Urteil vom Europäischer Gerichtshof - T-45/16

URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)

18. Juli 2017 ( *1 )

„Unionsmarke – Widerspruchsverfahren – Anmeldung der Unionsbildmarke BYRON – Nicht eingetragene ältere Marke BYRON – Relatives Eintragungshindernis – Art. 8 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Regeln des Common Law für die Klage wegen Kennzeichenverletzung (action for passing off) – ‚Goodwill‘ – Nachweis des Erwerbs und des Fortbestands des älteren Rechts“

In der Rechtssache T‑45/16

Nelson Alfonso Egüed, wohnhaft in Madrid (Spanien), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt N. Fernández Fernández-Pacheco,

Kläger,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch J. Ivanauskas als Bevollmächtigten,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO:

Jackson Family Farms LLC mit Sitz in Santa Rosa, Kalifornien (Vereinigte Staaten),

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des EUIPO vom 16. November 2015 (Sache R 822/2015‑2) zu einem Widerspruchsverfahren zwischen Jackson Family Farms und Herrn Alfonso Egüed

erlässt

DAS GERICHT (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin I. Pelikánová sowie der Richter V. Valančius und U. Öberg (Berichterstatter),

Kanzler: E. Coulon,

aufgrund der am 1. Februar 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 1. April 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung,

aufgrund der schriftlichen Frage des Gerichts an die Parteien und ihrer am 14. und 15. Februar 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Antworten auf diese Frage,

aufgrund des Umstands, dass keine der Hauptparteien innerhalb der Frist von drei Wochen, nachdem die Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens erfolgt ist, einen Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung gestellt hat, und des gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Die vorliegende Rechtssache betrifft die Frage, ob das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) in einer Entscheidung, gegen die Beschwerde erhoben wurde, zutreffend feststellte, dass das Recht des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland es dem einer Anmeldung einer Unionsmarke Widersprechenden hypothetisch erlauben würde, vor den Gerichten des Vereinigten Königreichs die Benutzung der jüngeren Marke mittels einer Klage wegen Kennzeichenverletzung (passing off) zu untersagen. Die Rechtssache wirft insbesondere die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung des Erwerbs und des Fortbestands des älteren Rechts, im vorliegenden Fall des „Goodwill“ (Anziehungskraft auf Kunden), auf.

Vorgeschichte des Rechtsstreits

2

Am 23. Januar 2012 meldete der Kläger, Herr Nelson Alfonso Egüed, nach der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1) beim EUIPO eine Unionsmarke an.

3

Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um folgendes Bildzeichen:

Image

4

Die Marke wurde u. a. für „Weine und alkoholische Getränke aller Art (ausgenommen Biere)“ in Klasse 33 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet.

5

Die Anmeldung der Unionsmarke wurde im Blatt für Gemeinschaftsmarken Nr. 56/2012 vom 21. März 2012 veröffentlicht.

6

Am 21. Juni 2012 erhob die Jackson Family Farms LLC, eine Gesellschaft amerikanischen Rechts, nach Art. 41 der Verordnung Nr. 207/2009 gegen die Eintragung der angemeldeten Marke für die oben in Rn. 4 genannten Waren Widerspruch.

7

Nach seiner Einschränkung während des Verfahrens vor dem EUIPO wurde der Widerspruch auf die nicht eingetragene ältere Marke BYRON gestützt, die im geschäftlichen Verkehr für die Bezeichnung von Weinen benutzt wird.

8

Als Widerspruchsgründe wurden die des Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009 und der unerlaubten Handlung der Kennzeichenverletzung (passing off) nach dem Recht des Vereinigten Königreichs geltend gemacht.

9

Am 27. Februar 2015 gab die Widerspruchsabteilung dem Widerspruch statt.

10

Am 24. April 2015 legte der Kläger beim EUIPO Beschwerde nach den Art. 58 bis 64 der Verordnung Nr. 207/2009 gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung ein.

11

Mit Entscheidung vom 16. November 2015 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Zweite Beschwerdekammer des EUIPO die Beschwerde zurück.

12

Insbesondere sah die Beschwerdekammer die von Jackson Family Farms vorgelegten Beweismittel als hinreichend für den Nachweis an, dass die nicht eingetragene Marke BYRON im geschäftlichen Verkehr benutzt werde und im Vereinigten Königreich nicht lediglich von örtlicher Bedeutung sei.

13

Die Beschwerdekammer nahm auch an, dass diese Beweismittel zusammen geprüft belegten, dass Jackson Family Farms zum maßgeblichen Zeitpunkt ernsthafte geschäftliche Tätigkeiten in Bezug auf die unter der Marke BYRON verkauften Weine ausgeübt habe und folglich ein „Goodwill“ nachgewiesen worden sei.

14

Außerdem bestätigte die Beschwerdekammer zur Gänze die Feststellung der Widerspruchsabteilung, wonach unter Berücksichtigung der Identität der in Rede stehenden Waren und der bestehenden Ähnlichkeiten zwischen den in Rede stehenden Zeichen die Gefahr bestehe, dass die Waren des Klägers mit denjenigen von Jackson Family Farms verwechselt würden.

15

Die Beschwerdekammer gelangte schließlich zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall die irreführende Präsentationsweise einen Schaden in dem Sinne verursache, dass Jackson Family Farms Umsätze verliere, da der Verbraucher irrtümlich die Waren des Klägers in der Annahme kaufe, sie stammten von Jackson Family Farms.

Anträge der Beteiligten

16

Der Kläger beantragt,

die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

seinem Antrag auf Eintragung der Unionsmarke für alle Waren in den Klassen 18, 25 und 33 stattzugeben;

Jackson Family Farms die Kosten aufzuerlegen.

17

Das EUIPO beantragt,

die Aufhebungsklage in vollem Umfang abzuweisen;

dem Kläger die dem EUIPO entstandenen Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

Zur Zulässigkeit des zweiten Klageantrags

18

Der zweite Klageantrag kann dahin verstanden werden, dass mit ihm die Abänderung der angefochtenen Entscheidung durch das Gericht in dem Sinne begehrt wird, dass die angemeldete Marke eingetragen werde.

19

Die insoweit zuständigen Stellen des EUIPO erlassen jedoch keine förmliche Entscheidung, mit der die Eintragung einer Unionsmarke festgestellt würde und gegen die eine Beschwerde eingelegt werden könnte. Folglich ist die Beschwerdekammer für einen Antrag, der dahin geht, dass sie eine Unionsmarke einträgt, nicht zuständig.

20

Unter diesen Umständen ist es auch nicht Sache des Gerichts, über einen Antrag zu entscheiden, der dahin geht, dass dieses die Entscheidung einer Beschwerdekammer in diesem Sinne abändere (Beschluss vom 30. Juni 2009, Securvita/HABM [Natur-Aktien-Index], T‑285/08, EU:T:2009:230, Rn. 17 und 20 bis 23; Urteile vom 15. Dezember 2011, Mövenpick/HABM [PASSIONATELY SWISS], T‑377/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:753, Rn. 11, und vom 28. November 2013, Vitaminaqua/HABM – Energy Brands [vitaminaqua], T‑410/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:615, Rn. 17).

21

Der zweite Klageantrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

Zur Begründetheit

22

Der Kläger macht als einzigen Klagegrund einen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009 geltend.

Vorbemerkungen

– Zur Verweisung auf das Recht des Mitgliedstaats, das für das geltend gemachte Kennzeichenrecht maßgeblich ist

23

Nach Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009 kann der Inhaber einer nicht eingetragenen Marke der Eintragung einer Unionsmarke widersprechen, wenn diese nicht eingetragene Marke vier Voraussetzungen erfüllt. Die nicht eingetragene Marke muss im geschäftlichen Verkehr benutzt werden, sie muss von mehr als lediglich örtlicher Bedeutung sein, das Recht an dieser Marke muss nach dem Recht des Mitgliedstaats erworben worden sein, in dem die Marke vor dem Tag der Anmeldung der Unionsmarke benutzt wurde, und diese Marke muss schließlich ihrem Inhaber die Befugnis verleihen, die Benutzung einer jüngeren Marke zu untersagen.

24

Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen, so dass, wenn eine Marke eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt, dem auf eine ältere, nicht eingetragene und im geschäftlichen Verkehr benutzte Marke im Sinne von Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009 gestützten Widerspruch der Erfolg versagt bleibt (Urteil vom 30. Juni 2009, Danjaq/HABM – Mission Productions [Dr. No], T‑435/05, EU:T:2009:226, Rn. 35).

25

Die beiden ersten Voraussetzungen, d. h. diejenigen der Benutzung und der nicht lediglich örtlichen Bedeutung der älteren Marke, ergeben sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009 und sind daher im Licht des Unionsrechts auszulegen.

26

So stellt die Verordnung Nr. 207/2009 einheitliche Maßstäbe für die Benutzung der Zeichen und ihre Bedeutung auf, die mit den Grundsätzen in Einklang stehen, die dem durch diese Verordnung aufgestellten System zugrunde liegen (Urteil vom 24. März 2009, Moreira da Fonseca/HABM – General Óptica [GENERAL OPTICA], T‑318/06 bis T‑321/06, EU:T:2009:77, Rn. 33).

27

Hingegen ergibt sich aus dem Satzteil „wenn und soweit nach dem für den Schutz des Kennzeichens maßgeblichen Recht … des Mitgliedstaats“ in Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009, dass die beiden anderen von dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen im Unterschied zu den vorigen nach den Kriterien des Rechts zu beurteilen sind, dem das geltend gemachte Kennzeichen unterliegt.

28

Der Kläger sieht die Verweisung auf die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten als „überraschend“ an und ist der Ansicht, dass die Anwendung fremden Rechts „unbillige Bedingungen“ zwischen den Parteien schaffe.

29

Zum einen ist jedoch diese Verweisung auf das Recht, dem das geltend gemachte Kennzeichen unterliegt, durch die Tatsache gerechtfertigt, dass die Verordnung Nr. 207/2009 für außerhalb des Systems der Unionsmarke stehende Zeichen die Möglichkeit einräumt, sie gegen eine Unionsmarke anzuführen. Somit lässt sich nur anhand des mitgliedstaatlichen Rechts, dem das geltend gemachte Zeichen unterliegt, feststellen, ob dieses älter als die Unionsmarke ist und ob es das Verbot der Benutzung einer jüngeren Marke rechtfertigen kann (Urteil vom 24. März 2009, GENERAL OPTICA, T‑318/06 bis T‑321/06, EU:T:2009:77, Rn. 34).

30

Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass mehrere Elemente sicherstellen sollen, dass diese Verweisung den Anforderungen des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes genügt.

31

Zunächst liegt nach Art. 76 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 die Beweislast dafür, dass nach dem für den Schutz des geltend gemachten Kennzeichens nach Art. 8 Abs. 4 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 maßgeblichen Recht des Mitgliedstaats dieses Zeichen seinem Inhaber das Recht verleiht, die Benutzung einer jüngeren Marke zu untersagen, beim Widersprechenden vor dem EUIPO. Der Widersprechende hat auf der Grundlage der für den Widerspruch geltend gemachten innerstaatlichen Regelung und den im betreffenden Mitgliedstaat ergangenen Gerichtsentscheidungen nachzuweisen, dass das in Rede stehende Kennzeichen in den Anwendungsbereich des geltend gemachten Rechts des Mitgliedstaats fällt und es erlauben würde, die Benutzung einer jüngeren Marke zu untersagen (Urteil vom 29. März 2011, Anheuser-Busch/Budějovický Budvar, C‑96/09 P, EU:C:2011:189, Rn. 188 bis 190).

32

Im vorliegenden Fall lag daher die Beweislast dafür, dass nach dem maßgeblichen Recht des Mitgliedstaats das geltend gemachte Zeichen seinem Inhaber das Recht gibt, die Benutzung einer jüngeren Marke zu untersagen, bei der Widersprechenden.

33

Außerdem können das EUIPO und das Gericht die Erheblichkeit der Belege überprüfen, die der Widersprechende beibringt, um den ihm obliegenden Beweis für den Inhalt des nationalen Rechts zu führen (siehe entsprechend Urteil vom 27. März 2014, HABM/National Lottery Commission, C‑530/12 P, EU:C:2014:186, Rn. 41).

34

So sind die in einem ersten Schritt zur Entscheidung berufenen zuständigen Stellen des EUIPO nicht auf die Rolle beschränkt, das nationale Recht, wie es vom Widersprechenden dargestellt wird, lediglich zu bestätigen. Das EUIPO kann sich von Amts wegen über das nationale Recht des betreffenden Mitgliedstaats informieren, soweit entsprechende Kenntnisse für die Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen eines geltend gemachten Widerspruchsgrundes und vor allem für die Würdigung der vorgetragenen Tatsachen oder der Beweiskraft der vorgelegten Unterlagen erforderlich sind (siehe entsprechend Urteile vom 27. März 2014, HABM/National Lottery Commission, C‑530/12 P, EU:C:2014:186, Rn. 43 und 45, und vom 5. April 2017, EUIPO/Szajner, C‑598/14 P, EU:C:2017:265, Rn. 36).

35

Das Gericht, das in einem zweiten Schritt eine gerichtliche Kontrolle durchführt, muss für eine effektive Kontrolle über die vorgelegten Dokumente hinaus den Inhalt, die Tatbestandsvoraussetzungen und die Tragweite der vom Widersprechenden geltend gemachten Rechtsvorschriften prüfen dürfen (siehe entsprechend Urteile vom 27. März 2014, HABM/National Lottery Commission, C‑530/12 P, EU:C:2014:186, Rn. 44, und vom 5. April 2017, EUIPO/Szajner, C‑598/14 P, EU:C:2017:265, Rn. 38). Die gerichtliche Kontrolle würde nämlich ihre Substanz verlieren, wenn der Unionsrichter sich mit den Unterlagen begnügen müsste, die vom Widersprechenden beigebracht wurden, mit der Gefahr einer falschen Anwendung oder einer fehlerhaften Auslegung der anwendbaren Normen.

36

Selbst wenn der Widersprechende Dokumente vorlegte, die eine unvollständige oder irreführende Darstellung des anwendbaren nationalen Rechts enthielten, würde daher der anderen Partei kein Schaden entstehen, da sowohl das EUIPO als auch das Gericht sich von Amts wegen über das nationale Recht des betreffenden Mitgliedstaats informieren können. Die Anwendung des Rechts eines Mitgliedstaats schafft daher keine „unbilligen Bedingungen“ zwischen den Parteien.

– Zum Verhältnis zwischen der Benutzung im geschäftlichen Verkehr von mehr als lediglich örtlicher Bedeutung und dem „Goodwill“

37

In der angefochtenen Entscheidung sah die Beschwerdekammer die beiden ersten Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009, nämlich diejenigen betreffend die Benutzung und die mehr als lediglich örtliche Bedeutung der älteren Marke, als erfüllt an.

38

Der Kläger hat gegen die angefochtene Entscheidung keine Klage erhoben, soweit in dieser angenommen wurde, dass die nicht eingetragene Marke BYRON von Jackson Family Farms vor der Anmeldung der angefochtenen Marke im geschäftlichen Verkehr im Zusammenhang mit Weinen benutzt wurde und diese Benutzung von mehr als lediglich örtlicher Bedeutung war.

39

Hingegen macht er einen einzigen Klagegrund geltend, der eine der drei Voraussetzungen betrifft, die die „klassische Dreifaltigkeit“ der unerlaubten Handlung der Kennzeichenverletzung bilden, nämlich den „Goodwill“.

40

Der Streitgegenstand umfasst somit nicht eine Beurteilung der zwei ersten Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009.

41

Im vorliegenden Fall muss sich daher die Prüfung des Gerichts auf die Frage beziehen, ob die Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung zutreffend feststellte, dass das Recht des Vereinigten Königreichs der Widersprechenden hypothetisch erlauben würde, die Benutzung der jüngeren Marke vor den Gerichten des Vereinigten Königreichs mittels einer Klage wegen Kennzeichenverletzung zu untersagen.

42

Das für die nicht eingetragene Marke maßgebliche Recht des Mitgliedstaats ist der Trade Marks Act 1994 (Markengesetz des Vereinigten Königreichs), dessen Section 5 (4) bestimmt:

„Eine Marke ist von der Eintragung ausgeschlossen, wenn oder soweit ihre Benutzung im Vereinigten Königreich untersagt werden kann

a)

gemäß einer Rechtsregel (insbesondere den Rechtsregeln der Kennzeichenverletzung [law of passing off]) zum Schutz einer nicht eingetragenen Marke oder eines sonstigen im geschäftlichen Verkehr benutzten Kennzeichenrechts …“

43

Aus Section 5 (4) des Trade Marks Act 1994 in seiner Auslegung durch die nationalen Gerichte (Entscheidung des House of Lords [Oberhaus, Vereinigtes Königreich] Reckitt & Colman Products Ltd v Borden Inc. [1990] R.P.C. 341, 406 HL) ergibt sich, dass der Kläger gemäß den Rechtsregeln, die für die im Recht des Vereinigten Königreichs vorgesehene Klage wegen Kennzeichenverletzung gelten, nachweisen muss, dass drei Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich erstens der von der nicht eingetragenen Marke oder dem in Rede stehenden Kennzeichen erworbene „Goodwill“ (d. h. die Anziehungskraft auf Kunden), zweitens die irreführende Präsentationsweise durch den Inhaber der jüngeren Marke und drittens die Schädigung des „Goodwill“ (Urteile vom 18. Januar 2012, Tilda Riceland Private/HABM – Siam Grains [BASmALI], T‑304/09, EU:T:2012:13, Rn. 19, und vom 18. November 2015, Government of Malaysia/HABM – Vergamini [HALAL MALAYSIA], T‑508/13, EU:T:2015:861, Rn. 32).

44

Die Beschwerdekammer stellte fest, dass die von Jackson Family Farms beigebrachten Beweismittel bei gemeinsamer Prüfung belegten, dass Letztere zum maßgebenden Zeitpunkt ernsthafte geschäftliche Tätigkeiten in Bezug auf die unter der Marke BYRON verkauften Weine ausgeübt habe und folglich ein „Goodwill“ nachgewiesen worden sei.

45

Der einzige vom Kläger geltend gemachte Klagegrund besteht aus drei Teilen, die erstens das Bestehen eines „Goodwill“ der nicht eingetragenen Marke BYRON im Vereinigten Königreich, zweitens den Erwerb dieses „Goodwill“ und drittens den Ablauf der älteren Unionsmarke BYRON betreffen.

Zum ersten Teil des einzigen Klagegrundes betreffend das Bestehen eines „Goodwill“ der nicht eingetragenen Marke BYRON im Vereinigten Königreich

– Zur Unzulänglichkeit der von Jackson Family Farms vorgelegten Beweismittel

46

Der Kläger trägt vor, die von Jackson Family Farms beigebrachten Beweismittel reichten nicht hin, um das Bestehen eines „Goodwill“ im Vereinigten Königreich nachzuweisen. Insbesondere weist der Kläger darauf hin, dass die auf den Weingroßhändler Boutinot Ltd ausgestellten Rechnungen nicht die Marke BYRON anführten, sondern nur den Ausdruck „byr“, dass sie nicht den Verkauf von Waren an Endverbraucher bewiesen, dass sie nicht als bloße Verkaufsbeispiele angesehen werden könnten, wie dies die Beschwerdekammer getan habe, und dass die von Jackson Family Farms außerdem vorgelegten internen Dokumente sehr schwachen Beweiswert hätten.

47

Das EUIPO weist das Vorbringen des Klägers zurück.

48

Es ist darauf hinzuweisen, dass der von der Klage wegen Kennzeichenverletzung geschützte Besitzstand sich nicht auf ein Wort oder einen Namen bezieht, deren Benutzung durch Dritte eingeschränkt ist, sondern auf die Kundschaft selbst, in die mit der streitigen Benutzung eingegriffen wird (Lord Parker in der Entscheidung des High Court of Justice [England & Wales], Chancery Division [Hoher Gerichtshof (England und Wales), Abteilung Chancery] Burberrys v JC Cording & Co Ltd [1909] 26 R.P.C. 693), da das Ansehen einer Marke in ihrer auf die Kundschaft ausgeübten Anziehungskraft besteht und das Kriterium ist, das die Unterscheidung eines eingeführten Unternehmens von einem neuen Unternehmen erlaubt (Urteile vom 11. Juni 2009, Last Minute Network/HABM – Last Minute Tour [LAST MINUTE TOUR], T‑114/07 und T‑115/07, EU:T:2009:196, Rn. 61, und vom 9. Dezember 2010, Tresplain Investments/HABM – Hoo Hing [Golden Elephant Brand], T‑303/08, EU:T:2010:505, Rn. 101; siehe auch Lord Macnaghten in der Entscheidung des House of Lords [Oberhaus] Inland Revenue Commissioners v Muller & Co’s Margarine [1901] A.C. 217, 223 HL).

49

Das Bestehen eines „Goodwill“ wird grundsätzlich durch die Vorlage von Nachweisen für geschäftliche und werbende Tätigkeiten sowie für Kundenkonten dargetan. Der Nachweis ernsthafter geschäftlicher Tätigkeiten, die in den Erwerb eines Rufes und die Gewinnung von Kunden münden, würde im Allgemeinen für den Nachweis eines „Goodwill“ ausreichen (Urteile vom 9. Dezember 2010, Golden Elephant Brand, T‑303/08, EU:T:2010:505, Rn. 102, und vom 18. November 2015, HALAL MALAYSIA, T‑508/13, EU:T:2015:861, Rn. 74).

50

Es ist daher zu prüfen, ob die von Jackson Family Farms vorgelegten Beweismittel den Nachweis des Bestehens eines „Goodwill“ erlauben.

51

Es trifft zu, dass, wie der Kläger zu Recht vorbringt, ein Teil der Beweise nicht relevant ist. Dies trifft insbesondere auf die Rechnungen über die Verkäufe an Unternehmen in Zypern und Luxemburg zu.

52

Das in Art. 8 Abs. 4 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 ausdrücklich vorgesehene zeitliche Kriterium in Bezug auf den Erwerb des Rechts an dem für den Widerspruch geltend gemachten Kennzeichen ist das des Tags der Anmeldung der Unionsmarke (Urteil vom 29. März 2011, Anheuser-Busch/Budějovický Budvar, C‑96/09 P, EU:C:2011:189, Rn. 166; siehe auch entsprechend Urteil vom 9. Dezember 2010, Golden Elephant Brand, T‑303/08, EU:T:2010:505, Rn. 98 und 99). Der maßgebliche Zeitpunkt ist daher im vorliegenden Fall der 23. Januar 2012.

53

Folglich kann auch die Weinliste von British Airways von Dezember 2012, in der ein Byron Pinot Noir 2010 aufgeführt ist, nicht berücksichtigt werden.

54

Die relevantesten von Jackson Family Farms zum Nachweis des Bestehens eines „Goodwill“ beigebrachten Beweise sind, chronologisch gereiht, folgende:

ein Katalog von Boutinot aus dem Jahr 2010, in dem Weine unter der Marke BYRON zum Verkauf angeboten werden, mit einer Mindestbestellmenge von 25 Kartons (sowie ein anderer, nicht datierter Katalog);

vier auf Boutinot mit Sitz im Vereinigten Königreich ausgestellte Rechnungen, jeweils mit Datum zwischen Januar und Dezember 2011, über einen Gesamtbetrag von rund 45000 US-Dollar (USD) für 728 Kartons Wein und für Waren wie „09 BYR PN Santa Maria 750 ml 14,6 % Alc“;

eine im Internet veröffentlichte Weinkritik mit Datum März–April 2011, in der ein Byron Pinot Noir 2008 erwähnt wird;

eine Online-Einladung der Internetseite „meetup.com“ mit Datum Mai 2011 zu einer Weinverkostung im Kaufhaus Harrods in London (Vereinigtes Königreich), in der ein Byron Pinot Noir angekündigt wird;

ein interner Verkaufsbericht für den Zeitraum 1. Mai bis 8. Juni 2011, in dem Verkäufe von Weinen unter der Marke BYRON für einen Gesamtbetrag von rund 3800 Pfund Sterling (GBP) aufgelistet sind;

ein interner Verkaufsbericht über Verkäufe von Weinen unter der Marke BYRON für den Zeitraum von September 2010 bis November 2011, in dem insgesamt 2130 u. a. an Restaurants und Einzelhändler (insbesondere das Kaufhaus Harrods) im Vereinigten Königreich verkaufte Flaschen aufgelistet sind;

(nicht datierte) Bildschirmkopien der Internetseite des Kaufhauses Harrods, auf denen Weine gezeigt werden, die unter der Marke BYRON verkauft werden.

55

Die vier vorerwähnten Rechnungen, die im vorliegenden Fall am relevantesten sind, sind auf das Unternehmen Boutinot mit Sitz im Vereinigten Königrecht ausgestellt und wurden an eine Adresse im Vereinigten Königreich versandt. Sie zeigen daher, dass die Weine unter der Marke BYRON im Vereinigten Königreich verkauft wurden.

56

Der Kläger macht geltend, die auf Boutinot ausgestellten Rechnungen führten nicht die Marke BYRON an, sondern bloß den Ausdruck „byr“. Es ist jedoch üblich, dass die verkauften Waren auf den Rechnungen in abgekürzter Form bezeichnet werden, und das EUIPO hatte eine Gesamtwürdigung aller Beweismittel vorzunehmen, da es sich nicht um die einzigen Belege handelt, die zum Nachweis des Verkaufs von Wein unter der älteren Marke im Vereinigten Königreich vorgelegt wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Dezember 2010, Golden Elephant Brand, T‑303/08, EU:T:2010:505, Rn. 106 und 107). Zusammen mit den anderen Beweisen für geschäftliche Tätigkeiten gewürdigt belegen die Rechnungen, dass die Weine unter der Marke BYRON im Vereinigten Königreich verkauft wurden.

57

Der Kläger trägt vor, dass die auf Boutinot ausgestellten Rechnungen nicht den Verkauf an Endverbraucher bewiesen und dass Jackson Family Farms im Vereinigten Königreich nicht tätig sei.

58

Insoweit ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung der Gerichte des Vereinigten Königreichs der Kläger in einem Verfahren wegen Kennzeichenverletzung über einen als Kundenstock verstandenen „Goodwill“ im Vereinigten Königreich verfügen muss (Urteil des Supreme Court of the United Kingdom [Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs] Starbucks [HK] Ltd and another v British Sky Broadcasting Group Plc and others, [2015] UKSC 31). Ein im Ausland niedergelassenes Unternehmen kann über einen „Goodwill“ im Vereinigten Königreich verfügen, wenn für seine Waren eine Nachfrage im Vereinigten Königreich besteht und diese Nachfrage befriedigt werden kann (Wadlow, C., The Law of Passing-Off: Unfair Competition by Misrepresentation, 5. Aufl., Sweet & Maxwell, London, 2016, Nrn. 1‑17 und 3‑93). In der Sache, in der die Entscheidung des High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Hoher Gerichtshof [England und Wales], Abteilung Chancery) SA des Anciens Établissements Panhard et Levassor v Panhard Levassor Motor Co ([1901] 18 R.P.C. 405) ergangen ist, wurde z. B. der Verkauf der Waren des Klägers durch einen Dritten sowie ihr Kauf und ihre Einfuhr durch Einwohner des Vereinigten Königreichs als eine hinreichende Tätigkeit angesehen. Wie das EUIPO zu Recht bemerkt, kann daher die Tatsache, dass Jackson Family Farms in den Vereinigten Staaten niedergelassen ist und ihren Wein über ihren Vertreiber im Vereinigten Königreich verkauft, nichts an der Feststellung der Beschwerdekammer ändern, dass Jackson Family Farms Inhaberin eines „Goodwill“ im Vereinigten Königreich ist.

59

Außerdem ergibt sich aus der nationalen Rechtsprechung, dass zu den Kunden sowohl diejenigen zählen, die ein unmittelbares Vertragsverhältnis mit den Klägern in einem Verfahren wegen Kennzeichenverletzung haben, als auch diejenigen, die die Waren der Letzteren mittelbar erwerben (Entscheidung des Court of Appeal [England & Wales] [Civil Division] [Berufungsgerichtshof (England und Wales) (Abteilung für Zivilsachen)] Anheuser-Busch Inc v Budejovicky Budvar NP [1984] F.S.R. 413, 415 CA; siehe auch Urteil vom 18. November 2015, HALAL MALAYSIA, T‑508/13, EU:T:2015:861, Rn. 67 und 75).

60

Die Zwischenhändler, d. h. die Großhändler, Importeure und Einzelhändler, die die Waren von Jackson Family Farms kauften, stellten daher ebenso wie die Endverbraucher Kunden von Jackson Family Farms dar, bei denen der „Goodwill“ erworben worden war. Insoweit erlauben die oben in Rn. 54 angeführten Rechnungen den Nachweis eines „Goodwill“ bei Boutinot, einem Kunden, der seine Tätigkeiten im Weingroßhandel ausübt und die Waren von Jackson Family Farms weiterverkauft.

61

Hinsichtlich des bei den Endverbrauchern erworbenen „Goodwill“ ist, worauf das EUIPO zutreffend hinweist, logischerweise anzunehmen, dass die Waren an den Endverbraucher verkauft wurden, zumal der Großhändler anderenfalls keine zusätzlichen Ladungen dieser Waren bestellt hätte, wie die beigebrachten Beweismittel belegen.

62

Der Kläger trägt schließlich vor, dass die auf Boutinot ausgestellten Rechnungen nicht als bloße Verkaufsbeispiele angesehen werden könnten, wie dies die Beschwerdekammer getan habe, was dem Urteil vom 23. Oktober 2013, Dimian/HABM – Bayer Design Fritz Bayer (Baby Bambolina) (T‑581/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:553), widerspreche, und dass die von Jackson Family Farms außerdem vorgelegten internen Dokumente einen sehr schwachen Beweiswert hätten.

63

Wie die Beschwerdekammer zu Recht ausführt, kann einer Erklärung, die von einer Partei stammt, nur dann Beweiswert zukommen, wenn sie durch weitere Nachweise bestätigt wird (Urteil vom 13. Mai 2009, Schuhpark Fascies/HABM – Leder & Schuh [jello SCHUHPARK], T‑183/08, nicht veröffentlicht, EU:T:2009:156, Rn. 39).

64

Insoweit hat die Beschwerdekammer eine Gesamtwürdigung aller vor dem EUIPO vorgelegten Beweismittel vorzunehmen.

65

Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass ein Bündel von Beweismitteln die nachzuweisenden Tatsachen zu belegen vermag, obwohl jedes einzelne dieser Beweismittel für sich genommen nicht geeignet wäre, den Nachweis zu erbringen, dass diese Tatsachen zutreffen (Urteil vom 17. April 2008, Ferrero Deutschland/HABM, C‑108/07 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2008:234, Rn. 36, und vom 9. Dezember 2010, Golden Elephant Brand, T‑303/08, EU:T:2010:505, Rn. 104 bis 107).

66

Im vorliegenden Fall werden die internen Verkaufsberichte, vorausgesetzt, sie stammen von Jackson Family Farms, durch andere Beweismittel bestätigt. Zum Beispiel wird der interne Verkaufsbericht über die Verkäufe von Weinen unter der Marke BYRON für den Zeitraum von September 2010 bis November 2011, in dem insgesamt 2130 insbesondere an das Kaufhaus Harrods in London verkaufte Flaschen aufgelistet sind, durch die Online-Einladung der Internetseite „meetup.com“ zu einer Weinverkostung im Kaufhaus Harrods mit Datum Mai 2011 und durch die Bildschirmkopien der Internetseite von Harrods bestätigt.

67

Ebenso beweist zwar der Katalog von Boutinot aus 2010, in dem Weine unter der Marke BYRON zum Verkauf angeboten werden, nicht, dass mit der Marke BYRON versehene Weine tatsächlich verkauft wurden, jedoch legt dieses Beweismittel, zusammen mit den vier auf Boutinot ausgestellten Rechnungen geprüft, den Verkauf von Weinen unter der Marke BYRON durch dieses Unternehmen an Dritte nahe.

68

Die Beschwerdekammer hat daher zu Recht festgestellt, dass die Rechnungen und die anderen vorgelegten Dokumente, darunter die Berichte über die Verkäufe von Boutinot an Einzelhändler, Restaurants und Hotels im Vereinigten Königreich sowie Ausschnitte aus Zeitschriften und andere Informationen über die unter der Marke BYRON verkauften Weine, die im Internet veröffentlicht wurden und auf einen Kundenstamm im Vereinigten Königreich abzielten, zusammen die Annahme zuließen, dass Jackson Family Farms zum maßgeblichen Zeitpunkt ernsthafte geschäftliche Tätigkeiten in Bezug auf die unter der Marke BYRON verkauften Weine ausübte, mit der Folge, dass sie zu diesem Zeitpunkt einen „Goodwill“ erworben hatte.

– Zum Marktanteil von Jackson Family Farms

69

Der Kläger ist der Auffassung, dass der geringe Umfang der Verkäufe von Jackson Family Farms im Vereinigten Königreich sowie deren unbedeutender Marktanteil von, nach seinen Berechnungen, ungefähr 0,0001234 % in den Jahren 2011/2012 es erlaubten, auf das Fehlen eines „Goodwill“ zu schließen.

70

Das EUIPO weist das Vorbringen des Klägers zurück.

71

Dazu ist darauf hinzuweisen, dass die Klage wegen Kennzeichenverletzung den „Goodwill“ unabhängig von der Unternehmensgröße schützt. Die bloße Tatsache, dass die Tätigkeit des Klägers in einem Verfahren wegen Kennzeichenverletzung von sehr geringem Umfang ist, schließt an sich nicht aus, dass er über einen „Goodwill“ verfügt (Wadlow, C., The Law of Passing-Off: Unfair Competition by Misrepresentation, 5. Aufl., Sweet & Maxwell, London, 2016, Nrn. 3‑13).

72

So wurde in der Sache, in der die Entscheidung des High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Hoher Gerichtshof [England und Wales], Abteilung Chancery) Stannard v Reay ([1967] R.P.C. 589) ergangen ist, entschieden, dass ein mobiler Verkaufsstand für Fish and chips mit einem Umsatz zwischen 129 und 138 GBP pro Woche nach einer ungefähr dreiwöchigen Tätigkeit einen „Goodwill“ erworben hatte (Urteil vom 9. Dezember 2010, Golden Elephant Brand, T‑303/08, EU:T:2010:505, Rn. 110).

73

In der Sache, in der die Entscheidung des High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Hoher Gerichtshof [England und Wales], Abteilung Chancery) Jian Tools for Sales v Roderick Manhattan Group ([1995] F.S.R. 924, 933) ergangen ist, wurde der Verkauf von 127 Einheiten Software durch ein amerikanisches Unternehmen auf dem Markt des Vereinigten Königreichs als ausreichend angesehen (Urteil vom 9. Dezember 2010, Golden Elephant Brand, T‑303/08, EU:T:2010:505, Rn. 114).

74

Der Tätigkeitsumfang des Klägers in einem Verfahren wegen Kennzeichenverletzung im Verhältnis zum Markt im Ganzen ist erst recht nicht entscheidend (Entscheidung des High Court of Justice [England & Wales], Chancery Division [Hoher Gerichtshof (England und Wales), Abteilung Chancery] Lumos Skincare Ltd v Sweet Squared Ltd and others [2013] EWCA Civ 590).

75

Somit konnte eine sehr eingeschränkte geschäftliche Tätigkeit als ausreichend für die Schaffung eines „Goodwill“ angesehen werden (Wadlow, C., The Law of Passing-Off: Unfair Competition by Misrepresentation, 5. Aufl., Sweet & Maxwell, London, 2016, Nrn. 3‑64).

76

Ist der Kläger im Verfahren wegen Kennzeichenverletzung nicht im Vereinigten Königreich niedergelassen, wird er zumindest nachweisen müssen, dass er einen oder mehrere Kunden im Vereinigten Königreich hat (Entscheidung des High Court of Justice [England & Wales], Chancery Division [Hoher Gerichtshof (England und Wales) Abteilung Chancery] Jian Tools for Sales v Roderick Manhattan Group, [1995] F.S.R. 924, 925), und nicht nur einen Ruf im Vereinigten Königreich (Urteil des Supreme Court of the United Kingdom [Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs] Starbucks [HK] Ltd and another v British Sky Broadcasting Group Plc and others, [2015] UKSC 31).

77

Aus der nationalen Rechtsprechung, die das Gericht in ähnlichen Verfahren angewandt hat (Urteile vom 9. Dezember 2010, Golden Elephant Brand, T‑303/08, EU:T:2010:505, und vom 18. November 2015, HALAL MALAYSIA, T‑508/13, EU:T:2015:861), ergibt sich somit, dass selbst Kleinunternehmen einen „Goodwill“ haben können.

78

Im vorliegenden Fall hat Jackson Family Farms 2011, wie sich aus der angefochtenen Entscheidung ergibt, unter der Marke BYRON 728 Kartons Wein an Boutinot für insgesamt ungefähr 45000 USD verkauft, und nicht für ungefähr 30000 USD, wie der Kläger fälschlicherweise vorträgt.

79

Unter Berücksichtigung auch der von Jackson Family Farms vorgelegten internen Verkaufsberichte hätte Letztere zudem von September 2010 bis November 2011 unter der Marke BYRON 2130 Flaschen Wein an Kunden im Vereinigten Königreich verkauft, für insgesamt 3800 GBP im Mai und Juni 2011, und nicht für 6800 GBP, wie das EUIPO vorträgt, das fälschlicherweise die Verkäufe von anderen als den unter der Marke BYRON verkauften Weinen im mit Mai–Juni 2011 datierten Verkaufsbericht berücksichtigt.

80

Die Verkäufe, die in den von Jackson Family Farms beigebrachten Beweisen angeführt sind, können zwar als schwach angesehen werden, Letztere verkaufte jedoch mindestens während eines Jahres vor der Anmeldung der Unionsmarke im Vereinigten Königreich regelmäßig Wein unter der älteren Marke (mehr als 700 Kartons im Jahr 2011).

81

Unter Berücksichtigung der nationalen Rechtsprechung zu diesem Punkt hat die Beschwerdekammer daher zu Recht festgestellt, dass Jackson Family Farms zum maßgeblichen Zeitpunkt ernsthafte geschäftliche Tätigkeiten betreffend die unter der Marke BYRON verkauften Weine im Vereinigten Königreich ausübte, mit der Folge, dass sie zum Zeitpunkt der Anmeldung der Bildmarke BYRON als Unionsmarke einen „Goodwill“ erworben hatte.

– Zum Fortbestand des „Goodwill“

82

Der Kläger stellt außerdem die Erheblichkeit der Weinliste von British Airways vom Dezember 2012 in Abrede, da sich diese „auf einen der Einreichung des Widerspruchs (um mehr als sechs Monate) nachfolgenden Zeitpunkt“ beziehe.

83

Nach Regel 19 Abs. 2 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission vom 13. Dezember 1995 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1995, L 303, S. 1) muss ein Widersprechender, der sich auf Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009 stützt, nicht nur den Erwerb des älteren Rechts und seinen Schutzumfang nachweisen, sondern auch den Fortbestand dieses Rechts.

84

Dies bedeutet normalerweise, dass das in Rede stehende Kennzeichen zum Zeitpunkt der Einreichung des Widerspruchs noch benutzt werden muss (siehe entsprechend Urteil vom 23. Oktober 2013, Baby Bambolina, T‑581/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:553, Rn. 26 und 27).

85

Die Beschwerdekammer berücksichtigte die Weinliste von British Airways nicht, um den Erwerb des „Goodwill“ zu beurteilen – der, wie oben in Rn. 53 ausgeführt, zum Zeitpunkt der Anmeldung der Unionsmarke, gegen die der Widerspruch erhoben wurde, zu beurteilen ist –, sondern um den Fortbestand des älteren Rechts zum Zeitpunkt des Widerspruchs zu beurteilen.

86

Es stellt sich die Frage, ob, auch wenn ein „Goodwill“ vor dem Zeitpunkt der Anmeldung der Unionsmarke erworben worden wäre, der Widerspruch im Hinblick darauf, dass die Widersprechende den Fortbestand des Rechts zum Zeitpunkt des Widerspruchs womöglich nicht nachgewiesen hat, als unbegründet zurückgewiesen werden müsste.

87

Insoweit stützte sich die Beschwerdekammer für die Feststellung des Fortbestands zum Zeitpunkt des Widerspruchs nicht nur auf die Weinliste von British Airways, sondern auch auf die Tatsache, dass sich alle anderen von der Widersprechenden beigebrachten Beweismittel auf einen dem Tag der Anmeldung der angefochtenen Marke ziemlich nahen Zeitpunkt bezogen.

88

Nach der Rechtsprechung des Vereinigten Königreichs konnte der „Goodwill“ eine Unterbrechung der Tätigkeit überstehen (Entscheidung des Judicial Committee of the Privy Council [Rechtsausschuss des Kronrats, Vereinigtes Königreich] Star Industrial v Yap Kwee Kor, [1976] F.S.R. 256 PC), selbst wenn diese Unterbrechung mehrere Jahre dauern sollte (Wadlow, C., The Law of Passing-Off: Unfair Competition by Misrepresentation, 5. Aufl., Sweet & Maxwell, London, 2016, Nrn. 3‑223 ff.).

89

In Anbetracht dieser Rechtsprechung ist festzustellen, dass im vorliegenden Fall selbst unter der Annahme einer Unterbrechung der Tätigkeit von Jackson Family Farms zwischen dem Tag der Anmeldung der angefochtenen Marke und dem des Widerspruchs der Zeitraum zwischen diesen beiden Zeitpunkten nicht lang genug ist, dass der „Goodwill“ allein wegen der vergangenen Zeit hätte erlöschen können.

90

Daraus kann geschlossen werden, dass der zum Zeitpunkt der Anmeldung der angefochtenen Marke, nämlich am 23. Januar 2012, erworbene „Goodwill“ fünf Monate später, bei der Einreichung des Widerspruchs am 21. Juni 2012, fortbestand.

– Zum Fehlen spezifischer und besonderer Eigenschaften

91

Mit dem ersten Teil des einzigen Klagegrundes betreffend das Bestehen eines „Goodwill“ der nicht eingetragenen Marke BYRON im Vereinigten Königreich bringt der Kläger, angelehnt an Entscheidungen des Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Berufungsgerichtshof [England und Wales] [Abteilung Zivilsachen]) Diageo North America v InterContinental Brands ([2010] EWCA Civ 920, im Folgenden: Entscheidung Vodkat) und des House of Lords (Oberhaus) Erven Warnink BV v J Townend & Sons (Hull) Ltd ([1979] A.C. 731, im Folgenden: Entscheidung Advocaat), vor, dass die den „Goodwill“ betreffende Voraussetzung insbesondere deshalb nicht erfüllt sei, weil Jackson Family Farms nicht nachgewiesen habe, dass ihre Ware bestimmte spezifische und besondere Eigenschaften habe, die den Verbraucher dazu brächten, sie zu kaufen. Im Gegenteil deuteten der niedrige Preis ihrer Ware und deren durchschnittliche Qualität darauf hin, dass Letztere keine besondere und erkennbare Ware sei. Der Kläger macht auch geltend, dass die Beschwerdekammer selbst in der angefochtenen Entscheidung Bezug auf eine spezifische und besondere Eigenschaften betreffende Voraussetzung Bezug nehme.

92

Laut dem EUIPO stützt sich der Kläger somit auf die sogenannte „erweiterte“ Form der Klage wegen Kennzeichenverletzung. Dies jedoch zu Unrecht, da Jackson Family Farms ihren Widerspruch auf die „klassische“ Form dieser Klage gestützt habe.

93

Zunächst ist festzustellen, dass die unerlaubte Handlung der Kennzeichenverletzung eine große Vielfalt von Situationen abdeckt.

94

Wie das EUIPO zu Recht bemerkt, täuscht der Beklagte im Verfahren wegen Kennzeichenverletzung bei der „klassischen“ Form der unerlaubten Handlung der Kennzeichenverletzung über die betriebliche Herkunft seiner Waren, indem er glauben macht, sie seien diejenigen des Klägers. Diese irreführende Präsentationsweise besteht allgemein in der Benutzung eines unterscheidungskräftigen Zeichens des Klägers durch den Beklagten (Wadlow, C., The Law of Passing-Off: Unfair Competition by Misrepresentation, 5. Aufl., Sweet & Maxwell, London, 2016, Nrn. 1‑16, 5‑8, 7‑35, 7‑163, 8‑1 und 8‑8).

95

Bei der „erweiterten“ Form der unerlaubten Handlung der Kennzeichenverletzung, veranschaulicht in den Entscheidungen Advocaat oder Vodkat, täuscht der Beklagte hingegen über die Herkunft oder die Natur seiner Waren, indem er sie in irreführender Weise als aus einer besonderen Region stammend oder so präsentiert, als hätten sie besondere Eigenschaften oder eine besondere Zusammensetzung. Diese irreführende Präsentationsweise kann durch die Benutzung eines beschreibenden Begriffs oder eines Gattungsbegriffs erfolgen, der die Waren des Beklagten unzutreffend beschreibt und die Annahme zulässt, sie hätten eine Eigenschaft oder Qualität, die ihnen fehlt (z. B. der für eine andere Art von Getränk als Wodka benutzte Begriff „Vodkat“) (siehe Entscheidung Advocaat und Wadlow, C., The Law of Passing-Off: Unfair Competition by Misrepresentation, 5. Aufl., Sweet & Maxwell, London, 2016, Nrn. 7‑161, 7‑166 und 7‑281).

96

In ihren Anträgen vom 31. Dezember 2012 vor der Widerspruchsabteilung trug Jackson Family Farms vor, im vorliegenden Fall würden ihre Kunden dazu gebracht, zu glauben, dass die vom Kläger angebotenen Waren die ihren seien. Zur Stützung dieses Vortrags hatte Jackson Family Farms auf die Rechtssache Bezug genommen, in der das Urteil vom 9. Dezember 2010, Golden Elephant Brand (T‑303/08, EU:T:2010:505, Rn. 132 und 148), ergangen ist und die einen Anwendungsfall der „klassischen“ Form der unerlaubten Handlung der Kennzeichenverletzung darstellte.

97

Da Jackson Family Farms nie behauptete, dass die Waren des Klägers die Annahme zuließen, sie hätten eine ihnen fehlende Eigenschaft, sondern dass ihre Kunden dazu gebracht würden, zu glauben, dass die vom Kläger angebotenen Waren die ihren seien, stützte sich die Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung zu Recht auf die „klassische“ Form der Klage wegen Kennzeichenverletzung, indem sie feststellte, dass die Gefahr bestehe, dass die Waren des Klägers für solche von Jackson Family Farms gehalten würden.

98

Insoweit stellt entgegen dem Vorbringen des Klägers die in der angefochtenen Entscheidung enthaltene Bezugnahme darauf, dass die Widersprechende nachweisen müsse, „dass ihre Waren anhand eines unterscheidungskräftigen Elements erkannt werden“, keine Bezugnahme auf eine spezifische und besondere Eigenschaften betreffende Voraussetzung dar. Damit eine irreführende Präsentationsweise vorliegen kann, muss das vom Kläger im Verfahren wegen Kennzeichenverletzung benutzte Zeichen in Bezug auf seine Waren als unterscheidungskräftig wahrgenommen werden (Wadlow, C., The Law of Passing-Off: Unfair Competition by Misrepresentation, 5. Aufl., Sweet & Maxwell, London, 2016, Nrn. 1‑24, 3‑11, 8‑2 und 8‑9). Diese Unterscheidungskraft des Zeichens darf jedoch nicht damit verwechselt werden, was in der Entscheidung Advocaat als „erkennbare und besondere Eigenschaften“ der Ware bezeichnet wird. Die Unterscheidungskraft des Kennzeichens BYRON, die hinsichtlich der die irreführende Präsentationsweise betreffenden Voraussetzung einschlägig ist, ist im vorliegenden Fall unstreitig.

99

Jedenfalls war im vorliegenden Fall nicht von der „erweiterten“ Form der unerlaubten Handlung der Kennzeichenverletzung auszugehen. Anders als die Bezeichnungen „Wodka“ oder „Champagner“ stellt „byron“ nämlich keinen beschreibenden Begriff oder Gattungsbegriff dar, der einen Hinweis auf die geografische Herkunft oder die Zusammensetzung der Ware gibt. Die irreführende Präsentationsweise liegt im vorliegenden Fall an der Ähnlichkeit zwischen den benutzten Kennzeichen und nicht an dem Umstand, dass der Kläger behaupten würde, seine Waren besäßen eine Eigenschaft, die sie nicht haben.

100

Es war daher nicht zu prüfen, ob die Waren von Jackson Family Farms durch „erkennbare und besondere Eigenschaften“, wie eine besondere Herkunft oder Zusammensetzung, gekennzeichnet sind.

101

Folglich konnte die Tatsache, dass die Beschwerdekammer den Widerspruch unter der Annahme prüfte, dieser sei auf die unerlaubte Handlung der Kennzeichenverletzung in ihrer „klassischen“ Form gestützt, keine für den Kläger negativen Auswirkungen auf die Würdigung des Sachverhalts und der Beweise des vorliegenden Falls haben.

102

Zudem war die „erweiterte“ Klage wegen Kennzeichenverletzung nach der Entscheidung Vodkat nicht allein Waren vorbehalten, deren Qualität als hoch wahrgenommen wurde, und auch sehr einfache Waren können in den Genuss eines „Goodwill“ kommen (Wadlow, C., The Law of Passing-Off: Unfair Competition by Misrepresentation, 5. Aufl., Sweet & Maxwell, London, 2016, Nrn. 7‑190). Das Vorbringen des Klägers zum niedrigen Preis und zur durchschnittlichen Qualität der Waren von Jackson Family Farms greift daher jedenfalls nicht durch.

103

Die Beschwerdekammer hat somit keinen Fehler begangen, der geeignet wäre, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung in Frage zu stellen, indem sie von der „klassischen“ und nicht der „erweiterten“ Form der unerlaubten Handlung der Kennzeichenverletzung ausging.

Zum zweiten Teil des einzigen Klagegrundes betreffend den Erwerb des „Goodwill“

104

Der Kläger trägt vor, dass, auch wenn die nicht eingetragene Marke BYRON einen „Goodwill“ im Vereinigten Königreich geschaffen hätte, nicht Jackson Family Farms, sondern der Weingroßhändler Boutinot der Inhaber dieses „Goodwills“ wäre.

105

Das EUIPO weist das Vorbringen des Klägers zurück.

106

Folgende Umstände haben einen Einfluss auf die Inhaberschaft am „Goodwill“: wer für die Qualität der Waren verantwortlich ist und wer von den Verkehrskreisen als verantwortlich wahrgenommen wird (Entscheidung des House of Lords [Oberhaus] T. Oertli AG v J. Bowman (London) LD. and others, [1959] R.P.C. 1, 7 HL).

107

Damit ein Kennzeichen geschützt werden kann, ist wesentlich, dass das Zeichen aus der Sicht der Verkehrskreise darauf hinweist, dass die Qualität der Waren in die Verantwortung eines einzigen Unternehmens fällt, auch wenn die Verkehrskreise den Namen dieses Unternehmens nicht kennen. Die Frage der Inhaberschaft am „Goodwill“ ist allgemein eine Tatsachenfrage, und es besteht keine Vermutung, wonach der Inhaber des „Goodwill“ eher der ausländische Hersteller als der britische Vertreiber ist (Entscheidung des High Court of Justice [England & Wales], Chancery Division [Hoher Gerichtshof (England und Wales), Abteilung Chancery] MedGen Inc v Passion for Life Products Ltd, [2001] F.S.R. 30). Grundsätzlich gehört der „Goodwill“ eher dem festgestellten ausländischen Erzeuger der importierten Waren als dem Importeur (Wadlow, C., The Law of Passing-Off: Unfair Competition by Misrepresentation, 5. Aufl., Sweet & Maxwell, London, 2016, Nrn. 3‑136 und 3‑158).

108

Allgemein ist es die Funktion einer Marke, auf die betriebliche Herkunft der Ware hinzuweisen, nämlich auf ihren Hersteller und nicht auf ihren Verkäufer. Im vorliegenden Fall kontrollierte Jackson Family Farms die Erzeugung und die Qualität der Waren. Es ist wahrscheinlich, dass die Verkehrskreise Jackson Family Farms als Hersteller des Weins als verantwortlich für seine Erzeugung und seine Qualität wahrnahmen.

109

Der Boutinot-Katalog unterschied die verschiedenen zum Verkauf angebotenen Weine klar nach ihrem Preis, ihrer geografischen Herkunft und ihrem Erzeuger. Die Käufer konnten daher ihre Weine jeweils frei nach diesen Kriterien auswählen. Selbst wenn Boutinot der einzige Vertreiber der Waren von Jackson Family Farms im Vereinigten Königreich wäre, müsste dennoch Letztere als Inhaberin des „Goodwill“ angesehen werden. Der Boutinot-Katalog unterscheidet nämlich klar die Waren von Jackson Family Farms, nach ihrem Namen und ihrer Herkunft, von den anderen von Boutinot verkauften Waren. Insbesondere sind in den beiden von Jackson Family Farms vorgelegten Boutinot-Katalogen bestimmte anscheinend von Boutinot erzeugte Weine klar als solche aufgeführt, was bedeutet, dass die anderen Weine nicht von Boutinot, sondern von Erzeugern wie Jackson Family Farms erzeugt werden.

Zum dritten Teil des einzigen Klagegrundes betreffend den Ablauf der älteren Unionsmarke BYRON

110

Zur Stützung seiner Schlussfolgerung, dass Jackson Family Farms für die Marke BYRON im Vereinigten Königreich keinen „Goodwill“ erworben haben könne, macht der Kläger geltend, die Tatsache, dass Jackson Family Farms die ältere Unionsmarke BYRON 2007 habe ablaufen lassen, zeige, dass sie keine geschäftlichen Interessen in Europa gehabt habe.

111

Dem Kläger zufolge war nämlich, ohne dass dies vom EUIPO bestritten wurde, die Marke BYRON – im Besitz der Byron Vineyard & Winery, Inc. – Gegenstand einer Eintragung als Unionsmarke, die 2007 ablief, ein Jahr nach dem Erwerb von Byron Vineyard & Winery durch Jackson Family Farms.

112

Dieses Vorbringen kann das Bestehen eines durch die nicht eingetragene Marke BYRON geschaffenen und von Jackson Family Farms erworbenen „Goodwill“ nicht in Frage stellen.

113

Der Widerspruch wurde nämlich auf die nicht eingetragene ältere Marke BYRON gestützt und nicht auf die ältere Unionsmarke BYRON.

114

Ferner ist festzustellen, dass es nicht eingetragene Marken gibt, deren Rechtmäßigkeit auf ihrer Benutzung in einer bestimmten Zahl von Mitgliedstaaten beruht. Diese Kennzeichen, die auf die betriebliche Herkunft einer Ware hinweisen, funktionieren wie eine Marke. Art. 8 Abs. 4 der Verordnung Nr. 207/2009 erkennt das Bestehen solcher Rechte in den Mitgliedstaaten an und gibt den Inhabern nicht eingetragener Marken die Möglichkeit, die Eintragung einer Unionsmarke zu verhindern, wenn diese Rechte nach den nationalen Rechtsvorschriften geeignet sind, die Benutzung einer solchen Marke zu verhindern.

115

Die Frage, ob die durch ein nationales Recht geschützte nicht eingetragene Marke zuvor als Unionsmarke eingetragen wurde oder nicht, ist daher nicht relevant.

116

Im vorliegenden Fall hinderte der Ablauf der Eintragung der älteren Unionsmarke BYRON Jackson Family Farms nicht daran, die nicht eingetragene Marke zu benutzen und durch diese Benutzung einen „Goodwill“ zu erwerben, wie das EUIPO zu Recht bemerkt.

117

Da Jackson Family Farms bei der Anmeldung der Unionsmarke einen ausreichenden „Goodwill“ erworben hatte, würde der Ablauf der Eintragung der älteren Unionsmarke BYRON Jackson Family Farms nicht daran hindern, ihr nicht eingetragenes Recht durch die Erhebung einer Klage wegen Kennzeichenverletzung zu schützen.

118

Die Tatsache, dass die ältere Unionsmarke BYRON abgelaufen ist, widerspricht daher nicht dem Erwerb eines von der nicht eingetragenen Marke BYRON geschaffenen „Goodwill“ durch Jackson Family Farms.

Zu den Punkten betreffend die irreführende Präsentationsweise und den Schaden

119

Die beiden letzten Voraussetzungen der „klassischen Dreifaltigkeit“ der unerlaubten Handlung der Kennzeichenverletzung nach dem Recht des Vereinigten Königreichs betreffen zum einen die irreführende Präsentationsweise durch den Inhaber der jüngeren Marke und zum anderen die Schädigung des „Goodwill“.

120

In der angefochtenen Entscheidung kam die Beschwerdekammer zu dem Schluss, dass diese beiden Voraussetzungen erfüllt seien: Unter Berücksichtigung der Identität der in Rede stehenden Waren und der zwischen den Zeichen bestehenden Ähnlichkeiten bestehe die Gefahr, dass die Waren des Klägers mit denjenigen von Jackson Family Farms verwechselt würden, was eine irreführende Präsentationsweise sei, die zu einer Schädigung der Letztgenannten führe.

121

Es ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger zwar vorträgt, dass „keines der Kriterien der ‚klassischen Dreifaltigkeit‘ erfüllt [war]“, er sich jedoch nicht eingehend zur zweiten und zur dritten der die „klassische Dreifaltigkeit“ der unerlaubten Handlung der Kennzeichenverletzung bildenden Voraussetzungen, nämlich zur irreführenden Präsentationsweise und zum Schaden, geäußert hat, sondern nur einen Klagegrund zur ersten der die „klassische Dreifaltigkeit“ dieser unerlaubten Handlung bildenden Voraussetzungen, nämlich zum „Goodwill“, vorgetragen hat.

122

Mangels Vorbringens des Klägers zur irreführenden Präsentationsweise und zum Schaden ist daher die Feststellung der Beschwerdekammer zu bestätigen, wonach unter Berücksichtigung der Identität der in Rede stehenden Waren und der zwischen den Zeichen bestehenden Ähnlichkeiten die Gefahr bestand, dass die Waren des Klägers mit denjenigen von Jackson Family Farms verwechselt werden, was eine irreführende Präsentationsweise wäre, die zu einer Schädigung der Letztgenannten führen würde.

123

Nach alledem ist der erste Klageantrag des Klägers zurückzuweisen, da der einzige vom Kläger geltend gemachte Klagegrund unbegründet ist, und folglich die Klage insgesamt abzuweisen.

Kosten

124

Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

125

Da der Kläger unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag des EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Herr Nelson Alfonso Egüed trägt die Kosten.

 

Pelikánová

Valančius

Öberg

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 18. Juli 2017.

Unterschriften

Inhaltsverzeichnis

 

Vorgeschichte des Rechtsstreits

 

Anträge der Beteiligten

 

Rechtliche Würdigung

 

Zur Zulässigkeit des zweiten Klageantrags

 

Zur Begründetheit

 

Vorbemerkungen

 

– Zur Verweisung auf das Recht des Mitgliedstaats, das für das geltend gemachte Kennzeichenrecht maßgeblich ist

 

– Zum Verhältnis zwischen der Benutzung im geschäftlichen Verkehr von mehr als lediglich örtlicher Bedeutung und dem „Goodwill“

 

Zum ersten Teil des einzigen Klagegrundes betreffend das Bestehen eines „Goodwill“ der nicht eingetragenen Marke BYRON im Vereinigten Königreich

 

– Zur Unzulänglichkeit der von Jackson Family Farms vorgelegten Beweismittel

 

– Zum Marktanteil von Jackson Family Farms

 

– Zum Fortbestand des „Goodwill“

 

– Zum Fehlen spezifischer und besonderer Eigenschaften

 

Zum zweiten Teil des einzigen Klagegrundes betreffend den Erwerb des „Goodwill“

 

Zum dritten Teil des einzigen Klagegrundes betreffend den Ablauf der älteren Unionsmarke BYRON

 

Zu den Punkten betreffend die irreführende Präsentationsweise und den Schaden

 

Kosten


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

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Referenzen

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