Beschluss vom Europäischer Gerichtshof - C-269/18

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

5. Juli 2018 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Eilvorabentscheidungsverfahren – Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes – Richtlinie 2013/32/EU – Art. 46 Abs. 6 und 8 – Offensichtlich unbegründeter Antrag auf internationalen Schutz – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf – Genehmigung, sich weiterhin im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufzuhalten – Richtlinie 2008/115/EG – Art. 2, 3 und 15 – Illegaler Aufenthalt – Inhaftnahme“

In der Rechtssache C‑269/18 PPU

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Raad van State (Staatsrat, Niederlande) mit Entscheidung vom 19. April 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 19. April 2018, in dem Verfahren

Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie

gegen

C

und

J,

S

gegen

Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter C. G. Fernlund, J.–C. Bonichot (Berichterstatter), A. Arabadjiev und E. Regan,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des Antrags des vorlegenden Gerichts vom 19. April 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 19. April 2018, das Vorabentscheidungsersuchen dem Eilverfahren gemäß Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen,

aufgrund der Entscheidung der Ersten Kammer vom 15. Mai 2018, dem Antrag stattzugeben,

folgenden

Beschluss

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98) sowie von Art. 46 Abs. 6 Buchst. a und Art. 46 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von drei Rechtsstreitigkeiten, erstens des Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie (Staatssekretär für Sicherheit und Justiz, Niederlande) (im Folgenden: Staatssekretär) gegen C sowie zweitens und drittens von J und S gegen den Staatssekretär, über die Rechtmäßigkeit der Inhaftierungen von C, J und S nach der Ablehnung ihrer Anträge auf internationalen Schutz als offensichtlich unbegründet im Sinne von Art. 32 Abs. 2 und Art. 46 Abs. 6 Buchst. a der Richtlinie 2013/32.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2008/115

3

Die Erwägungsgründe 9 und 12 der Richtlinie 2008/115 lauten:

„(9)

Gemäß der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft [(ABl. 2005, L 326, S. 13)] sollten Drittstaatsangehörige, die in einem Mitgliedstaat Asyl beantragt haben, so lange nicht als illegal im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhältige Person gelten, bis eine abschlägige Entscheidung über den Antrag oder eine Entscheidung, mit der [ihr] Aufenthaltsrecht als Asylbewerber beendet wird, bestandskräftig geworden ist.

(12)

Die Situation von Drittstaatsangehörigen, die sich unrechtmäßig im Land aufhalten, aber noch nicht abgeschoben werden können, sollte geregelt werden. …“

4

Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 bestimmt:

„Diese Richtlinie findet Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige.“

5

In Art. 3 der Richtlinie heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke

2.

‚illegaler Aufenthalt‘: die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats;

3.

‚Rückkehr‘: die Rückreise von Drittstaatsangehörigen – in freiwilliger Erfüllung einer Rückkehrverpflichtung oder erzwungener Rückführung – in

deren Herkunftsland oder

ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder

ein anderes Drittland, in das der betreffende Drittstaatsangehörige freiwillig zurückkehren will und in dem er aufgenommen wird;

4.

‚Rückkehrentscheidung‘: die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird;

…“

6

Art. 6 („Rückkehrentscheidung“) der Richtlinie sieht vor:

„(1)   Unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 bis 5 erlassen die Mitgliedstaaten gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung.

(4)   Die Mitgliedstaaten können jederzeit beschließen, illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen wegen Vorliegen eines Härtefalls oder aus humanitären oder sonstigen Gründen einen eigenen Aufenthaltstitel oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. In diesem Fall wird keine Rückkehrentscheidung erlassen. Ist bereits eine Rückkehrentscheidung ergangen, so ist diese zurückzunehmen oder für die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels oder der sonstigen Aufenthaltsberechtigung auszusetzen.

(6)   Durch diese Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert werden, entsprechend ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften und unbeschadet der nach Kapitel III und nach anderen einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts und des einzelstaatlichen Rechts verfügbaren Verfahrensgarantien mit einer einzigen behördlichen oder richterlichen Entscheidung eine Entscheidung über die Beendigung eines legalen Aufenthalts sowie eine Rückkehrentscheidung und/oder eine Entscheidung über eine Abschiebung und/oder ein Einreiseverbot zu erlassen.“

7

Art. 13 Abs. 1 und 2 der Richtlinie bestimmt:

„(1)   Die betreffenden Drittstaatsangehörigen haben das Recht, bei einer zuständigen Justiz- oder Verwaltungsbehörde oder einem zuständigen Gremium, dessen Mitglieder unparteiisch sind und deren Unabhängigkeit garantiert wird, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr nach Artikel 12 Absatz 1 einzulegen oder die Überprüfung solcher Entscheidungen zu beantragen.

(2)   Die in Absatz 1 genannte Behörde oder dieses Gremium ist befugt, Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr nach Artikel 12 Absatz 1 zu überprüfen, und hat auch die Möglichkeit, ihre Vollstreckung einstweilig auszusetzen, sofern eine einstweilige Aussetzung nicht bereits im Rahmen der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften anwendbar ist.“

8

Art. 15 der Richtlinie 2008/115 sieht vor:

„(1)   Sofern in dem konkreten Fall keine anderen ausreichenden, jedoch weniger intensiven Zwangsmaßnahmen wirksam angewandt werden können, dürfen die Mitgliedstaaten Drittstaatsangehörige, gegen die ein Rückkehrverfahren anhängig ist, nur in Haft nehmen, um deren Rückkehr vorzubereiten und/oder die Abschiebung durchzuführen, und zwar insbesondere dann, wenn

a)

Fluchtgefahr besteht oder

b)

die betreffenden Drittstaatsangehörigen die Vorbereitung der Rückkehr oder das Abschiebungsverfahren umgehen oder behindern.

Die Haftdauer hat so kurz wie möglich zu sein und sich nur auf die Dauer der laufenden Abschiebungsvorkehrungen [zu] erstrecken, solange diese mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt werden.

(5)   Die Haft wird so lange aufrechterhalten, wie die in Absatz 1 dargelegten Umstände gegeben sind und wie dies erforderlich ist, um den erfolgreichen Vollzug der Abschiebung zu gewährleisten. Jeder Mitgliedstaat legt eine Höchsthaftdauer fest, die sechs Monate nicht überschreiten darf.

(6)   Die Mitgliedstaaten dürfen den in Absatz 5 genannten Zeitraum nicht verlängern; lediglich in den Fällen, in denen die Abschiebungsmaßnahme trotz ihrer angemessenen Bemühungen aufgrund der nachstehend genannten Faktoren wahrscheinlich länger dauern wird, dürfen sie diesen Zeitraum im Einklang mit dem einzelstaatlichen Recht um höchstens zwölf Monate verlängern:

a)

mangelnde Kooperationsbereitschaft seitens der betroffenen Drittstaatsangehörigen oder

b)

Verzögerungen bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten.“

Richtlinie 2013/32

9

Art. 1 der Richtlinie 2013/32 bestimmt:

„Mit dieser Richtlinie werden gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes gemäß der Richtlinie 2011/95/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9)] eingeführt.“

10

Art. 31 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32 lautet:

„Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass das Prüfungsverfahren im Einklang mit den Grundsätzen und Garantien nach Kapitel II beschleunigt und/oder an der Grenze oder in Transitzonen nach Maßgabe von Artikel 43 durchgeführt wird, wenn

a)

der Antragsteller bei der Einreichung seines Antrags und der Darlegung der Tatsachen nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung der Frage, ob er als Flüchtling oder Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie [2011/95] anzuerkennen ist, nicht von Belang sind, oder

b)

der Antragsteller aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne dieser Richtlinie kommt oder

c)

der Antragsteller die Behörden durch falsche Angaben oder Dokumente oder durch Verschweigen wichtiger Informationen oder durch Zurückhalten von Dokumenten über seine Identität und/oder Staatsangehörigkeit, die sich negativ auf die Entscheidung hätten auswirken können, getäuscht hat oder

d)

angenommen werden kann, dass der Antragsteller ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt hat, oder

e)

der Antragsteller eindeutig unstimmige und widersprüchliche, eindeutig falsche oder offensichtlich unwahrscheinliche Angaben gemacht hat, die im Widerspruch zu hinreichend gesicherten Herkunftslandinformationen stehen, so dass die Begründung für seine Behauptung, dass er [als] Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie [2011/95] anzusehen ist, offensichtlich nicht überzeugend ist;

f)

der Antragsteller einen Folgeantrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der gemäß Artikel 40 Absatz 5 nicht unzulässig ist, oder

g)

der Antragsteller den Antrag nur zur Verzögerung oder Behinderung der Vollstreckung einer bereits getroffenen oder unmittelbar bevorstehenden Entscheidung stellt, die zu seiner Abschiebung führen würde, oder

h)

der Antragsteller unrechtmäßig in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats eingereist ist oder seinen Aufenthalt unrechtmäßig verlängert hat und es ohne stichhaltigen Grund versäumt hat, zum angesichts der Umstände seiner Einreise frühestmöglichen Zeitpunkt bei den Behörden vorstellig zu werden oder einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, oder

i)

der Antragsteller sich weigert, der Verpflichtung zur Abnahme seiner Fingerabdrücke gemäß der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 [über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT‑Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (ABl. 2013, L 180, S. 1)] nachzukommen, oder

j)

es schwerwiegende Gründe für die Annahme gibt, dass der Antragsteller eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung des Mitgliedstaats darstellt oder er aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung nach nationalem Recht zwangsausgewiesen wurde.“

11

Art. 32 der Richtlinie 2013/32 sieht vor:

„(1)   Unbeschadet des Artikels 27 können die Mitgliedstaaten einen Antrag nur dann als unbegründet betrachten, wenn die Asylbehörde festgestellt hat, dass der Antragsteller nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes nach Maßgabe der Richtlinie [2011/95] erfüllt.

(2)   Im Falle von unbegründeten Anträgen, bei denen einer der in Artikel 31 Absatz 8 aufgeführten Umstände gegeben ist, können die Mitgliedstaaten einen Antrag ferner als offensichtlich unbegründet betrachten, wenn dies so in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen ist.“

12

In Art. 46 der Richtlinie 2013/32 heißt es:

„…

(5)   Unbeschadet des Absatzes 6 gestatten die Mitgliedstaaten den Antragstellern den Verbleib im Hoheitsgebiet bis zum Ablauf der Frist für die Ausübung des Rechts der Antragsteller auf einen wirksamen Rechtsbehelf und, wenn ein solches Recht fristgemäß ausgeübt wurde, bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf.

(6)   Im Fall einer Entscheidung,

a)

einen Antrag im Einklang mit Artikel 32 Absatz 2 als offensichtlich unbegründet oder nach Prüfung gemäß Artikel 31 Absatz 8 als unbegründet zu betrachten, es sei denn, diese Entscheidungen sind auf die in Artikel 31 Absatz 8 Buchstabe h aufgeführten Umstände gestützt,

ist das Gericht befugt, entweder auf Antrag des Antragstellers oder von Amts wegen darüber zu entscheiden, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, wenn die Entscheidung zur Folge hat, das Recht des Antragstellers auf Verbleib in dem Mitgliedstaat zu beenden und wenn in diesen Fällen das Recht auf Verbleib in dem betreffenden Mitgliedstaat bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im nationalen Recht nicht vorgesehen ist.

(8)   Die Mitgliedstaaten gestatten dem Antragsteller, bis zur Entscheidung in dem Verfahren nach den Absätzen 6 und 7 darüber, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, im Hoheitsgebiet zu verbleiben.

…“

Niederländisches Recht

13

Art. 8 der Vreemdelingenwet 2000 (Ausländergesetz von 2000) sieht vor:

„Der Ausländer hält sich nur dann rechtmäßig in den Niederlanden auf,

h)

wenn in Erwartung der Entscheidung über einen Einspruch oder eine Berufung nach diesem Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes oder einer gerichtlichen Entscheidung die Abschiebung des Antragstellers unterbleiben muss, bis über seinen Antrag entschieden ist;

…“

14

In Art. 59 Abs. 1 dieses Gesetzes heißt es:

„Wenn die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit es erfordern, kann durch [den Staatssekretär] ein Ausländer zwecks Rückführung in Haft genommen werden, wenn sein

a)

Aufenthalt nicht rechtmäßig ist;

b)

Aufenthalt gemäß Art. 8 Buchst. f, g und h rechtmäßig ist, ohne dass er ein Ausländer im Sinne von Art. 59a oder 59b ist;

…“

15

Nach Art. 59 Abs. 5 des Ausländergesetzes von 2000 darf die Haft unbeschadet des Abs. 4 sechs Monate nicht überschreiten.

16

Art. 59 Abs. 6 des Ausländergesetzes von 2000 bestimmt, dass abweichend von Abs. 5 und unbeschadet des Abs. 4 die Inhaftierung nach Abs. 1 dieses Artikels um bis zu zwölf weitere Monate verlängert werden kann, wenn trotz aller angemessenen Anstrengungen die Rückführung wegen mangelnder Zusammenarbeit des Ausländers oder des Fehlens der dafür von Drittländern erforderlichen Dokumente gegebenenfalls mehr Zeit erfordert.

17

Art. 59b dieses Gesetzes bestimmt:

„(1)   Der Ausländer, dessen Aufenthalt nach Art. 8 Buchst. f, g und h rechtmäßig ist, kann, sofern es sich um einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung im Sinne von Art. 28 handelt, durch [den Staatssekretär] in Haft genommen werden, wenn

a)

die Inhaftierung erforderlich ist, um die Identität oder Staatsangehörigkeit des Ausländers festzustellen;

b)

die Inhaftierung erforderlich ist, um Beweise zu sichern, die für die Beurteilung eines Antrags auf Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis im Sinne von Art. 28 benötigt werden, insbesondere wenn die Gefahr besteht, dass er sich dem Zugriff entziehen wird;

c)

der Ausländer

sich im Rahmen eines Rückkehrverfahrens gemäß der Rückführungsrichtlinie in Haft befindet,

bereits die Möglichkeit hatte, Zugang zum Asylverfahren zu erhalten, und

es hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass er den Antrag nur gestellt hat, um die Vollstreckung der Rückkehrentscheidung zu verzögern oder zu vereiteln, oder

d)

der Ausländer eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung im Sinne von Art. 8 Abs. 3 Buchst. e der [Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. 2013, L 180, S. 96)] darstellt.

…“

18

Art. 82 dieses Gesetzes sieht vor:

„(1)   Die Auswirkung der Entscheidung über eine Aufenthaltserlaubnis ruht bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist oder, wenn ein Rechtsbehelf eingelegt worden ist, bis hierüber eine Entscheidung ergangen ist.

(2)   Abs. 1 gilt nicht, wenn

c)

der Antrag als offensichtlich unbegründet gemäß Art. 30b abgelehnt wird, mit Ausnahme von Art. 30b Abs. 1 Buchst. h;

(6)   Nähere Vorschriften können durch oder aufgrund einer allgemeinen Verwaltungsmaßnahme im Hinblick auf das Recht, sich bis zur Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Anordnungen in den Niederlanden aufzuhalten oder nicht, festgelegt werden.“

19

In Art. 7.3 des Vreemdelingenbesluit 2000 (Ausländerverordnung 2000) heißt es:

„(1)   Wenn ein Antrag auf einstweilige Anordnungen gestellt wird, um zu verhindern, dass die Rückführung vor der Entscheidung über einen Rechtsbehelf gegen eine im Rahmen eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne von Art. 28 des [Ausländergesetzes von 2000] erlassene Entscheidung erfolgt, darf sich der Antragsteller bis zur Entscheidung über diesen Antrag im Land aufhalten.

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

20

Das Ausgangsverfahren betrifft drei Drittstaatsangehörige, nämlich C, J und S, deren Anträge auf internationalen Schutz vom Staatssekretär als offensichtlich unbegründet im Sinne von Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 abgelehnt wurden und die danach in Anwendung von Art. 59 Abs. 1 Buchst. a des Ausländergesetzes von 2000, mit dem Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 umgesetzt wird, in Haft genommen wurden, um ihre Rückkehr vorzubereiten.

21

Aus den dem Gerichtshof zur Verfügung stehenden Akten ergibt sich, dass der Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung, mit der ein von einem Drittstaatsangehörigen gestellter Antrag auf internationalen Schutz als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen wurde, keine aufschiebende Wirkung hat. Der Drittstaatsangehörige kann sich jedoch an das Gericht wenden, damit er bis zur Entscheidung über die Begründetheit des Rechtsbehelfs im niederländischen Hoheitsgebiet bleiben darf, und er kann dort bleiben, bis die Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Anordnungen ergeht.

22

Der von C am 23. November 2011 eingereichte Antrag auf internationalen Schutz wurde am 11. April 2017 abgelehnt. C wurde am 13. April 2017 in Haft genommen. Nachdem das erstinstanzliche Gericht feststellte, dass die Inhaftnahme auf einer falschen Rechtsgrundlage beruht habe, legte der Staatssekretär Berufung beim Raad van State (Staatsrat, Niederlande) ein.

23

Am 31. Juli 2017 wies die Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Zwolle (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Zwolle, Niederlande), den von C eingereichten Antrag auf einstweilige Anordnungen zurück, und am 15. August 2017 wurde er abgeschoben.

24

Der von J am 13. September 2017 eingereichte Antrag auf internationalen Schutz wurde am 24. Oktober 2017 abgelehnt. Am selben Tag wurde J in Haft genommen. Nachdem die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme in erster Instanz bestätigt wurde, legte J Berufung beim Raad van State (Staatsrat) ein.

25

Am 29. März 2018 gab die Rechtbank Den Haag, zittingsplaats Rotterdam (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Rotterdam, Niederlande), der Klage von J gegen die Fortdauer der Inhaftierung statt. Das Gericht stellte dabei darauf ab, dass J sich am 12. März 2018 seit sechs Monaten ununterbrochen in Haft befunden habe und dass der Staatssekretär keine Interessenabwägung in Bezug auf die Fortsetzung der Haft vorgenommen habe.

26

Der von S am 17. Juni 2017 eingereichte Antrag auf internationalen Schutz wurde am 6. November 2017 abgelehnt. Am 6. Dezember 2017 wurde S in Haft genommen. Nachdem das erstinstanzliche Gericht die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme bestätigt hatte, legte S Berufung beim Raad van State (Staatsrat) ein.

27

Das vorlegende Gericht hat dem Gerichtshof in Beantwortung eines Ersuchens um Klarstellung nach Art. 101 der Verfahrensordnung mitgeteilt, dass der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter der Rechtbank Den Haag (Bezirksgericht Den Haag, Niederlande) mit Entscheidung vom 14. Dezember 2017 den von S eingereichten Antrag auf einstweilige Anordnungen abgelehnt habe, so dass kein Anlass bestanden habe, die Inhaftierung zu beenden.

28

Der Raad van State (Staatsrat) weist darauf hin, dass C, J und S auf der Grundlage von Art. 59 Abs. 1 Buchst. a des Ausländergesetzes von 2000, mit dem Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 umgesetzt werde, in Haft genommen worden seien und dass diese Rechtsgrundlage nur dann herangezogen werden dürfe, wenn der Aufenthalt der Betroffenen im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 2008/115 illegal sei.

29

Ferner weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass sich nach niederländischem Recht eine Person, die einen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung einlege, mit der ihr Antrag auf internationalen Schutz als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sei, illegal im Hoheitsgebiet aufhalte, da nach Art. 82 Abs. 2 Buchst. c des Ausländergesetzes von 2000, mit dem Art. 46 Abs. 6 Buchst. a der Richtlinie 2013/32 umgesetzt werde, ein Rechtsbehelf gegen eine solche Entscheidung nicht automatisch aufschiebende Wirkung habe.

30

Zwar könne nach Art. 7.3 Abs. 1 der Ausländerverordnung von 2000, mit dem Art. 46 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32 umgesetzt werde, ein Drittstaatsangehöriger, dessen Antrag auf internationalen Schutz als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sei, einstweilige Anordnungen beantragen, die es ihm erlaubten, im Hoheitsgebiet zu verbleiben. In diesem Fall gestatte ihm das niederländische Recht den Verbleib im Hoheitsgebiet bis zur Entscheidung über diesen Antrag. Sein Aufenthalt könne jedoch erst dann als rechtmäßig angesehen werden, wenn der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter dem Antrag auf einstweilige Anordnungen stattgegeben habe.

31

Es sei nicht ausgeschlossen, dass die derart ausgelegten nationalen Bestimmungen gegen das Unionsrecht, insbesondere gegen Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32 im Licht ihres Art. 46 Abs. 5, verstießen. In Nr. 55 seiner Schlussanträge vom 15. Juni 2017 in der Rechtssache Gnandi (C‑181/16, EU:C:2017:467) habe Generalanwalt Mengozzi nämlich den Rn. 44 bis 49 des Urteils vom 30. Mai 2013, Arslan (C‑534/11, EU:C:2013:343), entnommen, dass „ein Drittstaatsangehöriger, der Asyl beantragt hat, nicht als im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem er seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, illegal aufhältig gelten kann, solange er aufgrund des Unionsrechts oder des nationalen Rechts berechtigt ist, sich – bis zum Ausgang des Verfahrens über diesen Antrag – in diesem Hoheitsgebiet aufzuhalten“.

32

Um zu klären, ob in den vorliegenden Rechtssachen die Inhaftierungen zu Recht erfolgt seien, müsse daher geprüft werden, ob eine Gestattung des Verbleibs durch einen Mitgliedstaat im Einklang mit Art. 46 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32 der Einstufung des Aufenthalts des Betroffenen als illegal entgegenstehe, solange nicht über seinen Antrag auf einstweilige Anordnungen entschieden worden sei.

33

Unter diesen Umständen hat der Raad van State (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Zum Eilverfahren

34

Das vorlegende Gericht hat beantragt, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem in Art. 107 der Verfahrensordnung vorgesehenen Eilvorabentscheidungsverfahren zu unterwerfen.

35

Zur Stützung seines Antrags führt es aus, S befinde sich derzeit in Haft. Sofern auf die erste Vorlagefrage geantwortet werde, dass sich S im Anschluss an seinen Antrag auf einstweilige Anordnungen rechtmäßig im niederländischen Hoheitsgebiet aufhalte, wäre er zu Unrecht nach Art. 59 Abs. 1 Buchst. a des Ausländergesetzes von 2000 inhaftiert worden.

36

Insoweit ist erstens festzustellen, dass das vorliegende, die Auslegung der Richtlinien 2008/115 und 2013/32 betreffende Vorabentscheidungsersuchen Fragen aufwirft, die unter Titel V des Dritten Teils des AEU-Vertrags fallen. Es kommt daher für das in Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und in Art. 107 seiner Verfahrensordnung vorgesehene Eilvorabentscheidungsverfahren in Betracht.

37

Zweitens befand sich S zum Zeitpunkt der Prüfung des Antrags, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilvorabentscheidungsverfahren zu unterwerfen, in Haft, und die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits kann zu seiner sofortigen Freilassung führen.

38

Da C aus dem niederländischen Hoheitsgebiet abgeschoben wurde und J nicht mehr in Haft ist, ist das Eilvorabentscheidungsverfahren in ihren Fällen dagegen nicht gerechtfertigt.

39

In Anbetracht dessen und im Hinblick auf die Situation von S hat die Erste Kammer des Gerichtshofs am 15. Mai 2018 auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts entschieden, dem Antrag des vorlegenden Gerichts, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilvorabentscheidungsverfahren zu unterwerfen, stattzugeben.

Zu den Vorlagefragen

40

Nach Art. 99 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage mit einer Frage übereinstimmt, über die er bereits entschieden hat, wenn die Antwort auf eine solche Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder wenn die Beantwortung der zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden.

41

Diese Bestimmung ist im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens anzuwenden.

42

Das vorlegende Gericht wirft, ausgehend von dem Grundsatz, dass nur eine Person, die sich illegal im nationalen Hoheitsgebiet aufhält, in Haft genommen werden kann, die Frage auf, ob die Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen ist, dass der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen, der gegen die Entscheidung, seinen Antrag auf internationalen Schutz als offensichtlich unbegründet abzulehnen, Klage erhoben hat, als rechtmäßig anzusehen ist, da ihm nach Art. 46 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32 zu gestatten ist, bis zur Entscheidung in dem Verfahren, in dem darüber befunden wird, ob er bis zur Entscheidung über seine Klage im Hoheitsgebiet verbleiben darf, dort zu bleiben. Bejahendenfalls stünde die Richtlinie 2008/115 nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegen, nach denen der Aufenthalt einer solchen Person als illegal anzusehen ist, so dass sie inhaftiert werden kann.

43

Mit seinen Vorlagefragen möchte dieses Gericht daher wissen, ob die Richtlinien 2008/115 und 2013/32 dahin auszulegen sind, dass sie dem entgegenstehen, dass ein Drittstaatsangehöriger, dessen Antrag auf internationalen Schutz erstinstanzlich von der zuständigen Verwaltungsbehörde als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, zwecks Abschiebung in Haft genommen wird, wenn er gemäß Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32 berechtigt ist, im Hoheitsgebiet zu bleiben, bis über seinen das Recht zum Verbleib im Hoheitsgebiet bis zur Entscheidung über die Klage gegen die Ablehnung seines Antrags auf internationalen Schutz betreffenden Rechtsbehelf entschieden wurde.

44

Nach ihrem Art. 2 Abs. 1 findet die Richtlinie 2008/115 Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Nach ihrem Art. 6 Abs. 1 erlassen die Mitgliedstaaten grundsätzlich gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C‑181/16, EU:C:2018:465, Rn. 37).

45

Aus der Definition des Begriffs „illegaler Aufenthalt“ in Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2008/115 geht hervor, dass jeder Drittstaatsangehörige, der sich, ohne die Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt zu erfüllen, in dessen Hoheitsgebiet befindet, schon allein deswegen dort illegal aufhältig ist (Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C‑181/16, EU:C:2018:465, Rn. 39).

46

Es trifft zu, dass der Gerichtshof in den Rn. 47 und 49 des Urteils vom 30. Mai 2013, Arslan (C‑534/11, EU:C:2013:343), entschieden hat, dass eine zur wirksamen Ausübung eines Rechtsbehelfs gegen die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz erteilte Berechtigung zum Verbleib im Hoheitsgebiet verhindert, dass auf den Drittstaatsangehörigen, der den Antrag gestellt hat, bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen seine Ablehnung die Richtlinie 2008/115 Anwendung findet (Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C‑181/16, EU:C:2018:465‚ Rn. 43).

47

Aus diesem Urteil lässt sich jedoch nicht ableiten, dass eine solche Bleibeberechtigung die Annahme ausschlösse, dass ab der Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz und vorbehaltlich des Vorliegens einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Aufenthaltstitels der Aufenthalt des Betroffenen illegal im Sinne der Richtlinie 2008/115 wird. Vielmehr ist ein Drittstaatsangehöriger – es sei denn, ihm wurde eine Aufenthaltsberechtigung oder ein Aufenthaltstitel im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 erteilt – ab der erstinstanzlichen Ablehnung seines Antrags auf internationalen Schutz durch die zuständige Behörde illegal aufhältig im Sinne dieser Richtlinie, unabhängig vom Vorliegen einer Bleibeberechtigung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung (Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C‑181/16, EU:C:2018:465‚ Rn. 44 und 59).

48

Somit kann gegen den Betroffenen grundsätzlich ab der Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz oder zusammen mit ihr in einer einzigen behördlichen Entscheidung eine Rückkehrentscheidung erlassen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C‑181/16, EU:C:2018:465‚ Rn. 59).

49

Gleichwohl ist hervorzuheben, dass die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen haben, dass bei jeder Rückkehrentscheidung die in Kapitel III der Richtlinie 2008/115 genannten Verfahrensgarantien und die übrigen einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts und des einzelstaatlichen Rechts beachtet werden. Eine solche Pflicht ist in Art. 6 Abs. 6 der Richtlinie ausdrücklich für den Fall vorgesehen, dass die Rückkehrentscheidung zusammen mit der erstinstanzlichen Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz durch die zuständige Behörde ergeht. Sie muss auch in einer Situation zur Anwendung kommen, in der die Rückkehrentscheidung unmittelbar nach der Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz in einer gesonderten behördlichen Entscheidung von einer anderen Behörde getroffen wurde (Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C‑181/16, EU:C:2018:465‚ Rn. 60).

50

In diesem Zusammenhang haben die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, dass der Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz seine volle Wirksamkeit entfaltet, so dass während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt wird, bis zur Entscheidung über ihn u. a. alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C‑181/16, EU:C:2018:465‚ Rn. 61).

51

Insoweit impliziert das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf, dass alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung ausgesetzt werden, was insbesondere zur Folge hat, dass der Betroffene nicht gemäß Art. 15 der Richtlinie 2008/115 für die Zwecke der Abschiebung inhaftiert werden darf, solange er ein Bleiberecht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C‑181/16, EU:C:2018:465‚ Rn. 62).

52

Das Gleiche gilt für einen Drittstaatsangehörigen, dessen Antrag auf internationalen Schutz im Einklang mit Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde.

53

Es trifft zu, dass der Betroffene in diesem Fall nach Art. 46 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2013/32 kein volles Bleiberecht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf hat. Im Einklang mit den Anforderungen von Art. 46 Abs. 6 letzter Unterabsatz der Richtlinie muss er jedoch ein Gericht anrufen können, das darüber zu entscheiden hat, ob er in diesem Hoheitsgebiet verbleiben kann, bis in der Sache über seinen Rechtsbehelf entschieden wird. Art. 46 Abs. 8 der Richtlinie sieht vor, dass der betreffende Mitgliedstaat dem Betroffenen bis zur Entscheidung über sein Bleiberecht in diesem Verfahren gestatten muss, in seinem Hoheitsgebiet zu verbleiben.

54

Aus alledem ergibt sich, dass ein Drittstaatsangehöriger, dessen Antrag auf internationalen Schutz als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, während der Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen den ablehnenden Bescheid nicht nach Art. 15 der Richtlinie 2008/115 in Haft genommen werden darf. Ist ein solcher Rechtsbehelf eingelegt worden, darf der Betroffene nicht mehr auf der Grundlage dieses Artikels in Haft genommen werden, solange er gemäß Art. 46 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32 im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats verbleiben darf.

55

In Anbetracht all dieser Erwägungen ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass die Richtlinien 2008/115 und 2013/32 dahin auszulegen sind, dass sie dem entgegenstehen, dass ein Drittstaatsangehöriger, dessen Antrag auf internationalen Schutz erstinstanzlich von der zuständigen Verwaltungsbehörde als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, zwecks Abschiebung in Haft genommen wird, wenn er gemäß Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32 berechtigt ist, im Hoheitsgebiet zu bleiben, bis über seinen das Recht zum Verbleib im Hoheitsgebiet bis zur Entscheidung über die Klage gegen die Ablehnung seines Antrags auf internationalen Schutz betreffenden Rechtsbehelf entschieden wurde.

Kosten

56

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger und die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes sind dahin auszulegen, dass sie dem entgegenstehen, dass ein Drittstaatsangehöriger, dessen Antrag auf internationalen Schutz erstinstanzlich von der zuständigen Verwaltungsbehörde als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, zwecks Abschiebung in Haft genommen wird, wenn er gemäß Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32 berechtigt ist, im Hoheitsgebiet zu bleiben, bis über seinen das Recht zum Verbleib im Hoheitsgebiet bis zur Entscheidung über die Klage gegen die Ablehnung seines Antrags auf internationalen Schutz betreffenden Rechtsbehelf entschieden wurde.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.

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