Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-636/16

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

7. Dezember 2017 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen – Richtlinie 2003/109/EG – Art. 12 – Erlass einer Ausweisungsverfügung gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten – Zu berücksichtigende Gesichtspunkte – Nationale Regelung – Fehlende Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte – Vereinbarkeit“

In der Rechtssache C‑636/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de lo Contencioso-Administrativo n.o 1 de Pamplona (Verwaltungsgericht Nr. 1 Pamplona, Spanien) mit Entscheidung vom 2. Dezember 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Dezember 2016, in dem Verfahren

Wilber López Pastuzano

gegen

Delegación del Gobierno en Navarra

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. Malenovský sowie der Richter M. Safjan und M. Vilaras (Berichterstatter),

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von Wilber López Pastuzano, vertreten durch E. Santos Huamán und J. L. Rodríguez Candela, abogados,

der spanischen Regierung, vertreten durch J. García-Valdecasas Dorrego als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und S. Pardo Quintillán als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Wilber López Pastuzano und der Delegación del Gobierno en Navarra (Vertretung der Regierung in Navarra, Spanien) wegen deren Entscheidung vom 29. Juni 2015, mit der die Ausweisung von Herrn López Pastuzano aus dem spanischen Hoheitsgebiet angeordnet wurde (im Folgenden: Entscheidung vom 29. Juni 2015).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Der 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/109 lautet:

„Langfristig Aufenthaltsberechtigte sollten verstärkten Ausweisungsschutz genießen. Dieser Schutz orientiert sich an den Kriterien, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Rechtsprechung entwickelt hat. Um den Ausweisungsschutz sicherzustellen, sollten die Mitgliedstaaten wirksamen Rechtsschutz vorsehen.“

4

Art. 12 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2003/109 bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten können nur dann gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung verfügen, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt.

(2)   Die Verfügung nach Absatz 1 darf nicht auf wirtschaftlichen Überlegungen beruhen.

(3)   Bevor sie gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung verfügen, berücksichtigen die Mitgliedstaaten Folgendes:

a)

Dauer des Aufenthalts in ihrem Hoheitsgebiet,

b)

Alter der betreffenden Person,

c)

Folgen für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen,

d)

Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat.

…“

Spanisches Recht

5

Die Ley Orgánica 4/2000 sobre derechos y libertades de los extranjeros en España y su integración social (Organgesetz 4/2000 über die Rechte und Freiheiten von Ausländern in Spanien und deren gesellschaftliche Integration) vom 11. Januar 2000 (BOE Nr. 10 vom 12. Januar 2000) in ihrer für den Ausgangsrechtsstreit maßgebenden Fassung (im Folgenden: Organgesetz 4/2000) regelt in Titel III „ausländerrechtliche Zuwiderhandlungen und ihre Ahndung“.

6

In diesem Titel III bestimmt Art. 57:

„1.   Wird die Zuwiderhandlung von einem Ausländer begangen und erfüllt sie den Tatbestand eines sehr schweren oder schweren Verstoßes im Sinne von Art. 53 Abs. 1 Buchst. a, b, c, d oder f dieser Ley Orgánica, so kann unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit anstelle der Sanktion der Geldbuße nach Abschluss des entsprechenden Verwaltungsverfahrens und mit begründeter und die Tatumstände des Verstoßes bewertender Entscheidung die Ausweisung aus dem spanischen Hoheitsgebiet angeordnet werden.

2.   Ebenso kann ein Ausländer nach Durchführung des entsprechenden Verfahrens ausgewiesen werden, wenn er innerhalb oder außerhalb Spaniens wegen einer vorsätzlichen Handlung verurteilt worden ist, die in Spanien eine Straftat darstellt, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr geahndet wird, sofern die Straftaten im Vorstrafenregister nicht gelöscht worden sind.

3.   Die Sanktionen der Ausweisung und der Geldbuße dürfen nicht zusammen verhängt werden.

4.   Die Ausweisung bewirkt in jedem Fall das Erlöschen jeglicher Aufenthaltsberechtigung in Spanien und die Einstellung jeglichen Verfahrens, das die Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis des ausgewiesenen Ausländers in Spanien betrifft. Jedoch kann die Ausweisung in Fällen, die durch Verordnung festgelegt werden, widerrufen werden.

5.   Die Sanktion der Ausweisung darf, außer im Fall einer Zuwiderhandlung gemäß Art. 54 Abs. 1 Buchst. a oder der Wiederholung einer mit Ausweisung bedrohten gleichartigen Zuwiderhandlung binnen eines Jahres, nicht gegen Ausländer angeordnet werden, die unter die folgenden Kategorien fallen:

b)

langfristig Aufenthaltsberechtigte. Bevor gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten die Ausweisung verfügt wird, sind die Dauer seines Aufenthalts in Spanien und die entstandenen Bindungen, sein Alter, die Folgen für ihn und seine Familienangehörigen sowie die Bindungen zu dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, zu berücksichtigen.

…“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

7

Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts erhielt Herr López Pastuzano, kolumbianischer Staatsangehöriger, am 13. Oktober 2013 in Spanien eine langfristige Aufenthaltserlaubnis. Am 29. April 2014 wurde er zu zwei Freiheitsstrafen von zwölf bzw. drei Monaten verurteilt. Am 27. Januar 2015 trat er seine Haftstrafe im Centro Penitenciario Pamplona I (Justizvollzugsanstalt Pamplona I, Spanien) an. Daraufhin wurde das Ausweisungsverfahren gegen ihn eingeleitet.

8

Nach dessen Durchführung erließ die Vertretung der Regierung in Navarra die Entscheidung vom 29. Juni 2015, verbunden mit dem Verbot der Einreise nach Spanien für die Dauer von fünf Jahren und dem Erlöschen seiner langfristigen Aufenthaltserlaubnis. Die Entscheidung wurde auf den Ausweisungsgrund des Art. 57 Abs. 2 des Organgesetzes 4/2000 gestützt.

9

Am 28. September 2015 erhob Herr López Pastuzano eine Klage gegen diese Entscheidung beim Juzgado de lo Contencioso-Administrativo n.o 1 de Pamplona (Verwaltungsgericht Nr. 1 Pamplona, Spanien).

10

Das vorlegende Gericht führt aus, dass es im spanischen Recht zwei verschiedene Arten der verwaltungsrechtlichen Ausweisung eines Ausländers gebe, nämlich zum einen die in Art. 57 Abs. 1 des Organgesetzes 4/2000 vorgesehene Ausweisung, die als Strafe für bestimmte verwaltungsrechtliche Zuwiderhandlungen verfügt werde, und zum anderen die Ausweisung nach Art. 57 Abs. 2 dieses Gesetzes als Rechtsfolge einer Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr.

11

Mit Art. 57 Abs. 5 des Organgesetzes 4/2000 werde Art. 12 der Richtlinie 2003/109 in das spanische Recht umgesetzt und die Verpflichtung festgelegt, vor dem Erlass einer Verfügung über die Ausweisung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten dessen persönliche Umstände zu berücksichtigen, d. h. die Dauer seines Aufenthalts in Spanien und die Bindungen, die er zu diesem Mitgliedstaat aufgebaut habe, sein Alter, die Folgen für ihn und seine Familienangehörigen sowie die Bindungen zu dem Staat, in den er zurückgeschickt werden solle.

12

Der in Art. 57 Abs. 5 des Organgesetzes 4/2000 verwendete Begriff „Sanktion der Ausweisung“ werde in der Rechtsprechung der Tribunales Superiores de Justicia (Obergerichte, Spanien) vorherrschend dahin ausgelegt, dass er nur die Ausweisungsverfügungen erfasse, die als Strafe für bestimmte verwaltungsrechtliche Zuwiderhandlungen erlassen würden, und nicht die Verfügungen, die gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten ergingen, der zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt worden sei.

13

Im vorliegenden Fall werde in der Entscheidung vom 29. Juni 2015 hervorgehoben, dass die Ausweisung, da Herr López Pastuzano zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt worden sei, keine Strafe für das Begehen einer verwaltungsrechtlichen Zuwiderhandlung darstelle, so dass Art. 57 Abs. 5 des Organgesetzes 4/2000 nicht anwendbar sei.

14

Das vorlegende Gericht ist daher der Auffassung, dass für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu klären sei, wie weit der in Art. 12 der Richtlinie 2003/109 vorgesehene Schutz der langfristig Aufenthaltsberechtigten gegen Ausweisung reiche. Insbesondere sei zu klären, ob der Begriff der Ausweisungsverfügung im Sinne dieser Vorschrift dahin zu verstehen sei, dass er jede behördliche Ausweisungsverfügung unabhängig von ihrer Art und den rechtlichen Modalitäten ihres Erlasses erfasse, und ob diese Vorschrift mit einer Bestimmung wie Art. 57 Abs. 5 des Organgesetzes 4/2000 vereinbar sei, die den Schutz der langfristig Aufenthaltsberechtigten gegen Ausweisung nur bei einer bestimmten Art der behördlichen Ausweisungsverfügung gewähre, nicht aber bei den anderen.

15

Vor diesem Hintergrund hat der Juzgado de lo Contencioso-Administrativo n.o 1 de Pamplona (Verwaltungsgericht Nr. 1 Pamplona) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 12 der Richtlinie 2003/109 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Vorschrift wie der im Ausgangsverfahren fraglichen – und der sie auslegenden Rechtsprechung – entgegensteht, die die Geltung der Voraussetzungen, nach denen sich der Schutz eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen vor Ausweisung richtet, nicht für jede behördliche Ausweisungsverfügung unabhängig von deren rechtlicher Natur oder Ausgestaltung vorsieht, sondern nur für eine bestimmte Art von Ausweisung?

Zur Vorlagefrage

Zur Zulässigkeit

16

In seinen dem Gerichtshof vorgelegten schriftlichen Erklärungen macht die spanische Regierung geltend, dass die vom vorlegenden Gericht angeführte nationale Rechtsprechung nicht die vorherrschende sei und die meisten der Tribunales Superiores de Justicia (Obergerichte) die Auffassung verträten, dass die in Art. 57 Abs. 2 des Organgesetzes 4/2000 vorgesehene Ausweisungsmaßnahme gegenüber Ausländern, die eine langfristige Aufenthaltsberechtigung besäßen, keinesfalls automatisch verhängt werden könne, sondern dass vor ihrem Erlass die in Abs. 5 Buchst. b dieses Artikels genannten Kriterien zu prüfen seien. Aus zwei jüngeren Urteilen des Tribunal Constitucional (Verfassungsgerichtshof, Spanien) ergebe sich, dass der nach der spanischen Verfassung gebotene Schutz der Grundrechte des Betroffenen es erfordere, vor dem Erlass einer Ausweisungsmaßnahme gegenüber einem langfristig aufenthaltsberechtigten Ausländer seine persönliche und familiäre Situation zu berücksichtigen.

17

Die spanische Regierung ist daher der Ansicht, dass die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage in Wirklichkeit die Auslegung des nationalen Rechts und nicht die des Unionsrechts betreffe.

18

Hierzu ist jedoch festzustellen, dass die Vorlagefrage, so wie sie vom vorlegenden Gericht formuliert wurde, nicht die Auslegung des spanischen Rechts, für die der Gerichtshof nicht zuständig ist, sondern die Auslegung des Unionsrechts betrifft, die in seine Zuständigkeit fällt.

19

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof darf die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteile vom 24. Juni 2008, Commune de Mesquer, C‑188/07, EU:C:2008:359, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 21. Mai 2015, Verder LabTec, C‑657/13, EU:C:2015:331, Rn. 29).

20

Im vorliegenden Fall ist den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts zu entnehmen, dass sich die zuständige nationale Behörde beim Erlass der Entscheidung vom 29. Juni 2015 auf eine Auslegung von Art. 57 Abs. 5 des Organgesetzes 4/2000 gestützt hat, nach der diese Bestimmung in einem Fall wie dem von Herrn López Pastuzano nicht anwendbar ist, und zum anderen, dass diese Auslegung zumindest von einem Teil der zuständigen nationalen Gerichte vertreten wird.

21

Unter diesen Umständen ist nicht offensichtlich, dass die erbetene Auslegung des Unionsrechts in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder das Problem hypothetischer Natur ist. Die Vorlagefrage ist daher zulässig.

Zur Vorlagefrage

22

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2003/109 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die – in der Auslegung durch einen Teil der Gerichte dieses Mitgliedstaats – die Geltung der Voraussetzungen, nach denen sich der Schutz eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen vor Ausweisung richtet, nicht für jede behördliche Ausweisungsverfügung unabhängig von deren rechtlicher Natur oder Ausgestaltung vorsieht.

23

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs besteht das vorrangige Ziel der Richtlinie 2003/109 in der Integration von Drittstaatsangehörigen, die in den Mitgliedstaaten langfristig ansässig sind (Urteile vom 26. April 2012, Kommission/Niederlande, C‑508/10, EU:C:2012:243, Rn. 66, und vom 2. September 2015, CGIL und INCA, C‑309/14, EU:C:2015:523, Rn. 21).

24

Im Hinblick darauf hat der Unionsgesetzgeber, wie im 16. Erwägungsgrund ausgeführt, die Meinung vertreten, dass langfristig Aufenthaltsberechtigte verstärkten Ausweisungsschutz genießen sollten.

25

Daher können die Mitgliedstaaten nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 nur dann gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung verfügen, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt.

26

Ferner bestimmt Art. 12 Abs. 3 dieser Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten, bevor sie gegen einen langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen eine Ausweisung verfügen, die Dauer des Aufenthalts in ihrem Hoheitsgebiet, das Alter der betreffenden Person, die Folgen für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen sowie die Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigen. Es ist daher unerheblich, ob eine solche Maßnahme als verwaltungsrechtliche Sanktion ausgesprochen wurde oder Folge einer strafrechtlichen Verurteilung ist.

27

Im Übrigen hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 8. Dezember 2011, Ziebell (C‑371/08, EU:C:2011:809, Rn. 82 und 83), bereits festgestellt, dass der Erlass einer solchen Maßnahme nicht automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung angeordnet werden kann, sondern eine Einzelfallprüfung erfordert, bei der insbesondere die in Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie angeführten Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind.

28

Daher kann gegen einen langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen nicht allein deshalb die Ausweisung verfügt werden, weil er zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt wurde.

29

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 12 der Richtlinie 2003/109 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die – in der Auslegung durch einen Teil der Gerichte dieses Mitgliedstaats – die Geltung der Voraussetzungen, nach denen sich der Schutz eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen vor Ausweisung richtet, nicht für jede behördliche Ausweisungsverfügung unabhängig von deren rechtlicher Natur oder Ausgestaltung vorsieht.

Kosten

30

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die – in der Auslegung durch einen Teil der Gerichte dieses Mitgliedstaats – die Geltung der Voraussetzungen, nach denen sich der Schutz eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen vor Ausweisung richtet, nicht für jede behördliche Ausweisungsverfügung unabhängig von deren rechtlicher Natur oder Ausgestaltung vorsieht.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Spanisch.

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Referenzen

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