Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-489/15

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

9. November 2017 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Eisenbahnverkehr – Richtlinie 2001/14/EG – Wegeentgelt – Entgeltregelung – Nationale Regulierungsstelle, die gewährleistet, dass die Wegeentgelte der Richtlinie entsprechen – Infrastrukturnutzungsvertrag zwischen dem Betreiber der Eisenbahninfrastruktur und einem Eisenbahnunternehmen – Diskriminierungsverbot – Erstattung von Entgelten ohne Beteiligung der Regulierungsstelle und außerhalb der Rechtsbehelfsverfahren, an denen sie beteiligt ist – Nationale Regelung, wonach der Zivilrichter bei einem Entgelt, das nicht der Billigkeit entspricht, einen angemessenen Betrag festsetzen darf“

In der Rechtssache C‑489/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Berlin (Deutschland) mit Entscheidung vom 3. September 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 17. September 2015, in dem Verfahren

CTL Logistics GmbH

gegen

DB Netz AG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, der Richter E. Levits und A. Borg Barthet, der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) sowie des Richters F. Biltgen,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juli 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der CTL Logistics GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt K.-P. Langenkamp,

der DB Netz AG, vertreten durch die Rechtsanwälte M. Kaufmann und T. Schmitt,

der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Mölls und J. Hottiaux als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. November 2016

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 und 5, Art. 6 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1 und Art. 30 Abs. 1 bis 3, 5 und 6 der Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur (ABl. 2001, L 75, S. 29) in der durch die Richtlinie 2004/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (ABl. 2004, L 220, S. 16) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/14).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der CTL Logistics GmbH und der DB Netz AG wegen der Erstattung von Stornierungs- und Änderungsentgelten im Zusammenhang mit der Nutzung der von DB Netz betriebenen Eisenbahninfrastruktur.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Die Ziele der Richtlinie 2001/14 werden, was die Wegeentgelte angeht, in ihren Erwägungsgründen 5, 7, 11, 12, 16, 20, 32, 34, 35, 40 und 46 wie folgt beschrieben:

„(5)

Um Transparenz und einen nichtdiskriminierenden Zugang zu den Eisenbahnfahrwegen für alle Eisenbahnunternehmen sicherzustellen, sind alle für die Wahrnehmung der Zugangsrechte benötigten Informationen in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen zu veröffentlichen.

(7)

Anreize zur optimalen Nutzung der Eisenbahnfahrwege werden zu einer Verringerung der gesamtgesellschaftlich zu tragenden Kosten des Verkehrs beitragen.

….

(11)

Bei den Entgelt- und Kapazitätszuweisungsregelungen sollte allen Unternehmen ein gleicher und nichtdiskriminierender Zugang geboten werden und soweit wie möglich angestrebt werden, den Bedürfnissen aller Nutzer und Verkehrsarten gerecht und in nichtdiskriminierender Weise zu entsprechen.

(12)

In dem von den Mitgliedstaaten abgesteckten Rahmen sollten die Entgelt- und Kapazitätszuweisungsregelungen den Betreibern der Eisenbahninfrastruktur einen Anreiz geben, die Nutzung ihrer Fahrwege zu optimieren.

(16)

Entgelt- und Kapazitätszuweisungsregelungen sollten einen fairen Wettbewerb bei der Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen ermöglichen.

(20)

Den Betreibern der Infrastruktur sollte eine gewisse Flexibilität eingeräumt werden, um eine effizientere Nutzung des Schienennetzes zu ermöglichen.

(32)

Die Wettbewerbsverzerrungen, die sich aufgrund wesentlicher Unterschiede bei den Entgeltgrundsätzen zwischen Fahrwegen oder Verkehrsträgern ergeben könnten, sind so gering wie möglich zu halten.

(34)

Investitionen in die Eisenbahninfrastruktur sind wünschenswert, und Wegeentgeltregelungen sollten den Betreibern der Infrastruktur Anreize geben, entsprechende Investitionen zu tätigen, wo diese wirtschaftlich sinnvoll sind.

(35)

Jede Entgeltregelung gibt den Nutzern wirtschaftliche Signale. Diese Signale für Eisenbahnunternehmen sollten widerspruchsfrei sein und die Nutzer zu rationalen Entscheidungen veranlassen.

(40)

Der Fahrweg stellt ein natürliches Monopol dar. Es ist deshalb erforderlich, den Betreibern der Infrastruktur Anreize zur Kostensenkung und zur effizienten Verwaltung ihrer Fahrwege zu geben.

….

(46)

Die effiziente Verwaltung und gerechte und nichtdiskriminierende Nutzung von Eisenbahnfahrwegen erfordert die Einrichtung einer Regulierungsstelle, die über die Anwendung dieser gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften wacht und ungeachtet der gerichtlichen Nachprüfbarkeit als Beschwerdestelle fungieren kann.“

4

Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14 lautet:

„Gegenstand dieser Richtlinie sind die Grundsätze und Verfahren für die Festlegung und Berechnung von Wegeentgelten im Eisenbahnverkehr und die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn.

Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die Entgelt- und Kapazitätszuweisungsregelungen für die betreffenden Fahrwege den in dieser Richtlinie festgelegten Grundsätzen entsprechen und es dem Betreiber der Infrastruktur so ermöglichen, die verfügbare Fahrwegkapazität zu vermarkten und so effektiv wie möglich zu nutzen.“

5

Art. 3 („Schienennetz-Nutzungsbedingungen“) der Richtlinie 2001/14 lautet:

„(1)   Der Betreiber der Infrastruktur erstellt und veröffentlicht nach Konsultationen mit den Beteiligten Schienennetz-Nutzungsbedingungen, die gegen Zahlung einer Gebühr, die nicht höher sein darf als die Kosten für die Veröffentlichung dieser Unterlagen, erhältlich sind.

(2)   Die Schienennetz-Nutzungsbedingungen enthalten Angaben zum Fahrweg, der den Eisenbahnunternehmen zur Verfügung steht. Sie enthalten Informationen zu den Zugangsbedingungen für den betreffenden Fahrweg. Anhang I enthält den Inhalt der Schienennetz-Nutzungsbedingungen.

(3)   Die Schienennetz-Nutzungsbedingungen sind auf dem neuesten Stand zu halten und bei Bedarf zu ändern.

(4)   Die Schienennetz-Nutzungsbedingungen sind mindestens vier Monate vor Ablauf der Frist für die Stellung von Anträgen auf Zuweisung von Fahrwegkapazität zu veröffentlichen.“

6

Kapitel II („Wegeentgelte“) der Richtlinie 2001/14 umfasst ihre Art. 4 bis 12.

7

In Art. 4 („Festsetzung, Berechnung und Erhebung von Entgelten“) ist bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten schaffen eine Entgeltrahmenregelung, wobei die Unabhängigkeit der Geschäftsführung gemäß Artikel 4 der Richtlinie 91/440/EWG [des Rates vom 29. Juli 1991 zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft (ABl. 1991, L 237, S. 25)] zu wahren ist.

Vorbehaltlich der genannten Bedingung der Unabhängigkeit der Geschäftsführung legen die Mitgliedstaaten auch einzelne Entgeltregeln fest oder delegieren diese Befugnisse an den Betreiber der Infrastruktur. Die Berechnung des Wegeentgeltes und die Erhebung dieses Entgelts nimmt der Betreiber der Infrastruktur vor.

(4)   Außer im Fall besonderer Maßnahmen gemäß Artikel 8 Absatz 2 tragen die Betreiber der Infrastruktur dafür Sorge, dass die Entgeltregelung in ihrem gesamten Netz auf denselben Grundsätzen beruht.

(5)   Die Betreiber der Infrastruktur tragen dafür Sorge, dass die Anwendung der Entgeltregelung zu gleichwertigen und nichtdiskriminierenden Entgelten für unterschiedliche Eisenbahnunternehmen führ[t], die Dienste gleichwertiger Art in ähnlichen Teilen des Markts erbringen, und dass die tatsächlich erhobenen Entgelte den in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen vorgesehenen Regeln entsprechen.“

8

Die Art. 7 bis 12 der Richtlinie 2001/14 legen die Entgelte, die erhoben werden können, und die Methode ihrer Berechnung fest.

9

Die Abs. 3 bis 5 von Art. 7 („Entgeltgrundsätze“) der Richtlinie 2001/14 lauten:

„(3)   Unbeschadet der Absätze 4 und 5 und des Artikels 8 ist das Entgelt für das Mindestzugangspaket und den Schienenzugang zu Serviceeinrichtungen in Höhe der Kosten festzulegen, die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallen.

(4)   Das Wegeentgelt kann einen Entgeltbestandteil umfassen, der die Knappheit der Fahrwegkapazität auf dem bestimmbaren Fahrwegabschnitt in Zeiten der Überlastung widerspiegelt.

(5)   Das Wegeentgelt kann geändert werden, um den Kosten von umweltbezogenen Auswirkungen aufgrund des Zugbetriebs Rechnung zu tragen. Eine solche Änderung muss je nach Größenordnung der verursachten Auswirkungen differenziert werden.

Eine Anlastung umweltbezogener Kosten, die eine Erhöhung der Gesamterlöse des Betreibers der Infrastruktur mit sich bringt, ist jedoch nur dann erlaubt, wenn eine solche Anlastung in vergleichbarer Höhe auch bei konkurrierenden Verkehrsträgern erfolgt.

Solange eine Anlastung umweltbezogener Kosten in vergleichbarer Höhe bei konkurrierenden Verkehrsträgern nicht erfolgt, darf diese Änderung die Erlöse des Betreibers der Infrastruktur insgesamt nicht verändern. Erfolgt die Anlastung umweltbezogener Kosten in vergleichbarer Höhe für den Schienenverkehr und für konkurrierende Verkehrsträger und führt dies zu zusätzlichen Erlösen, so entscheiden die Mitgliedstaaten über deren Verwendung.“

10

Die Abs. 1 und 2 von Art. 8 („Ausnahmen von den Entgeltgrundsätzen“) der Richtlinie 2001/14 lauten:

„(1)   Um eine volle Deckung der dem Betreiber der Infrastruktur entstehenden Kosten zu erhalten, kann ein Mitgliedstaat, sofern der Markt dies tragen kann, Aufschläge auf der Grundlage effizienter, transparenter und nichtdiskriminierender Grundsätze erheben, wobei die bestmögliche Wettbewerbsfähigkeit insbesondere des grenzüberschreitenden Schienengüterverkehrs zu gewährleisten ist. Die Entgeltregelung muss dem von den Eisenbahnunternehmen erzielten Produktivitätszuwachs Rechnung tragen.

Die Höhe der Entgelte darf jedoch nicht die Nutzung der Fahrwege durch Marktsegmente ausschließen, die mindestens die Kosten, die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallen, sowie eine Rendite, die der Markt tragen kann, erbringen können.

(2)   Im Falle von künftigen spezifischen Investitionsvorhaben oder von Vorhaben, die spätestens fünfzehn Jahre vor Inkrafttreten dieser Richtlinie abgeschlossen wurden, darf der Betreiber der Infrastruktur auf der Grundlage der langfristigen Kosten dieser Vorhaben höhere Entgelte festlegen oder beibehalten, wenn die Vorhaben eine Steigerung der Effizienz und/oder der Kostenwirksamkeit bewirken und sonst nicht durchgeführt werden könnten oder durchgeführt worden wären. Zu einer derartigen Entgelterhebungsmaßnahme können auch Vereinbarungen zur Aufteilung des mit neuen Investitionen verbundenen Risikos gehören.“

11

Art. 9 Abs. 5 der Richtlinie 2001/14 lautet:

„Auf ähnliche Verkehrsdienste sind ähnliche Nachlassregelungen anzuwenden.“

12

Art. 12 („Entgelte für vorgehaltene Fahrwegkapazität“) der Richtlinie 2001/14 lautet:

„Die Betreiber der Infrastruktur können ein angemessenes Entgelt für Fahrwegkapazität erheben, die beantragt, aber nicht in Anspruch genommen wurde. Mit diesem Entgelt sollen Anreize für die effiziente Nutzung der Fahrwegkapazität geboten werden.

Die Betreiber der Infrastruktur müssen zu jeder Zeit in der Lage sein, jedem Beteiligten Auskunft über den Umfang der Fahrwegkapazität zu geben, die den diese Kapazität nutzenden Eisenbahnunternehmen zugewiesen wurden.“

13

In Kapitel IV („Allgemeine Maßnahmen“) der Richtlinie 2001/14 bestimmt ihr Art. 30 („Regulierungsstelle“):

„(1)   Unbeschadet des Artikels 21 Absatz 6 richten die Mitgliedstaaten eine Regulierungsstelle ein. Diese Stelle, bei der es sich um das für Verkehrsfragen zuständige Ministerium oder eine andere Behörde handeln kann, ist organisatorisch, bei ihren Finanzierungsbeschlüssen, rechtlich und in ihrer Entscheidungsfindung von Betreibern der Infrastruktur, entgelterhebenden Stellen, Zuweisungsstellen und Antragstellern unabhängig. Für die Tätigkeit der Regulierungsstelle gelten die Grundsätze dieses Artikels; Rechtsbehelfs- und Regulierungsfunktionen können gesonderten Stellen übertragen werden.

(2)   Ist ein Antragsteller der Auffassung, ungerecht behandelt, diskriminiert oder auf andere Weise in seinen Rechten verletzt worden zu sein, so kann er die Regulierungsstelle befassen, und zwar insbesondere mit Entscheidungen des Betreibers der Infrastruktur oder gegebenenfalls des Eisenbahnunternehmens betreffend

a)

die Schienennetz-Nutzungsbedingungen,

b)

die darin enthaltenen Kriterien,

c)

das Zuweisungsverfahren und dessen Ergebnis,

d)

die Entgeltregelung,

e)

die Höhe oder Struktur der Wegeentgelte, die er zu zahlen hat oder hätte,

(3)   Die Regulierungsstelle gewährleistet, dass die vom Betreiber der Infrastruktur festgesetzten Entgelte dem Kapitel II entsprechen und nichtdiskriminierend sind. Verhandlungen zwischen Antragstellern und einem Betreiber der Infrastruktur über die Höhe von Wegeentgelten sind nur zulässig, sofern sie unter Aufsicht der Regulierungsstelle erfolgen. Die Regulierungsstelle hat einzugreifen, wenn bei den Verhandlungen ein Verstoß gegen die Bestimmungen dieser Richtlinie droht.

(4)   Die Regulierungsstelle ist berechtigt, sachdienliche Auskünfte von dem Betreiber der Infrastruktur, Antragstellern und betroffenen Dritten in dem betreffenden Mitgliedstaat einzuholen, die unverzüglich zu erteilen sind.

(5)   Die Regulierungsstelle hat über Beschwerden zu entscheiden und binnen zwei Monaten ab Erhalt aller Auskünfte Abhilfemaßnahmen zu treffen.

Ungeachtet des Absatzes 6 sind Entscheidungen der Regulierungsstelle für alle davon Betroffenen verbindlich.

Wird die Regulierungsstelle mit einer Beschwerde wegen der Verweigerung der Zuweisung von Fahrwegkapazität oder wegen der Bedingungen eines Angebots an Fahrwegkapazität befasst, entscheidet die Regulierungsstelle entweder, dass keine Änderung der Entscheidung des Betreibers der Infrastruktur erforderlich ist, oder schreibt eine Änderung dieser Entscheidung gemäß den Vorgaben der Regulierungsstelle vor.

(6)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um die gerichtliche Nachprüfbarkeit von Entscheidungen der Regulierungsstelle zu gewährleisten.“

14

Nach Anhang I der Richtlinie 2001/14, auf den ihr Art. 3 Abs. 2 verweist, müssen die Schienennetz-Nutzungsbedingungen u. a. folgende Angaben enthalten:

„…

2.   Einen Abschnitt mit einer Darlegung der Entgeltgrundsätze und der Tarife. Dieser Abschnitt umfasst hinreichende Einzelheiten der Entgeltregelung sowie ausreichende Informationen zu den Entgelten für die in Anhang II aufgeführten Leistungen, die nur von einem einzigen Anbieter erbracht werden. Es ist im Einzelnen aufzuführen, welche Verfahren, Regeln und gegebenenfalls Tabellen zur Durchführung des Artikels 7 Absätze 4 und 5 sowie der Artikel 8 und 9 angewandt werden. Dieser Abschnitt enthält ferner Angaben zu bereits beschlossenen oder vorgesehenen Entgeltänderungen.

…“

Deutsches Recht

AEG

15

Die Abs. 4 bis 6 von § 14 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes vom 27. Dezember 1993 (BGBl. 1993 I S. 2378) in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: AEG) lauten:

„(4)   Betreiber von Schienenwegen haben ihre Entgelte nach Maßgabe einer auf Grund des § 26 Abs. 1 Nr. 6 und 7 erlassenen Rechtsverordnung so zu bemessen, dass die ihnen insgesamt für die Erbringung der Pflichtleistungen im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 entstehenden Kosten zuzüglich einer Rendite, die am Markt erzielt werden kann, ausgeglichen werden. Hierbei können sie Aufschläge auf die Kosten, die unmittelbar auf Grund des Zugbetriebs anfallen, erheben, wobei sowohl je nach den Verkehrsleistungen Schienenpersonenfernverkehr, Schienenpersonennahverkehr oder Schienengüterverkehr als auch nach Marktsegmenten innerhalb dieser Verkehrsleistungen differenziert werden kann und die Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere des grenzüberschreitenden Schienengüterverkehrs, zu gewährleisten ist. Die Höhe der Entgelte darf jedoch im Fall des Satzes 2 bezogen auf ein Marktsegment nicht die Kosten, die jeweils unmittelbar auf Grund des Zugbetriebs anfallen, zuzüglich einer Rendite, die am Markt erzielt werden kann, übersteigen. In der Rechtsverordnung nach § 26 Abs. 1 Nr. 6 und 7

1.

können Ausnahmen von der Entgeltbemessung nach Satz 1 zugelassen werden, wenn die Kosten anderweitig gedeckt werden, oder

2.

kann die zuständige Aufsichtsbehörde befugt werden, durch Allgemeinverfügung im Benehmen mit der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Regulierungsbehörde) alle Betreiber der Schienenwege allgemein von der Beachtung der Anforderungen nach Satz 1 freizustellen.

(5)   Eisenbahninfrastrukturunternehmen haben ihre Entgelte für den Zugang zu Serviceeinrichtungen einschließlich der damit verbundenen Leistungen so zu bemessen, dass die Wettbewerbsmöglichkeiten der Zugangsberechtigten nicht missbräuchlich beeinträchtigt werden. Eine missbräuchliche Beeinträchtigung liegt insbesondere vor, wenn

1.

Entgelte gefordert werden, welche die entstandenen Kosten für das Erbringen der in Satz 1 genannten Leistungen in unangemessener Weise überschreiten oder

2.

einzelnen Zugangsberechtigten Vorteile gegenüber anderen Zugangsberechtigten eingeräumt werden, soweit hierfür nicht ein sachlich gerechtfertigter Grund vorliegt.

(6)   Einzelheiten des Zugangs, insbesondere hinsichtlich des Zeitpunktes und der Dauer der Nutzung, sowie das zu entrichtende Entgelt und die sonstigen Nutzungsbedingungen einschließlich die der Betriebssicherheit dienenden Bestimmungen sind zwischen den Zugangsberechtigten und den Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach Maßgabe der in Absatz 1 genannten Rechtsverordnung zu vereinbaren.“

16

§ 14b Abs. 1 AEG lautet:

„Der Regulierungsbehörde obliegt die Aufgabe, die Einhaltung der Vorschriften des Eisenbahnrechts über den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur zu überwachen, insbesondere hinsichtlich

1.

der Erstellung des Netzfahrplans, dies gilt insbesondere für Entscheidungen über die Zuweisung von Zugtrassen für den Netzfahrplan einschließlich der Pflichtleistungen,

2.

der sonstigen Entscheidungen über die Zuweisung von Zugtrassen einschließlich der Pflichtleistungen,

3.

des Zugangs zu Serviceeinrichtungen einschließlich der damit verbundenen Leistungen,

4.

der Benutzungsbedingungen, der Entgeltgrundsätze und der Entgelthöhen.“

17

§ 14c AEG lautet:

„(1)   Die Regulierungsbehörde kann in Wahrnehmung ihrer Aufgaben gegenüber öffentlichen Eisenbahninfrastrukturunternehmen die Maßnahmen treffen, die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und zur Verhütung künftiger Verstöße gegen die Vorschriften des Eisenbahnrechts über den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur erforderlich sind.

(2)   Die Zugangsberechtigten, die öffentlichen Eisenbahninfrastrukturunternehmen und die für sie tätigen Personen müssen der Regulierungsbehörde und ihren Beauftragten zur Durchführung ihrer Aufgaben gestatten,

1.

Geschäftsräume und Betriebsanlagen innerhalb der üblichen Geschäfts- und Arbeitsstunden zu betreten und

2.

Bücher, Geschäftspapiere, Dateien und sonstige Unterlagen einzusehen sowie diese auf geeigneten Datenträgern zur Verfügung zu stellen.

(3)   Die Zugangsberechtigten, die öffentlichen Eisenbahninfrastrukturunternehmen und die für sie tätigen Personen haben der Regulierungsbehörde und ihren Beauftragten alle für die Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen

1.

Auskünfte zu erteilen,

2.

Nachweise zu erbringen,

3.

Hilfsmittel zu stellen und Hilfsdienste zu leisten.

Dies gilt auch in Bezug auf laufende oder abgeschlossene Verhandlungen über die Höhe von Wege- und sonstigen Entgelten. Die Auskünfte sind wahrheitsgemäß und nach bestem Wissen zu erteilen. Der zur Auskunft Verpflichtete kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen der in § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 der Zivilprozessordnung bezeichneten Angehörigen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens wegen einer Ordnungswidrigkeit aussetzen würde.

(4)   Die Regulierungsbehörde kann ihre Anordnungen nach diesem Gesetz nach den für die Vollstreckung von Verwaltungsmaßnahmen geltenden Vorschriften durchsetzen. Die Höhe des Zwangsgeldes beträgt bis zu 500.000 Euro.“

18

§ 14d AEG lautet:

„Die öffentlichen Eisenbahninfrastrukturunternehmen haben die Regulierungsbehörde zu unterrichten über

1.

die beabsichtigte Entscheidung über die Zuweisung von Zugtrassen für den Netzfahrplan einschließlich der Pflichtleistungen, sofern Anträge abgelehnt werden sollen,

2.

die beabsichtigte Entscheidung über die Zuweisung von Zugtrassen einschließlich der Pflichtleistungen außerhalb der Erstellung des Netzfahrplans, sofern Anträge abgelehnt werden sollen,

3.

die beabsichtigte Entscheidung über den Zugang zu Serviceeinrichtungen einschließlich der damit verbundenen Leistungen, sofern Anträge abgelehnt werden sollen,

4.

die beabsichtigte Entscheidung über den Abschluss eines Rahmenvertrags,

5.

die beabsichtigte Entscheidung, die Zugangsberechtigten aufzufordern, ein Entgelt anzubieten, das über dem Entgelt liegt, das auf der Grundlage der Schienennetz-Benutzungsbedingungen zu zahlen wäre,

6.

die beabsichtigte Neufassung oder Änderung von Schienennetz-Benutzungsbedingungen und von Nutzungsbedingungen für Serviceeinrichtungen einschließlich der jeweils vorgesehenen Entgeltgrundsätze und Entgelthöhen.

Die beabsichtigten Entscheidungen nach Satz 1 Nr. 1 bis 5 sind zu begründen. Betreiber der Schienenwege haben dabei auch die Übereinstimmung ihrer Entgeltfestsetzung mit § 14 Abs. 4 darzulegen.“

19

§ 14e AEG bestimmt:

„(1)   Die Regulierungsbehörde kann nach Eingang einer Mitteilung nach § 14d innerhalb von

1.

zehn Arbeitstagen der beabsichtigten Entscheidung nach § 14d Satz 1 Nr. 1, 3 und 5,

2.

einem Arbeitstag der beabsichtigten Entscheidung nach § 14d Satz 1 Nr. 2,

3.

vier Wochen der beabsichtigten Entscheidung nach § 14d Satz 1 Nr. 4,

4.

vier Wochen der beabsichtigten Neufassung oder Änderung nach § 14d Satz 1 Nr. 6

widersprechen, soweit die beabsichtigten Entscheidungen nicht den Vorschriften des Eisenbahnrechts über den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur entsprechen.

(2)   Vor Ablauf der

1.

in Absatz 1 Nr. 1 bis 3 genannten Fristen kann die beabsichtigte Entscheidung dem Zugangsberechtigten nicht wirksam mitgeteilt werden,

2.

in Absatz 1 Nr. 4 genannten Frist dürfen die Schienennetz-Benutzungsbedingungen oder die Nutzungsbedingungen von Serviceeinrichtungen sowie Entgeltgrundsätze und die Festlegung der Entgelthöhen nicht in Kraft treten.

(3)   Übt die Regulierungsbehörde ihr Widerspruchsrecht aus,

1.

ist im Fall des Absatzes 1 Nr. 1 bis 3 unter Beachtung der Vorgaben der Regulierungsbehörde zu entscheiden,

2.

treten im Fall des Absatzes 1 Nr. 4 die Schienennetz-Benutzungsbedingungen oder die Nutzungsbedingungen von Serviceeinrichtungen einschließlich der vorgesehenen Entgeltgrundsätze und Entgelthöhen insoweit nicht in Kraft.

(4)   Die Regulierungsbehörde kann auf eine Mitteilung nach § 14d ganz oder teilweise im Voraus verzichten. Sie kann ihren Verzicht auf einzelne öffentliche Eisenbahninfrastrukturunternehmen beschränken. Dies gilt insbesondere, wenn eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs nicht zu erwarten ist.“

20

§ 14f AEG lautet:

„(1)   Die Regulierungsbehörde kann von Amts wegen

1.

Schienennetz-Benutzungsbedingungen und die Nutzungsbedingungen für Serviceeinrichtungen,

2.

Regelungen über die Höhe oder Struktur der Wegeentgelte und sonstiger Entgelte

eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens überprüfen.

Die Regulierungsbehörde kann mit Wirkung für die Zukunft

1.

das Eisenbahninfrastrukturunternehmen zur Änderung der Bedingungen nach Satz 1 Nr. 1 oder der Entgeltregelungen nach Satz 1 Nr. 2 nach ihren Maßgaben verpflichten oder

2.

Bedingungen nach Satz 1 Nr. 1 oder Entgeltregelungen nach Satz 1 Nr. 2 für ungültig erklären,

soweit diese nicht den Vorschriften des Eisenbahnrechts über den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur entsprechen.

(2)   Kommt eine Vereinbarung über den Zugang nach § 14 Abs. 6 oder über einen Rahmenvertrag nach § 14a nicht zustande, können die Entscheidungen des Eisenbahninfrastrukturunternehmens durch die Regulierungsbehörde auf Antrag oder von Amts wegen überprüft werden. Antragsberechtigt sind die Zugangsberechtigten, deren Recht auf Zugang zur Eisenbahninfrastruktur beeinträchtigt sein kann. Der Antrag ist innerhalb der Frist zu stellen, in der das Angebot zum Abschluss von Vereinbarungen nach Satz 1 angenommen werden kann. Überprüft werden können insbesondere

1.

die Schienennetz-Benutzungsbedingungen und die Nutzungsbedingungen für Serviceeinrichtungen,

2.

das Zuweisungsverfahren und dessen Ergebnis,

3.

die Höhe oder Struktur der Wege- und sonstigen Entgelte.

Die Regulierungsbehörde hat die Beteiligten aufzufordern, innerhalb einer angemessenen Frist, die zwei Wochen nicht überschreiten darf, alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Nach Ablauf dieser Frist hat die Regulierungsbehörde über den Antrag binnen zwei Monaten zu entscheiden.

(3)   Beeinträchtigt im Fall des Absatzes 2 die Entscheidung eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens das Recht des Antragstellers auf Zugang zur Eisenbahninfrastruktur,

1.

verpflichtet die Regulierungsbehörde das Eisenbahninfrastrukturunternehmen zur Änderung der Entscheidung oder

2.

legt die Regulierungsbehörde die Vertragsbedingungen fest, entscheidet über die Geltung des Vertrags und erklärt entgegenstehende Verträge für unwirksam.“

EIBV

21

§ 4 der Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung vom 3. Juni 2005 (BGBl. 2005 I S. 1566) in der Fassung vom 3. Juni 2009 (BGBl. 2009 I S. 1235) (im Folgenden: EIBV) bestimmt:

„(1)   Der Betreiber der Schienenwege ist verpflichtet, Benutzungsbedingungen (Schienennetz-Benutzungsbedingungen) für die Erbringung der in Anlage 1 Nr. 1 genannten Leistungen zu erstellen und diese entweder

1.

im Bundesanzeiger zu veröffentlichen oder

2.

im Internet zu veröffentlichen und die Adresse im Bundesanzeiger bekannt zu machen.

Der Betreiber der Schienenwege hat Zugangsberechtigten auf deren Verlangen gegen Erstattung der Aufwendungen die Schienennetz-Benutzungsbedingungen zuzusenden.

(2)   Die Schienennetz-Benutzungsbedingungen müssen mindestens die in Anlage 2 festgelegten und die sonst nach dieser Verordnung vorgeschriebenen Angaben sowie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Benutzung der Zugtrassen enthalten. Die Liste der Entgelte ist nicht Bestandteil der Schienennetz-Benutzungsbedingungen.

(5)   Die Schienennetz-Benutzungsbedingungen sind mindestens vier Monate vor Ablauf der nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 bestimmten Frist für die Stellung von Anträgen auf Zuweisung von Zugtrassen für den Netzfahrplan zu veröffentlichen. Sie treten mit dem Ablauf der nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 bestimmten Frist für die Stellung von Anträgen in Kraft.

(6)   Die Schienennetz-Benutzungsbedingungen sind gegenüber jedem Antragsteller in gleicher Weise anzuwenden. Sie sind für die Beteiligten verbindlich; hiervon bleiben Allgemeine Geschäftsbedingungen, die in ihnen enthalten sind, unberührt.

…“

22

§ 21 EIBV lautet:

„(1)   Der Betreiber der Schienenwege hat seine Entgelte für die Pflichtleistungen so zu gestalten, dass sie durch leistungsabhängige Bestandteile den Eisenbahnverkehrsunternehmen und den Betreibern der Schienenwege Anreize zur Verringerung von Störungen und zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Schienennetzes bieten. Die Grundsätze der leistungsabhängigen Entgeltregelung haben für das gesamte Schienennetz eines Betreibers der Schienenwege zu gelten.

(2)   Das Wegeentgelt kann einen Entgeltbestandteil umfassen, der den Kosten umweltbezogener Auswirkungen des Zugbetriebs Rechnung trägt, wobei nach der Größenordnung der verursachten Auswirkungen zu differenzieren ist. Die Höhe des Gesamterlöses des Betreibers der Schienenwege darf dadurch nicht verändert werden.

(3)   Das Wegeentgelt kann einen Entgeltbestandteil umfassen, der die Knappheit der Schienenwegkapazität auf einem bestimmbaren Schienenwegabschnitt in Zeiten der Überlastung widerspiegelt.

(4)   Verursacht eine Verkehrsleistung gegenüber anderen Verkehrsleistungen erhöhte Kosten, dann dürfen diese Kosten nur für diese Verkehrsleistung berücksichtigt werden.

(5)   Um unverhältnismäßig starke Schwankungen zu vermeiden, können die in den Absätzen 2 und 4 genannten Entgelte und das Entgelt für die Pflichtleistungen über angemessene Zeiträume gemittelt werden.

(6)   Die Entgelte sind, soweit sich aus dieser Verordnung nichts anderes ergibt, gegenüber jedem Zugangsberechtigten in gleicher Weise zu berechnen. Sie sind bei nicht vertragsgemäßem Zustand des Schienenweges, der zugehörigen Steuerungs- und Sicherungssysteme sowie der zugehörigen Anlagen zur streckenbezogenen Versorgung mit Fahrstrom zu mindern.

(7)   Die Entgelte der Betreiber der Schienenwege sind einen Monat vor dem Fristbeginn nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 nach § 4 Abs. 1 zu veröffentlichen oder zuzusenden. Sie gelten für die gesamte neue Fahrplanperiode.“

BGB

23

In § 315 („Bestimmung der Leistung durch eine Partei“) des Bürgerlichen Gesetzbuches (im Folgenden: BGB) ist bestimmt:

„(1)   Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.

(3)   Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen …“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

24

CTL Logistics ist ein privates Eisenbahnverkehrsunternehmen, das die von dem zugelassenen öffentlichen Unternehmen DB Netz betriebene Eisenbahninfrastruktur nutzt.

25

DB Netz stellt ihren Kunden ihre Eisenbahninfrastruktur auf der Grundlage sogenannter „Infrastrukturnutzungsverträge“ gegen Entgelt zur Verfügung. Der formularmäßig abgefasste Infrastrukturnutzungsvertrag regelt die Grundsätze des Vertragsverhältnisses zwischen den Eisenbahnverkehrsunternehmen und DB Netz und ist Grundlage der Einzelnutzungsverträge über die Trassennutzung. Seine Regelungen werden in den jeweiligen Einzelnutzungsvertrag einbezogen.

26

Nach den Infrastrukturnutzungsverträgen hatte CTL Logistics für die Nutzung des Schienennetzes von DB Netz Trassenpreise zu zahlen, die auf der Grundlage der jeweils gültigen Trassenpreisliste berechnet wurden. Diese auch als „Trassenpreissystem“ (im Folgenden: TPS) bezeichnete Liste erstellt DB Netz ohne Mitwirkung der Eisenbahnverkehrsunternehmen im Voraus für bestimmte Zeiträume.

27

Im Streit stehen zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens bestimmte von DB Netz einseitig im TPS festgesetzte Stornierungs- und Änderungsentgelte, die für den Fall anfielen, dass CTL Logistics eine Änderung oder Stornierung einer zuvor gebuchten Trasse wünschte. Zwischen 2004 und 2011 zahlte CTL Logistics nach den Vorgaben im TPS, fordert die Beträge aber nunmehr zurück.

28

CTL Logistics erhob zu diesem Zweck beim Landgericht Berlin (Deutschland) Klage, ohne zuvor die Regulierungsstelle zu befassen.

29

Nach Ansicht von CTL Logistics wurden die Stornierungs- und Änderungsentgelte von DB Netz unbillig einseitig festgelegt. Nach § 315 BGB sei die Festsetzung dieser Entgelte durch DB Netz unwirksam, und stattdessen sei vom Gericht ein billiges Entgelt festzusetzen. Der über dieses Entgelt hinaus gezahlte Betrag sei ohne Rechtsgrund geleistet worden und zurückzufordern.

30

Das vorlegende Gericht bestätigt, dass nach der Rechtsprechung der deutschen Obergerichte und des Bundesgerichtshofs (Deutschland) in Fällen wie dem vorliegenden die Zivilgerichte das TPS von DB Netz auf Billigkeit hin untersuchen und gegebenenfalls eine eigene, billige Entscheidung treffen können. Nach der Rechtsprechung dieser Gerichte stünden weder das AEG noch die EIBV der Anwendung einer zivilrechtlichen Kontrolle anhand des § 315 BGB entgegen, weil der Bestimmung des Entgelts für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen trotz regulierungsbehördlicher Kontrolle noch ein privatautonomer Gestaltungsspielraum zukomme.

31

Eine Anwendung von § 315 BGB neben dem deutschen Eisenbahnregulierungsrecht sei nach der genannten Rechtsprechung auch aus prozessualen Gründen geboten. Eine Klage nach § 315 BGB führe zwingend zur Überprüfung des von dem Eisenbahninfrastrukturunternehmen festgesetzten Entgelts und gegebenenfalls zu dessen Herabsetzung auf den noch billigem Ermessen entsprechenden Betrag mit Wirkung ex tunc.

32

Dagegen sei eine Billigkeitsprüfung gemäß § 315 BGB neben den Vorgaben der Richtlinie 2001/14 nicht zulässig. Die Anwendung von § 315 BGB entfalte faktisch eine Regulierungsfunktion, die weder mit der Zuweisung an nur eine Regulierungsbehörde (Art. 30 Abs.1 Satz 1 der Richtlinie) vereinbar sei noch die Wegeentgeltbemessungsgrundsätze der Richtlinie hinreichend berücksichtige.

33

Das Landgericht Berlin hat das Verfahren deshalb ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Sind Regelungen des Europarechts, insbesondere Art. 30 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 3, Abs. 5 Unterabs. 1 und Abs. 6 der Richtlinie 2001/14, dahin gehend auszulegen, dass Rückforderungen von Fahrwegnutzungsentgelten, die zwischen einem Infrastrukturbetreiber und einem Antragsteller in einem Rahmenvertrag vereinbart oder bestimmt worden sind, ausgeschlossen sind, soweit diese nicht über die vor der nationalen Regulierungsstelle vorgesehenen Verfahren und die entsprechenden gerichtlichen Verfahren, die diese Entscheidungen der Regulierungsstelle nachgeprüft haben, geltend gemacht werden?

2.

Sind Regelungen des Europarechts, insbesondere Art. 30 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 3, Abs. 5 Unterabs. 1 und Abs. 6 der Richtlinie 2001/14, dahin gehend auszulegen, dass Rückforderungen von Fahrwegnutzungsentgelten, die zwischen einem Infrastrukturbetreiber und einem Antragsteller in einem Rahmenvertrag vereinbart oder bestimmt worden sind, ausgeschlossen sind, wenn nicht zuvor die nationale Regulierungsstelle mit den strittigen Fahrwegnutzungsentgelten befasst worden ist?

3.

Ist eine zivilgerichtliche Überprüfung der Billigkeit von Fahrwegnutzungsentgelten auf Grundlage einer nationalen zivilrechtlichen Norm, die es Gerichten erlaubt, bei einseitiger Leistungsbestimmung durch eine Partei diese auf die Billigkeit der Leistungsbestimmung hin zu kontrollieren und gegebenenfalls durch eigene Entscheidung nach billigem Ermessen zu treffen, mit den Vorgaben des Unionsrechts vereinbar, die den Infrastrukturbetreiber zur Einhaltung genereller Vorgaben für die Entgeltbemessung wie das Kostendeckungsgebot (Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14) oder die Berücksichtigung von Kriterien der Markttragfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14) verpflichten?

4.

Falls die Frage zu 3. bejaht wird: Muss das Zivilgericht bei seiner Ermessensausübung Maßstäbe der Richtlinie 2001/14 zur Fahrwegnutzungsentgeltfestsetzung beachten, wenn ja, welche?

5.

Ist die zivilgerichtliche Prüfung der Billigkeit von Entgelten aufgrund der in 3. genannten nationalen Norm mit dem Europarecht insoweit vereinbar, als die Zivilgerichte in Abweichung von den allgemeinen Entgeltgrundsätzen und ‑höhen des Betreibers der Schienenwege das Entgelt festlegen, obgleich der Betreiber der Schienenwege unionsrechtlich zur diskriminierungsfreien Gleichbehandlung aller Zugangsberechtigten verpflichtet ist (Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2001/14)?

6.

Ist die zivilgerichtliche Billigkeitsüberprüfung von Entgelten eines Infrastrukturbetreibers unter dem Gesichtspunkt mit dem Unionsrecht vereinbar, dass das Unionsrecht von der Zuständigkeit der Regulierungsstelle ausgeht, Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Betreiber der Infrastruktur und den Zugangsberechtigten über die Fahrwegnutzungsentgelte oder über die Höhe oder Struktur der Fahrwegnutzungsentgelte, die der Zugangsberechtigte zu zahlen hat oder hätte, zu entscheiden (Art. 30 Abs. 5 Unterabs. 3 der Richtlinie 2001/14), und die Regulierungsstelle angesichts einer potenziellen Vielzahl von Streitigkeiten vor unterschiedlichen Zivilgerichten die einheitliche Anwendung des Eisenbahnregulierungsrechts nicht mehr gewährleisten könnte (Art. 30 Abs. 3 der Richtlinie 2001/14)?

7.

Ist es mit Unionsrecht, insbesondere Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14, vereinbar, wenn nationale Vorschriften eine ausschließlich einzelkostenbasierte Berechnung sämtlicher Fahrwegnutzungsengelte der Infrastrukturbetreiber verlangen?

Zu den Vorlagefragen

Zu den Fragen 1, 2, 5 und 6

34

Mit den Fragen 1, 2, 5 und 6, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2001/14, insbesondere deren Art. 4 Abs. 5 und deren Art. 30 Abs. 1, 3, 5 und 6, dahin auszulegen sind, dass sie der Anwendung einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach die Wegeentgelte im Eisenbahnverkehr von den ordentlichen Gerichten im Einzelfall auf Billigkeit überprüft und gegebenenfalls unabhängig von der in Art. 30 der Richtlinie vorgesehenen Überwachung durch die Regulierungsstelle abgeändert werden können.

35

Bevor diese Frage beantwortet wird, ist zunächst auf die Ziele der Richtlinie 2001/14 und die darin für den Bereich der Wegeentgelte im Eisenbahnverkehr aufgestellten Grundsätze sowie materiellen und formellen Voraussetzungen einzugehen.

Ziele der Richtlinie 2001/14

36

Zu den mit der Richtlinie 2001/14 verfolgten Zielen gehört es, einen nicht diskriminierenden Zugang zu den Fahrwegen sicherzustellen, wie insbesondere in den Erwägungsgründen 5 und 11 der Richtlinie ausgeführt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Februar 2013, Kommission/Ungarn, C‑473/10, EU:C:2013:113, Rn. 47, und vom 18. April 2013, Kommission/Frankreich, C‑625/10, EU:C:2013:243, Rn. 49).

37

Ein weiteres Ziel der Richtlinie 2001/14 ist die Sicherstellung eines fairen Wettbewerbs. Insoweit heißt es in ihrem 16. Erwägungsgrund, dass Entgelt- und Kapazitätszuweisungsregelungen einen fairen Wettbewerb bei der Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen ermöglichen sollten.

38

Die durch die Richtlinie 2001/14 als Gestaltungsinstrument geschaffene Entgeltregelung dient auch dazu, die Unabhängigkeit des Betreibers der Infrastruktur zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Februar 2013, Kommission/Spanien, C‑483/10, EU:C:2013:114, Rn. 44, und vom 28. Februar 2013, Kommission/Deutschland, C‑556/10, EU:C:2013:116, Rn. 82).

39

Überdies sollten die Entgeltregelungen nach dem 12. Erwägungsgrund der Richtlinie den Betreibern der Eisenbahninfrastruktur zur Sicherstellung einer effizienten Nutzung der Eisenbahninfrastruktur in dem von den Mitgliedstaaten abgesteckten Rahmen einen Anreiz geben, die Nutzung ihrer Fahrwege zu optimieren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2013, Kommission/Deutschland, C‑556/10, EU:C:2013:116, Rn. 82).

40

Zur Erreichung dieses Ziels sollte den Betreibern der Infrastruktur nach dem 20. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/14 eine gewisse Flexibilität eingeräumt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Februar 2013, Kommission/Spanien, C‑483/10, EU:C:2013:114, Rn. 44, und vom 28. Februar 2013, Kommission/Deutschland, C‑556/10, EU:C:2013:116, Rn. 82).

41

Ferner heißt es im 34. Erwägungsgrund der Richtlinie, dass Investitionen in die Eisenbahninfrastruktur wünschenswert sind und dass Entgeltregelungen den Betreibern der Infrastruktur Anreize geben sollten, entsprechende Investitionen zu tätigen, wo diese wirtschaftlich sinnvoll sind. Den Betreibern kann aber kein Anreiz, in die Infrastruktur zu investieren, gegeben werden, wenn sie nicht im Rahmen der Entgeltregelung über einen gewissen Spielraum verfügen (Urteil vom 28. Februar 2013, Kommission/Spanien, C‑483/10, EU:C:2013:114, Rn. 45).

42

Da der Fahrweg ein Monopol darstellt, ist es schließlich erforderlich, den Betreibern der Infrastruktur Anreize zur Kostensenkung und zur effizienten Verwaltung ihrer Fahrwege zu geben (40. Erwägungsgrund der Richtlinie).

43

Eine solche effiziente Verwaltung sowie eine gerechte und nicht diskriminierende Nutzung von Eisenbahnfahrwegen erfordern die Einrichtung einer Regulierungsstelle, die über die Anwendung der einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts wacht und ungeachtet der gerichtlichen Nachprüfbarkeit als Beschwerdestelle fungieren kann (46. Erwägungsgrund der Richtlinie).

In der Richtlinie 2001/14 festgelegte materielle Grundsätze

44

Nach Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/14 tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass die Entgelt- und Kapazitätszuweisungsregelungen für die Fahrwege den in der Richtlinie festgelegten Grundsätzen entsprechen und es dem Betreiber der Infrastruktur so ermöglichen, die verfügbare Fahrwegkapazität zu vermarkten und so effektiv wie möglich zu nutzen.

45

Vorbedingung für die Schaffung eines fairen Wettbewerbs bei der Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen ist dabei die Gleichbehandlung der Eisenbahnunternehmen. Nach Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2001/14 haben die Betreiber der Infrastruktur daher dafür Sorge zu tragen, dass die Anwendung der Entgeltregelung zu gleichwertigen und nicht diskriminierenden Entgelten für unterschiedliche Eisenbahnunternehmen führt, die Dienste gleichwertiger Art in ähnlichen Teilen des Marktes erbringen, und dass die tatsächlich erhobenen Entgelte den in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen vorgesehenen Regeln entsprechen.

46

Mit dieser Bestimmung wird der im elften Erwägungsgrund der Richtlinie genannte Grundsatz umgesetzt, dass bei den Entgelt- und Kapazitätszuweisungsregelungen allen Unternehmen ein gleicher und nicht diskriminierender Zugang geboten und den Bedürfnissen aller Nutzer und Verkehrsarten soweit wie möglich gerecht und in nicht diskriminierender Weise entsprochen werden sollte.

47

Dieser Grundsatz, der sich aus dem elften Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/14 und aus deren Art. 9 Abs. 5 ergibt, wonach auf ähnliche Verkehrsdienste ähnliche Nachlassregelungen anzuwenden sind, stellt mithin das zentrale Kriterium für die Berechnung und Erhebung des Wegeentgelts dar.

48

Um das verfolgte Ziel zu erreichen und Transparenz zu gewährleisten, verpflichtet Art. 3 der Richtlinie 2001/14, der den Inhalt ihres fünften Erwägungsgrundes aufgreift, den Betreiber der Infrastruktur zur Erstellung und Veröffentlichung von Schienennetz-Nutzungsbedingungen, in denen nach Anhang I der Richtlinie 2001/14 u. a. die Entgeltgrundsätze und die Tarife angegeben werden.

49

Ebenfalls im Zusammenhang mit der Berechnung und Erhebung der Wegeentgelte im Eisenbahnverkehr sieht Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/14 vor, dass die Berechnung und Erhebung des Wegeentgelts vom Betreiber der Infrastruktur vorgenommen wird, der dafür Sorge tragen muss, dass einheitliche Grundsätze angewandt werden, wie es u. a. Art. 4 Abs. 4 und 5 der Richtlinie vorsieht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Februar 2013, Kommission/Deutschland, C‑556/10, EU:C:2013:116, Rn. 84, und vom 3. Oktober 2013, Kommission/Italien, C‑369/11, EU:C:2013:636, Rn. 41).

50

Die Betreiber der Infrastruktur, die die Entgelte ohne Diskriminierung berechnen und erheben müssen, müssen also nicht nur die Schienennetz-Nutzungsbedingungen auf alle Fahrwegnutzer gleich anwenden, sondern auch dafür Sorge tragen, dass die tatsächlich erhobenen Entgelte diesen Bedingungen entsprechen.

51

Dieses durch die Richtlinie 2001/14 aufgestellte Diskriminierungsverbot ist das Gegenstück zu dem Spielraum, den die Richtlinie bei der Berechnung und Erhebung der Wegeentgelte im Eisenbahnverkehr einräumt. Neben dem den Mitgliedstaaten eingeräumten Spielraum bei der Umsetzung und Anwendung der Art. 7 ff. der Richtlinie 2001/14 sieht ihr Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 vor, dass die Berechnung des Wegeentgelts vom Betreiber der Infrastruktur vorgenommen wird, dem damit ein gewisser eigener Spielraum eingeräumt wird.

52

Entscheidet sich der Betreiber für die Erhebung von Stornierungsentgelten – wozu er nicht verpflichtet ist –, sollen damit nach Art. 12 der Richtlinie 2001/14 Anreize für die effiziente Nutzung der Fahrwegkapazität geboten werden. Die Entgelte müssen angemessen sein und mit dem in Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie genannten Grundsatz in Einklang stehen.

53

Der Wortlaut des siebten Erwägungsgrundes der Richtlinie 2001/14 geht in dieselbe Richtung. Dort heißt es, dass Anreize zur optimalen Nutzung der Eisenbahnfahrwege zu einer Verringerung der gesamtgesellschaftlich zu tragenden Kosten des Verkehrs beitragen werden.

54

Schließlich heißt es im 35. Erwägungsgrund der Richtlinie, dass jede Entgeltregelung den Nutzern wirtschaftliche Signale gibt und dass diese Signale für Eisenbahnunternehmen widerspruchsfrei sein und die Nutzer zu rationalen Entscheidungen veranlassen sollten. Diese Anreize können die gewünschte Wirkung daher nur dann haben, wenn der Betreiber der Infrastruktur tatsächlich über die Möglichkeit verfügt, sein Geschäftsverhalten den Marktbedingungen anzupassen. Die Richtlinie 2001/14 gesteht dem Betreiber der Infrastruktur also einen gewissen Spielraum zu, damit er die mit ihr verfolgten Ziele verwirklicht. Die Berücksichtigung der Ziele der Richtlinie zeigt sich in der einheitlichen Berechnung und Kontrolle aller Arten von Entgelten, u. a. der Entgelte für Fahrwegkapazität, die beantragt, aber nicht in Anspruch genommen wurde.

In der Richtlinie 2001/14 festgelegte Verfahrensgrundsätze

55

Zur Regulierungsstelle heißt es im 46. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/14, dass die effiziente Verwaltung und die gerechte und nicht diskriminierende Nutzung von Eisenbahnfahrwegen die Einrichtung einer Regulierungsstelle erfordern, die über die Anwendung der Rechtsvorschriften der Union wacht und ungeachtet der gerichtlichen Nachprüfbarkeit als Beschwerdestelle fungieren kann.

56

Demgemäß haben die Mitgliedstaaten eine Regulierungsstelle einzurichten (Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14), die von einem Antragsteller befasst werden kann, der der Auffassung ist, „ungerecht behandelt, diskriminiert oder auf andere Weise in seinen Rechten verletzt worden zu sein“ (Art. 30 Abs. 2 der Richtlinie). Gegenstand der Beschwerde können insbesondere Entscheidungen des Betreibers der Infrastruktur betreffend die Entgeltregelung oder die Höhe oder Struktur der Wegeentgelte sein, die der Antragsteller zu zahlen hat oder hätte (Art. 30 Abs. 2 der Richtlinie). Die Regulierungsstelle hat über Beschwerden zu entscheiden und binnen zwei Monaten Abhilfemaßnahmen zu treffen (Art. 30 Abs. 5 der Richtlinie).

57

Die Regulierungsstelle hat also nicht nur die im Einzelfall anwendbaren Entgelte zu beurteilen. Sie hat ferner dafür Sorge zu tragen, dass die Gesamtheit der Entgelte, d. h. die Entgeltregelung, mit der Richtlinie in Einklang steht.

58

Die zentrale Überwachung durch die Regulierungsstelle, die dafür Sorge trägt, dass die Entgelte nicht diskriminierend sind, entspricht folglich dem Grundsatz, dass die zentrale Festlegung der Entgelte unter Beachtung des Diskriminierungsverbots vom Betreiber vorgenommen wird.

59

Vor diesem Hintergrund sind die Vorschriften über die Wirkungen der Entscheidungen der Regulierungsstelle und über den Umfang der von ihr vorgenommenen Kontrollen zu sehen.

60

So gewährleistet die Regulierungsstelle, dass die vom Betreiber der Infrastruktur festgesetzten Entgelte dem Kapitel II der Richtlinie entsprechen und nicht diskriminierend sind (Art. 30 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2001/14). Verhandlungen zwischen Antragstellern und einem Betreiber der Infrastruktur über die Höhe von Wegeentgelten sind nur zulässig, sofern sie unter Aufsicht der Regulierungsstelle erfolgen, die einzugreifen hat, wenn bei den Verhandlungen ein Verstoß gegen die Bestimmungen der Richtlinie droht (Art. 30 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie).

61

Entscheidungen der Regulierungsstelle sind für alle davon Betroffenen verbindlich (Art. 30 Abs. 5 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/14). Sie wirken also erga omnes.

62

Es ist eine gerichtliche Nachprüfung der Entscheidungen einzurichten (Art. 30 Abs. 6 der Richtlinie 2001/14).

63

Im Licht dieser Grundsätze sind die Fragen 1, 2, 5 und 6 des vorlegenden Gerichts, so wie sie oben in Rn. 34 umformuliert worden sind, zu beantworten.

Bestimmungen des § 315 BGB in ihrer Auslegung durch das vorlegende Gericht

64

Nach den Angaben in der Vorlageentscheidung sieht § 315 BGB, eine Vorschrift des deutschen Zivilrechts, vor, dass das einer Partei – wie dem Betreiber der Infrastruktur – vertraglich oder gesetzlich zustehende Recht, einseitig die geschuldete Vertragsleistung zu bestimmen, im Zweifel nach billigem Ermessen ausgeübt werden müsse. Ob dies geschehen sei, könne von den Zivilgerichten überprüft werden. Stelle das Gericht die Unbilligkeit der Leistungsbestimmung fest, ersetze es sie durch eine billige gerichtliche Entscheidung. Das Ziel von § 315 BGB bestehe somit darin, im Einzelfall eine Leistung zu berichtigen, die im Hinblick auf den Vertragszweck überzogen oder unverhältnismäßig sei.

65

Das vorlegende Gericht stellt ferner fest, dass die Bestimmungen der Infrastrukturnutzungsverträge von DB Netz, die auf das TPS verwiesen, nach der Rechtsprechung der deutschen Zivilgerichte ein vertragliches Leistungsbestimmungsrecht begründeten und die im Rahmen der Regulierung bestehende Verpflichtung zur Erstellung von Preislisten ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht. Die deutschen Zivilgerichte hätten daraus gefolgert, dass sie die Entgelte gemäß § 315 Abs. 3 BGB überprüfen und gegebenenfalls eine eigene, billige Entscheidung treffen könnten.

66

Die deutschen Gerichte legten das deutsche Eisenbahnregulierungsrecht, d. h. das AEG und die EIBV, mit der die Richtlinie 2001/14 umgesetzt worden sei, dahin aus, dass es der Anwendung einer zivilrechtlichen Kontrolle anhand des § 315 BGB nicht entgegenstehe. Eine solche Kontrolle sei nicht ausgeschlossen, weil dem Betreiber der Infrastruktur bei der Bestimmung des Entgelts für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur trotz der Kontrollen der Regulierungsbehörde noch ein Gestaltungsspielraum zukomme.

67

Nach der Rechtsprechung der deutschen Gerichte sei eine Anwendung von § 315 BGB neben dem deutschen Eisenbahnregulierungsrecht auch aus prozessualen Erwägungen gerechtfertigt. Eine Klage nach dieser Bestimmung auf Festsetzung des billigen Entgelts durch das Gericht könne das Eisenbahnverkehrsunternehmen ohne weitere Voraussetzungen erheben. Sie führe zwingend zu einer Überprüfung des vom Betreiber der Infrastruktur festgesetzten Entgelts und gegebenenfalls zu einer Herabsetzung auf den noch billigem Ermessen entsprechenden Betrag mit Wirkung ex tunc. Ob die Entscheidungen der Regulierungsbehörde eine solche Wirkung hätten, sei unklar.

68

Nach der Rechtsprechung der deutschen Gerichte könne § 315 BGB auch dann anwendbar sein, wenn Entgelte nach Art eines allgemeinen Tarifs festgesetzt würden. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Betreiber der Eisenbahninfrastruktur und dem Eisenbahnverkehrsunternehmen sei durch § 14 Abs. 6 AEG nämlich zivilrechtlich ausgestaltet.

Antwort des Gerichtshofs

69

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es sich nach den Angaben in den dem Gerichtshof vorliegenden Akten bei der Billigkeitskontrolle durch die nationalen Zivilgerichte gemäß § 315 Abs. 3 BGB um ein allgemeines Instrument des Zivilrechts, genauer gesagt des Vertragsrechts, ohne konkreten Bezug zu der in der Richtlinie 2001/14 vorgesehenen Kontrolle der von den Betreibern der Infrastruktur vereinnahmten Entgelte handelt. § 315 Abs. 3 BGB zielt mithin auf die Herstellung eines der Billigkeit entsprechenden Verhältnisses im Einzelfall ab.

70

Als Erstes ist festzustellen, dass eine auf den Einzelfall abstellende Billigkeitskontrolle im Widerspruch zu dem in Art. 4 Abs. 5 und im elften Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/14 niedergelegten Diskriminierungsverbot steht (siehe oben, Rn. 45 bis 54).

71

Insoweit ergibt sich aus den Akten, dass die deutschen Zivilgerichte in ihrer Rechtsprechung von dem Grundsatz ausgehen, dass § 315 BGB einen „eigenständigen Anwendungsbereich“ parallel zu dem des Eisenbahnregulierungsrechts habe und dass deshalb zu prüfen sei, ob der Betreiber der Infrastruktur im Rahmen des ihm nach der nationalen Regelung für die Festsetzung der Entgelte zustehenden Spielraums auch die über die Wahrung des diskriminierungsfreien Charakters der Netzzugangsbedingungen hinausgehenden Interessen des klagenden Eisenbahnverkehrsunternehmens angemessen berücksichtigt habe.

72

Hierzu genügt die Feststellung, dass mit dieser Rechtsprechung materielle, die Äquivalenz der Leistungen betreffende Kriterien angewandt werden, die in den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2001/14 nicht vorgesehen sind.

73

Diese im Rahmen der vom Zivilrichter vorgenommenen Billigkeitskontrolle gemäß § 315 BGB angewandten Kriterien gefährden damit die Verwirklichung der Ziele der Richtlinie 2001/14, da in der genannten Rechtsprechung nämlich keine einheitlichen Kriterien anerkannt sind, sondern die Kriterien von Fall zu Fall je nach Vertragszweck und den Interessen der Parteien des Rechtsstreits angewandt werden.

74

Indem bei der Anwendung von § 315 BGB ausschließlich darauf abgestellt wird, dass der individuelle Vertrag wirtschaftlich vernünftig ist, wird verkannt, dass nur dann gewährleistet werden kann, dass die Entgeltpolitik auf alle Eisenbahnunternehmen gleich angewandt wird, wenn die Entgelte anhand einheitlicher Kriterien festgelegt werden.

75

Die Billigkeitskontrolle eines Vertrags gemäß § 315 BGB und die Regulierung im Bereich des Eisenbahnverkehrs gemäß der Richtlinie 2001/14 beruhen auf verschiedenen Erwägungen, die bei der Anwendung auf ein und denselben Vertrag zu widersprüchlichen Ergebnissen führen können.

76

Die Anwendung des Billigkeitsgrundsatzes durch die deutschen Gerichte steht daher im Widerspruch zu den in der Richtlinie 2001/14 festgelegten Grundsätzen, insbesondere zum Grundsatz der Gleichbehandlung der Eisenbahnverkehrsunternehmen.

77

Als Zweites ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14 eine Entgeltrahmenregelung zu schaffen haben. Sie können auch einzelne Entgeltregeln festlegen, haben dabei jedoch die Unabhängigkeit der Geschäftsführung des Betreibers der Infrastruktur zu wahren. Nach dieser Bestimmung ist es Sache des Betreibers der Infrastruktur, das Entgelt für die Nutzung der Infrastruktur zu berechnen und zu erheben (vgl. u. a. Urteile vom 28. Februar 2013, Kommission/Spanien, C‑483/10, EU:C:2013:114, Rn. 39, und vom 3. Oktober 2013, Kommission/Italien, C‑369/11, EU:C:2013:636, Rn. 41).

78

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14 nimmt somit in Bezug auf die Entgeltregelungen eine Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und dem Betreiber der Infrastruktur vor. Es ist nämlich Sache der Mitgliedstaaten, eine Entgeltrahmenregelung zu schaffen, während die Berechnung und Erhebung des Entgelts grundsätzlich vom Betreiber der Infrastruktur vorgenommen wird (Urteile vom 28. Februar 2013, Kommission/Spanien, C‑483/10, EU:C:2013:114, Rn. 41, vom 11. Juli 2013, Kommission/Tschechische Republik, C‑545/10, EU:C:2013:509, Rn. 34, und vom 3. Oktober 2013, Kommission/Italien, C‑369/11, EU:C:2013:636, Rn. 42).

79

Damit das Ziel, die Unabhängigkeit der Geschäftsführung des Betreibers der Infrastruktur zu wahren, gewährleistet wird, muss er in dem von den Mitgliedstaaten definierten Rahmen der Entgelterhebung über einen gewissen Spielraum bei der Berechnung der Höhe der Entgelte verfügen, um hiervon als Geschäftsführungsinstrument Gebrauch machen zu können (Urteile vom 28. Februar 2013, Kommission/Spanien, C‑483/10, EU:C:2013:114, Rn. 44 und 49, und vom 11. Juli 2013, Kommission/Tschechische Republik, C‑545/10, EU:C:2013:509, Rn. 35).

80

So geht aus dem zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/14 hervor, dass die Entgelt- und Kapazitätszuweisungsregelungen den Betreibern der Eisenbahninfrastruktur in dem von den Mitgliedstaaten abgesteckten Rahmen einen Anreiz geben sollen, die Nutzung ihrer Fahrwege zu optimieren (Urteil vom 28. Februar 2013, Kommission/Spanien, C‑483/10, EU:C:2013:114, Rn. 44).

81

Die Betreiber der Infrastruktur können zwar die Höhe der Entgelte grundsätzlich anhand eines für alle Eisenbahnunternehmen geltenden Entgeltsystems berechnen, doch kann ihnen die aus einem solchen System resultierende Optimierung nicht gelingen, wenn sie jederzeit damit rechnen müssen, dass ein Zivilgericht nach § 315 BGB das für ein einzelnes Eisenbahnunternehmen, das Partei des Verfahrens ist, geltende Entgelt nach billigem Ermessen bestimmt. Die Festlegung des Entgelts durch das Gericht würde nämlich den Spielraum des Betreibers der Infrastruktur in einem nicht mit den Zielen der Richtlinie 2001/14 vereinbaren Maß einengen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Oktober 2013, Kommission/Italien, C‑369/11, EU:C:2013:636, Rn. 43).

82

In diesem Kontext ist festzustellen, dass der Betreiber der Infrastruktur, damit ihm ein Anreiz gegeben wird, die Nutzung seiner Fahrwege zu optimieren, im Einklang mit Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie in der Lage sein muss, auf der Grundlage der langfristigen Kosten spezifischer Investitionsvorhaben höhere Entgelte festzulegen oder beizubehalten (Urteil vom 28. Februar 2013, Kommission/Deutschland, C‑556/10, EU:C:2013:116, Rn. 83).

83

Im Ergebnis sind somit eine Billigkeitskontrolle der Entgelte und gegebenenfalls eine Entscheidung nach billigem Ermessen gemäß § 315 Abs. 3 BGB nicht mit den Zielen von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14 vereinbar.

84

Als Drittes ist festzustellen, dass die Anwendung materieller Beurteilungskriterien auf der Grundlage von § 315 BGB entweder mit den insbesondere in den Art. 4, 7 und 8 der Richtlinie 2001/14 vorgesehenen Beurteilungskriterien unvereinbar wäre oder, falls die Anforderungen von § 315 BGB denen der Richtlinie entsprechen sollten, bedeuten würde, dass die Zivilgerichte unmittelbar die Vorschriften des Eisenbahnregulierungsrechts anwenden und somit in die Zuständigkeiten der Regulierungsstelle eingreifen würden.

85

Der Grundsatz der Festlegung der Wegeentgelte durch den Betreiber der Eisenbahninfrastruktur, der das Diskriminierungsverbot zu beachten hat, wird flankiert durch die Überwachung seitens der Regulierungsstelle, die ihrerseits dafür Sorge tragen muss, dass der nicht diskriminierende Charakter der Entgelte beachtet wird.

86

Wenden die mit Rechtsstreitigkeiten im Bereich der Wegeentgelte befassten nationalen Zivilgerichte bei der Beurteilung der Berechnungsmodalitäten und der Höhe der Entgelte im Rahmen der Billigkeitskontrolle gemäß § 315 BGB die Vorschriften der Bereichsregelung (AEG und EIBV) an, werden die Vorschriften des Eisenbahnregulierungsrechts gemäß der Richtlinie 2001/14 somit nicht nur von der zuständigen Regulierungsstelle beurteilt und dann ex post von den mit Rechtsbehelfen gegen deren Entscheidungen befassten Gerichten überprüft, sondern auch durch jedes zuständige nationale Zivilgericht, das angerufen wird, angewandt und präzisiert. Dies verstößt gegen die der Regulierungsstelle durch Art. 30 der Richtlinie 2001/14 zuerkannte ausschließliche Zuständigkeit.

87

Die Uniformität der Kontrolle durch die zuständige Regulierungsstelle – gegebenenfalls unter dem Vorbehalt späterer Überprüfung durch die Gerichte, hier die Verwaltungsgerichte, die über Rechtsbehelfe gegen die Entscheidungen der Regulierungsstelle zu befinden haben, wie Art. 30 der Richtlinie 2001/14 ebenfalls vorsieht – würde infolgedessen durch verschiedene, unter Umständen nicht durch eine höchstrichterliche Rechtsprechung harmonisierte Entscheidungen unabhängiger Zivilgerichte unterlaufen, so dass in offenkundigem Widerspruch zu dem mit Art. 30 der Richtlinie 2001/14 verfolgten Ziel zwei unkoordinierte Rechtswege nebeneinander bestünden.

88

Als Viertes hebt das vorlegende Gericht zu Recht die praktisch unüberwindbare Schwierigkeit hervor, die verschiedenen Einzelfallentscheidungen der Zivilgerichte rasch in ein nicht diskriminierendes System zu integrieren, mag sich die Regulierungsstelle auch bemühen, auf diese Entscheidungen zu reagieren.

89

Erstens würde sich daraus zumindest bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung eine Ungleichbehandlung ergeben, je nachdem, ob das Eisenbahnunternehmen ein Zivilgericht angerufen hat oder nicht, und je nach dem Inhalt der gerichtlichen Entscheidung. Dies verstieße offenkundig gegen das in Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2001/14 niedergelegte Diskriminierungsverbot.

90

Zweitens ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass eine Billigkeitskontrolle gemäß § 315 BGB bedeuten würde, dass nach einer Entscheidung eines Zivilgerichts, mit der ein Entgelt auf Antrag eines einzelnen Unternehmens geändert worden ist, das Entgelt zur Vermeidung einer etwaigen Ungleichbehandlung der Eisenbahnunternehmen vom Betreiber der Infrastruktur oder der Regulierungsstelle mit Wirkung für alle anderen Eisenbahnunternehmen angepasst werden müsste.

91

Aus den Vorschriften der Richtlinie 2001/14 über die Regulierungsstelle ergibt sich aber keine solche Verpflichtung.

92

Außerdem beruht das Vorbringen, durch eine solche Vorgehensweise werde eine nicht diskriminierende Behandlung der Eisenbahnunternehmen gewährleistet, auf der Annahme, dass sich die Regulierungsstelle darauf zu beschränken habe, auf Einzelfallentscheidungen zu reagieren, die von den Zivilgerichten bereits gemäß § 315 BGB getroffen wurden. Eine solche Annahme steht aber in klarem Gegensatz zu der Aufgabe, die der Regulierungsstelle durch Art. 30 Abs. 2 und 5 der Richtlinie 2001/14 übertragen wird.

93

Schließlich würde diese Annahme die Unabhängigkeit der Betreiber der Eisenbahninfrastruktur beeinträchtigen. Sie wären gezwungen, sich als Reaktion auf eine Entscheidung eines Zivilgerichts mit pauschalen, nach einer Einzelfallprüfung festgesetzten „Billigkeitsentgelten“ auseinanderzusetzen. Dies stünde in Widerspruch zu der ihnen durch die Richtlinie 2001/14 übertragenen Aufgabe.

94

In diesem Zusammenhang ist als Fünftes festzustellen, dass der verbindliche Charakter missachtet würde, den die Entscheidungen der Regulierungsstelle nach Art. 30 Abs. 5 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/14 haben. Nach dieser Bestimmung entfalten die Entscheidungen der Regulierungsstelle – gegebenenfalls nach gerichtlicher Nachprüfung – rechtliche Wirkungen für alle davon Betroffenen des Eisenbahnsektors, sowohl für die Verkehrsunternehmen als auch für die Betreiber der Infrastruktur. Es würde gegen diesen Grundsatz verstoßen, wenn die Wirkungen der Urteile der Zivilgerichte, in denen gegebenenfalls die in den Vorschriften über die Berechnung der Entgelte aufgestellten Kriterien herangezogen werden, auf die Parteien des jeweiligen Rechtsstreits begrenzt wären.

95

Dadurch würde ein Zugangsberechtigter, der gegen den Betreiber der Infrastruktur Klage auf Rückzahlung des für unangemessen erachteten Teils des Entgelts erhebt, gegenüber seinen Wettbewerbern, die keine solche Klage erhoben haben, zwangsläufig begünstigt. Das angerufene Zivilgericht hätte aber, anders als die Regulierungsstelle, nicht die Möglichkeit, den Rechtsstreit auf weitere Infrastrukturnutzungsverträge auszudehnen oder ein Urteil zu erlassen, das für den gesamten betroffenen Sektor gilt.

96

Eine solche Situation würde nicht nur den aus der Regelung über den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur resultierenden Grundsatz in Frage stellen, dass ergangene Entscheidungen für alle davon Betroffenen verbindlich sind, und zwangsläufig eine Ungleichbehandlung der Zugangsberechtigten bewirken – was durch die Richtlinie 2001/14 gerade verhindert werden soll –, sondern auch das Ziel gefährden, einen fairen Wettbewerb im Sektor der Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen zu gewährleisten.

97

Die Erstattung von Entgelten nach den Vorschriften des Zivilrechts kommt also nur in Betracht, wenn die Unvereinbarkeit des Entgelts mit der Regelung über den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur zuvor von der Regulierungsstelle oder von einem Gericht, das die Entscheidung dieser Stelle überprüft hat, im Einklang mit den Vorschriften des nationalen Rechts festgestellt worden ist und der Anspruch auf Erstattung Gegenstand einer Klage vor den nationalen Zivilgerichten sein kann und nicht der in der genannten Regelung vorgesehenen Klage.

98

Als Sechstes ist festzustellen, dass sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt, dass in Zivilverfahren, und somit auch in einem Verfahren auf der Grundlage von § 315 BGB, eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits nicht ausgeschlossen ist. Das Postulat, dass § 315 BGB ein „eigenständiger Anwendungsbereich“ parallel zur Regelung über den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur verbleibt, impliziert aber, dass Verhandlungen über eine gütliche Beilegung ohne Beteiligung der Regulierungsstelle stattfinden können, die nicht Partei eines solchen Verfahrens ist.

99

Ein solcher Ausschluss der Regulierungsstelle lässt sich nicht mit dem Wortlaut und dem Zweck von Art. 30 Abs. 3 Sätze 2 und 3 der Richtlinie 2001/14 vereinbaren. Danach sind Verhandlungen zwischen Antragstellern und einem Betreiber der Infrastruktur über die Höhe von Wegeentgelten nur zulässig, sofern sie unter Aufsicht der Regulierungsstelle erfolgen, und diese hat einzugreifen, wenn bei den Verhandlungen ein Verstoß gegen die Bestimmungen der Richtlinie droht.

100

Als Siebtes ist festzustellen, dass die von den deutschen Gerichten vorgenommene Anwendung von § 315 BGB nicht mit dem Ziel der Richtlinie 2001/14 vereinbar sein dürfte, den Betreibern einen Anreiz zur Optimierung der Nutzung ihrer Fahrwege zu geben, insbesondere durch Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie, wonach der Betreiber der Infrastruktur ein Entgelt für Fahrwegkapazität erheben kann, die beantragt, aber nicht in Anspruch genommen wurde. Die Rechtfertigung der Anwendung von § 315 BGB damit, dass diese Vorschrift „einen eigenständigen Anwendungsbereich“ parallel zum Anwendungsbereich der Regelung über den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur habe, lässt nur den Schluss zu, dass die speziellen mit den Vorschriften dieser Regelung verfolgten Ziele nicht berücksichtigt werden.

101

Nähme man an, die Anwendung von § 315 BGB ermöglichte die Berücksichtigung der speziellen mit der Richtlinie 2001/14 verfolgten Ziele, bestünde offenkundig die Gefahr, dass eine im Einzelfall vorgenommene Ermäßigung der Entgelte zu Unterschieden bei dem erzielten Anreizeffekt führt und Eisenbahnverkehrsunternehmen ermutigt werden, sich durch Zivilklagen Vorteile zu verschaffen, über die andere Unternehmen, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, nicht verfügen.

102

Dadurch könnte auch das Interesse daran beeinträchtigt werden, zu einer optimalen Nutzung der Infrastruktur durch eine geeignete Organisation oder die frühestmögliche Stornierung einer Reservierung von Fahrwegkapazität beizutragen, was dem mit Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14 verfolgten Ziel zuwiderläuft.

103

Aus alledem folgt, dass die Richtlinie 2001/14, insbesondere deren Art. 4 Abs. 5 und deren Art. 30 Abs. 1, 3, 5 und 6, dahin auszulegen sind, dass sie der Anwendung einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach die Wegeentgelte im Eisenbahnverkehr von den ordentlichen Gerichten im Einzelfall auf Billigkeit überprüft und gegebenenfalls unabhängig von der in Art. 30 der Richtlinie vorgesehenen Überwachung durch die Regulierungsstelle abgeändert werden können.

Zu den Fragen 3, 4 und 7

104

Die Fragen 3, 4 und 7 werden nur für den Fall gestellt, dass die Fragen 1, 2, 5 und 6 bejaht werden.

105

Da die Fragen 1, 2, 5 und 6 verneint werden, sind die Fragen 3, 4 und 7 nicht zu beantworten.

Kosten

106

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur in der durch die Richtlinie 2004/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 geänderten Fassung, insbesondere deren Art. 4 Abs. 5 und deren Art. 30 Abs. 1, 3, 5 und 6, sind dahin auszulegen, dass sie der Anwendung einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach die Wegeentgelte im Eisenbahnverkehr von den ordentlichen Gerichten im Einzelfall auf Billigkeit überprüft und gegebenenfalls unabhängig von der in Art. 30 der Richtlinie 2001/14 in der durch die Richtlinie 2004/49 geänderten Fassung vorgesehenen Überwachung durch die Regulierungsstelle abgeändert werden können.

 

Da Cruz Vilaça

Levits

Borg Barthet

Berger

Biltgen

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. November 2017.

Der Kanzler

A. Calot Escobar

Der Präsident der Fünften Kammer

J. L. da Cruz Vilaça


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen

This content does not contain any references.