Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-667/16

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

6. Juni 2018 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Agrarpolitik – Finanzierung durch den ELER – Verordnung (EG) Nr. 1122/2009 – Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums – Nichteinhaltung der anderweitigen Verpflichtungen – Kürzungen und Ausschlüsse – Kumulierung mehrerer Kürzungen“

In der Rechtssache C‑667/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom College van Beroep voor het bedrijfsleven (Obergericht für Wirtschaftsverwaltungssachen, Niederlande) mit Entscheidung vom 20. Dezember 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Dezember 2016, in dem Verfahren

M.N.J.P.W. Nooren,

J.M.F.D.C. Nooren,

Erben von M.N.F.M. Nooren,

gegen

Staatssecretaris van Economische Zaken

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter C. G. Fernlund, J.‑C. Bonichot, A. Arabadjiev und S. Rodin (Berichterstatter),

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. November 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Gijzen und M. K. Bulterman als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Bouquet und A. Sauka als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. Februar 2018

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 70 bis 72 der Verordnung (EG) Nr. 1122/2009 der Kommission vom 30. November 2009 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates hinsichtlich der Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen, der Modulation und des integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems im Rahmen der Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe gemäß der genannten Verordnung und mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates hinsichtlich der Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen im Rahmen der Stützungsregelung für den Weinsektor (ABl. 2009, L 316, S. 65).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen M.N.J.P.W. und J.M.F.D.C. Nooren, Erben von Herrn M.N.F.M. Nooren, auf der einen Seite und dem Staatssecretaris van Economische Zaken (Staatssekretär für Wirtschaft, Niederlande) auf der anderen Seite wegen einer Kürzung von Agrarbeihilfen wegen der Nichteinhaltung anderweitiger Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Schutz von Kälbern.

Rechtlicher Rahmen

3

Art. 23 („Kürzungen und Ausschlüsse bei Nichteinhaltung der anderweitigen Verpflichtungen“) der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates vom 19. Januar 2009 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1290/2005, (EG) Nr. 247/2006, (EG) Nr. 378/2007 sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 (ABl. 2009, L 30, S. 16) sieht in Abs. 1 Unterabs. 1 vor:

„Werden die Grundanforderungen an die Betriebsführung oder das Kriterium des guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustands in einem bestimmten Kalenderjahr (nachstehend ‚betreffendes Kalenderjahr‘ genannt) zu irgendeinem Zeitpunkt nicht erfüllt, und ist dieser Verstoß das Ergebnis einer Handlung oder Unterlassung, die unmittelbar dem Betriebsinhaber anzulasten ist, der den Beihilfeantrag in dem betreffenden Kalenderjahr gestellt hat, so wird der Gesamtbetrag der Direktzahlungen, der nach Anwendung der Artikel 7, 10 und 11 diesem Betriebsinhaber gewährt wurde oder zu gewähren ist, nach den Durchführungsbestimmungen gemäß Artikel 24 gekürzt oder gestrichen.“

4

In Art. 24 („Durchführungsbestimmungen zu den Kürzungen und Ausschlüssen bei Nichteinhaltung der anderweitigen Verpflichtungen“) der Verordnung Nr. 73/2009 heißt es:

„(1)   Durchführungsbestimmungen zu den Kürzungen und Ausschlüssen gemäß Artikel 23 werden nach dem Verfahren des Artikels 141 Absatz 2 erlassen. Dabei werden Schwere, Ausmaß, Dauer und Häufigkeit der Verstöße sowie die Kriterien nach den Absätzen 2, 3 und 4 des vorliegenden Artikels berücksichtigt.

(2)   Bei Fahrlässigkeit beträgt die Kürzung höchstens 5 %, bei wiederholten Verstößen höchstens 15 %.

(3)   Bei vorsätzlichen Verstößen beträgt die Kürzung grundsätzlich nicht weniger als 20 % und kann bis zum vollständigen Ausschluss von einer oder mehreren Beihilferegelungen gehen und für ein oder mehrere Kalenderjahre gelten.

(4)   Auf jeden Fall übersteigt die Gesamthöhe der Kürzungen und Ausschlüsse in einem Kalenderjahr nicht den Gesamtbetrag der Direktzahlungen im Sinne des Artikels 23 Absatz 1.“

5

Art. 70 („Allgemeine Grundsätze und Definitionen“) in Teil II Titel IV Kapitel III („Feststellungen in Bezug auf die anderweitigen Verpflichtungen“) der Verordnung Nr. 1122/2009 sieht in Abs. 6 vor:

„Wurde mehr als ein Verstoß in Bezug auf die verschiedenen Rechtsakte oder Normen desselben Bereichs der anderweitigen Verpflichtungen festgestellt, so sind diese Fälle für die Festsetzung der Kürzung gemäß Artikel 71 Absatz 1 und Artikel 72 Absatz 1 als ein einziger Verstoß anzusehen.“

6

Art. 71 („Anwendung von Kürzungen bei Fahrlässigkeit“) in Teil II Titel IV Kapitel III der Verordnung Nr. 1122/2009 lautet:

„(1)   Ist der festgestellte Verstoß auf Fahrlässigkeit des Betriebsinhabers zurückzuführen, so wird unbeschadet des Artikels 77 eine Kürzung vorgenommen. Diese Kürzung beläuft sich im Allgemeinen auf 3 % des Gesamtbetrags im Sinne von Artikel 70 Absatz 8.

Die Zahlstelle kann jedoch auf der Grundlage der Bewertung durch die zuständige Kontrollbehörde im bewertenden Teil des Kontrollberichts gemäß Artikel 54 Absatz 1 Buchstabe c beschließen, den genannten Prozentsatz entweder auf 1 % des Gesamtbetrags zu vermindern oder ihn auf 5 % zu erhöhen oder aber in den in Artikel 54 Absatz 1 Buchstabe c [Unterabsatz 2] genannten Fällen überhaupt keine Kürzung zu verhängen.

(6)   Wird ein wiederholter Verstoß zusammen mit einem anderen Verstoß oder einem anderen wiederholten Verstoß festgestellt, so werden die sich ergebenden Kürzungsprozentsätze addiert. Unbeschadet Absatz 5 Unterabsatz 3 darf der Höchstprozentsatz jedoch 15 % des in Artikel 70 Absatz 8 genannten Gesamtbetrags nicht überschreiten.“

7

Art. 72 („Anwendung von Kürzungen und Ausschlüssen bei Vorsatz“) in Teil II Titel IV Kapitel III der Verordnung Nr. 1122/2009 sieht in Abs. 1 vor:

„Ist der festgestellte Verstoß vom Betriebsinhaber vorsätzlich begangen worden, so beläuft sich die vorzunehmende Kürzung des in Artikel 70 Absatz 8 genannten Gesamtbetrags unbeschadet Artikel 77 in der Regel auf 20 % dieses Betrags.

Die Zahlstelle kann jedoch auf der Grundlage der Bewertung durch die zuständige Kontrollbehörde im bewertenden Teil des Kontrollberichts gemäß Artikel 54 Absatz 1 Buchstabe c beschließen, den genannten Prozentsatz auf nicht weniger als 15 % des Gesamtbetrags zu vermindern oder aber ihn gegebenenfalls auf bis zu 100 % zu erhöhen.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

8

Herr Nooren, ein Viehhalter, beantragte Direktzahlungen in Form einer Beihilfe für das Jahr 2011. Im Laufe dieses Jahres stellten die Kontrolleure des Algemene Inspectiedienst (Allgemeiner Inspektionsdienst, Niederlande) bei zehn Gelegenheiten in ihren Berichten fest, dass Herr Nooren gegen mehrere Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Schutz von Kälbern verstoßen habe.

9

Mit Bescheid vom 18. September 2014 setzte der Staatssekretär für Wirtschaft nach wiederholten Neuberechnungen der Kürzung des Gesamtbetrags der dem Betroffenen gewährten oder zu gewährenden Direktzahlungen diese Kürzung auf 55 % fest.

10

Diese Kürzung setzt sich zum einen aus einer Kürzung von 15 % wegen mehrerer fahrlässiger Verstöße und zum anderen aus einer Kürzung von 40 % wegen vorsätzlicher Verstöße zusammen.

11

Die Kläger des Ausgangsverfahrens erhoben gegen den Bescheid vom 18. September 2014 Klage bei dem vorlegenden Gericht.

12

Dieses Gericht ist der Auffassung, dass diese Kürzungen von 15 % und von 40 % zu Recht festgesetzt worden seien.

13

Die Kläger des Ausgangsverfahrens tragen vor, dass die Gesamtkürzung des Betrags der Direktzahlungen nicht mehr als 15 % betragen dürfe. Der Staatssekretär für Wirtschaft macht geltend, dass im vorliegenden Fall zu Recht eine Kürzung von 55 % angewandt worden sei, was einer Kumulierung der Kürzungen von 15 % und von 40 % entspreche.

14

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts lässt sich den Art. 70 bis 72 der Verordnung Nr. 1122/2009 weder entnehmen, ob die Kürzungen des Gesamtbetrags der Direktzahlungen bei fahrlässigen und vorsätzlichen Verstößen addiert werden dürfen, noch, ob der Staatssekretär für Wirtschaft den Betrag der Gesamtkürzung zu Recht auf 55 % festgesetzt hat.

15

Unter diesen Umständen hat das College van Beroep voor het bedrijfsleven (Obergericht für Wirtschaftsverwaltungssachen, Niederlande) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Hat der Unionsgesetzgeber in den Art. 70, 71 und 72 der Verordnung Nr. 1122/2009 die Möglichkeit vorgesehen, dass – wie hier in Rede stehend, wo es um mehrere Verstöße im selben Bereich der anderweitigen Verpflichtungen geht – die Beihilfekürzungen wegen wiederholter und nicht wiederholter fahrlässiger Verstöße gegen anderweitige Verpflichtungen auf der einen und vorsätzlicher Verstöße gegen anderweitige Verpflichtungen auf der anderen Seite addiert werden?

2.

Falls ja: Welcher Artikel bzw. Teil davon bietet hierfür die Grundlage, und wie lautet die Berechnungsregel für diese Addition?

3.

Falls nein: Findet sich hierfür anderswo im Unionsrecht eine Grundlage?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur zweiten Frage

16

Mit der ersten und der zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 70 bis 72 der Verordnung Nr. 1122/2009 dahin auszulegen sind, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der mehrere Verstöße im selben Bereich festgestellt wurden, die aufgrund von Verstößen, die auf Fahrlässigkeit zurückzuführen sind, vorzunehmende Kürzung des Gesamtbetrags der gewährten oder zu gewährenden Direktzahlungen und die wegen vorsätzlicher Verstöße vorzunehmende Kürzung zu addieren sind.

17

Mit ihren Art. 70 bis 72 legt die Verordnung Nr. 1122/2009 u. a. die Durchführungsbestimmungen zu den Art. 23 und 24 der Verordnung Nr. 73/2009 fest. Folglich sind zur Beantwortung der ersten und der zweiten Frage zunächst die in den Art. 23 und 24 der Verordnung Nr. 73/2009 aufgestellten Anforderungen zu prüfen.

18

Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 73/2009 sieht vor, dass der Gesamtbetrag der Direktzahlungen, der einem Betriebsinhaber, der den Beihilfeantrag gestellt hat, gewährt wurde oder zu gewähren ist, gemäß Art. 24 gekürzt wird, wenn die Grundanforderungen an die Betriebsführung oder das Kriterium des guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustands in dem Kalenderjahr, für das der Beihilfeantrag gestellt wurde, zu irgendeinem Zeitpunkt nicht erfüllt wurden und dieser Verstoß das Ergebnis einer Handlung oder Unterlassung ist, die unmittelbar dem Betriebsinhaber anzulasten ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Dezember 2012, Maatschap L.A. en D.A.B. Langestraat en P. Langestraat-Troost, C‑11/12, EU:C:2012:808, Rn. 22).

19

Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, dass jede Handlung oder Unterlassung grundsätzlich zu einer Kürzung des Gesamtbetrags der Direktzahlungen führt, der einem Betriebsinhaber gewährt wurde oder zu gewähren ist, wobei diese Kürzung den in Art. 24 der Verordnung Nr. 73/2009 vorgesehenen Durchführungsbestimmungen unterliegt.

20

Art. 24 der Verordnung Nr. 73/2009 sieht in Abs. 2 vor, dass die Kürzung bei Fahrlässigkeit höchstens 5 %, bei wiederholten Verstößen gegen anderweitige Verpflichtungen höchstens 15 % beträgt. Gemäß Abs. 3 dieses Artikels beträgt die Kürzung bei vorsätzlichen Verstößen nicht weniger als 20 % und kann bis zum vollständigen Ausschluss von einer oder mehreren Beihilferegelungen gehen. Nach Abs. 4 dieses Artikels übersteigt die Gesamthöhe der Kürzungen und Ausschlüsse in einem Kalenderjahr auf jeden Fall nicht den Gesamtbetrag der Direktzahlungen im Sinne des Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 73/2009.

21

Somit legt Art. 24 der Verordnung Nr. 73/2009 die unterschiedlichen Grenzen für die Kürzungen und Ausschlüsse von gewährten oder zu gewährenden Direktzahlungen bei fahrlässiger und vorsätzlicher Nichteinhaltung der anderweitigen Verpflichtungen sowie eine Höchstgrenze für sämtliche Verstöße in einem Kalenderjahr fest.

22

Die Durchführungsbestimmungen der Abs. 2 und 3 dieses Artikels werden gemäß dessen Abs. 1 in den Art. 71 („Anwendung von Kürzungen bei Fahrlässigkeit“) und 72 („Anwendung von Kürzungen und Ausschlüssen bei Vorsatz“) der Verordnung Nr. 1122/2009 konkretisiert.

23

Da Art. 71 der Verordnung Nr. 1122/2009 im Fall von Fahrlässigkeit und ihr Art. 72 im Fall von Vorsatz zur Anwendung kommt, kann keiner dieser Artikel eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die sowohl vorsätzliche als auch fahrlässige Verstöße umfasst, allein regeln.

24

Überdies sieht Art. 71 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1122/2009 vor, dass in Fällen, in denen ein wiederholter Verstoß zusammen mit einem anderen Verstoß oder einem anderen wiederholten Verstoß festgestellt wird, die sich ergebenden Kürzungsprozentsätze addiert werden, wobei der Höchstprozentsatz – unbeschadet Art. 71 Abs. 5 Unterabs. 3 – 15 % des in Art. 70 Abs. 8 genannten Gesamtbetrags nicht überschreiten darf. Dagegen sieht Art. 72 Abs. 1 dieser Verordnung im Fall eines vorsätzlichen Verstoßes eine Kürzung von 20 % vor, die gleichwohl auf nicht weniger als 15 % des Gesamtbetrags der gewährten oder zu gewährenden Direktzahlungen vermindert oder auf 100 % dieses Betrags erhöht werden kann.

25

Somit würde die Kürzung des Gesamtbetrags der gewährten oder zu gewährenden Direktzahlungen, wenn Art. 71 Abs. 6 dieser Verordnung, wie die Kläger des Ausgangsverfahrens geltend machen, eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende allein regeln würde, 15 % nicht übersteigen, was den Mindestprozentsatz im Fall der Feststellung eines einzigen vorsätzlichen Verstoßes darstellt, und weniger als 20 % betragen, was dem Prozentsatz entspricht, der in der Regel in einem solchen Fall heranzuziehen ist.

26

Eine solche Auslegung hätte, wie der Generalanwalt in Nr. 37 seiner Schlussanträge dargelegt hat, zunächst zur Folge, Art. 72 der Verordnung Nr. 1122/2009 seine praktische Wirksamkeit zu nehmen. Sodann stünde sie im Widerspruch zum Ziel dieser Verordnung, das nach Rn. 35 des Urteils vom 13. Dezember 2012, Maatschap L.A. en D.A.B. Langestraat en P. Langestraat-Troost (C‑11/12, EU:C:2012:808), darin besteht, die Einhaltung der anderweitigen Verpflichtungen zu fördern. Schließlich verstieße sie gegen Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 73/2009, der vorschreibt, dass jede Handlung oder Unterlassung grundsätzlich zu einer Kürzung des Gesamtbetrags der gewährten oder zu gewährenden Direktzahlungen führt, und gegen Art. 24 Abs. 1 dieser Verordnung, wonach die nationalen Behörden u. a. die Schwere der Nichteinhaltung der anderweitigen Verpflichtungen zu berücksichtigen haben.

27

Ebenso kann Art. 72 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1122/2009, wie der Generalanwalt in Nr. 51 seiner Schlussanträge dargelegt hat, eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht allein regeln, und zwar nicht nur wegen der Überschrift dieses Artikels, sondern auch wegen des Wortlauts dieser Bestimmung, der nur den Fall des „vorsätzlich“ begangenen Verstoßes nennt.

28

Ferner sind nach dem Wortlaut von Art. 70 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1122/2009 für die Festsetzung der Kürzung gemäß Art. 71 Abs. 1 und Art. 72 Abs. 1 dieser Verordnung mehrere Verstöße, die in Bezug auf die verschiedenen Rechtsakte oder Normen desselben Bereichs festgestellt wurden, als ein einziger Verstoß anzusehen.

29

Aus dieser Bestimmung in Verbindung mit den Art. 71 und 72 dieser Verordnung ergibt sich zum einen, dass mehrere Verstöße im selben Bereich, die auf Fahrlässigkeit zurückzuführen sind, einen einzigen auf Fahrlässigkeit zurückzuführenden Verstoß darstellen, und zum anderen, dass auch vorsätzliche Verstöße im selben Bereich einen einzigen vorsätzlichen Verstoß darstellen.

30

Somit ist in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden der Prozentsatz für die Kürzung des Gesamtbetrags der gewährten oder zu gewährenden Direktzahlungen für Verstöße, die auf Fahrlässigkeit zurückzuführen sind, nach Art. 71 der Verordnung Nr. 1122/2009 festzusetzen und parallel dazu der Kürzungsprozentsatz für vorsätzliche Verstöße nach Art. 72 der Verordnung Nr. 1122/2009 zu ermitteln.

31

Anschließend sind – unbeschadet von Art. 24 Abs. 4 der Verordnung Nr. 73/2009, der eine Obergrenze für die Gesamthöhe der Kürzungen und Ausschlüsse in einem Kalenderjahr vorsieht, und in Ermangelung einer anderen Bestimmung in den Verordnungen Nrn. 73/2009 und 1122/2009, die sowohl auf Fahrlässigkeit zurückzuführende als auch vorsätzliche Verstöße regelt – die beiden nach den Art. 71 und 72 der Verordnung Nr. 1122/2009 ermittelten Prozentsätze zu addieren.

32

Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass die Art. 70 bis 72 der Verordnung Nr. 1122/2009 in Verbindung mit den Art. 23 und 24 der Verordnung Nr. 73/2009 dahin auszulegen sind, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der mehrere Verstöße im selben Bereich festgestellt wurden, die aufgrund von Verstößen, die auf Fahrlässigkeit zurückzuführen sind, vorzunehmende Kürzung des Gesamtbetrags der gewährten oder zu gewährenden Direktzahlungen und die wegen vorsätzlicher Verstöße vorzunehmende Kürzung zu addieren sind, wobei der Gesamtbetrag der Kürzungen in einem Kalenderjahr unter Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und ohne Überschreitung des in Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 73/2009 vorgesehenen Gesamtbetrags festzusetzen ist.

Zur dritten Frage

33

Da die dritte Frage hilfsweise für den Fall gestellt wird, dass die erste und die zweite Frage verneint werden sollten, ist auf die dritte Frage nicht zu antworten.

Kosten

34

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Art. 70 bis 72 der Verordnung (EG) Nr. 1122/2009 der Kommission vom 30. November 2009 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates hinsichtlich der Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen, der Modulation und des integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems im Rahmen der Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe gemäß der genannten Verordnung und mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates hinsichtlich der Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen im Rahmen der Stützungsregelung für den Weinsektor in Verbindung mit den Art. 23 und 24 der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates vom 19. Januar 2009 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1290/2005, (EG) Nr. 247/2006, (EG) Nr. 378/2007 sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 sind dahin auszulegen, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der mehrere Verstöße im selben Bereich festgestellt wurden, die aufgrund von Verstößen, die auf Fahrlässigkeit zurückzuführen sind, vorzunehmende Kürzung des Gesamtbetrags der gewährten oder zu gewährenden Direktzahlungen und die wegen vorsätzlicher Verstöße vorzunehmende Kürzung zu addieren sind, wobei der Gesamtbetrag der Kürzungen in einem Kalenderjahr unter Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und ohne Überschreitung des in Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 73/2009 vorgesehenen Gesamtbetrags festzusetzen ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.

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