Beschluss vom Europäischer Gerichtshof - T-170/16

BESCHLUSS DES GERICHTS (Erste Kammer)

11. Oktober 2017 ( *1 )

„Nichtigkeitsklage – Staatliche Beihilfen – Steuervorteile, die von einer Gebietskörperschaft eines Mitgliedstaats gewährt werden – Für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärte Beihilferegelung – Durchführung der Entscheidung – Verpflichtung, die individuelle Situation der Empfänger zu überprüfen – Keine Stellungnahme der Kommission – Nicht anfechtbare Handlung – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑170/16

Guardian Glass España, Central Vidriera, SLU, mit Sitz in Llodio (Spanien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte M. Araujo Boyd, D. Armesto Macías und A. Lamadrid de Pablo,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch L. Flynn, B. Stromsky und P. Němečková als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des angeblich in einem Dokument vom 15. Juli 2015 mit dem Titel „Steuersachen im Baskenland (Álava) – Informelle Mitteilung betreffend zusätzliche Ausführungen zur Vereinbarkeit mit den Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung von 1998“ enthaltenen Beschlusses der Kommission

erlässt

DAS GERICHT (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin I. Pelikánová sowie der Richter P. Nihoul (Berichterstatter) und J. Svenningsen,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

Vorgeschichte des Rechtsstreits

Von der Provinz Álava eingeführte Steuergutschrift

1

Zwischen 1994 und 1997 erließen die in der Autonomen Gemeinschaft Baskenland (Spanien) gelegenen Provinzen Álava, Vizcaya und Guipúzcoa sechs Steuerregelungen, die sich in zwei Arten aufteilten: eine Steuergutschrift für Unternehmen in Höhe von 45 % ihrer Investitionen und eine degressive Minderung der Steuerbemessungsgrundlage über vier Jahre für neue Unternehmen.

2

Die vorliegende Rechtssache geht auf eine der oben in Rn. 1 angeführten sechs Steuerregelungen zurück, nämlich auf die von der Provinz Álava eingeführte, die es unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht, Unternehmen dieser Provinz eine Steuergutschrift in Höhe von 45 % ihrer Investitionen zu gewähren.

3

Die fraglichen Steuerregelungen blieben in Kraft bis 1999, was die von der Provinz Álava eingeführte Steuergutschrift für Unternehmen in Höhe von 45 % ihrer Investitionen angeht, und bis 2000, was die anderen Steuerregelungen angeht.

4

Keine dieser Steuerregelungen wurde bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften angemeldet.

Zur Prüfung der streitigen Steuerregelung durch die Kommission

5

Die Kommission erfuhr durch Beschwerden von den fraglichen Steuerregelungen.

6

Mit Schreiben vom 17. August und vom 29. September 1999 informierte die Kommission die spanischen Behörden über ihre Entscheidung, ein förmliches Verfahren gemäß Art. 108 Abs. 2 AEUV hinsichtlich der sechs Steuerregelungen einzuleiten, nämlich der von den Provinzen Vizcaya und Guipúzcoa eingeführten Steuergutschrift für Unternehmen in Höhe von 45 % ihrer Investitionen (ABl. 1999, C 351, S. 29), der von den Provinzen Álava, Vizcaya und Guipúzcoa eingeführten degressiven Minderungen der Steuerbemessungsgrundlage über vier Jahre für neue Unternehmen (ABl. 2000, C 55, S. 2) und der von der Provinz Álava eingeführten Steuergutschrift für Unternehmen in Höhe von 45 % ihrer Investitionen (ABl. 2000, C 71, S. 8).

7

Am 3. November und am 6. Dezember 1999 wurden Klagen auf Nichtigerklärung der Entscheidungen zur Einleitung der förmlichen Prüfverfahren erhoben.

8

Diese Nichtigkeitsklagen wurden vom Gericht mit Urteilen vom 23. Oktober 2002, Diputación Foral de Guipúzcoa u. a./Kommission (T‑269/99, T‑271/99 und T‑272/99, EU:T:2002:258), und vom 23. Oktober 2002, Diputación Foral de Álava u. a./Kommission (T‑346/99 bis T‑348/99, EU:T:2002:259), abgewiesen.

9

Am 11. Juli 2001 schloss die Kommission die förmliche Phase des Prüfverfahrens durch sechs Entscheidungen ab, in denen sie feststellte, dass die streitigen Steuerregelungen erstens eine rechtswidrige staatliche Beihilfe darstellten, da sie unter Verstoß gegen die in Art. 108 Abs. 3 AEUV vorgesehene Pflicht zur vorherigen Anmeldung bei der Kommission durchgeführt worden seien und zweitens unvereinbar mit dem Binnenmarkt seien.

10

Hinsichtlich der von der Provinz Álava eingeführten Steuergutschrift für Unternehmen in Höhe von 45 % ihrer Investitionen stellte die Kommission in Art. 1 der Entscheidung 2002/820/EG vom 11. Juli 2001 über eine spanische Beihilferegelung zugunsten der Unternehmen von Álava in Form einer Steuergutschrift in Höhe von 45 % ihrer Investitionen (ABl. 2002, L 296, S. 1, im Folgenden: Entscheidung von 2001) die Unvereinbarkeit dieser Steuerregelung mit dem Binnenmarkt fest.

11

In Art. 2 der Entscheidung von 2001 forderte die Kommission das Königreich Spanien auf, die von der Provinz Álava eingeführte Steuergutschrift für Unternehmen in Höhe von 45 % ihrer Investitionen, soweit sie fortwirke, außer Kraft zu setzen.

12

In Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 der Entscheidung von 2001 wies die Kommission das Königreich Spanien an, ausstehende Beihilfen nicht mehr zu gewähren.

13

In Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 und Abs. 2 der Entscheidung von 2001 gab die Kommission dem Königreich Spanien schließlich mit folgenden Worten auf, die aufgrund der in Rede stehenden Regelung gewährten individuellen Beihilfen von den Empfängern zurückzufordern:

„(1)   Spanien ergreift alle notwendigen Maßnahmen, um die in Artikel 1 genannten rechtswidrig zur Verfügung gestellten Beihilfen vom Empfänger zurückzufordern.

(2)   Die Rückforderung erfolgt unverzüglich nach den nationalen Verfahren, sofern diese die sofortige und tatsächliche Vollstreckung der [vorliegenden] Entscheidung ermöglichen. …“

14

Die Kommission ordnete die Rückforderung der Beihilfen an, die auf der Grundlage der für unvereinbar erklärten Regelung gewährt worden waren, und erklärte im 98. Erwägungsgrund der Entscheidung von 2001:

„Diese Entscheidung betrifft die hier in Rede stehende Beihilferegelung und muss sofort vollstreckt werden. Die auf der Grundlage dieser Regelung gewährten Einzelbeihilfen müssen zurückgefordert werden. Die Kommission weist gleichfalls darauf hin, dass die vorliegende Entscheidung wie üblich nicht die Möglichkeit ausschließt, dass Einzelbeihilfen aufgrund ihrer besonderen Ausgestaltung in einer späteren Kommissionsentscheidung oder nach Maßgabe der Freistellungsvorschriften ganz oder teilweise als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden können.“

Zu den gegen die Entscheidung von 2001 gerichteten Nichtigkeitsklagen

15

Am 25. September, 22. Oktober und 21. Dezember 2001 wurden Nichtigkeitsklagen gegen die sechs Entscheidungen der Kommission vom 11. Juli 2001 erhoben.

16

Am 9. September 2009 stellte das Gericht in seinen Urteilen Diputación Foral de Álava u. a./Kommission (T‑227/01 bis T‑229/01, T‑265/01, T‑266/01 und T‑270/01, EU:T:2009:315) und Diputación Foral de Álava u. a. (T‑230/01 bis T‑232/01 und T‑267/01 bis T‑269/01, nicht veröffentlicht, EU:T:2009:316) die Rechtmäßigkeit der sechs Entscheidungen der Kommission vom 11. Juli 2001 fest.

17

Das erste oben in Rn. 16 angeführte Urteil betrifft die drei Entscheidungen der Kommission vom 11. Juli 2001 zur Unvereinbarkeit der von den Provinzen Álava, Vizcaya und Guipúzcoa eingeführten Steuergutschriften für Unternehmen in Höhe von 45 % ihrer Investitionen.

18

Das zweite oben in Rn. 16 angeführte Urteil betrifft die drei Entscheidungen der Kommission vom 11. Juli 2001 bezüglich der degressiven Minderung der Steuerbemessungsgrundlage über vier Jahre für neue Unternehmen in den Provinzen Álava, Vizcaya und Guipúzcoa.

19

Am 26. November 2009 wurden gegen die beiden oben in Rn. 16 angeführten Urteile Rechtsmittel eingelegt.

20

Am 28. Juli 2011 wies der Gerichtshof die gegen diese beiden Urteile eingelegten Rechtsmittel mit seinen Urteilen Diputación Foral de Vizcaya u. a./Kommission (C‑471/09 P bis C‑473/09 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:521) und Diputación Foral de Vizcaya u. a./Kommission (C‑474/09 P bis C‑476/09 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:522) zurück.

Zur Kontrolle der Durchführung der Entscheidung von 2001

21

Am 12. Oktober 2001 informierte sich die Kommission beim Königreich Spanien über die von ihm ergriffenen Maßnahmen zur Befolgung ihrer Entscheidungen vom 11. Juli 2001.

22

Da die Antworten die Kommission nicht zufriedenstellten, rief sie am 19. November 2003 den Gerichtshof mit einer Vertragsverletzungsklage gemäß Art. 108 Abs. 2 AEUV an.

23

Am 14. Dezember 2006 entschied der Gerichtshof, dass das Königreich Spanien gegen seine Verpflichtungen verstoßen hat, da es nicht innerhalb der vorgesehenen Frist die Maßnahmen ergriffen hat, die notwendig sind, um den Entscheidungen der Kommission vom 11. Juli 2001 nachzukommen (Urteil vom 14. Dezember 2006, Kommission/Spanien, C‑485/03 bis C‑490/03, EU:C:2006:777).

24

Aufgrund des oben in Rn. 23 angeführten Urteils zogen die spanischen Behörden einen Teil der Beihilfen von den Empfängern wieder ein. Sie vertraten die Ansicht, der andere Teil sei aufgrund seiner Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt, der Regeln für De‑minimis-Beihilfen und der Berücksichtigung rückwirkender Steuerabzüge nicht zurückzufordern.

25

Weil das Königreich Spanien damit ihrer Auffassung nach ihre Entscheidungen vom 11. Juli 2001 nicht vollständig durchgeführt hatte, reichte die Kommission am 18. April 2011 eine zweite Vertragsverletzungsklage gemäß Art. 260 Abs. 2 AEUV beim Gerichtshof ein.

26

Am 30. Oktober 2013 teilte die Kommission dem Gerichtshof im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens mit, dass ihrer Ansicht nach die Beihilfen am 15. Oktober 2013 vollständig zurückgezahlt worden seien. Daher sei es ihrer Meinung nach nicht erforderlich, dem Königreich Spanien die Zahlung eines Zwangsgeldes aufzuerlegen, sondern lediglich die Zahlung eines Pauschalbetrags (Urteil vom 13. Mai 2014, Kommission/Spanien, C‑184/11, EU:C:2014:316, Rn. 16 und 17).

27

Mit seinem Urteil vom 13. Mai 2014, Kommission/Spanien (C‑184/11, EU:C:2014:316), entschied der Gerichtshof, dass das Königreich Spanien gegen seine Verpflichtungen aus Art. 260 Abs. 1 AEUV verstoßen hatte. Er verurteilte das Königreich Spanien, als Sanktion für den Zeitraum der Nichtdurchführung einen Pauschalbetrag von 30 Mio. Euro zu zahlen.

Zur Situation der Klägerin

28

Die Klägerin, die Guardian Glass España, Central Vidriera, SLU, ist ein Unternehmen mit Sitz in Llodio (Spanien), in der Provinz Álava.

29

Der Klägerin wurde im Rahmen eines Projekts über einen Betrag von 45664899,69 Euro für die Konstruktion eines Floatglasofens und zugehöriger Einrichtungen erlaubt, in den Geschäftsjahren 1994 bis 1996 eine Steuergutschrift in Höhe von 45 % ihrer Investitionen anzuwenden.

30

Am 22. Oktober 2007 übermittelte die Dirección General de Hacienda de la Diputación foral de Álava (Generaldirektion Finanzen der Provinzverwaltung von Álava) der Klägerin ihre Resolución 1943/2007, de 19 de octubre, sobre ejecución de la Decisión de la Comisión C(2001) 1759 final, de 11 de julio de 2001, relativa al régimen de ayudas estatales ejecutado por España a favor de las empresas de Álava en forma de crédito fiscal del 45 % de las inversiones, en relación con la entidad Guardian Llodio, SLU, como continuadora de Guardian Llodio, SA, con NIF: B‑01.000.702 (Entscheidung 1943/2007 über die Durchführung der Entscheidung von 2001 in Bezug auf die Klägerin, im Folgenden: Entscheidung 1943/2007). Mit dieser Entscheidung forderte sie die Klägerin zur Rückzahlung eines Teils der gewährten Steuergutschriften auf und führte aus, dass der andere Teil in Anwendung der Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung (ABl. 1998, C 74, S. 9, im Folgenden: Leitlinien von 1998) als mit dem Binnenmarkt vereinbare Investitionsbeihilfe anzusehen sei.

31

Am 21. November 2007 legte die Klägerin gegen die Entscheidung 1943/2007 Widerspruch beim Organismo Jurídico-Administrativo de Álava (Rechtsbehelfsstelle der Finanzverwaltung Álava) ein, erhob sodann Klage beim Tribunal Superior de Justicia del País Vasco (Oberster Gerichtshof der Autonomen Gemeinschaft Baskenland) und legte schließlich Rechtsmittel beim Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) ein.

32

Am 7. Februar 2012 stellte die Generaldirektion Finanzen der Provinzverwaltung Álava der Klägerin eine zweite Entscheidung zu, nämlich ihre Resolución 324/2012, de 2 de febrero, sobre ejecución complementaria de la Decisión de la Comisión C(2001) 1759 final, de 11 de julio de 2001, relativa al régimen de ayudas estatales ejecutado por España a favor de las empresas de Álava en forma de crédito fiscal del 45 % de las inversiones, en relación con la entidad Guardian Llodio, SLU, como continuadora de Guardian Llodio, SA, con NIF: B‑01.000.702 (Entscheidung 324/2012 zur ergänzenden Durchführung der Entscheidung von 2001 in Bezug auf die Klägerin, im Folgenden: Entscheidung 324/2012). Mit dieser Entscheidung forderte sie von der Klägerin die Rückzahlung des Teils der Steuergutschriften, der in der Entscheidung 1943/2007 für mit dem Binnenmarkt vereinbar gehalten worden war, und forderte somit die vollständige Rückzahlung der erhaltenen Beihilfen.

33

Die Klägerin erhob auch gegen die Entscheidung 324/2012 Klage bei den spanischen Gerichten, die dieser zum Teil stattgaben.

34

Am 25. Mai 2012 legten die spanischen Behörden der Kommission Bankbescheinigungen vor, die die Rückzahlung der von der Klägerin erhaltenen Beihilfen bestätigten.

35

Am 14. Juli 2014 reichte die Diputación Foral de Álava (Provinzverwaltung von Álava, Spanien) im Rahmen des Verfahrens gegen die Entscheidung 324/2012 einen Antwortschriftsatz bei den spanischen Gerichten ein. Darin führte sie aus, dass die endgültige Prüfung der Situation der Klägerin noch nicht abgeschlossen sei, „da die Kommission, der es [obliege], sich zur Vereinbarkeit einer Beihilfe zu äußern, noch nicht geklärt [habe], ob die getätigte Investition unter Berücksichtigung der Ausführungen und vorgelegten Dokumente als das in den Leitlinien [von 1998] geforderte Kriterium des Anreizes erfüllend angesehen werden [könne], so dass für die getätigten Investitionen der Abzug im Rahmen regionaler Beihilfen gewährt werden [könne]“.

36

Am 16. Januar 2015 bat die Klägerin die Kommission, sie über deren Kontakte mit den spanischen Behörden hinsichtlich der ihr gewährten Beihilfen zu informieren. In diesem Schreiben wies die Klägerin darauf hin, dass sie ihrer Ansicht nach ein Recht auf Akteneinsicht, rechtliches Gehör, Verteidigung sowie Mitteilung aller Entscheidungen der Kommission bezüglich dieser Beihilfen habe.

37

Die Generaldirektion (GD) Wettbewerb der Kommission antwortete der Klägerin mit Schreiben vom 9. Februar 2015 und wies auf den bilateralen Charakter des Verfahrens zur Wiedereinziehung der staatlichen Beihilfen hin, das zwischen der Kommission und den spanischen Behörden stattfinde und somit einen direkten Kontakt zwischen den Empfängern der Beihilfen und den Dienststellen der Kommission ausschließe.

38

Mit Schreiben vom 16. März 2015 teilte die Klägerin mit, sie sei anderer Meinung als die Kommission.

39

Im Klageverfahren gegen die Entscheidung 324/1012 entschied das Tribunal Superior de Justicia del País Vasco (Oberster Gerichtshof des Baskenlands, Spanien), dass das Recht der Klägerin auf Verteidigung verletzt worden sei, da sie vor Erlass dieser Entscheidung nicht angehört worden sei. Die Klägerin wurde daher vor die Provinzverwaltung von Álava geladen.

40

Beim zweiten Termin am 19. Februar 2016 übergab die Verwaltung der Klägerin ein Schreiben vom 15. Juli 2015 mit der Bezeichnung „Steuersachen im Baskenland (Álava) – Informelle Mitteilung betreffend zusätzliche Ausführungen zur Vereinbarkeit mit den [Leitlinien von 1998]“ (im Folgenden: angefochtene Handlung).

Zur angefochtenen Handlung

41

Die angefochtene Handlung ist nicht unterzeichnet, enthält keinen Hinweis auf ihre Urheber und trägt nicht den Briefkopf der Kommission. Ihr liegt eine E‑Mail bei, aus der hervorgeht, dass sie von einem Beamten der GD Wettbewerb der Kommission an die Ständige Vertretung des Königreichs Spanien bei der Europäischen Union geschickt wurde.

42

Die angefochtene Handlung enthält zwei Abschnitte: einen allgemeinen und einen individuellen, in dem die Situation der einzelnen betroffenen Unternehmen dargestellt wird.

43

Im ersten Abschnitt der angefochtenen Handlung wird ausgeführt:

die baskischen Behörden hätten den Dienststellen der Kommission zusätzliche Informationen zu den Ausführungen der Beihilfeempfänger zur Vereinbarkeit der Regelung betreffend die Steuergutschrift in Höhe von 45 % mit den Leitlinien von 1998 übermittelt;

obwohl die Wiedereinziehung im Oktober 2013 beendet gewesen sei, habe die GD Wettbewerb die Akten auf Wunsch der Behörden der Provinz Álava erneut geprüft;

die Dienststellen der Kommission hätten den spanischen Behörden ausnahmsweise erlaubt, die Vereinbarkeit der Beträge, die von den in Anwendung der unvereinbaren Regelung zurückzufordernden Summen abzuziehen seien, nicht nur im Hinblick auf die bereits gemäß der üblichen Praxis erlaubten Regelungen darzutun, sondern auch im Hinblick auf die Leitlinien von 1998;

in keiner der geprüften Akten fänden sich ausreichende Beweise dafür, dass ein Investitionsanreiz bestanden habe oder, anders gesagt, dass die Beihilfen vor Beginn der tatsächlichen Durchführung der Projekte beantragt worden seien, wie in Ziff. 4.2 der Leitlinien von 1998 gefordert werde.

44

Der zweite Abschnitt der angefochtenen Handlung enthält eine Analyse der Ausführungen der Klägerin auf der Grundlage der vorgelegten Informationen; die Prüfung der Ausführungen der anderen Empfänger wurde geschwärzt.

45

Der angefochtenen Handlung zufolge kann nicht bewiesen werden, dass die Investitionen der Klägerin getätigt wurden, nachdem sie ihren Beihilfeantrag gestellt hatte.

46

Der Urheber der angefochtenen Handlung führt aus, nach den ihm zur Verfügung gestellten Informationen habe die Klägerin ihren Beihilfeantrag am 17. Februar 1995 gestellt und in diesem Antrag die geschätzten Kosten für ihr Investitionsprojekt für den Zeitraum von 1994 bis 1996 angegeben. Die Behörden der Provinz Álava hätten mit Entscheidung vom 8. April 1995 Beihilfe nicht nur für die Investitionen gewährt, die für den Zeitraum von 1995 bis 1996 geplant gewesen seien, sondern auch für die vor Einreichung des Beihilfeantrags vom Unternehmen getragenen Kosten (zwischen 1994 und 1995).

47

Diese Kosten enthielten Kosten für „vorbereitende oder Machbarkeitsstudien“ und Kosten für den Erwerb von Datenverarbeitungsanlagen und anderen Gegenständen vor der Beantragung der Beihilfe. Die Klägerin habe vorgeschlagen, die Kosten für diese zweite Kategorie auszunehmen, weil sie nicht mit dem Investitionsprojekt in Verbindung stünden und somit den Anreizeffekt nicht in Frage stellten.

48

Der Urheber der angefochtenen Handlung bezieht sich ferner auf die Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung 2007-2013 (ABl. 2006, C 54, S. 13, im Folgenden: Leitlinien von 2006). Er weist darauf hin, dass Beweise angefordert worden seien, um festzustellen, ob die Klägerin ein kleines oder mittleres Unternehmen (KMU) sei, denn in einer früheren Wiedereinziehungssache eines anderen Begünstigten derselben Regelung seien Ausführungen zur Vereinbarkeit hinsichtlich der Kosten für Machbarkeitsstudien akzeptiert worden, weil die in Ziff. 51 dieser Leitlinien festgelegten Voraussetzungen erfüllt gewesen seien.

49

Laut dem angefochtenen Beschluss erlaubt Ziff. 51 der Leitlinien von 2006 die Subvention von Kosten für vorbereitende Studien, wenn der Empfänger ein KMU ist. Die Klägerin könne von 1994 bis 1996 nicht als KMU angesehen werden. Folglich seien „die Investitionen vor dem Zeitpunkt des Beihilfeantrags getätigt“ worden, und hätten „nicht nur vorbereitenden Studien gedient“.

Verfahren und Anträge der Beteiligten

50

Mit Klageschrift, die am 19. April 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

51

Am 20. Juli 2016 hat das Königreich Spanien die Zulassung als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission beantragt.

52

Mit gesondertem Schriftsatz, der am 22. Juli 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission eine Einrede der Unzulässigkeit gemäß Art. 130 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts erhoben.

53

Die Klägerin hat eine Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit eingereicht, die am 6. September 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist.

54

Mit einer ersten prozessleitenden Maßnahme auf der Grundlage von Art. 89 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts hat das Gericht die Kommission mit Schreiben vom 24. November 2016 aufgefordert, eine vollständige Kopie der angefochtenen Handlung in ihrer Originalfassung sowie den Schriftwechsel mit den spanischen Behörden zu den an die Klägerin gezahlten Beihilfen einzureichen. Die Kommission ist dieser Aufforderung fristgerecht nachgekommen.

55

Mit einer zweiten prozessleitenden Maßnahme hat das Gericht mit Schreiben vom 8. März 2017 die Kommission aufgefordert, schriftliche Fragen zu beantworten. Die Kommission ist dieser Aufforderung fristgerecht nachgekommen. Nach Eingang der Antworten der Kommission wurde die Klägerin zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme aufgefordert. Sie ist dieser Aufforderung fristgerecht nachgekommen.

56

Die Klägerin beantragt in der Klageschrift,

den vorgetragenen Nichtigkeitsgründen stattzugeben und folglich die angefochtene Handlung für nichtig zu erklären;

dementsprechend die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens im Sinne von Art. 108 Abs. 2 AEUV anzuordnen;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

57

Die Kommission beantragt in der Einrede der Unzulässigkeit,

die Klage für unzulässig zu erklären;

der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

58

In ihrer Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit beantragt die Klägerin, diese Einrede zurückzuweisen.

Rechtliche Würdigung

59

Gemäß Art. 130 Abs. 1 und 7 der Verfahrensordnung kann das Gericht vorab eine Entscheidung über die Unzulässigkeit oder die Unzuständigkeit herbeiführen, wenn der Beklagte dies beantragt.

60

Da die Kommission im vorliegenden Fall beantragt hat, über die Unzulässigkeit zu entscheiden, beschließt das Gericht, das sich aufgrund der Aktenlage für hinreichend informiert hält, ohne Fortsetzung des Verfahrens zu entscheiden.

Zur Einrede der Unzulässigkeit

61

Die Kommission begründet die Einrede der Unzulässigkeit erstens damit, dass die angefochtene Handlung nicht mit einer Nichtigkeitsklage angegriffen werden könne. Zweitens führt sie im Wesentlichen an, die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert und verfüge auch nicht über das erforderliche Interesse für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage.

62

Zur Anfechtbarkeit der angefochtenen Handlung führt die Kommission in der Hauptsache aus, die angefochtene Handlung weise keinen Entscheidungscharakter auf. Für den Fall, dass das Gericht die angefochtene Handlung als Entscheidung ansehe, weist sie hilfsweise darauf hin, dass diese Entscheidung nur die Entscheidung von 2001 bestätige, die endgültig geworden sei; als rein bestätigende Entscheidung könne die angefochtene Handlung nicht mit einer Nichtigkeitsklage angefochten werden.

63

Für die Stellungnahme zur Anfechtbarkeit der angefochtenen Handlung sind die zwischen den Parteien diesbezüglich ausgetauschten Argumente zu prüfen. Diese Argumente beziehen sich jeweils auf die angebliche verbindliche Rechtswirkung der angefochtenen Handlung, die Form der angefochtenen Handlung, die behauptete Anmeldung der der Klägerin gewährten Beihilfen bei der Kommission sowie die Rechtswirkungen, die ihr die spanischen Behörden beigemessen haben.

Zu den Rechtswirkungen der angefochtenen Handlung

64

Die Kommission führt aus, die angefochtene Handlung habe keine verbindliche Rechtswirkung, da sie Teil eines informellen Austauschs zwischen ihr und dem Königreich Spanien sei, der dazu gedient habe, Schwierigkeiten bei der Durchführung der Entscheidung von 2001 zu überwinden.

65

Der Kommission zufolge enthält die angefochtene Handlung ihre Stellungnahme im Rahmen der Durchführung einer Negativentscheidung im Bereich staatlicher Beihilfen. Eine solche Stellungnahme zähle jedoch nicht zu den Maßnahmen, die auf der Grundlage der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 108 AEUV (ABl. 2015, L 248, S. 9) erlassen werden könnten, und sei gemäß der im Urteil vom 13. Februar 2014, Mediaset (C‑69/13, EU:C:2014:71), angeführten Rechtsprechung in keiner Weise verbindlich.

66

Die Klägerin ihrerseits trägt vor, der Inhalt der angefochtenen Handlung weise im Gegenteil darauf hin, dass die Kommission auf Anfrage des Königreichs Spanien eine endgültige Würdigung der Vereinbarkeit einer Beihilfe abgebe. Die Kommission habe zu diesem Zweck die von den spanischen Behörden zur Verfügung gestellten Informationen, die ihr nicht vorgelegen hätten, als sie die Entscheidung von 2001 erlassen habe, geprüft. Die angefochtene Handlung könne daher nicht als einfache Bestätigung oder automatische Anwendung dieser Entscheidung angesehen werden.

67

Insoweit ist festzustellen, dass nach der Rechtsprechung nur Maßnahmen, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung beeinträchtigen, Handlungen sind, die Gegenstand einer Nichtigkeitsklage im Sinne von Art. 263 AEUV sein können (Urteile vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, EU:C:1981:264, Rn. 9, vom 12. September 2006, Reynolds Tobacco u. a./Kommission, C‑131/03 P, EU:C:2006:541, Rn. 54, und vom 6. Dezember 2007, Kommission/Ferriere Nord, C‑516/06 P, EU:C:2007:763, Rn. 27).

68

Für die Klärung, ob eine Maßnahme solche Rechtswirkungen hat, ist auf ihr Wesen abzustellen (Urteile vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, EU:C:1981:264, Rn. 9, vom 22. Juni 2000, Niederlande/Kommission, C‑147/96, EU:C:2000:335, Rn. 27, und vom 18. November 2010, NDSHT/Kommission, C‑322/09 P, EU:C:2010:701, Rn. 46).

69

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Kommission in der Entscheidung von 2001 die allgemeine Ausgestaltung der von der Provinz Álava eingeführten Steuergutschrift für Unternehmen in Höhe von 45 % ihrer Investitionen prüfte, die Unvereinbarkeit dieser Steuerregelung feststellte und die Rückforderung der auf der Grundlage dieser Steuerregelung gewährten Kredite anordnete, ohne die Einzelfälle zu untersuchen, in denen diese gewährt wurden.

70

Diese Praxis fügt sich in die Rechtsprechung ein, nach der die Kommission bei einem Beihilfeprogramm keine Analyse der im Einzelfall aufgrund einer solchen Regelung gewährten Beihilfe durchzuführen braucht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juni 2011, Comitato Venezia vuole vivere u. a./Kommission, C‑71/09 P, C‑73/09 P und C‑76/09 P, EU:C:2011:368, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung). Nach dieser Rechtsprechung kann sich die Kommission zur allgemeinen Ausgestaltung der in Rede stehenden Regelung äußern, ohne jeden Fall der individuellen Anwendung prüfen zu müssen.

71

Außerdem ist es in dem Fall, dass sich die Kommission allgemein und abstrakt zu einer Beihilferegelung äußert, die sie für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt, und die Rückforderung der nach dieser Regelung gewährten Beträge anordnet, Sache des Mitgliedstaats, die individuelle Situation jedes von einer solchen Rückforderungsaktion betroffenen Unternehmens zu prüfen (Urteil vom 9. Juni 2011, Comitato Venezia vuole vivere u. a./Kommission, C‑71/09 P, C‑73/09 P und C‑76/09 P, EU:C:2011:368, Rn. 64).

72

Wenn ein Mitgliedstaat bei der Durchführung einer Entscheidung im Bereich staatlicher Beihilfen auf unvorhergesehene und unvorhersehbare Schwierigkeiten stößt, hat er sich an die Kommission zu wenden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2013, Kommission/Italien, C‑411/12, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:832, Rn. 38).

73

Bei der Aufnahme solcher Diskussionen zur Durchführung einer Entscheidung der Kommission im Bereich staatlicher Beihilfen müssen die Kommission und der betreffende Mitgliedstaat gemäß ihrer Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit redlich zusammenwirken, um diese Schwierigkeiten unter vollständiger Beachtung der Bestimmungen des AEU-Vertrags, insbesondere derjenigen über die Beihilfen, zu überwinden (Urteil vom 12. Dezember 2013, Kommission/Italien, C‑411/12, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:832, Rn. 38).

74

Im Übrigen sind nach der Rechtsprechung Schreiben der Kommission an die nationalen Behörden im Rahmen der Durchführung einer Entscheidung der Kommission, mit der eine Beihilferegelung für rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird und durch die die Rückforderung der in Rede stehenden Beihilfen angeordnet wird, durch die aber nicht die einzelnen Empfänger dieser Beihilfen bestimmt werden und die genaue Höhe der zu erstattenden Beträge festgesetzt wird, nicht verbindlich (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Februar 2014, Mediaset, C‑69/13, EU:C:2014:71, Rn. 24).

75

In einem solchen Rahmen bringt die Kommission nur zum Ausdruck, dass die von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgeschlagenen Durchführungsmaßnahmen ihrer Meinung nach im Hinblick auf die Schwierigkeiten, auf die dieser Mitgliedstaat bei der Durchführung gestoßen ist, mit dem Unionsrecht vereinbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Mai 2006, Kuwait Petroleum [Nederland]/Kommission, T‑354/99, EU:T:2006:137, Rn. 69).

76

In der vorliegenden Rechtssache ist somit zu klären, ob der Gegenstand des Schriftwechsels zwischen dem Königreich Spanien und der Kommission, wie er aus der angefochtenen Handlung hervorgeht, zur Durchführung der Entscheidung von 2001 gehört, wie die Kommission geltend macht, da er auf die Umsetzung von Elementen gerichtet sei, die in Letzterer enthalten seien.

77

Insoweit ist festzustellen, dass in der angefochtenen Handlung der vermeintliche Anreizeffekt der an die Klägerin ausgezahlten Beihilfen in Frage gestellt wird.

78

Dort wird darauf hingewiesen, dass eine Beihilfe, um erlaubt zu sein, einen Anreiz bieten müsse. Dieses Erfordernis impliziere, dass die Empfänger die Anträge auf Beihilfe vor der Durchführung ihres Projekts stellen müssten. Was die an die Klägerin gezahlte Beihilfe angehe, habe diese den vorliegenden Informationen zufolge offensichtlich keinen Anreiz ausgeübt, da sie von der Klägerin am 17. Februar 1995 für vor diesem Zeitpunkt entstandene Kosten beantragt worden seien. Diese Kosten beliefen sich auf 1161778 Euro und umfassten zwei Kategorien von Ausgaben: Ausgaben für vorbereitende oder Machbarkeitsstudien und Kosten für den Erwerb von Datenverarbeitungsanlagen und anderen Gegenständen.

79

Als Antwort auf Informationen der spanischen Behörden wird in der angefochtenen Handlung im Übrigen darauf hingewiesen, dass gemäß den Leitlinien von 2006 die Kosten für vorbereitende Studien subventioniert werden könnten, wenn der Empfänger der Beihilfe ein KMU sei. Der Klägerin könne diese Regelung nicht zugutekommen, weil sie zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht die erforderliche Personalausstattung gehabt habe, um als KMU eingestuft zu werden, und weil ihr Jahresumsatz die festgesetzte Grenze für diese Einstufung überstiegen habe.

80

Es ist festzuhalten, dass die verschiedenen, vorstehend wiedergegebenen Ausführungen Teil des Schriftwechsels zwischen der Kommission und den spanischen Behörden waren, der dazu diente, die Durchführung der Entscheidung von 2001 zu gewährleisten. In dieser Entscheidung vertrat die Kommission nämlich die Auffassung, dass die geprüfte Regelung als Investitionsbeihilfe entsprechend der Definition in Anhang I der Leitlinien von 1998 angesehen werden könne. Sie wies außerdem darauf hin, dass entsprechend diesen Leitlinien die an die Empfänger gezahlten Beträge einen Anreiz bieten müssten, um mit dem Binnenmarkt vereinbar zu sein.

81

Nach der oben in Rn. 71 angeführten Rechtsprechung oblag im vorliegenden Fall dem Königreich Spanien die Prüfung, in welchem Umfang die Voraussetzung betreffend den Anreizeffekt der Beihilfen hinsichtlich der einzelnen Unternehmen, denen die von der Provinz Álava eingeführte Steuergutschrift für Unternehmen in Höhe von 45 % ihrer Investitionen zugutekam, erfüllt war. In diesem Rahmen war, wie oben in Rn. 72 ausgeführt, dieser Mitgliedstaat verpflichtet, sich an die Kommission zu wenden, wenn in Einzelfällen unvorhergesehene und unvorhersehbare Schwierigkeiten betreffend die Art und Weise der Anwendung der von der Kommission getroffenen Entscheidung auftraten.

82

Dies ist im vorliegenden Fall geschehen. Im Stadium der Wiedereinziehung der in Rede stehenden Beihilfen prüften die spanischen Behörden, ob die Voraussetzung betreffend den Anreizeffekt dieser Beihilfen hinsichtlich der an die Klägerin gezahlten Beihilfe erfüllt war. In diesem Rahmen fragten sie die Kommission, wie die in der Entscheidung von 2001 enthaltene Voraussetzung auszulegen sei. Zur Beantwortung dieser Frage erteilte ihnen der Urheber der angefochtenen Handlung Auskünfte zur Auslegung des Erfordernisses eines Anreizeffekts, indem er diese Handlung abfasste und den spanischen Behörden übermittelte.

83

Wie im Urteil vom 13. Februar 2014, Mediaset (C‑69/13, EU:C:2014:71), und entgegen dem Vorbringen der Klägerin in ihren Schriftsätzen stellt die angefochtene Handlung somit ein Schreiben der Kommission an die nationalen Behörden im Rahmen des zur Sicherstellung der sofortigen und tatsächlichen Durchführung einer Entscheidung der Kommission im Bereich staatlicher Beihilfen geführten Schriftwechsels dar, dem von daher keine verbindlichen Rechtswirkungen, die die Interessen der Klägerin durch eine qualifizierte Änderung ihrer Rechtsstellung beeinträchtigen, beigemessen werden können.

Zur Form der angefochtenen Handlung

84

Die Kommission führt aus, die angefochtene Handlung könne angesichts ihrer Form nicht als Maßnahme mit Entscheidungscharakter angesehen werden. Es handele sich um eine informelle Antwort von Beamten der Kommission auf eine einfache Anfrage der spanischen Behörden nach Informationen.

85

Insoweit ist festzustellen, dass nach der Rechtsprechung die Form, in der eine Handlung ergeht, für die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage grundsätzlich ohne Bedeutung ist (Urteil vom 18. November 2010, NDSHT/Kommission, C‑322/09 P, EU:C:2010:701, Rn. 47).

86

So wird vermieden, dass eine Handlung infolge der Form oder der Bezeichnung, die ihr ihr Urheber gegeben hat, einer Nichtigkeitsklage entzogen werden kann, obschon sie tatsächlich Rechtswirkungen erzeugt (Urteil vom 4. März 2015, Vereinigtes Königreich/EZB, T‑496/11, EU:T:2015:133, Rn. 30).

87

Hingegen kann die Form einer Handlung berücksichtigt werden, wenn sie zur Bestimmung ihrer rechtlichen Bedeutung beitragen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Mai 1982, Deutschland und Bundesanstalt für Arbeit/Kommission, 44/81, EU:C:1982:197, Rn. 12, und Beschluss vom 12. Februar 2010, Kommission/CdT, T‑456/07, EU:T:2010:39, Rn. 58).

88

Insoweit ist festzustellen, dass im vorliegenden Fall die angefochtene Handlung die Form eines undatierten Schreibens hat. Dieses Schreiben ist im Übrigen nicht unterzeichnet. Es trägt nicht den Briefkopf der Kommission.

89

Aus diesen Umständen geht hervor, dass die angefochtene Handlung ein informelles Schreiben darstellt, das nicht die allgemein von einem Organ verwendete Form zum Erlass einer Handlung, die Rechtswirkungen erzeugt oder bezweckt, aufweist.

90

Dieselbe Feststellung kann auf der Grundlage des Titels der angefochtenen Handlung getroffen werden, den der Urheber ihr gegeben hat, nämlich „Informelle Mitteilung“.

91

Dieselbe Feststellung lässt sich auch auf der Grundlage verschiedener Formulierungen treffen, die in der angefochtenen Handlung verwendet werden, insbesondere die Formulierungen „offensichtlich … nicht“, „auf den ersten Blick“ und „auf der Grundlage der übermittelten Informationen“. Solche Formulierungen zeigen, dass der Verfasser dieser Mitteilung mit ihr nicht die Rechtsstellung des betreffenden Unternehmens ändern wollte, sondern vielmehr in Beantwortung einer Frage der Behörden der Provinz Álava eine Information betreffend die Anwendung der Entscheidung von 2001 in dem diesen Behörden vorliegenden Fall geben wollte.

92

Folglich wird das Fehlen verbindlicher Rechtswirkungen der angefochtenen Handlung, das sich aus ihrem Sachgehalt ergibt, durch die Form bestätigt, in der sie erlassen wurde.

Zur behaupteten Anmeldung der Beihilfen durch die spanischen Behörden

93

Die Kommission führt aus, dass sie ohne Anmeldung einer Beihilfe durch einen Mitgliedstaat keine Entscheidung über die Vereinbarkeit dieser Beihilfe mit dem Binnenmarkt erlassen könne. Ihrer Ansicht nach hätten die spanischen Behörden die der Klägerin gewährten Beihilfen anmelden können, damit sie eine Entscheidung darüber erlasse, doch hätten sie dies nicht getan. Sie hätten ihr lediglich mitgeteilt, dass die Klägerin um informelle „erneute Prüfung“ ihrer Argumente zur Vereinbarkeit der erhaltenen Steuergutschriften ersucht habe.

94

Die Klägerin trägt vor, die spanischen Behörden seien davon ausgegangen, eine formelle Entscheidung der Kommission zur Vereinbarkeit der an die Klägerin gezahlten Beihilfen zu erhalten. Zu diesem Zweck hätten sie der Kommission Informationen übermittelt, die diese als ausreichend erachtet habe; ihre Antwort auf die Frage der spanischen Behörden sei hierfür der Beweis. Daher sei davon auszugehen, dass die Beihilfen angemeldet worden seien.

95

Nach Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags (ABl. 1999, L 83, S. 1), die zum Zeitpunkt des Sachverhalts in Kraft war, teilen die Mitgliedstaaten ihre Vorhaben zur Gewährung neuer Beihilfen der Kommission rechtzeitig mit.

96

Gemäß Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 659/1999 übermittelt der Mitgliedstaat der Kommission in seiner Anmeldung die sachdienlichen Auskünfte, damit diese eine Entscheidung erlassen kann.

97

Diese Meldepflicht ermöglicht es der Kommission, ihre Kontrolle über jede beabsichtigte Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen rechtzeitig und im allgemeinen Interesse der Union auszuüben (Beschluss vom 5. November 2003, Kronoply/Kommission, T‑130/02, EU:T:2003:293, Rn. 49).

98

Um zu klären, ob die der Klägerin gewährten Beihilfen bei der Kommission angemeldet wurden, ist der Inhalt des Schriftwechsels zwischen den spanischen Behörden und der Kommission bis zu dem Zeitpunkt zu prüfen, zu dem die angefochtene Handlung erlassen wurde.

99

Aus dem in Rede stehenden Schriftwechsel geht hervor, dass die spanischen Behörden und die Kommission ihren Schriftwechsel im Laufe des zweiten Vertragsverletzungsverfahrens fortführten und die Situation bestimmter Empfänger, einschließlich der Klägerin, erwähnten.

100

Mit Schreiben vom 23. Mai 2013 übersandte die Ständige Vertretung des Königreichs Spanien bei der Union dem Generalsekretariat der Kommission zwei von der Klägerin verfasste Schreiben aus dem Jahr 2011 zur Frage des Anreizeffekts der ihr gewährten Beihilfen.

101

Am 28. Mai 2013 sandte der Urheber der angefochtenen Handlung in Beantwortung dieses Schreibens an die Ständige Vertretung des Königreichs Spanien bei der Union per E‑Mail ein Schreiben mit dem Titel „Steuersachen im Baskenland – Vertragsverletzungsverfahren 2007/2215 (Álava). Informelle Mitteilung in Beantwortung des Schreibens vom 23. Mai betreffend Guardian Llodio (Álava)“.

102

Der erste Teil des oben in Rn. 101 erwähnten Schreibens ist eine vorläufige Fassung der angefochtenen Handlung. Der zweite Teil dieses Schreibens enthält Fragen, die darauf abzielen, zusätzliche Informationen zu erhalten, um das Vorbringen der Klägerin zum Anreizeffekt der von ihr erhaltenen Beihilfen zu prüfen.

103

Mit Schreiben vom 31. Juli und vom 24. Oktober 2013, die an das Generalsekretariat der Kommission gerichtet waren, lieferte die Ständige Vertretung des Königreichs Spanien bei der Union weitere Informationen.

104

Wie oben in den Rn. 26 und 27 ausgeführt, wies die Kommission in diesem Zusammenhang den Gerichtshof, der mit der zweiten Vertragsverletzungsklage befasst war, darauf hin, dass ihrer Meinung nach das Königreich Spanien seiner Verpflichtung zur Wiedereinziehung der Beihilfen nachgekommen sei, und der Gerichtshof verurteilte das Königreich Spanien zur Zahlung eines Pauschalbetrags von 30 Mio. Euro für den Zeitraum der Nichtdurchführung (Urteil vom 13. Mai 2014, Kommission/Spanien, C‑184/11, EU:C:2014:316).

105

Mit Schreiben vom 10. Juni 2014 und vom 11. Februar 2015 informierten die spanischen Behörden das Generalsekretariat der Kommission über die von den Empfängern zurückgeforderten Beträge sowie über die von den Empfängern bei den spanischen Gerichten erhobenen Klagen gegen die Rückforderungsanordnungen.

106

Am 3. Juni 2015 richteten die Behörden der Provinz Álava eine E‑Mail an den Urheber der angefochtenen Handlung, auf die dieser in Form der angefochtenen Handlung antwortete.

107

In dieser E‑Mail übermittelten die Behörden der Provinz Álava eine Liste der Unternehmen, die Parteien in den bei den spanischen Gerichten anhängigen Rechtsstreitigkeiten waren. Weiter hieß es dort, in diesen Rechtsstreitigkeiten stehe eine Antwort dieser Behörden auf die Frage nach dem Anreizeffekt der Beihilfen, die diesen Unternehmen gewährt wurden, aus. Die Klägerin gehört zu den aufgeführten Unternehmen.

108

Im Licht dieses Schriftwechsels kann nicht festgestellt werden, dass das Königreich Spanien die der Klägerin gewährten Beihilfen angemeldet hat; eine solche Anmeldung hätte die Kommission dazu verpflichtet, sich im Wege einer Entscheidung über die Vereinbarkeit dieser Beihilfen zu äußern.

109

Es wird nämlich nirgends erwähnt, dass die spanischen Behörden die der Klägerin gewährten Beihilfen hätten anmelden wollen.

110

Die angefochtene Handlung enthält im Übrigen keinen ausdrücklichen Bezug auf Art. 108 Abs. 3 AEUV, der die rechtliche Grundlage für die Meldepflicht bildet.

111

Vielmehr geht aus dem Wortlaut des Schriftwechsels und insbesondere der E‑Mail der Behörden der Provinz Álava vom 3. Juni 2015 hervor, dass diese Behörden mit ihren Fragen Informationen von der Kommission erhalten wollen, um in ihren bei den spanischen Gerichten einzureichenden Schriftsätzen Fragen zu beantworten, die sich für bestimmte Empfänger stellten, welche die Rückforderungsanordnungen angefochten hätten.

112

Unter diesen Umständen kann die E‑Mail der Behörden der Provinz Álava nicht als Anmeldung der an die Klägerin gezahlten Beihilfen gewertet werden, eine Anmeldung, die auf Seiten der Kommission impliziert hätte, dass sie eine Entscheidung gemäß der Verordnung Nr. 659/1999 erlässt.

Zur angeblich von den spanischen Behörden anerkannten verbindlichen Rechtswirkung

113

Die Klägerin meint, die angefochtene Handlung habe Entscheidungscharakter, weil die spanischen Behörden ihr vor den spanischen Gerichten verbindlichen Charakter zugesprochen hätten. Ihrer Ansicht nach erklärten sich diese Behörden für die endgültige Prüfung ihrer Situation für unzuständig, indem sie in einem am 14. Juli 2014 eingereichten Schriftsatz ausführten, dass „die Prüfung der Vereinbarkeit in der ausschließlichen Zuständigkeit der Kommission“ liege.

114

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung das Vorliegen verbindlicher Rechtswirkungen, die die Interessen des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung berühren, auf der Grundlage des Wesens der betreffenden Maßnahme festzustellen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, EU:C:1981:264, Rn. 9, vom 22. Juni 2000, Niederlande/Kommission, C‑147/96, EU:C:2000:335, Rn. 27, und vom 18. November 2010, NDSHT/Kommission, C‑322/09 P, EU:C:2010:701, Rn. 46).

115

Das Vorliegen solcher Wirkungen kann nicht mit anderen Faktoren begründet werden, insbesondere nicht mit der Wahrnehmung, die deren Empfänger haben können. Eine solche Wahrnehmung ist naturgemäß subjektiv. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Klage können jedoch nicht von Faktoren abhängen, die je nach Behörde, Unternehmen oder Privatperson variieren.

116

Andernfalls würden diese Maßnahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle entgehen, wenn sie von einem oder mehreren Empfängern nicht als verbindlich wahrgenommen würden, obwohl ihr Sachgehalt darauf hinweist, dass sie tatsächlich verbindliche Rechtswirkungen entfalten. Im Gegensatz dazu unterlägen Maßnahmen auf der Grundlage der Wahrnehmung ihrer Empfänger der Rechtmäßigkeitskontrolle, obwohl sie keine verbindliche Rechtswirkung entfalten und eine solche Kontrolle somit nicht nötig oder sachdienlich wäre.

117

Die Wahrnehmung, die die spanischen Behörden von den Rechtswirkungen der angefochtenen Handlung gehabt haben könnten, wenn diese Wahrnehmung denn festgestellt würde, kann nicht herangezogen werden, um die Zulässigkeit der Klage gegen die angefochtene Handlung zu beurteilen.

118

Nach alledem ist festzuhalten, dass die angefochtene Handlung im Rahmen der Durchführung der Entscheidung von 2001 erlassen wurde und dass sie keine Antwort auf eine Anmeldung durch die spanischen Behörden darstellt, die zur Einleitung eines getrennten Verfahrens nach den Regelungen im Bereich staatlicher Beihilfen führen kann.

119

Da sie keine verbindlichen Rechtswirkungen erzeugt und nicht dazu bestimmt ist, verbindliche Rechtswirkungen zu erzeugen, die die Interessen der Klägerin durch eine qualifizierte Änderung ihrer Rechtsstellung beeinträchtigen, kann die angefochtene Handlung nicht als anfechtbare Handlung im Sinne von Art. 263 AEUV angesehen werden. Daher ist der Einrede der Unzulässigkeit stattzugeben und die vorliegende Klage als unzulässig abzuweisen.

Zum Streithilfeantrag

120

Gemäß Art. 142 Abs. 2 der Verfahrensordnung ist über den Antrag des Königreichs Spanien auf Zulassung als Streithelfer nicht mehr zu entscheiden, da die Klage unzulässig ist.

Kosten

121

Nach Art. 134 Art. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

122

Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Kommission aufzuerlegen.

123

Im Übrigen trägt nach Art. 144 Abs. 10 der Verfahrensordnung das Königreich Spanien seine eigenen im Zusammenhang mit dem Streithilfeantrag entstandenen Kosten.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

beschlossen:

 

1.

Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

 

2.

Der Streithilfeantrag des Königreichs Spanien ist erledigt.

 

3.

Die Guardian Glass España, Central Vidriera, SLU trägt ihre eigenen Kosten und die Kosten der Europäischen Kommission.

 

4.

Das Königreich Spanien trägt seine eigenen im Zusammenhang mit dem Streithilfeantrag entstandenen Kosten.

 

Luxemburg, den 11. Oktober 2017

Der Kanzler

E. Coulon

Die Präsidentin

I. Pelikánová


( *1 ) Verfahrenssprache: Spanisch.

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