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität ausgelegt werden müsse, da zum einen Art. 6 Abs. 4 der Grundverordnung den nationalen Behörden die Befugnis einräume, eine Aufsicht in Bezug auf bestimmte der in Art. 4 Abs. 1 der Grundverordnung aufgezählten Aufgaben auszuüben, und zum anderen Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung festlege, welche Zuständigkeiten an die EZB delegiert würden und welche bei den nationalen Behörden verblieben.

48

Daraus folge, dass der Begriff „unangemessen“ in Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung so verstanden werden müsse, dass er die Aufsicht nur durch die EZB ausschließe, wenn die Ziele der Grundverordnung durch die Aufsicht der nationalen Behörden hinreichend erreicht werden könnten. Mit anderen Worten finde die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme nicht nur dann Anwendung, wenn die Ziele der Grundverordnung im Rahmen einer direkten Aufsicht durch die nationalen Behörden besser erreicht werden könnten, sondern auch, wenn eine solche Aufsicht ausreichend sei, um sie zu erreichen.

49

Da das Vorbringen der Klägerin auf der Annahme beruht, hinsichtlich der in Art. 4 Abs. 1 Buchst. b und d bis i der Grundverordnung aufgezählten Aufgaben seien, was die als „weniger bedeutend“ eingestuften Unternehmen betrifft, gemäß Art. 6 Abs. 4 dieser Verordnung weiterhin die nationalen Behörden zuständig, ist die Reichweite der Zuständigkeiten zu prüfen, die durch die Grundverordnung auf die EZB übertragen werden, bevor geprüft wird, ob die von der Klägerin vorgebrachte konforme Auslegung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung möglich ist.

1) Zur Reichweite der der EZB durch die Grundverordnung übertragenen Zuständigkeiten

50

Nach Ansicht der Klägerin trifft es nicht zu, dass der EZB für sämtliche Institute die Zuständigkeit für alle in Art. 4 Abs. 1 der Grundverordnung aufgezählten Aufgaben übertragen worden sei. Aus ihrer Lesart folge in Verbindung mit Art. 6 Abs. 4 dieser Verordnung, dass eine Kompetenzübertragung nur in Bezug auf die „bedeutenden“ Unternehmen stattgefunden habe, während die direkte Beaufsichtigung der „weniger bedeutenden“ Unternehmen mit Ausnahme der in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und c der Grundverordnung genannten Aufgaben in der Zuständigkeit der nationalen Behörden verbleibe. Diese Verteilung der Zuständigkeiten stehe mit dem in Art. 291 Abs. 1 AEUV vorgesehenen Grundsatz der Durchführung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten in Einklang.

51

Die Klägerin weist auch darauf hin, dass ihre Analyse der Reichweite der der EZB übertragenen Zuständigkeiten nicht nur vom Schrifttum befürwortet werde, sondern auch mit der Entstehungsgeschichte der Grundverordnung in Einklang stehe. Der Gesetzgeber sei nämlich bewusst vom ursprünglichen Vorschlag der Kommission – der auf einer Übertragung der Kompetenz zur Beaufsichtigung aller Kreditinstitute auf die EZB beruht habe – zugunsten einer Lösung abgewichen, die mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität eher in Einklang stehe.

52

Im Wesentlichen macht die Klägerin geltend, dass die Tatsachen, dass die EZB Befugnisse zur indirekten Aufsicht über weniger bedeutende Unternehmen habe, die u. a. die Möglichkeit enthielten, Verordnungen zu erlassen oder allgemeine Weisungen zu erteilen, dass sie die direkte Aufsicht über diese Unternehmen habe, was die in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und c der Grundverordnung aufgezählten Aufgaben betreffe, und dass sie schließlich das Vorrecht habe, in Anwendung von Art. 6 Abs. 5 Buchst. b dieser Verordnung eine direkte Aufsicht über bestimmte weniger bedeutende Unternehmen auszuüben, nichts daran änderten, dass Art. 6 Abs. 4 und 6 dieser Verordnung den nationalen Behörden die Zuständigkeit für die direkte Aufsicht über weniger bedeutende Unternehmen übertrage.

53

Dagegen ist die EZB, unterstützt von der Kommission, der Ansicht, dass ihr die ausschließliche Kompetenz zur Wahrnehmung aller in Art. 4 Abs. 1 der Grundverordnung genannten Aufsichtsaufgaben übertragen worden sei; lediglich die Durchführung der in Art. 4 Abs. 1 Buchst. b und d bis i der Grundverordnung genannten Aufgaben in Bezug auf weniger bedeutende Unternehmen sei auf die nationalen Behörden und unter Aufsicht der EZB übertragen worden.

54

Das Gericht stellt als Erstes fest, dass aus der Prüfung der Wechselwirkung zwischen den Bestimmungen von Art. 4 Abs. 1 und von Art. 6 der Grundverordnung, wie sie oben in den Rn. 20 bis 28 dargestellt worden sind, hervorgeht, dass die Logik der Beziehung zwischen ihnen darin besteht, zu ermöglichen, dass die der EZB übertragenen ausschließlichen Zuständigkeiten in einem dezentralisierten Rahmen umgesetzt werden können, anstatt eine Verteilung der Kompetenzen zwischen der EZB und den nationalen Behörden anlässlich der Ausübung der in Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung genannten Aufgaben vorzunehmen. Ebenso geht aus Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 2 dieser Verordnung zwangsläufig hervor, dass allein die EZB dafür zuständig ist, die „besonderen Umstände“ zu bestimmen, unter denen die direkte Aufsicht über ein Unternehmen, das ihrer alleinigen Aufsicht unterstehen sollte, auf eine nationale Behörde übertragen werden könnte.

55

Diese Feststellung wird durch die Erwägungsgründe der Grundverordnung bestätigt.

56

Erstens geht aus den Erwägungsgründen 15 und 28 der Grundverordnung hervor, dass nur die ausdrücklich der EZB übertragenen Aufgaben der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten entzogen sind und dass die Aufsicht über Finanzinstitute aus anderen als den in Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung genannten Gründen weiterhin in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der EZB und den nationalen Behörden bei der Festlegung der der EZB von Art. 4 Abs. 1 der Grundverordnung übertragenen Aufgaben vorgenommen worden ist.

57

Des Weiteren ist festzustellen, dass der 28. Erwägungsgrund der Grundverordnung zwar eine Liste von Aufsichtsaufgaben enthält, die im Zuständigkeitsbereich der nationalen Behörden verbleiben sollen, er jedoch keine der in Art. 4 Abs. 1 der Grundverordnung genannten Aufgaben einschließt. Darüber hinaus stellt dieser Erwägungsgrund die direkte Aufsicht über die weniger bedeutenden Unternehmen nicht als Ausübung einer Zuständigkeit der nationalen Behörden dar.

58

Zweitens wird die Aufsicht über die als „weniger bedeutend“ eingestuften Institute in den Erwägungsgründen 38 bis 40 der Grundverordnung genannt, also direkt nach dem 37. Erwägungsgrund dieser Verordnung, der hervorhebt, dass „die nationalen zuständigen Behörden dafür verantwortlich sein [sollten], die EZB bei der Vorbereitung und Umsetzung von Rechtsakten im Zusammenhang mit der Wahrnehmung ihrer Aufsichtsaufgaben zu unterstützen“, und dass „[d]azu … insbesondere die laufende tägliche Bewertung der Lage eines Kreditinstituts und die damit verbundenen Prüfungen vor Ort gehören [sollten]“. Diese Anordnung der Erwägungsgründe der Grundverordnung spricht dafür, dass die von den nationalen Behörden im Rahmen des SSM ausgeübte direkte Aufsicht vom Rat der Europäischen Union eher als eine Art Unterstützung der EZB denn als eine Ausübung einer autonomen Zuständigkeit aufgefasst wurde.

59

Als Zweites ist auch festzustellen, dass die EZB wichtige Vorrechte innehat, selbst wenn die nationalen Behörden die in Art. 4 Abs. 1 Buchst. b und d bis i der Grundverordnung genannten Aufsichtsaufgaben wahrnehmen, und dass das Bestehen solcher Vorrechte zeigt, dass das Tätigwerden der nationalen Behörden, wenn sie diese Aufgaben erfüllen, untergeordneten Charakter hat.

60

So ist die EZB in Anwendung von Art. 6 Abs. 5 Buchst. a der Grundverordnung berechtigt, „gegenüber den nationalen zuständigen Behörden Verordnungen, Leitlinien oder allgemeine Weisungen [zu erlassen], nach denen die nationalen zuständigen Behörden die Aufgaben nach Artikel 4 [dieser Verordnung] – mit Ausnahme von Absatz 1 Buchstaben a und c – wahrnehmen und Aufsichtsbeschlüsse fassen“.

61

Es trifft zwar zu, dass diese Unterordnung nicht so weit geht, dass die EZB einer nationalen Behörde individuelle Weisungen erteilen kann, dies wird jedoch durch die von Art. 6 Abs. 5 Buchst. b der Grundverordnung eingeräumte Möglichkeit kompensiert, einer nationalen Behörde die direkte Aufsicht über ein Unternehmen zu entziehen. Der Wortlaut dieser Bestimmung impliziert insoweit, dass die Wahrnehmung dieses Vorrechts ein weites der EZB eingeräumtes Ermessen voraussetzt, da es dort heißt, dass „die EZB jederzeit von sich aus, wenn dies für die Sicherstellung der kohärenten Anwendung hoher Aufsichtsstandards erforderlich ist, nach Konsultation der nationalen zuständigen Behörden oder auf Ersuchen einer nationalen zuständigen Behörde beschließen [kann], sämtliche einschlägigen Befugnisse in Bezug auf ein oder mehrere in Absatz 4 genannte Kreditinstitute unmittelbar selbst auszuüben“.

62

Als Drittes geht der ausschließliche Charakter der der EZB übertragenen Zuständigkeiten auch aus dem Vergleich der Bestimmungen hervor, die eine Anpassung des für die Verteilung der Rollen zwischen der EZB und den nationalen Behörden herangezogenen Kriteriums bezüglich der Größe des beaufsichtigten Unternehmens ermöglichen. Während aus den oben in Rn. 61 dargestellten Gründen Art. 6 Abs. 5 Buchst. b der Grundverordnung die Möglichkeit der EZB, einer nationalen Behörde die Zuständigkeit zu entziehen, in einer weiten Fassung vorsieht, verwendet Art. 6 Abs.4 Unterabs. 2 dieser Verordnung hingegen die engere Formulierung der „besonderen Umstände“ für die Möglichkeit, dass die direkte Aufsicht über ein Unternehmen, das als „bedeutend“ einzustufen wäre, einer nationalen Behörde übertragen wird, und überträgt der EZB die ausschließliche Zuständigkeit für die Bestimmung des Inhalts dieser Aufsicht.

63

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der EZB vom Rat eine ausschließliche Zuständigkeit in Bezug auf die in Art. 4 Abs. 1 der Grundverordnung genannten Aufgaben übertragen wurde und dass Art. 6 dieser Verordnung nur den Zweck hat, zu gestatten, dass die nationalen Behörden im Rahmen des SSM unter Aufsicht der EZB diese Zuständigkeit bei den weniger bedeutenden Unternehmen hinsichtlich der in Art. 4 Abs. 1 Buchst. b und d bis i der Grundverordnung genannten Aufgaben ausüben, wobei der EZB die ausschließliche Befugnis eingeräumt wird, den Inhalt des Begriffs „besondere Umstände“ im Sinne von Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 2 dieser Verordnung zu bestimmen; diese Befugnis wurde durch den Erlass der Art. 70 und 71 der SSM-Rahmenverordnung umgesetzt.

64

Diese Schlussfolgerung kann nicht durch das gegenteilige Vorbringen der Klägerin entkräftet werden. Dies gilt insbesondere für den Umstand, dass Art. 6 infolge einer Änderung des ursprünglichen Vorschlags der Kommission durch den Rat in die Grundverordnung eingefügt wurde. Zwar kann diese Änderung den Willen des Rates zum Ausdruck bringen, dass die nationalen Behörden an der Wahrnehmung dieser Aufgaben beteiligt werden, sie erlaubt jedoch keine Schlussfolgerung in dem Sinne, dass die nationalen Behörden eine Aufsichtskompetenz bei bestimmten der in Art. 4 Abs. 1 der Grundverordnung genannten Aufgaben beibehalten. Was die von der Klägerin vorgetragenen Äußerungen von Entscheidungsträgern aus Politik und Verwaltung betrifft, handelt es sich dabei lediglich um den Ausdruck persönlicher Meinungen.

2) Zur mit dem Grundsatz der Subsidiarität konformen Auslegung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung

65

Aus der Prüfung der der EZB durch die Grundverordnung übertragenen Zuständigkeiten geht hervor, dass, falls das Vorbringen der Klägerin dahin zu verstehen sein sollte, dass es sich auf eine mit dem Grundsatz der Subsidiarität konforme Auslegung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung stützt, diesem nicht gefolgt werden kann. Wenn dieser Grundsatz anwendbar ist, beinhaltet er zwar u. a. die Prüfung, ob das Ziel der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Unionsebene besser verwirklicht werden kann oder ob es ebenso effektiv auf nationaler Ebene verwirklicht werden kann, jedoch geht aus Art. 5 Abs. 3 EUV hervor, dass dieser Grundsatz nur in den Bereichen Anwendung findet, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juni 2015, Estland/Parlament und Rat, C‑508/13, EU:C:2015:403, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung). Er ist daher für die Auslegung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung oder von Art. 6 Abs. 4 der Grundverordnung, die aus den oben in den Rn. 50 bis 63 dargestellten Gründen nur die Modalitäten der dezentralisierten Ausübung einer ausschließlichen Zuständigkeit der EZB betreffen, irrelevant.

3) Zur mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit konformen Auslegung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung

66

Gemäß Art. 5 Abs. 4 EUV gehen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Maßnahmen der Union inhaltlich und formal nicht über das für die Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinaus. Die Organe wenden den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit im Anhang des AEU-Vertrags an.

67

Nach ständiger Rechtsprechung verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, dass die Handlungen der Unionsorgane zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung verfolgten legitimen Ziele geeignet sind und nicht über die Grenzen dessen hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist, wobei, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist und die dadurch bedingten Nachteile in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen müssen (vgl. Urteil vom 4. Mai 2016, Philip Morris Brands u. a., C‑547/14, EU:C:2016:325, Rn. 165 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68

Darüber hinaus ist die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme mit der Beachtung des Ermessensspielraums, der den Unionsorganen bei ihrem Erlass eventuell eingeräumt wird, in Einklang zu bringen (vgl. Urteil vom 12. Dezember 2006, Deutschland/Parlament und Rat, C‑380/03, EU:C:2006:772, Rn. 145 und die dort angeführte Rechtsprechung).

69

Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, dass das Erfordernis der Notwendigkeit eines Unionshandelns, das sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebe, voraussetze, dass die ausschließlichen Zuständigkeiten der Union in einer Art und Weise ausgeübt würden, die der Ausübung der nationalen Zuständigkeiten so viel Freiraum wie möglich lasse.

70

Zur Stützung ihres Vorbringens verweist sie auf die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Toshiba Corporation u. a. (C‑17/10, EU:C:2011:552, Nr. 90), in der die grundlegende und verfassungsrechtliche Bedeutung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im System der Verträge hervorgehoben worden sei, um zu dem Schluss zu gelangen, dass die einheitliche Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union nicht verlange, den nationalen Wettbewerbsbehörden dauerhaft und endgültig die Anwendung ihres innerstaatlichen Kartellrechts zu versagen, da es ausreiche, ihnen diese Zuständigkeit für die Dauer eines von der Kommission eingeleiteten Verfahrens zu entziehen und sie nach Abschluss dieses Verfahrens zur Beachtung der Entscheidung der Kommission zu verpflichten.

71

Hierzu genügt die Feststellung, dass diese Analyse in einem juristischen Kontext erfolgte, der mit dem der vorliegenden Rechtssache nicht vergleichbar ist.

72

Dort ging es nämlich darum, welche Auswirkungen es auf die Anwendung des innerstaatlichen Wettbewerbsrechts durch die nationalen Wettbewerbsbehörden hat, wenn die Kommission ihre Befugnisse zur Durchführung des Wettbewerbsrechts der Union ausübt. Im vorliegenden Fall handeln die nationalen Behörden aus den oben in den Rn. 50 bis 64 dargestellten Gründen für den SSM im Rahmen der dezentralisierten Umsetzung einer ausschließlichen Zuständigkeit der Union und nicht in Ausübung einer innerstaatlichen Zuständigkeit.

73

Damit ist die einzige Zuständigkeit, die durch die Ausübung einer direkten Aufsicht der EZB beeinträchtigt werden kann, die in Art. 291 Abs. 1 AEUV hervorgehobene grundsätzliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Durchführung des Unionsrechts in ihrer Rechtsordnung. Gemäß dieser Bestimmung ist es nach dem institutionellen System der Union und den Vorschriften, die die Beziehungen zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten regeln, in Ermangelung einer gegenteiligen Bestimmung des Unionsrechts nämlich Sache der Mitgliedstaaten, in ihrem Hoheitsgebiet für die Durchführung des Unionsrechts zu sorgen (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 23. November 1995, Nutral/Kommission, C‑476/93 P, EU:C:1995:401, Rn. 14).

74

Es ist jedoch festzustellen, dass die Wahrung dieser Zuständigkeit keine Auslegung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung in dem von der Klägerin vorgebrachten Sinn bedeuten kann, d. h. dahin, dass im Einzelfall für jedes in Anbetracht der in Art. 6 Abs. 4 der Grundverordnung genannten Kriterien als bedeutend eingestufte Institut geprüft werden muss, ob die Ziele dieser Verordnung durch eine direkte Beaufsichtigung durch die nationalen Behörden ebenso gut erreicht werden können.

75

Diese Auslegung würde nämlich dazu führen, das Gleichgewicht in der Grundverordnung in Frage zu stellen, da sie voraussetzen würde, im Einzelfall zu prüfen, ob trotz der Anwendung der Kriterien in Art. 6 Abs. 4 der Grundverordnung ein bedeutendes Institut nicht doch der direkten Aufsicht durch die nationalen Behörden unterliegen muss, weil diese besser in der Lage wären, die Ziele der Grundverordnung zu erreichen.

76

Eine solche Prüfung stünde in direktem Widerspruch zu zwei Gesichtspunkten, die in der Logik von Art. 6 Abs. 4 der Grundverordnung eine grundlegende Rolle spielen, nämlich zum einen der Grundsatz, dass die bedeutenden Institute nur der Aufsicht der EZB unterliegen, und zum anderen das Vorliegen präziser alternativer Kriterien, anhand derer die Bedeutung eines Finanzinstituts eingestuft werden kann. Zu diesen zählt in Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 2 Ziff. i der Schwellenwert von 30 Mrd. Euro des Gesamtwerts der Aktiva des betreffenden Finanzinstituts, ein Kriterium, das die Klägerin erfüllt.

77

Jedenfalls ist festzustellen, dass die Berücksichtigung der Rolle der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des Unionsrechts vom Gesetzgeber durch die Schaffung des SSM mit der Erfüllung der Ziele der Grundverordnung in deren Art. 6 in Einklang gebracht worden ist.

78

Wie aus den Erwägungsgründen 13 und 15 der Grundverordnung hervorgeht, zielt diese namentlich darauf ab, die Stabilität des Finanzsystems der Union durch die Wahrnehmung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute zu schützen; als Zentralbank des Euro-Währungsgebiets ist die EZB gut geeignet, diese Aufgaben wahrzunehmen, da sie über umfangreiches Fachwissen in makroökonomischen und die Finanzstabilität betreffenden Fragen verfügt.

79

Die Grundverordnung, die die Mitgliedstaaten keineswegs von den der EZB übertragenen Aufsichtsaufgaben ausschließt, beteiligt sie daran, indem sie im Rahmen des SSM und durch ihren Art. 6 Abs. 4 und 6 erlaubt, dass hinsichtlich der weniger bedeutenden Unternehmen die meisten der in ihrem Art. 4 Abs. 1 genannten Aufgaben auf einer dezentralisierten Grundlage wahrgenommen werden.

80

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung, da er auf „spezifische und tatsächliche Umstände [verweist], aufgrund derer die Einstufung eines beaufsichtigten Unternehmens als bedeutend unter Berücksichtigung der Ziele und Grundsätze der [Grundverordnung] und insbesondere des Erfordernisses der Sicherstellung der kohärenten Anwendung hoher Aufsichtsstandards unangemessen ist“, dahin zu verstehen ist, dass er sich nur auf die spezifischen tatsächlichen Umstände bezieht, die dazu führen, dass eine direkte Beaufsichtigung durch die nationalen Behörden besser geeignet ist, die Ziele und Grundsätze der Grundverordnung und insbesondere das Erfordernis der Sicherstellung der kohärenten Anwendung hoher Aufsichtsstandards zu erreichen.

81

Daraus ergibt sich, dass die EZB dadurch, dass sie im Wesentlichen die Ansicht vertreten hat, dass die Anwendung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenvereinbarung nur dann dazu führen könne, die Klägerin nicht als bedeutendes Unternehmen einzustufen, wenn nachgewiesen würde, dass eine direkte Beaufsichtigung durch die deutschen Behörden besser geeignet wäre, die Ziele der Grundverordnung zu erreichen, als eine Beaufsichtigung durch die EZB, den geltend gemachten Rechtsfehler nicht begangen hat.

82

Diese Schlussfolgerung wird nicht durch das Vorbringen der Klägerin entkräftet, die EZB habe in anderen Beschlüssen, die zu Neueinstufungen geführt hätten, die Kriterien, auf die sie sich in dem angefochtenen Beschluss bezogen habe, nicht angewendet.

83

Falls diese Argumentation geltend gemacht würde, um darzutun, dass es die EZB zu Unrecht abgelehnt habe, zu prüfen, ob die direkte Beaufsichtigung durch die nationalen Behörden für die Erreichung der Ziele der Grundverordnung ausreichte, wäre sie nämlich sogleich zurückzuweisen, weil festgestellt worden ist, dass die EZB bei der Auslegung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung keinen Rechtsfehler begangen hat.

84

Falls diese Argumentation dahin zu verstehen sein sollte, dass mit ihr im Wesentlichen ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz zulasten der Klägerin geltend gemacht wird, hat auch dies keinen Erfolg. Es genügt der Hinweis, dass die Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung mit der Beachtung des Gebots rechtmäßigen Handelns in Einklang gebracht werden muss, das besagt, dass sich niemand zu seinem Vorteil auf einen zugunsten anderer begangenen Rechtsverstoß berufen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. April 2011, Visa Europe und Visa International Service/Kommission, T‑461/07, EU:T:2011:181, Rn. 219 und die dort angeführte Rechtsprechung). Angenommen, die EZB hätte die Unternehmen, auf die die Klägerin verweist, zu Unrecht neu eingestuft, würde sich dieser Fehler auf die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses, die Herabstufung der Klägerin in ein „weniger bedeutendes“ Unternehmen abzulehnen, nicht auswirken.

85

Mithin ist die vorliegende Rüge zurückzuweisen.

c)  Zur Rüge, die spezifischen und tatsächlichen Umstände und die Ziele der Grundverordnung seien nicht geprüft worden

86

Die Klägerin wirft der EZB im Wesentlichen vor, ihre Einstufung als bedeutendes Unternehmen unabhängig von der Prüfung der spezifischen und tatsächlichen Umstände sowie ohne Berücksichtigung der Ziele und Grundsätze der Grundverordnung für angemessen gehalten zu haben.

87

Hierzu genügt die Feststellung, dass die Klägerin für den Antrag auf Überprüfung des Beschlusses vom 1. September 2014 ihr Vorbringen ausschließlich darauf gestützt hat, dass es in Anbetracht ihres angeblich schwachen Risikoprofils ausreiche, dass sie der Beaufsichtigung durch die deutschen Behörden unterliege.

88

Es geht nämlich aus den Schreiben der Klägerin vom 10. Juli 2014 und vom 6. Oktober 2014 hervor, dass ihr Vorbringen ausschließlich darauf gestützt war, dass für die Sicherstellung der kohärenten Anwendung hoher Aufsichtsstandards eine Beaufsichtigung durch die EZB nicht notwendig sei, ohne dass darin darauf abgestellt worden wäre, dass eine nationale Aufsicht besser geeignet wäre, diese Ziele zu erreichen.

89

Somit durfte die EZB in Anbetracht des Wortlauts von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung dieses Vorbringen zu Recht für irrelevant halten, ohne dass geprüft zu werden braucht, ob die von der Klägerin geltend gemachten tatsächlichen Umstände vorlagen oder ob eine Beaufsichtigung der Klägerin durch die deutschen Behörden den Zielen der Grundverordnung genügen konnte.

90

Diese Rüge kann daher nur zurückgewiesen werden.

d)  Zur Rüge, bei der Auslegung des Begriffs „besondere Umstände “ sei ein Rechtsfehler begangen worden

91

Die Klägerin wirft der EZB auch vor, eine „zweistufige Prüfung“ vorgenommen zu haben, indem sie die Ansicht vertreten habe, dass zum einen besondere Umstände vorliegen müssten und zum anderen diese dazu führen müssten, dass die Beaufsichtigung durch die EZB unangemessen sei, was gegen den Wortlaut von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung verstoße.

92

Es ist daran zu erinnern, dass nach Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung „[b]esondere Umstände im Sinne von Artikel 6 Absatz 4 Unterabsätze 2 und 5 der [Grundverordnung vorliegen], wenn spezifische und tatsächliche Umstände vorliegen, aufgrund derer die Einstufung eines beaufsichtigten Unternehmens als bedeutend unter Berücksichtigung der Ziele und Grundsätze der SSM-Verordnung und insbesondere des Erfordernisses der Sicherstellung der kohärenten Anwendung hoher Aufsichtsstandards unangemessen ist“.

93

In Art. 71 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung heißt es: „Ob besondere Umstände vorliegen, die eine Einstufung eines anderweitig als bedeutend geltenden beaufsichtigten Unternehmens als weniger bedeutend rechtfertigen, wird auf Einzelfallbasis und speziell für das betreffende beaufsichtigte Unternehmen oder die betreffende beaufsichtigte Gruppe festgestellt; diese Feststellung erfolgt jedoch nicht für Kategorien von beaufsichtigten Unternehmen.“

94

Aus diesen beiden Bestimmungen geht zwangsläufig hervor, dass das Vorliegen besonderer Umstände in Anbetracht der tatsächlichen Umstände des beaufsichtigten Unternehmens zu prüfen ist.

95

In dem angefochtenen Beschluss hat die EZB ausgeführt, dass, „[s]elbst wenn die EZB der Ansicht wäre, dass besondere Umstände, auf die in Artikel 6 Absatz 4 der [Grundverordnung] verwiesen wird, im Falle des beaufsichtigten Unternehmens Anwendung fänden, … die EZB immer noch überprüfen [müsste], ob solche besonderen Umstände eine Einstufung des beaufsichtigten Unternehmens als weniger bedeutend rechtfertigen würden“.

96

Falls die oben in Rn. 95 wiedergegebene Passage des angefochtenen Beschlusses dahin zu verstehen sein sollte, dass sie zu einer Vermengung des Begriffs „spezifische und tatsächliche Umstände“ in Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung, der anwendbar ist, um zu prüfen, ob die Einstufung eines Unternehmens als bedeutsam angemessen ist, mit dem Begriff „besondere Umstände“, der in Art. 6 Abs. 4 der Grundverordnung verwendet wird und den Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung erläutern soll, führt, wäre sie dann rechtlich fehlerhaft.

97

Mit dieser Argumentation würde die EZB nämlich das Darlegen von „besonderen Umständen“ und die Anwendung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung zu unterschiedlichen Voraussetzungen erheben. Folge davon wäre, dass besondere Umstände im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Grundverordnung nicht selbst die Herabstufung eines Unternehmens von „bedeutsam“ nach „weniger bedeutsam“ rechtfertigen könnten. Es wäre zusätzlich erforderlich, dass die Kriterien von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung erfüllt werden.

98

Dies entspricht nicht der Logik des Zusammenspiels dieser beiden Bestimmungen. Das Vorliegen besonderer Umstände genügt, um die Neueinstufung eines Unternehmens zu rechtfertigen. Gleichwohl ist für die Überprüfung ihres Vorliegens Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung anzuwenden.

99

Diese Passage des angefochtenen Beschlusses wäre mithin mit einem Rechtsfehler behaftet, der jedoch ohne Auswirkung auf dessen Rechtmäßigkeit bliebe, da diese Passage eine ergänzende Begründung darstellt, wie die Verwendung des Konjunktivs zeigt. Die EZB räumt nämlich nicht das Vorliegen „besonderer Umstände“ ein, sondern teilt nur ihre Einschätzung zu den Auswirkungen mit, die das Vorliegen solcher Umstände haben könnte, so sie denn vorlägen. Diese Rüge ist daher jedenfalls zurückzuweisen.

100

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der erste Klagegrund zurückzuweisen ist.

B. Zweiter Klagegrund: offensichtliche Fehler bei der Würdigung des Sachverhalts

101

Die Klägerin macht geltend, der angefochtene Beschluss weise offensichtliche Beurteilungsfehler auf.

102

Erstens sei die direkte Beaufsichtigung durch die EZB zur Erreichung der Ziele der Grundverordnung, insbesondere zur Gewährleistung der Finanzmarktstabilität, der Sicherheit und Solidität von Kreditinstituten und des Einlegerschutzes, nicht erforderlich. Zweitens sei die direkte Beaufsichtigung durch die EZB zur Gewährleistung des Ziels der kohärenten Anwendung hoher Aufsichtsstandards nicht erforderlich. Drittens sei die direkte Beaufsichtigung durch die EZB auch nicht zur Erreichung anderer Ziele der Grundverordnung erforderlich. Viertens stehe die direkte Beaufsichtigung der Klägerin durch die nationale Behörde im Einklang mit den Grundsätzen der Grundverordnung. Fünftens weise der angefochtene Beschluss selbst bei Zugrundelegung des fehlerhaften Prüfungsmaßstabs der EZB offensichtliche Beurteilungsfehler auf.

103

Die EZB, unterstützt von der Kommission, beantragt, diesen Klagegrund zurückzuweisen.

104

Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das Vorbringen der Klägerin im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes im Kern auf der Annahme beruht, dass die Ziele der Grundverordnung und die kohärente Anwendung hoher Aufsichtsstandards mittels einer direkten Beaufsichtigung durch die deutschen Behörden erreicht werden könnten. Die Klägerin befasst sich in ihren Schriftsätzen nämlich mit dem Nachweis, dass es offensichtlich falsch gewesen sei, in Anbetracht der fehlenden Notwendigkeit einer Beaufsichtigung durch die EZB die Einstufung als bedeutendes Unternehmen aufrechtzuerhalten.

105

Diese Argumentation ist irrelevant, da Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung aus den im Rahmen der Prüfung des ersten Klagegrundes dargestellten Gründen nicht so ausgelegt werden kann, als schließe er die Voraussetzung ein, dass geprüft werden muss, ob eine direkte Beaufsichtigung eines in Anbetracht von Art. 6 Abs. 4 der Grundverordnung als „bedeutend“ einzustufenden Unternehmens notwendig ist.

106

Lediglich hilfsweise macht die Klägerin geltend, dass „selbst bei Zugrundelegung des fehlerhaften Prüfungsmaßstabs der [EZB] … der angegriffene Beschluss an offensichtlichen Beurteilungsfehlern [leidet]“.

107

Zur Stützung dieses Vorbringens verweist die Klägerin als Erstes auf den Inhalt ihrer Schreiben vom 10. Juli 2014 und vom 6. Oktober 2014.

108

Aus den oben in den Rn. 87 bis 89 dargestellten Gründen ist jedoch festzustellen, dass die Klägerin darin nicht geltend gemacht hat, dass eine nationale Beaufsichtigung besser geeignet wäre, die Ziele der Grundverordnung zu erreichen, als eine direkte Beaufsichtigung durch die EZB.

109

Als Zweites macht die Klägerin in der Erwiderung im Wesentlichen geltend, die Beaufsichtigung durch die deutschen Behörden wäre besser geeignet, das Ziel der kohärenten Anwendung hoher Aufsichtsstandards sicherzustellen, auf das Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung verweise. Sie unterliege insoweit unterschiedlichen Regelungen, und zwar nicht nur der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. 2013, L 176, S. 1, berichtigt in ABl. 2013, L 208, S. 68 und ABl. 2013, L 321, S. 6) und dem deutschen Kreditwesengesetz, sondern auch dem Gesetz über die Landeskreditbank Baden-Württemberg sowie verschiedenen Aufsichtsbehörden, und zwar nicht nur der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), der Bundesbank und der EZB, sondern auch dem baden-württembergischen Finanzministerium.

110

So trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, dass die nationalen Behörden wegen der verschiedenen rechtlichen Rahmen und Kontrollbehörden, denen ihre Tätigkeit unterliege, besser in der Lage seien, untereinander zusammenzuarbeiten, um eine kohärente Anwendung hoher Aufsichtsstandards sicherzustellen, als mit der EZB.

111

Hierzu genügt die Feststellung, dass die Klägerin keine Vereinbarung oder Zusammenarbeit zwischen den baden-württembergischen und den deutschen Behörden anführt, die ihre Zusammenarbeit einfacher als mit der EZB machen würde.

112

Der vorliegende Klagegrund ist somit zurückzuweisen.

C. Dritter Klagegrund: Verletzung der Begründungspflicht

113

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die EZB beim Erlass des angefochtenen Beschlusses ihre Begründungspflicht verletzt habe. Diese folge sowohl aus Art. 33 Abs. 2, Art. 39 Abs. 1 und Art. 44 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung als auch aus Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 2 der Grundverordnung und aus Art. 296 Abs. 2 AEUV.

114

Erstens sei die Begründung des angefochtenen Beschlusses nicht folgerichtig und in sich widersprüchlich, so dass ihm das von der EZB angewandte Kriterium nicht entnommen werden könne. Die von der EZB in ihren Schriftsätzen favorisierte Auslegung des Begriffs „Unangemessenheit“ finde sich im angefochtenen Beschluss nicht und sei jedenfalls ihrerseits widersprüchlich.

115

Zweitens erschöpfe sich die Begründung des angefochtenen Beschlusses in bloßen Behauptungen und unsubstantiierten Negierungen. Insbesondere habe die EZB ihre Behauptung, das fehlende Risiko für die Stabilität der Märkte oder die Gläubiger stelle keinen besonderen Umstand dar, nicht begründet. Ebenso wenig werde in dem angefochtenen Beschluss erläutert, warum eine Beaufsichtigung durch die deutschen Behörden die Ziele der Grundverordnung nicht besser erfülle.

116

Drittens habe die EZB die von ihr im Verwaltungsverfahren vorgebrachten Argumente zum Vorliegen spezifischer und tatsächlicher Umstände, die zur Unangemessenheit ihrer Einstufung als bedeutend führten, nicht geprüft. Eine eingehende Erläuterung der Gründe, aus denen die EZB diese Argumente als irrelevant betrachtet habe, sei umso mehr geboten gewesen, als sie bei der Anwendung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung über einen Ermessensspielraum verfüge. Eine solche Erläuterung gehe weder aus dem angefochtenen Beschluss noch aus dessen Kontext hervor.

117

Die EZB, unterstützt von der Kommission, beantragt, diesen Klagegrund zurückzuweisen.

118

Nach Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 2 der Grundverordnung sind die Beschlüsse der EZB zu begründen.

119

Gemäß Art. 33 Abs. 1 und 2 der SSM-Rahmenverordnung wird ein EZB-Aufsichtsbeschluss mit einer Begründung für diesen Beschluss versehen. Die Begründung umfasst die wesentlichen Tatsachen und die Rechtsgründe, auf welche der EZB-Aufsichtsbeschluss gestützt ist.

120

In Art. 39 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung heißt es, dass „[e]in beaufsichtigtes Unternehmen … als bedeutendes beaufsichtigtes Unternehmen [gilt], wenn die EZB dies in einem an das betreffende beaufsichtigte Unternehmen gerichteten Beschluss der EZB … unter Angabe der Gründe für diesen Beschluss feststellt“.

121

Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmungen innerhalb der Grundverordnung und der SSM-Rahmenverordnung lediglich die Begründungspflicht, der die Organe und Einrichtungen der Union gemäß Art. 296 Abs. 2 AEUV unterliegen, in Erinnerung rufen.

122

Bei der in Art. 296 AEUV vorgesehenen Begründungspflicht handelt es sich um ein wesentliches Formerfordernis, das von der Frage der Stichhaltigkeit der Begründung zu unterscheiden ist, die zur materiellen Rechtmäßigkeit des streitigen Rechtsakts gehört (vgl. Urteil vom 11. Juli 2013, Ziegler/Kommission, C‑439/11 P, EU:C:2013:513, Rn. 114 und die dort angeführte Rechtsprechung).

123

Aus diesem Blickwinkel muss die nach Art. 296 AEUV erforderliche Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollfunktion ausüben kann. Was insbesondere die Begründung von Einzelentscheidungen angeht, hat die Pflicht zur Begründung solcher Entscheidungen neben der Ermöglichung einer gerichtlichen Überprüfung den Zweck, den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob die Entscheidung eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht (vgl. Urteil vom 11. Juli 2013, Ziegler/Kommission, C‑439/11 P, EU:C:2013:513, Rn. 115 und die dort angeführte Rechtsprechung).

124

Außerdem ist das Begründungserfordernis anhand der Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Inhalts des betreffenden Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und des Interesses zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. Urteil vom 11. Juli 2013, Ziegler/Kommission, C‑439/11 P, EU:C:2013:513, Rn. 116 und die dort angeführte Rechtsprechung).

125

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Stellungnahme des administrativen Überprüfungsausschusses zum Kontext gehört, in den sich der angefochtene Beschluss einfügt, und daher gemäß der oben in Rn. 124 angeführten Rechtsprechung für die Beurteilung, ob dieser Beschluss ausreichend begründet ist, berücksichtigt werden kann.

126

Art. 24 („Administrativer Überprüfungsausschuss“) der Grundverordnung sieht nämlich in Abs. 1 vor, dass „[d]ie EZB … einen administrativen Überprüfungsausschuss ein[richtet], der eine interne administrative Überprüfung der Beschlüsse vornimmt, die die EZB im Rahmen der Ausübung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Befugnisse erlassen hat, nachdem … die [entsprechende] Überprüfung eines Beschlusses beantragt wurde“, und dass „[d]ie interne administrative Überprüfung … sich auf die verfahrensmäßige und materielle Übereinstimmung solcher Beschlüsse mit dieser Verordnung [erstreckt]“. Abs. 7 dieses Artikels sieht Folgendes vor:

„Nach einer Entscheidung über die Zulässigkeit der Überprüfung gibt der administrative Überprüfungsausschuss innerhalb einer Frist, die der Dringlichkeit der Angelegenheit angemessen ist, spätestens jedoch zwei Monate nach Eingang des Antrags, eine Stellungnahme ab und überweist den Fall zwecks Ausarbeitung eines neuen Beschlussentwurfs an das Aufsichtsgremium. Das Aufsichtsgremium unterbreitet dem EZB-Rat unverzüglich einen neuen Beschlussentwurf, der der Stellungnahme des administrativen Überprüfungsausschusses Rechnung trägt. Der neue Beschlussentwurf hebt den ursprünglichen Beschluss auf oder ersetzt ihn durch einen Beschluss desselben Inhalts oder durch einen geänderten Beschluss. Der neue Beschlussentwurf gilt als angenommen, wenn der EZB-Rat nicht innerhalb eines Zeitraums von höchstens zehn Arbeitstagen widerspricht.“

127

Daraus folgt zwangsläufig, dass der angefochtene Beschluss, da in diesem im Einklang mit dem in der Stellungnahme des administrativen Überprüfungsausschusses enthaltenen Vorschlag entschieden wurde, an diese Stellungnahme anknüpft und die darin enthaltenen Erläuterungen für die Beurteilung, ob der angefochtene Beschluss ausreichend begründet ist, berücksichtigt werden können.

128

Erstens geht aus den oben in den Rn. 31 und 32 dargestellten Gründen und entgegen der Auffassung der Klägerin aus dem angefochtenen Beschluss in Verbindung mit der Stellungnahme des administrativen Überprüfungsausschusses zum einen hervor, dass die EZB die Ansicht vertrat, dass „besondere Umstände“ nur dann vorliegen könnten, wenn die Ziele der Grundverordnung besser durch eine direkte Beaufsichtigung durch die nationalen Behörden sichergestellt werden könnten, und zum anderen, dass die Klägerin nicht nachgewiesen habe, dass diese Voraussetzung in ihrem Fall erfüllt gewesen sei. Es ist ebenfalls festzustellen, dass sowohl die Stellungnahme des administrativen Überprüfungsausschusses als auch der angefochtene Beschluss eine Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin enthalten.

129

Außerdem hat die Prüfung des ersten Klagegrundes gezeigt, dass die Klägerin in der Lage war, die Argumentation der EZB nachzuvollziehen, da sie sie im Rahmen dieses Klagegrundes gerügt hat, und das Gericht in der Lage gewesen ist, die Gründe des angefochtenen Beschlusses auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu prüfen.

130

Zweitens geht in Bezug auf die Bedeutung der Klägerin, die Antwort auf ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren sei unzureichend, oben aus den Rn. 87 bis 89 sowie 107 und 108 hervor, dass die Klägerin in diesem Verfahren lediglich versucht hat, die fehlende Notwendigkeit einer direkten Beaufsichtigung durch die EZB mit der Begründung nachzuweisen, dass die Beaufsichtigung durch die deutschen Behörden für die Erreichung der Ziele der Grundverordnung ausreichend sei, ohne den Versuch zu unternehmen, darzutun, dass sie besser geeignet sei, diese Ziele zu erreichen. Da es sich im Hinblick auf die von der EZB befürwortete Auslegung um ein offensichtlich irrelevantes Vorbringen handelt, kann diese mithin nicht als verpflichtet angesehen werden, detailliert zu begründen, warum sie dieses zurückgewiesen hat, da die Klägerin dies dem angefochtenen Beschluss und der Stellungnahme des administrativen Überprüfungsausschusses ohne Weiteres entnehmen konnte.

131

Drittens trifft es in Bezug auf die Rüge der Klägerin, die Begründung des angefochtenen Beschlusses sei widersprüchlich, zwar zu, dass die Begründung eines Rechtsakts folgerichtig sein muss und insbesondere keine inneren Widersprüche aufweisen darf, die das Verständnis der Gründe, die diesem Rechtsakt zugrunde liegen, erschweren (Urteil vom 29. September 2011, Elf Aquitaine/Kommission, C‑521/09 P, EU:C:2011:620, Rn. 151).

132

Es ist jedoch festzustellen, dass die Begründung des angefochtenen Beschlusses nicht die behauptete Widersprüchlichkeit aufweist.

133

Zum einen besteht aus den oben in den Rn. 31 bis 34 dargestellten Gründen und entgegen dem, was die Klägerin zu vertreten scheint, kein Widerspruch zwischen der Erwähnung der Tatsache in der Stellungnahme des administrativen Überprüfungsausschusses, dass das Vorliegen „besonderer Umstände“ voraussetze, dass die Ziele der Grundverordnung und insbesondere die Notwendigkeit, die kohärente Anwendung hoher Aufsichtsstandards sicherzustellen, besser durch eine direkte Aufsicht der nationalen Behörden sichergestellt würden, und dem Verweis im angefochtenen Beschluss auf die Tatsache, dass die direkte Beaufsichtigung der Klägerin durch die EZB den Zielen der Grundverordnung zuwiderlaufen müsse, damit Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung Anwendung finde.

134

Zum anderen ist oben in Rn. 99 in Bezug auf die Widersprüchlichkeit der Begründung des angefochtenen Beschlusses, soweit er voraussetze, dass das Vorliegen besonderer Umstände nicht ausreiche, um die Anwendung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung zu rechtfertigen, festgestellt worden, dass diese Begründung des angefochtenen Beschlusses nur eine ergänzende darstellt. Diese Passage konnte daher nicht daran hindern, das von der EZB im angefochtenen Beschluss angewandte Kriterium richtig zu verstehen.

135

Nach alledem ist die angefochtene Entscheidung ausreichend begründet.

136

Der dritte Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

D. Vierter Klagegrund: Ermessensmissbrauch der EZB durch rechtswidrige Nichtausübung ihres Ermessens

137

Die Klägerin wirft der EZB vor, das ihr durch Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung eingeräumte Ermessen ihr gegenüber nicht ausgeübt zu haben, was einen Ermessensmissbrauch darstelle. Die genannte Bestimmung enthalte keinen abschließenden Katalog von Gründen, die die EZB berücksichtigen könne. Sie sei daher im angefochtenen Beschluss zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Argumentation der Klägerin darauf hinauslaufe, nicht in dieser Verordnung vorgesehene Gründe zu berücksichtigen.

138

Die EZB, unterstützt von der Kommission, beantragt, den Klagegrund zurückzuweisen.

139

Aus der Rechtsprechung geht gewiss hervor, dass ein Organ, wenn ihm Ermessen eingeräumt wird, dieses in vollem Umfang ausüben muss (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Juli 2011, Freistaat Sachsen/Kommission, T‑357/02 RENV, EU:T:2011:376, Rn. 45, und vom 10. Juli 2012, Smurfit Kappa Group/Kommission, T‑304/08, EU:T:2012:351, Rn. 90). Somit muss der Urheber des Rechtsakts in der Lage sein, vor dem Gerichtshof zu belegen, dass er beim Erlass des Rechtsakts sein Ermessen tatsächlich ausgeübt hat, was voraussetzt, dass alle erheblichen Faktoren und Umstände der Situation, die mit diesem Rechtsakt geregelt werden sollte, berücksichtigt worden sind (Urteil vom 7. September 2006, Spanien/Rat, C‑310/04, EU:C:2006:521, Rn. 122).

140

Es ist hier jedoch darauf hinzuweisen, wie oben in den Rn. 87 bis 89 hervorgehoben worden ist, dass das Vorbringen der Klägerin im Verwaltungsverfahren ausschließlich darauf abzielte, nachzuweisen, dass die Ziele der Grundverordnung durch eine direkte Beaufsichtigung der Klägerin durch die nationalen Behörden erreicht werden konnten und dass eine solche Argumentation aus den anlässlich der Prüfung des ersten Klagegrundes dargestellten Gründen im Rahmen der Anwendung von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung irrelevant ist.

141

Der EZB kann daher nicht vorgeworfen werden, dadurch ihr Ermessen nicht ausgeübt zu haben, dass sie ein irrelevantes Vorbringen sogleich zurückgewiesen hat.

142

Der vierte Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

E. Fünfter Klagegrund: Verstoß gegen die der EZB obliegende Pflicht zur Untersuchung und Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls

143

Die Klägerin weist darauf hin, dass die EZB nach Art. 28 Abs. 2 der SSM-Rahmenverordnung alle relevanten Umstände zu berücksichtigen habe. Die EZB sei zudem verpflichtet, alle relevanten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls sorgfältig und unparteiisch zu untersuchen und zu berücksichtigen; diese Pflicht ergebe sich aus dem in Art. 41 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Recht auf eine gute Verwaltung.

144

Sie habe nicht berücksichtigt, dass erstens eine Zahlungsunfähigkeit der Klägerin praktisch ausgeschlossen sei, dass die Klägerin zweitens außer dem Größenkriterium keines der in Art. 6 Abs. 4 der Grundverordnung genannten Kriterien erfülle und dass drittens die Beaufsichtigung durch die deutschen Behörden nie zu Beanstandungen geführt habe.

145

Die EZB, unterstützt von der Kommission, beantragt, diesen Klagegrund zurückzuweisen.

146

Wenn die Unionsorgane über Ermessen verfügen, kommt nach ständiger Rechtsprechung der Beachtung der Garantien, die die Unionsrechtsordnung in Verwaltungsverfahren gewährt, eine umso größere Bedeutung zu.

147

Zu den Garantien, die das Unionsrecht für Verwaltungsverfahren vorsieht, gehört zwar u. a. das in Art. 41 der Charta der Grundrechte verankerte Recht auf eine gute Verwaltung, das die Verpflichtung des zuständigen Organs umfasst, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen (Urteil vom 30. September 2003, Atlantic Container Line u. a./Kommission, T‑191/98 und T‑212/98 bis T‑214/98, EU:T:2003:245, Rn. 404).

148

Auf diese Pflicht wird in Art. 28 Abs. 2 der SSM-Rahmenverordnung hingewiesen, da es dort heißt, dass „[die EZB b]ei ihrer Beurteilung … alle relevanten Umstände [berücksichtigt]“.

149

Gleichwohl genügt aus Gründen, die den oben in Rn. 140 dargestellten entsprechen, der Hinweis, dass die Umstände, deren Nichtbeachtung der EZB vorgeworfen wird, in Anbetracht des Wortlauts von Art. 70 Abs. 1 der SSM-Rahmenverordnung irrelevant waren und dass mithin nicht mit Erfolg gerügt werden kann, sie habe diese Umstände bei der Anwendung dieser Bestimmung nicht berücksichtigt.

150

Der fünfte Klagegrund ist somit als unbegründet zurückzuweisen und dementsprechend die Klage insgesamt abzuweisen.

IV. Kosten

151

Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr außer ihren eigenen Kosten die Kosten der EZB gemäß deren Antrag aufzuerlegen.

152

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Die Kommission trägt daher ihre eigenen Kosten.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Vierte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Die Landeskreditbank Baden-Württemberg – Förderbank trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Europäischen Zentralbank.

 

3.

Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten.

 

Prek

Labucka

Schwarcz

Kreuschitz

Schalin

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. Mai 2017.

Der Kanzler

E. Coulon

Der Präsident

M. Prek


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch

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