Urteil vom Europäischer Gerichtshof - T-151/16

URTEIL DES GERICHTS (Neunte Kammer)

27. Juni 2017 ( *1 )

„Subventionen — Untersuchung des OLAF — Feststellung von Unregelmäßigkeiten — Entscheidung der Kommission, mit der eine Verwaltungssanktion verhängt wird — Ausschluss von der Teilnahme an Verfahren über die Vergabe öffentlicher Aufträge und die Gewährung von Finanzbeihilfen, die aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union finanziert werden, für die Dauer von 18 Monaten — Aufnahme in die Datenbank des Früherkennungs- und Ausschlusssystems — Zeitliche Anwendung verschiedener Fassungen der Haushaltsordnung — Formvorschriften — Rückwirkende Anwendung der weniger strengen Sanktionsnorm“

In der Rechtssache T‑151/16

NC, Prozessbevollmächtigte: zunächst J. Killick und G. Forwood, Barristers, sowie Rechtsanwältinnen C. Van Haute und A. Bernard, dann J. Killick, G. Forwood , C. Van Haute und J. Jeram, Solicitor,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, Prozessbevollmächtigte: zunächst F. Dintilhac und M. Clausen, dann F. Dintilhac und R. Lyal,

Beklagte,

wegen eines Antrags nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 28. Januar 2016, mit der die Verwaltungssanktion verhängt wird, die Klägerin von der Teilnahme an Verfahren über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und die Gewährung von Finanzhilfen, die aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union finanziert werden, für die Dauer von 18 Monaten auszuschließen und sie infolgedessen in die Datenbank des Früherkennungs- und Ausschlusssystems gemäß Art. 108 Abs. 1 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates (ABl. 2012, L 298, S. 1) aufzunehmen,

erlässt

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten S. Gervasoni sowie des Richters L. Madise (Berichterstatter) und der Richterin K. Kowalik-Bańczyk,

Kanzler: S. Spyropoulos, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. März 2017

folgendes

Urteil

Vorgeschichte des Rechtsstreits

1

Die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates (ABl. 2012, L 298, S. 1) (im Folgenden: Haushaltsordnung) wurde u. a. durch die Verordnung (EU, Euratom) 2015/1929 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Oktober 2015 (ABl. 2015, L 286, S. 1), die ab dem 1. Januar 2016 gilt, geändert. Da in der vorliegenden Rechtssache die Frage erörtert wird, welche Fassung der Haushaltsordnung im für diese Rechtssache maßgeblichen Zeitraum galt, wird gegebenenfalls auch auf die Fassung der Haushaltsordnung verwiesen, die zur Zeit der zur Last gelegten Ereignisse galt, wenn die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates vom 25. Juni 2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 2002, L 248, S. 1) in ihrer im November 2008 und im Februar 2009 geltenden Fassung bezeichnet werden soll. Die delegierte Verordnung (EU) Nr. 1268/2012 der Kommission vom 29. Oktober 2012 über die Anwendungsbestimmungen für die Verordnung Nr. 966/2012 (ABl. 2012, L 362, S. 1) wurde auch mit Wirkung vom 1. Januar 2016 durch die delegierte Verordnung (EU) 2015/2462 der Kommission vom 30. Oktober 2015 (ABl. 2015, L 342, S. 7) geändert, während zur Zeit der zur Last gelegten Ereignisse die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2342/2002 der Kommission vom 23. Dezember 2002 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 (ABl. 2002, L 357, S. 1) (im Folgenden jeweils: Durchführungsverordnung) galt.

2

Die Klägerin, NC, ist eine Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht, die sich u. a. für humanitäre Zwecke und eine nachhaltige Entwicklung einsetzt. Im Jahr 2007 wurde ihr im Rahmen eines Vertrags mit der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für Aktionen außerhalb der Europäischen Gemeinschaft eine Finanzbeihilfe gewährt, für die ein Betrag in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro für die Durchführung eines Umweltprojekts in einem Drittland vorgesehen war.

3

Im Jahr 2012 nahm der Rechnungshof der Europäischen Union am Sitz der Klägerin Kontrollen der Durchführung des oben in Rn. 2 erwähnten Vertrags vor. Er stellte zwei Einkäufe von Material –ein Fahrzeug und technische Ausrüstung – fest, bei denen sich Zweifel daran ergaben, dass die Ausschreibungsverfahren für diese Einkäufe im November 2008 und im Februar 2009 korrekt durchgeführt worden waren. Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) leitete deshalb eine Untersuchung ein, in deren Verlauf es feststellte, dass die Klägerin nicht in der Lage gewesen sei, anhand von Unterlagen zu belegen, dass sie Angebote von mehreren Lieferanten eingeholt habe, und dass die Untersuchungen zeigten, dass einige Bieter mit dem einzigen Lieferanten, der die beiden Aufträge erhalten habe, verbunden gewesen seien. Nach Ansicht des OLAF konnte aufgrund der Sachlage vermutet werden, dass die Klägerin selbst die Angelegenheit zugunsten dieses Lieferanten geregelt hatte. Die Klägerin antwortete dem OLAF, doch dieses schloss im August 2014 seine Untersuchung ab und wies sie darauf hin, dass es der Kommission vorschlagen werde, sie in das Frühwarnsystem aufzunehmen, das in dem Beschluss 2008/969/EG, Euratom der Kommission vom 16. Dezember 2008 über das von den Anweisungsbefugten der Kommission und den Exekutivagenturen zu verwendende Frühwarnsystem (ABl. 2008, L 344, S. 125) vorgesehen sei.

4

Mit einem Schreiben vom 31. August 2015 – gestützt auf Art. 131 Abs. 5 der Haushaltsordnung in Verbindung mit deren Art. 109 Abs. 1 und Art. 145 der Durchführungsverordnung in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung, wonach der zuständige Anweisungsbefugte gegen Empfänger von Finanzbeihilfen, in Bezug auf die festgestellt wurde, dass sie ihre Pflichten in schwerwiegender Weise verletzt haben, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende verwaltungsrechtliche und finanzielle Sanktionen verhängen kann, nachdem er den Betroffenen die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben hat – teilte die Kommission der Klägerin mit, dass sie beabsichtige, sie für die Dauer von zwei Jahren von Aufträgen und Subventionen auszuschließen, die aus dem Haushalt der Union finanziert würden. Art. 145 der Durchführungsverordnung in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung sah u. a. vor, dass der Ausschluss von aus dem Haushalt der Union finanzierten Aufträgen oder Finanzhilfen für eine Höchstdauer von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der Feststellung des Verstoßes, bei Rückfälligkeit sogar bis zu zehn Jahren erfolgen konnte. Die Kommission führte weiter aus, dass diese Sanktion, sollte sie verhängt werden, in die zentrale Ausschlussdatenbank aufgenommen werde, die in Art. 108 der Haushaltsordnung in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung genannt sei, sowie in das Frühwarnsystem aufgrund einer Ausschlusswarnung, wie in Art. 12 des Beschlusses 2014/792/EU der Kommission vom 13. November 2014 betreffend das von der Kommission und den Exekutivagenturen zu verwendende Frühwarnsystem (ABl. 2014, L 329, S. 68), der den vorausgehenden Beschluss über das Frühwarnsystem ersetzt hat und der selbst durch die Art. 105a Abs. 1 Buchst. a und Art. 108 Abs. 2 bis 4 der Haushaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung in Bezug auf die „frühzeitige Erkennung von Risiken, die die finanziellen Interessen der Union bedrohen“, ersetzt worden ist. Zudem verwies die Kommission in ihrem Schreiben auch auf die einschlägigen Bestimmungen der Haushaltsordnung und der Durchführungsverordnung, die zur Zeit der zur Last gelegten Ereignisse galten. Die von der Kommission in ihrem Schreiben genannten Bestimmungen dieser Verordnungen sind im Wesentlichen identisch mit denjenigen, die am Anfang dieser Randnummer angeführt sind.

5

Die Kommission forderte im Rahmen des kontradiktorischen Verfahrens, das in den oben genannten Bestimmungen vorgesehen ist, die Klägerin auf, innerhalb von 30 Tagen ab dem Erhalt ihres Schreibens eine Stellungnahme vorzulegen.

6

In diesem Schreiben vom 31. August 2015 fasste die Kommission den Sachverhalt zusammen, legte einige Umstände dar, aus denen sie geschlossen habe, dass die Angebote, die für die beiden in Rede stehenden Einkäufe abgegeben worden seien, nicht korrekt gewesen seien, führte aus, dass die Angaben der Klägerin in einem operativen Bericht an den Leiter der Delegation der Union in dem von dem Projekt betroffenen Drittland zur Identität der Bieter für die Lieferung des Fahrzeugs nicht mit den Untersuchungsergebnissen des OLAF übereinstimmten, und betonte, dass in keinem der Berichte der Klägerin der Kauf technischer Ausrüstung erwähnt worden und dass ihr nicht möglich gewesen sei, dem Rechnungshof eine Kopie der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten, die den Bietern hätte geschickt werden müssen, vorzulegen. Die Kommission zog daraus den Schluss, dass die Klägerin einen Betrug begangen habe, der in einem fiktiven Ausschreibungsverfahren bestehe, um den Lieferanten der beiden in Rede stehenden Materialien zu begünstigen. In der im Anschluss dargelegten rechtlichen Analyse stellte die Kommission außer den Manipulationen bei den beiden Ausschreibungsverfahren als Unregelmäßigkeit fest, dass die vorgelegten Berichte nicht die Wirklichkeit widerspiegelten und dass die Grundsätze für den Kauf und die Dokumentationspflichten, die im Vertrag gefordert würden, nicht beachtet worden seien. Sie war allgemein der Ansicht, dass die Klägerin das subventionierte Projekt nicht mit der erforderlichen Ernsthaftigkeit, Effizienz, Transparenz und Sorgfalt, in Übereinstimmung mit den guten Praktiken des Sektors und unter Beachtung des Vertrags durchgeführt habe. Zur beabsichtigten Sanktion führte die Kommission nach einem Hinweis auf die von ihr anzuwendenden allgemeinen Kriterien aus, dass die festgestellten Verstöße sehr schwerwiegend seien und dass die Klägerin nicht zum ersten Mal gefälschte oder nicht die Realität widerspiegelnde Unterlagen vorgelegt habe. Die Kommission verwies insoweit auf verschiedene Praktiken der Klägerin, mit denen sie ihre Kosten im Verhältnis zur Realität in mehreren Verträgen, u. a. auch dem in dieser Rechtssache in Rede stehenden, erhöht habe; diese seien vom OLAF oder von anderen Dienststellen aufgedeckt worden. In der Folge habe die Klägerin mehr als 200000 Euro an zu Unrecht gezahlten Subventionen zurückzahlen müssen.

7

Mit Schreiben vom 5. Oktober 2015 legte die Klägerin innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist ihre Antwortstellungnahme vor. Sie legte insbesondere dar, dass eine Ausschlusssanktion ihr gegenüber unverhältnismäßig sei. Als Erstes entsprächen die schweren Vorwürfe ihr gegenüber nicht der Realität. Die von der Kommission festgestellten Umstände ließen nicht den Schluss zu, sie habe fiktive Wettbewerbe durchgeführt. Sie räumte im Wesentlichen fehlende Strenge bei ihren Kontrollen und bei der Ausarbeitung ihrer Berichte ein und betonte, dass die mit dem Projekt betraute Person entlassen worden sei und dass sie ihre internen Verfahren geändert habe, bestritt aber einen absichtlichen Betrug und trug Argumente zu den verschiedenen von der Kommission angeführten Punkten vor. Als Zweites machte sie geltend, dass die genannten Tatsachen den finanziellen Interessen und dem Ansehen der Union nicht geschadet hätten. Die in Rede stehenden Einkäufe seien zum Marktpreis getätigt und der entsprechende Betrag sei der Union erstattet worden. Als Drittes meint sie, die inzwischen vergangene Zeit sei zu berücksichtigen ebenso wie der Umstand, dass sie seit den ihr vorgeworfenen Ereignissen in den Jahren 2008 und 2009 wegen anderer Verstöße bereits hart bestraft worden sei. Insoweit bestreitet die Klägerin als Viertes die Wiederholung von Zuwiderhandlungen. Die anderen von der Kommission genannten Praktiken hätten nicht vor denjenigen stattgefunden, die in der vorliegenden Rechtssache in Rede stünden, sondern seien zeitgleich gewesen und zeigten dieselbe mangelhafte interne Kontrolle. Als Fünftes seien die Zuwiderhandlungen nicht absichtlich begangen worden. Als Sechstes habe es deren Feststellung ermöglicht, nunmehr interne Verfahren und wirksame Kontrollen einzuführen, die gewährleisten sollten, dass die erforderlichen Grundsätze gewahrt würden, wobei die Klägerin mit den Dienststellen der Kommission während ihrer Untersuchung in vollem Umfang zusammengearbeitet habe. Als Siebtes sei die oben genannte schwere Sanktion, die bereits gegen sie verhängt worden sei, wegen der öffentlichen Berichterstattung über frühere Untersuchungen des OLAF bei ihr zur vollendeten Tatsache geworden. Schließlich würde der von der Kommission beabsichtigte Ausschluss von zwei Jahren mit Aufnahme in die zentrale Ausschlussdatenbank, wie in Art. 108 der Haushaltsordnung in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung vorgesehen, sowie in das Frühwarnsystem ihr einen verheerenden Schlag versetzen, der in keinem Verhältnis zu den genannten Fakten stehe.

8

Am 28. Januar 2016 erließ die Kommission die angefochtene Entscheidung, mit der die Klägerin im Rahmen einer verwaltungsrechtlichen Sanktion für eine Dauer von 18 Monaten von der Teilnahme an Verfahren über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und von Finanzbeihilfen, die aus dem Gesamthaushaltsplan der Union finanziert werden, ausgeschlossen und infolgedessen in die Datenbank des Früherkennungs- und Ausschlusssystems, wie in Art. 108 Abs. 1 der Haushaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung vorgesehen, aufgenommen wurde (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

9

In der angefochtenen Entscheidung wird die Darstellung des Sachverhalts aus dem Schreiben der Kommission vom 31. August 2015 übernommen, das oben in Rn. 6 zusammengefasst ist. Es wird darauf hingewiesen, dass das kontradiktorische Verfahren gemäß Art. 109 Abs. 1 der Haushaltsordnung in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung mit diesem Schreiben eingeleitet worden sei. Die Rechtsgrundlage für die Sanktion wird unter Anführung der Bestimmungen der Haushaltsordnung und ihrer Durchführungsverordnung, die im entscheidungserheblichen Zeitraum galten (siehe oben, Rn. 4), erläutert. Dazu führt die Kommission in einer Fußnote Folgendes aus :

„Gemäß dem Grundsatz des zeitlichen Aufeinanderfolgens der Rechtsnormen und der dazu ergangenen Rechtsprechung ist daran zu erinnern, dass die anzuwendenden Verfahrensregeln diejenigen sind, die zu dem Zeitpunkt, zu dem eine Entscheidung erlassen wird, in Kraft sind, während materielle Regeln grundsätzlich nicht auf Sachverhalte anzuwenden sind, die bereits vor ihrem Inkrafttreten existierten. … Somit sind im vorliegenden Fall die materiellen Regeln anzuwenden, die in dem Zeitraum des zur Last gelegten Sachverhalts in Kraft waren. Das kontradiktorische Verfahren wurde im Rahmen der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Regeln abgeschlossen.“

10

In der angefochtenen Entscheidung werden sodann zwei aufgedeckte Verstöße genannt, nämlich Manipulationen bei den beiden Ausschreibungsverfahren und die Vorlage von Berichten, die nicht die Realität widerspiegelten. Es wird auch auf die beabsichtigte Sanktion eines Ausschlusses von zwei Jahren in Anbetracht der wiederholten Vorlage von realitätswidrigen Informationen hingewiesen.

11

In der darauf folgenden rechtlichen Würdigung qualifiziert die Kommission die beiden in der vorstehenden Randnummer genannten Zuwiderhandlungen als schwere Verstöße der Klägerin gegen ihre Vertragspflichten im Sinne der im Zeitraum des zur Last gelegten Sachverhalts maßgeblichen Vorschriften der Haushaltsordnung, im vorliegenden Fall Art. 96 Abs. 1 Buchst. b und Art. 114 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1605/2002, die mit Art. 109 Abs. 1 Buchst. b und Art. 131 Abs. 5 der Haushaltsordnung in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung übereinstimmen. Die Kommission weist das Vorbringen der Klägerin zurück, mit dem diese bestreitet, fiktive Ausschreibungsverfahren durchgeführt zu haben. Sie weist auch anderes Vorbringen der Klägerin zurück, mit dem diese dartun wolle, dass sie nicht gegen eine Reihe von Vertragsgrundsätzen verstoßen oder dass sie den Vertrag korrekt durchgeführt habe. Außerdem betont sie, dass die Klägerin die Fehler, die Unstimmigkeiten und die Lücken in den Berichten, die sie habe vorlegen müsse, nicht bestreite.

12

Hinsichtlich der Sanktion legt die Kommission dar, dass sie gemäß den einschlägigen Bestimmungen der Durchführungsverordnung, die während des Zeitraums der zur Last gelegten Ereignisse galten, insbesondere die Schwere der Verstöße, u. a. ihre Auswirkungen auf die finanziellen Interessen und auf das Ansehen der Union, die seit den in Rede stehenden Verstößen verstrichene Zeit, die Dauer und die Wiederholung der Verstöße, die Absicht oder den Grad der Fahrlässigkeit des betroffenen Unternehmens und die von der Einrichtung getroffenen Maßnahmen zur Behebung der Situation für die Festlegung der Dauer des Ausschlusses unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen müsse. Im vorliegenden Fall weist die Kommission nach Betonung der Schwere der Verstöße darauf hin, dass die Klägerin wiederholt realitätswidrige Unterlagen vorgelegt habe. Sie bezieht sich dabei auf die in ihrem Schreiben vom 31. August 2015 erwähnten, von OLAF oder anderen Dienststellen aufgedeckten Praktiken, die die Klägerin in verschiedenen Verträgen angewandt habe, um ihre Kosten gegenüber den tatsächlichen Kosten zu erhöhen. Auf die verschiedenen Argumente, mit denen die Klägerin eine Sanktion zu verhindern suche, antwortet die Kommission unter anderem: Ein finanzieller Schaden der Union könne nicht bestritten werden, denn wenn die Ausschreibungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden wären, hätte der Kaufpreis geringer sein können; das Ansehen der Union werde zwangsläufig durch eine nicht ordnungsgemäße Verwendung von Subventionen zugunsten der Entwicklungszusammenarbeit mit Drittländern beeinträchtigt; der seit dem Sachverhalt vergangene Zeitraum sei darauf zurückzuführen, dass der Rechnungshof den Sachverhalt erst 2012 aufgedeckt habe; der Begriff der Wiederholung von Handlungen in den einschlägigen Bestimmungen der anwendbaren Durchführungsverordnung setze nicht voraus, das gegen einige davon schon eine Verwaltungssanktion verhängt worden sei oder dass sie zeitlich aufeinander folgen müssten, und umfasse die Fälle, in denen die Verstöße nicht isoliert, sondern Teil einer Gesamtheit von ähnlichen Fakten seien, die die Schwere der Verstöße belege; im vorliegenden Fall habe die Klägerin bereits früher falsche Auskünfte gegeben, um ihre Kosten zu erhöhen; die in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden Manipulationen schließlich seien entgegen ihrem Vorbringen absichtlich erfolgt, ohne dass ein Kontrollmechanismus sie hätte verhindern können. Außerdem bestreitet die Kommission mit Nachdruck und detailliert, Urheberin der Behandlung der die Klägerin betreffenden Verfahren in den Medien und der ihr möglicherweise daraus entstandenen Schwierigkeiten gewesen zu sein. Die Kommission betont den weit überwiegenden Anteil – nicht von der Union stammender – öffentlicher Mittel am Haushalt der Klägerin und die Tatsache, dass von 2008 bis 2014 die Subventionen der Union zu ihren Gunsten einen deutlich geringeren Teil ausgemacht hätten. Die Sanktion des Ausschlusses habe entgegen dem Vorbringen der Klägerin keine verheerenden Auswirkungen auf diese. Indem die Kommission demgegenüber die von der Klägerin zur Verbesserung ihrer Kontrollen und ihrer internen Verfahren getroffenen Maßnahmen berücksichtige wie auch die Entlassung der Person, die mit dem in Rede stehenden Projekt betraut gewesen sei, reduziere sie die Ausschlusssanktion letztlich auf 18 Monate ab dem Zeitpunkt der Mitteilung der Sanktionsentscheidung.

13

Die Kommission führt in der angefochtenen Entscheidung weiter aus, dass die Klägerin mit dem Ablauf des Sanktionszeitraums wieder aus der Datenbank des Früherkennungs- und Ausschlusssystems herausgenommen werde. Die Aufnahme sei faktisch am 30. März 2016 erfolgt.

14

Die angefochtene Entscheidung wurde nicht veröffentlicht. In der im entscheidungserheblichen Zeitraum geltenden Fassung der Haushaltsordnung war die Möglichkeit einer Veröffentlichung nicht erwähnt. Dagegen sah Art. 109 Abs. 3 der Haushaltsordnung in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung die Möglichkeit einer solchen Veröffentlichung vor, sobald der Rechtsweg gegen die Entscheidung erschöpft war. Hinsichtlich von Ausschlusssanktionen der in einem Fall wie dem vorliegenden verhängten Art sieht Art. 106 Abs. 16 und 17 der Haushaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung nunmehr vor, dass unter bestimmten Voraussetzungen vor Erschöpfung des Rechtswegs nominative Informationen zum verhängten Ausschluss veröffentlicht werden können.

15

Am 29. Januar 2016, als die Klägerin noch keine Kenntnis von der angefochtenen Entscheidung hatte, schrieben deren Berater an die Kommission. In ihrem Schreiben beanstandeten sie die Verwendung des Wortes „Betrug“ im Schreiben der Kommission vom 31. August 2015, da es auf eine Absicht bei den genannten Verhaltensweisen hinweise und eine sehr negative Bedeutung habe. Es gehe nur um die angeblichen schwerwiegenden Vertragsverletzungen. Sie betonten, dass die Obergrenze der Ausschlusssanktion in einem Fall wie dem vorliegenden von fünf auf drei Jahre gesenkt worden sei, wie sich aus Art. 106 Abs. 14 Buchst. c der Haushaltsordnung in ihrer ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung ergebe. Die beabsichtigte Sanktion von zwei Jahren liege nunmehr im oberen Bereich der möglichen Sanktionen und müsse auf alle Fälle nach unten korrigiert werden. In erster Linie wurde das Absehen von jeglicher Sanktion gefordert. Als weiteres Argument zu den bereits vorgetragenen wurde ausgeführt, dass Art. 106 Abs. 7 der Haushaltsordnung in derselben Fassung vorsehe, dass ein Beteiligter nicht ausgeschlossen werden könne, wenn er Korrekturmaßnahmen ergriffen habe, die seine Zuverlässigkeit belegten. Im vorliegenden Fall habe nicht nur die Union ihre Geldmittel zurückerhalten, sondern die Klägerin habe ihre Arbeitsabläufe ernsthaft überprüft. Dass das in Rede stehende Verhalten wiederholt vorgekommen sei, wurde erneut bestritten. Außerdem sei die Klägerin de facto bereits seit Mitte 2014 von den Verträgen der Union ausgeschlossen, und sie behalte sich vor, dies zu überprüfen. Es wurde auch gefragt, wie die Kommission das neu in Art. 108 der Haushaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung vorgesehene Gremium (im Folgenden: Gremium nach Art. 108) in das Verfahren einzubeziehen beabsichtige.

16

Am 29. Februar 2016 schrieb die Klägerin an die Kommission und bedauerte, dass das oben in Rn. 15 zusammengefasste Schreiben ihrer Berater sich mit der angefochtenen Entscheidung gekreuzt habe. Sie bat, Letzteres nicht zu veröffentlichen und es noch einmal unter Berücksichtigung des Vorbringens ihrer Berater zu überprüfen. Sie fragte auch, welche Folgen sich daraus für die laufenden Verträge ergäben.

17

Am 1. März 2016 antwortete die Kommission auf die Ausführungen der Berater der Klägerin. Sie betonte, dass die angefochtene Entscheidung sich nicht auf die Feststellung eines Betrugs, sondern auf schwere Mängel bei der Durchführung der Vertragspflichten stütze, dass der Grundsatz der Anwendung des neuen milderen Gesetzes eingehalten worden sei, indem die Dauer des Ausschlusses unter Berücksichtigung der Herabsetzung der für diese Sanktion in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Haushaltsordnung vorgesehenen Obergrenze von zwei Jahren auf 18 Monate herabgesetzt worden sei und dass die Klägerin nicht bereits vor dem Abschluss des Verfahrens de facto ausgeschlossen worden sei. Sie erklärte im Wesentlichen, dass das Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt habe, mit dem Ende des kontradiktorischen Verfahrens abgeschlossen gewesen sei, wobei die bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Regeln maßgeblich gewesen seien.

Verfahren und Anträge der Parteien

18

Die Klägerin hat am 12. April 2016 die vorliegende Klage erhoben.

19

Mit gesondertem Schriftsatz, der gemäß den Art. 151 und 152 der Verfahrensordnung des Gerichts bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht worden ist, hat die Klägerin ein beschleunigtes Verfahren beantragt. Mit Entscheidung vom 13. Mai 2016 hat das Gericht diesen Antrag zurückgewiesen.

20

Mit gesondertem Schriftsatz, der gemäß Art. 66 der Verfahrensordnung bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht worden ist, hat die Klägerin beantragt, ihr Anonymität zu gewähren und bestimmte Daten nicht öffentlich bekannt zu geben. Mit Entscheidung vom 14. Juni 2016 hat das Gericht diesem Antrag mit der Begründung stattgegeben, dass eine Ablehnung der Anonymität dazu führen würde, dass die gegen die Klägerin verhängte Sanktion öffentlich bekannt gemacht und somit de facto die zusätzliche Sanktion der Veröffentlichung der Ausschlussentscheidung gegen sie verhängt würde (siehe oben, Rn. 14).

21

In der Klageschrift hat die Klägerin beantragt, prozessleitende Maßnahmen zu ergreifen, u. a., die Kommission aufzufordern, bestimmte Unterlagen vorzulegen und einige tatsächliche Aspekte zu erläutern.

22

Nach Eingang der Klagebeantwortung der Kommission bei der Kanzlei des Gerichts am 24. Juni 2016 hat das Gericht am 18. Juli 2016 der Klägerin nach Art. 83 der Verfahrensordnung auf ihren Antrag gestattet, eine auf einen Kommentar zu den beiden von der Kommission vorgelegten Anhängen beschränkte Replik einzureichen, und die Kommission aufgefordert, mit einer Duplik zu antworten.

23

Die Klägerin hat die Replik am 7. August 2016, die Kommission die Duplik am 28. September 2016 eingereicht.

24

Auf Vorschlag des Berichterstatters hat das Gericht (Neunte Kammer) beschlossen, das mündliche Verfahren zu eröffnen und als prozessleitende Maßnahmen den Parteien schriftliche Fragen zur Beantwortung in der mündlichen Verhandlung zu stellen.

25

Die Parteien haben in der Sitzung vom 2. März 2017 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

26

Die Klägerin beantragt,

die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;

die beantragten prozessleitenden Maßnahmen anzuordnen;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

27

Die Kommission beantragt,

die Klage als unbegründet abzuweisen;

der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

28

Die Klägerin macht in ihrer Klageschrift vier Klagegründe gegen die angefochtene Entscheidung geltend. Als Erstes habe die Kommission gegen den Grundsatz der rückwirkenden Anwendung der milderen Sanktionsnorm verstoßen, indem sie einige Bestimmungen der Haushaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung nicht beachtet habe. Als Zweites habe sie wesentliche Formvorschriften nicht beachtet, indem sie die angefochtene Entscheidung erlassen habe, ohne eine Empfehlung des Gremiums nach Art. 108 beantragt und erhalten zu haben, wie in der Haushaltsordnung in dieser Fassung vorgesehen sei, und indem sie entgegen deren Bestimmungen nicht bereit gewesen sei, ihre Entscheidung unter Berücksichtigung der von der Klägerin vorgenommenen Korrekturen zu überprüfen. Als Drittes macht die Klägerin hilfsweise geltend, die Kommission habe gegen Art. 133a der Durchführungsverordnung in der zur Zeit des streitigen Sachverhalts geltenden Fassung verstoßen, in der die Kriterien definiert seien, nach denen die Kommission die Dauer eines Ausschlusses, wie er im vorliegenden Fall beschlossen worden sei, unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bestimmen müsse. Schließlich seien jedenfalls der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Grundsatz ne bis in idem verletzt worden, da die Klägerin bereits vor dem Erlass der angefochtenen Entscheidung wegen desselben Sachverhalts de facto von den Verträgen und den Subventionen der Union ausgeschlossen worden sei.

29

Zunächst ist der zweite Klagegrund zu prüfen.

Zum Klagegrund einer Verletzung wesentlicher Formvorschriften

30

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin den zweiten Teil dieses Klagegrundes fallen gelassen, wonach die Kommission zu Unrecht davon abgesehen habe, die angefochtene Entscheidung gemäß den Anforderungen in Art. 106 Abs. 9 der Haushaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung zu überprüfen, nachdem sie das oben in Rn. 15 genannte Schreiben ihrer Berater vom 29. Januar 2016 erhalten habe, in dem die Korrekturmaßnahmen hervorgehoben worden seien, die die Klägerin getroffen habe, damit sich Vorfälle wie die in Rede stehenden sich nicht wiederholten. Dies ist in das Protokoll der Sitzung aufgenommen worden. Somit ist nur der erste Teil des Klagegrundes zu prüfen.

31

Die Klägerin legt dar, dass die Kommission in der angefochtenen Entscheidung selbst darauf hingewiesen habe, dass die zu beachtenden Verfahrensregeln diejenigen seien, die zu der Zeit gegolten hätten, als die Entscheidung erlassen worden sei. Da die angefochtene Entscheidung am 28. Januar 2016 erlassen worden sei, hätten die Verfahrensregeln der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung der Haushaltsordnung beachtet und insbesondere hätte das in Art. 108 Abs. 5 ff. vorgesehene Gremium vor dem Erlass der Entscheidung konsultiert werden müssen.

32

Die Klägerin betont im Wesentlichen, dass gemäß Art. 105a Abs. 2 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 1 und 2 und Art. 131 Abs. 4 der Haushaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung in den Fällen, in denen schwere Verstöße gegen die Vertragspflichten bei Kontrollen, Buchprüfungen oder Untersuchungen durch einen Anweisungsbefugten, das OLAF oder den Rechnungshof entdeckt worden seien, gegen den betreffenden Subventionsempfänger ein Ausschluss nur auf der Grundlage der festgestellten Sachverhalte oder sonstigen Erkenntnisse aus der Empfehlung des Gremiums nach Art. 108 angeordnet werden könne. Die Klägerin führt aus, dass die Kommission einräume, die angefochtene Entscheidung nicht auf der Grundlage einer solchen Empfehlung erlassen zu haben, und macht geltend, dass eine Beteiligung des Gremiums nach Art. 108 vorgesehen sei, um die Verteidigungsrechte der Wirtschaftsteilnehmer zu gewährleisten, insbesondere um das zu Ungunsten der Antragsteller oder den Subventionsempfänger bestehende Ungleichgewicht der Kräfte zwischen ihnen und der Kommission auszugleichen. Sie führt aus, wenn das Gremium nach Art. 108 in dem Verfahren tätig geworden wäre, hätte die Entscheidung der Kommission anders lauten können, insbesondere weil dadurch bestimme Fakten aufgeklärt worden wären, weil sie ihre Argumente gegenüber einem unabhängigeren Organ hätte vorbringen können und weil sie in der Lage gewesen wäre, die von ihr durchgeführten Korrekturmaßnahmen zu erläutern.

33

Die Klägerin weist die von der Kommission insbesondere in ihrem oben in Rn. 17 erwähnten Schreiben vom 1. März 2016 vorgetragene Auffassung zurück, es seien die Verfahrensregeln zu berücksichtigen, die zu dem Zeitpunkt gegolten hätten, zu dem „das Verfahren abgeschlossen“ worden sei, denn dies sei ein unbestimmter Zeitpunkt, der die Kontrolle der zeitlich ordnungsgemäßen Anwendung der Verfahrensregeln verhindere. Allein maßgeblich sei der Zeitpunkt des Erlasses der in Rede stehenden Entscheidung. Die Klägerin verweist insoweit insbesondere auf das Urteil vom 26. März 2015, Kommission/Moravia Gas Storage (C‑596/13 P, EU:C:2015:203, Rn. 33 und 41).

34

In der Klagebeantwortung räumt die Kommission ein, dass die angefochtene Entscheidung nach dem 1. Januar 2016 erlassen worden sei, und führt hierzu aus, dass in den Bezugsvermerken dieser Entscheidung Art. 105a, Art. 106 Abs. 1 Buchst. e, Art. 108 Abs. 1 und Art. 131 Abs. 4 der Haushaltsordnung in der ab diesem Zeitpunkt geltenden Fassung genannt seien. Der Grundsatz der unmittelbaren Geltung der Verfahrensregeln sei jedoch ein allgemeiner Grundsatz, der entsprechend den Besonderheiten des in Rede stehenden Sachverhalts anzuwenden sei. Im vorliegenden Fall sei der Teil des Verfahrens, der die Klägerin miteinbeziehe, nämlich das kontradiktorische Verfahren, vor dem 31. Dezember 2015 abgeschlossen worden, unter Anwendung der zu dieser Zeit geltenden Verfahrensregeln. Der interne Verfahrensabschnitt sei am 17. Dezember 2015 mit dem Abschluss der Konsultationen der Dienststellen abgeschlossen worden und habe zu der Entscheidung geführt, die konkrete Sanktion zu verhängen. Die übrige Zeit sei lediglich dafür genutzt worden, die angefochtene Entscheidung fertigzustellen. Hätte man entschieden, ab dem 1. Januar 2016 sämtliche neue Verfahrensregeln anzuwenden und das Gremium nach Art. 108 zu befassen, hätte dies zu einer Wiederaufnahme des bereits abgeschlossenen kontradiktorischen Verfahrens geführt. Gleichwohl seien beim Erlass der angefochtenen Entscheidung letztlich Art. 105a Abs. 2 und Art. 131 Abs. 4 der Haushaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung angewandt worden, wonach die Entscheidung von der Generaldirektion (GD) „Europäische Nachbarschaftspolitik und Beitrittsverhandlungen“ stammen müsse.

35

Insoweit ist zunächst zu beachten, dass nach einem allgemein anerkannten Grundsatz eine neue Regelung, soweit nicht etwas Abweichendes bestimmt ist, unmittelbar nicht nur auf künftige Sachverhalte, sondern auch auf künftige Wirkungen von unter dem früheren Recht entstandenen Rechtspositionen anwendbar ist. Dagegen ist sie normalerweise nicht auf unter dem alten Recht entstandene und endgültig erworbene Rechtspositionen anwendbar (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. Dezember 1965, Singer, 44/65, EU:C:1965:122, S. 1200, vom 15. Februar 1978, Bauche, 96/77, EU:C:1978:26, Rn. 48, und vom 26. März 2015, Kommission/Moravia Gas Storage, C‑596/13 P, EU:C:2015:203, Rn. 32). Etwas anderes gilt – vorbehaltlich des Verbots der Rückwirkung von Rechtsakten – nur, wenn zusammen mit der Neuregelung besondere Vorschriften getroffen werden, die speziell die Voraussetzungen für ihre zeitliche Geltung regeln (vgl. Urteil vom 7. November 2013, Gemeinde Altrip u. a., C‑72/12, EU:C:2013:712, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36

Aus ständiger Rechtsprechung ergibt sich auch, dass Verfahrensvorschriften im Allgemeinen auf alle bei ihrem Inkrafttreten anhängigen Verfahren anwendbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. November 1981, Meridionale Industria Salumi u. a., 212/80 bis 217/80, EU:C:1981:270, Rn. 9, vom 6. Juli 1993, CT Control [Rotterdam] und JCT Benelux/Kommission, C‑121/91 et C‑122/91, EU:C:1993:285, Rn. 22, und vom 26. März 2015, Kommission/Moravia Gas Storage, C‑596/13 P, EU:C:2015:203, Rn. 33). Auch insoweit gilt etwas anderes nur, wenn die Neuregelung von besonderen Vorschriften begleitet wird, die speziell die Bedingungen ihrer zeitlichen oder dem Stand der jeweiligen Verfahren entsprechenden Geltung regeln.

37

Im vorliegenden Fall ist in der Verordnung 2015/1929, mit der die Haushaltsordnung mit Wirkung vom 1. Januar 2016 geändert worden ist, keine besondere Übergangsbestimmung im Zusammenhang mit der Festlegung dieses allgemeinen Geltungszeitpunkts getroffen worden. Dies gilt auch, soweit mit der Verordnung 2015/2462 die Durchführungsverordnung mit Wirkung zum selben Zeitpunkt geändert worden ist.

38

Wie jedoch im Urteil vom 8. November 2007, Andreasen/Kommission (F‑40/05, EU:F:2007:189, Rn. 165 und 166), auf das die Parteien im Hinblick auf die mündliche Verhandlung hingewiesen worden sind, entschieden worden ist, kann die Anwendung einer neuen Verfahrensregel auf ein bereits unter der früheren Regel eingeleitetes und erst recht auf ein bereits abgeschlossenes Verfahren dazu führen, dass der neuen Verfahrensregel dann, wenn dieses Verfahren neu begonnen werden muss, Rückwirkung verliehen und sie nicht einfach auf ein laufendes Verfahren oder auf künftige Wirkungen eines Sachverhalts, der unter der früheren Regel entstanden ist, angewandt wird. In einem solchen Fall führt nämlich die Anwendung der neuen Verfahrensregel zur nachträglichen Aufhebung von Verfahren oder Verfahrensabschnitten, die der zur Zeit ihrer Durchführung geltenden Rechtsnorm entsprachen.

39

Im vorliegenden Fall legt die Kommission im Wesentlichen dar, dass das kontradiktorische Verfahren, dass dem Erlass der Entscheidung über die Sanktion vorausgegangen sei, am 1. Januar 2016 abgeschlossen gewesen sei, als die neue Fassung der Haushaltsordnung anwendbar geworden sei. Unter diesen Umständen hätte eine Beteiligung des Gremiums nach Art. 108, wie in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Haushaltsordnung vorgesehen, dazu geführt, erneut ein – ordnungsgemäß nach den dann geltenden Verfahrensvorschriften zu führendes – kontradiktorisches Verfahren zu beginnen.

40

Es ist festzustellen, dass, wie die Kommission vorträgt, das kontradiktorische Verfahren im vorliegenden Fall vor dem 1. Januar 2016 abgeschlossen war. Es war nämlich auf der Grundlage von Art. 131 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 109 Abs. 1 der Haushaltsordnung in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung und von Art. 145 der Durchführungsverordnung in der entsprechenden Fassung durch das oben in Rn. 4 genannte Schreiben der Kommission vom 31. August 2015 eingeleitet worden. Dies ergibt sich eindeutig aus dem letzten Absatz dieses Schreibens. Das kontradiktorische Verfahren betreffend die Sanktionen wurde im Oktober 2015 abgeschlossen, als die Klägerin innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist die oben in Rn. 7 zusammengefasste Antwortstellungnahme einreichte. Da keine neuen Rügen vorgetragen oder Anträge auf Erläuterung gestellt oder Dokumente von Seiten der Kommission nachträglich vorgelegt wurden, hat sich dieses Verfahren nicht über diesen Zeitpunkt hinaus fortgesetzt. Aufgrund der Akten ist deshalb zu schließen, dass das kontradiktorische Verfahren ordnungsgemäß nach den dafür geltenden Regeln durchgeführt und abgeschlossen wurde.

41

Zudem ist zu beachten, dass die Bestimmungen der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung der Haushaltsordnung, insbesondere die ihres Art. 108, den Ablauf des Verfahrens vor dem Erlass einer Entscheidung wie der angefochtenen wesentlich geändert haben, da das Gremium nach Art. 108, nachdem es von dem zuständigen Anweisungsbefugten mit dem Fall befasst und ihm die Akten übermittelt worden sind, selbst das kontradiktorische Verfahren gegenüber dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer sicherstellen und dann eine Empfehlung für den zuständigen Anweisungsbefugten abgeben muss, damit dieser eine Entscheidung treffen kann, die gegebenenfalls Sanktionsmaßnahmen enthält. In ihrer jeweiligen bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung sahen weder die Haushaltsordnung noch die Durchführungsverordnung nach dem kontradiktorischen Verfahren, das vom zuständigen Anweisungsbefugten selbst durchgeführt wurde, außer der abschließenden Phase des Erlasses der Entscheidung einen weiteren Verfahrensabschnitt vor. Die Änderung der Regelung ist somit nicht darauf beschränkt, dem bestehenden dem Erlass der Entscheidung vorausgehenden Verfahren einen zusätzlichen Abschnitt – der hätte durchgeführt werden können, ohne das davor liegende Verfahrensgeschehen in Frage zu stellen – hinzuzufügen, sondern sie hat dazu geführt, das bestehende vorausgehende Verfahren zu einem großen Teil durch ein neues vorausgehendes Verfahren zu ersetzen. Zudem war entgegen dem Vorbringen der Kommission und der Klägerin das „Verfahren“ weder am Ende der Konsultationen der anderen Dienststellen am 17. Dezember 2015 noch zu einem unbestimmten oder nicht nachprüfbaren Zeitpunkt abgeschlossen. Das Verfahren, das dem Erlass der angefochtenen Entscheidung vorausging, war im Oktober 2015 mit dem Ende des kontradiktorischen Verfahrens abgeschlossen, und das Sanktionsverfahren als Ganzes kam am 28. Januar 2016 mit dem Erlass der angefochtenen Entscheidung zum Abschluss.

42

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass das gesamte Verfahren, das dem Erlass der angefochtenen Entscheidung vorausging, vor dem 1. Januar 2016 nach den dafür geltenden Regeln durchgeführt und abgeschlossen wurde.

43

Der Umstand, dass die angefochtene Entscheidung erlassen wurde, nachdem die neue Fassung der Haushaltsordnung mit der Einsetzung des Gremiums nach Art. 108 Geltung erlangte, kann diese Beurteilung nicht in Frage stellen. Auch wenn es nämlich Ziel dieser Einsetzung gewesen sein sollte, die Verteidigungsrechte der Vertragsnehmer der Union, gegen die eine Sanktionsmaßnahme nach der Haushaltsordnung verhängt werden kann, zu stärken, kann keine ausdrückliche oder implizite Bestimmung der Verordnung 2015/1929 oder der Verordnung 2015/2462 dahin ausgelegt werden, dass sie Art. 105a Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 der Haushaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung, die in einer Reihe von Fällen das Tätigwerden des Gremiums nach Art. 108 vorsehen, eine Rückwirkung verleihen, die dazu führen würde, dass das vor diesem Zeitpunkt ordnungsgemäß abgeschlossene vorausgehende Verfahren, insbesondere unter dem Blickwinkel der Beachtung des kontradiktorischen Verfahrens, neu zu beginnen wäre (vgl. entsprechend Urteil vom 8. November 2007Andreasen/Kommission, F‑40/05, EU:F:2007:189, Rn. 165 bis 171).

44

Außerdem macht die Klägerin nicht geltend, dass irgendeine Modalität der Schlussphase des Erlasses der angefochtenen Entscheidung durch den zuständigen Anweisungsbefugten nicht beachtet worden wäre, sei es nach der Haushaltsordnung und der Durchführungsverordnung in ihrer jeweiligen bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung oder nach diesen Verordnungen in ihrer jeweiligen nach dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung.

45

Unter diesen Umständen ist der Schluss zu ziehen, dass die Klägerin nicht nachgewiesen hat, dass ein Verfahrensfehler vorliegt, der gegebenenfalls einen Verstoß gegen die wesentlichen Formvorschriften darstellt, der die angefochtene Entscheidung rechtswidrig machen kann. Der zweite Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zum Klagegrund des Verstoßes gegen den Grundsatz der Rückwirkung der milderen Sanktionsnorm

46

Die Klägerin trägt zu den zur Zeit der zur Last gelegten Ereignisse geltenden Vorschriften vor, diejenigen der Haushaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung enthielten mehrere Elemente, die im Hinblick auf die Sanktionen, die in einem Fall wie dem vorliegenden verhängt werden könnten, als milder angesehen werden müssen. Als Erstes sei der maximale Ausschluss gemäß Art. 106 Abs. 14 Buchst. c von zuvor fünf Jahren auf drei Jahre herabgesetzt worden; als Zweites sehe Art. 106 Abs. 7 Buchst. a nunmehr vor, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der bestimmte Korrekturmaßnahmen getroffen habe, die seine Zuverlässigkeit belegten, nicht mehr ausgeschlossen werden könne, während zuvor ein solcher Umstand nur bei der Beurteilung einer eventuellen Sanktion zu berücksichtigen gewesen sei; als Drittes erwähne Art. 106 Abs. 3 nunmehr bei den Bewertungskriterien einer eventuellen Sanktion die Berücksichtigung „anderer mildernder Umstände, wie etwa des Ausmaßes der vom öffentlichen Auftraggeber anerkannten Zusammenarbeit des Wirtschaftsteilnehmers mit der jeweils zuständigen Behörde und seines Beitrags zu den Ermittlungen“, während zuvor diese Aspekte nicht erwähnt gewesen seien. Die Kommission habe diese milderen Bestimmungen nicht angewandt und so den Grundsatz der rückwirkenden Anwendung der milderen Sanktionsnorm nicht beachtet.

47

Die Kommission ist demgegenüber der Meinung, dass die angefochtene Entscheidung nicht gegen den Grundsatz der rückwirkenden Anwendung der milderen Sanktionsnorm verstoße.

48

Ganz allgemein seien die ab dem 1. Januar 2016 geltenden Bestimmungen der Haushaltsordnung zur Aufdeckung der Risiken und zur Verhängung von Verwaltungssanktionen nicht permissiver oder milder als zuvor, wie sich aus dem achten Erwägungsgrund der Verordnung 2015/1929 ergebe, nach dem die Regeln über den Ausschluss von der Teilnahme an Vergabeverfahren für Aufträge oder Subventionen zum Zweck des besseren Schutzes der finanziellen Interessen der Union verbessert werden sollten.

49

Im Einzelnen seien die von der Klägerin erwähnten mildernden Umstände bloße Beispiele solcher Umstände, die bereits im Rahmen der Vorschriften berücksichtigt worden seien, die im Zeitraum, in dem sich das zur Last gelegte Verhalten ereignet habe, gegolten hätten. Insoweit sehe Art. 133a der Verordnung Nr. 2342/2002 vor, dass das zuständige Organ im Sinne der Verhältnismäßigkeit bei der Festlegung der Ausschlussdauer insbesondere die Schwere des Tatbestands, einschließlich seiner Auswirkung auf die finanziellen Interessen und den Ruf der Gemeinschaften, die seit dem Tatbestand verstrichene Zeit, die Dauer seines Bestehens, ob es sich um einen Wiederholungsfall handele, ob Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorliege und welche Abhilfemaßnahmen der Betreffende ergriffen habe, berücksichtige. Zudem habe die Klägerin im kontradiktorischen Verfahren nicht besonders auf ihre Kooperation mit der zuständigen Behörde und auf ihren Beitrag zur Untersuchung hingewiesen.

50

Zu den von der Klägerin angeführten Korrekturmaßnahmen bringt die Kommission unter Berufung auf Art. 106 Abs. 7 Buchst. a der Haushaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung vor, die Berücksichtigung solcher Maßnahmen setze voraus, dass diese dem betreffenden Wirtschaftsteilnehmer erlaubten, seine Zuverlässigkeit darzutun. Ein solches Erfordernis habe es zuvor nicht gegeben, und die Bemühungen in dem Bereich seien nur als mildernde Umstände berücksichtigt worden. Die neue Regelung sei somit nicht milder als die vorhergehende.

51

Hinsichtlich der letzten beiden von der Klägerin angeführten Aspekte sei die ab dem 1. Januar 2016 geltende Regelung nicht milder als diejenige, die zur Zeit des ihr vorgeworfenen Verhaltens gegolten habe.

52

Hinsichtlich der Obergrenze für die Dauer des Ausschlusses, die tatsächlich unter der zuvor geltenden Obergrenze von fünf Jahren liege, betont die Kommission, dass in dem Verfahren nie beabsichtigt gewesen sei, die neue Obergrenze von drei Jahren zu überschreiten, denn die ursprünglich angekündigte Ausschlussdauer habe zwei Jahre betragen und schließlich sei eine Ausschlussdauer von 18 Monaten festgesetzt worden. Keine Bestimmung der Haushaltsordnung oder der Durchführungsverordnung in ihrer jeweiligen ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung sehe eine Herabsetzung der Dauer der Sanktionen proportional zur Herabsetzung der Obergrenze vor. Somit sei mit der Festsetzung der Ausschlussdauer kein neues milderes Gesetz missachtet worden.

53

Der Grundsatz der rückwirkenden Anwendung der milderen Sanktionsnorm ist u. a. in Art. 49 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert, der wie folgt lautet:

„Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Es darf auch keine schwerere Strafe als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden. Wird nach Begehung einer Straftat durch Gesetz eine mildere Strafe eingeführt, so ist diese zu verhängen.“

54

Wie im Urteil vom 11. März 2008, Jager (C‑420/06, EU:C:2008:152, Rn. 59 und 60), in Erinnerung gerufen worden ist, gehört dieser Grundsatz zu den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten, so dass er als ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts anzusehen ist, dessen Wahrung der Gerichtshof sichert. Er findet seinen Ausdruck insbesondere in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 1995, L 312 S. 1), die die Rahmenregelung für Maßnahmen und Verwaltungssanktionen bei Unregelmäßigkeiten bildet, die einen Schaden für den Haushaltsplan der Union oder für die Haushalte, die von der Union verwaltet werden, bewirken oder bewirken würden, und die somit im vorliegenden Fall Anwendung findet. Nach dieser Bestimmung müssen die zuständigen Behörden auf ein Verhalten, das den Tatbestand einer Unregelmäßigkeit erfüllt, rückwirkend spätere Änderungen der Bestimmungen anwenden, die in einer sektorbezogenen Unionsregelung enthalten sind, mit der weniger strenge verwaltungsrechtliche Sanktionen eingeführt werden.

55

Entwickelt sich eine Regelung betreffend Verwaltungssanktionen in der Weise, dass die neue Regelung hinsichtlich mancher Aspekte milder, hinsichtlich anderer aber strenger ist als die alte Regelung, ist zur Bestimmung der milderen Regelung keine abstrakte Analyse vorzunehmen, sondern diejenige Regelung zu bestimmen, die konkret die für das in Rede stehende Unternehmen unter Berücksichtigung seiner Situation günstigste ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Dezember 2014, Riva Fire/Kommission, T‑83/10, nicht veröffentlicht, mit Rechtsmittel angefochten, EU:T:2014:1034, Rn. 85; EGMR, 17. September 2009, Scoppola/Italien, EG:EGMR:2009:0917JUD001024903, Rn. 109, und EGMR, 18. Juli 2013, Maktouf und Damjanović/Bosnien-Herzegowina, EG:EGMR:2013:0718JUD000231208, Rn. 65).

56

Im vorliegenden Fall erlaubt der Vergleich der Vorschriften über Sanktionsmaßnahmen der Haushaltsordnung und der Durchführungsverordnung zum einen in ihrer jeweiligen Fassung zu der Zeit, als sich der zur Last gelegte Sachverhalt ereignete, und zum anderen in ihrer jeweiligen ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung unter Berücksichtigung des vorliegenden Sachverhalts folgende Feststellungen.

57

Art. 106 Abs. 7 Buchst. a der Haushaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung, der es nicht erlaubt, einen Wirtschaftsteilnehmer, der bestimmte Korrekturmaßnahmen ergriffen hat, die seine Zuverlässigkeit belegen, von den Aufträgen und Subventionen der Union auszuschließen, stellt eindeutig eine gegenüber der zuvor geltenden Bestimmung mildere Bestimmung dar. Bei Erfüllung dieser Bedingungen, selbst wenn dies einen anspruchsvollen Nachweis erforderlich macht, kommt dem Wirtschaftsteilnehmer künftig eine vollständige Freistellung von der Sanktion des Ausschlusses zugute, während dies zuvor nicht zwangsläufig zu einer solchen vollständigen Freistellung führte. Diese Bestimmung ist im vorliegenden Fall erheblich, da die Klägerin in ihrer Antwort vom 5. Oktober 2015 an die Kommission, die im Rahmen des kontradiktorischen Verfahrens erfolgte und oben in Rn. 7 zusammengefasst ist, sich substantiiert auf die Korrekturmaßnahmen berufen hat, die sie nach den in Rede stehenden Vorfällen ergriffen habe, und da die Kommission diese Maßnahmen nicht als unbedeutend angesehen hat, denn sie hat sie, wie Rn. 68 der angefochtenen Entscheidung zu entnehmen ist, berücksichtigt, um die Dauer des verhängten Ausschlusses zu bestimmen. Infolgedessen ist bei der Bestimmung des milderen Gesetzes festzustellen, dass Art. 106 Abs. 7 Buchst. a der Haushaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung eine mildere Bestimmung ist, die der Klägerin zugutekommen kann.

58

Wie oben in Rn. 9 dargelegt, hat sich die Kommission in der angefochtenen Entscheidung nicht nur allgemein ausdrücklich auf die Bestimmungen der Haushaltsordnung und der Durchführungsverordnung betreffend die Sanktionen, die zur Zeit der zur Last gelegten Vorfälle galten, berufen, sondern sie hat auch Art. 106 Abs. 7 Buchst. a der Haushaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung, nach dem es nicht möglich ist, einen Wirtschaftsteilnehmer, der bestimmte Korrekturmaßnahmen ergriffen hat, die seine Zuverlässigkeit belegen, von Aufträgen und Subventionen der Union auszuschließen, nicht konkret berücksichtigt. Auch wenn nämlich die angefochtene Entscheidung zeigt, dass die Korrekturmaßnahmen, die die Klägerin ergriffen hat, berücksichtigt wurden, um die Dauer des Ausschlusses zu bestimmen, so wird in ihr doch keinerlei Begründung dafür gegeben, warum diese Maßnahmen nicht ausreichend gewesen sein sollen, um den Voraussetzungen dieser Bestimmung zu genügen. Somit hat die Kommission nicht geprüft ob sie Letztere anwenden oder außer Betracht lassen musste. Insoweit kann dem Vorbringen der Kommission in der Klagebeantwortung nicht gefolgt werden, der Umstand, dass die Klägerin im kontradiktorischen Verfahren bestritten habe, absichtlich fiktive Ausschreibungsverfahren, wie im Bericht des OLAF beanstandet, durchgeführt zu haben, zeige, dass ihre Zuverlässigkeit nicht wiederhergestellt sei. Ein Wirtschaftsteilnehmer, gegen den ein Sanktionsverfahren durchgeführt wird, hat nämlich stets das Recht, sich gegen die ihm zur Last gelegten Vorwürfe zu verteidigen, und die Ausübung dieses Rechts lässt die Beurteilung seiner Zuverlässigkeit unberührt, die nach dem ihm vorgeworfenen Verhalten unter Berücksichtigung der gegebenenfalls von ihm ergriffenen Korrekturmaßnahmen erfolgt. Dies bestätigt, dass die Berücksichtigung von Art. 106 Abs. 7 Buchst. a der Haushaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung zu einer für die Klägerin weniger strengen Entscheidung hätte führen können.

59

Zudem ist es nicht ausgeschlossen, dass in einem Fall wie dem vorliegenden die Herabsetzung der Höchstdauer des Ausschlusses von fünf Jahren auf drei Jahre, die sich aus Art. 106 Abs. 14 Buchst. c der Haushaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung ergibt, einen zuständigen Anweisungsbefugten veranlassen kann, unter sonst im Übrigen gleichen Verhältnissen bei der Anwendung dieser Fassung der Haushaltsordnung eine kürzere Ausschlussdauer gegenüber dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer festzulegen, als er es bei Anwendung der früheren Fassungen der Haushaltsordnung und der Durchführungsverordnung getan hätte. Im vorliegenden Fall hat die Kommission in ihrem oben in Rn. 17 genannten Schreiben vom 1. März 2016 selbst vorgetragen, dass die Herabsetzung der Obergrenze der Ausschlussdauer berücksichtigt worden sei, indem ein Ausschluss von 18 Monaten statt von zwei Jahren, wie ursprünglich beabsichtigt, festgesetzt worden sei. Infolgedessen war auch Art. 106 Abs. 14 Buchst. c der Haushaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung im konkreten Fall eine mildere Vorschrift, die der Klägerin zugutekommen konnte, selbst wenn die von der Kommission in ihrem Schreiben vom 31. August 2015 in Aussicht gestellte Dauer bereits unterhalb der neuen Obergrenze lag.

60

Gleichwohl geht trotz des Vorbringens in dem oben in Rn. 59 erwähnten Schreiben vom 1. März 2016 auch aus der angefochtenen Entscheidung, insbesondere den Rn. 45 ff. in dem mit „Dauer des Ausschlusses“ überschriebenen Teil nicht hervor, dass diese Bestimmung berücksichtigt worden wäre, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat.

61

Im Übrigen gibt es zwar in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Regelung eine Bestimmung, die strenger zu sein scheint, als die Bestimmungen der zur Zeit des zur Last gelegten Verhaltens geltenden Regelung. Wie nämlich oben in Rn. 14 dargelegt, war es nach der letztgenannten Regelung im Gegensatz zu der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung der Haushaltsordnung nicht möglich, eine Sanktionsentscheidung oder deren wesentliche Elemente zu veröffentlichen. Jedoch ist nach dieser eine solche Veröffentlichung nicht nur nicht obligatorisch, die Kommission hat im vorliegenden Fall eine solche Veröffentlichung auch weder beabsichtigt noch beschlossen, die im Übrigen gegen das Rückwirkungsverbot von Verwaltungssanktionen, die zur Zeit des zur Last gelegten Sachverhalts nicht vorgesehen waren, verstoßen hätte (vgl. entsprechend Urteil vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, EU:C:2005:408, Rn. 202). Somit kann dieser Aspekt in der vorliegenden Rechtssache keine Rolle spielen.

62

Aus der konkreten Beurteilung des Sachverhalts ergibt sich somit, dass die Kommission zur Beachtung des Grundsatzes der rückwirkenden Anwendung der milderen Sanktionsnorm die Sanktionsregeln der Haushaltsordnung und der Durchführungsverordnung in ihrer jeweiligen ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung anwenden musste.

63

Die angefochtene Entscheidung ist somit für nichtig zu erklären, weil sie, wie oben in den Rn. 58 und 60 festgestellt, erlassen worden ist, ohne dass ersichtlich ist, dass die Bestimmungen einer milderen Sanktionsregelung berücksichtigt worden sind, die bei rückwirkender Anwendung auf den hier vorliegenden Sachverhalt zu einer milderen Entscheidung hätte führen können. Es ist deshalb nicht zweckdienlich, die beiden anderen von der Klägerin geltend gemachten Klagegründe und den von dieser gestellten Antrag auf Erlass prozessleitender Maßnahmen zu prüfen.

Kosten

64

Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Entscheidung der Kommission vom 28. Januar 2016, mit der die Verwaltungssanktion verhängt wird, NC von der Teilnahme an Verfahren über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und die Gewährung von Finanzhilfen, die aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union finanziert werden, für die Dauer von 18 Monaten auszuschließen und sie infolgedessen in die Datenbank des Früherkennungs- und Ausschlusssystems gemäß Art. 108 Abs. 1 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates aufzunehmen, wird für nichtig erklärt.

 

2.

Die Europäische Kommission trägt die Kosten.

 

Gervasoni

Madise

Kowalik-Bańczyk

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 27. Juni 2017.

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

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