Beschluss vom Europäischer Gerichtshof - T-117/17

BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTS

3. Juli 2017 ( *1 )

„Vorläufiger Rechtsschutz – Öffentliche Aufträge – Verhandlungsverfahren – Antrag auf einstweilige Anordnungen – Fehlende Dringlichkeit“

In der Rechtssache T‑117/17 R

Proximus SA/NV mit Sitz in Brüssel (Belgien), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt B. Schutyser,

Antragstellerin,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch A. Jaume und S. Cholakova als Bevollmächtigte im Beistand der Rechtsanwälte P. de Bandt und P. Teerlinck sowie der Rechtsanwältin M. Gherghinaru,

Antragsgegner,

wegen eines Antrags nach den Art. 278 und 279 AEUV auf Erlass einstweiliger Anordnungen dahin, dass zum einen der Vollzug der Entscheidung des Rates, den Rahmenvertrag an einen anderen Bieter zu vergeben, und zum anderen die Durchführung des zwischen dem Rat und dem Auftragnehmer geschlossenen Rahmenvertrags ausgesetzt wird,

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

folgenden

Beschluss

Vorgeschichte des Rechtsstreits, Verfahren und Anträge der Parteien

1

Der Rat der Europäischen Union forderte die Antragstellerin, die Proximus SA/NV, und [vertraulich] ( 1 ) mit Schreiben vom 28. Juli 2016 auf, an einem Verhandlungsverfahren zum Abschluss eines Rahmenvertrags teilzunehmen.

2

Mit Schreiben vom 24. November 2016 wurden die am Vergabeverfahren teilnehmenden Bieter zu einem Verhandlungstreffen über finanzielle Aspekte eingeladen, bei dem es auch um einige Klarstellungsersuchen ging.

3

Das Verhandlungstreffen fand am 1. Dezember 2016 statt.

4

Im Anschluss an dieses Treffen forderte der Rat die Bieter auf, die in seinem Protokoll dargelegten Punkte durch Vorlage eines geänderten finanziellen Angebots bis zum 8. Dezember 2016 zu beantworten, das ihr letztes und bestes Angebot sein müsse.

5

Mit Schreiben vom 23. Dezember 2016 informierte der Rat die Antragstellerin, dass ihr Angebot nicht ausgewählt und der Auftrag an einen anderen Bieter vergeben worden sei (im Folgenden: angefochtene Entscheidung). Am selben Tag wurde der Antragstellerin die Bewertung ihres Angebots mitgeteilt.

6

Am 29. Dezember 2016 wandte sich die Antragstellerin mit einem Schreiben an den Rat. Sie bat um weitere Informationen über die Merkmale und Vorteile des erfolgreichen Angebots. Außerdem wies sie darauf hin, dass ihr die Anwendung des Preiskriteriums falsch erscheine, da sie eine niedrigere Punktezahl als der erfolgreiche Bieter erhalten habe, obwohl dessen Angebot einen höheren Gesamtpreis ausgewiesen habe. Schließlich forderte die Antragstellerin den Rat auf, seine Entscheidung zu überdenken.

7

Mit Schreiben vom 6. Januar 2017 forderte die Antragstellerin den Rat erneut auf, seine Entscheidung zu überdenken und den Vertrag mit dem erfolgreichen Bieter nicht zu unterzeichnen. In diesem Schreiben begründete die Antragstellerin detailliert ihre Auffassung, dass die zur Bewertung des wirtschaftlich günstigsten Angebots angewandte Methode falsch sei und ihre Anwendung zu einem „inakzeptablen“ Ergebnis geführt habe. Zudem führte die Antragstellerin aus, dass die vom erfolgreichen Bieter für die „Service Packages“ 1 und 2 angebotenen Preise ungewöhnlich niedrig gewesen seien. Am 10. Januar 2017 sandte die Antragstellerin ein weiteres Schreiben an den Rat, das abgesehen von leichten Änderungen den gleichen Wortlaut hatte wie das Schreiben vom 6. Januar 2017.

8

Der Rat antwortete mit Schreiben vom 13. Januar 2017 auf das Schreiben der Antragstellerin vom 29. Dezember 2016 und teilte ihr mit, dass er ihr Schreiben vom 6. Januar 2017 gesondert beantworten werde.

9

Mit Schreiben vom 16. Januar 2017 erläuterte die Antragstellerin ihr Vorbringen zu dem vom erfolgreichen Bieter für die „Service Packages“ 1 und 2 angebotenen ungewöhnlich niedrigen Preis und wiederholte ihre Aufforderung an den Rat, seine Entscheidung zu überdenken und den Vertrag mit dem erfolgreichen Bieter nicht abzuschließen.

10

Mit Schreiben vom 23. Januar 2017 nahm der Rat zu den Schreiben der Antragstellerin vom 6. und vom 16. Januar 2017 Stellung. Er führte aus, dass er keinen Grund sehe, seine Entscheidung über die Auftragsvergabe rückgängig zu machen oder den Vertrag nicht abzuschließen.

11

Mit Schreiben vom 7. Februar 2017 teilte die Antragstellerin dem Rat mit, dass sie seine Antworten für unbefriedigend halte und beschlossen habe, den Rechtsweg zu beschreiten, also Klage zu erheben und einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu stellen, der einige Wochen später eingehen werde. Zudem forderte sie den Rat auf, den Vertrag in der Zwischenzeit nicht zu unterzeichnen.

12

Mit Klageschrift, die am 23. Februar 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Antragstellerin Klage im Wesentlichen auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung erhoben.

13

Mit gesondertem Schriftsatz, der am 23. Februar 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, mit dem sie beantragt,

den Vollzug der angefochtenen Entscheidung auszusetzen;

die Durchführung des Vertrags, wenn er mit dem Zuschlagsempfänger bereits geschlossen worden sein sollte, bis zum Erlass eines rechtskräftigen Urteils auszusetzen;

dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

14

In seiner Stellungnahme zum Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, die am 10. März 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, beantragt der Rat,

den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückzuweisen;

der Antragstellerin die Kosten aufzuerlegen.

15

In Beantwortung der dahin gehenden Frage des Präsidenten des Gerichts hat der Rat am 28. Februar 2017 mitgeteilt, dass der Vertrag mit dem Zuschlagsempfänger am 15. Februar 2017 unterzeichnet worden sei und dass die Durchführung dieses Vertrags bereits begonnen habe.

Rechtliche Würdigung

16

Aus den Art. 278 und 279 AEUV in Verbindung mit Art. 256 Abs. 1 AEUV ergibt sich, dass der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, gemäß Art. 156 der Verfahrensordnung des Gerichts die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen kann. Nach Art. 278 AEUV haben Klagen jedoch grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, da für die Handlungen der Organe der Europäischen Union die Vermutung der Rechtmäßigkeit gilt. Der Eilrichter kann daher nur in Ausnahmefällen die Aussetzung der Durchführung eines vor dem Gericht angefochtenen Rechtsakts anordnen oder einstweilige Anordnungen treffen (Beschluss vom 19. Juli 2016, Belgien/Kommission, T‑131/16 R, EU:T:2016:427, Rn. 12).

17

Gemäß Art. 156 Abs. 4 der Verfahrensordnung müssen Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz „den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, sowie die den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung dem ersten Anschein nach rechtfertigenden Sach- und Rechtsgründe anführen“.

18

Somit kann der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung und sonstige einstweilige Anordnungen stattgeben, wenn dargetan ist, dass die einstweiligen Anordnungen dem ersten Anschein nach in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gerechtfertigt sind (fumus boni iuris) und dass sie dringlich in dem Sinne sind, dass es zur Verhinderung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers erforderlich ist, sie vor der Entscheidung zur Hauptsache zu erlassen und wirksam werden zu lassen. Diese Voraussetzungen sind kumulativ, so dass der Antrag auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen ist, sofern eine von ihnen fehlt. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vor (vgl. Beschluss vom 2. März 2016, Evonik Degussa/Kommission, C‑162/15 P‑R, EU:C:2016:142, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19

Im Rahmen dieser Gesamtprüfung verfügt der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter über ein weites Ermessen und kann im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls die Art und Weise, in der diese verschiedenen Voraussetzungen zu prüfen sind, sowie die Reihenfolge dieser Prüfung frei bestimmen, da keine Rechtsvorschrift ihm ein feststehendes Prüfungsschema für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vorläufigen Entscheidung vorschreibt (vgl. Beschluss vom 19. Juli 2012, Akhras/Rat, C‑110/12 P[R], nicht veröffentlicht, EU:C:2012:507, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

20

Die Aktenstücke enthalten alle für die Entscheidung über den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz erforderlichen Informationen. Es besteht somit kein Anlass zu einer vorherigen mündlichen Anhörung der Parteien.

21

Unter den Umständen des vorliegenden Falles ist zunächst zu prüfen, ob die Voraussetzung der Dringlichkeit erfüllt ist.

22

Für die Prüfung, ob die beantragten einstweiligen Anordnungen dringlich sind, ist auf den Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes hinzuweisen, der darin besteht, die volle Wirksamkeit der künftigen endgültigen Entscheidung zu gewährleisten, um eine Lücke in dem vom Unionsrichter gewährten Rechtsschutz zu vermeiden (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 14. Januar 2016, AGC Glass Europe u. a./Kommission, C‑517/15 P‑R, EU:C:2016:21, Rn. 27).

23

Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Dringlichkeit im Allgemeinen danach zu beurteilen, ob eine einstweilige Anordnung erforderlich ist, um den Eintritt eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens bei der Partei zu verhindern, die vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Diese Partei hat nachzuweisen, dass sie den Ausgang des Verfahrens zur Hauptsache nicht abwarten kann, ohne dass ihr ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entstünde (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 14. Januar 2016, AGC Glass Europe u. a./Kommission, C‑517/15 P‑R, EU:C:2016:21, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24

In Bezug auf Rechtsstreitigkeiten im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe sind jedoch bei der Beurteilung der Dringlichkeit die Besonderheiten dieser Rechtsstreitigkeiten zu berücksichtigen.

25

Aus der Rechtsprechung ergibt sich nämlich, dass angesichts der zwingenden Erfordernisse, die sich daraus ergeben, dass im Bereich des öffentlichen Auftragswesens ein effektiver Schutz sichergestellt werden muss, wenn der abgelehnte Bieter das Vorliegen eines besonders ausgeprägten fumus boni iuris beweisen kann, von ihm nicht der Nachweis verlangt werden kann, dass die Zurückweisung seines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz ihm einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen würde, da sonst ein unverhältnismäßiger und ungerechtfertigter Eingriff in den effektiven gerichtlichen Rechtsschutz vorliegt, den er gemäß Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union genießt (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 23. April 2015, Kommission/Vanbreda Risk & Benefits, C‑35/15 P[R], EU:C:2015:275, Rn. 41).

26

Wie jedoch aus der Rechtsprechung hervorgeht, ist diese Lockerung der für die Prüfung des Vorliegens von Dringlichkeit geltenden Voraussetzungen, die durch das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gerechtfertigt ist, nur während der vorvertraglichen Phase anzuwenden, soweit die Stillhaltefrist nach Art. 118 Abs. 2 und 3 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates (ABl. 2012, L 298, S. 1) und Art. 171 Abs. 1 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1268/2012 der Kommission vom 29. Oktober 2012 über die Anwendungsbestimmungen für die Verordnung Nr. 966/2012 (ABl. 2012, L 362, S. 1) eingehalten wird. Wenn der öffentliche Auftraggeber nach Ablauf dieser Frist und vor der Einreichung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz den Vertrag mit dem Auftragnehmer geschlossen hat, ist diese Lockerung nicht mehr gerechtfertigt (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 23. April 2015, Kommission/Vanbreda Risk & Benefits, C‑35/15 P[R], EU:C:2015:275, Rn. 34 und 42).

27

Insoweit ergibt sich aus Art. 171 Abs. 2 Buchst. d der Verordnung Nr. 1268/2012, dass die Stillhaltefrist im vorliegenden Fall nicht galt, da der Auftrag im Rahmen des Verhandlungsverfahrens vergeben wurde.

28

Nach Ansicht der Antragstellerin ist diese Lockerung der für die Prüfung des Vorliegens einer Dringlichkeit geltenden Voraussetzungen unter Berücksichtigung der Komplexität des Sachverhalts und der Sorgfalt, die sie nach der Mitteilung der angefochtenen Entscheidung an den Tag gelegt hat, auf den vorliegenden Fall anwendbar.

29

Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

30

Auch wenn davon ausgegangen wird, dass die Rechtsprechung, die die Lockerung der für die Prüfung des Vorliegens einer Dringlichkeit geltenden Voraussetzungen vorsieht, auf einen Fall übertragbar ist, in dem wie hier die Verordnung Nr. 1268/2012 vorsieht, dass die Stillhaltefrist nicht gilt, hat die Antragstellerin doch ihren Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nicht so rechtzeitig eingereicht, dass ihr diese Lockerung zugutekommen kann.

31

Zunächst ist nämlich festzustellen, dass die Antragstellerin ihren Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nicht in der vorvertraglichen Phase, sondern erst am 23. Februar 2017 eingereicht hat, nachdem am 15. Februar 2017 der Vertrag unterzeichnet worden war.

32

Wie aber das Schreiben der Antragstellerin vom 6. Januar 2017 zeigt, verfügte sie spätestens zu diesem Zeitpunkt über hinreichende Informationen, um die mögliche Rechtswidrigkeit der Zuschlagsentscheidung zu erkennen und so vor dem Vertragsschluss zwischen dem Rat und dem Zuschlagsempfänger am 15. Februar 2017 einen Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen zu stellen.

33

Hierzu ist festzustellen, dass die vier Gründe, auf die die Antragstellerin ihren Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz stützt, die Methode zur Bewertung des wirtschaftlich günstigsten Angebots und deren Anwendung im vorliegenden Fall zum Gegenstand haben. Die Antragstellerin hatte dies jedoch bereits in ihrem Schreiben vom 6. Januar 2017 beanstandet.

34

Diese nunmehr als Nichtigkeitsgrund und zur Stützung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz vorgebrachte Rüge hätte es ihr erlaubt, in sachgerechter Weise eine mit einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz verbundene Nichtigkeitsklage zu erheben, um den Abschluss des Vertrags zwischen dem Rat und dem Zuschlagsempfänger zu verhindern. Mit einem solchen rechtzeitig gestellten Antrag hätte die Antragstellerin nach Art. 157 Abs. 2 der Verfahrensordnung noch vor Eingang der Stellungnahme der Gegenpartei einen Beschluss über die Aussetzung der Vollziehung der Zuschlagsentscheidung für die Dauer des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes erwirken können (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 30. Mai 2017, Enrico Colombo und Corinti Giacomo/Kommission, T‑690/16 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:370, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35

Sodann kann sich die Antragstellerin auch nicht darauf berufen, dass sie den Rat mehrfach aufgefordert habe, den Vertrag nicht zu unterzeichnen. Der Rat hat nämlich zu keinem Zeitpunkt zu erkennen gegeben, dass er bereit gewesen wäre, die Vertragsunterzeichnung auszusetzen. In seinem Schreiben vom 23. Januar 2017 hat der Rat vielmehr darauf hingewiesen, dass er keinen Grund dafür sehe, seine Entscheidung über die Auftragsvergabe rückgängig zu machen oder den Vertrag nicht abzuschließen.

36

Schließlich kann auch dem Argument der Antragstellerin, sie hätte „eine angemessene Frist für die Prüfung der Antwort“ des Rates vom 23. Januar 2017 erhalten müssen, nicht gefolgt werden. Aus dem Schreiben der Antragstellerin vom 7. Februar 2017 ergibt sich nämlich jedenfalls, dass sie die Antworten des Rates für unzureichend hielt und ihm ihre Absicht mitteilte, den Rechtsweg zu beschreiten. Dennoch hat sie die mit einem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz verbundene Nichtigkeitsklage erst am 23. Februar 2017 erhoben.

37

Aus alledem ist zu schließen, dass die Lockerung der Voraussetzung der Dringlichkeit im Bereich der öffentlichen Aufträge auf den vorliegenden Fall keine Anwendung finden kann.

38

Es ist noch zu prüfen, ob die Antragstellerin rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, dass ihr die Durchführung der angefochtenen Entscheidung einen Schaden verursachen würde, der nicht nur als schwer, sondern auch als nicht wiedergutzumachend im Sinne der oben in Rn. 23 angeführten Rechtsprechung eingestuft werden kann.

39

Insoweit ist als Erstes auf die ständige Rechtsprechung hinzuweisen, wonach ein finanzieller Schaden – abgesehen von außergewöhnlichen Situationen – nicht als irreparabel anzusehen ist, da in der Regel ein Ersatz in Geld den Geschädigten wieder in die Lage versetzen kann, in der er sich vor Eintritt des Schadens befand. Ersatz eines solchen Schadens könnte insbesondere im Rahmen einer Schadensersatzklage gemäß den Art. 268 AEUV und 340 AEUV erlangt werden (vgl. Beschluss vom 23. April 2015, Kommission/Vanbreda Risk & Benefits, C‑35/15 P[R], EU:C:2015:275, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40

Als Zweites gehören für den abgelehnten Bieter die sich aus der Ablehnung seines Angebots ergebenden negativen finanziellen Folgen grundsätzlich zum normalen Geschäftsrisiko, mit dem jedes auf dem Markt tätige Unternehmen zurechtkommen muss. Daher kann die bloße Tatsache, dass die Ablehnung eines Angebots negative – auch schwerwiegende – finanzielle Folgen für den abgelehnten Bieter haben kann, für sich allein die von diesem beantragte einstweilige Anordnung nicht rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 11. März 2013, Communicaid Group/Kommission, T‑4/13 R, EU:T:2013:121, Rn. 28 bis 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41

Als Letztes ist zu beachten, dass die wesentlichen und hauptsächlichen Elemente des nach dem Ausschreibungsverfahren für einen öffentlichen Auftrag geschlossenen Vertrags zum einen die Durchführung des Auftrags durch das Unternehmen, dem der Zuschlag erteilt wurde, und zum anderen die Zahlung des vertraglich vorgesehenen Betrags durch den öffentlichen Auftraggeber sind. Hingegen betreffen Erwägungen in Bezug auf den Ruf des erfolgreichen Bieters und die Möglichkeit für ihn, die Erteilung eines prestigeträchtigen öffentlichen Auftrags als Referenz im Rahmen einer künftigen Ausschreibung oder in anderen wettbewerblichen Zusammenhängen zu verwenden, nur zufällige und akzessorische Elemente des Vertrags. Wenn aber die Tatsache, dass ein nicht ausgewählter Bieter einen schwerwiegenden Verdienstausfall dadurch erleidet, dass er nicht den vertraglich vorgesehenen Betrag – wesentliches und hauptsächliches Element des in Rede stehenden öffentlichen Auftrags – erhält, den Erlass einer vorläufigen Maßnahme nicht rechtfertigen kann, muss Gleiches erst recht für den Verlust dieser zufälligen und akzessorischen Elemente gelten (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 30. Mai 2017, Enrico Colombo und Corinti Giacomo/Kommission, T‑690/16 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:370, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42

Das Vorbringen der Antragstellerin zum Nachweis eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens stützt sich auf den Charakter des in Rede stehenden Auftrags als „Referenzauftrag“, die „Prestigeträchtigkeit“ des Auftrags, die Unmöglichkeit, ihre Sachkunde durch die Durchführung des Auftrags entwickeln zu können und eine effiziente Partnerschaft mit anderen Gesellschaften aufzubauen, oder auch den Verlust der Möglichkeit angesichts der Bedeutung des Marktes, von ihren Lieferanten Ermäßigungen und Vorteile zu erhalten, die sie dann an ihre Kunden weiterreichen könnte, und betrifft die zufälligen und akzessorischen Elemente des streitigen Auftrags im Sinne der in der vorstehenden Randnummer angeführten Rechtsprechung. Nach dieser Rechtsprechung kann diesem Vorbringen daher nicht gefolgt werden.

43

Nach alledem ist, da die Antragstellerin die Dringlichkeit nicht nachgewiesen hat, der Antrag auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen, ohne dass über den fumus boni iuris zu entscheiden oder gar eine Interessenabwägung vorzunehmen ist.

44

Nach Art. 158 Abs. 5 der Verfahrensordnung ist die Entscheidung über die Kosten vorzubehalten.

 

Aus diesen Gründen hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

 

1.

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird zurückgewiesen.

 

2.

Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

 

Luxemburg, den 3. Juli 2017

Der Kanzler

E. Coulon

Der Präsident

M. Jaeger


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

( 1 ) Nicht wiedergegebene vertrauliche Daten.

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