Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-300/17

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

7. August 2018 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Aufträge – Nachprüfungsverfahren – Richtlinie 89/665/EWG – Schadensersatzklage – Art. 2 Abs. 6 – Nationale Regelung, nach der die Zulässigkeit einer Schadensersatzklage von einer vorherigen rechtskräftigen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, auf die der behauptete Schaden zurückgeht, abhängig gemacht wird – Nichtigkeitsklage – Vorherige Nachprüfung vor einer Schiedsstelle – Gerichtliche Überprüfung der Beschlüsse einer Schiedsstelle – Nationale Regelung, nach der die Geltendmachung von nicht vor der Schiedsstelle vorgetragenen Gründen ausgeschlossen ist -Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 47 – Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz – Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz“

In der Rechtssache C‑300/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) mit Entscheidung vom 11. Mai 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Mai 2017, in dem Verfahren

Hochtief AG

gegen

Budapest Főváros Önkormányzata

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen sowie der Richter J. Malenovský, M. Safjan, D. Šváby und M. Vilaras (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: R. Șereș, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und der mündlichen Verhandlung vom 30. April 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Hochtief AG, vertreten durch A. László, ügyvéd, und I. Varga, konzulens,

der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Fehér und G. Koós als Bevollmächtigte,

der griechischen Regierung, vertreten durch M. Tassopoulou, D. Tsagkaraki, E. Tsaousi und K. Georgiadis als Bevollmächtigte,

der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Ondrůšek und A. Tokár als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Juni 2018

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. 1989, L 395, S. 33) in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl. 2014, L 94, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/665).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Hochtief AG und der Budapest Főváros Önkormányzata (Selbstverwaltung der Hauptstadt Budapest, Ungarn, im Folgenden: öffentlicher Auftraggeber) betreffend eine Klage auf Ersatz eines Schadens, den Hochtief wegen eines Verstoßes gegen vergaberechtliche Vorschriften erlitten haben will.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 der Richtlinie 89/665 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65)] beziehungsweise der Richtlinie [2014/23] fallenden Aufträge oder Konzessionen die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der Artikel 2 bis 2f dieser Richtlinie auf Verstöße gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die nationalen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, überprüft werden können.“

4

Art. 1 Abs. 3 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Nachprüfungsverfahren entsprechend den gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten festzulegenden Bedingungen zumindest jeder Person zur Verfügung stehen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht.“

5

Art. 2 Abs. 1, 2 und 6 der Richtlinie sehen vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die in Artikel 1 genannten Nachprüfungsverfahren die erforderlichen Befugnisse vorgesehen werden, damit

b)

die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen, einschließlich der Streichung diskriminierender technischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Spezifikationen in den Ausschreibungsdokumenten, den Verdingungsunterlagen oder in jedem sonstigen sich auf das betreffende Vergabeverfahren beziehenden Dokument vorgenommen oder veranlasst werden kann;

c)

denjenigen, die durch den Verstoß geschädigt worden sind, Schadensersatz zuerkannt werden kann.

(2)   Die in Absatz 1 und in den Artikeln 2d und 2e genannten Befugnisse können getrennt mehreren Stellen übertragen werden, die für das Nachprüfungsverfahren unter verschiedenen Gesichtspunkten zuständig sind.

(6)   Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass bei Schadensersatzansprüchen, die auf die Rechtswidrigkeit einer Entscheidung gestützt werden, diese zunächst von einer mit den dafür erforderlichen Befugnissen ausgestatteten Stelle aufgehoben worden sein muss.“

Ungarisches Recht

6

Art. 108 Abs. 3 des Közbeszerzésekről szóló 2003. évi CXXIX. törvény (Gesetz Nr. CXXIX von 2003 über die Vergabe öffentlicher Aufträge, Magyar Közlöny 2003/157, im Folgenden: Vergabegesetz) bestimmt:

„Der Teilnahmebewerber kann seine Teilnahmeanzeige bis zum Ablauf der Teilnahmefrist ändern.“

7

Art. 350 dieses Gesetzes bestimmt:

„Voraussetzung für die Geltendmachung jeglicher zivilrechtlicher Ansprüche, die mit der Verletzung der Rechtsnormen über öffentliche Aufträge bzw. das Verfahren bei öffentlichen Aufträgen begründet werden, ist, dass die Schiedsstelle für die Vergabe öffentlicher Aufträge bzw. – bei einer Überprüfung des Beschlusses der Schiedsstelle für die Vergabe öffentlicher Aufträge – das Gericht die Rechtsverletzung rechtskräftig feststellt.“

8

Art. 351 dieses Gesetzes lautet:

„Wenn der Bieter vom öffentlichen Auftraggeber als Schadensersatz ausschließlich die Erstattung der Kosten fordert, die ihm in Verbindung mit der Anfertigung des Angebots und der Teilnahme am Vergabeverfahren entstanden sind, reicht es zur Geltendmachung dieses Schadensersatzanspruches aus, wenn er nachweist, dass

a)

der öffentliche Auftraggeber eine Bestimmung der Rechtsnormen zur öffentlichen Auftragsvergabe bzw. zum Vergabeverfahren verletzt hat und

b)

er eine reale Chance hatte, den Vertrag zu bekommen, sowie

c)

die Rechtsverletzung sich nachhaltig auf seine Chancen, den Vertrag zu bekommen, ausgewirkt hat.“

9

§ 339/A des Polgári perrendtartásról szóló 1952. évi III. törvény (Gesetz Nr. III von 1952 zur Einführung der Zivilprozessordnung, im Folgenden: Zivilprozessordnung) sieht vor:

„Das Gericht überprüft die Verwaltungsentscheidung – sofern eine Rechtsnorm nichts Abweichendes bestimmt – aufgrund der bei Erlass der Entscheidung anzuwendenden Rechtsnormen und bestehenden Tatsachen.“

Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen

10

Der öffentliche Auftraggeber veröffentlichte am 5. Februar 2005 eine Ausschreibung zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags im Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung, der Bauleistungen mit einem Wert oberhalb des unionsrechtlichen Schwellenwerts zum Gegenstand hatte. Innerhalb der einzuhaltenden Frist gingen fünf Bewerbungen ein, darunter die des von Hochtief geführten Konsortiums „HOLI“ (im Folgenden: Konsortium).

11

Am 19. Juli 2005 teilte der öffentliche Auftraggeber dem Konsortium mit, dass seine Bewerbung wegen einer Unvereinbarkeit ungültig und ausgeschlossen worden sei. Zur Begründung hieß es, das Konsortium habe als leitenden Planer einen Experten benannt, der auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers an der Ausarbeitung der Ausschreibung beteiligt gewesen sei.

12

Mit Beschluss vom 12. September 2005 wies die Közbeszerzési Döntőbizottság (Schiedsstelle für die Vergabe öffentlicher Aufträge, Ungarn, im Folgenden: Schiedsstelle) den Nachprüfungsantrag des Konsortiums gegen diesen Beschluss zurück. Sie war der Ansicht, dass die Benennung des Experten in der Teilnahmeanzeige entgegen dem Vorbringen von Hochtief nicht als Verwaltungsfehler gewertet werden könne. Wenn Hochtief diesen Fehler hätte berichtigen können, wäre dies eine nach § 108 Abs. 3 des Vergabegesetzes ausgeschlossene Änderung der Teilnahmeanzeige. Die Auftraggeberin habe auch nicht deshalb rechtswidrig gehandelt, weil sie das Verfahren mit nur zwei Bewerbern durchgeführt habe, denn nach § 130 Abs. 7 des Vergabegesetzes müssten, wenn eine Zahl von Teilnahmebewerbern übrig bleibe, die eine geeignete Teilnahmeanzeige innerhalb der festgelegten Marge eingereicht hätten, diese zur Abgabe eines Angebots aufgefordert werden.

13

Mit Urteil vom 28. April 2006 wies das Fővárosi Bíróság (Hauptstädtisches Gericht, Ungarn) die Klage des Konsortiums gegen den Schiedsbeschluss vom 12. September 2005 ab.

14

Das mit der Berufung des Konsortiums gegen das Urteil vom 28. April 2006 angerufene Fővárosi Ítélőtábla (Hauptstädtisches Tafelgericht, Ungarn) befasste den Gerichtshof mit Beschluss vom 13. Februar 2008 mit einem Vorabentscheidungsersuchen, das zu dem Urteil vom 15. Oktober 2009, Hochtief und Linde-Kca-Dresden (C‑138/08, EU:C:2009:627), führte.

15

Im Laufe des Jahres 2008 stellte die Europäische Kommission im Rahmen einer Überprüfung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vergabeverfahrens fest, dass die Auftraggeberin die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge zum einen dadurch verletzt habe, dass sie ein Verhandlungsverfahren ausgeschrieben habe, und zum anderen dadurch, dass sie im Vorauswahlverfahren einen Bewerber ausgeschlossen habe, ohne ihm entsprechend dem Urteil vom 3. März 2005, Fabricom (C‑21/03 und C‑34/03, EU:C:2005:127), die Möglichkeit zu dem Nachweis gegeben zu haben, dass die Beteiligung des benannten Experten als leitender Planer den Wettbewerb nicht habe verfälschen können.

16

Nach dem Erlass des Urteils vom 15. Oktober 2009, Hochtief und Linde-Kca-Dresden (C‑138/08, EU:C:2009:627), bestätigte das Fővárosi Ítélőtábla (Hauptstädtisches Tafelgericht) mit Urteil vom 20. Januar 2010 das Urteil vom 28. April 2006. Es führte insbesondere aus, dass es die Frage, ob die Auftraggeberin mit ihrem Schluss auf die Unvereinbarkeit der Bewerbung des Konsortiums einen Rechtsverstoß begangen habe, weil sie diesem nicht die Möglichkeit zur Verteidigung eingeräumt habe, nicht geprüft habe, da diese Rüge in der Klageschrift im ersten Rechtszug nicht enthalten gewesen sei. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens habe erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemacht, dass das dem Konsortium entgegengehaltene Verbot eine unverhältnismäßige Beschränkung ihres Rechts auf Einreichung einer Bewerbung und eines Angebots darstelle, die Art. 220 EG, Art. 6 der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. 1993, L 199, S. 54) und der Rechtsprechung des Gerichtshofs zuwiderlaufe.

17

Mit Urteil vom 7. Februar 2011 bestätigte der Legfelsőbb Bíróság (frühere Bezeichnung des Obersten Gerichtshofs, Ungarn) das Urteil des Fővárosi Ítélőtábla (Hauptstädtisches Tafelgericht) vom 20. Januar 2010.

18

Am 11. August 2011 beantragte Hochtief unter Berufung auf die Feststellungen der Kommission ein Wiederaufnahmeverfahren gegen ebendieses Urteil des Fővárosi Ítélőtábla (Hauptstädtisches Tafelgericht).

19

Am 6. Juni 2013 erließ das Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Hauptstädtisches Verwaltungs- und Arbeitsgericht, Ungarn) einen Beschluss, mit dem die Wiederaufnahmeklage abgewiesen wurde, der von dem in letzter Instanz entscheidenden Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtischer Gerichtshof, Ungarn) bestätigt wurde.

20

Daraufhin erhob Hochtief, weiterhin unter Berufung auf die Feststellungen der Kommission, eine Klage mit dem Antrag, den Auftraggeber zu Schadensersatz in Höhe von 24043685 Forint (HUF) (rund 74000 Euro) für die ihr im Zusammenhang mit ihrer Teilnahme am Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags entstandenen Kosten zu verurteilen.

21

Nachdem diese Klage im ersten Rechtszug und im Berufungsverfahren erfolglos geblieben war, legte Hochtief Revision vor dem vorlegenden Gericht ein, mit der sie insbesondere eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 und von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. 1992, L 76, S. 14) rügt.

22

Das vorlegende Gericht führt im Wesentlichen aus, nach der Richtlinie 89/665 könne die Erhebung von Schadensersatzklagen davon abhängig gemacht werden, dass die angefochtene Entscheidung zuvor von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht aufgehoben worden sei (Urteil vom 26. November 2015, MedEval, C‑166/14, EU:C:2015:779, Rn. 35), so dass Art. 2 dieser Richtlinie einer nationalen Rechtsvorschrift wie § 350 des Vergabegesetzes grundsätzlich nicht entgegenzustehen scheine. Allerdings könnte die Anwendung dieser Bestimmung in Verbindung mit anderen Bestimmungen des Vergabegesetzes und der Zivilprozessordnung bewirken, dass ein Bewerber, der wie Hochtief in einem Verhandlungsverfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags ausgeschlossen worden sei, daran gehindert sei, eine Schadensersatzklage zu erheben, da er sich nicht auf eine Entscheidung stützen könne, mit der rechtskräftig ein Verstoß gegen Bestimmungen über öffentliche Aufträge festgestellt worden sei. Unter diesen Umständen könnte es gerechtfertigt sein, entweder eine andere Möglichkeit zum Nachweis des Verstoßes zu schaffen oder die Bestimmung des Mitgliedstaats im Namen des Grundsatzes der Effektivität außer Acht zu lassen oder sie im Licht des Unionsrechts auszulegen.

23

Unter diesen Umständen hat die Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist eine Verfahrensvorschrift eines Mitgliedstaats unionsrechtswidrig, die als Voraussetzung für die Geltendmachung eines zivilrechtlichen Anspruchs wegen der Verletzung einer Bestimmung des Rechts der Vergabe öffentlicher Aufträge vorschreibt, dass die Schiedsstelle für die Vergabe öffentlicher Aufträge bzw. – bei einer Überprüfung des Beschlusses der Schiedsstelle für die Vergabe öffentlicher Aufträge – das Gericht die Rechtsverletzung rechtskräftig feststellt?

2.

Lässt sich eine Vorschrift eines Mitgliedstaats, die als Vorbedingung für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs vorschreibt, dass die Schiedsstelle für die Vergabe öffentlicher Aufträge bzw. – bei einer Überprüfung des Beschlusses der Schiedsstelle für die Vergabe öffentlicher Aufträge – das Gericht die Rechtsverletzung rechtskräftig feststellt, im Hinblick auf das Unionsrecht ersetzen, d. h., besteht die Möglichkeit, dass die geschädigte Partei die Rechtsverletzung auf andere Weise nachweist?

3.

Verstößt es in einem Schadensersatzprozess gegen das Unionsrecht, insbesondere gegen die Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz, oder kann es eine solche Wirkung auslösen, wenn eine Verfahrensvorschrift eines Mitgliedstaats die gerichtliche Überprüfung des Beschlusses auch dann nur auf der Grundlage der rechtlichen Begründung ermöglicht, die im Verlauf des Verfahrens vor der Schiedsstelle angeführt wurde, wenn die geschädigte Partei als Begründung für die von ihr gerügte Rechtsverletzung auf der Grundlage der Auslegungspraxis des Europäischen Gerichtshofs die Rechtswidrigkeit ihres Ausschlusses wegen eines Interessenkonflikts nur auf eine Weise geltend machen könnte, die – infolge der spezifischen Vorschriften für das Verhandlungsverfahren – zu einer Änderung ihres Antrags und damit zu ihrem Ausschluss vom Vergabeverfahren aus einem anderen Grund führen würde?

Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens

24

Mit Schreiben, die am 12. und am 27. Juli 2017 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen sind, hat Hochtief nach Art. 83 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beantragt.

25

Zur Begründung ihres Antrags führt Hochtief zunächst das Vorabentscheidungsersuchen an, das das Székesfehérvári Törvényszék (Gericht von Székesfehérvár, Ungarn) mit Beschluss vom 6. Dezember 2017, eingegangen beim Gerichtshof am 5. Juni 2018 und eingetragen in das Register unter der Rechtssachennummer C‑362/18, eingereicht hat. Sie macht im Wesentlichen geltend, dass die Antwort auf die Fragen in der vorliegenden Rechtssache von der Antwort auf die Fragen in der Rechtssache C‑362/18 abhänge und dass den Parteien zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung die Möglichkeit gegeben werden müsse, ihren Standpunkt zu der zuletzt genannten Rechtssache darzulegen.

26

Hochtief trägt sodann vor, dass der Gerichtshof, um über das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen entscheiden zu können, Gesichtspunkte berücksichtigen müsse, die zwischen den Parteien nicht erörtert worden seien. Insbesondere möchte sie Stellung nehmen können zu einer Erklärung des Bevollmächtigten der ungarischen Regierung in der mündlichen Verhandlung, wonach das Urteil vom 15. Oktober 2009, Hochtief und Linde-Kca-Dresden (C‑138/08, EU:C:2009:627), das im Laufe des Verfahrens vor den ungarischen Gerichten ergangen sei, Gegenstand eines Urteils ebendieser Gerichte gewesen sei. Für die Antwort auf die beiden ersten Fragen im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens sei es von entscheidender Bedeutung, wie diese Gerichte das genannte Urteil gewürdigt hätten.

27

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach Art. 83 der Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen kann, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Parteien oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.

28

Im vorliegenden Fall geht der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts davon aus, dass er über alle zur Entscheidung über das Vorabentscheidungsersuchen erforderlichen Angaben verfügt und dass nicht auf die Stichhaltigkeit eines Vorbringens einzugehen ist, das nicht vor ihm erörtert worden ist.

29

Anders als Hochtief meint, hängt zum einen die Antwort auf die Fragen in der vorliegenden Rechtssache nicht von der Antwort auf die Fragen in der Rechtssache C‑362/18 ab. Denn auch wenn die Ausgangsrechtsstreitigkeiten in der vorliegenden Rechtssache und in der Rechtssache C‑362/18 in einem ähnlichen Kontext stehen, unterscheiden sich die Fragen in der Rechtssache C‑362/18, die, wie Hochtief in ihrem Antrag selbst feststellt, in erster Linie die Haftung eines Mitgliedstaats wegen der Verletzung von Unionsrecht durch ein letztinstanzlich entscheidendes nationales Gericht betreffen, von den Fragen in der vorliegenden Rechtssache, bei denen es um die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Schadensersatzklage gegen einen öffentlichen Auftraggeber geht.

30

Zum anderen muss das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen offenkundig nicht mit Blick auf einen Gesichtspunkt geprüft werden, der zwischen den Parteien nicht erörtert worden wäre. Insbesondere wurde das Urteil vom 15. Oktober 2009, Hochtief und Linde-Kca-Dresden (C‑138/08, EU:C:2009:627), das Hochtief zur Begründung ihres Antrags auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens anführt, vom vorlegenden Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen erwähnt und hatten die Parteien des Ausgangsverfahrens, ebenso wie die in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten, Gelegenheit, sowohl schriftlich als auch mündlich hierzu Stellung zu nehmen.

31

Nach alledem ist die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens nicht anzuordnen.

Zur ersten und zur zweiten Frage

32

Mit seinen ersten beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/665 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Verfahrensregelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, die die Möglichkeit der Geltendmachung eines zivilrechtlichen Anspruchs im Fall des Verstoßes gegen Rechtsnormen über öffentliche Aufträge und die Vergabe öffentlicher Aufträge der Voraussetzung unterwirft, dass die Schiedsstelle für die Vergabe öffentlicher Aufträge bzw. – bei einer gerichtlichen Überprüfung des Beschlusses dieser Schiedsstelle – ein Gericht die Rechtsverletzung rechtskräftig feststellt.

33

Erstens ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/665 die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass bei Schadensersatzansprüchen, die auf die Rechtswidrigkeit einer Entscheidung gestützt werden, diese zunächst von einer mit den dafür erforderlichen Befugnissen ausgestatteten Stelle aufgehoben worden sein muss.

34

Damit ergibt sich bereits aus dem Wortlaut dieser Vorschrift, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich befugt sind, eine nationale Verfahrensregelung wie § 350 des Vergabegesetzes zu erlassen, die die Möglichkeit der Geltendmachung eines zivilrechtlichen Anspruchs im Fall des Verstoßes gegen Rechtsnormen über öffentliche Aufträge der Voraussetzung unterwirft, dass eine Schiedsstelle wie die im Ausgangsverfahren bzw. – bei einer gerichtlichen Überprüfung des Beschlusses einer solchen Schiedsstelle – ein Gericht die Rechtsverletzung rechtskräftig feststellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. November 2015, MedEval, C‑166/14, EU:C:2015:779, Rn. 36).

35

Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass – wie der Gerichtshof wiederholt festgestellt hat – die Richtlinie 89/665 nur die Mindestvoraussetzungen festlegt, denen die in den nationalen Rechtsordnungen geschaffenen Nachprüfungsverfahren entsprechen müssen, um die Beachtung der unionsrechtlichen Bestimmungen im Bereich des öffentlichen Auftragswesens zu gewährleisten (vgl. u. a. Urteil vom 15. September 2016, Star Storage u. a., C‑439/14 und C‑488/14, EU:C:2016:688, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36

Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/665 beschränkt sich somit darauf, die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten vorzusehen, die Erhebung einer Schadensersatzklage von der Aufhebung der streitigen Entscheidung durch eine hierzu befugte Stelle abhängig zu machen, ohne die geringsten Angaben zu eventuellen Bedingungen oder Einschränkungen, mit denen die Umsetzung und Anwendung dieser Bestimmung einhergehen können oder gegebenenfalls müssen, zu enthalten.

37

Daraus folgt, wie der Generalanwalt in Nr. 39 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, dass die Mitgliedstaaten die Bedingungen, unter denen die nationalen Vorschriften, die Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/665 umsetzen, in ihrer Rechtsordnung anzuwenden sind, und die Beschränkungen, Ausnahmen oder Abweichungen, die mit dieser Anwendung gegebenenfalls einhergehen können, frei bestimmen dürfen.

38

Wie der Gerichtshof wiederholt festgestellt hat, müssen die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Modalitäten gerichtlicher Nachprüfungsverfahren zum Schutz der Rechte, die das Unionsrecht den durch Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber geschädigten Bewerbern und Bietern einräumt, allerdings darauf achten, dass weder die Wirksamkeit der Richtlinie 89/665 noch der Schutz der Rechte, die das Unionsrecht Einzelnen einräumt, beeinträchtigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2016, Star Storage u. a., C‑439/14 und C‑488/14, EU:C:2016:688, Rn. 43 und 44).

39

Der Gerichtshof hat insoweit festgestellt, dass die den Mitgliedstaaten durch Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/665 eingeräumte Möglichkeit nicht unbegrenzt ist und der Voraussetzung unterworfen bleibt, dass die Nichtigkeitsklage vor einer Schadensersatzklage effektiv sein muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. November 2015, MedEval, C‑166/14, EU:C:2015:779, Rn. 36 bis 44). Insbesondere obliegt es ihnen, im Einklang mit Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) die uneingeschränkte Achtung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren sicherzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2016, Star Storage u. a., C‑439/14 und C‑488/14, EU:C:2016:688, Rn. 46).

40

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die nationale Verfahrensregelung, die die Möglichkeit der Geltendmachung eines zivilrechtlichen Anspruchs im Fall des Verstoßes gegen Rechtsnormen über öffentliche Aufträge und die Vergabe öffentlicher Aufträge der Voraussetzung unterwirft, dass die Rechtsverletzung vorher rechtskräftig festgestellt wird, dem betroffenen Bieter nicht das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf entzieht.

41

Auf die ersten beiden Fragen des vorlegenden Gerichts ist folglich zu antworten, dass Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/665 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Verfahrensregelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegensteht, die die Möglichkeit der Geltendmachung eines zivilrechtlichen Anspruchs wegen des Verstoßes gegen Bestimmungen über öffentliche Aufträge und die Vergabe öffentlicher Aufträge der Voraussetzung unterwirft, dass eine Schiedsstelle bzw. – bei einer gerichtlichen Überprüfung des Beschlusses dieser Schiedsstelle – ein Gericht die Rechtsverletzung rechtskräftig feststellt.

Zur dritten Frage

42

Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es im Kontext einer Schadensersatzklage einer nationalen Verfahrensregelung entgegensteht, die die gerichtliche Überprüfung der Beschlüsse einer Schiedsstelle, die in erster Instanz für die Kontrolle der Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber im Rahmen von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge zuständig ist, ausschließlich auf die Prüfung der Gründe beschränkt ist, die vor dieser Stelle geltend gemacht wurden.

43

In Bezug auf das Ausgangsverfahren ist zunächst darauf hinzuweisen, dass – wie sich dem Vorabentscheidungsersuchen entnehmen lässt – die nationalen Gerichte, die zuständig sind für die Kontrolle der Beschlüsse der Schiedsstellen, die in erster Instanz mit der Prüfung der Nichtigkeitsklagen gegen die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber im Rahmen von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge befasst sind, gemäß § 339/A der Zivilprozessordnung alle neuen Gründe, die nicht bereits vor den Schiedsstellen geltend gemacht worden sind, als unzulässig zurückweisen müssen.

44

In Anwendung dieser Bestimmung wies das Fővárosi Ítélőtábla (Hauptstädtisches Tafelgericht) die Berufung der Klägerin des Ausgangsverfahrens gegen das Urteil des Fővárosi Bíróság (Hauptstädtisches Gericht), das die Klage gegen den ursprünglichen Beschluss der Schiedsstelle abgewiesen hatte, zurück. Diese Bestimmung war auch Grundlage dafür, dass der Legfelsőbb Bíróság (frühere Bezeichnung des Obersten Gerichtshofs) die Revision der Klägerin des Ausgangsverfahrens gegen das Urteil des Fővárosi Ítélőtábla (Hauptstädtisches Berufungsgericht) zurückwies.

45

Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts könnte die Anwendung von § 339/A der Zivilprozessordnung in Verbindung mit § 350 des Vergabegesetzes jedoch unionsrechtswidrige Auswirkungen haben.

46

Es betont hierzu unter Bezugnahme auf Rn. 39 des Urteils vom 26. November 2015, MedEval (C‑166/14, EU:C:2015:779), dass die Anforderungen an die Rechtssicherheit betreffend die Zulässigkeitsvoraussetzungen für Klagen unterschiedlich hoch seien, je nachdem, ob es sich um Schadensersatzklagen oder um Nachprüfungsverfahren mit dem Ziel handelt, einem Vertrag die Wirksamkeit zu entziehen. Es sei nämlich im Hinblick auf die Anforderungen an die Rechtssicherheit, die Vertragsbeziehungen genießen müssten, gerechtfertigt, Nachprüfungen, die auf die Unwirksamkeit von Verträgen zwischen öffentlichen Auftraggebern und Zuschlagsempfängern abzielten, restriktiv auszugestalten (Primärrechtsschutz). Da Schadensersatzklagen (Sekundärrechtsschutz) grundsätzlich keinen Einfluss auf die Wirksamkeit bereits geschlossener Verträge hätten, sei es hingegen nicht gerechtfertigt, deren Modalitäten genauso streng auszugestalten wie im Fall von Nachprüfungen, bei denen es darum gehe, ob diese Verträge überhaupt existieren oder wie sie durchgeführt werden müssten.

47

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in den Rn. 41 bis 44 des Urteils vom 26. November 2015, MedEval (C‑166/14, EU:C:2015:779), zwar bereits festgestellt hat, dass der Grundsatz der Effektivität unter bestimmten Umständen einer nationalen Verfahrensregelung entgegensteht, nach der die Zulässigkeit von Schadensersatzklagen im Rahmen von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge von der vorherigen Feststellung abhängig gemacht wird, dass das betreffende Vergabeverfahren rechtswidrig war.

48

Es ist jedoch wichtig, zu betonen, dass dieser Feststellung des Gerichtshofs ein ganz besonderer Sachverhalt zugrunde lag, der dadurch gekennzeichnet war, dass die vorherige Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vergabeverfahrens wegen fehlender vorheriger Vergabebekanntmachung einer sechsmonatigen Ausschlussfrist unterlag, die ab dem auf die betreffende Vergabe des öffentlichen Auftrags folgenden Tag zu laufen begann – und zwar unabhängig davon, ob die geschädigte Person von der Rechtswidrigkeit dieser Vergabeentscheidung Kenntnis haben konnte. In diesem Zusammenhang barg die Sechsmonatsfrist nämlich die Gefahr, dass eine geschädigte Person nicht die Möglichkeit hat, die Informationen zu sammeln, die für eine etwaige Klage, mit der die Rechtmäßigkeit des betreffenden Vergabeverfahrens in Frage gestellt wird, notwendig sind, was somit ein Hindernis für die Erhebung dieser Klage war und daher die Ausübung des Rechts auf Erhebung einer Schadensersatzklage praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren konnte.

49

Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation unterscheidet sich jedoch deutlich von der, um die es in der Rechtssache ging, in der das Urteil vom 26. November 2015, MedEval (C‑166/14, EU:C:2015:779), ergangen ist.

50

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 47 bis 49 seiner Schlussanträge feststellt, beeinträchtigt die Verfahrensvorschrift in § 339/A der Zivilprozessordnung – im Unterschied zu der Präklusionsregel in der Rechtssache, in der das Urteil vom 26. November 2015, MedEval (C‑166/14, EU:C:2015:779), ergangen ist – nämlich nicht den Wesensgehalt des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren gemäß Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. September 2013, Texdata Software, C‑418/11, EU:C:2013:588, Rn. 87).

51

Außerdem verlangt diese nationale Verfahrensregelung zwar eine strikte Übereinstimmung der vor der Schiedsstelle vorgetragenen Gründe mit denjenigen, die vor den Gerichten, die mit der Kontrolle der Beschlüsse dieser Stelle befasst werden, geltend gemacht werden, so dass also für den Betroffenen jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, im Laufe des Verfahrens einen neuen Grund geltend zu machen. Sie trägt aber – wie der Generalanwalt in Nr. 49 seiner Schlussanträge festgestellt hat – gleichwohl dazu bei, die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 89/665 zu bewahren, deren Zweck, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, es ist, sicherzustellen, dass rechtswidrige Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber Gegenstand einer wirksamen und möglichst raschen Nachprüfung sein können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2016, Star Storage u. a., C‑439/14 und C‑488/14, EU:C:2016:688, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52

Dazu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof festgestellt hat, dass der Grundsatz, wonach die Initiative in einem Prozess den Parteien zusteht – so dass sich das Gericht an den Streitgegenstand halten muss, seine Entscheidung auf den ihm vorgetragenen Sachverhalt stützen muss und nur in Ausnahmefällen im Interesse der öffentlichen Ordnung von Amts wegen tätig werden darf –, die Verteidigungsrechte schützt und den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens gewährleistet, insbesondere indem es dieses vor den mit der Prüfung neuen Vorbringens verbundenen Verzögerungen bewahrt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Dezember 1995, van Schijndel und van Veen, C‑430/93 und C‑431/93, EU:C:1995:441, Rn. 20 und 21, und vom 7. Juni 2007, van der Weerd u. a., C‑222/05 bis C‑225/05, EU:C:2007:318, Rn. 34 und 35).

53

Wie sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt, wurde es im vorliegenden Fall Hochtief nicht unmöglich gemacht, eine Nichtigkeitsklage gegen die Entscheidung der öffentlichen Auftraggeberin, sie vom Verfahren auszuschließen, zu stellen – weder vor der Schiedsstelle noch anschließend vor den nationalen Gerichten, die für die gerichtliche Kontrolle der Beschlüsse dieser Stelle zuständig sind.

54

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass es Hochtief unmöglich gemacht worden ist, rechtzeitig die Rüge zu erheben, mit der sie im Wesentlichen geltend gemacht hat, dass sie nicht die Möglichkeit zu dem Nachweis gehabt habe, dass die Beteiligung des Experten, den sie als leitenden Planer benannt habe und der auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers beteiligt gewesen sei, den Wettbewerb nicht habe verfälschen können, wie es den Erkenntnissen aus den Rn. 33 bis 36 des Urteils vom 3. März 2005, Fabricom (C‑21/03 und C‑34/03, EU:C:2005:127), entspreche.

55

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs wird nämlich durch die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 267 AEUV vornimmt, erforderlichenfalls erläutert und verdeutlicht, in welchem Sinne und mit welcher Bedeutung diese Bestimmung ab ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre (siehe insbesondere Urteile vom 27. März 1980, Denkavit italiana, 61/79, EU:C:1980:100, Rn. 16, und vom 13. Januar 2004, Kühne & Heitz, C‑453/00, EU:C:2004:17, Rn. 21).

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Daraus folgt, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens ein Bieter wie Hochtief selbst bei Fehlen jeglicher einschlägiger Rechtsprechung des Gerichtshofs in der Lage war, die Rüge zu erheben, dass sie nicht die Möglichkeit zu dem Nachweis gehabt habe, dass der Umstand, dass sie als leitenden Planer einen Experten benannt habe, der auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers an der Ausarbeitung der Ausschreibung beteiligt gewesen sei, den Wettbewerb nicht habe verfälschen können.

57

Im Übrigen ist es zwar richtig, dass das Urteil vom 3. März 2005, Fabricom (C‑21/03 und C‑34/03, EU:C:2005:127), erst nach Einlegung des Nachprüfungsantrags bei der Schiedsstelle durch Hochtief und sogar erst nach Erhebung ihrer Klage gegen deren Schiedsbeschluss beim nationalen Gericht erster Instanz in ungarischer Sprache verfügbar war. Aus diesem Umstand allein kann jedoch nicht darauf geschlossen werden, dass es der Klägerin absolut unmöglich gewesen wäre, eine solche Rüge zu erheben.

58

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass das Unionsrecht, insbesondere Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665 in Verbindung mit Art. 47 der Charta, dahin auszulegen ist, dass es im Kontext einer Schadensersatzklage einer nationalen Verfahrensregelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegensteht, die die gerichtliche Überprüfung der Beschlüsse einer Schiedsstelle, die in erster Instanz für die Kontrolle der Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber im Rahmen von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge zuständig ist, ausschließlich auf die Prüfung der Gründe beschränkt, die vor dieser Stelle geltend gemacht wurden.

Kosten

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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Verfahrensregelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegensteht, die die Möglichkeit der Geltendmachung eines zivilrechtlichen Anspruchs wegen des Verstoßes gegen Bestimmungen über öffentliche Aufträge und die Vergabe öffentlicher Aufträge der Voraussetzung unterwirft, dass eine Schiedsstelle bzw. – bei einer gerichtlichen Überprüfung des Beschlusses dieser Schiedsstelle – ein Gericht die Rechtsverletzung rechtskräftig feststellt.

 

2.

Das Unionsrecht, insbesondere Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665 in der durch die Richtlinie 2014/23 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ist dahin auszulegen, dass es im Kontext einer Schadensersatzklage einer nationalen Verfahrensregelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegensteht, die die gerichtliche Überprüfung der Beschlüsse einer Schiedsstelle, die in erster Instanz für die Kontrolle der Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber im Rahmen von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge zuständig ist, ausschließlich auf die Prüfung der Gründe beschränkt, die vor dieser Stelle geltend gemacht wurden.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Ungarisch.

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