Urteil vom Europäischer Gerichtshof - T-392/15
URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)
4. Juli 2017 ( *1 )
„Öffentliche Dienstleistungsaufträge — Ausschreibungsverfahren — Externe Dienstleistungen für die Entwicklung eines Informationssystems für die Eisenbahnagentur der Europäischen Union — Einstufung des Angebots eines Bieters — Ablehnung des Angebots eines Bieters — Begründungspflicht — Ungewöhnlich niedriges Angebot“
In der Rechtssache T‑392/15
European Dynamics Luxembourg SA mit Sitz in Luxemburg (Luxemburg),
Evropaïki Dynamiki – Proigmena Systimata Tilepikoinonion Pliroforikis kai Tilematikis AE mit Sitz in Athen (Griechenland),
European Dynamics Belgium SA mit Sitz in Brüssel (Belgien),
Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte I. Ampazis, M. Sfyri, C.‑N. Dede und D. Papadopoulou, dann Rechtsanwälte M. Sfyri, C.‑N. Dede und D. Papadopoulou,
Klägerinnen,
gegen
Eisenbahnagentur der Europäischen Union, vertreten zunächst durch J. Doppelbauer, dann durch G. Stärkle und Z. Pyloridou als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt V. Christianos,
Beklagte,
betreffend eine Klage gemäß Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Eisenbahnagentur der Europäischen Union über die Einstufung der von den Klägerinnen für die Lose 1 und 2 der Ausschreibung ERA/2015/01/OP „‚ESP EISD 5‘ – externe Dienstleistungen für die Entwicklung eines Informationssystems für die ERA“ eingereichten Angebote
erlässt
DAS GERICHT (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten S. Frimodt Nielsen sowie des Richters V. Kreuschitz (Berichterstatter) und der Richterin N. Półtorak,
Kanzler: E. Coulon,
folgendes
Urteil
Vorgeschichte des Rechtsstreits
1 |
Am 28. Mai 2013 wurde die Auftragsbekanntmachung ERA/2013/16/RSU/OP „ESP EISD 4“ (im Folgenden: Auftrag ESP EISD 4) im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2013/S 101‑172115) veröffentlicht. Dieser Auftrag betraf ein offenes Ausschreibungsverfahren für die Erbringung von externen Dienstleistungen für die Entwicklung eines Informationssystems für die Europäische Eisenbahnagentur (ERA), nunmehr Eisenbahnagentur der Europäischen Union (im Folgenden: Agentur). Er bestand aus drei Losen und sah als Zuschlagskriterium das beste Preis-Leistungs-Verhältnis vor. Für jedes Auftragslos würde die Agentur einen Rahmenvertrag mit den drei Bewerbern schließen, deren Angebote an die Spitze gesetzt würden, und würde mit jedem von ihnen während der Dauer des Rahmenvertrags Verträge schließen. |
2 |
Am 16. September 2013 reichten die Klägerinnen, die European Dynamics Luxembourg SA, die Evropaïki Dynamiki – Proigmena Systimata Tilepikoininion Pliroforikis kai Tilematikis AE und die European Dynamics Belgium SA, für jedes der drei Lose des Auftrags ESP EISD 4 ein Angebot ein. |
3 |
Am 12. September 2014 teilte die Agentur den Klägerinnen mit, dass ihr Angebot für jedes der drei Lose des Auftrags ESP EISD 4 an die erste Stelle gesetzt worden sei und dass sie ihnen einen Rahmenvertrag für jedes dieser Lose anbieten werde. |
4 |
Am 14. Oktober 2014 gab die Agentur den Klägerinnen ihre Entscheidung bekannt, den Auftrag ESP EISD 4 zu annullieren, weil eine mathematische Formel fehle, die die finanzielle Bewertung der Angebote erlaube. Am 29. Oktober 2014 wurde diese Entscheidung im Supplement zum Amtsblatt veröffentlicht. |
5 |
Am 14. Oktober 2014 beanstandeten die Klägerinnen die Begründung der Entscheidung der Agentur, mit der die Vergabe des Auftrags ESP EISD 4 annulliert worden war. Am 13. November 2014 antwortete die Agentur auf diese Beanstandung mit dem Hinweis, dass diese Entscheidung getroffen worden sei, weil in den Verdingungsunterlagen des in Rede stehenden Auftrags nicht die in Prozent ausgedrückte Gewichtung der fachlichen Niveaus angegeben sei. Sie wies auch darauf hin, dass eine neue Auftragsbekanntmachung veröffentlicht werde und dass diese die für die finanzielle Bewertung der Angebote verwendete Formel klarstellen werde. |
6 |
Am 13. November 2014 beanstandeten die Klägerinnen erneut den Grund für die Annullierung des Auftrags ESP EISD 4. Am 10. Dezember 2014 antwortete die Agentur auf diese Beanstandung und übermittelte am 15. Dezember 2014 den Klägerinnen eine nicht vertrauliche Fassung des Bewertungsberichts zu diesem Auftrag. |
7 |
Am 28. Januar 2015 wurde die Auftragsbekanntmachung ERA/2015/01/OP „‚ESP EISD 5‘ (externe Dienstleistungen für die Entwicklung eines Informationssystems für die [Agentur])“ (im Folgenden: Auftrag ESP EISD 5) im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2015/S 019‑029728) veröffentlicht. Dieser Auftrag hatte ein offenes Verfahren über die Erbringung externer Dienstleistungen für die Entwicklung von Informationssystemen für die Agentur zum Gegenstand. Er bestand aus drei Losen und sah als Zuschlagsmethode das beste Preis-Leistungs-Verhältnis vor. Für jedes der Lose dieses Auftrags würde die Agentur einen Rahmenvertrag mit den drei Bewerbern schließen, deren Angebote an die Spitze gesetzt würden. Als Schlusstermin für die Einreichung der Angebote im Rahmen der Ausschreibung wurde der 6. März 2015 festgesetzt, und die Klägerinnen reichten als Konsortium ihre Angebote innerhalb dieser Frist ein. |
8 |
Am 8. Mai 2015 teilte die Agentur den Klägerinnen ihre Entscheidung mit, ihr Angebot zu Los 1 des Auftrags ESP EISD 5 („Entwicklung, Support und Unterstützung für ein Informationssystem vor Ort und auf Aufwandsbasis“) (im Folgenden: Los 1) an die zweite Stelle zu setzen (im Folgenden: erste angefochtene Entscheidung). |
9 |
Am 11. Mai 2015 ersuchten die Klägerinnen die Agentur um weitere Angaben zur Zuschlagserteilung für Los 1 an die Bieter, deren Angebote an die erste und die dritte Stelle gesetzt worden waren. |
10 |
Am 20. Mai 2015 antwortete die Agentur auf dieses Ersuchen. In ihrer Antwort übermittelte sie Informationen über das an die erste Stelle gesetzte Angebot und das Angebot der Klägerinnen. Sie wies darauf hin, dass der Bewertungsausschuss das Angebot des Konsortiums Nextera1 mit 56 Punkten von 60 nach der technischen Bewertung und 38,78 Punkten von 40 nach der finanziellen Bewertung an die erste Stelle gesetzt habe. Das Angebot der Klägerinnen sei mit 57 Punkten von 60 nach der technischen Bewertung und 35,46 Punkten von 40 nach der finanziellen Bewertung an die zweite Stelle gesetzt worden. |
11 |
Am 8. Juli 2015 erhielten die Klägerinnen auf ihren Antrag eine Kopie des Bewertungsberichts betreffend Los 1. |
12 |
Am 1. Juli 2015 teilte die Agentur den Klägerinnen ihre Entscheidung mit, ihr Angebot zu Los 2 des Auftrags ESP EISD 5 („externe[r] Entwicklung, Support und Unterstützung für ein Informationssystem“) (im Folgenden: Los 2) an die siebte Stelle zu setzen und es daher abzulehnen (im Folgenden: zweite angefochtene Entscheidung). |
13 |
Am 2. Juli 2015 ersuchten die Klägerinnen um weitere Angaben zur Zuschlagserteilung für Los 2 an die drei Bieter, deren Angebote ausgewählt worden waren. |
14 |
Am 7. Juli 2015 beantwortete die Agentur dieses Ersuchen, indem sie einen Auszug aus dem Bericht des Bewertungsausschusses übermittelte, der u. a. Informationen über die zu Los 2 ausgewählten Angebote enthielt. Im Einzelnen war das Angebot von Intrasoft mit 51 Punkten von 60 nach der technischen Bewertung und 39,04 Punkten von 40 nach der finanziellen Bewertung an die erste Stelle gesetzt worden. Das Angebot von Atos Belgium war mit 48,5 Punkten von 60 nach der technischen Bewertung und 40 Punkten von 40 nach der finanziellen Bewertung an die zweite Stelle gesetzt worden. Das Angebot des Konsortiums Nextera2 war mit 52,5 Punkten von 60 nach der technischen Bewertung und 32,53 Punkten von 40 nach der finanziellen Bewertung an die dritte Stelle gesetzt worden. Das Angebot der Klägerinnen erhielt 52 Punkte von 60 nach der technischen Bewertung und 26,23 Punkte von 40 nach der finanziellen Bewertung. |
15 |
Am 8. Juli 2015 übermittelten die Klägerinnen der Agentur ein Schreiben, in dem sie mehrere Fehler der angefochtenen Entscheidungen rügten. Insbesondere hätten die Bieter, deren Angebote zu den Losen 1 und 2 ausgewählt worden seien, ihre Preise rechtswidrig herabgesetzt, um einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen. Auch sei unverständlich, wie die Agentur solche künstlich niedrigen Preise akzeptieren könne, und es sei bedauerlich, dass die Agentur beschlossen habe, diese Preise ohne Untersuchung oder Erklärung zu akzeptieren. |
Verfahren und Anträge der Parteien
16 |
Die Klägerinnen haben mit Klageschrift, die am 17. Juli 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage gegen die angefochtenen Entscheidungen erhoben. |
17 |
Am 23. Juli 2015 haben die Klägerinnen die Agentur darauf hingewiesen, dass sie auf ihr Schreiben vom 8. Juli 2015 keine Antwort erhalten hätten, dass sie die ausgewählten Angebote weiter für ungewöhnlich niedrig hielten und dass sie gegen die angefochtenen Entscheidungen Klage erhoben hätten. |
18 |
Am 24. Juli 2015 hat die Agentur das Schreiben der Klägerinnen vom 8. Juli 2015 beantwortet und deren Rügen zurückgewiesen. |
19 |
Am 27. Juli 2015 sind die Klägerinnen den von der Agentur im Schreiben vom 24. Juli 2015 geltend gemachten Argumenten entgegengetreten. |
20 |
Am 29. Juli 2015 ist der Agentur die Klageschrift von der Kanzlei des Gerichts zugestellt worden. |
21 |
Mit gesondertem Schriftsatz, der am 15. Oktober 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Agentur eine Unzulässigkeitseinrede gemäß Art. 130 der Verfahrensordnung des Gerichts mit der Begründung erhoben, dass die Klage gegen die zweite angefochtene Entscheidung unzulässig sei. |
22 |
Am selben Tag hat die Agentur bei der Kanzlei des Gerichts die Klagebeantwortung eingereicht. |
23 |
Mit gesondertem Schriftsatz, der am 26. November 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Agentur neues Vorbringen und ein neues Beweisangebot vorgelegt. |
24 |
Am 22. Februar 2016 haben die Klägerinnen bei der Kanzlei des Gerichts die Erwiderung eingereicht, in der sie zur Klagebeantwortung, zur Unzulässigkeitseinrede sowie zum neuen Vorbringen der Agentur und zu den von dieser beigebrachten neuen Beweisen Stellung genommen haben. |
25 |
Am 21. April 2016 hat die Agentur bei der Kanzlei des Gerichts die Gegenerwiderung eingereicht. |
26 |
Die Klägerinnen beantragen,
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27 |
Die Agentur beantragt,
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28 |
Mit Beschluss vom 21. Juli 2016 hat das Gericht (Vierte Kammer) die Entscheidung über die Einrede der Unzulässigkeit und über die Kosten dem Endurteil vorbehalten. |
29 |
Im Zuge einer Änderung der Besetzung der Kammern des Gerichts ist nach Art. 27 Abs. 5 der Verfahrensordnung der Berichterstatter der Dritten Kammer zugeteilt worden, der die vorliegende Rechtssache deshalb zugewiesen worden ist. |
30 |
Das Gericht (Dritte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters angesichts dessen, dass keine der Parteien die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, nach Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung beschlossen, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden. Durch die Aktenstücke hat es sich für hinreichend unterrichtet gehalten, um ohne Fortsetzung des Verfahrens zu entscheiden. |
Rechtliche Würdigung
Zur Zulässigkeit
Zur Zulässigkeit der Klage gegen die zweite angefochtene Entscheidung
31 |
Die Agentur ist der Ansicht, dass die vorliegende Klage unzulässig sei, soweit sie gegen die zweite angefochtene Entscheidung gerichtet sei, da die Klägerinnen kein Rechtsschutzinteresse an der Nichtigerklärung dieser Entscheidung wegen eines Begründungsmangels mehr hätten. Sie habe in ihrem Schreiben vom 24. Juli 2015 den Klägerinnen Klarstellungen zu den Gründen geliefert, aus denen ihr die ausgewählten Angebote nicht ungewöhnlich niedrig erschienen seien. Diese Klarstellungen seien nach dem 17. Juli 2015, dem Tag der Klageerhebung, erfolgt, aber vor dem 11. September 2015, dem Tag des Ablaufs der Klagefrist gegen die zweite angefochtene Entscheidung. Folglich hätten die Klägerinnen zwischen dem 24. Juli und dem 11. September 2015 eine Klage beim Gericht in Kenntnis dieser Begründung erheben und ihre Verteidigungsrechte ausüben können. Indem sie beschlossen hätten, von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch zu machen, hätten die Klägerinnen der Klage ihre praktische Wirksamkeit genommen und ihr Rechtsschutzinteresse verloren. |
32 |
Außerdem haben die Klägerinnen nach Ansicht der Agentur nicht bewiesen, dass ihnen zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage die Nichtigerklärung der zweiten angefochtenen Entscheidung im Hinblick auf ihren Gegenstand und ihr Ergebnis einen Vorteil hätte verschaffen können. Denn zum einen seien die Klägerinnen nicht gezwungen gewesen, am 17. Juli 2015 eine Klage gegen die zweite angefochtene Entscheidung zu erheben, da der Ablauf der Klagefrist gegen diese Entscheidung nicht unmittelbar nach diesem Zeitpunkt bevorgestanden habe, und zum anderen habe kein „völliges“ Fehlen der Begründung dieser Entscheidung vorgelegen, das sie an der Ausübung ihrer Rechte gehindert hätte. |
33 |
Die Klägerinnen bestreiten, für eine Klage gegen die zweite angefochtene Entscheidung kein Rechtsschutzinteresse mehr zu haben. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung hätten die Gründe der angefochtenen Entscheidungen keine Behandlung der Frage enthalten, ob die ausgewählten Angebote ungewöhnlich niedrig gewesen seien; sie hätten das Recht gehabt, eine Klage gegen diese Entscheidungen zu erheben, ohne damit bis zum letzten Moment vor Ablauf der Klagefrist zu warten. Jedenfalls enthalte das Schreiben der Agentur vom 24. Juli 2015 keine Information über die Prüfung der ausgewählten Angebote im Hinblick auf die Feststellung, ob sie nicht ungewöhnlich niedrig seien. |
34 |
Das Gericht weist darauf hin, dass das Rechtsschutzinteresse die wesentliche Grundvoraussetzung für jede vor Gericht erhobene Klage ist (Urteile vom 17. September 2015, Mory u. a./Kommission, C‑33/14 P, EU:C:2015:609, Rn. 58, und vom 10. April 2013, GRP Security/Rechnungshof, T‑87/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:161, Rn. 44). Es muss hinsichtlich des Klagegegenstands bei Klageerhebung gegeben sein; andernfalls wäre die Klage unzulässig (Urteil vom 7. Juni 2007, Wunenburger/Kommission, C‑362/05 P, EU:C:2007:322, Rn. 42). |
35 |
Die Nichtigkeitsklage einer natürlichen oder juristischen Person ist nur zulässig, wenn die betreffende Person ein Interesse an der Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung hat. Ein solches Interesse besteht nur, wenn die Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung als solche Rechtswirkungen haben und der Rechtsbehelf der Partei, die ihn eingelegt hat, damit im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann (Beschluss vom 5. März 2009, Kommission/Provincia di Imperia, C‑183/08 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:136, Rn. 19, Urteil vom 17. September 2015, Mory u. a./Kommission, C‑33/14 P, EU:C:2015:609, Rn. 55, Beschluss vom 30. April 2007, EnBW Energie Baden-Württemberg/Kommission, T‑387/04, EU:T:2007:117, Rn. 96, und Urteil vom 22. Mai 2012, Evropaïki Dynamiki/Kommission, T‑17/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:243, Rn. 117). |
36 |
Dieses Interesse muss bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung weiter vorliegen; andernfalls ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt (vgl. Urteile vom 7. Juni 2007, Wunenburger/Kommission, C‑362/05 P, EU:C:2007:322, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 17. September 2015, Mory u. a./Kommission, C‑33/14 P, EU:C:2015:609, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung). Durch dieses Erfordernis wird nämlich auf der Ebene des Verfahrens sichergestellt, dass im Interesse einer geordneten Rechtspflege das Gericht nicht mit Anträgen auf Gutachten oder rein theoretischen Fragen befasst wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 2009, Socratec/Kommission, T‑269/03, nicht veröffentlicht, EU:T:2009:211, Rn. 36). |
37 |
Im vorliegenden Fall waren die Klägerinnen zum Zeitpunkt der Klageerhebung durch die zweite angefochtene Entscheidung beschwert, da die Agentur mit dieser Entscheidung ihr Angebot für Los 2 ablehnte und den Zuschlag dafür drei anderen Bietern erteilte. Eine Nichtigerklärung dieser Entscheidung hätte zum Ergebnis, dass die Agentur grundsätzlich das Angebot der Klägerinnen erneut zu prüfen hätte, was ihnen einen Vorteil verschaffen könnte, da insbesondere nicht ausgeschlossen werden kann, dass nach einer erneuten Prüfung der Zuschlag für Los 2 den Klägerinnen erteilt werden könnte. Außerdem könnte eine Nichtigerklärung dieser Entscheidung die Agentur dazu veranlassen, künftig geeignete Änderungen an den Ausschreibungen vorzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Mai 2014, European Dynamics Luxembourg/EZB, T‑553/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:275, Rn. 95 und die dort angeführte Rechtsprechung). Folglich hatten die Klägerinnen hinsichtlich der zweiten angefochtenen Entscheidung zum Zeitpunkt der Klageerhebung ein Rechtsschutzinteresse, so dass diese Klage zulässig war. |
38 |
Wie sich aus der oben in Rn. 36 angeführten Rechtsprechung ergibt, muss das Rechtsschutzinteresse während des gesamten Verfahrens weiter vorliegen, und der Fortfall dieses Interesses während des Verfahrens führt nicht zur Unzulässigkeit der Klage, sondern dazu, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Nach Art. 130 Abs. 2 der Verfahrensordnung kann eine Partei die Feststellung durch das Gericht beantragen, dass die Hauptsache erledigt ist. Außerdem erlaubt Art. 131 Abs. 2 der Verfahrensordnung dem Gericht, wenn der Kläger auf seine Ersuchen nicht mehr reagiert, von Amts wegen die Erledigung der Hauptsache festzustellen. |
39 |
Soweit die von der Agentur erhobene Einrede der Unzulässigkeit als Antrag auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache angesehen werden könnte, ist festzustellen, dass die Agentur zu Unrecht vorbringt, die Klägerinnen hätten ihr Rechtsschutzinteresse deshalb verloren, weil sie am 24. Juli 2015, also nach dem 17. Juli 2015, dem Tag der Erhebung der ausschließlich einen Begründungsmangel betreffenden Klage, aber vor dem 11. September 2015, dem Tag des Ablaufs der Klagefrist, von Seiten der Agentur eine vollständige Begründung erhalten hätten, dass die ausgewählten Angebote nicht ungewöhnlich niedrig gewesen seien, jedoch deren Stichhaltigkeit vor Ablauf der Klagefrist nicht bestritten hätten. |
40 |
Unabhängig von der Frage, ob die Agentur wirksam Gründe für die zweite angefochtene Entscheidung nach der Erhebung der Klage gegen diese Entscheidung durch die Klägerinnen anführen konnte, muss nämlich die von der Agentur am 24. Juli 2015 gelieferte Begründung tatsächlich Art. 296 Abs. 2 AEUV entsprechen. Es ist jedoch Sache des mit einer Nichtigkeitsklage gegen eine Entscheidung der Agentur befassten Gerichts und nicht der Agentur, darüber zu entscheiden, ob die in dieser Entscheidung enthaltene Begründung hinreichend ist. |
41 |
Da nach Ansicht der Agentur das Rechtsschutzinteresse der Klägerinnen von der Begründetheit ihrer Rügen abhängt, ist zudem darauf hinzuweisen, dass es für das Bestehen eines Rechtsschutzinteresses einer Partei erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die vor dem Unionsrichter erhobene Nichtigkeitsklage der klagenden Partei durch ihr Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann (Urteil vom 17. September 2015, Mory u. a./Kommission, C‑33/14 P, EU:C:2015:609, Rn. 76). Das Rechtsschutzinteresse der Klägerinnen hängt daher nicht von der Begründetheit ihrer Rüge ab. Sollte die zweite angefochtene Entscheidung mit einem Begründungsmangel behaftet sein, kann dieser Mangel zur Nichtigerklärung dieser Entscheidung führen, was den Klägerinnen aus den oben in Rn. 37 angeführten Gründen einen Vorteil verschaffen kann. |
42 |
Schließlich bringt die Agentur zu Unrecht vor, dass die Klägerinnen die in ihrem Schreiben vom 24. Juli 2015 enthaltenen Gründe nicht bestritten hätten. In der Erwiderung bestreiten die Klägerinnen nämlich ausdrücklich die Angemessenheit der in diesem Schreiben enthaltenen Begründung. Der Umstand, dass dieses Bestreiten nicht innerhalb der Klagefrist erfolgte, ist für die Beurteilung des Rechtsschutzinteresses der Klägerinnen unerheblich, da für die Beurteilung dieses Interesses weder auf den Ablauf dieser Frist noch auf die Begründetheit der geltend gemachten Rügen abzustellen ist. |
43 |
Nach alledem sind die auf ein fehlendes Rechtsschutzinteresse der Klägerinnen gründenden Argumente der Agentur zurückzuweisen. |
Zur Zulässigkeit des ergänzenden Schriftsatzes der Agentur vom 26. November 2015
44 |
Am 26. November 2015 hat die Agentur einen Schriftsatz eingereicht, in dem sie die Tatsache anführt, dass sie am 30. Oktober 2015 die Zuschlagsentscheidung zu Los 3 des Auftrags ESP EISD 5 erlassen habe. Diese neue Tatsache zeige, dass die Klägerinnen zu Unrecht vorbrächten, die an der Ausschreibung zur Vergabe des Auftrags ESP EISD 4 teilnehmenden Unternehmen hätten ihre Preisangebote in diesem Verfahren genau gekannt. Nach Auffassung der Agentur ist dieser Schriftsatz zulässig, da er „neue Klagegründe“ und neue Beweise enthalte. Die Klägerinnen bestreiten nicht die Zulässigkeit dieses Schriftsatzes, sondern die Begründetheit des darin enthaltenen Vorbringens. |
45 |
Art. 84 Abs. 1 und Art. 85 Abs. 2 und 3 der Verfahrensordnung erlauben zum einen das Vorbringen neuer Klage- und Verteidigungsgründe im Lauf des Verfahrens unter der Voraussetzung, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind, und zum anderen die verspätete Vorlage von Beweisen, sofern sie gerechtfertigt ist. Im vorliegenden Fall ist die Zuschlagsentscheidung zu Los 3 des Auftrags ESP EISD 5 am 30. Oktober 2015 erlassen worden. Sie stellt einen Gesichtspunkt dar, der erst während des Verfahrens zutage getreten ist. Der Schriftsatz vom 26. November 2015 und die Vorlage der in Rede stehenden Beweise sind daher für zulässig zu erklären (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Oktober 2015, Vanbreda Risk & Benefits/Kommission, T‑199/14, EU:T:2015:820, Rn. 58 bis 62). |
Zur Zulässigkeit der Anlage C 4
46 |
Die Agentur ist der Ansicht, dass die Anlage C 4 zur Erwiderung, die eine Kopie des Berichts des Bewertungsausschusses der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zu dem öffentlichen Auftrag enthält, der im Urteil vom 15. Oktober 2013, European Dynamics Belgium u. a./EMA (T‑638/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:530), in Rede stand, nach dem Beschluss vom 15. Oktober 2009, Hangzhou Duralamp Electronics/Rat (T‑459/07, EU:T:2009:403), und nach Rn. 25 der Praktischen Durchführungsbestimmungen zur Verfahrensordnung des Gerichts (ABl. 2015, L 152, S. 1) unzulässig sei. Die Klägerinnen besäßen dieses Dokument, weil sie Parteien der Rechtssache gewesen seien, in der dieses Urteil ergangen sei. Sie hätten jedoch nicht den Nachweis erbracht, dass sie die Genehmigung der EMA beantragt und erhalten hätten, dieses Verfahrensstück im vorliegenden Verfahren vorzulegen. Die Agentur beantragt, nach Art. 130 Abs. 1 der Verfahrensordnung die Anlage C 4 aus den Verfahrensakten der vorliegenden Rechtssache zu entfernen und das Vorbringen der Klägerinnen in Bezug auf diese Anlage in Rn. 36 der Erwiderung nicht zu berücksichtigen. |
47 |
Die Klägerinnen haben sich zur Zulässigkeit der Anlage C 4 nicht geäußert, da die Agentur deren Unzulässigkeit in der Gegenerwiderung geltend gemacht hat. |
48 |
Insoweit ist zu beachten, dass nach Rn. 25 der Praktischen Durchführungsbestimmungen zur Verfahrensordnung Verfahrensschriftstücke nebst Anlagen, die in einer Rechtssache eingereicht und zu den Akten dieser Rechtssache genommen worden sind, bei der Vorbereitung der Entscheidung in einer anderen Rechtssache nicht berücksichtigt werden können. Diese Bestimmung regelt daher die Vorbereitung der Entscheidung in einer anhängigen Rechtssache durch das Gericht in Ausübung seiner Prozessleitungsbefugnis. Die Anlage C 4 ist von den Klägerinnen als Beweisangebot und nicht als ein Dokument zur Vervollständigung ihrer Akte auf ein dahin gehendes Ersuchen von Seiten des Gerichts vorgelegt worden. Folglich geht für die Beurteilung der Zulässigkeit der Anlage C 4 die Berufung auf Rn. 25 der Praktischen Durchführungsbestimmungen zur Verfahrensordnung ins Leere. |
49 |
Außerdem ist, soweit sich die Agentur für die Unzulässigkeit der Anlage C 4 auf den Beschluss vom 15. Oktober 2009, Hangzhou Duralamp Electronics/Rat (T‑459/07, EU:T:2009:403), beruft, darauf hinzuweisen, dass im Unionsrecht der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt (Urteile vom 25. Januar 2007, Dalmine/Kommission, C‑407/04 P, EU:C:2007:53, Rn. 63, und vom 12. Juni 2015, Health Food Manufacturers’ Association u. a./Kommission, T‑296/12, EU:T:2015:375, Rn. 42). |
50 |
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet für das Gericht, dass das alleinige Kriterium für die Beurteilung von Beweismitteln ihre Glaubhaftigkeit ist (Urteile vom 25. Januar 2007, Dalmine/Kommission, C‑407/04 P, EU:C:2007:53, Rn. 63, und vom 19. Dezember 2013, Siemens u. a./Kommission, C‑239/11 P, C‑489/11 P und C‑498/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:866, Rn. 128). |
51 |
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung hat den der freien Beweisführung zur Folge (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 2005, General Electric/Kommission, T‑210/01, EU:T:2005:456, Rn. 297), der den Parteien die Möglichkeit gibt, dem Unionsrichter jedes rechtmäßig erlangte Beweismittel vorzulegen, das sie für die Stützung ihrer Standpunkte als relevant ansehen. Diese Freiheit der Beweisführung trägt dazu bei, den Parteien das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf zu garantieren. |
52 |
Die Grundsätze der freien Beweiswürdigung und der Freiheit der Beweisführung müssen jedoch mit den Grundsätzen des Unionsrechts, wie denen des Rechts auf ein faires Verfahren und der Waffengleichheit, vereinbar sein. |
53 |
So muss die freie Beweiswürdigung mit dem Recht jeder Partei vereinbar sein, ihre Interessen unabhängig von jeder äußeren Beeinflussung, insbesondere durch die Öffentlichkeit, zu vertreten und gegen die unangemessene Verwendung ihrer Verfahrensstücke geschützt zu sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Juni 1998, Svenska Journalistförbundet/Rat, T‑174/95, EU:T:1998:127, Rn. 135 und 136). |
54 |
Es ist daher Sache des Gerichts, die Angemessenheit der Verwendung eines aus einer anderen Rechtssache stammenden Verfahrensstücks durch eine Partei zu beurteilen. |
55 |
Aus dem Grundsatz der Freiheit der Beweisführung ergibt sich, dass eine Partei vor dem Gericht grundsätzlich das Recht hat, sich auf Verfahrensunterlagen als Beweismittel zu berufen, die in einem anderen Gerichtsverfahren, in dem sie selbst Partei war, vorgelegt wurden. Wenn diese Partei rechtmäßig Zugang zu diesen Verfahrensunterlagen hatte und sie nicht vertraulich sind, läuft ihre Vorlage beim Gericht der geordneten Rechtspflege grundsätzlich nicht zuwider. So hat der Gerichtshof entschieden, dass eine Partei in einem bei ihm anhängigen Verfahren nicht die Entfernung eines Verfahrensstücks aus den Akten verlangen durfte, wenn es von dieser Partei bereits in einem anderen Verfahren zwischen denselben Beteiligten vorgelegt worden war (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 15. Mai 1991, Weddel/Kommission, C‑54/90, nicht veröffentlicht, Rn. 1 bis 5). |
56 |
Außerdem kann die Zustimmung der Partei, von der das Verfahrensstück stammt, nicht die Vorbedingung für die Zulassung eines Verfahrensstücks aus einer anderen Rechtssache beim Gericht darstellen. Die Zustimmung der Partei, von der das Verfahrensstück stammt, kann nämlich zwar ein relevanter Umstand für die Beurteilung der Angemessenheit seiner Verwendung sein, die Verpflichtung, diese Zustimmung vor seiner Vorlage einzuholen, verschafft jedoch der Partei, von der es stammt, die Befugnis, sie auszuschließen und damit dem Gericht die Möglichkeit zu nehmen, über die Angemessenheit seiner Verwendung zu befinden und folglich seiner Verpflichtung nachzukommen, es jeder Partei angemessen zu ermöglichen, ihren Standpunkt sowie ihre Beweise unter Bedingungen vorzutragen, die sie nicht in eine gegenüber ihrem Gegner deutlich nachteilige Position versetzen, was dem Grundsatz der Waffengleichheit zugrunde liegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. November 2012, Otis u. a., C‑199/11, EU:C:2012:684, Rn. 71). Es obliegt daher dem Gericht, in jedem Einzelfall die Freiheit der Beweisführung und den Schutz gegen die unangemessene Verwendung der Verfahrensunterlagen der Parteien von Gerichtsverfahren gegeneinander abzuwägen. |
57 |
Im vorliegenden Fall enthält die von den Klägerinnen vorgelegte Anlage C 4 eine Kopie des im Kontext des Vergabeverfahrens EMA‑2011‑05‑DV angenommenen Berichts des Bewertungsausschusses der EMA, aus der die Namen bestimmter Nachunternehmer und die Namen der Mitglieder des Bewertungsausschusses entfernt wurden. |
58 |
Die Klägerinnen erhielten Zugang zu diesem Bericht des Bewertungsausschusses, da sie ein Angebot für den öffentlichen Auftrag EMA‑2011‑05‑DV eingereicht hatten. Nach der Entscheidung der EMA, den Zuschlag für diesen Auftrag einem anderen Bieter zu erteilen und ihr Angebot abzulehnen, erhoben die Klägerinnen beim Gericht eine Klage, über die mit dem Urteil vom 15. Oktober 2013, European Dynamics Belgium u. a./EMA (T‑638/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:530), entschieden worden ist. |
59 |
Aus dem Urteil vom 15. Oktober 2013, European Dynamics Belgium u. a./EMA (T‑638/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:530), geht hervor, dass dieser Bericht des Bewertungsausschusses ein zu den Akten dieser Rechtssache gehörendes Verfahrensstück war. Auf ihn bezieht sich das Gericht insbesondere in den Rn. 31, 34 und 37. |
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Außerdem stellt das Gericht im Urteil vom 15. Oktober 2013, European Dynamics Belgium u. a./EMA (T‑638/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:530), fest, dass dieser Bericht des Bewertungsausschusses den Klägerinnen von der EMA bekannt gegeben worden war, bevor sie eine Klage gegen die Entscheidungen der EMA, den Zuschlag für diesen Auftrag einem anderen Bieter zu erteilen und ihr Angebot abzulehnen, erhoben hatten. Wie nämlich aus Rn. 11 dieses Urteils hervorgeht, übermittelte die EMA den Klägerinnen eine Kopie dieses Berichts, aus der die Namen der Mitglieder des Bewertungsausschusses entfernt worden waren, und die Namen der drei Bieter, deren Angebote ausgewählt worden waren. Dieser Bericht war Teil der Begründung der Entscheidung der EMA, den Zuschlag für den Auftrag einem anderen Bieter als den Klägerinnen zu erteilen. Auf der Grundlage dieses Berichts konnten die Klägerinnen beurteilen, ob sie die Zuschlagsentscheidung der EMA gerichtlich anfechten sollten, was sie am 12. Dezember 2011 mit der Erhebung einer Klage beim Gericht taten. |
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Somit sind die Klägerinnen deshalb im Besitz dieses Berichts des Bewertungsausschusses, weil sie nach einer von der EMA organisierten Ausschreibung betreffend einen öffentlichen Auftrag ein Angebot einreichten und als abgelehnter Bieter die Gründe für die Ablehnung ihres Angebots verlangten. Folglich haben die Klägerinnen diesen Bericht auf rechtmäßige Weise erlangt. |
62 |
Die Tatsache, dass dieser Bericht des Bewertungsausschusses sodann Teil der Verfahrensakten in der Rechtssache war, in der das Urteil vom 15. Oktober 2013, European Dynamics Belgium u. a./EMA (T‑638/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:530), ergangen ist, und die Klägerinnen nicht die Zustimmung der EMA erhalten haben, ihn in der vorliegenden Rechtssache zu verwenden, erlaubt daher nicht, seine Verwendung als unangemessen einzustufen. Neben der Tatsache, dass die Klägerinnen diesen Bericht auf rechtmäßige Weise erlangt haben, ist nämlich festzustellen, dass die in diesem Bericht enthaltenen Angaben und Beurteilungen der EMA nicht als vertraulich gegenüber der Agentur angesehen werden können. Außerdem konnte in Anbetracht des Inhalts dieses Dokuments und der Freiheit der Beweisführung der Klägerinnen die EMA seine Offenlegung gegenüber der Agentur im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht wirksam verweigern. Daraus folgt, dass die Zustimmung der EMA zur Verwendung dieses Dokuments in der vorliegenden Rechtssache nicht erforderlich war. Folglich liefe es der geordneten Rechtspflege zuwider, die Vorlage der Anlage C 4 als unzulässig zurückzuweisen, da eine solche Zurückweisung die Freiheit der Beweisführung der Klägerinnen ohne angemessenen Grund einschränken würde. |
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Nach alledem ist die Anlage C 4 für zulässig zu erklären. |
Zur Zulässigkeit des Vorbringens der Klägerinnen in ihren Stellungnahmen zur Anberaumung einer mündlichen Verhandlung
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Mit Schreiben vom 7. Juni 2016 haben die Klägerinnen mitgeteilt, dass sie nicht die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragten, jedoch für eine Teilnahme an ihr zur Verfügung stünden, sollte das Gericht beschließen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Zur Rechtfertigung ihrer Entscheidung, keine mündliche Verhandlung zu beantragen, haben sie das Gericht auf einige Punkte der Gegenerwiderung aufmerksam gemacht. |
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Mit Schreiben vom 7. Juni 2016 hat die Agentur mitgeteilt, dass sie die Entscheidung über die mögliche Durchführung einer mündlichen Verhandlung dem Gericht überlasse. Außerdem vertrat sie in einem Schreiben vom 28. Juni 2016 die Ansicht, dass die Klägerinnen in ihrer Stellungnahme zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2016 neue Klagegründe vorgebracht hätten. Sie hat beantragt, dieses Schreiben mit dem Hinweis an die Klägerinnen zurückzusenden, dass es nicht entgegengenommen werden könne, und die darin enthaltenen Klagegründe nicht zu berücksichtigen. Hilfsweise hat sie beantragt, auf diese Klagegründe entweder schriftlich oder in der mündlichen Verhandlung antworten zu können, sollte das Gericht beschließen, eine solche durchzuführen. |
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Das Gericht weist darauf hin, dass die Argumente der Klägerinnen in ihrem Schreiben vom 7. Juni 2016 die Gründe darstellen, aus denen sie nicht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragten. Diese Gründe enthalten kein neues Vorbringen der Klägerinnen gegenüber dem in der Klageschrift und der Erwiderung. Die Agentur legt nicht hinreichend dar, auf welcher Grundlage sie die Ansicht vertritt, dass die Klägerinnen eigenständige Klagegründe in Beantwortung ihres in der Gegenerwiderung enthaltenen Vorbringens vorgetragen hätten. |
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Folglich ist weder dem Antrag der Agentur, das Schreiben der Klägerinnen vom 7. Juni 2016 für unzulässig zu erklären, noch demjenigen, ihr die Möglichkeit zur Antwort darauf einzuräumen, stattzugeben. Außerdem wird das Gericht, da die Argumente der Klägerinnen in ihrem Schreiben vom 7. Juni 2016 nur Gründe darstellen, aus denen sie keinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt haben, diese Gründe bei seiner Prüfung des von den Klägerinnen geltend gemachten einzigen Klagegrundes eines Verstoßes der Agentur gegen ihre Begründungspflicht nicht berücksichtigen. |
Zur Begründetheit
Einleitung
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Die Klägerinnen machen als einzigen Klagegrund einen Verstoß der Agentur gegen ihre Begründungspflicht geltend. Sie vertreten im Wesentlichen die Auffassung, die durch den Bericht des Bewertungsausschusses ergänzten angefochtenen Entscheidungen seien hinsichtlich der Frage, ob die ausgewählten Angebote für jedes der in Rede stehenden Lose „übermäßig niedrig“ seien, mit einem Begründungsmangel behaftet. |
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Zur Stützung des einzigen Klagegrundes bringen die Klägerinnen vor, dass die Aufträge ESP EISD 4 und ESP EISD 5 denselben Gegenstand und eine ähnliche Beschreibung der verschiedenen Lose gehabt hätten und dass die Bieter im Rahmen der Ausschreibung betreffend den Auftrag ESP EISD 5 die Preise genau gekannt hätten, die die Klägerinnen im Rahmen der den Auftrag ESP EISD 4 betreffenden Ausschreibung angeboten hätten. Die umgekehrte Anwendung der mathematischen Formel, die in der Ausschreibung für den Auftrag ESP EISD 4 zur finanziellen Bewertung der Angebote vorgesehen gewesen sei, gestatte in Verbindung mit einer Reihe vernünftiger, auf der Beobachtung des Marktes beruhender Hypothesen den Bietern, die von ihren Wettbewerbern angewandten Preise zu ermitteln. Die Bieter, deren Angebote für die Lose 1 und 2 des Auftrags ESP EISD 5 ausgewählt worden seien, hätten ihre Preise gegenüber denjenigen, die sie in den entsprechenden Profilen der Ausschreibung zum Auftrag ESP EISD 4 angeboten hätten, ungewöhnlich gesenkt. Diese Bieter seien so vorgegangen, um die fehlende Qualität ihrer technischen Angebote auszugleichen und eine bessere Platzierung ihrer Angebote für diese Lose zu erreichen. Die Klägerinnen weisen insoweit auf bestimmte Angebote der in Rede stehenden Bieter hin. Die Agentur habe daher begründen müssen, warum die ausgewählten Angebote nicht ungewöhnlich niedrig gewesen seien, und eine solche Begründung impliziere, dass sie die Überlegungen darlege, aufgrund deren sie zum einen geschlossen habe, dass diese Angebote im Hinblick auf ihre in erster Linie finanziellen Merkmale insbesondere die Rechtsvorschriften im Bereich der Vergütung des Personals, der Sozialversicherungsbeiträge und der Einhaltung der Bestimmungen über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz des Landes beachteten, in dem die Dienstleistungen erbracht werden sollten, und zum anderen festgestellt habe, dass die angebotenen Preise alle mit den technischen Aspekten der ausgewählten Angebote einhergehenden Kosten umfassten. Kein von der Agentur vorgelegtes Dokument habe sich aber auf die Frage der ungewöhnlich niedrigen Angebote bezogen. Folglich habe die Agentur gegen ihre Begründungspflicht verstoßen, und die angefochtenen Entscheidungen seien für nichtig zu erklären. |
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Die Agentur bestreitet, gegen ihre Begründungspflicht verstoßen zu haben. Ihrer Ansicht nach erfüllten die den Klägerinnen übermittelten Informationen die in der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien auf dem Gebiet der Begründungspflicht. Die Klägerinnen hätten weder nachgewiesen, aus welchem Grund im vorliegenden Fall die Prüfung, ob ungewöhnlich niedrige Angebote vorlagen, einen zwingenden Bestandteil der Begründung der angefochtenen Entscheidungen gebildet habe, noch, weshalb die finanziellen Angebote der ausgewählten Bieter ungewöhnlich niedrig erschienen seien. |
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In Anbetracht dieses Vorbringens ist zunächst auf den Umfang der Begründungspflicht einzugehen, die der Agentur als öffentlichem Auftraggeber obliegt, sodann die Tragweite der Regeln über ungewöhnlich niedrige Angebote darzulegen und schließlich zu prüfen, ob die Agentur im vorliegenden Fall ihrer Begründungspflicht nachgekommen ist. |
Zum Umfang der Begründungspflicht der Agentur als öffentlicher Auftraggeber
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Nach Art. 41 Abs. 2 Buchst. c der Charta der Grundrechte der Europäischen Union hat die Verwaltung die Verpflichtung, ihre Entscheidungen zu begründen. Diese Begründungspflicht impliziert nach gefestigter Rechtsprechung, dass nach Art. 296 Abs. 2 AEUV der Urheber des Rechtsakts die diesem Rechtsakt zugrunde liegenden Überlegungen so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen muss, dass zum einen die Betroffenen die Gründe für die erlassene Maßnahme erkennen können, um ihre Rechte geltend zu machen, und dass zum anderen der Richter seine Kontrolle ausüben kann (Urteile vom 25. Februar 2003, Strabag Benelux/Rat, T‑183/00, EU:T:2003:36, Rn. 55, vom 24. April 2013, Evropaïki Dynamiki/Kommission, T‑32/08, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:213, Rn. 37, und vom 28. Juni 2016, AF Steelcase/EUIPO, T‑652/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:370, Rn. 43). |
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Die Begründungspflicht bestimmt sich daher anhand ihrer Funktion, die darin besteht, dass die Betroffenen ihre Rechte geltend machen können und das Gericht seine Kontrolle ausüben kann. Sie ist Teil der Gewährleistung eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. Urteil vom 20. September 2011, Evropaïki Dynamiki/EIB,T‑461/08, EU:T:2011:494, Rn. 122 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
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Daraus folgt, dass die Frage, ob die Begründungspflicht beachtet wurde, grundsätzlich unter Berücksichtigung der Informationen zu beurteilen ist, die die Klägerinnen spätestens bei der Klageerhebung besaßen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Februar 2003, Renco/Rat, T‑4/01, EU:T:2003:37, Rn. 96, vom 19. April 2012, Evropaïki Dynamiki/Kommission, T‑49/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2012:186, Rn. 36, vom 21. Februar 2013, Evropaïki Dynamiki/Kommission, T‑9/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:88, Rn. 27 und 28, sowie vom 23. Mai 2014, European Dynamics Luxembourg/EZB, T‑553/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:275, Rn. 167 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die Begründung kann nicht zum ersten Mal und nachträglich vor dem Unionsrichter erfolgen. Nur außergewöhnliche Umstände können die Berücksichtigung von während des Verfahrens vorgebrachten Umständen rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Mai 2009, VIP Car Solutions/Parlament, T‑89/07, EU:T:2009:163, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
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Des Weiteren ist das Begründungserfordernis nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere von dem Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 296 AEUV Abs. 2 genügt, nicht nur anhand seines Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. Urteil vom 23. Mai 2014, European Dynamics Luxembourg/EZB, T‑553/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:275, Rn. 153 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
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Die insbesondere in der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union (ABl. 2012, L 298, S. 1) in ihrer auf den vorliegenden Fall anwendbaren Fassung (im Folgenden: Haushaltsordnung) und in der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1268/2012 der Kommission vom 29. Oktober 2012 über die Anwendungsbestimmungen für die Haushaltsordnung (ABl. 2012, L 362, S. 1) in ihrer auf den vorliegenden Fall anwendbaren Fassung (im Folgenden: Anwendungsverordnung) enthaltenen Regeln für die öffentlichen Aufträge der Europäischen Union, die auf die Agentur anwendbar sind (vgl. die im vorliegenden Fall anwendbaren Art. 22 und 40 der Verordnung [EG] Nr. 881/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Errichtung einer Europäischen Eisenbahnagentur [ABl. 2004, L 164, S. 1] in Verbindung mit Art. 85 der Delegierten Verordnung [EU] Nr. 1271/2013 der Kommission vom 30. September 2013 über die Rahmenfinanzregelung für Einrichtungen gemäß Artikel 208 der Verordnung [EU, Euratom] Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates [ABl. 2013, L 328, S. 42]), bestimmen die Begründungspflicht des öffentlichen Auftraggebers näher. |
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So sieht Art. 113 Abs. 2 der Haushaltsordnung vor, dass der öffentliche Auftraggeber zum einen alle Bieter, deren Angebote abgelehnt wurden, über die Gründe für die Ablehnung unterrichtet und zum anderen allen Bietern, die den Ausschluss- und Auswahlkriterien entsprechen und schriftlich um diese Mitteilung ersucht haben, die Merkmale und relativen Vorteile des erfolgreichen Angebots sowie den Namen des ausgewählten Bieters mitteilt. Außerdem übersendet nach Art. 161 Abs. 2 der Anwendungsverordnung der öffentliche Auftraggeber die letzteren Informationen binnen 15 Tagen nach Eingang eines entsprechenden schriftlichen Antrags. Auch Art. 161 Abs. 3 der Anwendungsverordnung sieht vor, dass den abgelehnten Bietern oder Bewerbern, die schriftlich darum ersuchen, ergänzende Auskünfte zu den Gründen für die Ablehnung und den Vorteilen des ausgewählten Angebots erteilt sowie der Name des erfolgreichen Bieters mitgeteilt werden. |
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Art. 113 Abs. 2 der Haushaltsordnung und Art. 161 Abs. 2 der Anwendungsverordnung sehen daher gegenüber den abgelehnten Bietern eine Begründung in zwei Schritten vor. Zunächst teilt der öffentliche Auftraggeber allen abgelehnten Bietern mit, dass ihr Angebot abgelehnt wurde, und unterrichtet sie über die Gründe für diese Ablehnung. Diese Gründe können summarisch sein, da nach dieser Bestimmung für den abgelehnten Bieter die Möglichkeit besteht, um eine genauere Begründung zu ersuchen. Sodann teilt nach den genannten Bestimmungen der öffentliche Auftraggeber, wenn ein abgelehnter Bieter, der den Ausschluss- und Auswahlkriterien entspricht, schriftlich darum ersucht, so schnell wie möglich und jedenfalls binnen einer Frist von 15 Tagen nach Eingang dieses Ersuchens die Merkmale und Vorteile des ausgewählten Angebots sowie den Namen des erfolgreichen Bieters mit. |
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Das Gericht hat befunden, dass diese Unterrichtung in zwei Schritten nicht gegen das Ziel der Begründungspflicht verstößt, zum einen den Betroffenen die Gründe für die erlassene Maßnahme zur Kenntnis zu bringen, damit sie ihre Rechte geltend machen können, und zum anderen dem Richter die Ausübung seiner Kontrolle zu ermöglichen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Februar 2003, Renco/Rat, T‑4/01, EU:T:2003:37, Rn. 93, vom 15. Oktober 2013, European Dynamics Belgium u. a./EMA, T‑638/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:530, Rn. 24, und vom 17. September 2015, Ricoh Belgium/Rat, T‑691/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:641, Rn. 38). |
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Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der in Art. 296 AEUV vorgesehenen Begründungspflicht um ein wesentliches Formerfordernis handelt, das von der Stichhaltigkeit der Begründung zu unterscheiden ist, die zur materiellen Rechtmäßigkeit des streitigen Rechtsakts gehört (Urteile vom 23. Mai 2014, European Dynamics Luxembourg/EZB, T‑553/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:275, Rn. 154, und vom 28. Juni 2016, AF Steelcase/EUIPO, T‑652/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:370, Rn. 47). |
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Da die Pflicht zur Begründung eines Rechtsakts vom tatsächlichen und rechtlichen Kontext abhängt, in dem er erlassen wurde, sind die folgenden Elemente des im vorliegenden Fall anwendbaren rechtlichen Rahmens für ungewöhnlich niedrige Angebote zu berücksichtigen. |
Zur Tragweite der Regeln betreffend ungewöhnlich niedrige Angebote
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Art. 151 Abs. 1 der Anwendungsverordnung bestimmt: „(1) Scheinen im Fall eines bestimmten Auftrags Angebote im Verhältnis zur Leistung ungewöhnlich niedrig zu sein, so muss der öffentliche Auftraggeber vor Ablehnung dieser Angebote schriftlich die Aufklärung über die Einzelposten des Angebots verlangen, die er für angezeigt hält; die anschließende kontradiktorische Prüfung dieser Einzelposten erfolgt unter Berücksichtigung der eingegangenen Begründungen. Die entsprechenden Erläuterungen können insbesondere die Einhaltung der Vorschriften über Arbeitsschutz und Arbeitsbedingungen, die am Ort der Leistungserbringung gelten, betreffen. Der öffentliche Auftraggeber kann insbesondere Begründungen berücksichtigen, die Folgendes betreffen:
(2) Stellt der öffentliche Auftraggeber fest, dass ein außergewöhnlich niedriges Angebot auf die Gewährung einer staatlichen Beihilfe zurückzuführen ist, so kann er dieses Angebot nur dann aus diesem Grund ablehnen, wenn der Bieter nicht binnen einer vom öffentlichen Auftraggeber angesetzten angemessenen Frist den Nachweis erbringen kann, dass diese Beihilfe endgültig und im Einklang mit den Verfahren und Beschlüssen gewährt wurde, die in den Vorschriften der Union für staatliche Beihilfen vorgesehen sind.“ |
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Der Begriff „ungewöhnlich niedriges Angebot“ wird weder in der Haushaltsordnung noch in der Anwendungsverordnung definiert. Nach der Rechtsprechung ist jedoch die Frage, ob ein Angebot ungewöhnlich niedrig ist, im Verhältnis zu den Einzelposten des Angebots und zur betreffenden Leistung zu beurteilen (Urteil vom 28. Januar 2016, Agriconsulting Europe/Kommission, T‑570/13, EU:T:2016:40, Rn. 55). |
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Nach Art. 158 Abs. 4 der Anwendungsverordnung bittet bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten der Bewertungsausschuss um nähere Angaben zu der Zusammensetzung des Angebots. |
85 |
Zu dieser Bestimmung hat das Gericht entschieden, dass sich eine Pflicht des öffentlichen Auftraggebers, die Seriosität des Bieters zu prüfen, dann ergibt, wenn bereits zuvor Zweifel an der Verlässlichkeit eines Angebots bestanden, da diese Bestimmung hauptsächlich verhindern soll, dass ein Bieter vom Verfahren ausgeschlossen wird, ohne dass er die Möglichkeit gehabt hätte, den Inhalt seines ungewöhnlich niedrig erscheinenden Angebots zu begründen. Daher ist der Bewertungsausschuss nur bei Vorliegen solcher Zweifel verpflichtet, gegebenenfalls vor dessen Ablehnung die angezeigten Aufklärungen über die Einzelposten des Angebots zu verlangen. Hingegen ist in dem Fall, in dem ein Angebot nicht ungewöhnlich niedrig nach Art. 158 Abs. 4 der Anwendungsverordnung erscheint, dieser Artikel nicht anwendbar (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Juli 2005, TQ3 Travel Solutions Belgium/Kommission, T‑148/04, EU:T:2005:274, Rn. 49 und 50, vom 11. Mai 2010, PC-Ware Information Technologies/Kommission, T‑121/08, EU:T:2010:183, Rn. 72, vom 5. November 2014, Computer Resources International [Luxembourg]/Kommission, T‑422/11, EU:T:2014:927, Rn. 57, und vom 15. September 2016, European Dynamics Luxembourg und Evropaïki Dynamiki/Kommission, T‑698/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:476, Rn. 59). |
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Solche Zweifel können insbesondere vorliegen, wenn es ungewiss erscheint, ob zum einen ein Angebot die Rechtsvorschriften im Bereich der Vergütung des Personals, der Sozialversicherungsbeiträge, der Einhaltung der Bestimmungen über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und des Verkaufs unter Selbstkosten des Landes beachtet, in dem die Dienstleistungen erbracht werden müssten, und ob zum anderen der angebotene Preis alle mit den technischen Aspekten des Angebots einhergehenden Kosten umfasst (Urteil vom 8. Oktober 2015, Secolux/Kommission, T‑90/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:772, Rn. 62). |
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Nach alledem wird die Frage, ob ungewöhnlich niedrige Angebote vorliegen, vom öffentlichen Auftraggeber in zwei Schritten geprüft. |
88 |
In einem ersten Schritt muss der öffentliche Auftraggeber prüfen, ob die eingereichten Angebote ungewöhnlich niedrig zu sein „scheinen“ (vgl. Art. 151 Abs. 1 der Anwendungsverordnung). Die Verwendung des Verbs „scheinen“ in der Anwendungsverordnung bedeutet, dass der öffentliche Auftraggeber eine Prima-facie-Prüfung der Frage vornimmt, ob ein Angebot ungewöhnlich niedrig ist. Die Anwendungsverordnung schreibt daher dem öffentlichen Auftraggeber nicht vor, von Amts wegen die Einzelpositionen jedes Angebots eingehend zu prüfen, um festzustellen, ob es nicht ungewöhnlich niedrig ist. So muss der öffentliche Auftraggeber in einem ersten Schritt nur feststellen, ob die eingereichten Angebote einen Hinweis enthalten, der den Verdacht erwecken kann, dass sie ungewöhnlich niedrig sind. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der in einem eingereichten Angebot angeführte Preis erheblich niedriger ist als derjenige der anderen eingereichten Angebote oder als der übliche Marktpreis. Enthalten die eingereichten Angebote keinen solchen Hinweis und erscheinen sie daher nicht ungewöhnlich niedrig, kann der öffentliche Auftraggeber die Bewertung dieses Angebots und das Vergabeverfahren fortsetzen. |
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Liegen hingegen Hinweise vor, die den Verdacht erwecken können, dass ein Angebot ungewöhnlich niedrig sein könnte, hat der öffentliche Auftraggeber in einem zweiten Schritt die Einzelpositionen des Angebots zu prüfen, um sich zu vergewissern, dass dieses nicht ungewöhnlich niedrig ist. Wenn er diese Prüfung vornimmt, ist der öffentliche Auftraggeber verpflichtet, dem Bieter, von dem dieses Angebot stammt, die Möglichkeit zu geben, darzulegen, aus welchen Gründen er der Ansicht ist, dass sein Angebot nicht ungewöhnlich niedrig ist. Der öffentliche Auftraggeber hat sodann die gegebenen Erläuterungen zu beurteilen und festzustellen, ob das in Rede stehende Angebot ungewöhnlich niedrig ist, und ist gegebenenfalls zu dessen Ablehnung verpflichtet. |
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Da das Begründungserfordernis insbesondere nach Maßgabe der anwendbaren Rechtsvorschriften zu prüfen ist (siehe oben, Rn. 75), beeinflusst das Bestehen dieser Prüfung in zwei Schritten den Umfang der Begründungspflicht des öffentlichen Auftraggebers. |
Würdigung der Beachtung der Begründungspflicht durch die Agentur im vorliegenden Fall
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Das Gericht hat sich bereits zur Begründungspflicht des öffentlichen Auftraggebers geäußert, wenn dieser in der Phase der Bewertung der Angebote Zweifel hatte, ob ein eingereichtes Angebot ungewöhnlich niedrig war, und nach Stellungnahme des betreffenden Bieters und eingehenderer Prüfung dieses Angebot nicht als ungewöhnlich niedrig erachtete (Urteil vom 15. Oktober 2013, European Dynamics Belgium u. a./EMA, T‑638/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:530, Rn. 64 und 65) oder dass es dies war (Urteil vom 5. November 2014, Computer Resources International [Luxembourg]/Kommission, T‑422/11, EU:T:2014:927, Rn. 39 und 40). Insbesondere wurde entschieden, dass der öffentliche Auftraggeber, um hinreichend zu begründen, dass das ausgewählte Angebot nicht ungewöhnlich niedrig war, die Überlegungen darlegen musste, aufgrund deren er zum einen zu dem Ergebnis gelangt war, dass ein solches Angebot in Anbetracht hauptsächlich seiner finanziellen Merkmale insbesondere die Rechtsvorschriften im Bereich der Vergütung des Personals, der Sozialversicherungsbeiträge und der Einhaltung der Bestimmungen über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz des Landes beachtete, in dem die Dienstleistungen erbracht werden sollten, und zum anderen festgestellt hatte, dass die angebotenen Preise alle mit den technischen Aspekten der ausgewählten Angebote einhergehenden Kosten umfassten (Urteil vom 15. Oktober 2013, European Dynamics Belgium u. a./EMA, T‑638/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:530, Rn. 68). |
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Zum Umfang der Begründungspflicht, die dem öffentlichen Auftraggeber obliegt, wenn er der Ansicht ist, dass das ausgewählte Angebot nicht ungewöhnlich niedrig erscheint, ergibt sich aus den oben in Rn. 82 angeführten Regeln betreffend ungewöhnlich niedrige Angebote und insbesondere aus dem Umstand, dass der öffentliche Auftraggeber in einem ersten Schritt nur eine Prima-facie-Prüfung der Frage vorzunehmen hat, ob ein Angebot ungewöhnlich niedrig ist, dass der Umfang seiner Begründungspflicht eingeschränkt ist. Den öffentlichen Auftraggeber dazu zu zwingen, im Einzelnen darzulegen, aus welchem Grund ein Angebot ihm nicht ungewöhnlich niedrig erscheint, würde nämlich der Unterscheidung zwischen den beiden Schritten der in Art. 151 der Anwendungsverordnung vorgesehenen Prüfung nicht Rechnung tragen. |
93 |
Insbesondere ist ein öffentlicher Auftraggeber, wenn er ein Angebot auswählt, nicht gehalten, ausdrücklich auf jedes Begründungsersuchen hin, das nach Art. 113 Abs. 2 der Haushaltsordnung an ihn gerichtet wird, die Gründe anzugeben, aus denen ihm das Angebot, das er ausgewählt hat, nicht ungewöhnlich niedrig erschien. Wenn nämlich dieses Angebot vom öffentlichen Auftraggeber ausgewählt wird, folgt daraus implizit, aber notwendig, dass er davon ausging, dass keine Hinweise dafür vorlagen, dass dieses Angebot ungewöhnlich niedrig war. Hingegen müssen einem abgelehnten Bieter, der ausdrücklich darum ersucht, solche Gründe mitgeteilt werden. |
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Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerinnen in ihren Ersuchen nach Art. 113 Abs. 2 der Haushaltsordnung vom 11. Mai 2015 betreffend den Zuschlag für Los 1 und vom 2. Juli 2015 betreffend den für Los 2 nicht ausdrücklich beim öffentlichen Auftraggeber beantragten, ihnen die Gründe mitzuteilen, aus denen das an die erste Stelle gesetzte Angebot für Los 1 und die für Los 2 ausgewählten Angebote nicht ungewöhnlich niedrig erschienen. |
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Zur ersten angefochtenen Entscheidung geht jedoch aus der ergänzenden Begründung vom 20. Mai 2015 hervor, dass den Klägerinnen die Punktezahlen, die an das für Los 1 an die erste Stelle gesetzte Angebot (38,78 Punkte) und an ihr Angebot für dasselbe Los (35,46 Punkte) bei der finanziellen Bewertung der Angebote vergeben wurden, von der Agentur mitgeteilt wurden. Ihnen wurde auch mitgeteilt, dass der im erstplatzierten Angebot angebotene Preis 867000 Euro betragen habe, während die Klägerinnen in ihrem Angebot für dasselbe Los einen Preis von 948100 Euro angeboten hätten. |
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Zur zweiten angefochtenen Entscheidung ergibt sich aus der ergänzenden Begründung vom 7. Juli 2015, dass die Klägerinnen hinsichtlich der finanziellen Bewertung der Angebote Kenntnis von den an ihr Angebot für Los 2 vergebenen Punkten sowie von den an die ausgewählten Angebote vergebenen Punkte hatten, nämlich 39,04 Punkte für das an die erste Stelle gesetzte Angebot, 40 Punkte für das an die zweite Stelle gesetzte Angebot und 32,53 Punkte für das an die dritte Stelle gesetzte Angebot. Außerdem enthielten die Verdingungsunterlagen den Hinweis, dass für dieses Los die Punkte im Rahmen der finanziellen Bewertung der Angebote nach der Formel „niedrigster Preis/im Angebot des Bieters angeführter Preis * 40“ berechnet würden. Auf der Grundlage dieser Informationen konnten die Klägerinnen den im erstplatzierten Angebot angeführten Preis und sodann die in den anderen ausgewählten Angeboten angeführten Preise berechnen. |
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Somit wussten die Klägerinnen vor der Erhebung der Klage, dass die Agentur der Ansicht gewesen war, dass die ausgewählten Angebote nicht ungewöhnlich niedrig erschienen, eben weil sie ausgewählt worden waren. Außerdem war den Klägerinnen auf der Grundlage der Informationen in den ergänzenden Begründungen vom 20. Mai und vom 7. Juli 2015 der Kontext bekannt, in dem die angefochtenen Entscheidungen erlassen worden waren, so dass sie deren Begründetheit in dieser Hinsicht beanstanden konnten. |
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Die letztere Beurteilung wird durch den Inhalt des Schreibens der Klägerinnen vom 8. Juli 2015 bestätigt. Sie führten darin nämlich Folgendes aus: „Die Bieter, deren Angebote zu den Losen 1 und 2 ausgewählt wurden, haben einfach ihre Preise rechtswidrig herabgesetzt, um einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen. Wir wissen noch immer nicht, wie die [Agentur] so niedrige Preise akzeptieren konnte, die künstlich niedrig sind, und wir bedauern, dass die [Agentur] beschlossen hat, dies ohne Untersuchung oder Erklärung zu tun. Die Preise von Intrasoft International für Los 1 des Auftrags ESP EISD 4 waren um 15,78 % höher als unsere Preise. Hingegen sind die Preise von Intrasoft International für Los 2 des Auftrags ESP EISD 5 nunmehr um 32,81 % niedriger und diejenigen für Los 1 des Auftrags ESP EISD 5 um 5,88 % niedriger als unsere Preise ... Überdies waren die Preise der Ingegneria Informatica SPA für Los 1 des Auftrags ESP EISD 4 um 23,73 % höher als unsere Preise. Hingegen sind die Preise des Konsortiums Nextera1 für Los 1 des Auftrags ESP EISD 5 nunmehr um 8,56 % niedriger als unsere Preise, außerdem sind die Preise des Konsortiums Nextera2, das von der Ingegneria Informatica SPA geführt wird, ... für Los 2 des Auftrags ESP EISD 5 um 19,37 % niedriger als unsere.“ |
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Dies wird auch durch die Rn. 20 bis 22 der Klageschrift bestätigt. Dort haben die Klägerinnen Folgendes ausgeführt: „Zum Auftrag ESP EISD 5 haben die Klägerinnen, als sie die angefochtenen Entscheidungen und die ergänzenden Unterlagen erhielten, folgende Stellungnahme abgegeben:
… Da den Klägerinnen bewusst ist, dass ihr finanzielles Angebot bereits niedrig war (aber auf einem gewöhnlichen Niveau), können sie sich diesen großen Unterschied bei der Bewertung der finanziellen Angebote, der sich zum ersten Mal im Auftrag ESP EISD 5 zeigte, nur erklären, wenn die ausgewählten Konsortien ungewöhnlich niedrige Preise angeboten haben. Diese Schlussfolgerung wird auch durch den Umstand bekräftigt, dass im Rahmen des Auftrags ESP EISD 4, der dieselben Dienstleistungen und eine ähnliche Beschreibung der verschiedenen Lose zum Gegenstand hatte, das finanzielle Angebot der Klägerinnen (die für jedes der drei Lose an die erste Stelle gesetzt worden waren) entweder billiger als alle anderen (Los 1), oder geringfügig teurer (Lose 2 und 3) war. Folglich kann die Höhe dieser Angebote ein sicheres und klares Kriterium für die auf dem Markt beobachteten Preise und für das gewöhnliche Niveau der Preise darstellen, die im Rahmen des Auftrags ESP EISD 5 angeboten werden müssten. Hingegen boten im Rahmen des streitigen Auftrags vier Konsortien (Nextera1, On Track, Intrasoft/Charles Oakes, Atos Integration) niedrigere Preise für Los 1 an (Atos Integration bot sogar um 11,35 % niedrigere Preise an) ..., während für Los 2 die [ausgewählten] Angebote ... noch ungewöhnlich niedriger als diejenigen der Klägerinnen waren (Atos Belgium SA um 34,42 %, Intrasoft International SA um 32,81 % und Nextera2 um 19,36 %) ... Die vorstehenden Umstände zeigen, dass die in den zwei Losen des streitigen Auftrags ausgewählten finanziellen Angebote der Konsortien die Merkmale eines ungewöhnlich niedrigen ... Angebots im Vergleich zu den auf dem Markt bestehenden Preisen aufwiesen …“ |
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Diese Umstände zeigen, dass die Klägerinnen auf der Grundlage der Informationen, die sie bei Klageerhebung besaßen, die Begründetheit der Beurteilung der Agentur beanstanden konnten, wonach die ausgewählten Angebote keinen Hinweis auf ein ungewöhnlich niedriges Niveau enthielten und daher nicht ungewöhnlich niedrig erschienen. |
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Ferner ist darauf hinzuweisen, dass außergewöhnliche Umstände im Sinne der oben in Rn. 74 angeführten Rechtsprechung im vorliegenden Fall dem Gericht gestatten, die von der Agentur während des Verfahrens vorgebrachte spezifische Begründung zu berücksichtigen. |
102 |
Die Klägerinnen haben nämlich erst am 8. Juli 2015 für die zwei Lose ein spezifisches Begründungsersuchen zum ungewöhnlichen Niveau der Preise der ausgewählten Angebote an die Agentur gerichtet (siehe oben, Rn. 15). Ohne jedoch die Antwort der Agentur abzuwarten und ohne dieser hierfür eine hinreichende Frist einzuräumen, obwohl die Klagefristen dem nicht entgegenstanden, haben die Klägerinnen am 17. Juli 2015 die vorliegende Klage erhoben und ausschließlich einen Begründungsmangel der angefochtenen Entscheidungen insbesondere aufgrund der Tatsache geltend gemacht, dass sie keine Antwort auf ihren Antrag vom 8. Juli 2015 erhalten hätten (siehe oben, Rn. 16). Die Agentur hat ihrerseits mit Schreiben vom 24. Juli 2015 die Gründe, aus denen ihr die ausgewählten Angebote nicht ungewöhnlich niedrig erschienen seien, innerhalb einer Frist erläutert, die unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles als angemessen anzusehen ist. Es ist daher festzustellen, dass alle diese Umstände für eine außergewöhnliche Situation im Sinne der oben in Rn. 74 angeführten Rechtsprechung kennzeichnend sind, die die Berücksichtigung des Schreibens vom 24. Juli 2015 durch das Gericht rechtfertigen, um zu beurteilen, ob die Agentur ihre Begründungspflicht hinsichtlich der Gründe, aus denen sie die ausgewählten Angebote nicht als ungewöhnlich niedrig ansah, beachtet hat. |
103 |
In ihrem Schreiben vom 24. Juli 2015 hat die Agentur u. a. Folgendes ausgeführt: „Zur Behauptung, dass ‚die Bieter, deren Angebote zu den Losen 1 und 2 ausgewählt wurden, ihre Preise einfach rechtswidrig herabgesetzt haben, um einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen‘, teilen wir Ihnen mit, dass
Vor diesem Hintergrund haben wir stichhaltige Beweise dafür, dass die finanziellen Angebote nicht ungewöhnlich niedrig waren.“ |
104 |
Solche Hinweise, nämlich die relative Nähe der von mehreren verschiedenen Bietern angebotenen Preise für jedes der Lose, erlauben so, die Gründe nachzuvollziehen, aus denen der öffentliche Auftraggeber im vorliegenden Fall die ausgewählten Angebote nicht als auf den ersten Blick ungewöhnlich niedrig ansah. Außerdem ist festzustellen, dass die Klägerinnen in der Lage waren, in der Erwiderung zu bestreiten, dass diese Begründung ausreichend war, und von dieser Möglichkeit im Übrigen auch Gebrauch gemacht haben. |
105 |
Diese den Klägerinnen gegebenen Hinweise entsprechen somit insgesamt den Anforderungen an die Agentur auf diesem Gebiet, wie sie oben in den Rn. 100 und 101 dargelegt worden sind. Folglich machen die Klägerinnen im vorliegenden Fall zu Unrecht einen Verstoß gegen die Begründungspflicht geltend. |
106 |
Die Tatsache, dass die Klägerinnen keinen Klagegrund angeführt haben, mit dem sie die Begründetheit der Beurteilung der Agentur bestreiten, zeigt nicht, dass sie nicht in der Lage waren, die Gründe für diese Beurteilung nachzuvollziehen. Außerdem ist erneut darauf hinzuweisen, dass im Zusammenhang mit dem Klagegrund eines Begründungsmangels allfällige Beanstandungen hinsichtlich der Stichhaltigkeit dieser Begründung vom Gericht nicht geprüft werden können, da nach der oben in Rn. 80 angeführten Rechtsprechung die Frage der Beachtung der Begründungsplicht nach Art. 296 AEUV von der der Stichhaltigkeit der Begründung zu trennen ist. |
107 |
Nach alledem ist der einzige Klagegrund eines Verstoßes gegen die Begründungspflicht durch die Agentur zurückzuweisen und folglich die Klage insgesamt abzuweisen. |
Kosten
108 |
Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. |
109 |
Da die Klägerinnen unterlegen sind, sind ihnen entsprechend dem Antrag der Agentur die Kosten aufzuerlegen. |
110 |
Diese Beurteilung wird durch den Antrag der Klägerinnen, der Agentur die gesamten Kosten selbst im Fall der Abweisung der Klage aufzuerlegen, nicht in Frage gestellt. Die Klägerinnen berufen sich nämlich zur Stützung dieses Antrags auf einen Begründungsmangel der angefochtenen Entscheidungen sowie ohne weitere Darlegung auf die Haltung der Agentur. Diese Gründe erlauben es nicht, der Agentur im vorliegenden Fall die Kosten aufzuerlegen. |
Aus diesen Gründen hat DAS GERICHT (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden: |
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Frimodt Nielsen Kreuschitz Półtorak Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 4. Juli 2017. Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Griechisch.
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Referenzen
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