Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-213/15

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

18. Juli 2017 ( *1 )

„Rechtsmittel – Zugang zu Dokumenten der Organe – Art. 15 Abs. 3 AEUV – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Anwendungsbereich – Antrag auf Zugang zu den von der Republik Österreich im Rahmen der Rechtssache, in der das Urteil vom 29. Juli 2010, Kommission/Österreich (C‑189/09, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:455), ergangen ist, eingereichten Schriftsätzen – Dokumente im Besitz der Europäischen Kommission – Schutz von Gerichtsverfahren“

In der Rechtssache C‑213/15 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 8. Mai 2015,

Europäische Kommission, vertreten durch P. Van Nuffel und H. Krämer als Bevollmächtigte,

Rechtsmittelführerin,

unterstützt durch

Königreich Spanien, vertreten durch M. J. García-Valdecasas Dorrego und S. Centeno Huerta als Bevollmächtigte,

Französische Republik, vertreten durch G. de Bergues, D. Colas, R. Coesme und F. Fize als Bevollmächtigte,

Streithelfer im Rechtsmittelverfahren,

andere Parteien des Verfahrens:

Patrick Breyer, wohnhaft in Wald-Michelbach (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Starostik,

Kläger im ersten Rechtszug,

Republik Finnland, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,

Königreich Schweden, vertreten durch A. Falk, C. Meyer-Seitz, E. Karlsson und L. Swedenborg als Bevollmächtigte,

Streithelfer im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, T. von Danwitz, E. Juhász, M. Berger, A. Prechal und M. Vilaras sowie der Richter A. Rosas (Berichterstatter), A. Borg Barthet, D. Šváby und E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: T. Millett, Beigeordneter Kanzler,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. September 2016,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. Dezember 2016

folgendes

Urteil

1

Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Europäische Kommission die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 27. Februar 2015, Breyer/Kommission (T‑188/12, EU:T:2015:124, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem dieses den Beschluss der Kommission vom 3. April 2012, mit dem die Kommission es abgelehnt hat, Herrn Patrick Breyer umfassenden Zugang zu Dokumenten betreffend die von der Republik Österreich vorzunehmende Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG (ABl. 2006, L 105, S. 54) sowie zu Dokumenten, die sich auf die Rechtssache beziehen, in der das Urteil vom 29. Juli 2010, Kommission/Österreich (C‑189/09, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:455), ergangen ist, zu gewähren, für nichtig erklärt hat, soweit mit ihm der Zugang zu den von der Republik Österreich im Rahmen dieser Rechtssache eingereichten Schriftsätzen verweigert wird.

Rechtlicher Rahmen

2

Der fünfte Teil („Die Organe der Gemeinschaft“) des EG-Vertrags enthielt einen Titel I („Vorschriften über die Organe“). In Kapitel 2 („Gemeinsame Vorschriften für mehrere Organe“) dieses Titels sah Art. 255 Abs. 2 EG vor:

„Die allgemeinen Grundsätze und die aufgrund öffentlicher oder privater Interessen geltenden Einschränkungen für die Ausübung dieses Rechts auf Zugang zu Dokumenten [des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission] werden vom Rat binnen zwei Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam gemäß dem Verfahren des Artikels 251 [EG, ‚Mitentscheidungsverfahren‘] festgelegt.“

3

Der erste Teil („Grundsätze“) des AEU-Vertrags enthält einen Titel II („Allgemein geltende Bestimmungen“), der die Art. 7 bis 17 AEUV umfasst. Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 1 bis 4 AEUV bestimmt:

„Jeder Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder satzungsgemäßem Sitz in einem Mitgliedstaat hat das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, unabhängig von der Form der für diese Dokumente verwendeten Träger, vorbehaltlich der Grundsätze und Bedingungen, die nach diesem Absatz festzulegen sind.

Die allgemeinen Grundsätze und die aufgrund öffentlicher oder privater Interessen geltenden Einschränkungen für die Ausübung dieses Rechts auf Zugang zu Dokumenten werden vom Europäischen Parlament und vom Rat durch Verordnungen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren festgelegt.

Die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen gewährleisten die Transparenz ihrer Tätigkeit und legen im Einklang mit den in Unterabsatz 2 genannten Verordnungen in ihrer Geschäftsordnung Sonderbestimmungen hinsichtlich des Zugangs zu ihren Dokumenten fest.

Dieser Absatz gilt für den Gerichtshof der Europäischen Union, die Europäische Zentralbank und die Europäische Investitionsbank nur dann, wenn sie Verwaltungsaufgaben wahrnehmen.“

4

Die Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43) wurde auf der Grundlage von Art. 255 Abs. 2 EG erlassen.

5

Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung lautet:

„Zweck dieser Verordnung ist es:

a)

die Grundsätze und Bedingungen sowie die aufgrund öffentlicher oder privater Interessen geltenden Einschränkungen für die Ausübung des in Artikel 255 [EG] niedergelegten Rechts auf Zugang zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (nachstehend ‚Organe‘ genannt) so festzulegen, dass ein größtmöglicher Zugang zu Dokumenten gewährleistet ist“.

6

Art. 2 („Zugangsberechtigte und Anwendungsbereich“) Abs. 3 dieser Verordnung bestimmt:

„Diese Verordnung gilt für alle Dokumente [des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission], das heißt Dokumente aus allen Tätigkeitsbereichen der Union, die von [diesen Organen] erstellt wurden oder bei [ihnen] eingegangen sind und sich in [ihrem] Besitz befinden.“

7

Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung lautet:

„Im Sinne dieser Verordnung bedeutet:

a)

‚Dokument‘: Inhalte unabhängig von der Form des Datenträgers (auf Papier oder in elektronischer Form, Ton-, Bild- oder audiovisuelles Material), die einen Sachverhalt im Zusammenhang mit den Politiken, Maßnahmen oder Entscheidungen aus dem Zuständigkeitsbereich des Organs betreffen;

b)

‚Dritte‘: alle natürlichen und juristischen Personen und Einrichtungen außerhalb des betreffenden Organs, einschließlich der Mitgliedstaaten, der anderen Gemeinschafts- oder Nicht-Gemeinschaftsorgane und ‑einrichtungen und der Drittländer.“

8

Art. 4 („Ausnahmeregelung“) der Verordnung Nr. 1049/2001 sieht vor:

„…

(2)   Die Organe verweigern den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung Folgendes beeinträchtigt würde:

der Schutz von Gerichtsverfahren und der Rechtsberatung,

es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

(4)   Bezüglich Dokumente Dritter konsultiert das Organ diese, um zu beurteilen, ob eine der Ausnahmeregelungen [des Absatzes] 2 anwendbar ist, es sei denn, es ist klar, dass das Dokument verbreitet werden muss bzw. nicht verbreitet werden darf.

(5)   Ein Mitgliedstaat kann das Organ ersuchen, ein aus diesem Mitgliedstaat stammendes Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung zu verbreiten.

(7)   Die Ausnahmen gemäß [Absatz 2] gelten nur für den Zeitraum, in dem der Schutz aufgrund des Inhalts des Dokuments gerechtfertigt ist. …“

9

Art. 6 („Anträge“) der Verordnung Nr. 1049/2001 regelt die Modalitäten der Antragstellung für den Zugang zu Dokumenten nach dieser Verordnung.

10

Art. 7 („Behandlung von Erstanträgen“) Abs. 2 der Verordnung sieht vor, dass im „Fall einer vollständigen oder teilweisen Ablehnung … der Antragsteller binnen fünfzehn Arbeitstagen nach Eingang des Antwortschreibens des Organs einen Zweitantrag an das Organ richten und es um eine Überprüfung seines Standpunkts ersuchen [kann]“.

Zur Vorgeschichte des Rechtsstreits

11

Die Vorgeschichte des Rechtsstreits wurde in den Rn. 6 bis 10 und 15 des angefochtenen Urteils wie folgt dargestellt:

„6

Mit Schreiben vom 30. März 2011 beantragte … Patrick Breyer bei der … Kommission gemäß Art. 6 der Verordnung Nr. 1049/2001 Zugang zu Dokumenten.

7

Die angeforderten Dokumente betrafen Vertragsverletzungsverfahren, die die Kommission 2007 gegen die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Österreich bezüglich der Umsetzung der Richtlinie [2006/24] eingeleitet hatte. So beantragte [Herr Breyer] Zugang zu allen Dokumenten bezüglich der von der Kommission durchgeführten Verwaltungsverfahren sowie zu allen Dokumenten betreffend das Gerichtsverfahren, in dem das Urteil vom 29. Juli 2010, Kommission/Österreich (C‑189/09, EU:C:2010:455), ergangen ist.

8

Am 11. Juli 2011 lehnte die Kommission den Antrag des [Herrn Breyer] vom 30. März 2011 ab.

9

Am 13. Juli 2011 stellte [Herr Breyer] gemäß Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 einen Zweitantrag.

10

Mit Beschlüssen vom 5. Oktober und 12. Dezember 2011 gewährte die Kommission [Herrn Breyer] in Bezug auf die gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren teilweise Zugang zu den angeforderten Dokumenten. In diesen Beschlüssen setzte die Kommission [Herrn Breyer] darüber hinaus von ihrer Absicht in Kenntnis, einen gesonderten Beschluss über die Dokumente betreffend die Rechtssache, in der das Urteil [vom 29. Juli 2010,] Kommission/Österreich (… EU:C:2010:455), ergangen ist, zu erlassen.

15

Am 3. April 2012 erließ die Kommission in Beantwortung des Zweitantrags [des Herrn Breyer] vom 13. Juli 2011 den Beschluss Ares (2012) 399467 (im Folgenden: Beschluss vom 3. April 2012) über den Zugang [des Herrn Breyer] zu den Unterlagen der Verwaltungsakte des oben in Rn. 7 genannten Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Republik Österreich und zu den Dokumenten bezüglich des Gerichtsverfahrens in der Rechtssache, in der das Urteil [vom 29. Juli 2010,] Kommission/Österreich (… EU:C:2010:455), ergangen ist. In Bezug auf das Gerichtsverfahren verweigerte die Kommission insbesondere den Zugang zu den Schriftsätzen der Republik Österreich (im Folgenden: in Rede stehende Schriftsätze) mit der Begründung, dass diese nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1049/2001 fielen. Erstens nämlich sei der Gerichtshof der Europäischen Union als Organ gemäß Art. 15 Abs. 3 AEUV den Bestimmungen über den Zugang zu Dokumenten nur bei Wahrnehmung seiner Verwaltungsaufgaben unterworfen. Zweitens seien die in Rede stehenden Schriftsätze an den Gerichtshof gerichtet gewesen, während die Kommission als Partei in der Rechtssache, in der das Urteil [vom 29. Juli 2010,] Kommission/Österreich (…, EU:C:2010:455), ergangen sei, nur Abschriften erhalten habe. Drittens sehe Art. 20 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Übermittlung der Schriftsätze eines Gerichtsverfahrens nur an die Parteien dieses Verfahrens und an die Organe vor, deren Beschlüsse Gegenstand des Verfahrens seien. Viertens habe sich der Gerichtshof im Urteil vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission (C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P, … EU:C:2010:541), nicht mit der Frage befasst, ob die Organe Zugang zu den Schriftsätzen einer anderen Partei eines Gerichtsverfahrens gewähren müssten. Daher fielen von den im Rahmen eines Gerichtsverfahrens eingereichten Schriftsätzen nur die Schriftsätze der Organe, nicht aber die von anderen Parteien eingereichten in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1049/2001; andernfalls würden Art. 15 AEUV und die spezifischen Bestimmungen der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und der Verfahrensordnung des Gerichtshofs umgangen.“

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

12

Mit Klageschrift, die am 30. April 2012 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob Herr Breyer Klage u. a. auf Nichtigerklärung des Beschlusses vom 3. April 2012, soweit die Kommission ihm keinen Zugang zu den in Rede stehenden Schriftsätzen gewährt hatte. Als einzigen Klagegrund machte er einen Verstoß der Kommission gegen Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 geltend. Er trug vor, dass die Begründung dieses Beschlusses, wonach die in Rede stehenden Schriftsätze nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fielen, unzutreffend sei.

13

Das Gericht hat diesen Klagegrund im angefochtenen Urteil für begründet gehalten und daher den Beschluss vom 3. April 2012 für nichtig erklärt.

14

In den Rn. 35 bis 61 des angefochtenen Urteils hat es in einem ersten Schritt untersucht, ob die in Rede stehenden Schriftsätze „Dokumente eines Organs“ im Sinne von Art. 2 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 1049/2001 seien.

15

Zu diesem Zweck hat es in den Rn. 40 bis 48 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass nach Art. 2 Abs. 3 und Art. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1049/2001 das Recht auf Zugang zu Dokumenten eines Organs der Union auch die Dokumente erfasse, die es u. a. von den Mitgliedstaaten erhalten habe, und dass die weite Definition des Begriffs „Dokument“ in Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung auf dem „Vorhandensein eines aufgezeichneten Inhalts, der nach seiner Erstellung reproduziert oder konsultiert werden kann, beruht, wobei darauf hinzuweisen ist …, dass [dieser Inhalt] im Zusammenhang mit den Politiken, Maßnahmen oder Entscheidungen des fraglichen Organs stehen [muss]“. Das Gericht ist, nachdem es festgestellt hatte, dass die Kommission im vorliegenden Fall nicht bestritten habe, dass sich die Abschriften der in Rede stehenden Schriftsätze in ihrem Besitz befänden, und darauf hingewiesen hatte, dass die Kommission die Schriftsätze in Ausübung ihrer Befugnisse im Hinblick auf ihr gerichtliches Vorgehen erhalten habe, zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Schriftsätze als Dokumente eines Organs im Sinne von Art. 2 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 1049/2001 einzustufen seien.

16

Sodann hat das Gericht in den Rn. 50 bis 61 des angefochtenen Urteils die verschiedenen Argumente der Kommission gegen die Einstufung der in Rede stehenden Schriftsätze als Dokumente der Kommission im Sinne von Art. 2 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 1049/2001 zurückgewiesen. Mit diesen Argumenten war geltend gemacht worden, dass die Schriftsätze an den Gerichtshof gerichtet gewesen und der Kommission nur in Form von Abschriften übermittelt worden seien und sie als Gerichtsdokumente weder der Verwaltungstätigkeit der Kommission noch daher ihrem Zuständigkeitsbereich zuzuordnen seien, da die Verordnung Nr. 1049/2001 nicht das gerichtliche Vorgehen der Kommission betreffe.

17

Hierzu hat das Gericht in Rn. 51 des angefochtenen Urteils zunächst festgestellt, dass die Anwendung der Verordnung Nr. 1049/2001 nach ihrem Art. 2 Abs. 3 nicht von der Voraussetzung abhängig sei, dass das bei dem betreffenden Organ „eingegangene“ Dokument an das Organ gerichtet gewesen und ihm direkt von seinem Urheber übermittelt worden sei. In den Rn. 53 und 54 dieses Urteils hat das Gericht sodann unter Hinweis darauf, dass der Dokumentenbegriff in Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 1049/2001 weit definiert sei, festgestellt, dass es insoweit keine Rolle spiele, dass die betreffenden Schriftsätze der Kommission in Form von Abschriften und nicht in Form von Originalen übermittelt worden seien. Darüber hinaus hat es in Rn. 57 des Urteils festgestellt, dass sich aus den mit der Verordnung festgelegten Zielen im Bereich der Transparenz, die insbesondere aus ihrem zweiten Erwägungsgrund, der weiten Definition des Dokumentenbegriffs in Art. 3 Buchst. a der Verordnung sowie der Formulierung und der bloßen Existenz einer Ausnahme betreffend den Schutz von Gerichtsverfahren in Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung hervorgingen, ergebe, dass der Unionsgesetzgeber nicht beabsichtigt habe, die Tätigkeit der Organe im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren vom Anwendungsbereich des Rechts auf Zugang zu im Besitz der Organe befindlichen Dokumenten auszunehmen.

18

In den Rn. 60 und 61 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, dass der Kommission die in Rede stehenden Schriftsätze im Rahmen einer Klage auf Feststellung einer Vertragsverletzung übermittelt worden seien, die sie in Ausübung ihrer Befugnisse nach Art. 226 EG (jetzt Art. 258 AEUV) erhoben habe, so dass die Kommission zu Unrecht geltend gemacht habe, dass ihr diese Schriftsätze nicht in Ausübung ihrer Befugnisse übermittelt worden seien.

19

In einem zweiten Schritt hat das Gericht in den Rn. 63 bis 112 des angefochtenen Urteils die Auswirkungen von Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 AEUV auf die Anwendung der Verordnung Nr. 1049/2001 geprüft.

20

Dabei hat das Gericht in den Rn. 67 bis 73 dieses Urteils darauf hingewiesen, dass sowohl aus Art. 15 AEUV als auch aus der Systematik der Verordnung Nr. 1049/2001 und dem Sinn und Zweck der Rechtsvorschriften der Union auf diesem Gebiet hervorgehe, dass die Rechtsprechungstätigkeit als solche vom Anwendungsbereich des in diesen Rechtsvorschriften geregelten Rechts auf Zugang zu Dokumenten ausgenommen sei. Außerdem seien die bei den Unionsgerichten im Rahmen eines Gerichtsverfahrens eingereichten Schriftsätze der Kommission und die Schriftsätze, die ein Mitgliedstaat im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage einreiche, ihrem Wesen nach Teil der Rechtsprechungstätigkeit dieser Gerichte.

21

Das Gericht hat jedoch in den Rn. 75 bis 80 des angefochtenen Urteils aus seiner eigenen Rechtsprechung (Urteile vom 6. Juli 2006, Franchet und Byk/Kommission, T‑391/03 und T‑70/04, EU:T:2006:190, Rn. 88 bis 90, vom 12. September 2007, API/Kommission, T‑36/04, EU:T:2007:258, Rn. 60, und vom 3. Oktober 2012, Jurašinović/Rat, T‑63/10, EU:T:2012:516, Rn. 66 und 67) sowie aus der des Gerichtshofs (Urteil vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission, C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P, EU:C:2010:541, Rn. 94) hergeleitet, dass diese Schriftsätze, obgleich sie Teil der Rechtsprechungstätigkeit der Unionsgerichte seien, nicht aufgrund von Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 AEUV vom Recht auf Zugang zu Dokumenten ausgeschlossen seien. In diesem Zusammenhang hat das Gericht in Rn. 82 dieses Urteils festgestellt, dass zu unterscheiden sei „zwischen der Ausnahme der Rechtsprechungstätigkeit des Gerichtshofs vom Recht auf Zugang zu Dokumenten nach Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 AEUV und den Schriftsätzen, die im Hinblick auf ein [Gerichtsverfahren] erstellt werden, die, auch wenn sie Teil dieser Rechtsprechungstätigkeit sind, deshalb nicht unter die in dieser Bestimmung niedergelegte Ausnahme fallen und vielmehr dem Recht auf Zugang zu Dokumenten unterliegen“.

22

Infolgedessen hat das Gericht in Rn. 83 des angefochtenen Urteils entschieden, dass „Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 AEUV … der Einbeziehung der in Rede stehenden Schriftsätze in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1049/2001 nicht entgegen[steht]“, bevor es die verschiedenen Argumente der Kommission zurückgewiesen hat, wonach zum einen für diese Prüfung zwischen den Schriftsätzen der Kommission und denen der Mitgliedstaaten zu unterscheiden sei und zum anderen Sonderbestimmungen über den Zugang zu Gerichtsdokumenten ins Leere liefen und ausgehebelt würden, wenn nach dieser Verordnung der Zugang zu von einem Mitgliedstaat für ein Gerichtsverfahren erstellten Schriftsätzen gewährt werden müsste.

23

Zu diesen Argumenten hat das Gericht in Rn. 92 des angefochtenen Urteils erstens ausgeführt, dass im Hinblick auf den unterschiedlichen Kontext der Rechtssache, in der das Urteil vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission (C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P, EU:C:2010:541), ergangen sei – Verbreitung von Kommissionsschriftsätzen im Zusammenhang mit anhängigen Gerichtsverfahren –, und der vorliegenden Rechtssache die Erwägungen zur Waffengleichheit, wie sie in den Rn. 86 und 87 des angefochtenen Urteils dargestellt seien, vorliegend irrelevant seien.

24

Zweitens hat das Gericht zum einen in Rn. 102 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass der Gerichtshof im Urteil vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission (C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P, EU:C:2010:541), bei der Auslegung der Ausnahme zum Schutz von Gerichtsverfahren nach Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 die Anwendbarkeit dieser Verordnung auf die Schriftsätze der Kommission implizit anerkannt habe. Zum anderen hat das Gericht in den Rn. 103 bis 105 des angefochtenen Urteils hervorgehoben, dass die Einbeziehung der in Rede stehenden Schriftsätze in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1049/2001 keine Beeinträchtigung des Zwecks der Sonderbestimmungen über den Zugang zu Dokumenten betreffend Gerichtsverfahren zur Folge habe, da der Schutz dieser Verfahren gegebenenfalls durch Anwendung der Ausnahme nach Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 gewährleistet werden könne.

25

Bezüglich der Kosten war das Gericht schließlich der Ansicht, dass die von Herrn Breyer im Internet vorgenommene Veröffentlichung der Klagebeantwortung der Kommission sowie des Schriftverkehrs zwischen ihm und der Kommission über diese Veröffentlichung eine unangemessene Verwendung der Verfahrensunterlagen dargestellt habe, die eine hälftige Teilung der Herrn Breyer entstandenen Kosten zwischen ihm und der Kommission rechtfertige.

Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

26

Mit Beschlüssen des Präsidenten des Gerichtshofs vom 3. September und 6. Oktober 2015 sind das Königreich Spanien und die Französische Republik als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen worden.

27

Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Kommission, das angefochtene Urteil aufzuheben und in der Sache abschließend zu entscheiden, dass die Klage abgewiesen wird und Herrn Breyer die Kosten auferlegt werden.

28

Herr Breyer, die Republik Finnland und das Königreich Schweden beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

Vorbringen der Parteien

29

Mit ihrem einzigen Rechtsmittelgrund macht die Kommission geltend, das Gericht habe rechtsfehlerhaft entschieden, dass Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 AEUV der Anwendung der Verordnung Nr. 1049/2001 auf einen Antrag auf Zugang zu im Besitz der Kommission befindlichen Dokumenten, die – wie die in Rede stehenden Schriftsätze – ein Mitgliedstaat im Hinblick auf ein Gerichtsverfahren erstellt habe, nicht wegen des besonderen Wesens dieser Schriftsätze entgegenstehe.

30

Nach Ansicht der Kommission hat ein von einem Unionsorgan bei den Unionsgerichten eingereichter Schriftsatz eine „Doppelnatur“, da er zugleich dem allgemeinen Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Organe nach Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 1 AEUV und der Ausnahmeregelung für Dokumente im Zusammenhang mit der Rechtsprechungstätigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union nach Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 AEUV unterfalle. Der Gerichtshof habe dieser „Doppelnatur“ Rechnung getragen, als er unter dem Blickwinkel der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang zu den Schriftsätzen der Kommission in der Rechtssache, in der das Urteil vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission (C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P, EU:C:2010:541), ergangen sei, befunden habe. Dagegen kommt nach Ansicht der Kommission den im Zusammenhang mit der Rechtsprechungstätigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union stehenden Dokumenten, die nicht von einem Organ erstellt worden seien, nicht diese „Doppelnatur“ zu. Die vorliegende Rechtssache sei in einen anderen Kontext als denjenigen eingebettet, der zum Erlass dieses Urteils geführt habe, und dies sowohl in tatsächlicher Hinsicht, da es sich um von einem Mitgliedstaat erstellte Schriftsätze handele, als auch in rechtlicher Hinsicht, da sich der rechtliche Rahmen mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon geändert habe.

31

In Bezug auf den letztgenannten Gesichtspunkt hebt die Kommission hervor, dass Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 AEUV ein Verbot für den Unionsgesetzgeber begründe, das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe durch eine auf Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 2 AEUV gestützte Verordnung auf Dokumente im Zusammenhang mit der Rechtsprechungstätigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union auszudehnen. Die Kommission trägt zwar nicht vor, dass die Verordnung Nr. 1049/2001 ungültig sei, und räumt ein, dass sich die Gültigkeit von Unionsrechtsakten nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihres Erlasses bemesse. Gleichwohl war ihrer Ansicht nach das Gericht im Hinblick auf Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 AEUV verpflichtet, Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 eng auszulegen, und zwar in dem Sinne, dass diese Verordnung auf andere als von einem Organ erstellte Dokumente im Zusammenhang mit der Rechtsprechungstätigkeit der Unionsgerichte keine Anwendung finde.

32

Das Königreich Spanien und die Französische Republik unterstützen das Vorbringen der Kommission, während Herr Breyer, unterstützt durch die Republik Finnland und das Königreich Schweden, Streithelfer im ersten Rechtszug, die gegenteilige Auffassung vertritt.

Würdigung durch den Gerichtshof

33

Vorab ist festzustellen, dass die Kommission mit ihrem alleinigen Rechtsmittelgrund die Beurteilung des Gerichts bezüglich der Anwendbarkeit selbst der Verordnung Nr. 1049/2001 auf den von Herrn Breyer bei ihr eingereichten Antrag auf Zugang zu den betreffenden Schriftsätzen beanstandet, ohne auf die davon zu unterscheidende, dem Gerichtshof im Rahmen dieses Rechtsmittels nicht unterbreitete Frage einzugehen, ob der Zugang zu diesen Schriftsätzen nach den Bestimmungen dieser Verordnung zu gewähren oder gegebenenfalls zu verweigern wäre.

34

Der Rechtsmittelgrund betrifft die Auswirkungen, die Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 AEUV auf die Auslegung des Anwendungsbereichs der Verordnung Nr. 1049/2001 hat. Bevor die Stichhaltigkeit der von der Kommission angeführten Argumente beurteilt wird, ist als Erstes der Anwendungsbereich der Verordnung, wie er sich aus ihr selbst ergibt, zu untersuchen.

35

Die Verordnung Nr. 1049/2001 gilt nach ihrem Art. 2 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 1 Buchst. a für alle Dokumente des Parlaments, des Rates und der Kommission, d. h. für Dokumente aus allen Tätigkeitsbereichen der Union, die von diesen Organen erstellt wurden oder bei ihnen eingegangen sind und sich in ihrem Besitz befinden. Nach Art. 3 Buchst. a der Verordnung bedeutet „Dokument“„Inhalte unabhängig von der Form des Datenträgers…, die einen Sachverhalt im Zusammenhang mit den Politiken, Maßnahmen oder Entscheidungen aus dem Zuständigkeitsbereich des Organs betreffen“.

36

Hinzuzufügen ist, dass Art. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1049/2001 ausdrücklich vorsieht, dass das Recht auf Zugang zu den Dokumenten des Parlaments, des Rates und der Kommission nicht nur die von diesen Organen selbst erstellten Dokumente umfasst, sondern auch die Dokumente, die sie von Dritten erhalten haben, zu denen sowohl die anderen Einrichtungen der Union als auch die Mitgliedstaaten zählen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:802, Rn. 55).

37

Der Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1049/2001 ist somit festgelegt unter Bezugnahme auf die dort aufgeführten Organe und nicht anhand spezifischer Kategorien von Dokumenten, und auch nicht, wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:802, Rn. 56), anhand des Verfassers des Dokuments, das sich im Besitz eines dieser Organe befindet.

38

In diesem Zusammenhang schließt der Umstand, dass die im Besitz eines der Organe im Sinne der Verordnung Nr. 1049/2001 befindlichen Dokumente von einem Mitgliedstaat erstellt worden sind und im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren stehen, nicht aus, dass sie in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen. Zum einen bedeutet nämlich die Tatsache, dass die Verordnung Nr. 1049/2001 nicht auf Anträge auf Zugang zu Dokumenten anwendbar ist, die sich im Besitz des Gerichtshofs der Europäischen Union befinden, nicht, dass mit der Rechtsprechungstätigkeit des Gerichtshofs in Zusammenhang stehende Dokumente grundsätzlich vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen wären, wenn sie sich im Besitz der in der Verordnung aufgezählten Unionsorgane, wie der Kommission, befinden.

39

Zum anderen hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Schutz der legitimen Interessen der Mitgliedstaaten in Bezug auf solche Dokumente mit den in der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten gesichert werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:802, Rn. 83).

40

Die Verordnung Nr. 1049/2001 enthält insoweit Bestimmungen, mit denen die aufgrund öffentlicher oder privater Interessen geltenden objektiven Einschränkungen festgelegt werden, die eine Ablehnung der Verbreitung von Dokumenten rechtfertigen können (Urteil vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:802, Rn. 57). Zu diesen Bestimmungen gehört insbesondere Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich dieser Verordnung, wonach Organe den Zugang zu einem Dokument u. a. in dem Fall verweigern, dass durch seine Verbreitung der Schutz von Gerichtsverfahren beeinträchtigt würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

41

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Urteil vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission (C‑514/07 P, C‑528/07 P et C‑532/07 P, EU:C:2010:541), anerkannt hat, dass eine allgemeine Vermutung dafür besteht, dass die Verbreitung der von einem Organ in einem gerichtlichen Verfahren eingereichten Schriftsätze den Schutz eines Gerichtsverfahrens im Sinne von Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 beeinträchtigt, solange das Verfahren anhängig ist. Diese allgemeine Vertraulichkeitsvermutung gilt auch für die von einem Mitgliedstaat in einem Gerichtsverfahren eingereichten Schriftsätze.

42

Wie der Gerichtshof festgestellt hat, schließt eine solche Vermutung allerdings nicht das Recht des Beteiligten aus, darzulegen, dass die Vermutung für ein bestimmtes Dokument, um dessen Verbreitung ersucht wird, nicht gilt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission, C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P, EU:C:2010:541, Rn. 103)

43

Was überdies die von einem Mitgliedstaat erstellten Schriftsätze anbelangt, ist – wie das Gericht dies in Rn. 97 des angefochtenen Urteils unter Heranziehung der einschlägigen Rechtsprechung getan hat – darauf hinzuweisen, dass Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001, wonach ein Mitgliedstaat das Organ ersuchen kann, ein aus diesem Mitgliedstaat stammendes Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung zu verbreiten, dem betroffenen Mitgliedstaat die Möglichkeit eröffnet, sich an der Entscheidung zu beteiligen, die das Organ zu erlassen hat, und zu diesem Zweck einen Entscheidungsprozess vorsieht, damit festgestellt werden kann, ob die in Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 aufgezählten materiellen Ausnahmen der Gewährung des Zugangs zu dem betreffenden Dokument entgegenstehen; dies schließt im Hinblick auf ein Gerichtsverfahren erstellte Schriftsätze ein. Allerdings verleiht Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 dem Mitgliedstaat kein allgemeines und unbedingtes Vetorecht, aufgrund dessen er der Verbreitung von im Besitz eines Organs befindlichen Dokumenten, die von ihm stammen, nach freiem Ermessen widersprechen könnte.

44

Im vorliegenden Fall wird nicht bestritten, dass sich die betreffenden Schriftsätze im Besitz der Kommission befinden. Wie das Gericht ferner in den Rn. 51 und 52 des angefochtenen Urteils zu Recht festgestellt hat, hat der Umstand, dass die Kommission die Schriftsätze vom Gerichtshof der Europäischen Union und nicht von dem betroffenen Mitgliedstaat erhalten hat, keine Auswirkungen auf die Feststellung der Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 1049/2001.

45

Der von der Kommission geltend gemachte Umstand, dass weder die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union noch die Verfahrensordnungen der Unionsgerichte ein Recht Dritter auf Zugang zu den im Rahmen von Gerichtsverfahren eingereichten Schriftsätzen vorsähen, kann zwar bei der Auslegung der Ausnahmeregelung des Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 zu berücksichtigen sein (vgl. Urteil vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission, C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P, EU:C:2010:541, Rn. 100). Dagegen kann er nicht zur Unanwendbarkeit der Verordnung auf Anträge auf Zugang zu Schriftsätzen führen, die ein Mitgliedstaat im Hinblick auf ein Gerichtsverfahren vor den Unionsgerichten erstellt hat und die sich im Besitz der Kommission befinden.

46

Die in Rede stehenden Schriftsätze der Mitgliedstaaten fallen daher nach der Verordnung Nr. 1049/2001 als „Dokumente eines Organs“ im Sinne von Art. 2 Abs. 3 dieser Verordnung in deren Anwendungsbereich.

47

Was als Zweites das Vorbringen der Kommission betrifft, der Unionsgesetzgeber sei durch den mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon in das Primärrecht eingefügten Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 AEUV daran gehindert, ein Recht auf Zugang zu anderen als von einem Organ erstellten Dokumenten im Zusammenhang mit der Rechtsprechungstätigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union vorzusehen, so dass die einzig zulässige Auslegung von Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 darin bestehe, diese Dokumente vom Anwendungsbereich der Verordnung auszuschließen, sind die Systematik und die Ziele von Art. 15 Abs. 3 AEUV zu prüfen.

48

Nach Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 AEUV gilt die Regelung in Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 1 AEUV über den Zugang zu Dokumenten der Organe für den Gerichtshof der Europäischen Union nur dann, wenn er Verwaltungsaufgaben wahrnimmt. Daraus ergibt sich, dass die Bedingungen für den Zugang zu im Besitz dieses Organs befindlichen Dokumenten, die im Zusammenhang mit seiner Rechtsprechungstätigkeit stehen, nicht durch Verordnungen gemäß Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 2 AEUV festgelegt werden können, wobei überdies der Zugang zu Dokumenten administrativer Natur des Gerichtshofs der Europäischen Union in dessen Beschluss vom 11. Dezember 2012 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten, die vom Gerichtshof der Europäischen Union in Wahrnehmung seiner Verwaltungsaufgaben verwahrt werden (ABl. 2013, C 38, S. 2), geregelt ist, an dessen Stelle ein Beschluss vom 11. Oktober 2016 (ABl. 2016, C 445, S. 3) getreten ist.

49

Dass die Regelung über den Zugang zu Dokumenten in Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 1 AEUV auf den Gerichtshof der Europäischen Union, wenn er Rechtsprechungsaufgaben wahrnimmt, nicht anwendbar ist, steht der Anwendung dieser Regelung auf ein Organ wie die Kommission, für das die Bestimmungen des Art. 15 Abs. 3 AEUV und der Verordnung Nr. 1049/2001 uneingeschränkt gelten, nicht entgegen, wenn dieses Organ im Besitz von Dokumenten ist, die, wie die in Rede stehenden Schriftsätze, von einem Mitgliedstaat im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren erstellt wurden.

50

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon klargestellt hat, dass mit dem an die Stelle von Art. 255 EG getretenen Art. 15 AEUV der Anwendungsbereich des Transparenzgrundsatzes im Unionsrecht ausgedehnt wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission, C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P, EU:C:2010:541, Rn. 81).

51

Im Unterschied zu Art. 255 EG, dessen Anwendungsbereich auf Dokumente des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission beschränkt war, besteht nämlich nach Art. 15 Abs. 3 AEUV nunmehr ein Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union – einschließlich Gerichtshof der Europäischen Union, Europäische Zentralbank und Europäische Investitionsbank, wenn sie Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Entgegen dem, was die Kommission im Wesentlichen vorträgt, spricht nichts dafür, dass die Ausdehnung dieses Rechts auf die Verwaltungstätigkeit der Letztgenannten mit der Einführung einer wie auch immer gearteten Beschränkung des Anwendungsbereichs der Verordnung Nr. 1049/2001 in Bezug auf von einem Mitgliedstaat stammende Dokumente wie die in Rede stehenden Schriftsätze einhergegangen wäre, die sich im Zusammenhang mit einem Gerichtsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union im Besitz der Kommission befinden.

52

Die weite Auslegung des Grundsatzes des Zugangs zu Dokumenten der Organe der Union wird darüber hinaus zum einen durch Art. 15 Abs. 1 AEUV untermauert, der u. a. vorsieht, dass die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter weitestgehender Beachtung des Grundsatzes der Offenheit handeln, eines Grundsatzes, der auch in Art. 1 Abs. 2 EUV und Art. 298 AEUV bekräftigt wird, sowie zum anderen durch die Verbürgung des Rechts auf Zugang zu Dokumenten in Art. 42 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Im Hinblick auf diese primärrechtlichen Bestimmungen, in denen das Ziel einer offenen europäischen Verwaltung verankert ist, kann Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 AEUV entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht dahin ausgelegt werden, dass er eine enge Auslegung des Anwendungsbereichs der Verordnung Nr. 1049/2001 verlangt, die zur Folge hätte, dass von einem Mitgliedstaat erstellte Dokumente wie die in Rede stehenden Schriftsätze nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fielen, wenn sie sich im Besitz der Kommission befinden.

53

Zu der von der Kommission herausgestellten Gefahr einer Umgehung der in Rn. 45 des vorliegenden Urteils genannten Verfahrensvorschriften ist darauf hinzuweisen, dass die den Zugang zu Dokumenten, die im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren stehen, betreffenden Einschränkungen, ob sie in Art. 255 EG, an dessen Stelle Art. 15 AEUV getreten ist, oder in der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehen sind, denselben Zweck verfolgen, nämlich zu gewährleisten, dass der Zugang zu Dokumenten der Organe ausgeübt wird, ohne den Schutz von Gerichtsverfahren zu beeinträchtigen, wobei dieser Schutz insbesondere darauf gerichtet ist, dass die Grundsätze der Waffengleichheit und der geordneten Rechtspflege gewahrt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission, C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P, EU:C:2010:541, Rn. 84 und 85).

54

Da die Verordnung Nr. 1049/2001 es ermöglicht, die Verbreitung von Dokumenten abzulehnen, die im Zusammenhang mit Verfahren vor den Unionsgerichten stehen, und damit, den Schutz dieser Gerichtsverfahren zu gewährleisten, wie sich aus den Rn. 40 bis 42 des vorliegenden Urteils ergibt, ist davon auszugehen, dass Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 AEUV entgegen dem Vorbringen der Kommission keine Auslegung verlangt, wonach von einem Mitgliedstaat erstellte Schriftsätze, die sich im Besitz der Kommission befinden, wie die in Rede stehenden Schriftsätze, vom Anwendungsbereich dieser Verordnung zwangsläufig auszuschließen sind. Da nämlich der Schutz von Gerichtsverfahren somit im Einklang mit der Zweckbestimmung des Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 AEUV gesichert ist, kann die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung nicht gefährdet sein.

55

Das Gericht war daher insbesondere in Rn. 80 des angefochtenen Urteils zu Recht der Auffassung, dass die in Rede stehenden Schriftsätze ebenso wie die von der Kommission selbst erstellten Schriftsätze nicht unter die Ausnahme vom Recht auf Zugang zu Dokumenten in Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 AEUV fielen.

56

Infolgedessen hat das Gericht keinen Rechtsfehler begangen, als es in Rn. 113 des angefochtenen Urteils angenommen hat, dass die in Rede stehenden Schriftsätze in den Anwendungsbereich von Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 fielen, und deswegen den Beschluss der Kommission vom 3. April 2012, mit dem diese es abgelehnt hatte, Herrn Breyer Zugang zu diesen Schriftsätzen zu gewähren, für nichtig erklärt hat.

57

Das Rechtsmittel der Kommission ist folglich zurückzuweisen.

Kosten

58

Der Gerichtshof entscheidet nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist.

59

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

60

Nach Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, jede Partei ihre eigenen Kosten. Der Gerichtshof kann jedoch entscheiden, dass eine Partei außer ihren eigenen Kosten einen Teil der Kosten der Gegenpartei trägt, wenn dies in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt erscheint.

61

Auch wenn dem Rechtsmittel der Kommission nicht stattgegeben worden ist, steht vorliegend fest, dass Herr Breyer, der beantragt hat, der Kommission die Kosten aufzuerlegen, im Internet anonymisierte Fassungen der im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens gewechselten Schriftsätze veröffentlicht hat.

62

Wie sich aus Art. 171 Abs. 1 der Verfahrensordnung ergibt, wird die Rechtsmittelschrift den anderen Parteien der betreffenden Rechtssache vor dem Gericht zugestellt. Die Verfahrensunterlagen, die so den Parteien des Verfahrens vor dem Gerichtshof übermittelt werden, sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Demnach stellt die nicht genehmigte Veröffentlichung der auf das vorliegende Verfahren bezogenen Schriftsätze durch Herrn Breyer eine unangemessene Verwendung von Verfahrensunterlagen dar, die der geordneten Rechtspflege schaden kann und der bei der Aufteilung der Kosten im Rahmen des vorliegenden Verfahrens Rechnung zu tragen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission, C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P, EU:C:2010:541, Rn. 92, 93 und 97 bis 99).

63

Unter diesen Umständen sind der Kommission neben ihren eigenen Kosten die Hälfte der Herrn Breyer im Zusammenhang mit dem vorliegenden Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten aufzuerlegen, während Herr Breyer die andere Hälfte dieser Kosten zu tragen hat.

64

Im Übrigen beanstandet Herr Breyer in seiner Rechtsmittelbeantwortung die in Rn. 119 des angefochtenen Urteils enthaltenen Erwägungen des Gerichts bezüglich der Aufteilung der Kosten im ersten Rechtszug insbesondere deshalb, weil das Gericht davon ausgegangen ist, dass eine Partei, die Zugang zu den Verfahrensschriftstücken der anderen Parteien habe, von ihnen nur für die Vertretung ihrer eigenen Interessen und zu keinem anderen Zweck Gebrauch machen dürfe, wie etwa dem, die Öffentlichkeit zur Kritik am Vorbringen der anderen Verfahrensbeteiligten zu bewegen. Insoweit genügt der Hinweis darauf, dass nach Art. 174 der Verfahrensordnung die Anträge der Rechtsmittelbeantwortung auf die vollständige oder teilweise Stattgabe oder Zurückweisung des Rechtsmittels gerichtet sein müssen.

65

Da die Rechtsmittelanträge der Kommission aber nicht auf die Frage der Aufteilung der Kosten im angefochtenen Urteil gerichtet sind, ist dieser Antrag von Herrn Breyer unzulässig.

66

Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Vorliegend ist zu entscheiden, dass das Königreich Spanien, die Französische Republik, die Republik Finnland und das Königreich Schweden ihre eigenen im Zusammenhang mit dem vorliegenden Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten tragen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

 

2.

Die Europäische Kommission trägt neben ihren eigenen Kosten die Hälfte der Herrn Patrick Breyer entstandenen Kosten.

 

3.

Das Königreich Spanien, die Französische Republik, die Republik Finnland und das Königreich Schweden tragen ihre eigenen Kosten.

 

Lenaerts

Tizzano

Silva de Lapuerta

Bay Larsen

von Danwitz

Juhász

Berger

Prechal

Vilaras

Rosas

Borg Barthet

Šváby

Jarašiūnas

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 18. Juli 2017.

Der Kanzler

Der Präsident

A. Calot Escobar

K. Lenaerts


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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