Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-574/17

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

25. Juli 2018 ( *1 )

„Rechtsmittel – Zollunion – Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 – Art. 239 – Erlass von Einfuhrabgaben – Einfuhr von Leinengewebe aus Lettland zwischen 1999 und 2002 – Besonderer Fall – Überwachungs- und Kontrollpflichten – Geltend gemachte Bestechlichkeit der Zollbehörden – Unechte Verkehrsbescheinigung – Gegenseitiges Vertrauen“

In der Rechtssache C‑574/17 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 28. September 2017,

Europäische Kommission, vertreten durch A. Caeiros und B.‑R. Killmann als Bevollmächtigte,

Rechtsmittelführerin,

andere Partei des Verfahrens:

Combaro SA mit Sitz in Lausanne (Schweiz), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt D. Ehle,

Klägerin im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter) sowie der Richter J. Malenovský, M. Safjan, D. Šváby und M. Vilaras,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Mit ihrem Rechtsmittel begehrt die Europäische Kommission die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 19. Juli 2017, Combaro/Kommission (T‑752/14, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2017:529), mit dem dieses den Beschluss C(2014) 4908 final der Kommission vom 16. Juli 2014 zur Feststellung, dass in einem bestimmten Fall der Erlass der Einfuhrabgaben nicht gerechtfertigt ist (REM 05/2013) (im Folgenden: streitiger Beschluss), für nichtig erklärt hat.

Rechtlicher Rahmen

Assoziierungsabkommen

2

Art. 34 des Europa-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Lettland andererseits (ABl. 1998, L 26, S. 3, im Folgenden: Assoziierungsabkommen) lautete:

„Protokoll Nr. 3 [über die Bestimmung des Begriffs ‚Erzeugnisse mit Ursprung in‘ oder ‚Ursprungserzeugnisse‘ und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen] enthält die Ursprungsregeln für die Gewährung der in diesem Abkommen vorgesehenen Zollpräferenzen und die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen auf diesem Gebiet.“

3

Die Art. 16 und 17 des Protokolls Nr. 3 über die Bestimmung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung in“ oder „Ursprungserzeugnisse“ und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen in der Fassung des Beschlusses Nr. 4/98 des Assoziationsrates zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Lettland andererseits vom 2. Dezember 1998 über die Annahme der Änderungen des Protokolls Nr. 3 zu dem Europa-Abkommen gemäß dem Beschluss Nr. 1/97 des Gemischten Ausschusses im Rahmen des Abkommens über Freihandel und Handelsfragen zwischen der Europäischen Gemeinschaft, der Europäischen Atomgemeinschaft und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits und der Republik Lettland andererseits (ABl. 1999, L 6, S. 10) (im Folgenden: Protokoll Nr. 3) sahen vor, dass Ursprungserzeugnisse Lettlands die Begünstigungen des Assoziierungsabkommens erhalten, sofern eine von den Zollbehörden des Ausfuhrlands erteilte Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 vorgelegt wird.

4

Art. 31 Abs. 2 dieses Protokolls bestimmte:

„Um die ordnungsgemäße Durchführung dieses Protokolls zu gewährleisten, leisten die Gemeinschaft und Lettland einander durch ihre Zollverwaltungen Amtshilfe bei der Prüfung der Echtheit der Warenverkehrsbescheinigungen EUR.1 …“

5

Art. 32 („Prüfung der Ursprungsnachweise“) des Protokolls schrieb in den Abs. 1, 3 und 5 vor:

„(1)   Eine nachträgliche Prüfung der Ursprungsnachweise erfolgt stichprobenweise oder immer dann, wenn die Zollbehörden des Einfuhrlandes begründete Zweifel an der Echtheit des Papiers, der Ursprungseigenschaft der betreffenden Erzeugnisse oder der Erfüllung der übrigen Voraussetzungen dieses Protokolls haben.

...

(3)   Die Prüfung wird von den Zollbehörden des Ausfuhrlandes durchgeführt. Diese sind berechtigt, zu diesem Zweck die Vorlage von Beweismitteln zu verlangen und jede Art von Überprüfung der Buchführung des Ausführers oder sonstige von ihnen für zweckdienlich erachtete Kontrollen durchzuführen.

...

(5)   Das Ergebnis dieser Prüfung ist den Zollbehörden, die die Prüfung beantragt haben, so bald wie möglich mitzuteilen. Anhand dieses Ergebnisses muss sich eindeutig feststellen lassen, ob die Nachweise echt sind und ob die Waren als Ursprungserzeugnisse … Lettlands … angesehen werden können und die übrigen Voraussetzungen dieses Protokolls erfüllt sind.“

Zollkodex

6

In Art. 239 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex) heißt es:

„[Einfuhrabgaben] können in … Fällen erstattet oder erlassen werden[, die]

...

… sich aus Umständen [ergeben], die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. …“

Durchführungsverordnung

7

Art. 899 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 (ABl. 1993, L 253, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1335/2003 der Kommission vom 25. Juli 2003 (ABl. 2003, L 187, S. 16) geänderten Fassung (im Folgenden: Durchführungsverordnung) bestimmt:

„In allen anderen Fällen, ausgenommen bei einer Befassung der Kommission gemäß Artikel 905, entscheidet die Entscheidungsbehörde von sich aus, die [Einfuhrabgaben] zu erstatten oder zu erlassen, wenn es sich um besondere Fälle handelt, die sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind.

...“

8

Art. 905 Abs. 1 der Durchführungsverordnung sieht vor:

„Lässt die Begründung des Antrags auf Erstattung oder Erlass gemäß Artikel 239 Absatz 2 [des] Zollkodex auf einen besonderen Fall schließen, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so übermittelt der entscheidungsbefugte Mitgliedstaat den Fall der Kommission zur Entscheidung im Verfahren gemäß den Artikeln 906 bis 909,

wenn diese Behörde der Auffassung ist, dass sich der besondere Fall aus Pflichtverletzungen der Kommission ergibt …“

Vorgeschichte des Rechtsstreits

9

Die Vorgeschichte des Rechtsstreits ist in den Rn. 1 bis 28 des angefochtenen Urteils dargestellt.

10

Der streitige Beschluss betrifft Einfuhrabgaben auf Leinengewebe, das von der Combaro SA zwischen dem 10. Dezember 1999 und dem 10. Juni 2002 über Deutschland in die Europäische Union eingeführt wurde und dessen präferenzieller Ursprung in Lettland nicht nachgewiesen war.

11

Textilien mit präferenziellem Ursprung in Lettland waren in diesem Zeitraum gemäß dem Assoziierungsabkommen von Einfuhrbeschränkungen befreit. Sie kamen aber nur dann in den Genuss dieser Befreiung, wenn der Einführer ihre Ursprungseigenschaft durch eine von den lettischen Zollbehörden bei der Ausfuhr ausgestellte Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 nachwies.

12

Im vorliegenden Fall gewährten die deutschen Zollbehörden Combaro gemäß dem Assoziierungsabkommen auf Vorlage von 51 Warenverkehrsbescheinigungen (im Folgenden: streitige Bescheinigungen) eine Befreiung von den Einfuhrabgaben.

13

Auf eine Meldung der dänischen Zollverwaltung hin führte das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) einen Kontrollbesuch in Lettland durch. In Anbetracht des Berichts des OLAF versandte die Kommission am 11. September 2002 eine Amtshilfemitteilung an die Mitgliedstaaten mit der Bitte, eine Überprüfung aller Einfuhren von Leinengewebe aus Lettland vorzunehmen.

14

Daraufhin ersuchten die deutschen Zollbehörden die lettischen Zollbehörden um eine nachträgliche Überprüfung der streitigen Bescheinigungen (im Folgenden: Nachprüfung). Auf die Ersuchen der deutschen Zollbehörden antworteten die lettischen Zollbehörden mit Schreiben vom 7. April, vom 2. Mai und vom 7. Mai 2003 (im Folgenden zusammen: Schreiben von 2003) jeweils wie folgt:

„[D]ie [streitigen] Bescheinigungen sind nicht im Zollregister eingetragen. Sie wurden nicht von den lettischen Zollbehörden ausgestellt und sind daher als ungültig anzusehen.“

15

Die deutschen Zollbehörden eröffneten mit Bescheid vom 3. Juli 2003 ein Verfahren zur Nacherhebung der diesen Bescheinigungen entsprechenden Einfuhrabgaben.

16

In der Zwischenzeit wurden auf Betreiben des OLAF Gutachten zu den für die Einfuhren nach Dänemark vorgelegten Warenverkehrsbescheinigungen erstellt. Diese Gutachten ergaben zum einen, dass die Stempelabdrücke auf diesen Bescheinigungen wahrscheinlich echt waren, und zum anderen, dass die Unterschrift auf diesen Bescheinigungen mit leicht überwiegender Wahrscheinlichkeit diejenige eines Beamten der lettischen Zollbehörden war.

17

Infolge eines Beschlusses des Finanzgerichts München (Deutschland) holte das Bundesministerium der Finanzen (Deutschland) eine Stellungnahme von Combaro ein und stellte am 3. September 2013 bei der Kommission einen Antrag auf Erlass der Einfuhrabgaben gemäß Art. 239 des Zollkodex. Die Kommission eröffnete daraufhin das Verfahren REM 05/2013.

18

Am 16. Juli 2014 erließ die Kommission den streitigen Beschluss.

19

Im 32. Erwägungsgrund dieses Beschlusses führte die Kommission aus, dass kein besonderer Fall im Sinne von Art. 239 des Zollkodex aufgrund eines Fehlverhaltens der lettischen Zollbehörden vorliege, da sie nicht den Schluss ziehen könne, dass diese Behörden an der Ausstellung der streitigen Bescheinigungen beteiligt gewesen seien.

20

Die Kommission untersuchte auch, ob ihr selbst ein Fehlverhalten bei der Überwachung der ordnungsgemäßen Durchführung des Assoziierungsabkommens unterlaufen sei. Sie kam in den Erwägungsgründen 36 bis 41 des streitigen Beschlusses zu dem Ergebnis, dass ihr Verhalten keinen besonderen Fall begründet habe.

21

Im 45. Erwägungsgrund dieses Beschlusses stellte die Kommission fest, dass ein Erlass der Einfuhrabgaben nicht gerechtfertigt sei, da kein besonderer Fall im Sinne von Art. 239 des Zollkodex vorliege. In den Erwägungsgründen 48 bis 52 des Beschlusses führte sie ferner aus, dass Combaro nicht die gebotene Sorgfalt an den Tag gelegt habe.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

22

Mit Klageschrift, die am 12. November 2014 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob Combaro Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses. Zur Begründung dieser Klage machte sie einen einzigen Grund geltend, nämlich einen Verstoß gegen Art. 239 des Zollkodex.

23

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht den streitigen Beschluss für nichtig erklärt und der Kommission ihre eigenen Kosten sowie die Kosten von Combaro auferlegt.

Anträge der Parteien

24

Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Kommission,

das angefochtene Urteil aufzuheben;

die Klage von Combaro abzuweisen;

Combaro die Kosten des Rechtsmittelverfahrens und des ersten Rechtszugs aufzuerlegen.

25

Combaro beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

26

Die Kommission stützt ihr Rechtsmittel auf vier Gründe.

27

Der erste und der zweite Rechtsmittelgrund, mit denen eine falsche rechtliche Qualifizierung der Tatsachen bzw. eine Beweisverfälschung in Bezug auf das Vorliegen eines besonderen Falles gerügt werden, sind im vorliegenden Fall zusammen zu prüfen.

Vorbringen der Parteien

28

Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund macht die Kommission geltend, das Gericht habe in Bezug auf das Vorliegen eines besonderen Falles im Sinne von Art. 239 des Zollkodex eine falsche rechtliche Qualifizierung der Tatsachen vorgenommen, als es festgestellt habe, dass die Kommission nicht über ausreichend Informationen verfügt habe und ihren Überwachungspflichten im Rahmen des Assoziierungsabkommens nicht nachgekommen sei.

29

Erstens habe das Gericht in keiner Weise die Maßnahmen berücksichtigt, die die Kommission bereits ergriffen habe, um Auskünfte zum Warenverkehr mit Leinengewebe zwischen der Union und Lettland zu erhalten, und die auch die Situation von Combaro beträfen.

30

Zweitens sei das Gericht in Bezug auf die Maßnahmen, die die Kommission hätte ergreifen müssen, zu fehlerhaften Beurteilungen gelangt.

31

So habe das Gericht der Kommission zu Unrecht die Vernichtung der Stempelabdrücke durch die lettischen Zollbehörden zur Last gelegt, obwohl es selbst festgestellt habe, dass keine Pflicht zur Aufbewahrung der verwendeten Stempel bestehe.

32

Ferner sei die Auffassung des Gerichts, dass die Kommission von diesen Behörden eine tatsächliche Überprüfung der streitigen Bescheinigungen hätte verlangen müssen, angesichts der Tatsache, dass diese Behörden die Unechtheit dieser Bescheinigungen wiederholt bestätigt hätten, in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft.

33

Die lettischen Zollbehörden hätten nämlich 2003 und 2007 die streitigen Bescheinigungen geprüft und jeweils gleichlautende Angaben gemacht. Das Gericht dürfe also nicht darauf abstellen, dass der Unterzeichner der Schreiben von 2003 strafrechtlich verurteilt worden sei, da die Antwort im Schreiben vom 26. Juni 2007 (im Folgenden: Antwort von 2007) jedenfalls von einem anderen Beamten unterzeichnet worden sei und somit keinen Mangel aufweise.

34

In diesem Zusammenhang habe das Gericht außer Acht gelassen, dass die Kommission nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs an die von den lettischen Zollbehörden vorgenommene Nachprüfung gebunden sei. Im Gegenteil habe es der Kommission sogar vorgeworfen, sich nicht darüber hinweggesetzt zu haben, und sei daher zu Unrecht zu der Auffassung gelangt, dass sie weitere Nachforschungen hätte anstellen müssen.

35

Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund trägt die Kommission zunächst vor, das Gericht habe Beweise verfälscht, als es festgestellt habe, dass der stellvertretende Direktor der lettischen Zollbehörden, der die streitigen Bescheinigungen und die Schreiben im Rahmen der Nachprüfung unterzeichnet habe, wegen rechtswidriger Vorgänge im Rahmen seiner Amtsführung verurteilt worden sei. Ein schlichter Vergleich der verschiedenen Aktenstücke ergebe, dass die streitigen Bescheinigungen nicht von dieser Person unterzeichnet worden seien.

36

Zudem sei das angefochtene Urteil mit einer weiteren Beweisverfälschung behaftet, soweit darin festgestellt werde, die lettischen Zollbehörden seien nicht in der Lage gewesen, die Stempelabdrücke der betreffenden Zollämter im Original zu übermitteln.

37

Diese beiden Verfälschungen seien entscheidend, da das Gericht ohne sie zu dem Ergebnis hätte gelangen müssen, dass seitens der Kommission keine weiteren Maßnahmen zu ergreifen gewesen seien.

38

Combaro beantragt, den ersten und den zweiten Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

39

Insoweit trägt sie vor, bei den von der Kommission ergriffenen Maßnahmen handle es sich um allgemeine Maßnahmen, die im vorliegenden Fall unzureichend seien.

40

Was die der Kommission obliegenden zusätzlichen Maßnahmen anbelange, so hätten diese in der Tat ergriffen werden müssen. Insbesondere wären tatsächliche Überprüfungen der streitigen Bescheinigungen erforderlich gewesen, da aus den vom Gericht angeführten Gründen die Basis gegenseitigen Vertrauens entfallen sei. Die Behörden eines Landes, die im Verdacht stünden, korrupt zu sein, könnten kein derartiges Vertrauen für sich in Anspruch nehmen. In diesem Zusammenhang überbewerte die Kommission das Gewicht, das das Gericht der Identität des Unterzeichners der Schreiben von 2003 beigemessen habe. Dabei handle es sich nämlich nur um eines von mehreren Indizien.

41

Auch die Antwort von 2007 habe nicht den Stellenwert, den ihr die Kommission beimesse, da sie keineswegs eine vertrauenswürdige Bestätigung der Schreiben von 2003 darstellen könne und nicht auf einer tatsächlichen Prüfung der Gegebenheiten des Falles beruhe.

42

Im Übrigen sei zwar einzuräumen, dass der stellvertretende Direktor der lettischen Zollbehörden nicht die streitigen Bescheinigungen, sondern nur die Schreiben von 2003 unterzeichnet habe, jedoch sei der Unterzeichner dieser Bescheinigungen unbekannt und habe der Aufsicht dieses stellvertretenden Direktors unterstanden. Überdies seien den Schreiben von 2003 Abschriften der streitigen Bescheinigungen beigefügt worden, was bedeute, dass die Bescheinigungen und die Schreiben als eine Einheit anzusehen seien.

43

Auch dem zweiten von der Kommission erhobenen Vorwurf der Beweisverfälschung könne nicht gefolgt werden.

Würdigung durch den Gerichtshof

44

Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass Art. 239 des Zollkodex in Verbindung mit Art. 905 der Durchführungsverordnung eine allgemeine Billigkeitsklausel darstellt, die eine außergewöhnliche Situation erfassen soll, in der sich der Anmelder möglicherweise im Vergleich zu anderen, die gleiche Tätigkeit ausübenden Wirtschaftsteilnehmern befindet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Februar 2011, Bolton Alimentari, C‑494/09, EU:C:2011:87, Rn. 54, und vom 22. März 2012, Portugal/Transnáutica, C‑506/09 P, EU:C:2012:156, Rn. 65).

45

Diese allgemeine Billigkeitsklausel führt zum Erlass von Einfuhrabgaben, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich wenn ein besonderer Fall gegeben ist und keine offensichtliche Fahrlässigkeit oder betrügerische Absicht seitens des Abgabenpflichtigen vorliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 2008, C.A.S./Kommission, C‑204/07 P, EU:C:2008:446, Rn. 86).

46

Das Gericht ist im angefochtenen Urteil nach Prüfung des ersten Teils des einzigen von Combaro geltend gemachten Klagegrundes zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kommission im streitigen Beschluss zu Unrecht befunden habe, dass bezüglich Combaro kein besonderer Fall im Sinne von Art. 239 des Zollkodex vorliege.

47

Den Rn. 90 und 91 des angefochtenen Urteils ist zu entnehmen, dass dieses Ergebnis auf der Einschätzung beruht, dass die Kommission zum einen zu Unrecht zu dem Schluss gelangt sei, dass sie über ausreichende Informationen verfüge, um die Situation zu beurteilen, und zum anderen die konkreten Maßnahmen unterlassen habe, die ihr im Rahmen ihrer Aufgabe, die ordnungsgemäße Durchführung des Assoziierungsabkommens zu überwachen und zu kontrollieren, oblegen hätten.

48

So hat das Gericht insbesondere in den Rn. 77 und 85 seines Urteils ausgeführt, dass die Kommission den Sachverhalt genauer hätte aufklären müssen und dass, wenn sie von ihren Befugnissen umfassend Gebrauch gemacht hätte, die Echtheit oder Unechtheit der streitigen Bescheinigungen mit größerer Sicherheit hätte festgestellt werden können.

49

Insoweit hat das Gericht in den Rn. 87 und 88 seines Urteils entschieden, dass sich die Kommission im Rahmen der Nachprüfung nicht mit den Antworten der lettischen Zollbehörden hätte begnügen dürfen, um die Situation von Combaro zu beurteilen, und dass sie ungeachtet dieser Antworten von ihren Befugnissen hätte Gebrauch machen müssen.

50

Wie die Kommission betont, ergibt sich aber aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, die in Rn. 86 des angefochtenen Urteils angeführt wird, dass das System der administrativen Zusammenarbeit, das durch ein Protokoll geschaffen wurde, das als Anhang zu einem zwischen der Union und einem Drittland geschlossenen Abkommen Regelungen zum Warenursprung enthält, auf gegenseitigem Vertrauen zwischen den Behörden der Einfuhrmitgliedstaaten und denen des Ausfuhrlands beruht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Dezember 2011, Afasia Knits Deutschland, C‑409/10, EU:C:2011:843, Rn. 28, und vom 24. Oktober 2013, Sandler, C‑175/12, EU:C:2013:681, Rn. 49).

51

Daraus hat der Gerichtshof, was speziell die Nachprüfung der vom Ausfuhrland ausgestellten EUR.1-Bescheinigungen betrifft, geschlossen, dass die Ergebnisse und Beurteilungen, zu denen die Behörden dieses Landes rechtmäßig gelangt sind, für die Behörden des Einfuhrmitgliedstaats grundsätzlich verbindlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Februar 2010, Brita, C‑386/08, EU:C:2010:91, Rn. 62 und 63, sowie vom 15. Dezember 2011, Afasia Knits Deutschland, C‑409/10, EU:C:2011:843, Rn. 29).

52

Diese Grundsätze gelten für die Durchführung des Assoziierungsabkommens uneingeschränkt, da es nach den Art. 17 und 32 des Protokolls Nr. 3 den Behörden des Ausfuhrlands obliegt, die EUR.1-Bescheinigungen auszustellen, zu diesem Zweck den Ursprung der betroffenen Waren zu kontrollieren und gegebenenfalls zur Echtheit solcher Bescheinigungen Stellung zu nehmen.

53

Darüber hinaus sind die genannten Grundsätze entsprechend auf die Beziehungen zwischen der Kommission und den Zollbehörden des Ausfuhrlands zu übertragen, soweit sich die Kommission zur Echtheit von Warenverkehrsbescheinigungen äußert, um das Vorliegen eines besonderen Falles im Sinne von Art. 239 des Zollkodex zu beurteilen.

54

In dieser spezifischen Situation muss die Kommission nämlich, um über die Erstattung oder den Erlass von Einfuhrabgaben zu befinden, anstelle der Zollbehörden des Einfuhrmitgliedstaats die Bedingungen der Einfuhr bestimmter Waren und die Anwendung der einschlägigen Zollvorschriften – insbesondere derjenigen über die Echtheit von Warenverkehrsbescheinigungen – prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 2008, C.A.S./Kommission, C‑204/07 P, EU:C:2008:446, Rn. 90).

55

Die Hauptgründe, die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Rechtfertigung des Mechanismus der auf Vertrauen in die Ergebnisse der Nachprüfungen der Behörden des Ausfuhrlands beruhenden administrativen Zusammenarbeit angeführt werden, nämlich die Tatsache, dass diese Behörden am besten in der Lage sind, diese Prüfung vorzunehmen, der Umstand, dass ein solches System den Vorteil hat, zu sicheren und einheitlichen Ergebnissen zu führen, und die Notwendigkeit, im Gegenzug die Anerkennung der Entscheidungen der Unionsbehörden zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Juli 1984, Les Rapides Savoyards u. a., 218/83, EU:C:1984:275, Rn. 26 und 27, sowie vom 17. Juli 1997, Pascoal & Filhos, C‑97/95, EU:C:1997:370, Rn. 32), führen dazu, dass die Ergebnisse, zu denen die Behörden des Ausfuhrlands gelangt sind, die Kommission grundsätzlich binden, wenn sie das Vorliegen eines besonderen Falles im Sinne von Art. 239 des Zollkodex prüft.

56

Demzufolge macht die Kommission zu Recht geltend, dass sie grundsätzlich gehalten war, sich im Rahmen der im Assoziierungsabkommen vorgesehenen Nachprüfung auf die Ergebnisse und Beurteilungen, zu denen die lettischen Zollbehörden rechtmäßig gelangt waren, zu stützen, um über die Echtheit der streitigen Bescheinigungen zu befinden.

57

Zwar bedeutet das diesen Behörden entgegengebrachte Vertrauen nicht, dass die Kommission in keinem Fall verpflichtet sein kann, Untersuchungen anzustellen, um die Echtheit solcher Bescheinigungen zu prüfen.

58

So hat der Gerichtshof im Urteil vom 25. Juli 2008, C.A.S./Kommission (C-204/07 P, EU:C:2008:446), auf das sich das Gericht namentlich in den Rn. 70 bis 74 des angefochtenen Urteils bezogen hat, entschieden, dass die Kommission konkrete Maßnahmen hätte ergreifen müssen, um die Echtheit der Warenverkehrsbescheinigungen zu prüfen, und dass eine entsprechende Unterlassung einen besonderen Fall begründen kann.

59

In der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, beruhte die Verpflichtung, im Rahmen der allgemeinen Pflicht der Kommission zur Überwachung und Kontrolle der Durchführung eines Assoziierungsabkommens eingehende Ermittlungen zu solchen Bescheinigungen vorzunehmen, allerdings auf ganz spezifischen Umständen, die damit zusammenhingen, dass die Zollbehörden des Ausfuhrlands mehrdeutige und unstimmige Beurteilungen zu diesen Bescheinigungen abgegeben hatten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 2008, C.A.S./Kommission, C‑204/07 P, EU:C:2008:446, Rn. 111).

60

Unter diesen Umständen war die Kommission in jener Rechtssache trotz des diesen Behörden grundsätzlich gebührenden Vertrauens nicht in der Lage, allein auf der Grundlage der Antworten dieser Behörden über den bei ihr gestellten Antrag zu entscheiden.

61

Im Gegensatz dazu enthält das angefochtene Urteil in der vorliegenden Rechtssache keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Gericht die Antworten der lettischen Zollbehörden für mehrdeutig oder unstimmig erachtet hätte. Vielmehr war das Gericht laut Rn. 87 des angefochtenen Urteils der Auffassung, dass sich die Kommission über die Feststellungen dieser Behörden hätte hinwegsetzen müssen.

62

Das Gericht begründete diese Auffassung mit der Kürze der Feststellungen dieser Behörden sowie damit, dass die 2007 erfolgte Bestätigung der Feststellungen nicht auf einer tatsächlichen Überprüfung der Akten beruht habe. Ferner verwies es auf eine Reihe von Umständen, die es als Indizien für eine mögliche Mitwirkung dieser Behörden an der Ausstellung der streitigen Bescheinigung ansah.

63

Im Einzelnen traf das Gericht in Rn. 75 des angefochtenen Urteils folgende Feststellungen:

Die Nachprüfung der streitigen Bescheinigungen sei infolge der Untersuchung des OLAF bezüglich der Einfuhr von Leinengewebe nach Dänemark eingeleitet worden.

Im OLAF‑Bericht werde festgestellt, dass das Leinengewebe für sehr kurze Zeit über ein lettisches Zolllager geleitet worden sei, um die Herkunft der Ware zu verschleiern.

Die nach dem OLAF‑Bericht erstellten Gutachten über die Stempelabdrücke und Unterschriften auf den für die Einfuhren nach Dänemark verwendeten Bescheinigungen zeigten, dass es sich wahrscheinlich um echte Stempelabdrücke und Unterschriften gehandelt habe.

Die Stempelabdrücke auf den streitigen Bescheinigungen wiesen eine starke Ähnlichkeit mit den echten Stempelabdrücken der lettischen Zollbehörden auf.

Der stellvertretende Direktor der lettischen Zollbehörden, Herr R., der die streitigen Bescheinigungen und die Schreiben im Rahmen der Nachprüfung unterzeichnet habe, sei wegen rechtswidriger Vorgänge im Rahmen seiner Amtsführung verurteilt worden.

Die lettischen Zollbehörden seien nicht in der Lage gewesen, die Abdrücke der von den betreffenden Zollämtern, d. h. den Zollämtern Jelgava (Lettland) und Bauska (Lettland), verwendeten Stempel im Original zu übermitteln.

In Berichten der Kommission werde ein korruptes Umfeld, namentlich in der lettischen Zollverwaltung, festgestellt.

Die Einfuhr von Leinengewebe aus Lettland habe zugenommen und die Produktionskapazitäten dieses Landes überstiegen.

64

Ohne dass geklärt werden müsste, ob bestimmte Umstände es möglicherweise rechtfertigen können, dass sich die Kommission über eindeutig formulierte Beurteilungen der Zollbehörden des Ausfuhrlands hinwegsetzt, ist jedoch festzustellen, dass die Erwägungen des Gerichts jedenfalls nicht das Ergebnis zu stützen vermögen, zu dem es gelangt ist, und folglich nicht die Zurückweisung des Arguments der Kommission begründen können, dass diese sich notwendigerweise an die Ergebnisse der von den lettischen Zollbehörden durchgeführten Nachprüfung der streitigen Bescheinigungen halten müsse.

65

So ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Feststellung des Gerichts, die lettischen Zollbehörden seien nicht in der Lage gewesen, die Abdrücke der von den Zollämtern Jelgava und Bauska verwendeten Stempel im Original zu übermitteln, das diesen Behörden entgegenzubringende Vertrauen nicht erschüttern kann.

66

Denn wie die Kommission in ihrer Rechtsmittelschrift geltend macht, waren die lettischen Zollbehörden, nachdem die Republik Lettland zu gegebener Zeit Musterabdrücke der in ihren Zollämtern verwendeten Stempel übermittelt hatte, nach keiner Bestimmung des Assoziierungsabkommens verpflichtet, Abdrücke echter Stempel aufzubewahren – was das Gericht übrigens in Rn. 80 des angefochtenen Urteils betont hat – oder die Stempel, mit denen diese Abdrücke erzeugt werden konnten, über den Zeitraum ihrer Verwendung hinaus aufzubewahren.

67

Zweitens kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, dass ein stellvertretender Direktor der lettischen Zollbehörden wegen rechtswidriger Vorgänge im Rahmen seiner Amtsführung verurteilt wurde und dass in Berichten der Kommission ein korruptes Umfeld bei diesen Behörden festgestellt wurde.

68

Zum einen weist die Kommission, wie Combaro im Übrigen einräumt, zu Recht darauf hin, dass aus einem schlichten Vergleich zwischen den Schreiben von 2003 und den streitigen Bescheinigungen – die jeweils in der Anlage B‑4 zu der von der Kommission im ersten Rechtszug eingereichten Klagebeantwortung enthalten sind – eindeutig hervorgeht, dass sich die Unterschriften auf diesen verschiedenen Dokumenten deutlich unterscheiden.

69

Das Gericht hat also die ihm vorgelegten Beweise verfälscht, als es annahm, Herr R. könne als Unterzeichner sowohl dieser Schreiben als auch dieser Bescheinigungen angesehen werden.

70

Zum anderen ist, selbst wenn man unterstellt, dass die Verurteilung des Unterzeichners dieser Schreiben und das korrupte Umfeld, das in Berichten der Kommission im Zeitraum der streitigen Einfuhren, d. h. von 1999 bis 2002, festgestellt wird, für die Bewertung des im Jahr 2003 von den lettischen Zollbehörden eingenommenen Standpunkts relevant sein können, festzustellen, dass diese Aspekte im vorliegenden Fall nicht ausschlaggebend sein können.

71

Es ergibt sich nämlich insbesondere aus den Rn. 16 und 88 des angefochtenen Urteils, dass die lettischen Zollbehörden in der Antwort von 2007 bestätigt haben, dass die streitigen Bescheinigungen als ungültig anzusehen seien. Diese Antwort war aber nicht von Herrn R. unterzeichnet und wurde zu einem Zeitpunkt übermittelt, bezüglich dessen nicht vorgetragen wird, geschweige denn erwiesen ist, dass diese Behörden mit einem spürbaren Korruptionsproblem zu kämpfen hatten, und zu dem die Republik Lettland überdies bereits Unionsmitglied war.

72

Der Umstand, dass die Schreiben von 2003 nur knappe Feststellungen enthalten und nicht erwiesen ist, dass die Bestätigung von 2007 auf erneuten Prüfungen beruhte, nimmt den Stellungnahmen der lettischen Zollbehörden nicht ihren Wert, da das Assoziierungsabkommen insoweit keine besondere Form vorschreibt und die Zollbehörden der Union nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs an die Ergebnisse einer Nachprüfung gebunden sind, selbst wenn sie ohne jegliche Begründung oder in Form einer Unterschrift unter einem vom OLAF nach Abschluss einer Untersuchung erstellten Protokoll übermittelt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Juli 1997, Pascoal & Filhos, C‑97/95, EU:C:1997:370, Rn. 30 bis 33, sowie vom 15. Dezember 2011, Afasia Knits Deutschland, C‑409/10, EU:C:2011:843, Rn. 40).

73

In diesem Zusammenhang trägt die Kommission zu Recht vor, dass die weiteren in Rn. 75 des angefochtenen Urteils aufgezählten Indizien nicht ausreichen, um die Schlussfolgerung zu tragen, zu der das Gericht in Rn. 87 dieses Urteils gelangt ist, nämlich dass die Kommission ungeachtet der Antworten der lettischen Zollbehörden von ihren Befugnissen hätte Gebrauch machen müssen.

74

So kann der Umstand, dass die Nachprüfung der streitigen Bescheinigungen infolge einer Untersuchung des OLAF eingeleitet wurde, die andere, bei Einfuhren in einen anderen Mitgliedstaat vorgelegte Warenverkehrsbescheinigungen betraf und den Verdacht begründet hatte, dass einige Bedienstete der lettischen Zollbehörden in betrügerische Vorgänge involviert waren – wobei dieser Verdacht sowohl auf den Modalitäten der Abwicklung dieser Vorgänge als auch auf den Merkmalen dieser Bescheinigungen beruhte –, den von diesen Behörden in Bezug auf solche Bescheinigungen vorgenommenen Überprüfungen nicht pauschal jeden Wert nehmen und den im Protokoll Nr. 3 vorgesehenen Mechanismus der administrativen Zusammenarbeit nicht vollkommen verdrängen.

75

Desgleichen war die Zunahme der Einfuhr von Leinengewebe aus Lettland über die Produktionskapazitäten dieses Landes hinaus zwar als Beleg für gewisse betrügerische Vorgänge geeignet, nicht aber als Beweis für die unmittelbare und generelle Mitwirkung der lettischen Zollbehörden an diesen Vorgängen und schon gar nicht für ihre Beteiligung an der Ausstellung der streitigen Bescheinigungen.

76

Im Übrigen darf das den Zollbehörden des Ausfuhrlands entgegengebrachte Vertrauen nicht aufgrund einer Beurteilung eines Bestandteils strittiger Bescheinigungen, wie etwa der darauf befindlichen Stempelabdrücke, in Frage gestellt werden; anderenfalls müsste die Kommission systematisch anstelle dieser Behörden die Echtheit von Warenverkehrsbescheinigungen kontrollieren und damit die oben in den Rn. 50 bis 56 dargelegten Grundsätze missachten.

77

Nach alledem ist dem Gericht in Bezug auf das Vorliegen eines besonderen Falles im Sinne von Art. 239 des Zollkodex ein Fehler in der rechtlichen Qualifizierung der Tatsachen unterlaufen, als es annahm, dass sich die Kommission aus den oben in Rn. 62 genannten Gründen nicht auf die eindeutigen Antworten der lettischen Zollbehörden habe verlassen dürfen, um die Echtheit der streitigen Bescheinigungen zu beurteilen, sondern ungeachtet dieser Antworten von ihren Befugnissen hätte Gebrauch machen müssen.

78

Folglich durfte das Gericht in den Rn. 90 und 91 des angefochtenen Urteils nicht feststellen, dass die Kommission zu Unrecht angenommen habe, über ausreichende Informationen zu verfügen, um die Situation zu beurteilen, und dass sie es versäumt habe, die ihr aufgrund ihrer Pflicht zur Überwachung und Kontrolle der ordnungsgemäßen Durchführung des Assoziierungsabkommens obliegenden konkreten Maßnahmen zu ergreifen. Die vom Gericht daraus gezogenen Schlussfolgerungen zur Begründetheit des ersten Teils des einzigen von Combaro geltend gemachten Klagegrundes, die den Tenor des angefochtenen Urteils tragen, sind demnach zu verwerfen.

79

Folglich ist, da dem ersten und dem zweiten Rechtsmittelgrund stattzugeben ist, das angefochtene Urteil aufzuheben, ohne dass die anderen Gründe, auf die die Kommission ihr Rechtsmittel stützt, geprüft werden müssten.

Zum Rechtsstreit im ersten Rechtszug

80

Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof im Fall der Aufhebung der Entscheidung des Gerichts den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist.

81

So verhält es sich hier. Folglich ist die von Combaro erhobene Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses zu prüfen.

82

Der erste Teil des einzigen Klagegrundes, der einen Verstoß gegen die Voraussetzung des Vorliegens eines besonderen Falles im Sinne von Art. 239 des Zollkodex betrifft, besteht aus mehreren Argumenten, mit denen den lettischen Zollbehörden, der Kommission und den deutschen Zollbehörden verschiedene Versäumnisse vorgeworfen werden.

83

Soweit sich Combaro zum Nachweis dieser verschiedenen Versäumnisse auf Feststellungen beruft, die ihr zufolge von einem nationalen Gericht getroffen wurden, folgt aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Kommission, wenn sie im Rahmen von Art. 239 des Zollkodex über einen besonderen Fall befindet, nicht an eine zuvor ergangene Entscheidung eines solchen Gerichts gebunden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. November 2008, Heuschen & Schrouff Oriëntal Foods Trading, C‑375/07, EU:C:2008:645, Rn. 69); dies gilt umso mehr, wenn es in dieser Entscheidung nur um die Frage geht, ob die Zollbehörden des Einfuhrmitgliedstaats einen Fall der Kommission vorlegen müssen, damit diese entscheidet, ob die genannte Vorschrift Anwendung findet.

84

Aus dem Wortlaut der Schreiben vom 7. April und vom 7. Mai 2003, die von den lettischen Zollbehörden im Rahmen der Nachprüfung der streitigen Bescheinigungen übersandt wurden, sowie aus dem Wortlaut der Antwort von 2007, mit der die Ergebnisse dieser Prüfung bestätigt wurden, geht hervor, dass diese Behörden durchgängig, ohne Mehrdeutigkeit oder Unstimmigkeit, erklärt haben, sie hätten diese Bescheinigungen nicht ausgestellt. Demnach hielten sie diese Bescheinigungen für unecht.

85

Das Argument von Combaro, die Ergebnisse dieser Nachprüfung der streitigen Bescheinigungen müssten unberücksichtigt bleiben, weil sie ähnlich mehrdeutig und unstimmig seien wie diejenigen, um die es im Urteil vom 25. Juli 2008, C.A.S./Kommission (C‑204/07 P, EU:C:2008:446), gegangen sei, greift daher nicht durch.

86

Des Weiteren folgt aus den Rn. 50 bis 77 des vorliegenden Urteils, dass unter diesen Umständen die Argumente, die Combaro vorbringt, um darzutun, dass die Kommission ungeachtet der Feststellungen der lettischen Zollbehörden Ermittlungen zur Echtheit der streitigen Bescheinigungen hätte einleiten müssen und mit dem Unterlassen dieser Ermittlungen ihre Pflichten verletzt habe, zwangsläufig zurückzuweisen sind. Combaro hat somit nicht dargetan, dass die Kommission im streitigen Beschluss nicht davon ausgehen durfte, dass diese Bescheinigungen unecht seien.

87

Folglich ist das Vorbringen von Combaro, mit dem sie Versäumnisse der lettischen Zollbehörden geltend macht, ebenfalls zurückzuweisen, da es auf der Erwägung beruht, dass diese Behörden aufgrund der Bestechlichkeit ihrer Bediensteten und der Mängel in ihrer Organisation in Wirklichkeit die streitigen Bescheinigungen zu Unrecht ausgestellt und anschließend den Nachweis ihrer Echtheit vereitelt hätten.

88

Ebenso wenig ist dem Vorbringen von Combaro zu folgen, mit dem sie den deutschen Zollbehörden Versäumnisse vorwirft, da diese Versäumnisse darin bestehen sollen, dass diese Behörden zu Unrecht und ohne die gebührende Sorgfalt die Unechtheit dieser Bescheinigungen angenommen hätten.

89

Schließlich ist das Vorbringen, dass die Kommission ihre Pflichten verletzt habe, indem sie die Bestechlichkeit der lettischen Zollbehörden nicht ausreichend bekämpft und keine Mitteilung veröffentlicht habe, um die Einführer vor der damals in Lettland herrschenden Situation zu warnen, jedenfalls als ins Leere gehend zurückzuweisen, da es in keinem Zusammenhang mit den Bedingungen steht, unter denen Combaro die Einfuhren getätigt hat, um die es im streitigen Beschluss geht. Dieses Vorbringen könnte nämlich insoweit nur relevant sein, wenn davon auszugehen wäre, dass die streitigen Bescheinigungen tatsächlich von den lettischen Zollbehörden ausgestellt wurden, was aber gerade nicht nachgewiesen worden ist.

90

Demnach hat Combaro nicht nachgewiesen, dass die Kommission im streitigen Beschluss zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass das Vorliegen eines besonderen Falles im Sinne von Art. 239 des Zollkodex nicht dargetan worden sei. Folglich ist der erste Teil des einzigen von Combaro geltend gemachten Klagegrundes zurückzuweisen.

91

Da das Vorliegen eines besonderen Falles eine unerlässliche Bedingung ist, um die Erstattung oder den Erlass von Einfuhrabgaben beanspruchen zu können, ist der zweite Teil des einzigen Klagegrundes, mit dem Combaro geltend macht, sie habe nicht offensichtlich fahrlässig gehandelt, als ins Leere gehend anzusehen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 10. Juni 2010, Thomson Sales Europe/Kommission, C‑498/09 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:338, Rn. 97).

92

Folglich ist die von Combaro erhobene Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses abzuweisen.

Kosten

93

Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet.

94

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach ihrem Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

95

Da Combaro unterlegen ist und die Kommission ihre Verurteilung beantragt hat, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 19. Juli 2017, Combaro/Kommission (T‑752/14, EU:T:2017:529), wird aufgehoben.

 

2.

Die Klage der Combaro SA wird abgewiesen.

 

3.

Die Combaro SA trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Europäischen Kommission.

 

Bay Larsen

Malenovský

Safjan

Šváby

Vilaras

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 25. Juli 2018.

Der Kanzler

A. Calot Escobar

Der Präsident der Dritten Kammer

L. Bay Larsen


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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Referenzen

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