Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-267/16

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

23. Januar 2018 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Räumlicher Anwendungsbereich des Unionsrechts – Art. 355 Abs. 3 AEUV – Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und die Anpassungen der Verträge – Art. 29 – Anhang I Teil I Nr. 4 – Ausschluss Gibraltars vom Zollgebiet der Europäischen Union – Umfang – Richtlinie 91/477/EWG – Art. 1 Abs. 4 – Art. 12 Abs. 2 – Anhang II – Europäischer Feuerwaffenpass – Jagdteilnahme und Ausübung von Schießsport – Anwendbarkeit auf das Hoheitsgebiet von Gibraltar – Umsetzungspflicht – Fehlen – Gültigkeit“

In der Rechtssache C‑267/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supreme Court of Gibraltar (Oberster Gerichtshof von Gibraltar) mit Entscheidung vom 6. Mai 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Mai 2016, in dem Verfahren

The Queen, auf Antrag von

Albert Buhagiar u. a.,

gegen

Minister for Justice

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič (Berichterstatter), A. Rosas und C. G. Fernlund, der Richter E. Juhász, A. Borg Barthet, M. Safjan und D. Šváby, der Richterin M. Berger und der Richter E. Jarašiūnas und M. Vilaras,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Mai 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von Herrn Buhagiar u. a., vertreten durch L. Baglietto, QC, und C. Bonfante, Barrister,

des Minister for Justice, vertreten durch M. Llamas, QC, und Y. Sanguinetti, Barrister,

der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch G. Brown und C. Brodie als Bevollmächtigte im Beistand von M. Demetriou, QC, und M. Birdling, Barrister,

des Europäischen Parlaments, vertreten durch P. Schonard, R. van de Westelaken und I. McDowell als Bevollmächtigte,

des Rates der Europäischen Union, vertreten durch S. Petrova, E. Moro und I. Lai als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Manhaeve, K. Mifsud-Bonnici, E. White und G. Braga da Cruz als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. September 2017

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 29 in Verbindung mit Anhang I Teil I Nr. 4 der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und die Anpassungen der Verträge (ABl. 1972, L 73, S. 14, im Folgenden: Beitrittsakte von 1972) sowie die Auslegung und Gültigkeit von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 91/477/EWG des Rates vom 18. Juni 1991 über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (ABl. 1991, L 256, S. 51) in der durch die Richtlinie 2008/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 (ABl. 2008, L 179, S. 5) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 91/477).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Albert Buhagiar und sechs weiteren Klägern (im Folgenden: Herr Buhagiar u. a.) einerseits und dem Minister for Justice (Justizminister, Gibraltar, im Folgenden: Minister) andererseits wegen dessen Ablehnung des Antrags von Herrn Buhagiar u. a. auf Erteilung eines Europäischen Feuerwaffenpasses (im Folgenden: Waffenpass).

Rechtlicher Rahmen

3

Art. 28 der Beitrittsakte von 1972 bestimmt:

„Die Rechtsakte der Organe der [Europäischen Union] betreffend die Erzeugnisse des Anhangs II des EWG-Vertrags und die Erzeugnisse, die bei der Einfuhr in die [Union] infolge der Durchführung der gemeinsamen Agrarpolitik einer Sonderregelung unterliegen, sowie die Rechtsakte betreffend die Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer sind auf Gibraltar nicht anwendbar, sofern der Rat nicht einstimmig auf Vorschlag der Kommission etwas anderes bestimmt.“

4

Nach Art. 29 der Beitrittsakte von 1972 sind „[d]ie in der Liste des Anhangs I aufgeführten Rechtsakte … Gegenstand der in diesem Anhang festgelegten Anpassungen“.

5

Anhang I der Beitrittsakte von 1972, der die in der vorstehenden Randnummer genannte Liste enthält, hat einen Teil I („Zollrecht“). In dessen Nr. 4 geht es um die Änderungen an der Verordnung (EWG) Nr. 1496/68 des Rates vom 27. September 1968 über die Bestimmung des Zollgebiets der [Union] (ABl. 1968, L 238, S. 1). Art. 1 dieser Verordnung erhielt damit folgende Fassung:

„Das Zollgebiet der [Union] umfasst die folgenden Gebiete:

das Gebiet des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland sowie die Kanalinseln und die Insel Man.“

6

Mit Anhang I Teil VIII („Handelspolitik“) der Beitrittsakte von 1972 wurde die Länderliste in Anhang II der Verordnung (EWG) Nr. 1025/70 des Rates vom 25. Mai 1970 zur Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die Einfuhr aus dritten Ländern (ABl. 1970, L 124, S. 6) in der durch die Verordnungen (EWG) Nr. 1984/70 des Rates vom 29. September 1970 (ABl. 1970, L 218, S. 1), (EWG) Nr. 724/71 des Rates vom 30. März 1971 (ABl. 1971, L 80, S. 3), (EWG) Nr. 1080/71 des Rates vom 25. Mai 1971 (ABl. 1971, L 116, S. 8), (EWG) Nr. 1429/71 des Rates vom 2. Juli 1971 (ABl. 1971, L 151, S. 8) und (EWG) Nr. 2384/71 des Rates vom 8. November 1971 (ABl. 1971, L 249, S. 1) geänderten Fassung durch eine neue Liste ersetzt, in der Gibraltar fehlt.

7

Anhang II Teil VI der Beitrittsakte von 1972, der ebenfalls die Überschrift „Handelspolitik“ trägt, bestimmt in Bezug auf die Verordnung Nr. 1025/70:

„Das sich aus der Streichung Gibraltars in Anhang II ergebende Problem ist so zu lösen, dass sich Gibraltar in Bezug auf die Regelung zur Liberalisierung der Einfuhr in die [Union] in der gleichen Lage wie vor dem Beitritt befindet.“

8

Zur im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit galt die Richtlinie 91/477 in der Fassung, wie sie sich aus den Änderungen an ihrem Ausgangstext ergibt, die nach dem Beitritt der Union zum mit der Resolution 55/255 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 8. Juni 2001 angenommenen Protokoll betreffend die Bekämpfung der unerlaubten Herstellung von und des unerlaubten Handels mit Schusswaffen, Teilen von Schusswaffen und Munition zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität durch die Richtlinie 2008/51 vorgenommen wurden. Die Richtlinie 2008/51 wurde auf der Grundlage von Art. 95 Abs. 1 EG erlassen, der im Wesentlichen mit Art. 100a Abs. 1 EWG-Vertrag, auf den die Richtlinie 91/477 gestützt ist, und dem derzeit geltenden Art. 114 Abs. 1 AEUV übereinstimmt.

9

In den Erwägungsgründen 2 bis 7 der Richtlinie 91/477 heißt es:

„Der Europäische Rat hat sich auf seiner Tagung vom 25. und 26. Juni 1984 in Fontainebleau die Aufhebung aller Polizei- und Zollformalitäten an den innergemeinschaftlichen Grenzen ausdrücklich zum Ziel gesetzt.

… Die Kommission hat in ihrem Weißbuch ‚Die Vollendung des Binnenmarktes‘ ausgeführt, dass die Abschaffung der Personenkontrollen und der Sicherheitskontrollen der beförderten Gegenstände unter anderem eine Angleichung des Waffenrechts voraussetzt.

Die Aufhebung der Kontrollen des Waffenbesitzes an den innergemeinschaftlichen Grenzen erfordert eine wirksame Regelung, die innerhalb der Mitgliedstaaten die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Feuerwaffen sowie ihres Verbringens in einen anderen Mitgliedstaat ermöglicht. …

Diese Regelung wird unter den Mitgliedstaaten ein größeres gegenseitiges Vertrauen hinsichtlich der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit schaffen, sofern sie sich auf teilweise harmonisierte Rechtsvorschriften gründet. Hierfür sind Feuerwaffen in Kategorien einzuteilen, bei denen Erwerb und Besitz durch Privatpersonen entweder verboten oder aber erlaubnis- oder meldepflichtig sind.

Es empfiehlt sich, das Mitnehmen von Waffen beim Überschreiten der Grenze zwischen zwei Mitgliedstaaten grundsätzlich zu untersagen; Ausnahmen von diesem Verbot sollen nur dann zulässig sein, wenn es ein Verfahren gibt, aufgrund dessen die Mitgliedstaaten darüber unterrichtet sind, dass eine Feuerwaffe in ihr Gebiet eingeführt wird.

Für Jagd und Sportwettkämpfe erscheinen jedoch weniger strenge Vorschriften angezeigt, damit die Freizügigkeit nicht stärker als nötig behindert wird.“

10

Art. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)   Im Sinne dieser Richtlinie gilt als ‚Feuerwaffe‘ jede tragbare Waffe, die Schrot, eine Kugel oder ein anderes Geschoss mittels Treibladung durch einen Lauf verschießt, die für diesen Zweck gebaut ist oder die für diesen Zweck umgebaut werden kann … Die Einteilung der Feuerwaffen ist in Anhang I Abschnitt II geregelt.

(1d)   Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Nachverfolgung‘ die systematische Verfolgung des Weges von Feuerwaffen, und nach Möglichkeit der dazugehörigen Teile und Munition vom Hersteller bis zum Käufer …

(2)   Im Sinne dieser Richtlinie gilt als ‚Waffenhändler‘ jede natürliche oder juristische Person, deren Beruf oder Gewerbe … darin besteht, dass sie Feuerwaffen, Teile von Feuerwaffen und Munition herstellt, damit Handel treibt, sie tauscht, verleiht, repariert oder umbaut.

(4)   Ein ‚[Waffenpass]‘ wird einer Person auf Antrag von den Behörden eines Mitgliedstaats ausgestellt, wenn sie berechtigter Besitzer einer Feuerwaffe ist. Seine Gültigkeit beträgt höchstens fünf Jahre und kann verlängert werden; der [Waffenpass] enthält die in Anhang II vorgesehenen Angaben. Er ist nicht übertragbar und enthält die Eintragungen der Feuerwaffe(n), die sein Inhaber besitzt bzw. benutzt. Der Besitzer der Feuerwaffe muss den [Waffenpass] stets mit sich führen, wenn er die Waffe bei sich hat; Änderungen des Besitzverhältnisses oder der Merkmale der Waffe sowie deren Verlust oder Entwendung werden im [Waffenpass] vermerkt.“

11

Art. 4 der Richtlinie sieht vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Feuerwaffen oder deren Teile, die in Verkehr gebracht werden, gemäß dieser Richtlinie entweder gekennzeichnet und registriert beziehungsweise unbrauchbar gemacht worden sind.

(4)   Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass … ein computergestütztes … Waffenregister eingeführt und stets auf dem aktuellen Stand gehalten wird, in dem jede unter diese Richtlinie fallende Waffe registriert ist, und das den zuständigen Behörden den Zugang zu den gespeicherten Daten gewährleistet. …

(5)   Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass bei allen Feuerwaffen jederzeit eine Verbindung zu ihren jeweiligen Besitzern hergestellt werden kann. …“

12

Art. 4a der Richtlinie 91/477 lautet:

„Unbeschadet von Artikel 3 erlauben die Mitgliedstaaten den Erwerb und den Besitz von Feuerwaffen ausschließlich Personen, die eine Genehmigung erhalten haben oder denen dies, soweit es sich um Feuerwaffen der Kategorien C oder D handelt, nach Maßgabe der nationalen Rechtsvorschriften ausdrücklich gestattet ist.“

13

Art. 5 der Richtlinie bestimmt:

„Unbeschadet von Artikel 3 gestatten die Mitgliedstaaten den Erwerb und den Besitz von Feuerwaffen nur Personen, die dafür ein Bedürfnis nachweisen können und

a)

mindestens 18 Jahre alt sind, außer im Falle des Erwerbs (nicht des Kaufs) und des Besitzes von Feuerwaffen für die Jagdausübung und für Sportschützen, sofern Personen, die jünger als 18 Jahre sind, eine Erlaubnis der Eltern besitzen …

b)

sich selbst, die öffentliche Ordnung und die öffentliche Sicherheit aller Voraussicht nach nicht gefährden. Die Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Gewaltverbrechens gilt als Anzeichen für eine derartige Gefährdung.

Die Mitgliedstaaten können die Genehmigung für den Besitz von Waffen entziehen, wenn eine der Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung nicht mehr erfüllt ist.

…“

14

Art. 6 der Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um den Erwerb und den Besitz von Feuerwaffen und Munitionsarten der Kategorie A zu verbieten. …

…“

15

In Art. 7 der Richtlinie heißt es:

„(1)   Eine Feuerwaffe der Kategorie B darf im Gebiet eines Mitgliedstaates nicht ohne dessen Genehmigung erworben werden.

(2)   Der Besitz einer Feuerwaffe der Kategorie B ist im Gebiet eines Mitgliedstaates nur mit dessen Genehmigung zulässig. Ist der Besitzer der Waffe in einem anderen Mitgliedstaat ansässig, so ist dieser zu unterrichten.

…“

16

Art. 8 der Richtlinie bestimmt:

„(1)   Der Besitz einer Feuerwaffe der Kategorie C ist nur zulässig, wenn der Besitzer ihn den Behörden des Mitgliedstaates gemeldet hat, in dem sich die Feuerwaffe befindet.

(3)   Falls ein Mitgliedstaat Erwerb und Besitz einer Feuerwaffe der Kategorien B, C oder D in seinem Gebiet untersagt oder von einer Zulassung abhängig macht, so unterrichtet er die übrigen Mitgliedstaaten davon; diese bringen bei der Erteilung eines [Waffenpasses] für eine solche Waffe im Hinblick auf Artikel 12 Absatz 2 einen ausdrücklichen Vermerk an.“

17

Art. 11 der Richtlinie 91/477 sieht vor:

„(1)   Unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 12 dürfen Feuerwaffen nur dann von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat verbracht werden, wenn das Verfahren der nachstehenden Absätze eingehalten wird. Diese Bestimmungen gelten auch im Falle der Verbringung von Feuerwaffen im Versandhandel.

(3)   … [J]eder Mitgliedstaat [kann] Waffenhändlern das Recht einräumen, ohne vorherige Genehmigung im Sinne des Absatzes 2 Feuerwaffen von seinem Gebiet zu einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Waffenhändler zu verbringen. Er stellt zu diesem Zweck eine Genehmigung aus, die eine Gültigkeitsdauer von höchstens drei Jahren hat und jederzeit durch eine mit Gründen versehene Entscheidung ausgesetzt oder aufgehoben werden kann. …

…“

18

Art. 12 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)   Der Besitz einer Feuerwaffe während einer Reise durch zwei oder mehrere Mitgliedstaaten ist nur zulässig, wenn der Betreffende von allen diesen Mitgliedstaaten eine Genehmigung erhalten hat, es sei denn, das Verfahren nach Artikel 11 findet Anwendung.

Die Mitgliedstaaten können diese Genehmigung für eine verlängerbare Höchstdauer von einem Jahr für eine oder mehrere Reisen erteilen. Sie wird in den [Waffenpass] eingetragen, den der Reisende auf Verlangen der Behörden der Mitgliedstaaten vorzeigen muss.

(2)   Abweichend von Absatz 1 können Jäger für Feuerwaffen der Kategorien C und D und Sportschützen für Feuerwaffen der Kategorien B, C und D, die durch zwei oder mehr Mitgliedstaaten reisen, um an einer Jagd teilzunehmen oder ihrem Sport nachzugehen, ohne vorherige Erlaubnis eine oder mehrere Feuerwaffen mitführen, sofern sie den für diese Waffe(n) ausgestellten [Waffenpass] besitzen und den Grund ihrer Reise nachweisen können, z. B. durch Vorlage einer Einladung oder eines sonstigen Nachweises für ihre Jagdteilnahme oder für ihre Ausübung von Schießsport im Zielmitgliedstaat.

Die Mitgliedstaaten dürfen die Anerkennung eines [Waffenpasses] nicht von der Entrichtung einer Gebühr oder Abgabe abhängig machen.

Diese Ausnahmeregelung gilt nicht, wenn das Reiseziel ein Mitgliedstaat ist, der gemäß Artikel 8 Absatz 3 den Erwerb und den Besitz der betreffenden Waffe untersagt oder von einer Zulassung abhängig macht; in diesem Fall ist ein besonderer Vermerk in den [Waffenpass] einzutragen.

…“

19

Anhang I Teil II Abschnitt A der Richtlinie 91/477 enthält ein Verzeichnis von Gegenständen, die in folgende Kategorien eingeteilt werden: „Kategorie A – Verbotene Feuerwaffen“, „Kategorie B – Genehmigungspflichtige Feuerwaffen“, „Kategorie C – Meldepflichtige Feuerwaffen“ und „Kategorie D – Sonstige Feuerwaffen“. Diese Gegenstände gelten damit grundsätzlich als „Feuerwaffen“ im Sinne dieser Richtlinie.

20

Anhang II der Richtlinie 91/477 führt auf, welche Angaben der Waffenpass enthalten muss. Dazu gehört folgender Vermerk:

„‚Dieser Pass erlaubt Reisen mit einer darin genannten Waffe bzw. mehreren Waffen der Kategorien B, C oder D in einen anderen Mitgliedstaat nur, wenn die Behörden dieses Mitgliedstaates dafür die Erlaubnis bzw. jeweils eine Erlaubnis erteilt haben. Die jeweilige Erlaubnis kann in den Pass eingetragen werden.

Eine solche Erlaubnis ist jedoch grundsätzlich nicht erforderlich, wenn eine Reise mit einer Waffe der Kategorie C oder D zur Ausübung der Jagd oder mit einer Waffe der Kategorie B, C oder D zur Teilnahme an einem sportlichen Wettkampf unternommen wird; Voraussetzung ist, dass der Betreffende im Besitz des Waffenpasses ist und den Grund der Reise nachweisen kann.‘

Hat ein Mitgliedstaat den übrigen Mitgliedstaaten gemäß Artikel 8 Absatz 3 [dieser Richtlinie] mitgeteilt, dass der Besitz bestimmter Feuerwaffen der Kategorien B, C oder D untersagt oder genehmigungspflichtig ist, so ist einer der folgenden Vermerke anzubringen:

‚Es ist verboten, mit dieser Waffe … [Identifizierung] nach … [betreffende Mitgliedstaaten] zu reisen.‘

‚Vor einer Reise nach … [betreffende Mitgliedstaaten] mit dieser Waffe [Identifizierung] ist eine Erlaubnis einzuholen.‘“

21

Im ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/51 heißt es:

„Die Richtlinie [91/477] war eine Begleitmaßnahme zur Schaffung des Binnenmarktes. Mit ihr wird einerseits der freie Verkehr für bestimmte Feuerwaffen in der [Union] gewährleistet, aber andererseits dieser freie Verkehr auch durch bestimmte Sicherheitsvorkehrungen speziell für diese Waren wiederum eingeschränkt.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

22

Herr Buhagiar u. a. sind Mitglieder der Sportschützenvereinigung Gibraltar Target Shooting Association. Am 19. Mai 2015 beantragte Herr Buhagiar in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Vereinigung in einem Schreiben an den Minister, jedem der Kläger des Ausgangsverfahrens einen Waffenpass auszustellen.

23

Mit Antwortschreiben vom 2. Juni 2015 teilte der Minister mit, dass die Regierung von Gibraltar beschlossen habe, die Richtlinie 91/477 nicht umzusetzen, da sowohl die Kommission als auch die Regierung des Vereinigten Königreichs die Ansicht verträten, dass die Richtlinie im Hoheitsgebiet von Gibraltar nicht anwendbar sei, da sie den freien Warenverkehr erleichtern solle. Daher könne er die beantragten Waffenpässe nicht ausstellen. Herr Buhagiar u. a. fochten diese ablehnende Entscheidung vor dem Supreme Court of Gibraltar (Oberster Gerichtshof von Gibraltar) an.

24

Nach Auffassung dieses Gerichts findet das Unionsrecht gemäß Art. 355 Abs. 3 AEUV vorbehaltlich der Ausnahmen nach den Art. 28 bis 30 der Beitrittsakte von 1972 im Hoheitsgebiet von Gibraltar uneingeschränkt Anwendung. Nach Art. 29 in Verbindung mit Anhang I Teil I Nr. 4 der Beitrittsakte von 1972 gehöre Gibraltar nicht zum Zollgebiet der Union, und der Gerichtshof habe insoweit bereits klargestellt, dass die Anwendung von Richtlinien, deren Rechtsgrundlage Art. 114 oder Art. 115 AEUV und deren Hauptziel der freie Warenverkehr sei, im Hoheitsgebiet von Gibraltar ausgeschlossen sei.

25

Die Kläger des Ausgangsverfahrens tragen demgegenüber zunächst vor, dass in Anbetracht des Zwecks der in der Beitrittsakte von 1972 vorgesehenen Ausnahmen, die eng auszulegen seien, unionsrechtliche Maßnahmen zum freien Warenverkehr, die der Zielsetzung dieser Ausnahmen nicht zuwiderliefen, im Hoheitsgebiet von Gibraltar anwendbar sein müssten. Dies müsse auch für die Bestimmungen der Richtlinie 91/477 über den Waffenpass gelten, die den Jägern und Sportschützen zugutekommen sollten. Der Waffenpass werde nämlich ausschließlich für Reisen nach und von Mitgliedstaaten ausgestellt, damit diese Personen an Sportveranstaltungen teilnehmen könnten. Die Ausstellung des Waffenpasses habe nichts mit dem Handel mit den Waren zu tun, auf die er sich beziehe, nämlich Feuerwaffen.

26

Die Kläger des Ausgangsverfahrens tragen weiter vor, die Bestimmungen der Richtlinie 91/477 über den Waffenpass dienten der Erleichterung der freien Erbringung und Entgegennahme von Dienstleistungen durch Jäger und Sportschützen zwischen den Mitgliedstaaten. Als solche seien sie im Hoheitsgebiet von Gibraltar anwendbar, was bedeute, dass die zuständigen Behörden verpflichtet seien, sie in einen nationalen Rechtsakt mit Geltung in diesem Gebiet umzusetzen. Die fehlende Umsetzung begründe eine Diskriminierung der in Gibraltar ansässigen Jäger und Sportschützen, die zusätzliche Kosten zu tragen und unter verwaltungsbedingten Verzögerungen zu leiden hätten, wenn sie in der Union mit ihren Feuerwaffen reisten, um an Jagden oder Sportschützenveranstaltungen und ‑wettkämpfen teilzunehmen, was gegen Art. 56 AEUV verstoße. Die in einem solchen Zusammenhang verwendeten Feuerwaffen seien nicht als Waren im Handelsverkehr, sondern als ein für solche Veranstaltungen und Wettkämpfe erforderliches Sportgerät anzusehen.

27

Schließlich machen Herr Buhagiar u. a. geltend, die Bestimmungen der Richtlinie 91/477 über den Waffenpass beträfen die Freizügigkeit, wie dies durch den siebten Erwägungsgrund der Richtlinie bestätigt werde. Die Richtlinie beruhe somit, da sie auf der Grundlage von Art. 100a Abs. 1 des EWG-Vertrags erlassen worden sei, auf einer falschen Rechtsgrundlage. Nach Art. 100a Abs. 2 des EWG‑Vertrags, der im Wesentlichen mit Art. 95 Abs. 2 EG und Art. 114 Abs. 2 AEUV übereinstimme, könnten Rechtsakte der Union, die die Freizügigkeit beträfen, nicht im Gesetzgebungsverfahren nach den jeweiligen Abs. 1 dieser Artikel erlassen werden. Daher seien die Bestimmungen der Richtlinie 91/477 über den Waffenpass bzw. sogar die gesamte Richtlinie ungültig.

28

Unter diesen Umständen hat der Supreme Court of Gibraltar (Oberster Gerichtshof von Gibraltar) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Falls die Bestimmungen der Richtlinie 91/477 über den Waffenpass nur den freien Warenverkehr betreffen, können sie dann trotzdem im Hoheitsgebiet von Gibraltar Anwendung finden, und zwar deshalb, weil sie sich nicht auf ein Warenaustausch- oder Handelsgeschäft beziehen und daher nicht in den Anwendungsbereich der Gibraltar nach der Beitrittsakte von 1972 gewährten Ausnahmen fallen?

2.

Sind die Bestimmungen der Richtlinie 91/477 über den Waffenpass in Bezug auf Jäger und Sportschützen deshalb im Hoheitsgebiet von Gibraltar anwendbar, weil sie den freien Dienstleistungsverkehr betreffen?

3.

Sind die Bestimmungen der Richtlinie 91/477 über den Waffenpass in Bezug auf Jäger und Sportschützen deshalb ungültig, weil sie die Freizügigkeit betreffen und somit auf der falschen Rechtsgrundlage erlassen wurden?

Zu den Vorlagefragen

29

Mit seinen drei Fragen, die zusammen zu prüfen sind, ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Klärung, welche Tragweite der Ausschluss Gibraltars vom Zollgebiet der Union gemäß Art. 29 in Verbindung mit Anhang I Teil I Nr. 4 der Beitrittsakte von 1972 hat und inwieweit die Bestimmungen der Richtlinie 91/477 über den Waffenpass, soweit sie Jäger und Sportschützen betreffen, im Hoheitsgebiet von Gibraltar Anwendung finden.

30

Vorab ist erstens zum Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits, d. h. der Ablehnung des Antrags von Herrn Buhagiar u. a. auf Ausstellung von Waffenpässen, um sich im vereinfachten Verfahren der Verbringung von Feuerwaffen zwischen Mitgliedstaaten durch Jäger und Sportschützen auf diese Pässe berufen zu können, festzustellen, dass es sich bei der Bestimmung der Richtlinie 91/477, die ihrer Meinung nach im Hoheitsgebiet von Gibraltar hätte umgesetzt werden müssen, um diejenige handelt, in der es um die Verwendung des Waffenpasses in einem solchen Zusammenhang geht, nämlich Art. 12 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 4 und Anhang II. Die beiden letztgenannten Bestimmungen definieren den Begriff bzw. den Inhalt des Waffenpasses.

31

Zweitens ist anzumerken, dass das Unionsrecht gemäß Art. 355 Abs. 3 AEUV zwar grundsätzlich im Hoheitsgebiet von Gibraltar gilt, die Anwendbarkeit bestimmter Rechtsakte der Union gemäß der Beitrittsakte von 1972 jedoch mit Rücksicht auf die besondere Rechtslage und insbesondere den Freihafenstatus dieses Gebiets ausgeschlossen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Juli 2005, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑349/03, EU:C:2005:488, Rn. 41, und vom 13. Juni 2017, The Gibraltar Betting and Gaming Association, C‑591/15, EU:C:2017:449, Rn. 29 und 30).

32

Wie der Gerichtshof in Rn. 59 des Urteils vom 23. September 2003, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑30/01, EU:C:2003:489), bereits entschieden hat, bedeutet der in Art. 29 in Verbindung mit Anhang I Teil I Nr. 4 der Beitrittsakte von 1972 vorgesehene Ausschluss Gibraltars vom Zollgebiet der Union, dass auf es weder die Normen des Vertrags über den freien Warenverkehr noch die des abgeleiteten Unionsrechts anwendbar sind, die für den freien Warenverkehr darauf abzielen, gemäß den Art. 94 und 95 des EG-Vertrags (jetzt Art. 114 und 115 AEUV) eine Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten sicherzustellen.

33

Dieser Schlussfolgerung stand nicht entgegen, dass die in jener Rechtssache in Rede stehenden Richtlinien, die in erster Linie die Beschränkungen des Warenaustauschs beseitigen sollten und auf die Art. 94 und 95 des EG-Vertrags gestützt waren, Bestimmungen zum Schutz der Umwelt enthielten, eines Bereichs, in dem die Vorschriften des Unionsrechts grundsätzlich im Hoheitsgebiet von Gibraltar gelten (vgl. hierzu Urteil vom 23. September 2003, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑30/01, EU:C:2003:489, Rn. 61 und 62).

34

Der Gerichtshof hat insoweit ausgeführt, dass die Nichtanwendung solcher Richtlinien im Hoheitsgebiet von Gibraltar zwar die Kohärenz anderer Unionspolitiken gefährden kann, wenn mit diesen Richtlinien auch Ziele dieser anderen Politikbereiche wie der Umweltschutzpolitik, aber als Nebenziele, verfolgt werden. Indessen vermag eine solche Gefahr den räumlichen Anwendungsbereich dieser Richtlinien, mit denen in erster Linie Ziele des freien Warenverkehrs verfolgt werden, nicht über die Grenzen zu erstrecken, die die Verträge und die Beitrittsakte von 1972 ziehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. September 2003, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑30/01, EU:C:2003:489, Rn. 63).

35

Aus diesen Erwägungen ergibt sich zum einen, dass ein Rechtsakt der Union, der gemäß den Art. 114 und 115 AEUV in erster Linie auf die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten im Hinblick auf den freien Warenverkehr abzielt, auch dann nicht im Hoheitsgebiet von Gibraltar anwendbar ist, wenn mit ihm daneben eines oder mehrere Ziele anderer Politikbereiche der Union verfolgt werden.

36

Anders als offenbar Herr Buhagiar u. a. meinen, ist zum anderen, wie der Generalanwalt in den Nrn. 54 und 55 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Prüfung des Hauptziels eines Rechtsakts der Union für die Beantwortung der Frage maßgeblich, ob dieser Rechtsakt in einem Gebiet anwendbar ist, das für einen bestimmten Sachbereich vom räumlichen Geltungsbereich des Unionsrechts ausgeschlossen ist.

37

Die Fragen des vorlegenden Gerichts sind im Licht dieser Erwägungen zu prüfen.

38

Mit seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 29 in Verbindung mit Anhang I Teil I Nr. 4 der Beitrittsakte von 1972 dahin auszulegen ist, dass Art. 12 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 4 und Anhang II der Richtlinie 91/477 im Hoheitsgebiet von Gibraltar entweder deshalb Anwendung findet, weil er der Erleichterung des freien Dienstleistungsverkehrs oder der Freizügigkeit dient, oder deshalb, weil er sich, obwohl er den freien Warenverkehr betrifft, nicht auf ein Warenaustausch- oder Handelsgeschäft mit Feuerwaffen bezieht.

39

Das vorlegende Gericht äußert für den Fall, dass Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 91/477 dahin auszulegen sei, dass mit ihm das Ziel einer Erleichterung der Freizügigkeit verfolgt werde, Zweifel an der Gültigkeit dieser Bestimmung bzw. der Richtlinie 91/477 insgesamt, da für sie dann die falsche Rechtsgrundlage gewählt worden sei, denn die Richtlinie sei auf Art. 100a Abs. 1 des EWG‑Vertrags, den späteren Art. 95 Abs. 1 EG, gestützt worden, auf dessen Grundlage die Richtlinie 2008/51 zur Änderung der Richtlinie 91/477 erlassen worden sei und der später zu Art. 114 Abs. 1 AEUV geworden sei. Nach Art. 100a Abs. 2 des EWG-Vertrags, dann Art. 95 Abs. 2 EG und schließlich Art. 114 Abs. 2 AEUV sei es jedoch nicht zulässig, dass auf der Grundlage von Abs. 1 des jeweiligen Artikels Bestimmungen zur Freizügigkeit erlassen würden.

40

Insoweit ist, wie in Rn. 36 des vorliegenden Urteils ausgeführt, zur Klärung der Frage, ob Art. 12 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 4 und Anhang II der Richtlinie 91/477 auf Gibraltar Anwendung findet, weil er der Erleichterung des freien Dienstleistungsverkehrs oder der Freizügigkeit dient, erstens zu prüfen, welches das Hauptziel dieser Richtlinie ist.

41

Ferner ist zu den Zweifeln des vorlegenden Gerichts hinsichtlich der Wahl der Rechtsgrundlage für die Richtlinie 91/477 darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Wahl der Rechtsgrundlage eines Unionsrechtsakts auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen muss, zu denen das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehören. Ergibt die Prüfung des betreffenden Rechtsakts, dass er zwei Zielsetzungen hat oder zwei Komponenten umfasst, und lässt sich eine von ihnen als die hauptsächliche oder überwiegende ausmachen, während die andere nur nebensächliche Bedeutung hat, so ist der Rechtsakt nur auf eine Rechtsgrundlage zu stützen, und zwar auf die, die die hauptsächliche oder überwiegende Zielsetzung oder Komponente erfordert (Urteil vom 6. Mai 2014, Kommission/Parlament und Rat, C‑43/12, EU:C:2014:298, Rn. 29 und 30 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

42

Daher ist zur sachdienlichen Beantwortung der Fragen des vorlegenden Gerichts die hauptsächliche Zielsetzung der Richtlinie 91/477 zu ermitteln und ihr Inhalt zu prüfen.

43

Hinsichtlich der Zielsetzung der Richtlinie 91/477 ergibt sich aus ihren Erwägungsgründen 2 bis 4, dass sie erlassen wurde, um den Binnenmarkt zu verwirklichen, und dass in diesem Zusammenhang die Abschaffung der Sicherheitskontrollen der beförderten Gegenstände und der Personenkontrollen u. a. eine Rechtsangleichung mittels einer wirksamen Regelung über Feuerwaffen erforderte, die innerhalb der Mitgliedstaaten die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Feuerwaffen sowie ihres Verbringens ermöglichte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. September 2014, Zeman, C‑543/12, EU:C:2014:2143, Rn. 42 und 43). Nach dem fünften Erwägungsgrund der Richtlinie wird eine solche teilweise harmonisierte Regelung unter den Mitgliedstaaten ein größeres gegenseitiges Vertrauen hinsichtlich der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit schaffen.

44

Im sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie heißt es, dass das Mitnehmen von Waffen beim Überschreiten der Grenze zwischen zwei Mitgliedstaaten grundsätzlich untersagt werden sollte; Ausnahmen von diesem Grundsatz sollen nur dann zulässig sein, wenn es ein Verfahren gibt, aufgrund dessen die Mitgliedstaaten darüber unterrichtet sind, dass eine Feuerwaffe in ihr Gebiet eingeführt wird. Nach dem siebten Erwägungsgrund erscheinen für Jagd und Sportwettkämpfe jedoch weniger strenge Vorschriften angezeigt, damit die Freizügigkeit nicht stärker als nötig behindert wird.

45

Zum Inhalt der Richtlinie 91/477 ist festzustellen, dass in Art. 1, der zu Kapitel 1 über den Anwendungsbereich gehört, eine Reihe von in der Richtlinie verwendeten Begriffen wie „Feuerwaffe“, „Waffenhändler“ und „Waffenpass“ definiert wird. Der „Waffenpass“ wird in Art. 1 Abs. 4 im Wesentlichen als ein Dokument definiert, das einer Person, die rechtmäßiger Inhaber oder Benutzer einer Feuerwaffe wird, auf Antrag von den Behörden eines Mitgliedstaats ausgestellt wird. Weiter heißt es dort, dass der Waffenpass ein personengebundenes Dokument ist, in dem die Feuerwaffe(n) eingetragen ist (sind), die sein Inhaber besitzt bzw. benutzt, und vom Benutzer der Feuerwaffe stets mit sich geführt werden muss. In Anhang II der Richtlinie ist sein Inhalt näher festgelegt.

46

Kapitel 2 („Harmonisierung des Feuerwaffenrechts“) der Richtlinie 91/477 enthält Bestimmungen zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Besitz und den Erwerb von Feuerwaffen.

47

In Kapitel 3 („Formalitäten für den Verkehr mit Waffen in der [Union]“) der Richtlinie 91/477 wird die Verbringung von Feuerwaffen von einem Mitgliedstaat in einen anderen grundsätzlich verboten, es sei denn, es wird das Verfahren gemäß Art. 11 der Richtlinie eingehalten. Dieser sieht vor, dass der Mitgliedstaat, in dem sich die Feuerwaffen befinden, nach einer Prüfung der Umstände der beabsichtigten Verbringung unter Sicherheitsgesichtspunkten diese zuvor genehmigen muss. Nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie ist, sofern nicht das Verfahren nach Art. 11 der Richtlinie eingehalten wird, der Besitz einer Feuerwaffe während einer Reise durch zwei oder mehrere Mitgliedstaaten nur zulässig, wenn der Betreffende von allen diesen Mitgliedstaaten eine Genehmigung erhalten hat. Eine solche Genehmigung ist in den Waffenpass einzutragen.

48

Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie bestimmt, dass Jäger und Sportschützen, die durch zwei oder mehrere Mitgliedstaaten reisen, um an einer Jagd teilzunehmen oder ihrem Sport nachzugehen, abweichend von Abs. 1 ohne Zustimmung eine oder mehrere Feuerwaffen der Kategorien C oder D (Jäger) bzw. der Kategorien B, C oder D (Sportschützen) mitführen können, sofern sie den für diese Waffe(n) ausgestellten Waffenpass besitzen und den Grund ihrer Reise nachweisen können.

49

Aus diesen Elementen der Richtlinie 91/477 ergibt sich, dass diese, wie im ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/51 bestätigt wird, als eine „Begleitmaßnahme zur Schaffung des Binnenmarktes“ erlassen wurde, die sowohl ein hohes Maß an Sicherheit für die europäischen Bürger gewährleistet als auch zur Schaffung der Voraussetzungen für die Abschaffung der Kontrollen an den Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten beiträgt, indem ein harmonisierter Mindestrahmen für den Erwerb und den Besitz von Feuerwaffen für den zivilen Gebrauch sowie für deren Verbringung zwischen den Mitgliedstaaten eingeführt wird.

50

Insbesondere ergibt sich aus ihrem Inhalt, dass die Richtlinie 91/477 zum einen der Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Bedingungen dient, unter denen die verschiedenen Kategorien von Feuerwaffen erworben und besessen werden können, und zugleich vorsieht, dass der Erwerb bestimmter Arten von Feuerwaffen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit zu verbieten ist.

51

Zum anderen enthält die Richtlinie Vorschriften zur Harmonisierung der Verwaltungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten in Bezug auf den Verkehr von Feuerwaffen für den zivilen Gebrauch. Dabei gilt – wiederum im Hinblick auf ein hohes Maß an öffentlicher Sicherheit – das Grundprinzip, dass der Verkehr mit Feuerwaffen verboten ist, es sei denn, die dafür vorgesehenen Verfahren der Richtlinie werden eingehalten.

52

Daraus folgt, dass die Richtlinie 91/477 eine Maßnahme darstellt, die im Hinblick auf den freien Verkehr von Waren, hier von Feuerwaffen für den zivilen Gebrauch, eine Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten gewährleisten, dabei aber zugleich diese Freiheit durch an die Art dieser Waren angepasste Sicherheitsgarantien beschränken soll.

53

Diese Feststellung wird nicht durch das Vorbringen der Kläger des Ausgangsverfahrens entkräftet, Art. 12 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 4 und Anhang II der Richtlinie 91/477 diene entweder der Erleichterung der freien Erbringung und Entgegennahme von Dienstleistungen durch Jäger und Sportschützen oder der Erleichterung der Freizügigkeit.

54

Insoweit ist zu beachten, dass sich der freie Verkehr von Feuerwaffen in Anbetracht der Gefahr, die sie für die Sicherheit von Personen darstellen, nur dadurch erreichen ließ, dass enge Voraussetzungen für ihre Verbringung zwischen Mitgliedstaaten festgelegt wurden, zu denen auch der Grundsatz der vorherigen Genehmigung durch die vom Verbringen solcher Waren betroffenen Mitgliedstaaten gehört.

55

Allerdings hat der Unionsgesetzgeber gewollt, dass bestimmte Verbringungen von Feuerwaffen nicht zwangsläufig unter eine solche Genehmigungspflicht fallen, sofern nachgewiesen werden kann, dass sie eine geringere Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Zu diesen Verbringungen gehören die in Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 91/477 genannten, die von bestimmten Waffenhändlern durchgeführt werden. Diese Regelung kommt nur zur Anwendung, wenn zusätzlich zu den strengen Kontrollen der Tätigkeit dieser Waffenhändler gemäß Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie eine Sondergenehmigung erteilt wird. In gleicher Weise erfolgen die Verbringungen nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie durch Jäger und Sportschützen, also durch eine Gruppe von Feuerwaffenbesitzern, bei denen davon ausgegangen wird, dass sie aufgrund ihrer jeweiligen Tätigkeit berechtigte Gründe für die Verbringung von Feuerwaffen haben, die sich insbesondere anhand des Waffenpasses, den sie zwingend mit sich führen müssen, leicht nachprüfen lassen.

56

Der Unionsgesetzgeber hat daher unter Berücksichtigung der Erfordernisse der öffentlichen Sicherheit weniger strenge Bedingungen für die Verbringung von Feuerwaffen vorgesehen, die für die Jagd und Sportwettkämpfe bestimmt sind, da sich der von der Richtlinie 91/477 harmonisierte Rahmen, wie sich aus ihrem siebten Erwägungsgrund ergibt, nachteilig auf die Ausübung der anderen Grundfreiheiten durch Personen auswirken kann, die ihre Feuerwaffen für legitime Zwecke verbringen möchten.

57

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof entschieden, dass mit dem Waffenpass die Freizügigkeit der Jäger und Sportschützen im Besitz ihrer Feuerwaffen von einem Mitgliedstaat in einen anderen ermöglicht werden soll und dass Art. 1 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 91/477 vor allem den Verkehr von Waffen erleichtern soll, die zur Ausübung der Jagd oder von Sport bestimmt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. September 2014, Zeman, C‑543/12, EU:C:2014:2143, Rn. 39, 52 und 57).

58

Folglich kann sich ein vereinfachtes Verfahren für die Verbringung von Feuerwaffen wie das nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 91/477, das den Waffenpass vorsieht, zwar positiv auf den freien Dienstleistungsverkehr und die Freizügigkeit im Bereich der Jagd und des Schießsports auswirken, doch ändert dies nichts daran, dass diese Bestimmung zum Hauptziel der Richtlinie beiträgt, das nicht darin besteht, diese Freiheiten zu erleichtern, sondern darin, einen Rahmen für den Erwerb und den Besitz von Feuerwaffen für den zivilen Gebrauch und den freien Verkehr von Feuerwaffen innerhalb der Union festzulegen.

59

Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass Art. 12 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 4 und Anhang II der Richtlinie 91/477 deshalb auf Gibraltar anwendbar wäre, weil er nicht dazu diene, den freien Warenverkehr zu erleichtern.

60

Ebenso hat die Analyse dieser Richtlinie, die nach der in Rn. 41 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung darin besteht, ihre hauptsächliche Zielsetzung zu bestimmen und ihren Inhalt zu prüfen, in Bezug auf die Entscheidung des Unionsgesetzgebers, die Richtlinie 91/477 auf Art. 100a Abs. 1 des EWG‑Vertrags und die Richtlinie 2008/51 auf Art. 95 Abs. 1 EG zu stützen, nichts ergeben, was die Gültigkeit der Richtlinie 91/477 beeinträchtigen könnte.

61

Was zweitens die Frage anbelangt, ob Art. 12 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 4 und Anhang II der Richtlinie 91/477 auf Gibraltar anwendbar ist, weil er sich, obwohl er den freien Warenverkehr betrifft, nicht auf ein Warenaustausch- oder Handelsgeschäft mit Feuerwaffen bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht zwar von der Prämisse ausgeht, dass der Ausschluss Gibraltars nach Art. 29 in Verbindung mit Anhang I Teil I Nr. 4 der Beitrittsakte von 1972 grundsätzlich bedeutet, dass die Rechtsakte der Union, die in erster Linie eine Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Hinblick auf den freien Warenverkehr gewährleisten sollen, gemäß der Rechtsprechung, die auf das Urteil vom 23. September 2003, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑30/01, EU:C:2003:489), zurückgeht, nicht im Hoheitsgebiet von Gibraltar gelten.

62

Das vorlegende Gericht fragt sich jedoch, wie das Vorbringen der Kläger des Ausgangsverfahrens zu beurteilen ist, wonach der allgemeine Grundsatz einer engen Auslegung von Ausnahmeregelungen dazu führe, dass Bestimmungen wie Art. 12 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 4 und Anhang II der Richtlinie 91/477 in diesem Gebiet anwendbar seien, weil sie nicht den freien Warenverkehr im Zusammenhang mit Handel und Gewerbe beträfen und damit unter eine Kategorie von Maßnahmen über den freien Warenverkehr fielen, die nicht die in Rn. 31 des vorliegenden Urteils angeführten Interessen beeinträchtige, deren Schutz dieser Ausschluss bezwecke.

63

Insoweit ist unstreitig, dass Art. 29 der Beitrittsakte von 1972 eine Ausnahme von der in Art. 355 Abs. 3 AEUV festgelegten Regel bildet, dass das Unionsrecht auf Gibraltar anwendbar ist. Diese Ausnahme ist, wie der Gerichtshof in den Rn. 43 und 51 des Urteils vom 21. Juli 2005, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑349/03, EU:C:2005:488), festgestellt hat, in dem Sinne eng auszulegen, dass ihr Umfang auf das zur Wahrung der Interessen, deren Schutz sie Gibraltar ermöglicht, unbedingt Erforderliche begrenzt wird.

64

Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in der jenem Urteil zugrunde liegenden Rechtssache anders als in der Rechtssache, in der das Urteil vom 23. September 2003, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑30/01, EU:C:2003:489), ergangen ist, nicht dazu aufgerufen war, sich zum Status von Rechtsakten der Union zum freien Warenverkehr im Hinblick auf die genannte Ausnahme zu äußern.

65

Daraus folgt, dass das in Rn. 63 des vorliegenden Urteils angeführte Gebot, Art. 29 der Beitrittsakte von 1972 eng auszulegen, nicht bedeutet, dass es Unionsbestimmungen gäbe, die, obwohl sie zum Hauptziel eines Rechtsakts – der Gewährleistung einer Harmonisierung der Bestimmungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf den freien Warenverkehr – beitragen, im Hoheitsgebiet von Gibraltar Anwendung finden, wie dies die Kläger des Ausgangsverfahrens zu vertreten scheinen.

66

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass sich die Zollunion nach Art. 28 Abs. 1 AEUV, der zu Titel II („Der freie Warenverkehr“) des dritten Teils des AEU-Vertrags gehört, auf den gesamten Warenaustausch erstreckt. Die Zollunion verlangt zwingend die Gewährleistung des freien Warenverkehrs zwischen Mitgliedstaaten und allgemein innerhalb der Zollunion (Urteil vom 23. September 2003, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑30/01, EU:C:2003:489, Rn. 53).

67

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind unter „Waren“ im Sinne dieser Bestimmung Erzeugnisse zu verstehen, die einen Geldwert haben und deshalb als solche Gegenstand von Handelsgeschäften sein können. Die Bestimmungen des AEU-Vertrags über den freien Warenverkehr finden jedoch grundsätzlich unabhängig davon Anwendung, ob die Waren zu Zwecken des Verkaufs oder Weiterverkaufs über Grenzen hinweg befördert werden oder zur persönlichen Verwendung bzw. zum persönlichen Verbrauch (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. März 1989, Schumacher, 215/87, EU:C:1989:111, Rn. 22, sowie vom 3. Dezember 2015, Pfotenhilfe-Ungarn, C‑301/14, EU:C:2015:793, Rn. 47).

68

Da das Sekundärrecht der Union grundsätzlich den gleichen geografischen Geltungsbereich wie die Verträge selbst hat (vgl. entsprechend Urteil vom 15. Dezember 2015, Parlament und Kommission/Rat, C‑132/14 bis C‑136/14, EU:C:2015:813, Rn. 77) und die enge Auslegung des Ausschlusses Gibraltars vom gemeinsamen Zollgebiet der Union, um nicht die einheitliche Anwendung des Unionsrechts und seine volle Wirksamkeit zu beeinträchtigen, nicht die Auslegung zulässt, dass der freie Warenverkehr im Verhältnis zu Gibraltar einen engeren Geltungsbereich hätte als sich aus den Bestimmungen des AEU-Vertrags ergibt, ist davon auszugehen, dass die Bestimmungen der Richtlinie 91/477 über die Verbringung von Feuerwaffen für den zivilen Gebrauch unter den freien Warenverkehr fallen, und zwar unabhängig davon, ob die Verbringung im Zusammenhang mit Handel und Gewerbe z. B. durch Waffenhändler oder im Versandhandel erfolgt oder außerhalb dieses Zusammenhangs durch Privatpersonen, insbesondere Jäger und Sportschützen, um sie im Rahmen ihrer jeweiligen Tätigkeiten zu verwenden.

69

Daraus folgt, dass Art. 12 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 4 und Anhang II der Richtlinie 91/477 keine Anwendung im Hoheitsgebiet von Gibraltar findet, obwohl er sich nicht auf ein Warenaustausch- oder Handelsgeschäft mit Feuerwaffen bezieht.

70

Entgegen dem Vorbringen der Kläger des Ausgangsverfahrens in ihren schriftlichen Erklärungen kann darüber hinaus die Anwendbarkeit der Rechtsakte der Union, die der Harmonisierung der Vorschriften der Mitgliedstaaten zum freien Warenverkehr dienen, im Hoheitsgebiet von Gibraltar nicht davon abhängen, aus welchen Gründen die betreffenden Waren verbracht werden. Wäre dies der Fall, würde dies, wie die Regierung von Gibraltar und die Kommission in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof und der Generalanwalt in Nr. 73 seiner Schlussanträge ausgeführt haben, eine Situation der Rechtsunsicherheit in Bezug auf die Frage schaffen, welche Vorschriften des Unionsrechts zum freien Warenverkehr im Hoheitsgebiet von Gibraltar Anwendung finden. Dies könnte auch zu einer Beeinträchtigung der Interessen führen, die mit der Regelung, die Gibraltar durch die Beitrittsakte von 1972 zugestanden wurde, geschützt werden sollen.

71

Darüber hinaus folgt aus dem Vorstehenden zum einen, dass die Durchführung des Verfahrens nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 91/477 außerhalb des durch diese Richtlinie teilweise harmonisierten Rechtsrahmens zur Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Feuerwaffen nicht in Betracht kommt.

72

Zum anderen würde eine Umsetzung derjenigen Bestimmungen der Richtlinie 91/477 im Hoheitsgebiet von Gibraltar, die erforderlich sind, um die Effizienz und Zuverlässigkeit des Waffenpasses im Zusammenhang mit diesem Verfahren zu gewährleisten und das Ziel eines hohen Maßes an Sicherheit für Personen zu erreichen, bedeuten, dass eine erhebliche Zahl von Bestimmungen der Richtlinie umzusetzen wäre, was den räumlichen Geltungsbereich des Unionsrechts über Gebühr ausdehnen würde.

73

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 29 in Verbindung mit Anhang I Teil I Nr. 4 der Beitrittsakte von 1972 dahin auszulegen ist, dass Art. 12 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 4 und Anhang II der Richtlinie 91/477 im Hoheitsgebiet von Gibraltar keine Anwendung findet. Die Prüfung der Fragen hat nichts ergeben, was die Gültigkeit dieser Richtlinie beeinträchtigen könnte.

Kosten

74

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 29 in Verbindung mit Anhang I Teil I Nr. 4 der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und die Anpassungen der Verträge ist dahin auszulegen, dass Art. 12 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 4 und Anhang II der Richtlinie 91/477/EWG des Rates vom 18. Juni 1991 über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen in der durch die Richtlinie 2008/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 geänderten Fassung im Hoheitsgebiet von Gibraltar keine Anwendung findet.

 

2.

Die Prüfung der vorgelegten Fragen hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Richtlinie 91/477 in der durch die Richtlinie 2008/51 geänderten Fassung beeinträchtigen könnte.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

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