Urteil vom Europäischer Gerichtshof - T-712/14
URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)
23. Oktober 2017 ( *1 )
„Wettbewerb – Kartelle – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Selektives System im Bereich Reparaturen – Weigerung der Schweizer Uhrenhersteller, an unabhängige Uhrmacher Ersatzteile zu liefern – Primärmarkt und Anschlussmarkt – Ausschaltung jeglichen wirksamen Wettbewerbs – Beschluss, eine Beschwerde zurückzuweisen“
In der Rechtssache T‑712/14
Confédération européenne des associations d’horlogers-réparateurs (CEAHR) mit Sitz in Brüssel (Belgien), Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte P. Mathijsen und P. Dyrberg, dann Rechtsanwalt M. Sánchez Rydelski und schließlich Rechtsanwalt P. Benczek,
Klägerin,
gegen
Europäische Kommission, zunächst vertreten durch F. Ronkes Agerbeek, M. Farley und C. Urraca Caviedes, dann durch A. Dawes, F. Ronkes Agerbeek und J. Norris-Usher als Bevollmächtigte,
Beklagte,
unterstützt durch
LVMH Moët Hennessy-Louis Vuitton SA mit Sitz in Paris (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwalt C. Froitzheim und R. Subiotto, QC,
durch
Rolex, SA, mit Sitz in Genf (Schweiz), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Araujo Boyd,
und durch
The Swatch Group SA mit Sitz in Neuenburg (Schweiz), Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte A. Israel und M. Jakobs, dann Rechtsanwälte A. Israel und J. Lang,
Streithelferinnen,
betreffend eine Klage gemäß Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2014) 5462 final der Kommission vom 29. Juli 2014, mit dem die Kommission die von der Klägerin wegen behaupteter Zuwiderhandlungen gegen die Art. 101 und 102 AEUV eingelegte Beschwerde zurückgewiesen hat (Sache AT.39097 – Uhrenreparatur),
erlässt
DAS GERICHT (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten M. Prek sowie der Richter E. Buttigieg und B. Berke (Berichterstatter),
Kanzler: C. Heeren, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Februar 2017
folgendes
Urteil
Vorgeschichte des Rechtsstreits und angefochtener Beschluss
Verwaltungsverfahren
1 |
Die Klägerin, die Confédération européenne des associations d’horlogers-réparateurs (CEAHR), ist eine Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht, die aus neun, die Interessen der unabhängigen Uhrmacher vertretenden nationalen Verbänden aus acht Mitgliedstaaten besteht. |
2 |
Am 20. Juli 2004 reichte die Klägerin bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften eine Beschwerde gegen die The Swatch Group SA, die Richemont International SA, die LVMH Moët Hennessy-Louis Vuitton SA, die Rolex, SA, die Manufacture des montres Rolex SA, die Société anonyme de la Manufacture d’horlogerie Audemars Piguet & Cie und die Patek Philippe SA Manufacture d’Horlogerie (im Folgenden: Schweizer Uhrenhersteller) ein, mit der sie das Bestehen einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise zwischen diesen beanstandete und auf den Missbrauch einer beherrschenden Stellung hinwies, der sich daraus ergebe, dass sich die betreffenden Hersteller weigerten, die unabhängigen Uhrmacher weiterhin mit Ersatzteilen zu beliefern. |
3 |
Am 10. Juli 2008 erließ die Kommission die Entscheidung C(2008) 3600 (Sache COMP/E-1/39097 – Uhrenreparatur), mit der sie die Beschwerde der CEAHR unter Berufung auf das Fehlen eines hinreichenden Interesses der Europäischen Union für eine Fortsetzung der Untersuchung der behaupteten Zuwiderhandlungen zurückwies. |
4 |
Am 15. Dezember 2010 erklärte das Gericht die Entscheidung der Kommission, mit der die Beschwerde zurückgewiesen worden war, für nichtig. Es entschied, dass die Kommission ihre Pflicht verletzt habe, alle erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen und alle diese ihr von der Klägerin zur Kenntnis gebrachten Gesichtspunkte aufmerksam zu prüfen, dass sie ihre Feststellung, dass die Beschwerde allenfalls einen Marktausschnitt von begrenzter Größe betreffe und sich daher auch dessen wirtschaftliche Bedeutung in Grenzen halte, unzureichend begründet habe und dass ihr ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen sei, als sie zu dem Ergebnis gelangt sei, dass der Markt für die Dienstleistungen der Reparatur und Wartung der Uhren keinen getrennten relevanten Markt bilde, sondern zusammen mit dem Markt der Luxus- oder Prestigeuhren zu prüfen sei. Nach Ansicht des Gerichts waren folglich die von der Kommission begangenen Rechtsverstöße so geartet, dass sie deren Beurteilung in Bezug auf das Bestehen eines hinreichenden Interesses der Union für die weitere Prüfung der Beschwerde berührten (Urteil vom 15. Dezember 2010, CEAHR/Kommission, T‑427/08, EU:T:2010:517, Rn. 33 bis 43, 76 bis 119 und 157 bis 178). |
5 |
In der Folge dieses Urteils leitete die Kommission am 1. August 2011 gegen die Schweizer Uhrenhersteller ein Verfahren gemäß Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel [101 und 102 AEUV] durch die Kommission (ABl. 2004, L 123, S. 18) ein. Am 29. Juli 2013 gab die Kommission der Klägerin bei einem Sachstandstreffen ihren vorläufigen Standpunkt zu der Beschwerde bekannt. Nach ihrer Prüfung entschied sie, die Untersuchung nicht fortzusetzen. |
6 |
Mit Schreiben vom 3. September 2013 unterrichtete sie die Klägerin formell von ihrer Absicht, die Beschwerde zurückzuweisen. |
7 |
Mit Schreiben vom 27. September 2013 nahm die Klägerin gegenüber der Kommission Stellung zur Zurückweisung der Beschwerde. Sie blieb dabei, dass die Weigerung der Schweizer Uhrenhersteller, Ersatzteile zu liefern, einen Verstoß gegen die Art. 101 und 102 AEUV darstelle. |
8 |
Nach Eingang der Stellungnahmen von Richemont, Rolex und The Swatch Group am 16. September bzw. am 18. und 19. November 2013 und nach Weiterleitung dieser Stellungnahmen und der nicht vertraulichen Unterlagen, auf die die Kommission ihre Beurteilung gestützt hat, an die Klägerin teilte die Kommission der Klägerin am 16. Januar und 5. März 2014 bei Sachstandstreffen mit, dass deren Stellungnahme keine wesentlich neuen Informationen enthalte, die ihren ursprünglichen Standpunkt ändern könnten. |
9 |
Am 29. Juli 2014 erließ die Kommission den Beschluss C(2014) 5462 final in der Sache AT.39097 – Uhrenreparatur (im Folgenden: angefochtener Beschluss), mit dem sie die Beschwerde der Klägerin mit der Begründung zurückwies, dass der Aufwand, den eine genauere Untersuchung erforderlich machen würde, in keinem Verhältnis zu der geringen Wahrscheinlichkeit stehe, eine Zuwiderhandlung gegen die Art. 101 und 102 AEUV nachzuweisen. |
Angefochtener Beschluss
10 |
Die Kommission beschränkte ihre Untersuchung auf Uhren, bei denen sich die Reparatur und Wartung aus wirtschaftlichen und technischen Gründen lohnt, d. h. auf Uhren mit einem Verkaufspreis von über 1000 Euro (im Folgenden: Prestigeuhren). |
11 |
Die Kommission wies zunächst darauf hin, dass auf dem Markt für die Herstellung von Prestigeuhren Wettbewerb herrsche. |
12 |
In den Erwägungsgründen 65 bis 73 des angefochtenen Beschlusses wird beschrieben, wie die Reparatur- und Wartungsleistungen erbracht werden. Hierzu führt die Kommission aus, die meisten Schweizer Uhrenhersteller hätten im Bereich Reparaturen ein selektives System eingerichtet, das es unabhängigen Uhrmachern ermögliche, autorisierte Uhrmacher zu werden, sofern sie bestimmte Voraussetzungen in Bezug auf ihre Ausbildung, Erfahrung und Ausstattung sowie die Geeignetheit ihrer Räumlichkeiten erfüllten. Solche Systeme seien von verschiedenen Herstellern zu unterschiedlichen Zeitpunkten fortschreitend eingeführt worden, während andere Hersteller weiterhin Ersatzteile an unabhängige Uhrmacher lieferten. Darüber hinaus nähmen manche Schweizer Uhrenhersteller, die solche Systeme eingeführt hätten, für alte Uhren weiterhin die Leistungen der unabhängigen Uhrmacher in Anspruch. Die autorisierten Uhrmacher hätten Zugang zu Ersatzteilen und markenspezifischem Werkzeug sowie zu den notwendigen technischen Informationen. Sie dürften die Ersatzteile nicht an nicht autorisierte Uhrmacher weiterverkaufen. Oft seien sie auch Händler für diese Uhren und für den Kundendienst zuständig. Die Schweizer Uhrenhersteller hätten auch interne Strukturen für die Reparatur eingerichtet. Wie viel investiert werden müsse, um autorisierter Uhrmacher zu werden, hänge von der Marke und der Art der angebotenen Reparaturen ab, bei denen es sich um Grundreparaturen handeln könne oder um Komplettreparaturen, d. h. um Reparaturen, bei denen auch der Mechanismus, der die Zeiger bewege und die zusätzlichen Funktionen antreibe, nämlich das Uhrwerk, zerlegt werde. Bei manchen Schweizer Uhrenherstellern sei der Anteil der Reparaturen, die von den autorisierten Uhrmachern durchgeführt würden, sehr groß. Im Übrigen hätten die Prestigeuhren häufig sehr komplexe mechanische Uhrwerke, die ein höheres Know-how erforderten als Quarzuhrwerke. |
Marktabgrenzung
13 |
In den Erwägungsgründen 85 bis 91 des angefochtenen Beschlusses untersuchte die Kommission den Markt für den Verkauf von Prestigeuhren (Primärmarkt), den Markt für die Erbringung von Wartungs- und Reparaturleistungen für diese Uhren und den Markt für die Lieferung von Ersatzteilen (Sekundärmärkte), die sich geografisch auf den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) erstrecken. Sie war der Ansicht, dass der Primärmarkt und die Sekundärmärkte separate und eigenständige Märkte seien. |
14 |
Hinsichtlich der Reparatur- und Wartungsleistungen stellte die Kommission fest, dass zwischen den Reparaturleistungen der einzelnen Marken eine begrenzte Substituierbarkeit bestehe, so dass davon ausgegangen werden könne, dass für jede Marke ein separater Markt bestehe. |
15 |
Hinsichtlich der Lieferung von Ersatzteilen stellte die Kommission fest, dass die Substituierbarkeit sehr begrenzt sei, da die Ersatzteile in der Regel nicht von Marke zu Marke austauschbar seien und die Kunden, wenn die Ersatzteile denn austauschbar wären, die Verwendung von Originalteilen vorzögen, damit die Uhr nicht an Wert verliere. Wie bei den Reparatur- und Wartungsleistungen bestünden daher für die jeweiligen Marken separate Märkte. |
Würdigung anhand von Art. 102 AEUV
16 |
Die Kommission war der Ansicht, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Schweizer Uhrenhersteller auf den Märkten für Reparaturleistungen und die Lieferung von Ersatzteilen eine beherrschende Stellung innehätten, da der Eintritt in diese Märkte wegen deren Merkmalen hohe Investitionen erfordere. |
17 |
Da jedoch die Schweizer Uhrenhersteller im Bereich Reparaturen selektive Systeme eingerichtet hätten, die es unabhängigen Uhrmachern erlaubten, autorisierte Uhrmacher zu werden, sofern sie bestimmte objektive Kriterien erfüllten, entschied die Kommission, dass entgegen den von der Klägerin angeführten Präzedenzfällen nicht davon ausgegangen werden könne, dass sie sich die Sekundärmärkte vorbehalten hätten, indem sie den Zugang der unabhängigen Uhrmacher zu diesen Märkten verhindert hätten. Außerdem schalteten solche Systeme den wirksamen Wettbewerb nicht aus, da dieser zwischen den autorisierten Uhrmachern weiter bestehe, zumal sie Uhren verschiedener Marken reparieren könnten. |
18 |
Mangels besonderer Umstände und da das im Bereich Reparaturen eingeführte selektive System auf qualitativen Kriterien beruhe, reichte der Kommission zufolge die Weigerung, weiterhin Ersatzteile zu liefern, daher nicht aus, um das Vorliegen eines Missbrauchs darzutun. Die Weigerung habe außerdem auf objektive Gründe und das Streben nach einer Steigerung der Produktivität zurückgeführt werden können, insbesondere den Schutz des Markenimages und die Wahrung der Qualität der Produkte, die Verhinderung von Nachahmungen und die zunehmende technische Komplexität der mechanischen Uhren, die eine qualitativ hochwertige Reparatur erforderlich mache. Angesichts dieser Erwägungen kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit, dass in dieser Sache ein Missbrauch einer beherrschenden Stellung dargetan werde, begrenzt sei. |
Würdigung anhand von Art. 101 AEUV
19 |
Hinsichtlich des Bestehens einer auf eine Beschränkung des Wettbewerbs gerichteten Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise gelangte die Kommission nach Abschluss ihrer Untersuchung zu der Feststellung, dass die selektiven Systeme im Bereich Reparaturen nicht von allen Schweizer Uhrenherstellern zur selben Zeit eingerichtet worden seien. Manche von ihnen lieferten im Übrigen weiterhin Ersatzteile an unabhängige Uhrmacher. Daher habe nicht auf das Bestehen einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise geschlossen werden können. Außerdem sei es wegen des Bestehens separater Märkte für die Ersatzteile der einzelnen Marken überflüssig, zu einer abgestimmten Verhaltensweise zu kommen, um die Lieferung von Ersatzteilen an unabhängige Uhrmacher zu verhindern. |
20 |
Was die Vereinbarkeit der selektiven Systeme im Bereich Reparaturen mit der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 [AEUV] auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. 2010, L 102, S. 1) anbelangt, führte die Kommission aus, ihre Untersuchung habe nicht ergeben, dass die autorisierten Uhrmacher die Preise für die Reparaturen nicht frei hätten festlegen dürfen, denn in den Verträgen seien nur Richtpreise oder Höchstpreise angegeben gewesen. Die Untersuchung dieser Verträge habe auch nicht das Vorliegen von Kernbeschränkungen im Sinne dieser Verordnung erkennen lassen. Da die Hersteller auf den Sekundärmärkten ihrer Marke jedenfalls in der Regel über einen Marktanteil von über 30 % verfügten, war die Kommission der Ansicht, dass die Verordnung nicht anwendbar sei. |
21 |
Die Kommission prüfte dann, ob die selektiven Systeme im Bereich Reparaturen die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien erfüllten, um nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV zu fallen. Als Erstes war sie der Ansicht, die Art der Waren habe ein selektives System im Bereich Reparaturen erforderlich gemacht, um die Qualität der Uhren zu wahren, ihre optimale Nutzung zu gewährleisten, Nachahmungen zu verhindern und das Markenimage und die Aura prestigeträchtiger Exklusivität, die aus Sicht ihrer Käufer mit diesen Luxusprodukten verbunden sei, zu wahren. Als Zweites habe ihre Untersuchung nicht ergeben, dass die Auswahl der autorisierten Uhrmacher nicht auf der Grundlage objektiver, einheitlich und ohne Diskriminierung angewandter Kriterien erfolgt sei. Als Drittes seien die Kriterien, die auf der Ausbildung und Erfahrung der Uhrmacher sowie dem Werkzeug, der Ausstattung und dem ihnen zur Verfügung stehenden Lagerbestand an Ersatzteilen beruhten und dazu dienten, festzustellen, ob die Uhrmacher in der Lage seien, die Reparaturen innerhalb einer angemessenen Frist auszuführen, auch wenn sie von Hersteller zu Hersteller variierten, qualitative Kriterien und gingen nicht über das zur Erreichung des Ziels dieses Systems erforderliche Maß hinaus. Im Übrigen habe ihre Untersuchung ergeben, dass die autorisierten Uhrmacher nicht vertraglich verpflichtet gewesen seien, Uhren anderer Marken nicht zu reparieren, und dass die zu tätigenden beachtlichen Investitionen keine künstlichen Barrieren für den Marktzugang und nicht unverhältnismäßig seien, da sie aufgrund des Ziels der Wahrung der Qualität gerechtfertigt seien und es nicht selten sei, dass Uhrmacher für verschiedene Marken tätig seien. |
22 |
Sie entschied folglich, dass es wenig wahrscheinlich sei, dass diese Systeme unter Art. 101 AEUV fielen. |
23 |
Hinsichtlich des den autorisierten Uhrmachern auferlegten Verbots, Ersatzteile an unabhängige Uhrmacher zu liefern, wies die Kommission darauf hin, dass dies ein integraler Bestandteil der selektiven Systeme sei, der ebenfalls nicht unter Art. 101 AEUV falle und von der Verordnung Nr. 330/2010 nicht als Kernbeschränkung angesehen werde, anders als dies im Kraftfahrzeugsektor der Fall sei. Der von der Klägerin angestellte Vergleich mit diesem Sektor sei daher nicht relevant. Dieses Weiterverkaufsverbot konnte nach Ansicht der Kommission daher auch keinen Verstoß gegen Art. 101 AEUV darstellen. |
24 |
Folglich entschied die Kommission, dass selbst bei einer Zuteilung zusätzlicher Mittel für die Untersuchung der Beschwerde die Wahrscheinlichkeit, dass eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt werde, gering sei, so dass eine solche Zuteilung unverhältnismäßig wäre. |
Verfahren und Anträge der Verfahrensbeteiligten
25 |
Mit Klageschrift, die am 7. Oktober 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. |
26 |
Mit Schriftsätzen, die am 23. und 30. Januar sowie am 23. Februar 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben die Streithelferinnen – The Swatch Group, LVMH Moët Hennessy-Louis Vuitton und Rolex – beantragt, im vorliegenden Verfahren als Streithelferinnen zur Unterstützung der Kommission zugelassen zu werden. Mit Beschluss vom 21. April 2015 hat der Präsident der Neunten Kammer des Gerichts diese Streitbeitritte zugelassen. |
27 |
Mit Schriftsatz, der am 31. März 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Cousins Material House Ltd beantragt, im vorliegenden Verfahren als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Klägerin zugelassen zu werden. Mit Beschluss vom 11. November 2015 hat der Präsident der Neunten Kammer des Gerichts den Antrag der Cousins Material House auf Zulassung als Streithelferin zurückgewiesen. |
28 |
Die Streithelferinnen haben ihre Schriftsätze fristgerecht eingereicht. |
29 |
Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichts ist die vorliegende Rechtssache einem neuen, der Zweiten Kammer angehörenden Berichterstatter zugewiesen worden. |
30 |
Die Klägerin beantragt,
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31 |
Die Kommission, unterstützt durch die Streithelferinnen, beantragt,
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Rechtliche Würdigung
32 |
Die Klägerin stützt ihre Klage im Wesentlichen auf die folgenden sechs Klagegründe: Erstens einen Fehler bei der Beschreibung der Marktmacht der Schweizer Uhrenhersteller, zweitens einen Fehler bei der Beurteilung des Vorliegens eines Missbrauchs durch die Weigerung der Schweizer Uhrenhersteller, an unabhängige Uhrmacher Ersatzteile zu liefern, drittens einen Fehler bei der Beurteilung der objektiven Rechtfertigung der selektiven Systeme im Bereich Reparaturen und der Weigerung, Ersatzteile zu liefern, viertens einen Fehler bei der Beurteilung des Bestehens einer Absprache oder abgestimmten Verhaltensweise, fünftens einen Verstoß gegen die Begründungspflicht und sechstens einen Verstoß gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung. |
33 |
Nach ständiger Rechtsprechung begründet Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 773/2004 für den Beschwerdeführer keinen Anspruch auf eine abschließende Entscheidung der Kommission über das Vorliegen der geltend gemachten Zuwiderhandlung und keine Verpflichtung der Kommission, das Verfahren unter allen Umständen bis zu einer endgültigen Entscheidung fortzusetzen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. September 2013, EFIM/Kommission, C‑56/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:575, Rn. 57, vom 18. September 1992, Automec/Kommission, T‑24/90, EU:T:1992:97, Rn. 75, und vom 30. Mai 2013, Omnis Group/Kommission, T‑74/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:283, Rn. 42). |
34 |
Die Kommission, der es nach Art. 105 Abs. 1 AEUV obliegt, auf die Verwirklichung der in den Art. 101 und 102 AEUV niedergelegten Grundsätze zu achten, hat nämlich die Wettbewerbspolitik der Union festzulegen und gemäß ihrer Ausrichtung durchzuführen. Um der wirksamen Erledigung dieser Aufgabe willen darf sie den ihr vorliegenden Beschwerden verschieden hohe Priorität zuweisen und verfügt über ein weites Ermessen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. März 1999, Ufex u. a./Kommission, C‑119/97 P, EU:C:1999:116, Rn. 88 und 89, vom 17. Mai 2001, IECC/Kommission, C‑449/98 P, EU:C:2001:275, Rn. 36, und vom 30. Mai 2013, Omnis Group/Kommission, T‑74/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:283, Rn. 43). |
35 |
Wenn die Kommission in Ausübung dieses weiten Ermessens beschließt, den bei ihr eingereichten Beschwerden unterschiedliche Prioritäten einzuräumen, kann sie nicht nur die Reihenfolge festlegen, in der die Beschwerden geprüft werden, sondern auch eine Beschwerde mangels hinreichenden Unionsinteresses an der Fortführung der Untersuchung der Sache zurückweisen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Dezember 2010, CEAHR/Kommission, T‑427/08, EU:T:2010:51, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
36 |
Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Unionsinteresse an der Fortführung der Untersuchung einer Sache besteht, muss die Kommission die Umstände des konkreten Falles und insbesondere die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte berücksichtigen, die in der bei ihr eingereichten Beschwerde vorgebracht werden. Sie hat insbesondere, nachdem sie mit der erforderlichen Sorgfalt die vom Beschwerdeführer vorgetragenen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte geprüft hat, die Bedeutung der behaupteten Zuwiderhandlung für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes, die Wahrscheinlichkeit des Nachweises ihres Vorliegens und den Umfang der notwendigen Ermittlungsmaßnahmen gegeneinander abzuwägen, um ihre Aufgabe, die Einhaltung der Art. 101 und 102 AEUV zu überwachen, bestmöglich zu erfüllen (Urteile vom 18. September 1992, Automec/Kommission, T‑24/90, EU:T:1992:97, Rn. 86, und vom 15. Dezember 2010, CEAHR/Kommission, T‑427/08, EU:T:2010:51, Rn. 158). |
37 |
Hierbei darf die vom Unionsrichter vorgenommene Kontrolle über die Ausübung des der Kommission bei der Behandlung von Beschwerden zuerkannten weiten Ermessens durch diese nicht dazu führen, dass er seine Beurteilung des Unionsinteresses an die Stelle der Beurteilung durch die Kommission setzt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Dezember 2010, CEAHR/Kommission, T‑427/08, EU:T:2010:51, Rn. 65, und vom 11. Juli 2013, BVGD/Kommission, T‑104/07 und T‑339/08, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:366, Rn. 219). |
38 |
Da bei der Bewertung des Unionsinteresses an einer Beschwerde auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen ist, ist es im Übrigen nicht angebracht, die Zahl der Beurteilungskriterien, die die Kommission heranziehen kann, einzuschränken oder ihr umgekehrt die ausschließliche Anwendung bestimmter Kriterien vorzuschreiben. Daher kann die Kommission bei der Bewertung des Unionsinteresses einem einzelnen Kriterium Vorrang einräumen (Urteile vom 17. Mai 2001, IECC/Kommission, C‑450/98 P, EU:C:2001:276, Rn. 58, und vom 16. Oktober 2013, Vivendi/Kommission, T‑432/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:538, Rn. 25). |
39 |
Darüber hinaus ist es für das Beschwerdeverfahren kennzeichnend, dass die Beweislast für die gerügte Zuwiderhandlung beim Beschwerdeführer liegt. Ebenso obliegt es im Rahmen einer Klage auf Nichtigerklärung eines Beschlusses der Kommission, mit dem eine Beschwerde zurückgewiesen wird, dem Kläger, den Unionsgerichten Argumente und Beweise vorzutragen, um die Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung zu belegen (Urteil vom 19. September 2013, EFIM/Kommission, C‑56/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:575, Rn. 72 und 73). |
40 |
Nach dieser Rechtsprechung ist es nicht Sache des Gerichts, Punkte des Beschlusses zu beanstanden, die von der Klägerin nicht wirksam gerügt wurden, oder den von ihr ohne Erbringung eines Nachweises vorgetragenen Argumenten zu folgen. |
41 |
Das weite Ermessen, über das die Kommission verfügt, ist jedoch nicht unbegrenzt. Sie muss nämlich alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte aufmerksam prüfen, die ihr die Beschwerdeführer zur Kenntnis bringen (Urteile vom 4. März 1999, Ufex u. a./Kommission, C‑119/97 P, EU:C:1999:116, Rn. 86, und vom 30. Mai 2013, Omnis Group/Kommission, T‑74/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:283, Rn. 46). Außerdem bedeutet die Beschränkung der Prüfung durch den Unionsrichter nicht, dass er nicht die sachliche Richtigkeit der angeführten Beweise, ihre Zuverlässigkeit und ihre Kohärenz prüfen und nicht kontrollieren müsste, ob diese Beweise alle relevanten Daten darstellen, die bei der Beurteilung heranzuziehen waren, und ob sie die aus ihnen gezogenen Schlüsse untermauern können (Urteile vom 17. September 2007, Microsoft/Kommission, T‑201/04, EU:T:2007:289, Rn. 89, und vom 11. Juli 2013, BVGD/Kommission, T‑104/07 und T‑339/08, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:366, Rn. 220). |
42 |
Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen sind die vorgebrachten Klagegründe zu prüfen. |
43 |
Als Erstes ist der dritte Klagegrund zu prüfen, mit dem ein offensichtlicher Fehler bei der Beurteilung der objektiven Rechtfertigung der selektiven Systeme im Bereich Reparaturen und der Weigerung, Ersatzteile zu liefern, geltend gemacht wird, als Zweites der zweite Klagegrund, mit dem ein offensichtlicher Fehler bei der Beurteilung des Vorliegens eines Missbrauchs durch die Weigerung der Schweizer Uhrenhersteller, an unabhängige Uhrmacher Ersatzteile zu liefern, gerügt wird, als Drittes der erste Klagegrund, mit dem ein offensichtlicher Fehler bei der Beschreibung der Marktmacht der Schweizer Uhrenhersteller geltend gemacht wird, als Viertes der vierte Klagegrund, mit dem ein offensichtlicher Fehler bei der Beurteilung des Bestehens einer Absprache oder abgestimmten Verhaltensweise gerügt wird, als Fünftes der fünfte Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen die Begründungspflicht geltend gemacht wird, und als Sechstes der sechste Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung gerügt wird. |
Zum dritten Klagegrund: offensichtlicher Fehler bei der Beurteilung der objektiven Rechtfertigung, des nicht diskriminierenden Charakters und der Verhältnismäßigkeit der selektiven Systeme im Bereich Reparaturen und der Weigerung, Ersatzteile zu liefern
44 |
Der von der Klägerin vorgebrachte dritte Klagegrund besteht aus zwei Teilen. Mit dem ersten Teil wirft die Klägerin der Kommission vor, die Rechtsprechung falsch ausgelegt zu haben, als sie davon ausgegangen sei, dass ein selektives Vertriebssystem und entsprechend ein selektives System im Bereich Reparaturen nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV falle, sofern es objektiv gerechtfertigt, nicht diskriminierend und verhältnismäßig sei, während auch erforderlich sei, dass ein solches System nicht die Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs bewirke. Mit dem zweiten Teil macht sie geltend, der Kommission sei ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen, als sie davon ausgegangen sei, dass die in Rede stehenden selektiven Systeme im Bereich Reparaturen objektiv gerechtfertigt, nicht diskriminierend und verhältnismäßig seien. |
45 |
Nach Auffassung der Kommission ist dieser Klagegrund zurückzuweisen. |
Zum ersten Teil des dritten Klagegrundes: Voraussetzungen für die Vereinbarkeit eines selektiven Systems mit Art. 101 Abs. 1 AEUV
46 |
Die Klägerin wendet sich gegen die Auslegung der Kommission, nach der die in Rede stehenden selektiven Systeme im Bereich Reparaturen mit der Rechtsprechung zu Art. 101 AEUV in Einklang stünden, da sie objektiv gerechtfertigt, nicht diskriminierend und verhältnismäßig seien. Solche Systeme seien jedoch nur dann mit dieser Vorschrift vereinbar, wenn sie nicht nur diese Voraussetzungen erfüllten, sondern auch nicht die Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs bewirkten, d. h. wenn die mit ihnen eingeführten Beschränkungen durch andere Faktoren des Wettbewerbs zwischen Produkten derselben Marke oder durch das Bestehen eines echten Wettbewerbs zwischen verschiedenen Marken ausgeglichen würden, was vorliegend nicht der Fall sei. Darüber hinaus sei die Frage der Vereinbarkeit der selektiven Vertriebssysteme für die Beurteilung der Vereinbarkeit der selektiven Systeme im Bereich Reparaturen irrelevant, da der Markt für die Primärprodukte vom Markt für die Reparatur- und Wartungsleistungen getrennt sei. |
47 |
Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen. |
48 |
Im 154. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission verdeutlicht, dass ein qualitatives selektives Vertriebssystem mangels wettbewerbswidriger Auswirkungen grundsätzlich nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV falle, sofern es objektiv gerechtfertigt, nicht diskriminierend und verhältnismäßig sei. Sie hat dann diese Voraussetzungen auf die in Rede stehenden selektiven Systeme im Bereich Reparaturen angewandt. |
49 |
Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, dass das Bestehen unterschiedlicher, den Eigenheiten der verschiedenen Hersteller und den Bedürfnissen der verschiedenen Verbrauchergruppen angepasster Vertriebswege insbesondere im Bereich der langlebigen, hochwertigen und technisch hochentwickelten Verbrauchsgüter gerechtfertigt sei, wo eine verhältnismäßig kleine Zahl großer und mittlerer Hersteller ein abgestuftes Angebot von leicht austauschbaren Waren bereithält, und dass es bei solchen Waren nämlich möglicherweise eines auf ihre Merkmale zugeschnittenen und an ihren Vertrieb gebundenen Kundendienstes beim Verkauf und danach bedürfe (Urteil vom 22. Oktober 1986, Metro/Kommission, 75/84, EU:C:1986:399, Rn. 54). |
50 |
Aus der Bezugnahme auf einen besonders zugeschnittenen Kundendienst folgt, dass die Voraussetzungen, anhand deren die Vereinbarkeit eines selektiven Vertriebssystems mit Art. 101 AEUV festgestellt werden kann, auch für die Beurteilung verwendet werden können, ob ein selektives System im Bereich Reparaturen, das zum Kundendienst zählt, wettbewerbswidrige Auswirkungen hat. Die Kriterien für selektive Vertriebssysteme können daher für die Beurteilung der in Rede stehenden selektiven Systeme im Bereich Reparaturen analog angewandt werden. |
51 |
Das Vorbringen der Klägerin, die Anerkennung, dass ein selektives System objektiv gerechtfertigt, nicht diskriminierend und verhältnismäßig sei, hänge auch davon ab, dass zwischen den Produkten und Leistungen der verschiedenen Marken ein Wettbewerb bestehe, der die Beschränkungen, die sich aus dem selektiven System ergäben, ausgleichen könne, beruht auf einer falschen Auslegung der Rechtsprechung. |
52 |
Zu Vereinbarungen, die ein selektives Vertriebssystem begründen, hat der Gerichtshof nämlich bereits entschieden, dass sie zwangsläufig den Wettbewerb im Binnenmarkt beeinflussen (Urteile vom 25. Oktober 1983, AEG-Telefunken/Kommission, 107/82, EU:C:1983:293, Rn. 33, und vom 13. Oktober 2011, Pierre Fabre Dermo-Cosmétique, C‑439/09, EU:C:2011:649, Rn. 39). Er hat jedoch anerkannt, dass es legitime Bedürfnisse gibt – wie z. B. die Aufrechterhaltung eines Fachhandels, der in der Lage ist, bestimmte Dienstleistungen für hochwertige und technisch hoch entwickelte Produkte zu erbringen –, die eine Einschränkung des Preiswettbewerbs zugunsten eines andere Faktoren als die Preise betreffenden Wettbewerbs rechtfertigen. Somit stellen selektive Vertriebssysteme, da sie auf die Erreichung eines rechtmäßigen Ergebnisses abzielen, das zur Stärkung des Wettbewerbs beiträgt, soweit dieser nicht nur die Preise zum Gegenstand hat, einen Wettbewerbsfaktor dar, der mit Art. 101 Abs. 1 AEUV vereinbar ist (Urteile vom 25. Oktober 1983, AEG-Telefunken/Kommission, 107/82, EU:C:1983:293, Rn. 33, und vom 13. Oktober 2011, Pierre Fabre Dermo-Cosmétique, C‑439/09, EU:C:2011:649, Rn. 40). |
53 |
Darüber hinaus fällt die Organisation eines solchen Vertriebsnetzes nicht unter das Verbot in Art. 101 Abs. 1 AEUV, sofern die Auswahl der Wiederverkäufer anhand objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgt, die einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewandt werden, sofern die Eigenschaften des fraglichen Produkts zur Wahrung seiner Qualität und zur Gewährleistung seines richtigen Gebrauchs ein solches Vertriebsnetz erfordern und sofern die festgelegten Kriterien schließlich nicht über das erforderliche Maß hinausgehen (Urteile vom 25. Oktober 1977, Metro SB-Großmärkte/Kommission, 26/76, EU:C:1977:167, Rn. 20, vom 11. Dezember 1980, L’Oréal, 31/80, EU:C:1980:289, Rn. 15 und 16, und vom 13. Oktober 2011, Pierre Fabre Dermo-Cosmétique, C‑439/09, EU:C:2011:649, Rn. 41). |
54 |
Aus der Rechtsprechung geht jedoch nicht hervor, dass geprüft werden müsste, ob diese Vertriebsnetze nicht die Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs bewirken. Wenn die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind, genügt dies nämlich für die Annahme, dass ein selektives System ein Wettbewerbsfaktor ist, der mit Art. 101 Abs. 1 AEUV vereinbar ist. |
55 |
Der Kommission ist daher kein Fehler unterlaufen, als sie angenommen hat, dass ein selektives Vertriebssystem und entsprechend ein selektives System im Bereich Reparaturen mit Art. 101 Abs. 1 AEUV vereinbar sei, sofern es objektiv gerechtfertigt, nicht diskriminierend und verhältnismäßig sei. |
Zum zweiten Teil des dritten Klagegrundes: offensichtlicher Fehler bei der Beurteilung der objektiven Rechtfertigung, des nicht diskriminierenden Charakters und der Verhältnismäßigkeit der selektiven Systeme im Bereich Reparaturen
56 |
Die Klägerin hält die in Rede stehenden selektiven Systeme für nicht objektiv gerechtfertigt, diskriminierend und unverhältnismäßig. |
57 |
Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen. |
– Zur ersten Rüge, betreffend die objektive Rechtfertigung der selektiven Systeme im Bereich Reparaturen
58 |
Die Klägerin beanstandet die Gründe, aus denen die Kommission der Ansicht gewesen sei, dass die in Rede stehenden selektiven Systeme im Bereich Reparaturen objektiv gerechtfertigt seien. Sie macht insbesondere geltend, die Uhren wiesen keine besondere Komplexität auf, die die Einführung dieser Systeme rechtfertigen könnte, das Ziel, den Prestigecharakter zu schützen, könne kein legitimes Ziel zur Beschränkung des Wettbewerbs sein und die genannten Systeme seien nicht geeignet, den Schutz vor Nachahmungen zu verbessern. Der Umstand, dass in dem angefochtenen Beschluss keine sachgerechte Auseinandersetzung mit der Beschwerde stattgefunden habe, folge auch aus der Antwort, die ihr in Bezug auf ihre Argumente zur Analogie mit dem Kraftfahrzeugsektor gegeben worden sei. In diesem Sektor dürften die Hersteller den Zugang der unabhängigen Werkstätten zu Ersatzteilen nicht behindern. |
59 |
Nach Auffassung der Kommission ist diese Rüge zurückzuweisen. |
60 |
Was diesen Punkt anbelangt, ging die Kommission im 133. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses davon aus, dass es möglich sei, dass diese Systeme durch die von den Schweizer Uhrenherstellern vorgetragenen Ziele gerechtfertigt seien, nämlich die Notwendigkeit, der zunehmenden Komplexität der Prestigeuhren Rechnung zu tragen, der Schutz des Markenimages, die Aufrechterhaltung von qualitativ hochwertigen und einheitlichen Reparaturleistungen und die Verhinderung von Nachahmungen. |
61 |
Soweit erstens die Klägerin vorträgt, dass die Uhrwerke nicht komplex seien, legt sie keine konkreten Beweise zur Stützung dieser Behauptung vor, die geeignet wären, die von der Kommission hierzu getroffene Feststellung zu widerlegen. Hinsichtlich des Vorwurfs, dass die Kommission für die Prüfung dieser Komplexität keinen Sachverständigen hinzugezogen habe, genügt der Hinweis, dass die Kommission, da sie nicht verpflichtet ist, sich dazu zu äußern, ob eine Zuwiderhandlung vorliegt oder nicht, nicht zur Durchführung einer Untersuchung verpflichtet sein kann, da diese kein anderes Ziel haben könnte als die Ermittlung von Beweisen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Zuwiderhandlung, zu deren Feststellung sie nicht verpflichtet ist (Urteile vom 18. September 1992, Automec/Kommission, T‑24/90, EU:T:1992:97, Rn. 76, und vom 16. Oktober 2013, Vivendi/Kommission, T‑432/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:538, Rn. 68). Es kann ihr daher nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie keinen Sachverständigen hinzugezogen hat. |
62 |
Was zweitens die nicht untermauerten Behauptungen der Klägerin anbelangt, dass weder eine wirkliche Gefahr von Nachahmungen bestehe, noch ein selektives System im Bereich Reparaturen notwendig sei, um den Schutz gegen diese Gefahr zu verbessern, ist auch dieses Vorbringen nicht geeignet, die Feststellung der Kommission in Frage zu stellen. Dasselbe gilt für die Behauptungen der Klägerin in Bezug auf das Engagement der unabhängigen Uhrmacher und deren ablehnende Haltung gegenüber Nachahmungen. |
63 |
Aus den Akten geht nämlich hervor, dass die Schweizer Uhrenhersteller das Bestehen einer Gefahr der Nachahmung von Prestigeuhren und deren Ersatzteilen belegt haben und die Verhinderung von Nachahmungen eines der Ziele ist, das mit der Einführung der selektiven Systeme im Bereich Reparaturen verfolgt wird. Die Klägerin hat jedoch nichts vorgetragen, was belegen könnte, dass eine Gefahr von Nachahmungen nicht bestehe und die Kontrolle der Lieferung der Ersatzteile kein Mittel wäre, um die Nachahmung dieser Teile zurückzudrängen. |
64 |
Folglich zeigen die nicht untermauerten Behauptungen der Klägerin nicht, dass die Kommission ihr Ermessen überschritten hat, als sie angenommen hat, dass die Einführung der selektiven Systeme im Bereich Reparaturen und die Weigerung, Ersatzteile zu liefern, durch das Ziel der Bekämpfung von Nachahmungen gerechtfertigt sein könnten. |
65 |
Drittens ist hinsichtlich der Rechtfertigung der selektiven Systeme im Bereich Reparaturen durch das Ziel, das Markenimage der Prestigeuhren zu schützen, mit der Klägerin darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass das Ziel, den Prestigecharakter zu schützen, kein legitimes Ziel zur Beschränkung des Wettbewerbs sein und es daher nicht rechtfertigen kann, dass eine Vertragsklausel, mit der ein solches Ziel verfolgt wird, nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fällt (Urteil vom 13. Oktober 2011, Pierre Fabre Dermo-Cosmétique, C‑439/09, EU:C:2011:649, Rn. 46). |
66 |
Aus diesem Urteil ergibt sich jedoch auch, dass zwar der Schutz des Markenimages keine Wettbewerbsbeschränkung durch die Einführung eines selektiven Systems im Bereich Reparaturen rechtfertigen kann, aber das Ziel der Wahrung der Qualität der Produkte und der Gewährleistung ihres richtigen Gebrauchs für sich allein eine solche Beschränkung rechtfertigen kann. Der Gerichtshof hat nämlich anerkannt, dass die Aufrechterhaltung eines Fachhandels, der in der Lage ist, bestimmte Dienstleistungen für hochwertige und technisch hoch entwickelte Produkte zu erbringen, ein legitimes Bedürfnis ist und dass die Organisation eines selektiven Vertriebsnetzes, wenn sie ein solches Ziel verfolgt, nicht unter das Verbot in Art. 101 Abs. 1 AEUV fällt, sofern die Auswahl der Wiederverkäufer anhand objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgt, die einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewandt werden, sofern die Eigenschaften des fraglichen Produkts zur Wahrung seiner Qualität und zur Gewährleistung seines richtigen Gebrauchs ein solches Vertriebsnetz erfordern und sofern die festgelegten Kriterien schließlich nicht über das erforderliche Maß hinausgehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Oktober 2011, Pierre Fabre Dermo-Cosmétique, C‑439/09, EU:C:2011:649, Rn. 40 und 41). |
67 |
Da der Schutz des Markenimages nicht das einzige Ziel war, das die Kommission als mögliche Rechtfertigung der Einführung von selektiven Systemen im Bereich Reparaturen in Betracht gezogen hat, und das Ziel der Wahrung der Qualität der Uhren und der Gewährleistung ihres richtigen Gebrauchs als Rechtfertigung für deren Einführung ausreichen kann, ist der Kommission kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen, als sie entschieden hat, dass die in Rede stehende Weigerung, Ersatzteile zu liefern, gerechtfertigt sein kann, sofern die Auswahl der Uhrmacher anhand objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgt, die ohne Diskriminierung angewandt werden und nicht über das erforderliche Maß hinausgehen. |
68 |
Was viertens die Kritik der Klägerin anbelangt, dass die Kommission nicht berücksichtigt habe, dass ein Vergleich mit den für den Kraftfahrzeugsektor geltenden Vorschriften zu der Schlussfolgerung führe, dass die von den Schweizer Uhrenherstellern eingeführten selektiven Systeme im Bereich Reparaturen nicht objektiv gerechtfertigt seien, kann der Kommission nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie diese Vorschriften nicht auf den Sektor für Prestigeuhren angewandt hat. Die für den Kraftfahrzeugsektor geltenden Vorschriften sind nämlich nicht auf Uhren anwendbar. Wie außerdem aus dem 175. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, hat die Kommission mehrere Faktoren angeführt, aufgrund deren der Sektor der Prestigeuhren vom Kraftfahrzeugsektor unterschieden werden kann. |
69 |
Sie hat insbesondere angegeben, dass der Kraftfahrzeugsektor spezifischen sektorbezogenen Rechtsvorschriften unterliege, Ersatzteile in diesem Sektor direkt an den Endkunden verkauft werden könnten, der Kundendienst bei Prestigeuhren ein weniger rentabler Markt sei, der keinen hohen Anteil an den Gesamtausgaben der Verbraucher ausmache, und es im Uhrensektor nicht so wichtig sei wie im Kraftfahrzeugsektor, Reparaturwerkstätten in Kundennähe aufzubauen, da die Prestigeuhren leichter zu Reparaturzwecken versandt werden könnten. Folglich kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, dass ihr ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen sei, als sie angenommen hat, dass der Sektor für Prestigeuhren anders behandelt werden könne als in den für den Kraftfahrzeugsektor anwendbaren Vorschriften vorgesehen. |
70 |
Der Kommission ist daher kein offensichtlicher Fehler unterlaufen, als sie entschieden hat, dass die in Rede stehenden selektiven Systeme im Bereich Reparaturen durch die Notwendigkeit, der zunehmenden Komplexität der Prestigeuhren Rechnung zu tragen, die Aufrechterhaltung von qualitativ hochwertigen und einheitlichen Reparaturleistungen und die Verhinderung von Nachahmungen gerechtfertigt sein könnten. |
– Zur zweiten Rüge, betreffend den nicht diskriminierenden Charakter der selektiven Systeme im Bereich Reparaturen
71 |
Zum diskriminierenden Charakter der selektiven Systeme im Bereich Reparaturen trägt die Klägerin vor, der Zugang zu diesen Systemen erfordere beachtliche Investitionen, die Anforderungen an die Qualifikation und Ausstattung seien angesichts des Umstands, dass schwierigere Reparaturen nur ausnahmsweise vorgenommen würden, zu hoch und die Uhrmacher müssten sich bei den Investitionen nach den für jede Marke spezifischen Bedingungen richten. |
72 |
Nach Auffassung der Kommission ist diese Rüge zurückzuweisen. |
73 |
Da alle diese Faktoren objektive Kriterien sind, die mit dem mit den selektiven Systemen im Bereich Reparatur verfolgten Ziel in Zusammenhang stehen, genügt hier die Feststellung, dass die Kommission ihr Ermessen nicht überschritten hat, als sie entschieden hat, dass diese Kriterien den nicht diskriminierenden Charakter dieser Systeme nicht in Frage stellen können. Im Übrigen bestreitet die Klägerin nicht den objektiven Charakter der Auswahlkriterien der Systeme im Bereich Reparaturen. |
74 |
Anhand der von der Klägerin vorgetragenen Anhaltspunkte kann folglich nicht nachgewiesen werden, dass der Kommission ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen ist, als sie angenommen hat, dass die selektiven Systeme im Bereich Reparaturen nicht diskriminierend seien. |
– Zur dritten Rüge, betreffend die Verhältnismäßigkeit der selektiven Systeme im Bereich Reparaturen
75 |
Was die Verhältnismäßigkeit der selektiven Systeme im Bereich Reparaturen anbelangt, stellt die Klägerin auf den Umstand ab, dass alte oder einfache Uhren nicht komplex seien, um darzutun, dass die in Rede stehenden Systeme im Bereich Reparaturen unverhältnismäßig seien. |
76 |
Nach Auffassung der Kommission ist diese Rüge zurückzuweisen. |
77 |
Die Klägerin erläutert nicht, weshalb der Umstand, dass für die Reparatur von alten oder einfacheren Uhren dieselben Anforderungen gelten wie für die Reparatur neuerer Uhren, über das zur Erreichung der verfolgten Ziele erforderliche Maß hinausgehen soll. Darüber hinaus geht aus den Akten hervor, dass die selektiven Systeme im Bereich Reparaturen – je nach Uhrenmodell und Art der Reparatur – mehrere Stufen in Bezug auf die Anforderungen und Investitionen vorsehen, so dass den Unterschieden zwischen den Modellen und dem Niveau der angebotenen Leistungen Rechnung getragen wird. |
78 |
Jedenfalls hat die Klägerin im Verwaltungsverfahren eingeräumt, dass die nationalen Verbände der unabhängigen Uhrmacher von ihren Mitgliedern ähnliche Investitionen in die Ausbildung, das Werkzeug und den Lagerbestand an Ersatzteilen fordern wie die Schweizer Uhrenhersteller, was zeigt, dass die Investitionen, die zu tätigen sind, um Teil des selektiven Systems im Bereich Reparaturen zu sein, verhältnismäßig sind. |
79 |
Darüber hinaus hat die Kommission zu Recht festgestellt, dass die betreffenden Investitionen für mehrere Marken dieselben seien, was ihre Rentabilität erhöhe. Außerdem bestätigt die Aussage der Klägerin im Verwaltungsverfahren, dass die Zahl der autorisierten Uhrmacher notwendigerweise hoch sei und zunehme, dass diese Systeme keine überhöhten Investitionen erfordern, da ein Zugang möglich ist. |
80 |
Schließlich kann das Argument der Klägerin, dass die in Rede stehenden selektiven Systeme im Bereich Reparaturen für die in Art. 102 AEUV aufgeführten missbräuchlichen Verhaltensweisen charakteristisch seien, deren objektive Rechtfertigung nicht in Frage stellen, da die oben untersuchten Kriterien beachtet wurden. Mit diesem Vorbringen lässt sich daher kein offensichtlicher Fehler der Kommission dartun. |
81 |
Der Kommission ist daher kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen, als sie angenommen hat, dass nicht ausgeschlossen sei, dass die von den Schweizer Uhrenherstellern eingeführten selektiven Systeme im Bereich Reparaturen durch das Ziel der Wahrung der Qualität der Produkte gerechtfertigt sein könnten, da sie auf qualitativen Auswahlkriterien beruhten, die ohne Diskriminierung angewandt würden, und verhältnismäßig seien. |
82 |
Der dritte Klagegrund ist folglich nicht begründet. |
Zum zweiten Klagegrund: offensichtlicher Fehler bei der Beurteilung des Vorliegens eines Missbrauchs aufgrund der Weigerung, weiterhin Ersatzteile zu liefern
83 |
Der zweite von der Klägerin vorgebrachte Klagegrund besteht aus drei Teilen. Zum einen sei der Kommission ein Fehler unterlaufen, als sie angenommen habe, dass die Lieferverweigerung eines Unternehmens in beherrschender Stellung nur unter bestimmten Umständen ein Missbrauch sein könne. Zum anderen sei der Kommission ein Fehler unterlaufen, als sie von der Zulässigkeit der selektiven Systeme im Bereich Reparaturen nach Art. 101 AEUV auf deren Zulässigkeit nach Art. 102 AEUV geschlossen habe. Schließlich sei der Kommission ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen, als sie festgestellt habe, dass die Weigerung, weiterhin Ersatzteile zu liefern, nicht auf die Absicht der Schweizer Uhrenhersteller zurückzuführen sei, sich den Markt vorzubehalten, und dass diese Weigerung nicht geeignet sei, jeglichen Wettbewerb auszuschalten. |
84 |
Nach Auffassung der Kommission ist dieser Klagegrund zurückzuweisen. |
Zum ersten Teil des zweiten Klagegrundes: Fehler der Kommission bei der Festlegung der für die Feststellung eines Missbrauchs notwendigen Kriterien
85 |
Die Klägerin beanstandet die von der Kommission vertretene Auffassung, dass eine Lieferverweigerung nur dann ein Missbrauch im Sinne von Art. 102 AEUV sei, wenn sie geeignet sei, jeglichen Wettbewerb auszuschalten, und dass das bloße Fehlen einer objektiven Rechtfertigung nicht ausreiche, um ein missbräuchliches Verhalten gemäß Art. 102 AEUV nachzuweisen. |
86 |
Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen. |
87 |
Was dies anbelangt, hatten der Gerichtshof und das Gericht bereits Gelegenheit, die Vereinbarkeit einer Lieferverweigerung eines Unternehmens mit beherrschender Stellung mit Art. 102 AEUV zu prüfen, in einer Situation, die durch das Vorliegen eines primären Produktmarkts, eines Marktes für Reparatur- und Wartungsleistungen für diese Produkte und eines Marktes für Ersatzteile geprägt war. |
88 |
Außerdem geht aus der Rechtsprechung hervor, dass die Weigerung eines Unternehmens, das auf dem Markt für ein bestimmtes Produkt über eine beherrschende Stellung verfügt, die Bestellungen eines früheren Kunden auszuführen, eine missbräuchliche Ausnutzung dieser beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV darstellt, wenn dieses Verhalten – ohne eine sachliche Rechtfertigung – geeignet ist, den Wettbewerb von Seiten eines Geschäftspartners auszuschalten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. März 1974, Istituto Chemioterapico Italiano und Commercial Solvents/Kommission, 6/73 und 7/73, EU:C:1974:18, Rn. 25, und vom 14. Februar 1978, United Brands und United Brands Continentaal/Kommission, 27/76, EU:C:1978:22, Rn. 183). |
89 |
In Rn. 38 des Urteils vom 26. November 1998, Bronner (C‑7/97, EU:C:1998:569), hat der Gerichtshof im Übrigen ausgeführt, dass er es in den Urteilen vom 6. März 1974, Istituto Chemioterapico Italiano und Commercial Solvents/Kommission (6/73 und 7/73, EU:C:1974:18), und vom 3. Oktober 1985, CBEM (311/84, EU:C:1985:394), nur dann als missbräuchlich angesehen hat, dass sich ein Unternehmen, das auf einem bestimmten Markt eine beherrschende Stellung innehat, weigert, einem Unternehmen, mit dem es auf einem benachbarten Markt in Wettbewerb steht, die für die Ausübung von dessen Tätigkeit unerlässlichen Rohstoffe oder Dienstleistungen zu liefern bzw. zu erbringen, wenn das betreffende Verhalten geeignet war, jeglichen Wettbewerb durch dieses Unternehmen auszuschalten (Urteil vom 17. September 2007, Microsoft/Kommission, T‑201/04, EU:T:2007:289, Rn. 326). |
90 |
Auf einen Missbrauch im Sinne von Art. 102 AEUV lässt sich daher nur schließen, wenn die Verweigerung der fraglichen Produkte oder Dienstleistungen geeignet ist, jeglichen Wettbewerb auf dem Markt durch denjenigen, der diese Produkte oder Dienstleistungen begehrt, auszuschalten, wenn diese Verweigerung nicht objektiv zu rechtfertigen ist und wenn die Produkte oder Dienstleistungen selbst für die Ausübung der Tätigkeit des Nachfragers unentbehrlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. November 1998, Bronner, C‑7/97, EU:C:1998:569, Rn. 41, und vom 9. September 2009, Clearstream/Kommission, T‑301/04, EU:T:2009:317, Rn. 147). |
91 |
Der Kommission ist daher kein Fehler unterlaufen, als sie in den Erwägungsgründen 105 und 106 des angefochtenen Beschlusses darauf hingewiesen hat, dass die Lieferverweigerung eines Unternehmens in beherrschender Stellung nur unter bestimmten Umständen ein Missbrauch im Sinne von Art. 102 AEUV sein könne. Für die Feststellung eines Missbrauchs muss nämlich eine Gefahr der Ausschaltung jeglichen wirksamen Wettbewerbs bestehen. Der Kommission ist daher auch kein Fehler unterlaufen, als sie ausgeführt hat, dass das bloße Fehlen einer objektiven Rechtfertigung nicht ausreiche, um ein missbräuchliches Verhalten gemäß Art. 102 AEUV nachzuweisen. |
Zum zweiten Teil des zweiten Klagegrundes: Fehler der Kommission bei der Beurteilung des Vorliegens eines Missbrauchs im Sinne von Art. 102 AEUV im Licht der Rechtsprechung zu Art. 101 AEUV
92 |
Die Klägerin wirft der Kommission vor, die Vereinbarkeit der Systeme im Bereich Reparaturen und des sie kennzeichnenden Verbots, Ersatzteile außerhalb dieses Systems zu liefern, mit Art. 102 AEUV auf deren Vereinbarkeit mit der Rechtsprechung zu Art. 101 AEUV gestützt zu haben. |
93 |
Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen. |
94 |
Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht hervor, dass die Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV auf eine Vereinbarung der Anwendbarkeit von Art. 102 AEUV auf das Verhalten der Parteien dieser Vereinbarung nicht entgegensteht, sofern die Voraussetzungen für die Anwendung jeder Bestimmung vorliegen, und dass folglich die Tatsache, dass eine Praxis von Wirtschaftsteilnehmern, die einem wirksamen Wettbewerb ausgesetzt sind, gemäß Art. 101 AEUV zulässig ist, nicht bedeutet, dass die Anwendung der gleichen Praxis durch ein Unternehmen in beherrschender Stellung nie einen Missbrauch dieser Stellung darstellen kann (Urteil vom 16. März 2000, Compagnie maritime belge transports u. a./Kommission, C‑395/96 P und C‑396/96 P, EU:C:2000:132, Rn. 130 und 131). Die Feststellung, dass ein Verhalten nach Art. 101 AEUV rechtmäßig ist, impliziert daher nicht grundsätzlich die Feststellung, dass dieses Verhalten nach Art. 102 AEUV rechtmäßig ist. Hierfür ist vielmehr zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Anwendung der letztgenannten Vorschrift erfüllt sind oder nicht. |
95 |
Im vorliegenden Fall hat die Kommission zwar in den Erwägungsgründen 119, 122 und 128 des angefochtenen Beschlusses auf die Vereinbarkeit der in Rede stehenden selektiven Systeme im Bereich Reparaturen mit Art. 101 Abs. 1 AEUV verwiesen, als sie angenommen hat, dass von diesen Systemen keine wettbewerbswidrigen Wirkungen ausgingen, da sie auf qualitativen Kriterien beruhten und die in der Rechtsprechung zu Art. 101 Abs. 1 AEUV aufgestellten Voraussetzungen erfüllten. Sie hat daher die Rechtsprechung zur Anwendung dieser Vorschrift herangezogen, um nachzuweisen, dass die Einführung der in Rede stehenden selektiven Systeme im Bereich Reparaturen nicht geeignet gewesen sei, jeglichen Wettbewerb auszuschalten, d. h. um zu beurteilen, ob diese Voraussetzung für die Anwendung des Art. 102 AEUV erfüllt ist. |
96 |
Da selektive Systeme im Bereich Reparaturen oder für den Vertrieb jedoch nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, da sie als Wettbewerbsfaktoren angesehen werden, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Oktober 1983, AEG-Telefunken/Kommission, 107/82, EU:C:1983:293, Rn. 33 bis 35, vom 13. Oktober 2011, Pierre Fabre Dermo-Cosmétique, C‑439/09, EU:C:2011:649, Rn. 40 und 41, und vom 27. Februar 1992, Vichy/Kommission, T‑19/91, EU:T:1992:28, Rn. 65), konnte die Kommission im Rahmen des weiten Ermessens, über das sie gemäß der oben in Rn. 34 genannten Rechtsprechung verfügt, davon ausgehen, dass die Vereinbarkeit solcher Systeme mit dieser Vorschrift ein Indiz ist, mit dem sich, zusammen mit anderen Faktoren, nachweisen lässt, dass es wenig wahrscheinlich ist, dass sie im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 102 AEUV die Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs bewirken. |
97 |
Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission nicht nur auf die Vereinbarkeit der Systeme im Bereich Reparaturen und für den Vertrieb mit Art. 101 Abs. 1 AEUV Bezug genommen, sondern sich auch auf andere Faktoren gestützt hat, wie den Umstand, dass zwischen den auf dem in Rede stehenden Markt autorisierten Uhrmachern ein Wettbewerb bestehe (118. Erwägungsgrund), und den Umstand, dass die selektiven Systeme im Bereich Reparaturen Uhrmachern, die sich ihnen anschließen wollten, offenstünden (123. Erwägungsgrund). |
98 |
Unter diesen Umständen ist der Kommission kein Fehler unterlaufen, als sie sich bei der Prüfung der Wahrscheinlichkeit, dass die in Rede stehende Lieferverweigerung wettbewerbswidrige Auswirkungen haben könnte, die einen Missbrauch im Sinne von Art. 102 AEUV darstellen würden, insbesondere auf die in der Rechtsprechung zu Art. 101 Abs. 1 AEUV aufgestellten Voraussetzungen gestützt hat, anhand deren geprüft werden kann, ob die selektiven Systeme für den Vertrieb oder im Bereich Reparaturen Wettbewerbsbeschränkungen verursachen, die mit dieser Vorschrift unvereinbar sind, insbesondere da die Kommission diese Prüfung auch auf andere Tatsachen gestützt hat, anhand deren sich nachweisen lässt, dass keine Gefahr der Ausschaltung jeglichen wirksamen Wettbewerbs besteht. |
Zum dritten Teil des zweiten Klagegrundes: offensichtlicher Fehler der Kommission bei der Beurteilung der Absicht der Schweizer Uhrenhersteller, sich den Markt vorzubehalten, und bei der Beurteilung der Gefahr der Ausschaltung jeglichen wirksamen Wettbewerbs
99 |
Der Klägerin zufolge ist der Kommission ein offensichtlicher Fehler bei der Beurteilung des Vorliegens eines Missbrauchs unterlaufen, da sie berücksichtigt habe, dass die Schweizer Uhrenhersteller nicht die Absicht hätten, sich den Markt vorzubehalten, und davon ausgegangen sei, dass die in Rede stehende Lieferverweigerung nicht geeignet sei, jeglichen Wettbewerb auszuschalten. |
100 |
Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen. |
– Zur ersten Rüge, betreffend die Berücksichtigung der Absicht der Schweizer Uhrenhersteller
101 |
Bei der Untersuchung des Verhaltens eines Unternehmens in beherrschender Stellung und für die Zwecke der Identifizierung eines etwaigen Missbrauchs einer solchen Stellung muss die Kommission alle relevanten tatsächlichen Umstände berücksichtigen, die dieses Verhalten umgeben (vgl. Urteil vom 19. April 2012, Tomra Systems u. a./Kommission, C‑549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
102 |
Daher ist das Vorliegen einer etwaigen wettbewerbswidrigen Absicht nur einer der zahlreichen tatsächlichen Umstände, die berücksichtigt werden können, um einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung festzustellen (Urteil vom 19. April 2012, Tomra Systems u. a./Kommission, C‑549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 20). |
103 |
Der Kommission ist daher kein offensichtlicher Fehler unterlaufen, als sie den Umstand berücksichtigt hat, dass die Schweizer Uhrenhersteller erklärt haben, dass sie ihre selektiven Systeme im Bereich Reparaturen aus anderen Gründen als der Absicht eingerichtet hätten, sich die Märkte für Reparatur- und Wartungsleistungen vorzubehalten, da die Kommission nicht ausschließlich auf diesen, die Absicht betreffenden Faktor abgestellt hat, um ihre Schlussfolgerung in Bezug auf die geringe Wahrscheinlichkeit des Nachweises eines Verstoßes gegen Art. 102 AEUV zu begründen. |
– Zur zweiten Rüge, betreffend die Beurteilung der Gefahr, dass die Weigerung, Ersatzteile zu liefern, jeglichen wirksamen Wettbewerb ausschaltet
104 |
Der Klägerin zufolge ist die Weigerung, Ersatzteile an unabhängige Uhrmacher zu liefern, geeignet, auf den betreffenden Märkten jeglichen Wettbewerb auszuschalten, da die Anzahl der autorisierten Uhrmacher sehr gering und ihre Marktanteile äußerst klein seien. |
105 |
Nach Auffassung der Kommission ist diese Rüge zurückzuweisen. |
106 |
Hinsichtlich des Kriteriums der Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs muss für den Nachweis eines Verstoßes gegen Art. 102 AEUV nicht die Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs auf dem Markt nachgewiesen werden, sondern nur, dass die fragliche Weigerung jeglichen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt auszuschalten droht oder geeignet ist, ihn auszuschalten (Urteile vom 17. September 2007, Microsoft/Kommission, T‑201/04, EU:T:2007:289, Rn. 563, und vom 9. September 2009, Clearstream/Kommission, T‑301/04, EU:T:2009:317, Rn. 148). |
107 |
Hierzu hat erstens die Kommission in den Erwägungsgründen 73, 110, 118 und 162 des angefochtenen Beschlusses festgestellt, dass auf dem Markt für Reparaturen zwischen den autorisierten Uhrmachern sowie zwischen diesen Uhrmachern und den Schweizer Uhrenherstellern ein Wettbewerb bestehe, da sie auf der Grundlage qualitativer Kriterien ausgewählt würden und die selektiven Systeme allen unabhängigen Uhrmachern offenstünden, die diese Kriterien erfüllten und sich diesen Systemen anschließen wollten. |
108 |
Da sich aus der oben in den Rn. 60 bis 81 vorgenommenen Prüfung der Merkmale der in Rede stehenden selektiven Systeme im Bereich Reparaturen ergibt, dass diese als Wettbewerbsfaktoren angesehen werden können, die nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, ist der Kommission kein Fehler unterlaufen, als sie aufgrund dieser Feststellung und der übrigen oben in Rn. 107 genannten Anhaltspunkte zu dem Ergebnis gelangt ist, dass es wenig wahrscheinlich sei, dass deren Einführung jeglichen wirksamen Wettbewerb ausschalten könnte. |
109 |
Zweitens hat die Kommission im 122. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses näher ausgeführt, dass sich das Bestehen von Wettbewerb auch aus der für die autorisierten Uhrmacher bestehenden Möglichkeit ergebe, für mehrere Marken Reparaturleistungen zu erbringen. Wegen der Möglichkeit der Realisierung von Skalenvorteilen sei der Umstand, dass die autorisierten Uhrmacher für mehrere Marken Reparaturleistungen erbringen könnten, ebenfalls ein Wettbewerbsfaktor auf dem Markt für Reparaturen, der dazu beitrage, zu belegen, dass der Nachweis einer Gefahr der Ausschaltung jeglichen wirksamen Wettbewerbs wenig wahrscheinlich sei. |
110 |
Drittens hat die Kommission im 123. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses auch ausgeführt, dass sich während der Untersuchung unabhängige Uhrmacher den selektiven Systemen bestimmter Marken im Bereich Reparaturen angeschlossen hätten. Weder behauptet die Klägerin, noch weist sie nach, dass alle unabhängigen Uhrmacher, die die Kriterien erfüllten, daran gehindert würden, sich einem oder mehreren selektiven Systemen im Bereich Reparaturen anzuschließen. Sie legt auch keine Beweise dafür vor, dass Uhrmacher, die die Kriterien erfüllten, nicht als autorisierte Uhrmacher zugelassen worden wären. |
111 |
Angesichts aller von der Kommission angeführten Faktoren zeigt sich daher, dass ihr bei ihrer Beurteilung, dass die Gefahr einer Ausschaltung jeglichen wirksamen Wettbewerbs gering sei, kein offensichtlicher Fehler unterlaufen ist. In Anbetracht dessen, wie die in Rede stehenden selektiven Systeme im Bereich Reparaturen funktionieren, besteht nämlich zwischen den autorisierten Uhrmachern sowie zwischen diesen Uhrmachern und den internen Werkstätten der Hersteller ein Wettbewerb. Darüber hinaus zeigen die anderen von der Kommission untersuchten Faktoren, dass die Merkmale der in Rede stehenden selektiven Systeme im Bereich Reparaturen dergestalt sind, dass neuen Marktteilnehmern der Zugang zum Markt für Reparaturen möglich ist, so dass ein potenzieller Wettbewerbsdruck besteht, der bestätigt, dass bei der Funktionsweise der im vorliegenden Fall geprüften Systeme im Bereich Reparaturen keine Gefahr einer Ausschaltung jeglichen wirksamen Wettbewerbs besteht. |
112 |
Viertens ist die sinkende Zahl unabhängiger Uhrmacher, die einem nationalen Verband der unabhängigen Uhrmacher angeschlossen sind, für sich allein nicht geeignet, eine Ausschaltung jeglichen wirksamen Wettbewerbs zu belegen. Außerdem ist Art. 101 AEUV, wie auch die übrigen Wettbewerbsregeln des Vertrags, nicht nur dazu bestimmt, die unmittelbaren Interessen einzelner Wettbewerber oder Verbraucher zu schützen, sondern die Struktur des Marktes und damit den Wettbewerb als solchen (Urteil vom 19. März 2015, Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, C‑286/13 P, EU:C:2015:184, Rn. 125). Die Notwendigkeit, einen unverfälschten Wettbewerb zu erhalten, impliziert daher nicht die Notwendigkeit, das Bestehen unabhängiger Uhrmacher als solcher zu schützen. |
113 |
Fünftens lässt sich mit dem von der Klägerin angeführten Zitat aus einem Schreiben von 2005, das eine vorläufige Schlussfolgerung der Kommission enthielt, dass die Schweizer Uhrenhersteller beabsichtigt hätten, sich die Märkte für Reparatur- und Wartungsleistungen vorzubehalten, kein offensichtlicher Fehler nachweisen. Aus dem von der Klägerin übernommenen Zitat, in dem die Kommission lediglich festgestellt hat, dass die Erhaltung des Wertes des Produkts impliziere, dass der Kundendienst entweder von den Uhrenherstellern selbst oder von autorisierten Werkstätten, d. h. von Drittunternehmen, erbracht werde, kann diese Schlussfolgerung nämlich nicht gezogen werden. Außerdem enthielt dieses Schreiben, wie die Kommission angibt, nur einen vorläufigen, vor der Nichtigerklärung der ersten Zurückweisung der Beschwerde durch das Gericht mitgeteilten Standpunkt; ihm folgte eine weitere Untersuchung der in Rede stehenden Märkte. Unter diesen Voraussetzungen kann der Umstand, dass der endgültige Standpunkt der Kommission nicht ihrem vorläufigen Standpunkt entsprach – unterstellt, dies wäre nachgewiesen-, nicht dazu führen, dass die Beurteilung der Kommission fehlerhaft wäre. |
114 |
Sechstens sind die Behauptungen der Klägerin, dass zum einen der Ersatzteilmarkt und der Markt für Wartungs- und Reparaturleistungen im Wachstum begriffen und zum anderen die Preise der von den Herstellern erbrachten Reparatur- und Wartungsleistungen nicht unerheblich seien, nicht geeignet, die von der Kommission vorgenommene Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines Missbrauchs in Frage zu stellen. Der Begriff der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung ist nämlich ein objektiver Begriff, der solche Verhaltensweisen eines Unternehmens in beherrschender Stellung betrifft, die die Struktur eines Marktes beeinflussen können und nicht vom Umfang des betreffenden Marktes abhängen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2003, British Airways/Kommission, T‑219/99, EU:T:2003:343, Rn. 241). Der Umfang eines Marktes wirkt sich daher nicht auf die Einstufung als Missbrauch aus. |
115 |
Siebtens ist das Vorbringen der Klägerin, dass die Kommission die in der Mitteilung der Kommission „Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel [102 AEUV] auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen“ (ABl. 2009, C 45, S. 7) festgelegten Kriterien nicht beachtet habe, ebenfalls nicht geeignet, darzutun, dass der Kommission ein offensichtlicher Fehler unterlaufen ist. Gemäß dieser Mitteilung wird die Kommission nämlich eine Lieferverweigerung prioritär behandeln, wenn diese erstens ein Produkt bzw. eine Dienstleistung betrifft, das bzw. die objektiv notwendig ist, um auf einem nachgelagerten Markt wirksam konkurrieren zu können, zweitens den Wettbewerb auf dem nachgelagerten Markt wahrscheinlich ausschalten wird und drittens wahrscheinlich den Verbrauchern schaden wird. Da der Kommission bei ihrer Beurteilung, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gefahr der Ausschaltung jeglichen wirksamen Wettbewerbs nachgewiesen werde, gering sei, kein offensichtlicher Fehler unterlaufen ist, war in diesem Fall eines der kumulativen Kriterien für eine prioritäre Behandlung nicht erfüllt. Da eines der Kriterien nicht erfüllt war, brauchte die Begründetheit des Vorbringens der Klägerin zu den beiden anderen Kriterien betreffend die objektive Notwendigkeit der Ersatzteile, um wirksam konkurrieren zu können, und den Schaden, den die Verbraucher erleiden würden, nicht geprüft zu werden. |
116 |
Der Kommission ist daher kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen, als sie angenommen hat, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gefahr der Ausschaltung jeglichen wirksamen Wettbewerbs nachgewiesen werde, gering sei. |
117 |
Der Kommission ist somit kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen, als sie der Ansicht war, dass der Nachweis eines Missbrauchs aufgrund der Weigerung, Ersatzteile zu liefern, wenig wahrscheinlich sei. |
118 |
Der zweite Klagegrund ist folglich nicht begründet. |
Zum ersten Klagegrund: Fehler bei der Beschreibung der Marktmacht der Schweizer Uhrenhersteller
119 |
Im Rahmen dieses Klagegrundes wirft die Klägerin der Kommission im Wesentlichen vor, festgestellt zu haben, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Schweizer Uhrenhersteller auf dem Markt für die Lieferung von Ersatzteilen eine beherrschende Stellung innehätten – während diese eine Monopolstellung besäßen –, diesen Faktor bei der Beurteilung des Vorliegens eines Missbrauchs aber nicht berücksichtigt zu haben. |
120 |
Nach Auffassung der Kommission ist dieser Klagegrund zurückzuweisen. |
121 |
In den Erwägungsgründen 102 und 103 des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission ausgeführt, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Schweizer Uhrenhersteller auf den Märkten für Reparaturleistungen und die Lieferung von Ersatzteilen eine beherrschende Stellung innehätten, da der Eintritt in diese Märkte wegen deren Merkmalen hohe Investitionen erfordere. |
122 |
Hierzu folgt aus der Rechtsprechung, dass mit der beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV die wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens gemeint ist, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern und Kunden gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten. Diese Vorschrift sieht für den Begriff der beherrschenden Stellung weder eine Unterscheidung noch irgendeinen Grad vor. Besitzt daher ein Unternehmen eine wirtschaftliche Machtstellung, wie sie nach Art. 102 AEUV für die Feststellung erforderlich ist, dass es auf einem bestimmten Markt eine beherrschende Stellung einnimmt, so ist sein Verhalten nach dieser Vorschrift zu beurteilen. Der Grad der Marktmacht wirkt sich jedoch grundsätzlich eher auf die Tragweite der Auswirkungen des Verhaltens des betreffenden Unternehmens als auf das Vorliegen eines Missbrauchs als solchen aus (Urteile vom 17. Februar 2011, TeliaSonera Sverige, C‑52/09, EU:C:2011:83, Rn. 79 bis 81, und vom 19. April 2012, Tomra Systems u. a./Kommission, C‑549/10 P, EU:C:2012:221, Rn. 38 und 39). |
123 |
Nach dieser Rechtsprechung ist die Frage, ob die Schweizer Uhrenhersteller über eine größere Marktmacht verfügen als von der Kommission angenommen, im Prinzip für die Prüfung, ob das ihnen vorgeworfene Verhalten missbräuchlich ist, unerheblich. |
124 |
Da außerdem aus der Prüfung des zweiten Klagegrundes hervorgeht, dass der Kommission kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen ist, als sie die Möglichkeit ausgeschlossen hat, dass das den Schweizer Uhrenherstellern vorgeworfene Verhalten missbräuchlich ist, folgt hieraus notwendigerweise, dass der erste Klagegrund, mit dem ein Fehler bei der Beschreibung der Marktmacht der Schweizer Uhrenhersteller geltend gemacht wird, ins Leere geht. |
125 |
Der erste Klagegrund greift folglich nicht durch. |
Zum vierten Klagegrund: offensichtlicher Fehler bei der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit, dass die Weigerung, Ersatzteile zu liefern, das Ergebnis einer Absprache oder abgestimmten Verhaltensweise sein könnte
126 |
Die Klägerin behauptet, der Kommission sei ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen, als sie entschieden habe, dass es wenig wahrscheinlich sei, dass die Weigerung der Schweizer Uhrenhersteller, weiterhin Ersatzteile zu liefern, das Ergebnis einer Absprache oder abgestimmten Verhaltensweise sei. Zur Stützung dieser Behauptung trägt sie im Wesentlichen drei Argumente vor. Zum einen hätten die Schweizer Uhrenhersteller ein Interesse gehabt, dass eine solche abgestimmte Verhaltensweise zustandekomme. Zum anderen hätten sie das Ziel, sich die Märkte für Reparatur- und Wartungsleistungen vorzubehalten, nur erreichen können, indem sie gemeinsam vorgingen. Schließlich hätte die Kommission diesen Punkt weiter untersuchen müssen, indem sie sich die Protokolle der Zusammenkünfte zweier Schweizer Branchenverbände beschafft, bei denen die Schweizer Uhrenhersteller über die Lieferung von Ersatzteilen an unabhängige Uhrmacher gesprochen hätten. |
127 |
Wenn wie im vorliegenden Fall über einen langen Zeitraum fortschreitend entschieden wird, die Lieferung zu verweigern, kann nach der Rechtsprechung davon ausgegangen werden, dass diese Entscheidungen nicht das Ergebnis einer Absprache sind, sondern einer Abfolge unabhängig getroffener Geschäftsentscheidungen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Dezember 2010, CEAHR/Kommission, T‑427/08, EU:T:2010:51, Rn. 131 und 132). |
128 |
Die Kommission vertrat in dem angefochtenen Beschluss die Ansicht, dass das Fortschreiten der Weigerung nicht das Ergebnis einer Absprache gewesen sei, sondern einer Abfolge unabhängig getroffener Geschäftsentscheidungen der Schweizer Uhrenhersteller, da diese Entscheidungen nicht zum selben Zeitpunkt oder im selben Zeitraum getroffen worden seien, sondern fortschreitend und über einen relativ langen Zeitraum. Die Klägerin bestreitet nicht den zeitlichen Rahmen der Einführung der selektiven Systeme im Bereich Reparaturen und der Lieferverweigerungen. Sie legt im Übrigen Ablehnungsschreiben von 1996, 2000 und 2002 vor. |
129 |
In Ermangelung von Nachweisen für eine Absprache oder ein abgestimmtes Vorgehen ist der Kommission folglich kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen, als sie entschieden hat, dass es wenig wahrscheinlich sei, dass die Weigerung, Ersatzteile zu liefern, das Ergebnis einer Absprache oder abgestimmten Verhaltensweise sei. |
130 |
Was das Vorbringen anbelangt, dass die Schweizer Uhrenhersteller ein geschäftliches Interesse gehabt hätten, sich abzustimmen, was die Kommission anerkannt habe, und dass diese Hersteller das Ziel, sich die Märkte für Reparatur- und Wartungsleistungen vorzubehalten, nur hätten erreichen können, indem sie gemeinsam vorgingen, ist festzustellen, dass es auf nicht untermauerten Behauptungen beruht und auf einem angeblich verfolgten Ziel, das die Klägerin nicht nachgewiesen hat. In Ermangelung von Nachweisen für eine Absprache oder ein abgestimmtes Vorgehen ist dieses Vorbringen im Übrigen nicht geeignet, nachzuweisen, dass der Kommission ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen ist. |
131 |
Was das Vorbringen anbelangt, dass die Kommission eine weiter gehende Untersuchung hätte vornehmen müssen, folgt aus der oben in Rn. 61 genannten Rechtsprechung, dass die Kommission, da sie nicht verpflichtet ist, sich dazu zu äußern, ob eine Zuwiderhandlung vorliegt oder nicht, nicht zur Durchführung einer Untersuchung verpflichtet sein kann, da diese kein anderes Ziel haben könnte als die Ermittlung von Beweisen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Zuwiderhandlung, zu deren Feststellung sie nicht verpflichtet ist. Es kann ihr daher nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie nicht versucht habe, sich die Protokolle der Zusammenkünfte der beiden Schweizer Branchenverbände zu beschaffen. |
132 |
Der Kommission ist folglich kein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen, als sie entschieden hat, dass es wenig wahrscheinlich sei, dass die Weigerung der Schweizer Uhrenhersteller, weiterhin Ersatzteile zu liefern, das Ergebnis einer Absprache oder abgestimmten Verhaltensweise sei. |
133 |
Der vierte Klagegrund ist folglich nicht begründet. |
Zum fünften Klagegrund: Verstoß gegen die Begründungspflicht
134 |
Nach Auffassung der Klägerin hat die Kommission ihr Ergebnis, der Beschwerde nicht nachzugehen, nicht ausreichend begründet. |
135 |
Die Kommission unterliegt einer Begründungspflicht, wenn sie die weitere Prüfung einer Beschwerde ablehnt. Da die Begründung so genau und detailliert sein muss, dass das Gericht die Ausübung der Ermessensbefugnis der Kommission zur Festlegung der Prioritäten wirksam überprüfen kann, hat die Kommission die Tatsachen, von denen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung abhängt, und die rechtlichen Erwägungen anzuführen, die sie zum Erlass ihrer Entscheidung veranlasst haben (Beschluss vom 31. März 2011, EMC Development/Kommission, C‑367/10 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:203, Rn. 75, und Urteil vom 21. Januar 2015, easyJet Airline/Kommission, T‑355/13, EU:T:2015:36, Rn. 70). |
136 |
Im vorliegenden Fall genügt die Feststellung, dass aus dem angefochtenen Beschluss hervorgeht, dass die Kommission die Wahrscheinlichkeit des Nachweises einer Zuwiderhandlung gegen Art. 102 AEUV für begrenzt hielt, da keine Gefahr bestanden habe, dass die Weigerung, Ersatzteile zu liefern, und die Einrichtung selektiver Systeme im Bereich Reparaturen jeglichen wirksamen Wettbewerb ausschalteten. Sie war außerdem der Ansicht, dass die Wahrscheinlichkeit des Nachweises einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV begrenzt sei, da die Weigerung, Ersatzteile zu liefern, und die Einrichtung selektiver Systeme im Bereich Reparaturen auf eine Abfolge unabhängig getroffener Geschäftsentscheidungen zurückzuführen seien, die nicht gleichzeitig getroffen worden seien. Im Übrigen ist sie auf alle in der Beschwerde enthaltenen Behauptungen eingegangen, was die Klägerin nicht bestreitet. |
137 |
Unter diesen Umständen ist die Kommission ihrer Begründungspflicht nachgekommen, indem sie klar und eindeutig die tatsächlichen Gesichtspunkte und die rechtlichen Erwägungen angeführt hat, die sie zu der Feststellung geführt haben, dass die Wahrscheinlichkeit des Nachweises einer Zuwiderhandlung gegen die Art. 101 und 102 AEUV nur begrenzt sei. Da diese Ausführungen das Gericht in die Lage versetzen, die Ausübung des weiten Ermessens der Kommission in dem angefochtenen Beschluss wirksam zu überprüfen, ist der angefochtene Beschluss hinreichend begründet. |
138 |
Der fünfte Klagegrund ist folglich nicht begründet. |
Zum sechsten Klagegrund: Verstoß gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung
139 |
Gemäß Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichts vom 2. Mai 1991 muss die Klageschrift eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten. Diese Angaben müssen so klar und genau sein, dass dem Beklagten die Vorbereitung seiner Verteidigung und dem Gericht die Entscheidung über die Klage, gegebenenfalls auch ohne weitere Informationen, ermöglicht wird. |
140 |
In der Klageschrift ist deshalb darzulegen, worin der Klagegrund besteht, auf den die Klage gestützt wird, so dass seine bloß abstrakte Nennung den Erfordernissen der Verfahrensordnung vom 2. Mai 1991 nicht entspricht (Urteil vom 12. Januar 1995, Viho/Kommission, T‑102/92, EU:T:1995:3, Rn. 68). |
141 |
Die Klägerin trägt in der Klageschrift lediglich vor, dass die Schlussfolgerung der Kommission das Ergebnis eines Verfahrens sei, in dem die Kommission, unter Verstoß gegen das Recht der Klägerin auf eine ordnungsgemäße Verwaltung, die von der Klägerin vorgetragenen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte nicht aufmerksam geprüft habe, sie macht jedoch keine weiter gehenden Ausführungen, die diese Behauptung stützen könnten. |
142 |
Die bloße Bezugnahme auf den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung kann jedoch nicht als hinreichend angesehen werden, um den in der Verfahrensordnung vom 2. Mai 1991 festgelegten Voraussetzungen der Klarheit und Genauigkeit zu genügen. |
143 |
Der sechste Klagegrund ist folglich unzulässig. |
144 |
Da keiner der von der Klägerin vorgetragenen Klagegründe belegt, dass die Kommission ihr Ermessen überschritten hätte, ist die Klage unbegründet. |
Kosten
145 |
Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission und der Streithelferinnen deren Kosten aufzuerlegen. |
Aus diesen Gründen hat DAS GERICHT (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden: |
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Prek Buttigieg Berke Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 23. Oktober 2017. Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.
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Referenzen
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