Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-568/16
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Zahlungsdienste – Richtlinie 2007/64/EG – Art. 3 Buchst. e und o – Art. 4 Nr. 3 – Anhang – Nr. 2 – Geltungsbereich – Betrieb multifunktionaler Terminals, an denen in Spielhallen Bargeld abgehoben werden kann – Kohärenz der Strafverfolgungspraxis der nationalen Behörden – Verfall der durch eine Straftat erlangten Beträge – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 17“
In der Rechtssache C‑568/16
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Amtsgericht Nürtingen (Deutschland) mit Entscheidung vom 2. November 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 10. November 2016, in dem Strafverfahren gegen
Faiz Rasool,
Beteiligte:
Rasool Entertainment GmbH,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça (Berichterstatter), der Richter E. Levits und A. Borg Barthet, der Richterin M. Berger und des Richters F. Biltgen,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– |
von Herrn Rasool, vertreten durch die Rechtsanwälte S. Kauder, R. Steiner und R. Karpenstein, |
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der Rasool Entertainment GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt S. Keck, |
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der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte im Beistand von P. Vlaemminck, R. Verbeke und J. Van den Bon, advocaten, |
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der Europäischen Kommission, vertreten durch T. Scharf und H. Tserepa-Lacombe als Bevollmächtigte, |
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 |
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Buchst. e und o sowie Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG (ABl. 2007, L 319, S. 1) in Verbindung mit Nr. 2 des Anhangs dieser Richtlinie und von Art. 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. |
2 |
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Faiz Rasool in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Rasool Entertainment GmbH (im Folgenden: RE), der beschuldigt wird, in von dieser Gesellschaft betriebenen Spielhallen multifunktionale Terminals, an denen Bargeld abgehoben werden kann, aufgestellt zu haben, ohne über die nach den deutschen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2007/64 erforderliche Erlaubnis für die Erbringung von Zahlungsdiensten zu verfügen. |
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 |
Die Richtlinie 2007/64 wurde durch die Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG (ABl. 2015, L 337, S. 35) mit Wirkung vom 13. Januar 2018 aufgehoben und ersetzt. Aufgrund des streitgegenständlichen Zeitraums ist im Ausgangsverfahren jedoch die Richtlinie 2007/64 maßgeblich. In deren Erwägungsgründen 6, 20, 22, 26, 36 und 54 hieß es:
…
…
…
…
…
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4 |
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie bestimmte: „In dieser Richtlinie werden die Regeln festgelegt, nach denen die Mitgliedstaaten die folgenden sechs Kategorien von Zahlungsdienstleistern unterscheiden: …
…“ |
5 |
Nach Art. 3 Buchst. e und o der Richtlinie waren sowohl „Dienste, bei denen der Zahlungsempfänger dem Zahler Bargeld im Rahmen eines Zahlungsvorgangs aushändigt, nachdem ihn der Zahlungsdienstnutzer kurz vor der Ausführung eines Zahlungsvorgangs zum Erwerb von Waren oder Dienstleistungen ausdrücklich hierum gebeten hat“, als auch „Dienste von Dienstleistern, der bzw. die keinen Rahmenvertrag mit dem Geld von einem Zahlungskonto abhebenden Kunden geschlossen hat bzw. haben, bei denen für einen oder mehrere Kartenemittenten an multifunktionalen Bankautomaten Bargeld abgehoben wird, vorausgesetzt, dass diese Dienstleister keine anderen der im Anhang genannten Zahlungsdienste erbringen“, vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen. |
6 |
Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie sah vor, dass für die Zwecke dieser Richtlinie der Begriff „Zahlungsdienst“„jede im Anhang aufgeführte gewerbliche Tätigkeit“ bezeichnet. |
7 |
Nach Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2007/64 handelte es sich bei einem „Zahlungsinstitut“ um „eine juristische Person, die nach Artikel 10 eine Zulassung für die [unionsweite] Erbringung und Ausführung von Zahlungsdiensten erhalten hat“. |
8 |
In Art. 4 Nr. 14 war ein „Zahlungskonto“ definiert als „ein auf den Namen eines oder mehrerer Zahlungsdienstnutzer lautendes Konto, das für die Ausführung von Zahlungsvorgängen genutzt wird“. |
9 |
Gemäß Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie schrieben die Mitgliedstaaten vor, dass Zahlungsinstitute, die Zahlungsdienste erbringen wollen, vor dem Beginn der Erbringung von Zahlungsdiensten die Zulassung als Zahlungsinstitut erwirken müssen. |
10 |
Nach Nr. 2 des Anhangs der Richtlinie 2007/64 waren als „Zahlungsdienste“ u. a. Dienste anzusehen, „mit denen Barabhebungen von einem Zahlungskonto ermöglicht werden, sowie alle für die Führung eines Zahlungskontos erforderlichen Vorgänge“. |
Deutsches Recht
11 |
Die Richtlinie 2007/64 wurde u. a. durch das Gesetz über die Beaufsichtigung von Zahlungsdiensten (Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz – ZAG) vom 25. Juni 2009 in das deutsche Recht umgesetzt. In § 1 Abs. 1 ZAG sind als „Zahlungsdienstleister“ u. a. Kreditinstitute, E‑Geld‑Institute, der Bund, die Länder, die Gemeinden sowie die Europäische Zentralbank, die Deutsche Bundesbank und die anderen Zentralbanken der Europäischen Union benannt. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 ZAG sind Unternehmen, die, auch wenn sie nicht zu diesen Einrichtungen gehören, gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, Zahlungsdienste erbringen, ebenfalls Zahlungsdienstleister. Diese Unternehmen sind „Zahlungsinstitute“. |
12 |
Gemäß § 1 Abs. 10 ZAG sind Dienste, bei denen „der Zahlungsempfänger dem Zahler Bargeld im Rahmen eines Zahlungsvorgangs aushändigt, nachdem ihn der Zahlungsdienstnutzer kurz vor der Ausführung eines Zahlungsvorgangs zum Erwerb von Waren oder Dienstleistungen ausdrücklich hierum gebeten hat“, keine Zahlungsdienste. Die in Art. 3 Buchst. o der Richtlinie 2007/64 vorgesehene Ausnahme findet sich in ähnlicher Formulierung in § 1 Abs. 10 Nr. 14 ZAG. |
13 |
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 ZAG bedarf ein Zahlungsinstitut der schriftlichen Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, um in Deutschland Zahlungsdienste erbringen zu dürfen. |
14 |
Gemäß § 31 Abs. 1 ZAG macht sich strafbar, wer ohne Erlaubnis nach § 8 Satz 1 ZAG Zahlungsdienste erbringt. |
15 |
§ 73 des Strafgesetzbuches (im Folgenden: StGB) sieht vor: „(1) Ist eine rechtswidrige Tat begangen worden und hat der Täter oder Teilnehmer für die Tat oder aus ihr etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Verfall an. Dies gilt nicht, soweit dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde. (2) Die Anordnung des Verfalls erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen. Sie kann sich auch auf die Gegenstände erstrecken, die der Täter oder Teilnehmer durch die Veräußerung des erlangten Gegenstandes oder als Ersatz für dessen Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung oder aufgrund eines erlangten Rechts erworben hat.“ |
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
16 |
Herr Rasool ist Geschäftsführer von RE, die in Deutschland zwei Spielhallen mit Geldspielautomaten betreibt. Bis Ende 2012 stellte RE den Spielhallenkunden multifunktionale Terminals zur Verfügung, an denen sie Geldscheine in Münzen wechseln und mit der ihnen von ihrer Bank ausgestellten EC‑Karte und der entsprechenden PIN (Personal Identification Number) Bargeld abheben konnten. |
17 |
Die von diesen Terminals ausgehenden Vorgänge und Transaktionen wurden von dem externen Dienstleister TeleCash (im Folgenden: Netzbetreiber) abgewickelt. Dieser war Eigentümer der multifunktionalen Terminals und vermietete sie an RE. |
18 |
Bis Mai 2011 wurden Abhebungen wie folgt abgewickelt. Der Netzbetreiber überprüfte nach Eingabe der PIN, ob das Bankkonto des Kunden eine entsprechende Deckung aufwies und ließ gegebenenfalls die Auszahlung zu. Außerdem sorgte er dafür, dass RE die von den Kunden jeweils abgehobenen Beträge erstattet wurden. RE erhielt keine Vergütung als Gegenleistung für das Aufstellen der multifunktionalen Terminals, sondern zahlte an den Netzbetreiber 0,13 Euro pro Transaktion und ein fixes monatliches Entgelt von 48 Euro. Die einzige Tätigkeit von RE bestand letztlich darin, die multifunktionalen Terminals mit Bargeld zu befüllen. |
19 |
Ab Juni 2011 ließ RE, um nach einer Änderung des nationalen Rechts weiterhin ohne die für Zahlungsdienstleister erforderliche Erlaubnis Bargeldabhebungsdienste erbringen zu können, eine teilweise Änderung der Betriebsmodalitäten für die in ihren Spielhallen aufgestellten multifunktionalen Terminals dahin vornehmen, dass sie nun eine als „Cash-Back“ bezeichnete Möglichkeit boten. Dabei konnten die Kunden an den multifunktionalen Terminals nur noch dann Bargeld abheben, wenn sie gleichzeitig einen Gutschein über 20 Euro erwarben, der zum Bestücken eines Geldspielgeräts mit Münzen berechtigte. Die Konten der Kunden wurden hierbei von ihrer jeweiligen Bank mit dem abgehobenen Bargeldbetrag und zusätzlich mit dem Gutscheinbetrag belastet. |
20 |
Da die Staatsanwaltschaft Stuttgart (Deutschland) der Auffassung war, dass RE selbst bei diesen Betriebsmodalitäten als erlaubnispflichtiges „Zahlungsinstitut“ zu qualifizieren sei, leitete sie ein Strafverfahren gegen Herrn Rasool in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer von RE ein, da er vorsätzlich und ohne Erlaubnis unter Verstoß gegen § 8 ZAG Zahlungsdienste erbracht habe. Außerdem beantragte die Staatsanwaltschaft für alle RE von den verschiedenen Banken der Spielhallenkunden für deren Abhebungen gutgeschriebenen Beträge den Wertersatzverfall gemäß § 73 StGB, der einen Betrag von 1096290 Euro betraf. Mit Urteil vom 11. März 2015 sprach das vorlegende Amtsgericht Nürtingen (Deutschland) Herrn Rasool frei, da er keine Zahlungsdienste im Sinne des ZAG erbracht habe. |
21 |
Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Stuttgart Revision beim Oberlandesgericht Stuttgart (Deutschland) ein, das mit Urteil vom 18. März 2016 das Urteil des vorlegenden Gerichts vom 11. März 2015 aufhob und dies u. a. damit begründete, dass RE sich selbst dann nicht der nach § 8 Abs. 1 ZAG bestehenden Erlaubnispflicht entziehen könne, wenn es sich beim Betrieb der multifunktionalen Terminals nicht um ihre Haupttätigkeit handele. Die Rechtssache wurde daher an das vorlegende Gericht zurückverwiesen. |
22 |
Unter diesen Umständen ist das vorlegende Gericht erstens der Auffassung, dass die Tätigkeit von RE insbesondere deshalb unter die in Art. 3 Buchst. o der Richtlinie 2007/64 vorgesehene Ausnahme falle, weil diese Gesellschaft zum einen keinen „Rahmenvertrag mit dem Geld von einem Zahlungskonto abhebenden Kunden“ im Sinne dieser Vorschrift und auch keinen Vertrag mit den Banken der an den multifunktionalen Terminals Geld abhebenden Kunden geschlossen habe. Zum anderen sieht das vorlegende Gericht auch keine Gründe des Verbraucherschutzes, die eine Erlaubnispflicht für die von RE angebotenen Zahlungsdienste rechtfertigen würden, da die einzige von ihr erbrachte Leistung darin bestanden habe, die multifunktionalen Terminals mit Bargeld zu befüllen. |
23 |
Zweitens werde die Tätigkeit von RE jedenfalls nach dem Übergang zum „Cash-Back“-System von Art. 3 Buchst. e der Richtlinie 2007/64 erfasst und sei damit nicht erlaubnispflichtig. |
24 |
Drittens möchte das vorlegende Gericht zum einen wissen, ob die von RE erbrachte Dienstleistung insbesondere deshalb als „Zahlungsdienst“ qualifiziert werden kann, weil durch ihre Tätigkeit Barabhebungen von einem Zahlungskonto im Sinne von Nr. 2 des Anhangs der Richtlinie 2007/64 ermöglicht würden. |
25 |
Es stellt insoweit fest, dass das Befüllen der multifunktionalen Terminals mit Bargeld durch RE den Spielhallenkunden zwar materiell die Möglichkeit zum Abheben von Bargeld geboten habe. Der Begriff „ermöglicht“ in Nr. 2 des Anhangs der Richtlinie 2007/64 erfasse jedoch nicht Tätigkeiten wie die vorliegend von RE ausgeübte, die im Verhältnis zu den von einer Bank erbrachten Zahlungsdiensten, die es ermöglichten, ein Bankkonto zu eröffnen und von diesem aus mittels einer EC‑Karte Bankgeschäfte vorzunehmen, und zu den von einer Gesellschaft wie dem Netzbetreiber erbrachten Zahlungsdiensten, durch die die multifunktionalen Terminals mit den Bankkonten der Kunden verbunden würden, rein akzessorisch seien. |
26 |
Zum anderen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die beanstandete Tätigkeit von RE als „Zahlungsdienst“ qualifiziert werden kann, wenn sie für die Kunden der Spielhallen kostenlos erbracht werde. Eine solche kostenlose Dienstleistung sei im Verhältnis zur Haupttätigkeit von RE, nämlich dem Betrieb von Spielhallen, rein akzessorisch, so dass sie nicht die Voraussetzung in Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2007/64 erfülle, wonach die Tätigkeit des Dienstleisters gewerblich erbracht werden müsse. |
27 |
Viertens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das von der Staatsanwaltschaft Stuttgart eingeleitete Verfahren gegen die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelten Grundsätze verstößt, wonach staatliche Eingriffe im Bereich des Glücksspiels nicht gerechtfertigt werden können, wenn der betreffende Mitgliedstaat keine systematische und kohärente Politik betreibe, die einem zwingenden Erfordernis wie etwa dem Verbraucherschutz entspreche. Außerdem sei das Strafverfahren willkürlich, da die rechtswidrige Erbringung einer Dienstleistung wie das von RE ermöglichte Abheben von Bargeld nur äußerst selten strafrechtlich verfolgt werde. |
28 |
Fünftens möchte das vorlegende Gericht schließlich im Hinblick auf den unionsrechtlich garantierten Grundsatz der Rechtssicherheit wissen, ob die Staatsanwaltschaft Stuttgart nach § 73 StGB den Verfall sämtlicher durch die multifunktionalen Terminals an die Spielhallenkunden ausgezahlten Beträge beantragen kann. |
29 |
Unter diesen Umständen hat das Amtsgericht Nürtingen beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Für den Fall, dass der Gerichtshof die dargestellte Tätigkeit als erlaubnispflichtigen Zahlungsdienst ansehen sollte:
Für den Fall, dass auch die Frage 4 verneint wird:
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Zu den Vorlagefragen
Zur dritten Frage
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Mit seiner dritten Frage, die zuerst zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2007/64 in Verbindung mit Nr. 2 ihres Anhangs dahin auszulegen ist, dass ein Bargeldabhebungsdienst, den ein Spielhallenbetreiber seinen Kunden mittels in den Spielhallen aufgestellter multifunktionaler Terminals anbietet, ein „Zahlungsdienst“ im Sinne dieser Richtlinie ist, wenn der Betreiber die Leistung kostenlos erbringt, er keine die Zahlungskonten dieser Kunden betreffenden Vorgänge abwickelt und sich die dabei von ihm ausgeübten Tätigkeiten darauf beschränken, die Terminals zur Verfügung zu stellen und mit Bargeld zu befüllen. |
31 |
In Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2007/64 in Verbindung mit Nr. 2 ihres Anhangs werden als „Zahlungsdienst“ gewerbliche Tätigkeiten, mit der Barabhebungen von einem Zahlungskonto ermöglicht werden, sowie alle für die Führung eines Zahlungskontos erforderlichen Vorgänge bezeichnet. |
32 |
Im vorliegenden Fall ist – ohne dass es erforderlich wäre, festzustellen, ob es sich bei der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistung, die kostenlos gewesen sein soll, um eine gewerbliche Tätigkeit von RE handelte – darauf hinzuweisen, dass sich RE gemäß den Ausführungen im Vorlagebeschluss darauf beschränkte, multifunktionale Terminals anzumieten, in ihren Spielhallen aufzustellen und mit Bargeld zu befüllen. |
33 |
Bei diesen Handlungen handelte es sich zwar um vorbereitende und mit den über die Zahlungskonten der Spielhallenkunden abgewickelten Vorgängen verbundene Tätigkeiten. Jedoch wurden diese, wie aus dem Vorlagebeschluss hervorgeht, von einem externen Dienstleister vorgenommen, nämlich vom Netzbetreiber. Dieser stellte die Verbindung zwischen den multifunktionalen Terminals und dem jeweiligen Bankkonto dieser Kunden her, indem er ihre EC‑Karten und PIN‑Codes erkannte und so die Geldabhebungen möglich machte. |
34 |
Unter diesen Umständen kann bei einer Dienstleistung wie der von RE mittels der multifunktionalen Terminals angebotenen nicht davon ausgegangen werden, dass durch sie im Sinne von Nr. 2 des Anhangs der Richtlinie 2007/64 „Barabhebungen von einem Zahlungskonto ermöglicht werden“. Außerdem verfügt der Gerichtshof über keinerlei Informationen, aus denen hervorginge, dass RE im Zusammenhang mit dieser Dienstleistung „alle für die Führung eines Zahlungskontos erforderlichen Vorgänge“ im Sinne dieser Vorschrift durchführen würde. |
35 |
Diese Sichtweise wird erstens durch eine Auslegung des Kontexts gestützt, in den sich Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2007/64 und Nr. 2 ihres Anhangs einfügen. |
36 |
Wie aus dem sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie hervorgeht, wird der Bereich der Zahlungsdienste durch die Richtlinie nicht vollständig harmonisiert. Gemäß diesem Erwägungsgrund sollte die Anwendung der Richtlinie 2007/64 auf Zahlungsdienstleister beschränkt werden, deren „Haupttätigkeit“ darin besteht, für Zahlungsdienstnutzer Zahlungsdienste zu erbringen. |
37 |
Vorbehaltlich der insoweit vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Würdigung geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervor, dass die Haupttätigkeit von RE im Betrieb von Spielhallen bestand und dass in diesem Zusammenhang die sich auf die multifunktionalen Terminals beziehenden Vorgänge eine zu dieser Tätigkeit rein akzessorische Dienstleistung darstellten. |
38 |
Zweitens kann, da RE keine die Konten der Spielhallenkunden betreffenden Vorgänge abwickelte, die Qualifizierung eines Bargeldabhebungsdienstes, wie er von RE angeboten wurde, als „Zahlungsdienst“ im Sinne der Richtlinie nicht mit Erfordernissen des Schutzes des Verbrauchers als Zahlungsdienstempfänger, wie sie sich aus den Erwägungsgründen 20, 22, 26, 36 und 54 der Richtlinie 2007/64 ergeben, gerechtfertigt werden. |
39 |
Nach alledem ist die dritte Frage dahin zu beantworten, dass Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2007/64 in Verbindung mit Nr. 2 ihres Anhangs dahin auszulegen ist, dass ein Bargeldabhebungsdienst, den ein Spielhallenbetreiber seinen Kunden mittels in den Spielhallen aufgestellter multifunktionaler Terminals anbietet, kein „Zahlungsdienst“ im Sinne dieser Richtlinie ist, wenn der Betreiber keine die Zahlungskonten dieser Kunden betreffenden Vorgänge abwickelt und sich die dabei von ihm ausgeübten Tätigkeiten darauf beschränken, die Terminals zur Verfügung zu stellen und mit Bargeld zu befüllen. |
Zur ersten, zur zweiten, zur vierten und zur fünften Frage
40 |
In Anbetracht der Antwort auf die dritte Frage sind die erste, die zweite, die vierte und die fünfte Frage nicht zu beantworten. |
Kosten
41 |
Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt: |
Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG in Verbindung mit Nr. 2 des Anhangs dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass ein Bargeldabhebungsdienst, den ein Spielhallenbetreiber seinen Kunden mittels in den Spielhallen aufgestellter multifunktionaler Terminals anbietet, kein „Zahlungsdienst “ im Sinne dieser Richtlinie ist, wenn der Betreiber keine die Zahlungskonten dieser Kunden betreffenden Vorgänge abwickelt und sich die dabei von ihm ausgeübten Tätigkeiten darauf beschränken, die Terminals zur Verfügung zu stellen und mit Bargeld zu befüllen. |
Da Cruz Vilaça Levits Borg Barthet Berger Biltgen Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 22. März 2018. Der Kanzler A. Calot Escobar Der Präsident der Fünften Kammer J. L. da Cruz Vilaça |
( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.
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Referenzen
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