Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-691/15

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

22. November 2017 ( *1 )

„Rechtsmittel – Umwelt – Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 – Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung bestimmter Stoffe und Gemische – Verordnung (EU) Nr. 944/2013 – Einstufung von Pech, Kohlenteer, Hochtemperatur – Toxizitätskategorien Aquatisch Akut 1 (H400) und Aquatisch Chronisch 1 (H410) – Sorgfaltspflicht – Offensichtlicher Beurteilungsfehler“

In der Rechtssache C‑691/15 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 17. Dezember 2015,

Europäische Kommission, vertreten durch K. Talabér-Ritz und P.‑J. Loewenthal als Bevollmächtigte,

Rechtsmittelführerin,

unterstützt durch:

Königreich Dänemark, vertreten durch C. Thorning und N. Lyshøj als Bevollmächtigte,

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch T. Henze, J. Möller und R. Kanitz als Bevollmächtigte,

Königreich der Niederlande, vertreten durch M. Bulterman, C. S. Schillemans und J. Langer als Bevollmächtigte,

Streithelfer im Rechtsmittelverfahren,

andere Parteien des Verfahrens:

Bilbaína de Alquitranes SA mit Sitz in Luchana-Baracaldo (Spanien),

Deza a.s. mit Sitz in Valašské Meziříčí (Tschechische Republik),

Industrial Química del Nalón SA mit Sitz in Oviedo (Spanien),

Koppers Denmark A/S mit Sitz in Nyborg (Dänemark),

Koppers UK Ltd mit Sitz in Scunthorpe (Vereinigtes Königreich),

Koppers Netherlands BV mit Sitz in Uithoorn (Niederlande),

Rütgers basic aromatics GmbH mit Sitz in Castrop-Rauxel (Deutschland),

Rütgers Belgium NV mit Sitz in Zelzate (Belgien),

Rütgers Poland sp. z o.o. mit Sitz in Kędzierzyn-Koźle (Polen),

Bawtry Carbon International Ltd mit Sitz in Doncaster (Vereinigtes Königreich),

Grupo Ferroatlántica SA mit Sitz in Madrid (Spanien),

SGL Carbon GmbH mit Sitz in Meitingen (Deutschland),

SGL Carbon GmbH mit Sitz in Bad Goisern am Hallstättersee (Österreich),

SGL Carbon mit Sitz in Passy (Frankreich),

SGL Carbon SA mit Sitz in La Coruña (Spanien),

SGL Carbon Polska SA mit Sitz in Racibórz (Polen),

ThyssenKrupp Steel Europe AG mit Sitz in Duisburg (Deutschland),

Tokai erftcarbon GmbH mit Sitz in Grevenbroich (Deutschland),

Prozessbevollmächtigte: K. Van Maldegem, C. Mereu, M. Grunchard, avocats, und P. Sellar, advocate,

Klägerinnen im ersten Rechtszug,

Europäische Chemikalienagentur (ECHA), vertreten durch N. Herbatschek, W. Broere und M. Heikkilä als Bevollmächtigte,

GrafTech Iberica SL mit Sitz in Pamplona (Spanien), Prozessbevollmächtigte: C. Mereu, K. Van Maldegem, M. Grunchard, avocats, und P. Sellar, advocate,

Streithelferinnen im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. G. Fernlund (Berichterstatter) sowie der Richter A. Arabadjiev und E. Regan,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Juni 2017,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. September 2017

folgendes

Urteil

1

Mit ihrem Rechtsmittel begehrt die Europäische Komission die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 7. Oktober 2015, Bilbaína de Alquitranes u. a./Kommission (T‑689/13, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2015:767), mit dem das Gericht die Verordnung (EU) Nr. 944/2013 der Kommission vom 2. Oktober 2013 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen zwecks Anpassung an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt (ABl. 2013, L 261, S. 5, im Folgenden: streitige Verordnung) für nichtig erklärt hat, soweit damit Pitch, coal tar, high-temperature (Pech, Kohlenteer, Hochtemperatur) (EG Nr. 266‑028‑2, im Folgenden: CTPHT) als „Aquatisch Akut 1 (H400)“ und „Aquatisch Chronisch 1 (H410)“ eingestuft wird.

Rechtlicher Rahmen

2

Die Erwägungsgründe 4 bis 8 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (ABl. 2008, L 353, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 286/2011 der Kommission vom 10. März 2011 (ABl. 2011, L 83, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1272/2008) lauten:

„(4)

Der Handel mit Stoffen und Gemischen wird nicht nur auf dem Binnenmarkt, sondern weltweit betrieben. Eine weltweite Harmonisierung von Vorschriften für Einstufung und Kennzeichnung sowie einheitliche Einstufungs- und Kennzeichnungsvorschriften für die Lieferung und Verwendung einerseits und für die Beförderung andererseits dürften daher den Unternehmen zugutekommen.

(5)

Zur Vereinfachung des Welthandels und gleichzeitig zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt wurden über einen Zeitraum von 12 Jahren im Rahmen der Vereinten Nationen (VN) mit großer Sorgfalt harmonisierte Kriterien für Einstufung und Kennzeichnung entwickelt, die zum Global Harmonisierten System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien (Globally Harmonised System of Classification and Labelling of Chemicals) (nachstehend als ‚GHS‘ bezeichnet) geführt haben.

(6)

Diese Verordnung geht auf verschiedene Erklärungen zurück, in denen die Gemeinschaft ihre Absicht bekräftigt hat, zur weltweiten Harmonisierung der Kriterien für die Einstufung und Kennzeichnung beitragen zu wollen, und zwar nicht nur auf Ebene der VN, sondern auch durch die Aufnahme der international vereinbarten GHS-Kriterien in das Gemeinschaftsrecht.

(7)

Je mehr Länder in der ganzen Welt die GHS-Kriterien in ihr Rechtssystem übernehmen, desto größer ist der Nutzen für die Unternehmen. Die Gemeinschaft sollte in diesem Prozess eine Vorreiterrolle spielen, um andere Länder zu ermutigen, sich ihr anzuschließen, und so für die Industrie in der Gemeinschaft einen Wettbewerbsvorteil zu schaffen.

(8)

Daher ist es von wesentlicher Bedeutung, die Bestimmungen und die Kriterien für die Einstufung und Kennzeichnung von Stoffen, Gemischen und bestimmten spezifischen Erzeugnissen innerhalb der Gemeinschaft zu harmonisieren und dabei die Einstufungskriterien und Kennzeichnungsvorschriften des GHS zu berücksichtigen, jedoch auch auf der 40-jährigen Erfahrung aufzubauen, die mit der Durchführung des bestehenden Chemikalienrechts der Gemeinschaft erworben wurde, sowie das Schutzniveau aufrechtzuerhalten, das durch das System zur Harmonisierung von Einstufung und Kennzeichnung, durch die gemeinschaftlichen Gefahrenklassen, die noch nicht Bestandteil des GHS sind, sowie durch die derzeitigen Kennzeichnungs- und Verpackungsvorschriften erreicht wurde.“

3

Anhang I der Verordnung Nr. 1272/2008, der u. a. die Kriterien für die Einstufung in die Gefahrenklassen und deren Differenzierungen enthält, besteht aus fünf Teilen. Abschnitt 4.1.3 („Einstufungskriterien für Gemische“) in Teil 4 dieses Anhangs hat folgenden Wortlaut:

„4.1.3.1.

Das System für die Einstufung von Gemischen umfasst sämtliche Einstufungskategorien, die für Stoffe verwendet werden, also die Kategorien Akut 1 und Chronisch 1 bis 4. Um alle verfügbaren Daten zur Einstufung eines Gemisches aufgrund seiner Gewässergefährdung zu nutzen, gilt gegebenenfalls Folgendes:

Als ‚relevante Bestandteile‘ eines Gemisches gelten jene, die als ‚Akut 1‘ oder ‚Chronisch 1‘ eingestuft sind und in Konzentrationen von mindestens 0,1 % (w/w) vorliegen, und solche, die als ‚Chronisch 2‘, ‚Chronisch 3‘ oder ‚Chronisch 4‘ eingestuft sind und in Konzentrationen von mindestens 1 % (w/w) vorliegen, sofern (wie bei hochtoxischen Bestandteilen der Fall, siehe Abschnitt 4.1.3.5.5.5) kein Anlass zu der Annahme besteht, dass ein in einer niedrigeren Konzentration enthaltener Bestandteil dennoch für die Einstufung des Gemisches aufgrund seiner Gefahren für die aquatische Umwelt relevant ist. Die Konzentration, die normalerweise für als ‚Akut 1‘ oder als ‚Chronisch 1‘ eingestufte Stoffe berücksichtigt wird, ist (0,1/M) %. (Siehe Abschnitt 4.1.3.5.5.5 zur Erläuterung des M‑Faktors.)

4.1.3.2.

Die Einstufung von Gefahren für die aquatische Umwelt ist ein mehrstufiger Prozess und von der Art der Information abhängig, die zu dem Gemisch selbst und seinen Bestandteilen verfügbar ist. Abbildung 4.1.2 zeigt die Schritte des Verfahrens.

Das Stufenkonzept beinhaltet folgende Elemente:

die Einstufung auf der Grundlage von Prüfergebnissen des Gemisches,

die Einstufung auf der Grundlage von Übertragungsgrundsätzen,

die ‚Summierung eingestufter Bestandteile‘ und/oder die Verwendung einer ‚Additivitätsformel‘.“

4

Anhang I Abschnitt 4.1.3.5.5 („Summierungsmethode“) der Verordnung Nr. 1272/2008 bestimmt:

„4.1.3.5.5.1.1.

Im Falle der Einstufungskategorien Chronisch 1 bis Chronisch 3 unterscheiden sich die zugrunde liegenden Toxizitätskriterien von einer Kategorie zur nächsten um den Faktor 10. Stoffe mit einer Einstufung in einen hochtoxischen Bereich tragen somit zur Einstufung eines Gemisches in einen niedrigeren Bereich bei. Bei der Berechnung dieser Einstufungskategorien muss daher der Beitrag aller als Chronisch 1, 2 oder 3 eingestuften Stoffe betrachtet werden.

4.1.3.5.5.1.2.

Enthält ein Gemisch Bestandteile, die als Akut 1 oder Chronisch 1 eingestuft wurden, muss die Tatsache berücksichtigt werden, dass derartige Bestandteile mit einer akuten Toxizität bei unter 1 mg/l und/oder einer chronischen Toxizität bei unter 0,1 mg/l (falls nicht schnell abbaubar) bzw. bei 0,01 mg/l (falls schnell abbaubar) auch in niedriger Konzentration zur Toxizität des Gemisches beitragen. Aktive Bestandteile in Pestiziden weisen häufig solch eine hohe aquatische Toxizität auf, dies gilt jedoch auch für andere Stoffe wie metallorganische Verbindungen. Unter diesen Umständen führt die Anwendung der normalen allgemeinen Konzentrationsgrenzwerte zu einer zu niedrigen Einstufung des Gemisches. Daher sind, wie in Abschnitt 4.1.3.5.5.5 beschrieben, Multiplikationsfaktoren anzuwenden, um hochtoxische Bestandteile entsprechend zu berücksichtigen.“

5

Zu Gemischen mit hochtoxischen Bestandteilen heißt es in Abschnitt 4.1.3.5.5.5.1 des Anhangs I der Verordnung Nr. 1272/2008:

„Als Akut 1 und Chronisch 1 eingestufte Bestandteile mit einer Toxizität bei unter 1 mg/l und/oder einer chronischen Toxizität bei unter 0,1 mg/l (falls nicht schnell abbaubar) bzw. bei unter 0,01 mg/l (falls schnell abbaubar) tragen selbst in geringer Konzentration zur Toxizität des Gemisches bei und erhalten in der Regel bei der Einstufung mit Hilfe der Summierungsmethode ein größeres Gewicht. Enthält ein Gemisch Bestandteile, die als Akut oder Chronisch 1 eingestuft sind, gilt eines der nachstehenden Verfahren:

Das in den Abschnitten 4.1.3.5.5.3 und 4.1.3.5.5.4 beschriebene Stufenkonzept, das eine gewichtete Summe verwendet, die aus der Multiplikation der Konzentrationen der als Akut 1 und Chronisch 1 eingestuften Bestandteile mit einem Faktor resultiert, anstatt lediglich Prozentanteile zu addieren. Dies bedeutet, dass die Konzentration von ‚Akut 1‘ in der linken Spalte von Tabelle 4.1.1 und die Konzentration von ‚Chronisch 1‘ in der linken Spalte der Tabelle 4.1.2 mit dem entsprechenden Multiplikationsfaktor multipliziert werden. …

– …“

Vorgeschichte des Rechtsstreits

6

Aus der in den Rn. 1 bis 8 des angefochtenen Urteils dargestellten Vorgeschichte des Rechtsstreits geht hervor, dass CTPHT der Rückstand aus der Destillation von Hochtemperaturkohlenteer ist. CTPHT gehört zu den Stoffen mit unbekannter oder variabler Zusammensetzung, komplexen Reaktionsprodukten oder biologischen Materialien (im Folgenden: UVCB-Stoffe).

7

Im September 2010 reichte das Königreich der Niederlande bei der Europäischen Chemikalienagentur (im Folgenden: ECHA) ein Dossier ein, in dem es vorschlug, CTPHT als Karzinogen 1A (H350), Erbgutverändernd 1B (H340), Fortpflanzungsgefährdend 1B (H360FD), Aquatisch Akut 1 (H400) und Aquatisch Chronisch 1 (H410) einzustufen.

8

Am 2. Oktober 2013 erließ die Kommission die streitige Verordnung. Nach deren Art. 1 Nr. 2 Buchst. a Ziff. i und Buchst. b Ziff. i in Verbindung mit den Anhängen II und IV wurde CTPHT u. a. als Aquatisch Akut 1 (H400) und Aquatisch Chronisch 1 (H410) eingestuft. Gemäß Art. 3 Abs. 3 der Verordnung gilt diese Einstufung ab dem 1. April 2016.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

9

Die Bilbaína de Alquitranes SA, die Deza a.s., die Industrial Química del Nalón SA, die Koppers Denmark A/S, die Koppers UK Ltd, die Koppers Netherlands BV, die Rütgers basic aromatics GmbH, die Rütgers Belgium NV, die Rütgers Poland sp. z o.o., die Bawtry Carbon International Ltd, die Grupo Ferroatlántica SA, die SGL Carbon GmbH (Deutschland), die SGL Carbon GmbH (Österreich), die SGL Carbon, die SGL Carbon SA, die SGL Carbon Polska S.A., die ThyssenKrupp Steel Europe AG und die Tokai erftcarbon GmbH (im Folgenden: Bilbaína u. a.) erhoben Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Verordnung, die sie auf drei Klagegründe stützten. Mit dem zweiten Klagegrund rügten sie einen offensichtlichen Beurteilungsfehler der Kommission im Hinblick auf den Toxizitätsgrad von CTPHT.

10

In dem angefochtenen Urteil hat das Gericht im Wesentlichen einen solchen Fehler der Kommission bejaht, da diese ihre Verpflichtung, alle relevanten Faktoren und Umstände einzubeziehen, um das Verhältnis, in dem 16 polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoff-Bestandteile in CTPHT vorhanden seien, und deren chemische Wirkungen angemessen zu berücksichtigen, nicht erfüllt habe.

11

Daher hat das Gericht dem zweiten Teil des zweiten Klagegrundes stattgegeben und die streitige Verordnung für nichtig erklärt, soweit darin CTPHT als Aquatisch Akut 1 (H400) und Aquatisch Chronisch 1 (H410) eingestuft wurde.

Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

12

Die Kommission beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen und die Entscheidung über die Kosten des vorliegenden Verfahrens vorzubehalten.

13

Bilbaína u. a. beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen oder die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen und der Kommission die Kosten des Rechtsmittels aufzuerlegen, und zwar auch dann, wenn diesem teilweise stattgegeben werden sollte.

14

Die ECHA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen und die Entscheidung über die Kosten des vorliegenden Verfahrens vorzubehalten.

15

Die dänische Regierung beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen.

16

Die deutsche Regierung beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen und die Entscheidung über die Kosten des vorliegenden Verfahrens vorzubehalten.

17

Die niederländische Regierung beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.

18

Mit Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 7. Juli 2016, Kommission/Bilbaína de Alquitranes u. a. (C‑691/15 P‑R, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:597), ist der am 24. März 2016 von Bilbaína u. a. gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der streitigen Verordnung zurückgewiesen worden.

Zum Rechtsmittel

Zum ersten Rechtsmittelgrund: Begründungsmangel

Vorbringen der Parteien

19

Die Kommission macht geltend, dass die in den Rn. 31 bis 34 des angefochtenen Urteils dargelegten Gründe wegen ihrer Widersprüchlichkeit oder fehlenden Eindeutigkeit mit einem Begründungsmangel behaftet seien. Ihnen sei nicht klar zu entnehmen, ob das Gericht die streitige Verordnung für nichtig erklärt habe, weil die Kommission die Summierungsmethode angewandt habe oder weil sie diese Methode fehlerhaft angewandt habe.

20

In Rn. 34 des angefochtenen Urteils scheine das Gericht der Kommission vorzuwerfen, sich auf die Merkmale der Bestandteile von CTPHT gestützt zu haben statt auf die Merkmale dieses Stoffes als Ganzem, was darauf hindeute, dass der Rückgriff auf die Summierungsmethode falsch gewesen sei. In Rn. 22 des angefochtenen Urteils habe das Gericht hingegen ausgeführt, dass der von Bilbaína u. a. vorgebrachte Klagegrund das Prinzip der Anwendung dieser Methode betreffe. Ferner habe das Gericht in den Rn. 32 und 33 des Urteils festgestellt, die Kommission hätte bei der Anwendung der Summierungsmethode die schwere Wasserlöslichkeit des Stoffes als Ganzem berücksichtigen müssen.

21

Bilaína u. a. treten dem Vorbringen der Kommission entgegen.

Würdigung durch den Gerichtshof

22

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt die Begründungspflicht von dem Gericht, dass es die von ihm angestellten Überlegungen so klar und unmissverständlich mitteilt, dass die Betroffenen die Gründe für die getroffene Entscheidung erkennen können und der Gerichtshof seine gerichtliche Kontrollfunktion wahrnehmen kann (vgl. u. a. Urteil vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, EU:C:2004:6, Rn. 372, und Beschluss vom 1. Juni 2017, Universidad Internacional de la Rioja/EUIPO, C‑50/17 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:415, Rn. 12).

23

In Rn. 30 des angefochtenen Urteils hat das Gericht entschieden, „dass die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen [habe], da sie, indem sie CTPHT auf der Grundlage seiner Bestandteile als Aquatisch Akut 1 (H400) und Aquatisch Chronisch 1 (H410) eingestuft habe, ihre Verpflichtung, alle relevanten Faktoren und Umstände einzubeziehen, um das Verhältnis, in dem die 16 [polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoff]-Bestandteile in CTPHT vorhanden sind, und deren chemische Wirkungen angemessen zu berücksichtigen, nicht erfüllt [habe]“.

24

Aus den Rn. 31 bis 34 dieses Urteils geht hervor, dass das Gericht entschieden hat, weder die Kommission noch die ECHA hätten nachweisen können, „dass die Kommission … die Tatsache berücksichtigt [habe], dass nach Punkt 1.3 des [der Stellungnahme des Ausschusses für Risikobeurteilung der ECHA beigefügten] Hintergrundpapiers mit der Bezeichnung ‚Physikalisch-chemische Eigenschaften‘ die Bestandteile von CTPHT nur beschränkt freigesetzt werden und dass dieser Stoff sehr stabil ist“.

25

Diese Beurteilung stützt sich auf zwei Gesichtspunkte. Der erste Gesichtspunkt, der in Rn. 33 des angefochtenen Urteils dargelegt wird, besteht darin, dass weder aus der Stellungnahme des Ausschusses für Risikobeurteilung (Risk Assessment Committee) der ECHA (im Folgenden: Stellungnahme des RAC) noch aus dem dieser Stellungnahme beigefügten Hintergrundpapier hervorgeht, dass die schwere Wasserlöslichkeit von CTPHT berücksichtigt wurde. Der zweite Gesichtspunkt, der in Rn. 34 des angefochtenen Urteils dargestellt wird, ist die Feststellung, dass die Einstufung von CTPHT auf der Annahme beruhte, dass 16 Bestandteile, die 9,2 % von CTPHT ausmachten, wasserlöslich seien, obwohl sich aus dem der Stellungnahme des RAC beigefügten Hintergrundpapier ergibt, dass die Höchstrate der Wasserlöslichkeit dieses Stoffes 0,0014 % beträgt.

26

Aus der Begründung in den Rn. 31 bis 34 des angefochtenen Urteils geht somit klar und eindeutig hervor, dass das Gericht nicht davon ausgegangen ist, die Kommission habe bei Erlass der streitigen Verordnung zu Unrecht auf die Summierungsmethode zurückgegriffen. Das Gericht hat, als es aus den in den Rn. 31 bis 34 des Urteils dargelegten Gründen entschieden hat, dass die Kommission bei der Anwendung der Summierungsmethode einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe, seine Entscheidung rechtlich hinreichend begründet.

27

Der erste Rechtsmittelgrund ist demnach als unbegründet zurückzuweisen.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen die Verordnung Nr. 1272/2008

28

Der zweite Rechtsmittelgrund besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil des Rechtsmittelgrundes beruht auf der Prämisse, dass das Gericht entschieden habe, die Kommission habe zu Unrecht auf die Summierungsmethode zurückgegriffen. Da diese Annahme, wie in Rn. 26 des vorliegenden Urteils entschieden worden ist, jedoch unzutreffend ist, ist dieser erste Teil vorab zurückzuweisen. Somit ist der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes zu prüfen.

Vorbringen der Parteien

29

Mit dem zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes beanstandet die Kommission die Gründe, aus denen das Gericht in Rn. 31 bis 34 des angefochtenen Urteils entschieden hat, dass sie einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe.

30

Nach Ansicht der Kommission ist es mit der Summierungsmethode, die auf der Analyse der Bestandteile von CTPHT beruhe, unvereinbar, die Löslichkeit dieses Stoffes als Ganzem zu berücksichtigen. Die Annahme, dass die Bestandteile eines Stoffes wasserlöslich seien, sei der Summierungsmethode inhärent. Bei der Anwendung dieser Methode werde daher angenommen, dass die Bestandteile vollständig löslich seien, denn ihre Löslichkeit werde bereits zuvor bei der Beurteilung ihrer Toxizität berücksichtigt. Dass die im vorliegenden Fall berücksichtigten 16 Bestandteile nur 9,2 % von CTPHT ausmachten, sei ohne Belang, da es bei Anwendung dieser Methode weder erforderlich sei, eine große Anzahl von Bestandteilen zu berücksichtigen, noch, dass die berücksichtigten Bestandteile einen großen Anteil des Stoffes ausmachten. Es gehe einzig darum, mit der Summierungsmethode zu überprüfen, ob die in der Verordnung Nr. 1272/2008 festgelegten Schwellenwerte erreicht würden, ohne dass der Kommission hierbei das geringste Ermessen zustehe. Das Gericht habe ihr daher rechtsfehlerhaft vorgeworfen, Bestandteile nicht berücksichtigt zu haben, die nach der Summierungsmethode gemäß Anhang I Abschnitt 4.1.3.5.5 der Verordnung Nr. 1272/2008 nicht vorgesehen seien.

31

Bilbaína u. a. vertreten die Auffassung, das Gericht habe sich aufgrund der schweren Wasserlöslichkeit von CTPHT zu Recht die Frage gestellt, ob die Summierungsmethode zum richtigen Ergebnis führe. Die Vorstellung, dass die Kommission in einem Verfahrenskorsett gefangen sei, das ihr untersage, tatsächliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die den von ihr weiterhin verfolgten theoretischen Ansatz entkräfteten, könne zu absurden, ungerechten und wissenschaftlich nicht fundierten Ergebnissen führen.

32

Die dänische und die deutsche Regierung billigen die Methodik der Kommission. Anders als das Gericht in dem angefochtenen Urteil entschieden habe, sei es nach Anhang I Abschnitt 4.1.3.5.5 der Verordnung Nr. 1272/2008 nicht erforderlich, die Löslichkeit des Gemisches als Ganzem zu berücksichtigen.

Würdigung durch den Gerichtshof

33

Mit dem zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes wird die Frage aufgeworfen, ob die Kommission bei Anwendung der Summierungsmethode zur Bestimmung, ob ein UVCB-Stoff akut gewässergefährdend oder chronisch gewässergefährdend ist, verpflichtet ist, ihre Beurteilung unter Ausschluss aller anderen Faktoren nur auf die ausdrücklich in Anhang I Abschnitt 4.1.3.5.5 der Verordnung Nr. 1272/2008 genannten Faktoren zu beschränken, oder ob sie vielmehr aufgrund ihrer Sorgfaltspflicht sorgfältig und unparteiisch andere Faktoren zu prüfen hat, die zwar in den betreffenden Bestimmungen nicht ausdrücklich genannt werden, aber dennoch relevant sind.

34

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass, wie das Gericht im Wesentlichen in Rn. 23 des angefochtenen Urteils entschieden hat, der Kommission, damit sie die Einstufung eines Stoffes nach der Verordnung Nr. 1272/2008 vornehmen kann, unter Berücksichtigung der von ihr durchzuführenden wissenschaftlichen und technischen Beurteilungen ein weites Ermessen zuzuerkennen ist (Urteile vom 18. Juli 2007, Industrias Químicas del Vallés/Kommission, C‑326/05 P, EU:C:2007:443, Rn. 75, und vom 21. Juli 2011, Etimine, C‑15/10, EU:C:2011:504, Rn. 60).

35

Die Ausübung dieses Ermessens ist jedoch nicht der gerichtlichen Kontrolle entzogen. Insbesondere dann, wenn sich eine Partei darauf beruft, das zuständige Organ habe einen offensichtlichen Ermessensfehler begangen, hat der Richter der Europäischen Union zu kontrollieren, ob dieses Organ sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls untersucht hat, auf die die betreffende Beurteilung gestützt ist (vgl. u. a. Urteile vom 21. November 1991, Technische Universität München, C‑269/90, EU:C:1991:438, Rn. 14, vom 18. Juli 2007, Industrias Químicas del Vallés/Kommission, C‑326/05 P, EU:C:2007:443, Rn. 77, vom 6. November 2008, Niederlande/Kommission, C‑405/07 P, EU:C:2008:613, Rn. 56, sowie vom 22. Dezember 2010, Gowan Comércio Internacional e Serviços, C‑77/09, EU:C:2010:803, Rn. 57). Diese sich aus dem Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung ergebende Sorgfaltspflicht gilt generell für das Handeln der Unionsverwaltung (Urteil vom 4. April 2017, Bürgerbeauftragter/Staelen, C‑337/15 P, EU:C:2017:256, Rn. 34, vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 29. März 2012, Kommission/Estland, C‑505/09 P, EU:C:2012:179, Rn. 95).

36

Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die Einstufung eines UVCB-Stoffes im Hinblick auf seine Gewässergefährdung nach den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1272/2008 über die Einstufung von Gemischen zu erfolgen hat. In Anhang I Abschnitt 4.1.3.2 dieser Verordnung heißt es:

„Die Einstufung von Gefahren für die aquatische Umwelt ist ein mehrstufiger Prozess und von der Art der Information abhängig, die zu dem Gemisch selbst und seinen Bestandteilen verfügbar ist. …

Das Stufenkonzept beinhaltet folgende Elemente:

die Einstufung auf der Grundlage von Prüfergebnissen des Gemisches,

die Einstufung auf der Grundlage von Übertragungsgrundsätzen,

die ‚Summierung eingestufter Bestandteile‘ und/oder die Verwendung einer ‚Additivitätsformel‘.“

37

Dieser Abschnitt legt eine absteigende Rangordnung zwischen diesen drei Methoden fest. Lassen – wie im vorliegenden Fall – die verfügbaren Angaben keinen Rückgriff auf die ersten beiden Methoden zu, ist die Einstufung eines UVCB-Stoffes anhand der Summierungsmethode nach den in Anhang I Abschnitt 4.1.3.5.5 der Verordnung Nr. 1272/2008 definierten Modalitäten vorzunehmen.

38

Für die Toxizitätskategorien Akut 1 und Chronisch 1 besteht diese Methode im Wesentlichen in der Summierung der Konzentrationen der in diese Kategorien eingestuften Bestandteile, die mit einem Faktor M multipliziert werden. Die Größe des Faktors M steigt umgekehrt proportional zur Toxizität des betreffenden Stoffes an. Damit soll der Umstand widergespiegelt werden, dass die Stoffe dieser Gefahrenklassen nach Anhang I Abschnitt 4.1.3.5.5.5.1 der Verordnung Nr. 1272/2008 „selbst in geringer Konzentration zur Toxizität des Gemisches [beitragen] und … in der Regel bei der … Summierungsmethode ein größeres Gewicht [erhalten]“. Ist die um den Faktor M gewichtete Summe dieser Bestandteile größer oder gleich 25 %, wird der betreffende Stoff als Akut 1 oder als Chronisch 1 eingestuft.

39

Zwar sieht Anhang I Abschnitt 4.1.3.5.5 der Verordnung Nr. 1272/2008 keinen Rückgriff auf andere Kriterien als die in dieser Bestimmung ausdrücklich genannten vor. Es gibt aber auch keine Bestimmung, die es ausdrücklich verböte, andere Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die für die Einstufung eines UVCB-Stoffes relevant sein können.

40

Zudem ist dieser Abschnitt 4.1.3.5.5 in seinem Zusammenhang zu sehen.

41

Nach Anhang I Abschnitt 4.1.3.1 der Verordnung Nr. 1272/2008 „[gilt], [u]m alle verfügbaren Daten zur Einstufung eines Gemisches aufgrund seiner Gewässergefährdung zu nutzen, … gegebenenfalls“ der in Rn. 38 des vorliegenden Urteils kurz beschriebene Ansatz für die Einstufung von Gemischen. Wie der Generalanwalt in Nr. 73 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, spricht die Verwendung der Wörter „gegebenenfalls“ („where appropriate“ in der englischen Sprachfassung dieses Abschnitts) und „alle verfügbaren Daten“ gegen eine Auslegung, nach der die Berücksichtigung anderer Informationen als der im Rahmen der Summierungsmethode ausdrücklich herangezogenen unter allen Umständen ausgeschlossen sein müsse.

42

Zudem geht aus den Erwägungsgründen 4 bis 8 der Verordnung Nr. 1272/2008 hervor, dass der Unionsgesetzgeber die Absicht hatte, „zur weltweiten Harmonisierung der Kriterien für die Einstufung und Kennzeichnung beitragen zu wollen, und zwar nicht nur auf Ebene der VN, sondern auch durch die Aufnahme der international vereinbarten GHS-Kriterien in das Gemeinschaftsrecht“. Hierzu sind fast alle Bestimmungen des GHS in Anhang I der Verordnung exakt wiedergegeben worden.

43

Wie der Generalanwalt in Nr. 79 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ergibt sich aus dem GHS, insbesondere aus Anhang 9 („Leitlinien über Gefahren für die aquatische Umwelt“), schon dem Wortlaut nach, dass der für die Ermittlung der Einstufung der Gewässergefährdung von Stoffen angegebene methodische Ansatz insbesondere deswegen schwierig ist, weil „der Begriff des Stoffes ein breites Spektrum von Chemikalien umfasst, von denen viele nur mit großen Schwierigkeiten anhand eines auf starren Kriterien beruhenden Systems eingestuft werden können“. So wird in diesem Dokument auf die „sogar für Experten komplexen Auslegungsprobleme“ hingewiesen, die die Einstufung insbesondere „komplexer oder Mehr-Komponenten-Stoffe“ aufwirft, deren „Bioabbaubarkeit, Bioakkumulation, Verteilungskoeffizient und Wasserlöslichkeit jeweils Auslegungsprobleme darstellen, da sich jeder Bestandteil des Gemischs möglicherweise anders verhält“.

44

Die Verfasser dieses Dokuments wollten somit die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass die methodischen Kriterien des GHS für die Einstufung der Gewässergefährdung bei bestimmten Stoffen, die sich u. a. durch ihre Komplexität, Stabilität oder schwere Wasserlöslichkeit auszeichnen, an Grenzen stoßen.

45

Der Unionsgesetzgeber hat die Bestimmungen des GHS in Anhang I der Verordnung Nr. 1272/2008 übernommen, ohne die Absicht erkennen zu lassen, von diesem Ansatz abzuweichen. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Unionsgesetzgeber mit der Übernahme des GHS in die Verordnung Nr. 1272/2008 diese methodischen Grenzen ignoriert hat.

46

Die strenge und automatische Anwendung der Summierungsmethode unter allen Umständen kann dazu führen, die Toxizität eines UVCB-Stoffes mit wenigen bekannten Bestandteilen für die aquatische Umwelt unterzubewerten. Ein solches Ergebnis kann nicht als mit dem Zweck der Verordnung Nr. 1272/2008, nämlich dem Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit, vereinbar angesehen werden.

47

Daher ist die Kommission, wenn sie zur Ermittlung, ob ein UVCB-Stoff unter die Kategorien Aquatisch Akut 1 und Aquatisch Chronisch 1 fällt, die Summierungsmethode anwendet, nicht verpflichtet, ihre Beurteilung unter Ausschluss aller anderen Faktoren allein auf die in Anhang I Abschnitt 4.1.3.5.5 der Verordnung Nr. 1272/2008 ausdrücklich genannten Faktoren zu beschränken. Aufgrund ihrer Sorgfaltspflicht hat die Kommission sorgfältig und unparteiisch andere Faktoren zu prüfen, die zwar in den betreffenden Bestimmungen nicht ausdrücklich genannt, aber dennoch relevant sind.

48

Im vorliegenden Fall macht die Kommission, unterstützt von der ECHA sowie der dänischen und der deutschen Regierung geltend, dass die schwere Löslichkeit von CTPHT für die Anwendung der Summierungsmethode ohne Belang sei. Bei dieser Methode werde die Löslichkeit der Bestandteile aus den Gefahrenkategorien „Aquatisch akut 1“ und „Aquatisch chronisch 1“ nämlich mittelbar berücksichtigt.

49

Ob die schwere Löslichkeit von CTPHT als relevant angesehen werden kann und daher bei der Einstufung der von diesem Stoff ausgehenden Gefahren für die aquatische Umwelt berücksichtigt werden muss, ist eine Frage der rechtlichen Einordnung des Sachverhalts, die in die Zuständigkeit des Gerichtshofs im Rahmen seiner Kontrolle im Rechtsmittelverfahren fällt.

50

Die Erwägung in Rn. 28 des angefochtenen Urteils, wonach „für die Entscheidung, ob ein Stoff in die Toxizitätskategorien Akut oder Chronisch fällt, … dieser Stoff und nicht nur seine Bestandteile die Einstufungskriterien erfüllen [muss]“, wird nicht beanstandet.

51

Die Einstufungsmethode in Anhang I Abschnitt 4.1.3.5.5 der Verordnung Nr. 1272/2008 beruht auf der Annahme, dass die berücksichtigten Bestandteile zu 100 % löslich sind. Auf der Grundlage dieser Annahme impliziert die Summierungsmethode, dass es ein Konzentrationsniveau der Bestandteile gibt, unter dem die Schwelle von 25 % nicht erreicht werden kann, und besteht daher darin, die Konzentrationen der Bestandteile der Toxizitätskategorien Akut oder Chronisch zu summieren, wobei jede entsprechend ihres Toxizitätsprofils um den Faktor M gewichtet wird.

52

Dieser Methode ist jedoch immanent, dass sie in Konstellationen an Zuverlässigkeit verliert, in denen die gewichtete Summe der Bestandteile das den Schwellenwert von 25 % entsprechende Konzentrationsniveau in einem Verhältnis übersteigt, das niedriger ist als das Verhältnis zwischen dem festgestellten Löslichkeitsgrad des betreffenden Stoffes als Ganzem und dem hypothetischen Löslichkeitsgrad von 100 %. In solchen Konstellationen kann die Summierungsmethode nämlich in bestimmten Fällen zu einem Ergebnis führen, das, je nachdem, ob der hypothetische Löslichkeitsgrad der Bestandteile oder der Löslichkeitsgrad des Stoffes als Ganzem berücksichtigt wird, über oder unter dem regulatorischen Schwellenwert von 25 % liegt.

53

Aus Tabelle 7.6.2 in Anhang I des der Stellungnahme des RAC beigefügten Berichts geht unstreitig hervor, dass die Summierungsmethode zu einem Ergebnis von 14521 % führt und dass dieses Ergebnis 581‑mal höher ist als das Minimalniveau, das für die Erreichung des Schwellenwerts von 25 % nach Gewichtung mit den M‑Faktoren erforderlich ist. Ebenfalls unbestritten ist, dass zudem nach Punkt 1.3 („Physikalisch-chemische Eigenschaften“) dieses Dokuments die Höchstrate der Wasserlöslichkeit von CTPHT 0,0014 % beträgt, also eine rund 71000‑mal niedrigere Rate als die hypothetische Löslichkeitsrate von 100 %, die für die berücksichtigten Bestandteile verwendet wird.

54

Daher hat das Gericht in Rn. 34 des angefochtenen Urteils, ohne den Sachverhalt zu verfälschen oder rechtlich falsch einzuordnen, entschieden, dass die Kommission, indem sie „davon ausging, dass alle diese [Bestandteile] wasserlöslich seien, … somit die in Rede stehende Einstufung im Wesentlichen auf die Annahme [stützte], dass 9,2 % des CTPHT wasserlöslich sind. Wie sich jedoch aus Punkt 1.3 des [der Stellungnahme des RAC beigefügten] Hintergrundpapiers ergibt, ist dieser Wert nicht realistisch, da die Höchstrate 0,0014 % beträgt“.

55

Da das Gericht in Rn. 32 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, dass „[w]eder die Kommission noch die ECHA … nachweisen konnten, dass die Kommission … die Tatsache berücksichtigt hat, dass nach Punkt 1.3 des [der Stellungnahme des RAC beigefügten] Hintergrundpapiers mit der Bezeichnung ‚Physikalisch-chemische Eigenschaften‘ die Bestandteile von CTPHT nur beschränkt freigesetzt werden und dass dieser Stoff sehr stabil ist“, hat es in Rn. 30 dieses Urteils rechtsfehlerfrei entschieden, dass „die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat, da sie, indem sie CTPHT auf der Grundlage seiner Bestandteile als Aquatisch Akut 1 (H400) und Aquatisch Chronisch 1 (H410) eingestuft hatte, ihre Verpflichtung, alle relevanten Faktoren und Umstände einzubeziehen, um das Verhältnis, in dem die 16 … Bestandteile in CTPHT vorhanden sind, und deren chemische Wirkungen angemessen zu berücksichtigen, nicht erfüllt hat“.

56

Der zweite Rechtsmittelgrund ist somit als unbegründet zurückzuweisen.

Zum dritten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen die Grenzen der gerichtlichen Kontrolle und Verfälschung von Beweismitteln

57

Die Kommission trägt vor, die streitige Verordnung auf der Grundlage eines breiten Spektrums wissenschaftlicher Gesichtspunkte erlassen zu haben. Dabei handele es sich um sehr komplexe Gesichtspunkte, die die Anwendung der Summierungsmethode rechtfertigten. Das Gericht habe in Rn. 34 des angefochtenen Urteils von dieser breiten Palette wissenschaftlicher und technischer Aspekte nur den Satz, dass 9,2 % von CTPHT wasserlöslich seien, berücksichtigt, um die Beurteilung der Kommission zu entkräften. Dieser Gesichtspunkt sei der Summierungsmethode jedoch immanent. Indem das Gericht in der genannten Rn. 34 entschieden habe, dass die Höchstrate der Löslichkeit von CTPHT als Ganzem 0,0014 % betrage, habe es die Beurteilung der Kommission durch seine eigene ersetzt. Damit habe das Gericht auch die Beweismittel verfälscht, auf deren Grundlage die streitige Verordnung erlassen worden sei.

58

Dieser dritte Rechtsmittelgrund beruht jedoch auf einem fehlerhaften Verständnis des angefochtenen Urteils. Das Gericht hat in Rn. 34 des angefochtenen Urteils nicht die von den Unionsbehörden vorgenommene Beurteilung der wissenschaftlichen und technischen Tatsachen durch seine eigene ersetzt. Gemäß der oben in Rn. 35 angeführten ständigen Rechtsprechung zum Umfang der gerichtlichen Kontrolle hat sich die Beurteilung des Gerichts, die auf die Angaben in dem der Stellungnahme des RAC beigefügten Hintergrundpapier gestützt war, ausschließlich die verfahrensrechtliche Frage bezogen, die darin bestand, zu ermitteln, ob die Kommission bei der Einstufung von CTPHT ihrer Verpflichtung zur Berücksichtigung aller relevanten Faktoren und Umstände nachgekommen ist.

59

Daher ist der dritte Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

60

Nach alledem ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

Kosten

61

Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entscheidet dieser über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach Art. 184 Abs. 1 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

62

Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

63

Gemäß Art. 184 Abs. 4 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof einer erstinstanzlichen Streithilfepartei, die am Rechtsmittelverfahren teilnimmt, ihre eigenen Kosten auferlegen.

64

Da die Bilbaína u. a. beantragt haben, der Kommission die Kosten aufzuerlegen, und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, trägt die Kommission ihre eigenen Kosten und diejenigen von Bilbaína u. a. einschließlich der Kosten des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes, in dem der Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 7. Juli 2016, Kommission/Bilbaína de Alquitranes u. a. (C‑691/15 P‑R, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:597), ergangen ist.

65

Das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich der Niederlande tragen als Streithelfer im Rechtsmittelverfahren ihre eigenen Kosten.

66

Die ECHA trägt als Streithelferin im ersten Rechtszug ihre eigenen Kosten.

67

Die GrafTech Iberica SL trägt als Streithelferin im ersten Rechtszug, die am mündlichen Verfahren teilgenommen und nicht beantragt hat, der Kommission die Kosten aufzuerlegen, ihre eigenen Kosten.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

 

2.

Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten und die Kosten der Bilbaína Alquitranes SA, der Deza a.s., der Industrial Química del Nalón SA, der Koppers Denmark A/S, der Koppers UK Ltd, der Koppers Netherlands BV, der Rütgers basic aromatics GmbH, der Rütgers Belgium NV, der Rütgers Poland sp. z o.o., der Bawtry Carbon International Ltd, der Grupo Ferroatlántica SA, der SGL Carbon GmbH (Deutschland), der SGL Carbon GmbH (Österreich), der SGL Carbon, der SGL Carbon SA, der SGL Carbon Polska S.A., der ThyssenKrupp Steel Europe AG und der Tokai erftcarbon GmbH einschließlich der Kosten des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes, in dem der Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 7. Juli 2016, Kommission/Bilbaína de Alquitranes u. a. (C‑691/15 P‑R, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:597), ergangen ist.

 

3.

Das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich der Niederlande tragen ihre eigenen Kosten.

 

4.

Die GrafTech Iberica SL und die Europäische Chemikalienagentur tragen ihre eigenen Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

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Referenzen

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