Urteil vom Europäischer Gerichtshof - T-402/15
URTEIL DES GERICHTS (Siebte Kammer)
1. März 2018 ( *1 )
„EFRE – Weigerung, eine finanzielle Beteiligung an einem Großprojekt zu bestätigen – Art. 41 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 – Beurteilung des Beitrags eines Großprojekts zur Verwirklichung der Ziele des operationellen Programms – Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 – Überschreitung der Frist“
In der Rechtssache T‑402/15
Republik Polen, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
Klägerin,
gegen
Europäische Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und M. Siekierzyńska als Bevollmächtigte,
Beklagte,
betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2015) 3228 final der Kommission vom 11. Mai 2015, mit dem diese es ablehnt, gegenüber der Republik Polen die finanzielle Beteiligung aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) an dem Großprojekt „Europäisches gemeinsames Dienstleistungszentrum – Intelligente Logistiksysteme“ im Rahmen der Prioritätsachse Nr. 4 des operationellen Programms „Innovative Wirtschaft“ zu bestätigen,
erlässt
DAS GERICHT (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tomljenović, der Richterin A. Marcoulli (Berichterstatterin) und des Richters A. Kornezov,
Kanzler: E. Coulon,
folgendes
Urteil ( 1 )
[nicht wiedergegeben]
Verfahren und Anträge der Parteien
16 |
Die Republik Polen hat mit Klageschrift, die am 22. Juli 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben. Sie beantragt,
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17 |
Die Kommission hat am 4. November 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eine Klagebeantwortung eingereicht. Die Kommission beantragt,
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18 |
Die Republik Polen hat am 5. Januar 2016 eine Erwiderung eingereicht, und die Kommission hat am 11. März 2016 eine Gegenerwiderung eingereicht. |
19 |
Keine der Parteien hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. |
20 |
Nach Art. 106 Abs. 3 seiner Verfahrensordnung hat das Gericht (Siebte Kammer) beschlossen, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden. |
Rechtliche Würdigung
21 |
Die Republik Polen stützt sich auf vier Klagegründe, mit denen sie Folgendes rügt: erstens zum einen einen Verstoß gegen Art. 41 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 56 Abs. 3 und Art. 60 Buchst. a der Verordnung Nr. 1083/2006 sowie einen Verstoß gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und zum anderen einen Verstoß gegen Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006, zweitens einen Fehler bei der Beurteilung des Ausmaßes der Innovationsdiffusion und des innovativen Charakters des Projekts, drittens einen Fehler bei der Beurteilung des Charakters der durch das Projekt geschaffenen Stellen und viertens einen Fehler bei der Beurteilung des Projekts hinsichtlich des Mehrwerts und des Anreizeffekts. |
22 |
Der erste Klagegrund betrifft die verfahrens- und materiell-rechtlichen Modalitäten der Beurteilung des Projekts, während sich die drei weiteren Klagegründe nacheinander auf die drei Gründe beziehen, aus denen die Kommission der Ansicht war, dass das Projekt nicht zur Verwirklichung der Ziele des operationellen Programms „Innovative Wirtschaft“ im Sinne von Art. 41 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1083/2006 beitrage, nämlich, dass keine Innovationsdiffusion, keine hochqualifizierten Stellen und kein Mehrwert vorlägen (vgl. oben, Rn. 15). [nicht wiedergegeben] |
Zum ersten Klagegrund, mit dem zum einen ein Verstoß gegen Art. 41 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 56 Abs. 3 und Art. 60 Buchst. a der Verordnung Nr. 1083/2006 sowie ein Verstoß gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und zum anderen ein Verstoß gegen Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 gerügt wird
43 |
Die Republik Polen macht geltend, die Kommission habe zwei grundlegende Rechtsverstöße begangen. Zum einen sei die Kommission bei der Beurteilung des Projekts über die Kriterien für die Auswahl hinausgegangen. Zum anderen habe die Kommission die in Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 vorgesehene Frist überschritten. [nicht wiedergegeben] |
Zum zweiten Teil des ersten Klagegrundes, mit dem die Nichteinhaltung der in Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 vorgesehenen Frist gerügt wird
[nicht wiedergegeben]
65 |
In Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 heißt es: ,,Die Kommission trifft ihre Entscheidung über ein Großprojekt so bald wie möglich, jedoch spätestens drei Monate nach dessen Vorlage durch den Mitgliedstaat …, sofern diese Vorlage mit Artikel 40 [der Verordnung Nr. 1083/2006] im Einklang steht. Diese Entscheidung legt den materiellen Gegenstand und die Bemessungsgrundlage, auf die der Kofinanzierungssatz der Prioritätsachse … angewandt wird, sowie den oder die Jahrespläne für die finanzielle Beteiligung des EFRE oder des Kohäsionsfonds fest.“ |
66 |
Art. 41 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1083/2006 lautet: ,,Lehnt die Kommission eine finanzielle Beteiligung aus dem Fonds an dem Großprojekt ab, so teilt sie dem Mitgliedstaat innerhalb der Frist und unter den Voraussetzungen gemäß Absatz 2 [von Art. 41 dieser Verordnung] die Gründe hierfür mit.“ |
67 |
Erstens ist zu bestimmen, ob die in Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 vorgesehene Frist angesichts des Wortlauts und der Struktur dieser Vorschrift Hinweischarakter hat oder eine zwingende Frist ist (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Januar 2005, Merck, Sharp & Dohme, C‑245/03, EU:C:2005:41, Rn. 20). |
68 |
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 keine Angaben enthält, die es zuließen, der in der Verordnung vorgesehenen Frist einen bloßen Hinweischarakter zuzuerkennen. Im Gegenteil, die Verwendung des Verbs „treffen“ im Indikativ („trifft“) zeigt, dass die Kommission zur Einhaltung dieser Frist verpflichtet ist, was u. a. durch die englische Fassung dieser Vorschrift bestätigt wird, die sich mit der Verwendung der Worte „shall adopt“ ausdrücklich auf eine Verpflichtung bezieht. Der Gebrauch der Wendung „so bald wie möglich, jedoch spätestens“ bestätigt nur, dass die Einhaltung dieser Frist für die Kommission keine Möglichkeit, sondern eine Verpflichtung darstellt, die der Gesetzgeber hervorheben wollte. |
69 |
Daraus folgt, dass die in Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 vorgesehene Frist, wie sich sowohl aus dem Wortlaut als auch aus der Struktur dieser Vorschrift ergibt, eine zwingende Frist ist. |
70 |
Zweitens ist festzustellen, dass die Kommission, wie die Republik Polen zu Recht hervorhebt (vgl. oben, Rn. 61), die in Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 vorgesehene Frist von drei Monaten, die gemäß Art. 41 Abs. 3 dieser Verordnung auf eine abschlägige Entscheidung zur Anwendung kommt, im vorliegenden Fall angesichts der oben in den Rn. 3 bis 14 dargestellten tatsächlichen Entwicklungen überschritten hat. |
71 |
Im Anschluss an die Zurückziehung des ersten Antrags auf Bestätigung, die zur Beendigung des Verfahrens zur Prüfung dieses Antrags geführt hat, hat die Kommission nämlich in Bezug auf den zweiten Antrag auf Bestätigung zunächst beinahe elf Monate gebraucht, um der Republik Polen am 24. Juni 2014 ein Schreiben zuzustellen, das ihre Prüfung dieses Antrags enthielt, und sodann nach der Antwort der Republik Polen vom 28. August 2014 rund achteinhalb Monate gebraucht, um zu diesem Antrag förmlich Stellung zu nehmen und am 11. Mai 2015 gemäß Art. 41 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1083/2006 den angefochtenen Beschluss zu erlassen. |
72 |
Drittens ist unter diesen Umständen zu bestimmen, welche Folgen die Überschreitung der in Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 vorgesehenen dreimonatigen Frist hat. Insbesondere ist zu beurteilen, ob der angefochtene Beschluss allein wegen der Überschreitung der Frist zwangsläufig für nichtig zu erklären ist. |
73 |
Da Art. 41 der Verordnung Nr. 1083/2006 keine Angaben zu den Folgen einer Überschreitung der dort vorgesehenen dreimonatigen Frist durch die Kommission enthält, sind gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Zielsetzung und die Struktur dieser Verordnung zu prüfen, um zu bestimmen, welche Folgen diese Überschreitung hat (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 20. Januar 2005, Merck, Sharp & Dohme, C‑245/03, EU:C:2005:41, Rn. 25 und 26). |
74 |
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der in Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 vorgesehenen Frist um eine Frist handelt, innerhalb deren die Kommission auf einen ihr von einem Dritten – im vorliegenden Fall von einem Mitgliedstaat – übermittelten Antrag zu antworten hat. Nur dann, wenn das Unterbleiben einer Antwort innerhalb dieser Frist dazu führt, dass dem Antrag stattgegeben wird oder die Kommission die Befugnis verliert, darüber zu entscheiden, könnte eine nicht fristgerecht erlassene abschlägige Antwort zwangsläufig allein wegen der Überschreitung einer solchen Frist für nichtig erklärt werden (vgl. entsprechend Urteil vom 18. März 2009, Shanghai Excell M & E Enterprise und Shanghai Adeptech Precision/Rat, T‑299/05, EU:T:2009:72, Rn. 116). Zu prüfen ist damit, ob die Verordnung Nr. 1083/2006 angesichts ihrer Zielsetzung und ihrer Struktur dahin auszulegen ist, dass die Überschreitung der genannten Frist dazu führt, dass dem Antrag stattgegeben wird oder die Kommission die Befugnis verliert, darüber zu entscheiden. |
75 |
Was die Frage angeht, ob sich aus der Zielsetzung und der Struktur der Verordnung Nr. 1083/2006 ergibt, dass die Überschreitung der dreimonatigen Frist dazu führt, dass dem von dem Mitgliedstaat eingereichten Antrag auf Bestätigung stattgegeben wird, ist als Erstes festzustellen, dass der Inhalt einer stattgebenden Entscheidung eine solche Möglichkeit ausschließt. |
76 |
Aus Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 ergibt sich nämlich, dass in dem Beschluss der Kommission, mit dem dem Antrag auf Bestätigung stattgegeben wird, insbesondere die Bemessungsgrundlage angegeben wird, auf die der Kofinanzierungssatz des operationellen Programms angewandt wird (vgl. oben, Rn. 33). Allein die Entscheidung der Kommission, mit der einem solchen Antrag stattgegeben wird, legt die Höhe des Grundbetrags, auf den der sich aus dem einschlägigen operationellen Programm ergebende Kofinanzierungssatz angewandt wird, und damit die Höhe der finanziellen Beteiligung der Union fest. Fehlt es an einer Entscheidung der Kommission, kann die finanzielle Beteiligung der Union nicht konkret bestimmt und daher nicht als bestätigt angesehen werden. |
77 |
Dies wird im Übrigen durch den 49. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1083/2006 bestätigt, nach dem die Kommission die Möglichkeit haben sollte, Großprojekte zu beurteilen und gegebenenfalls zu genehmigen (vgl. oben, Rn. 29). Daraus folgt, dass der Verordnung Nr. 1083/2006 im Bereich von Großprojekten der Gedanke zugrunde liegt, dass ihre Finanzierung durch einen Mitgliedstaat mit Mitteln des EFRE oder des Kohäsionsfonds von der Zustimmung der Kommission abhängt. |
78 |
Als Zweites ist festzustellen, dass in der Verordnung Nr. 1083/2006, soweit die Nichteinhaltung einer Frist mit einer automatischen Annahme geahndet werden sollte, dies ausdrücklich angegeben wurde (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Januar 2005, Merck, Sharp & Dohme, C‑245/03, EU:C:2005:41, Rn. 31). So ist beispielsweise in Art. 62 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1083/2006 vorgesehen, dass die der Kommission vom Begleitausschuss vorgelegte Prüfstrategie „als angenommen [gilt]“, wenn die Kommission innerhalb der Frist von drei Monaten nach Eingang keine Bemerkungen vorlegt. Ebenso „gilt“ der von der Verwaltungsbehörde der Kommission vorgelegte Abschlussbericht über das operationelle Programm nach Art. 67 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1083/2006 „als angenommen“, wenn die Kommission sich nicht innerhalb der ihr gesetzten Frist äußert. Ferner bestimmt Art. 89 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1083/2006, dass die von dem Mitgliedstaat der Kommission übermittelte Abschlusserklärung „als angenommen [gilt], wenn die Kommission innerhalb dieses Zeitraums von fünf Monaten keine Bemerkungen vorbringt“. |
79 |
Daraus folgt, dass im Rahmen der Verordnung Nr. 1083/2006, wie sich aus ihrer Zielsetzung und ihrer Struktur ergibt, der Umstand, dass innerhalb der in Art. 41 Abs. 2 dieser Verordnung vorgesehenen Frist keine Antwort auf den Antrag auf Bestätigung erfolgt, nicht die Genehmigung des Antrags auf Bestätigung nach sich zieht. |
80 |
Diese Schlussfolgerung wird nicht durch das Vorbringen der Republik Polen in Frage gestellt, das sich zum einen auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Frist für die Vornahme einer finanziellen Berichtigung und zum anderen auf das in Art. 102 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1303/2013 vorgesehene neue Verfahren der stillschweigenden Bewilligung stützt. |
81 |
Wie die Republik Polen geltend macht, hat der Gerichtshof zwar, was das erste Argument betrifft, in seiner Rechtsprechung zu der in Art. 99 der Verordnung Nr. 1083/2006 vorgesehenen Befugnis der Kommission, finanzielle Berichtigungen vorzunehmen, entschieden, dass die Überschreitung der in Art. 100 Abs. 5 dieser Verordnung vorgesehenen Frist für die Annahme solcher Berichtigungen eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften darstellt, die vom Unionsrichter von Amts wegen aufzugreifen ist und zur Nichtigerklärung des nicht fristgerecht erlassenen Beschlusses führt (Urteile vom 4. September 2014, Spanien/Kommission, C‑192/13 P, EU:C:2014:2156, Rn. 103 und 104, und vom 21. September 2016, Kommission/Spanien, C‑140/15 P, EU:C:2016:708, Rn. 114 und 118), doch ist diese Rechtsprechung im vorliegenden Fall nicht einschlägig. |
82 |
Die oben in Rn. 81 angeführte Rechtsprechung hat nämlich eine Frist zum Gegenstand, deren Rechtsnatur sich von der in Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 vorgesehenen Frist unterscheidet. |
83 |
Zunächst handelt es sich bei der in Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 im Rahmen der Beurteilung von Großprojekten vorgesehenen Frist um eine Frist, die die Kommission bei der Beantwortung eines ihr von einem Mitgliedstaat unterbreiteten Antrags auf Kofinanzierung zu beachten hat, wohingegen die in Art. 100 Abs. 5 dieser Verordnung vorgesehene Frist im Rahmen des Verfahrens der finanziellen Berichtigung eine Frist ist, die die Kommission dann zu beachten hat, wenn sie von sich aus eine Entscheidung trifft, mit der die finanzielle Beteiligung der Union für ein operationelles Programm ganz oder teilweise gestrichen wird. Im Wesentlichen gilt somit die erste Frist für die Zuerkennung einer finanziellen Beteiligung, die zweite Frist dagegen für die Streichung einer bereits zuerkannten finanziellen Beteiligung. |
84 |
Sodann bleibt im Rahmen der Beurteilung von Großprojekten der Antrag auf Bestätigung, wenn darüber nicht fristgerecht entschieden wird, in Ermangelung von Vorschriften über die Folgen einer solchen unterbliebenen Entscheidung unbeantwortet und ist nicht als genehmigt anzusehen (vgl. oben, Rn. 75 bis 79). Wird hingegen im Bereich der finanziellen Berichtigungen innerhalb der dafür vorgesehenen Frist keine Entscheidung getroffen, so behält der Mitgliedstaat die Beteiligung der Fonds, die ihm bereits zuerkannt worden ist. Somit darf die Kommission, wie sich aus der oben in Rn. 81 angeführten Rechtsprechung ergibt, keine finanzielle Berichtigung anwenden, und gegenüber dem Mitgliedstaat darf keine solche Berichtigung vorgenommen werden, wenn die Kommission nicht fristgerecht eine Entscheidung über die finanzielle Berichtigung trifft. |
85 |
Schließlich lässt sich – entgegen dem Vorbringen der Republik Polen -der oben in Rn. 81 angeführten Rechtsprechung nicht entnehmen, dass der Gerichtshof dahin gehend Stellung genommen hätte, dass die in Art. 100 Abs. 5 und in Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 vorgesehenen Fristen dieselbe Rechtsnatur besitzen. Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich vielmehr, dass der Gerichtshof nur die für den Erlass eines Beschlusses über eine finanzielle Berichtigung vorgesehene Frist geprüft und sich ausdrücklich auf die Rechtsnatur eines solchen Beschlusses bezogen hat (Urteile vom 4. September 2014, Spanien/Kommission, C‑192/13 P, EU:C:2014:2156, Rn. 82 und 102, und vom 21. September 2016, Kommission/Spanien, C‑140/15 P, EU:C:2016:708, Rn. 70, 72 und 113). |
86 |
Hinsichtlich des zweiten Arguments ist festzuhalten, dass die Verordnung Nr. 1303/2013 auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden ist, weil ihr Art. 152 Abs. 1 vorsieht, dass die Verordnung Nr. 1083/2006 auf die Unterstützungen und Vorhaben, einschließlich der operationellen Programme und Großprojekte, die von der Kommission auf der Grundlage dieser Verordnung genehmigt wurden, weiterhin Anwendung findet, und weil ihr Art. 152 Abs. 2 ergänzt, dass Anträge auf Unterstützung, die gemäß der Verordnung Nr. 1083/2006 gestellt oder genehmigt wurden, gültig bleiben. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Art. 102 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1303/2013 ein Verfahren der stillschweigenden Bewilligung nur für den Fall vorsieht, dass dem von dem Mitgliedstaat gestellten Antrag eine Qualitätsüberprüfung durch unabhängige Experten gemäß Art. 101 Abs. 3 dieser Verordnung beigefügt ist. Dieses Verfahren hat kein Pendant im System der Art. 39 bis 41 der Verordnung Nr. 1083/2006, was die Schlussfolgerung bestätigt, dass im Rahmen der letzteren Verordnung das Schweigen der Kommission während der dreimonatigen Frist nicht als eine stillschweigende Bestätigung der finanziellen Beteiligung an einem Großprojekt ausgelegt werden kann. Im Übrigen steht fest, dass im vorliegenden Fall das Projekt nicht im Einklang mit Art. 102 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1303/2013 eingereicht wurde, so dass das in dieser Vorschrift vorgesehene Verfahren der stillschweigenden Bewilligung nicht zum Tragen kommen kann. |
87 |
Was die Frage angeht, ob aus der Zielsetzung und der Struktur der Verordnung Nr. 1083/2006 hervorgeht, dass die Überschreitung der dreimonatigen Frist dazu führt, dass die Kommission nicht mehr befugt ist, über den von dem Mitgliedstaat eingereichten Antrag auf Bestätigung zu entscheiden, ist erstens festzustellen, dass die Annahme einer Verpflichtung der Kommission, im Fall der Überschreitung der dreimonatigen Frist von der Fortsetzung der Prüfung des Antrags auf Bestätigung abzusehen, letztlich dem Ziel des ursprünglichen Antrags des Mitgliedstaats, nämlich die Bestätigung für eine finanzielle Beteiligung des EFRE oder des Kohäsionsfonds zu erhalten, abträglich wäre, und zwar aus Gründen, die sich seiner Kontrolle entzögen. Müsste die Kommission ein neues Verfahren zur Beurteilung eines Großprojekts einleiten, für das wiederum eine dreimonatige Frist gelten würde, würde dies in der Praxis die Missachtung dieser Frist nur verschlimmern, indem die Entscheidung über den Antrag auf Bestätigung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben würde. Im Übrigen würde, da die Fristüberschreitung, wie bereits ausgeführt wurde, nicht als Genehmigung des Antrags zu werten ist, die etwaige Nichtigerklärung einer Entscheidung mit der Begründung, dass diese nach Ablauf der Frist getroffen wurde, die Missachtung der Frist ebenfalls nur verschlimmern. |
88 |
Zweitens ergibt sich aus Art. 78 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1083/2006, der oben in Rn. 34 angeführt wurde, dass es einem Mitgliedstaat freisteht, lange vor der Beschlussfassung durch die Kommission – also unabhängig von der für den Erlass des betreffenden Beschlusses vorgesehenen Frist – die Umsetzung eines Großprojekts beginnen zu lassen und die damit verbundenen Ausgaben der Kommission mitzuteilen. Macht ein Mitgliedstaat von dieser Möglichkeit Gebrauch, handelt er auf eigenes Risiko, weil die Kommission einen Beschluss fassen kann, mit dem die Bestätigung des finanziellen Beitrags der Union zu dem Großprojekt verweigert wird. Da der Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, eine Entscheidung der Kommission abzuwarten, um seine Regionalentwicklungsprojekte durchzuführen und der Kommission die damit verbundenen Ausgaben mitzuteilen – für den Fall, dass diese von der Union übernommen werden sollten –, führt die Überschreitung der für den Erlass eines solchen Beschlusses vorgesehenen Frist somit nicht dazu, dass die Kommission die Befugnis verliert, über einen Antrag auf Bestätigung zu entscheiden. |
89 |
Drittens ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass es dann, wenn der Gesetzgeber, wie im vorliegenden Fall, dem Schweigen der Verwaltung nicht die Wirkung beigelegt hat, dass sie die Befugnis zum Erlass einer Entscheidung verliert, keinen Rechtsgrundsatz gibt, nach dem die Befugnis der Verwaltung zur Beantwortung eines Antrags wegfiele, auch nicht nach Ablauf der dafür festgelegten Fristen (vgl. entsprechend Urteil vom 19. Januar 2010, Co-Frutta/Kommission, T‑355/04 und T‑446/04, EU:T:2010:15, Rn. 57 und 59). |
90 |
Daraus folgt, dass im Rahmen der Verordnung Nr. 1083/2006, wie sich aus ihrer Zielsetzung und ihrer Struktur ergibt, die Kommission nicht die Befugnis verliert, über einen Antrag auf Bestätigung zu entscheiden, wenn sie ihn nicht innerhalb der in Art. 41 Abs. 2 dieser Verordnung vorgesehenen Frist beantwortet hat. |
91 |
Nach alledem kann die Verordnung Nr. 1083/2006 nicht dahin ausgelegt werden, dass jede Überschreitung der in Art. 41 Abs. 2 dieser Verordnung vorgesehenen Frist zwangsläufig allein deshalb zu einer Nichtigerklärung des nicht fristgerecht erlassenen Beschlusses führt. |
92 |
Viertens ist zu prüfen, ob die im vorliegenden Fall festgestellte Überschreitung der dreimonatigen Frist zur Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses führen muss. |
93 |
Aus der ständigen Rechtsprechung ergibt sich, dass die Nichteinhaltung einer Frist wie der in Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 festgelegten nur dann zur Nichtigerklärung des am Ende des Verfahrens erlassenen Rechtsakts führen kann, wenn das betreffende Verfahren aufgrund dieses Verfahrensfehlers zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Von der Person, die sich auf einen solchen Verfahrensfehler beruft, darf zwar nicht der Nachweis verlangt werden, dass der betreffende Rechtsakt ohne diesen Fehler einen für sie günstigeren Inhalt gehabt hätte, doch muss sie zumindest konkret nachweisen, dass dies nicht völlig ausgeschlossen ist (vgl. entsprechend Urteile vom 4. Februar 2016, C & J Clark International und Puma, C‑659/13 und C‑34/14, EU:C:2016:74, Rn. 140, und vom 12. Juni 2015, Health Food Manufacturers’ Association u. a./Kommission, T‑296/12, EU:T:2015:375, Rn. 71). |
94 |
Im vorliegenden Fall hat die Republik Polen nicht konkret nachgewiesen oder auch nur behauptet, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass das Verwaltungsverfahren zu einem anderen Ergebnis hätte führen können, wenn es innerhalb der in Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 vorgesehenen dreimonatigen Frist abgeschlossen worden wäre. Da die Republik Polen nicht nachgewiesen hat, dass das Verfahren zur Beurteilung des Projekts ohne Überschreitung dieser Frist zu einem anderen Ergebnis hätte führen können, kann diese Überschreitung unter den Umständen des vorliegenden Falles nicht zur Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses führen. |
95 |
Da die Kommission gegen Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 verstoßen hat, indem sie nach Ablauf der dreimonatigen Frist entschieden hat, ist allerdings darauf hinzuweisen, dass ein durch die Nichteinhaltung der in Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 für die Entscheidung über einen Antrag auf Bestätigung vorgesehenen Frist etwa verursachter Schaden vor dem Gericht mit einer Schadensersatzklage geltend gemacht werden kann (vgl. entsprechend Urteil vom 19. Januar 2010, Co-Frutta/Kommission, T‑355/04 und T‑446/04, EU:T:2010:15, Rn. 60 und 71), soweit sämtliche Voraussetzungen, von denen die außervertragliche Haftung der Union und der Anspruch auf Schadensersatz gemäß Art. 340 Abs. 2 AEUV abhängen, erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. September 2008, FIAMM u. a./Rat und Kommission, C‑120/06 P und C‑121/06 P, EU:C:2008:476, Rn. 106). |
96 |
Nach alledem ist der zweite Teil des ersten Klagegrundes, der auf einen Verstoß gegen Art. 41 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 gestützt ist, unbegründet und zurückzuweisen. [nicht wiedergegeben] |
Aus diesen Gründen hat DAS GERICHT (Siebte Kammer) für Recht erkannt und entschieden: |
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Tomljenović Marcoulli Kornezov Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 1. März 2018. Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.
( 1 ) Es werden nur die Randnummern des Urteils wiedergegeben, deren Veröffentlichung das Gericht für zweckdienlich erachtet.
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Referenzen
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