Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-373/17
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)
20. September 2018 ( *1 )
„Rechtsmittel – Wettbewerb – Abweisung einer Beschwerde durch die Europäische Kommission – Fehlendes Interesse der Europäischen Union“
In der Rechtssache C‑373/17 P
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 20. Juni 2017,
Agria Polska sp. z o.o. mit Sitz in Sosnowiec (Polen),
Agria Chemicals Poland sp. z o.o. mit Sitz in Sosnowiec,
Star Agro Analyse und Handels GmbH mit Sitz in Allerheiligen bei Wildon (Österreich),
Agria Beteiligungsgesellschaft mbH mit Sitz in Allerheiligen bei Wildon,
Prozessbevollmächtigte: P. Graczyk, adwokat, und W. Rocławski, radca prawny,
Rechtsmittelführerinnen,
andere Partei des Verfahrens:
Europäische Kommission, vertreten durch J. Szczodrowski und A. Dawes als Bevollmächtigte,
Beklagte im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Vajda, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin) und des Richters C. Lycourgos,
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 |
Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Agria Polska sp. z o.o., die Agria Chemicals Poland sp. z o.o., die Star Agro Analyse und Handels GmbH (im Folgenden: Star Agro) sowie die Agria Beteiligungsgesellschaft mbH die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 16. Mai 2017, Agria Polska u. a./Kommission (T‑480/15, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2017:339). Mit diesem war ihre Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2015) 4284 final der Kommission vom 19. Juni 2015 (Sache AT.39864 – BASF [zuvor AGRIA u. a./BASF u. a.]) abgewiesen worden, mit dem ihre Beschwerde über Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 und/oder Art. 102 AEUV abgewiesen worden war, die im Wesentlichen von 13 Herstellern und Vertreibern von Pflanzenschutzmitteln mit Unterstützung bzw. unter Einschaltung von vier Berufsverbänden und einer Rechtsanwaltskanzlei begangen worden sein sollen (im Folgenden: streitiger Beschluss). |
Rechtlicher Rahmen
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Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den [Art. 101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) bestimmt: „(1) Stellt die Kommission auf eine Beschwerde hin oder von Amts wegen eine Zuwiderhandlung gegen [Art. 101 oder 102 AEUV] fest, so kann sie die beteiligten Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung verpflichten, die festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen. Sie kann ihnen hierzu alle erforderlichen Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art vorschreiben, die gegenüber der festgestellten Zuwiderhandlung verhältnismäßig und für eine wirksame Abstellung der Zuwiderhandlung erforderlich sind. Abhilfemaßnahmen struktureller Art können nur in Ermangelung einer verhaltensorientierten Abhilfemaßnahme von gleicher Wirksamkeit festgelegt werden, oder wenn letztere im Vergleich zu Abhilfemaßnahmen struktureller Art mit einer größeren Belastung für die beteiligten Unternehmen verbunden wäre. Soweit die Kommission ein berechtigtes Interesse hat, kann sie auch eine Zuwiderhandlung feststellen, nachdem diese beendet ist. (2) Zur Einreichung einer Beschwerde im Sinne von Absatz 1 befugt sind natürliche und juristische Personen, die ein berechtigtes Interesse darlegen, sowie die Mitgliedstaaten.“ |
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Art. 7 („Abweisung von Beschwerden“) Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der [Art. 101 und 102 AEUV] durch die Kommission (ABl. 2004, L 123, S. 18) bestimmt: „(1) Ist die Kommission der Auffassung, dass die ihr vorliegenden Angaben es nicht rechtfertigen, einer Beschwerde nachzugehen, so teilt sie dem Beschwerdeführer die Gründe hierfür mit und setzt ihm eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme. Die Kommission ist nicht verpflichtet, nach Ablauf dieser Frist eingegangenen schriftlichen Ausführungen Rechnung zu tragen. (2) Äußert sich der Beschwerdeführer innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist und führen seine schriftlichen Ausführungen nicht zu einer anderen Würdigung der Beschwerde, weist die Kommission die Beschwerde durch Entscheidung ab.“ |
Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitiger Beschluss
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Die Vorgeschichte des Rechtsstreits und die wesentlichen Gesichtspunkte des streitigen Beschlusses, wie sie aus den Rn. 1 bis 19 des angefochtenen Urteils hervorgehen, lassen sich wie folgt zusammenfassen. |
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Am 1. Juli 2010 reichte Agria Polska beim Urząd Ochrony Konkurencji i Konsumentów (Amt für den Schutz des Wettbewerbs und der Verbraucher, Polen) (im Folgenden: UOKiK) eine Beschwerde (im Folgenden: nationale Beschwerde) ein wegen Verstoßes gegen das Ustawa o ochronie konkurencji i konsumentów (Gesetz über den Schutz des Wettbewerbs und der Verbraucher) vom 16. Februar 2007 (Dz. U. Nr. 50, Position 331) durch 13 Unternehmen, die Pflanzenschutzmittel herstellen oder vertreiben, mit Unterstützung bzw. unter Einschaltung von vier Berufsverbänden mit Sitz in Belgien, in Deutschland bzw. in Polen sowie einer Rechtsanwaltskanzlei. |
6 |
Mit Schreiben vom 10. August 2010 teilte der Präsident des UOKiK Agria Polska mit, dass die mit der nationalen Beschwerde gerügten Praktiken, da sie die Jahre 2005 und 2006 beträfen, nicht mehr Gegenstand einer von diesem Amt durchgeführten Untersuchung sein könnten. Nach Art. 93 des Gesetzes über den Schutz des Wettbewerbs und der Verbraucher könne nämlich ein Verfahren wegen wettbewerbsbeschränkender Praktiken nach Ablauf einer Frist von einem Jahr ab Ende des Jahres, in dem die betreffende Zuwiderhandlung beendet worden sei, nicht mehr eröffnet werden. |
7 |
Am 30. August 2010 beantragte Agria Polska beim UOKiK erneut die Eröffnung eines Untersuchungsverfahrens und machte geltend, bei der nationalen Beschwerde gehe es auch um eine Zuwiderhandlung gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Europäischen Union. |
8 |
Mit Schreiben vom 22. November 2010 beharrte der Präsident des UOKiK auf seinem Standpunkt und führte aus, die im polnischen Recht vorgesehene einjährige Verjährungsfrist gelte auch dann, wenn sich die beantragte Untersuchung auf Verstöße gegen Bestimmungen des Wettbewerbsrechts der Union beziehe. |
9 |
Am 30. November 2010 reichten Agria Polska, Agria Chemicals Poland, Star Agro, die Agria Beteiligungsgesellschaft und die Agro Nova Polska sp. z o.o. bei der Europäischen Kommission eine Beschwerde nach Art. 7 der Verordnung Nr. 1/2003 (im Folgenden: Beschwerde) ein. Sie richtete sich gegen dieselben Körperschaften wie die nationale Beschwerde. Die Agro Trade Handelsgesellschaft mbH und die Cera Chem Sàrl, Gesellschaften nach deutschem bzw. nach luxemburgischem Recht (im Folgenden, gemeinsam mit Agria Polska, Agria Chemicals Poland, Star Agro, der Agria Beteiligungsgesellschaft und Agro Nova Polska: Beschwerdeführerinnen), schlossen sich der Beschwerde an. |
10 |
Die Beschwerde betraf eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV. In ihr wurde auch eine von der RWA Raiffeisen Ware Austria AG, die eine der in der nationalen Beschwerde bezeichneten Körperschaften war, begangene Zuwiderhandlung gegen Art. 102 AEUV genannt. |
11 |
Die Beschwerdeführerinnen machten geltend, die in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften hätten Praktiken angewandt, die sich vor allem als Vereinbarung und/oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen manifestiert hätten. Sie hätten in missbräuchlichen, auf koordinierte Weise bei österreichischen und polnischen Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden erstatteten Anzeigen bestanden, die die Rechtmäßigkeit der Geschäftstätigkeit der Beschwerdeführerinnen in Bezug auf die in den Bestimmungen für Pflanzenschutzmittel vorgesehenen Voraussetzungen und in Bezug auf die Bedingungen für den Parallelhandel mit solchen Waren, auch in steuerlicher Hinsicht, in Frage stellten. |
12 |
Aufgrund falscher, verkürzter oder sogar irreführender Erklärungen, die diese Körperschaften mit dem Ziel abgegeben hätten, sie vom Markt zu verdrängen, hätten diese Behörden sie zu Unrecht zahlreichen Verwaltungskontrollen unterzogen. |
13 |
Im Rahmen dieser Verfahren seien die Beschwerdeführerinnen mit Geldbußen belegt worden, und es seien Maßnahmen zur Untersagung der Vermarktung von Pflanzenschutzmitteln ergriffen worden. Dies habe zu einem großen und schwer wiedergutzumachenden Verlust von Marktanteilen geführt. |
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Bestimmte der gegen die Beschwerdeführerinnen verhängten verwaltungs- und strafrechtlichen Sanktionen seien von den zuständigen nationalen Gerichten für nichtig erklärt oder herabgesetzt worden. Dies belege den missbräuchlichen und irreführenden Charakter der Erklärungen der in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften, die die Beschwerdeführerinnen als „böswillige Verfahren“ im Sinne des Urteils vom 17. Juli 1998, ITT Promedia/Kommission (T‑111/96, EU:T:1998:183), bezeichnen. |
15 |
Am 27. März 2012 übermittelte die Kommission den in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften eine nicht vertrauliche und konsolidierte Fassung der Beschwerde; diese Körperschaften reichten zwischen April und Juni 2012 ihre Stellungnahmen ein. |
16 |
In ihren jeweiligen Stellungnahmen bestritten die Körperschaften die in der Beschwerde enthaltene Darstellung des Sachverhalts. Im Wesentlichen machten sie geltend, die von einigen von ihnen bei den Verwaltungsbehörden oder den nationalen Gerichten eingeleiteten Maßnahmen seien rechtmäßig gewesen, u. a. aufgrund der Verletzung ihrer Rechte des geistigen oder gewerblichen Eigentums und zur Verhinderung einer Schädigung ihres Rufs. Ihre Maßnahmen seien zudem nicht koordiniert gewesen, und die Tatsache, dass die Maßnahmen in zeitlicher Nähe zueinander eingeleitet worden seien, sei in erster Linie dadurch zu erklären, dass sie zeitgleich mit den rechtswidrigen Handlungen der Parallelimporteure konfrontiert gewesen seien. Was die Kontakte betreffe, die in diesem Zusammenhang zwischen bestimmten Herstellern und/oder Vertreibern von Pflanzenschutzmitteln oder zwischen Letzteren und Berufsverbänden oder auch nationalen Behörden aufgenommen worden seien, so seien diese völlig gerechtfertigt, ebenso wie ihre Teilnahme an den Inspektionen. Diese legitimen Kontakte könnten daher nicht als Beweis für das Bestehen eines Kartells im Sinne von Art. 101 AEUV dienen. |
17 |
Mit Schreiben vom 8. Dezember 2014 unterrichtete die Kommission die Beschwerdeführerinnen über ihre Absicht, die Beschwerde vor allem aus dem Grund abzuweisen, dass kein ausreichendes Unionsinteresse bestehe, sie weiter nach Art. 101 oder Art. 102 AEUV zu behandeln. |
18 |
Zur Stützung ihrer vorläufigen Analyse erklärte die Kommission erstens, aufgrund unzureichender Beweise zur Untermauerung der Beschwerde und auch der Schwierigkeit, im vorliegenden Fall eine marktbeherrschende Stellung von RWA Raiffeisen Ware Austria oder eine gemeinsame marktbeherrschende Stellung festzustellen und sodann einen Missbrauch einer solchen Stellung nachzuweisen, sei die Wahrscheinlichkeit, das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 und/oder Art. 102 AEUV festzustellen, gering. Die sich aus den Urteilen vom 17. Juli 1998, ITT Promedia/Kommission (T‑111/96, EU:T:1998:183), und vom 1. Juli 2010, AstraZeneca/Kommission (T‑321/05, EU:T:2010:266), ergebende Rechtsprechung sei nicht auf Situationen übertragbar, in denen Unternehmen nationale Behörden von vermeintlich rechtswidrigen Verhaltensweisen oder Maßnahmen anderer Unternehmen in Kenntnis setzten oder auf deren verwaltungs- oder strafrechtliche Verfolgung drängten. Zweitens seien die für die geforderte Untersuchung nötigen Mittel angesichts der geringen Wahrscheinlichkeit, das Vorliegen einer Zuwiderhandlung festzustellen, wahrscheinlich unverhältnismäßig. Drittens seien in diesem Stadium die nationalen Behörden und Gerichte möglicherweise besser in der Lage, die in der Beschwerde aufgezeigten Probleme zu behandeln. |
19 |
In einer am 8. Januar 2015 eingereichten Stellungnahme teilte der Rechtsberater der Agro Trade Handelsgesellschaft und von Cera Chem der Kommission im Wesentlichen mit, dass sie ihre Beschwerde zurückgezogen hätten. Agria Polska, Agria Chemicals Poland, Star Agro und die Agria Beteiligungsgesellschaft träten der angekündigten Einstellung des Verfahrens über die Beschwerde entgegen. Insbesondere vermindere ein solches Vorgehen ihre Chance erheblich, wegen der betreffenden Zuwiderhandlungen gegen die Art. 101 und 102 AEUV vor den nationalen Gerichten Schadensersatz zu erlangen. |
20 |
Die Kommission wies mit dem streitigen Beschluss die Beschwerde ab und wiederholte im Wesentlichen ihre im Schreiben vom 8. Dezember 2014 enthaltene vorläufige Analyse. Dabei hob sie hervor, dass sie über begrenzte Mittel verfüge und im vorliegenden Fall die gründliche Untersuchung, die durchgeführt werden und möglicherweise während eines Zeitraums von sieben Jahren von 18 Körperschaften in vier Mitgliedstaaten ausgeübte Tätigkeiten umfassen müsste, zu komplex und zeitaufwendig wäre, während die Wahrscheinlichkeit, eine Zuwiderhandlung festzustellen, im vorliegenden Fall gering erscheine, was gegen die Einleitung einer Untersuchung spreche. |
Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil
21 |
Mit Klageschrift, die am 19. August 2015 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhoben Agria Polska, Agria Chemicals Poland, Star Agro und die Agria Beteiligungsgesellschaft Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses. |
22 |
Zur Stützung ihrer Klage machten sie zwei Klagegründe geltend: erstens einen Verstoß gegen das in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsschutz und zweitens einen Verstoß gegen die Art. 101 und 102 AEUV. |
23 |
Das Gericht hat mit dem angefochtenen Urteil beide Klagegründe zurückgewiesen und infolgedessen die Klage insgesamt abgewiesen. |
Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien des Rechtsmittelverfahrens
24 |
Mit Schriftsatz, der am 20. Juni 2017 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, haben Agria Polska, Agria Chemicals Poland, Star Agro und die Agria Beteiligungsgesellschaft das vorliegende Rechtsmittel eingelegt. |
25 |
Mit Schriftsatz, der am 12. Dezember 2017 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat Star Agro dem Gerichtshof mitgeteilt, dass sie ihr Rechtsmittel zurücknehme. |
26 |
Mit Schriftsatz, der am 21. Dezember 2017 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat die Kommission dem Gerichtshof mitgeteilt, dass sie keine Bemerkungen zu dieser Rücknahme habe. |
27 |
Mit ihrem Rechtsmittel beantragen Agria Polska, Agria Chemicals Poland und die Agria Beteiligungsgesellschaft (im Folgenden: Rechtsmittelführerinnen),
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Die Kommission beantragt,
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Zum Rechtsmittel
Zur Zulässigkeit
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Die Kommission macht im Wesentlichen geltend, alle von den Rechtsmittelführerinnen vorgebrachten Rechtsmittelgründe seien unzulässig. Sie habe beträchtliche Schwierigkeiten, ihr Vorbringen zu verstehen, überlasse jedoch die Frage der Zulässigkeit des Rechtsmittels insgesamt der Würdigung durch den Gerichtshof. |
30 |
Die Rechtsmittelführerinnen entgegnen, ihr Rechtsmittel sei insgesamt, wie auch alle ihre Rechtsmittelgründe, zulässig. |
31 |
Gemäß Art. 256 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV und Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist das Rechtsmittel auf Rechtsfragen beschränkt. Es kann nur auf die Unzuständigkeit des Gerichts, auf einen Verfahrensfehler, durch den die Interessen des Rechtsmittelführers beeinträchtigt werden, sowie auf eine Verletzung des Unionsrechts durch das Gericht gestützt werden. |
32 |
Daher ist allein das Gericht für die Feststellung des Sachverhalts – sofern sich nicht aus den ihm vorgelegten Verfahrensunterlagen ergibt, dass seine Feststellungen tatsächlich falsch sind – und für die Beweiswürdigung zuständig. Die Feststellung des Sachverhalts und die Würdigung der Beweise stellen somit, außer im Fall ihrer Verfälschung, keine Rechtsfrage dar, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs unterläge (Beschluss vom 25. März 2009, Scippacercola und Terezakis/Kommission, C‑159/08 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:188, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
33 |
Des Weiteren müssen nach Art. 169 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs die geltend gemachten Rechtsgründe und ‑argumente die beanstandeten Punkte der Begründung der Entscheidung des Gerichts genau bezeichnen. Nach ständiger Rechtsprechung muss demnach ein Rechtsmittel die beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die rechtlichen Argumente, die diesen Antrag speziell stützen, genau bezeichnen; andernfalls ist das Rechtsmittel oder der betreffende Rechtsmittelgrund unzulässig (Urteile vom 23. April 2009, AEPI/Kommission, C‑425/07 P, EU:C:2009:253, Rn. 25, vom 19. September 2013, EFIM/Kommission, C‑56/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:575, Rn. 21, sowie vom 6. Juni 2018, Apcoa Parking Holdings/EUIPO, C‑32/17 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:396, Rn. 38). |
34 |
Vorliegend ist festzustellen, dass die Rechtsmittelschrift zwar nicht mit der wünschenswerten Klarheit verfasst wurde und allgemeine Behauptungen ohne konkrete Begründung enthält und in ihr Tatsachenwürdigungen angegriffen werden. |
35 |
Ungeachtet dieser Mängel werden aber in der Rechtsmittelschrift bei mehreren Argumenten die beanstandeten Teile des angefochtenen Urteils angegeben, und sie enthält rechtliche Ausführungen zu ihrer Stützung. |
36 |
Soweit sich die Rechtsmittelführerinnen nach Ansicht der Kommission darauf beschränken, ihr Vorbringen vor dem Gericht zu wiederholen, ist vorbehaltlich der Ausführungen in der vorstehenden Randnummer festzustellen, dass sie im Wesentlichen die Auslegung oder Anwendung des Unionsrechts durch das Gericht beanstandet haben. Unter diesen Umständen können im ersten Rechtszug geprüfte Rechtsfragen im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels erneut behandelt werden. Könnte nämlich ein Rechtsmittelführer sein Rechtsmittel nicht in dieser Weise auf bereits vor dem Gericht geltend gemachte Klagegründe und Argumente stützen, so würde dies dem Rechtsmittelverfahren einen Teil seiner Bedeutung nehmen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 25. März 2009, Scippacercola und Terezakis/Kommission, C‑159/08 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:188, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Urteil vom 23. April 2009, AEPI/Kommission, C‑425/07 P, EU:C:2009:253, Rn. 24). |
37 |
Folglich kann das Rechtsmittel nicht als insgesamt unzulässig angesehen werden. Die Zulässigkeit der Rechtsmittelgründe und Argumente der Rechtsmittelführerinnen wird daher im Rahmen ihrer jeweiligen Prüfung beurteilt. |
Zur Begründetheit
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Zur Begründung ihres Rechtsmittels machen die Rechtsmittelführerinnen drei Rechtsmittelgründe geltend: erstens einen Verstoß des Gerichts gegen Art. 101 und/oder Art. 102 AEUV in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1/2003 sowie Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 773/2004, zweitens einen Verstoß des Gerichts gegen die praktische Wirksamkeit von Art. 101 und/oder Art. 102 AEUV in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 EUV und Art. 105 AEUV und drittens einen Verstoß des Gerichts gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, gegen das Recht, bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, und gegen den Grundsatz der guten Verwaltung. |
Zum ersten Rechtsmittelgrund
– Vorbringen der Parteien
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Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund rügen die Rechtsmittelführerinnen die Feststellung des Gerichts, die Kommission habe keinen offenkundigen Fehler bei der Beurteilung der Umstände begangen, die sich auf die Entscheidung über die Einleitung einer Untersuchung auswirkten. |
40 |
Erstens wenden sie sich gegen die Rn. 46 und 47 des angefochtenen Urteils. |
41 |
Das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es sich in Rn. 46 des Urteils auf die Erklärungen einiger der in der Beschwerde bezeichneten Unternehmen gestützt habe, um die Gleichzeitigkeit ihrer die Rechtsmittelführerinnen betreffenden Handlungen zu rechtfertigen. Es sei nämlich offensichtlich, dass diese Unternehmen zum Schutz ihres Interesses an der Abweisung der Beschwerde Erklärungen abgegeben hätten, mit denen die geltend gemachten Zuwiderhandlungen gegen die Art. 101 und 102 AEUV in Abrede gestellt würden. Das Gericht hätte diese Erklärungen anhand der von den Rechtsmittelführerinnen vorgelegten Nachweise prüfen müssen. |
42 |
Die Erwägungen in Rn. 47 des angefochtenen Urteils zum möglicherweise wettbewerbswidrigen Zweck der Maßnahmen, die von den in der Beschwerde bezeichneten Unternehmen ergriffen worden seien, entsprächen nicht im Geringsten den von den Rechtsmittelführerinnen vorgetragenen Tatsachen. Auch könne man nicht behaupten, wie es in Rn. 44 des Urteils geschehen sei, dass diese Maßnahmen dem Recht der Unternehmen unterfielen, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Mitbewerber mit wachem Sinn anzupassen. Das Gericht habe hierbei dem Umstand, dass die meisten Rügen der Unternehmen unberechtigt gewesen seien und die Entscheidungen, die infolge der auf ihren Antrag hin durchgeführten Kontrollen erlassen worden seien, aufgehoben worden seien, nicht die notwendige Bedeutung zuerkannt. Zudem hätten die Rechtsmittelführerinnen in ihrer Klageschrift im ersten Rechtszug den klar wettbewerbswidrigen Zweck der Praktiken, die Gegenstand der Beschwerde gewesen seien, dargetan. |
43 |
Zweitens wenden sich die Rechtsmittelführerinnen gegen die Auslegung und Anwendung der durch die Urteile vom 17. Juli 1998, ITT Promedia/Kommission (T‑111/96, EU:T:1998:183), und vom 1. Juli 2010, AstraZeneca/Kommission (T‑321/05, EU:T:2010:266), begründeten Rechtsprechung durch das Gericht in den Rn. 67 bis 73 des angefochtenen Urteils. Diese Rechtsprechung zu Art. 102 AEUV sei auch im Kontext von Art. 101 AEUV einschlägig. |
44 |
Zum einen seien die im Urteil vom 17. Juli 1998, ITT Promedia/Kommission (T‑111/96, EU:T:1998:183), genannten Voraussetzungen vorliegend erfüllt. Die fraglichen Anzeigen, die falsche oder irreführende Angaben enthielten, könnten nämlich nicht als gutgläubig ergriffene Maßnahmen angesehen werden. Das Gericht habe die Umstände des Einzelfalls insoweit unzureichend berücksichtigt, als die Anzeigen u. a. an unzuständige Behörden gerichtet worden seien. |
45 |
Zum anderen könne die rechtliche Würdigung der Handlungen, die den in der Beschwerde bezeichneten Unternehmen vorgeworfen worden seien, aufgrund der Art und des Fortdauerns der Handlungen dieser Unternehmen nicht von dem Ermessen abhängig sein, über das die nationalen Behörden verfügten. In diesem Kontext kritisieren die Rechtsmittelführerinnen die Rn. 49, 50, 70 und 71 des angefochtenen Urteils, werfen dem Gericht vor, den tatsächlichen Kontext der Rechtssache unzureichend berücksichtigt zu haben und machen geltend, die fraglichen polnischen Behörden bzw. die österreichische Polizei und die österreichische Staatsanwaltschaft seien verpflichtet gewesen, Ermittlungen vorzunehmen und auf die Anzeigen hin Verfahren einzuleiten. |
46 |
Drittens bestehen die Rechtsmittelführerinnen auf dem grenzüberschreitenden Ausmaß der gerügten Zuwiderhandlungen, das entgegen den Feststellungen des Gerichts in den Rn. 63 und 64 des angefochtenen Urteils die Einleitung einer Untersuchung durch die Kommission rechtfertige. Die Zuwiderhandlungen beträfen nämlich das Hoheitsgebiet von mindestens vier Mitgliedstaaten – und nicht nur von zwei Mitgliedstaaten, wie das Gericht fälschlicherweise festgestellt habe. |
47 |
Des Weiteren sei entgegen den Ausführungen in Rn. 62 des angefochtenen Urteils die Einreichung einer Beschwerde bei einer nationalen Wettbewerbsbehörde nach der Rechtsprechung des Gerichts nicht als Argument zugunsten der ausschließlichen Zuständigkeit dieser Behörde anzusehen. Aus der Systematik der Verordnung Nr. 1/2003 könne nicht gefolgert werden, dass die etwaige Zuständigkeit einer solchen nationalen Behörde der Einleitung einer Untersuchung durch die Kommission entgegenstehen könne. Dies gelte umso mehr, wenn die Einleitung des nationalen Verfahrens aus verfahrensrechtlichen Gründen unterblieben sei. Im vorliegenden Fall hätten jedoch, wie sich aus dem Urteil vom 23. April 2009, AEPI/Kommission (C‑425/07 P, EU:C:2009:253, Rn. 53), ergebe, die Bedeutung der gerügten Zuwiderhandlungen, ihr Ausmaß und ihre lange Dauer, wie sie von den Rechtsmittelführerinnen in ihrer Beschwerde an die Kommission hervorgehoben worden seien, einen Einfluss auf die Würdigung des Unionsinteresses haben müssen. |
48 |
Viertens rügen die Rechtsmittelführerinnen die Rn. 56 und 57 des angefochtenen Urteils als rechtsfehlerhaft. Das Gericht habe fälschlicherweise festgestellt, dass weder der Umfang der geforderten Untersuchung noch das Ausmaß der mehrere Mitgliedstaaten umfassenden Verhaltensweisen die Einleitung einer Untersuchung durch die Kommission rechtfertigten. Nach Ansicht der Rechtsmittelführerinnen weist der bedeutende Umfang der für eine solche Untersuchung benötigten Ressourcen im Gegenteil darauf hin, dass die Kommission die geeignetste Behörde sei, um die Täter der fraglichen Zuwiderhandlungen zu verfolgen. Dies sei umso mehr der Fall, als die private Rechtsdurchsetzung ungenügend sei. |
49 |
Als Anlagen zu ihrer Erwiderung haben die Rechtsmittelführerinnen zwei Dokumente vorgelegt, die eine Liste der in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften enthalten und deren Tätigkeiten in mehreren Mitgliedstaaten beschreiben. |
50 |
Die Kommission beantragt, den ersten Rechtsmittelgrund als im Wesentlichen unzulässig und teilweise ins Leere gehend zurückzuweisen. Im Übrigen seien die als Anlagen zu der Erwiderung vorgelegten Dokumente unzulässig. |
– Würdigung durch den Gerichtshof
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Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund beanstanden die Rechtsmittelführerinnen im Wesentlichen die Würdigung des Gerichts in Bezug auf die Richtigkeit der von der Kommission vorgenommenen Beurteilung des Unionsinteresses an der weiteren Prüfung der Rechtssache. |
52 |
Einleitend ist festzustellen, dass das Vorbringen, mit dem die Rechtsmittelführerinnen die Tatsachenwürdigungen des Gerichts rügen, nach der in Rn. 32 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung unzulässig ist, da sie keine Verfälschung der vom Gericht geprüften Tatsachen und Beweismittel geltend gemacht haben. Dies trifft auf das Vorbringen zu, mit dem die in Rn. 47 des angefochtenen Urteils vorgenommene Beurteilung des Zwecks der Maßnahmen, die von den in der Beschwerde bezeichneten Unternehmen ergriffen wurden, gerügt werden soll. Ebenfalls unzulässig ist das Vorbringen hinsichtlich des Umfangs des Ermessens der nationalen Behörden und Gerichte, ihrer angeblichen Unzuständigkeit und des Umstands, dass die Kontrollen zunächst keine Unregelmäßigkeiten aufgedeckt hätten. Schließlich ist der Vortrag unzulässig, mit dem die in den Rn. 59 und 64 des angefochtenen Urteils vorgenommene Beurteilung der räumlichen Ausdehnung der behaupteten Zuwiderhandlung in Frage gestellt wird. Unter diesen Umständen ist es im Übrigen nicht erforderlich, über die Zulässigkeit der Dokumente zu entscheiden, die die Rechtsmittelführerinnen als Anlagen zur Erwiderung vorgelegt haben, um die insbesondere räumliche Ausdehnung der Verhaltensweisen zu veranschaulichen, die den in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften vorgeworfen werden. |
53 |
Hauptsächlich ist erstens, was die Wahrscheinlichkeit der Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen die Art. 101 und 102 AEUV angeht, darauf hinzuweisen, dass das Gericht, wie die Rechtsmittelführerinnen im Übrigen anmerken, in Rn. 45 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, dass es in Betracht gekommen sei, allein in dem in der Beschwerde enthaltenen Vorbringen Hinweise auf mögliche Absprachen der in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften zu sehen. Jedoch hat das Gericht in den Rn. 46 und 47 des Urteils zum einen festgestellt, dass die Kommission keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe, als sie festgestellt habe, die Erklärungen einiger dieser Körperschaften seien geeignet, die Gleichzeitigkeit der Anzeigen bei den nationalen Behörden zu rechtfertigen. Zum anderen hat es festgestellt, dass es für diese Körperschaften legitim sein konnte, die zuständigen nationalen Behörden über etwaige Verstöße ihrer Wettbewerber gegen geltende Bestimmungen in Kenntnis zu setzen. |
54 |
Daraus folgt, dass das Gericht nicht nur die Erklärungen der in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften, sondern auch die von den Rechtsmittelführerinnen vorgebrachten Umstände ordnungsgemäß berücksichtigt hat. |
55 |
In diesem Zusammenhang beruht das Argument der Rechtsmittelführerinnen, mit dem Rn. 44 des angefochtenen Urteils beanstandet wird, auf einem Fehlverständnis dieser Randnummer. Das Gericht hat sich nämlich darauf beschränkt, darin die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu zitieren, ohne sie auf die Umstände des vorliegenden Falles anzuwenden. Jedenfalls genügt – soweit die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vorwerfen, es habe nicht beachtet, dass die nationalen Gerichte die Entscheidungen für nichtig erklärt hätten, die infolge der von den in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften erstatteten Anzeigen ergangen seien – der Hinweis darauf, dass das Gericht diese Tatsache in Rn. 51 des angefochtenen Urteils berücksichtigt hat. |
56 |
Zweitens ist im Hinblick auf die behaupteten Fehler in den Rn. 67 bis 73 des angefochtenen Urteils bei der Anwendung der Rechtsprechung aus den Urteilen vom 17. Juli 1998, ITT Promedia/Kommission (T‑111/96, EU:T:1998:183), und vom 1. Juli 2010, AstraZeneca/Kommission (T‑321/05, EU:T:2010:266), festzustellen, dass das Gericht in den Rn. 69 bis 71 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen hat, dass diese beiden Urteile andere Verhaltensweisen beträfen als die, die vorliegend den in der Beschwerde bezeichneten Körperschaften zugeschrieben würden. Nach den Ausführungen des Gerichts hatten in den Rechtssachen, in denen die genannten Urteile ergangen sind, die von Unternehmen in beherrschender Stellung angerufenen Verwaltungs- und Justizbehörden kein Ermessen bei der Frage, ob es zweckmäßig ist, dem Ersuchen dieser Unternehmen nachzukommen. Unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache hätten die angerufenen Behörden dagegen über ein solches Ermessen verfügt, wie sich aus den Rn. 49 und 50 des angefochtenen Urteils ergibt, auf die dessen Rn. 71 verweist. |
57 |
Demnach hat sich das Gericht nicht zur Erfüllung der Voraussetzungen für die Anwendung der sich aus den in der vorstehenden Randnummer genannten Urteilen ergebenden Rechtsprechung geäußert. Diese Voraussetzungen beinhalten nach dem Vortrag der Rechtsmittelführerinnen zum einen, dass die Handlung, wie die vorliegend fraglichen Anzeigen, nicht in gutem Glauben, sondern mit der Absicht erfolgte, der Gegenpartei zuzusetzen, und zum anderen, dass die Handlung Teil eines Plans ist, mit dem der Wettbewerb beseitigt werden soll. Somit geht das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen, nach dem diese Voraussetzungen vorliegend erfüllt seien, ins Leere. |
58 |
Selbst wenn man außerdem annähme, dass die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vorwerfen wollten, es habe einen Rechtsfehler begangen, indem es die Anwendbarkeit dieser Rechtsprechung davon abhängig gemacht habe, dass die angerufenen Behörden und Gerichte kein Ermessen hätten, ist ihre Argumentation im Hinblick auf die oben in Rn. 33 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung nicht ausreichend substantiiert und somit unzulässig. |
59 |
Drittens ist, was das Vorbringen zur Zuständigkeit der Kommission angesichts des Ausmaßes der behaupteten Zuwiderhandlung und der Anrufung einer zuständigen nationalen Behörde angeht, zum einen festzustellen, dass das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen, mit dem Rn. 62 des angefochtenen Urteils beanstandet wird, auf einer fehlerhaften Lesart dieser Randnummer beruht. Weder aus dieser Randnummer noch aus dem Urteil insgesamt geht nämlich hervor, dass das Gericht den Standpunkt eingenommen hätte, dass die Einreichung einer Beschwerde bei einer nationalen Wettbewerbsbehörde und deren Zuständigkeit die Einleitung einer Untersuchung durch die Kommission ausschließen könnten. |
60 |
Zum anderen trifft es zu, dass der Gerichtshof, wie die Rechtsmittelführerinnen vor ihm vorgetragen haben, bereits entschieden hat, dass die Kommission sich bei der Beurteilung des Unionsinteresses an der Einleitung einer Untersuchung in jedem Einzelfall ein Urteil über die Schwere der geltend gemachten Beeinträchtigungen des Wettbewerbs und deren fortdauernde Wirkungen zu bilden hat und dass diese Verpflichtung insbesondere darauf gerichtet ist, die Dauer und das Gewicht der beanstandeten Zuwiderhandlungen sowie deren Auswirkung auf die Wettbewerbsverhältnisse in der Union zu berücksichtigen (Urteil vom 23. April 2009, AEPI/Kommission, C‑425/07 P, EU:C:2009:253, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
61 |
Da bei der Einschätzung des durch eine Beschwerde begründeten Unionsinteresses auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen ist, ist es jedoch nicht angebracht, die Zahl der Beurteilungskriterien, die die Kommission heranziehen kann, einzuschränken oder ihr umgekehrt die ausschließliche Anwendung bestimmter Kriterien vorzuschreiben (Urteile vom 4. März 1999, Ufex u. a./Kommission, C‑119/97 P, EU:C:1999:116, Rn. 79, sowie vom 17. Mai 2001, IECC/Kommission, C‑449/98 P, EU:C:2001:275, Rn. 46). In Anbetracht dessen, dass sich auf einem Gebiet wie dem Wettbewerbsrecht der tatsächliche und rechtliche Zusammenhang von Fall zu Fall beträchtlich unterscheiden kann, ist es möglich, bis dahin nicht in Betracht gezogene Kriterien zugrunde zu legen (Urteil vom 4. März 1999,Ufex u. a./Kommission, C‑119/97 P, EU:C:1999:116, Rn. 80) oder für die Beurteilung des Unionsinteresses einem einzigen Kriterium den Vorrang zu geben (Urteil vom 17. Mai 2001, IECC/Kommission, C‑449/98 P, EU:C:2001:275, Rn. 47). |
62 |
Die in der vorstehenden Randnummer genannten Regeln können durch die von den Rechtsmittelführerinnen angeführte und in Rn. 60 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Rechtsprechung, die unter Berücksichtigung des speziellen Kontexts ihres Zustandekommens auszulegen ist, nicht in Frage gestellt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. September 2013, EFIM/Kommission,C‑56/12 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:575, Rn. 86). |
63 |
Die Rechtsmittelführerinnen tragen zwar vor, dass sie die Beschwerde bei der Kommission nicht ohne Grund eingereicht hätten und die behaupteten Zuwiderhandlungen einen Zeitraum von sieben Jahren umfasst sowie ein grenzüberschreitendes Ausmaß aufgewiesen hätten, allerdings haben sie nicht erklärt, inwiefern – mit Blick auf den jeweiligen Kontext der Rechtssachen, die zu der angeführten Rechtsprechung geführt haben, und der vorliegenden Rechtssache – das Gericht einen Rechtsfehler begangen haben soll, indem es ihr Vorbringen zum Unionsinteresse nach der angeführten Rechtsprechung zurückgewiesen hat. Daraus folgt, dass die Argumentation, die auf dieser Rechtsprechung aufbaut, als unbegründet zurückzuweisen ist. |
64 |
Viertens ist das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen, mit dem geltend gemacht wird, das Gericht habe in den Rn. 56 und 57 des angefochtenen Urteils fälschlicherweise festgestellt, dass der Umfang der Untersuchung und das Ausmaß der fraglichen Verhaltensweisen die Einleitung einer Untersuchung nicht rechtfertigten, als unbegründet zurückzuweisen, da ihm die in Rn. 61 des vorliegenden Urteils genannte Rechtsprechung entgegensteht. |
65 |
Mit diesem Vorbringen wird nämlich im Wesentlichen behauptet, dass die Kommission, sobald die geforderte Untersuchung das Hoheitsgebiet mehrerer Mitgliedstaaten umfasse und bedeutende Ressourcen erfordere, verpflichtet sei, eine Untersuchung einzuleiten, ohne alle Umstände des Einzelfalls und insbesondere die geringe Wahrscheinlichkeit der Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Union zu berücksichtigen. Mit diesem Vorbringen wird somit dafür plädiert, unter Missachtung der angeführten Rechtsprechung die räumliche Reichweite und die Kosten der Untersuchung zu entscheidenden Kriterien für die Feststellung des Unionsinteresses an der Einleitung einer Untersuchung zu erheben. |
66 |
Folglich ist der erste Rechtsmittelgrund als teils unzulässig, teils ins Leere gehend und teils unbegründet zurückzuweisen. |
Zum zweiten Rechtsmittelgrund
– Vorbringen der Parteien
67 |
Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund wenden sich die Rechtsmittelführerinnen gegen die in Rn. 83 des angefochtenen Urteils getroffene Feststellung, dass die Kommission die praktische Wirksamkeit der Art. 101 und 102 AEUV nicht missachtet habe. |
68 |
Erstens habe das Gericht der Rolle der Kommission nicht die nötige Bedeutung zuerkannt, die ihr insoweit zukomme, als es ihr gemäß Art. 17 Abs. 1 EUV und Art. 105 AEUV obliege, die Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV zu überwachen und ihre praktische Wirksamkeit sicherzustellen. Die Kommission habe zwar ein Ermessen bei der Bearbeitung der Beschwerden, dies sei jedoch nicht unbeschränkt. Insbesondere dürfe sie den Art. 101 und 102 AEUV nicht ihre praktische Wirksamkeit nehmen, indem sie die Einleitung einer Untersuchung ablehne, obwohl die Rechtsmittelführerinnen ihr Tatsachen und Belege vorgelegt hätten, mit denen dargelegt worden sei, dass zumindest die Wahrscheinlichkeit einer das Hoheitsgebiet mehrerer Mitgliedstaaten betreffenden Zuwiderhandlung bestehe und dass das UOKiK die Einleitung eines Verfahrens wegen des Ablaufs der Verjährungsfrist abgelehnt habe, wobei sie über keine Möglichkeit verfügt hätten, die Ablehnung anzufechten. |
69 |
In diesem Kontext verstoße die Feststellung in Rn. 78 des angefochtenen Urteils, wonach die Kommission nicht verpflichtet gewesen sei, zu prüfen, ob die mit einer entsprechenden Beschwerde befasste nationale Wettbewerbsbehörde über die institutionellen, finanziellen und technischen Mittel verfüge, um die ihr durch die Verordnung Nr. 1/2003 übertragene Aufgabe zu erfüllen, gegen das Urteil vom 15. Dezember 2010, CEAHR/Kommission (T‑427/08, EU:T:2010:517, Rn. 173). |
70 |
Im vorliegenden Fall durfte nach Auffassung der Rechtsmittelführerinnen das Gericht die Abweisung der Beschwerde nicht bestätigen, da die fragliche Zuwiderhandlung das Hoheitsgebiet mehrerer Mitgliedstaaten betroffen habe und sie vor der nationalen Wettbewerbsbehörde über keinen wirksamen Schutz verfügten. Dies gelte umso mehr, als es – wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht eingeräumt habe – gegen die Art. 101 und 102 AEUV verstoßen könne, dass gegen die Weigerung des UOKiK, ein Verfahren zu eröffnen, kein Rechtsbehelf eingelegt werden könne, was das Gericht nicht berücksichtigt habe. |
71 |
Zweitens beanstanden die Rechtsmittelführerinnen Fehler des Gerichts in den Rn. 79 ff. des angefochtenen Urteils im Hinblick darauf, dass es ihnen tatsächlich unmöglich sei, wirksamen Schutz vor der nationalen Wettbewerbsbehörde und den nationalen Gerichten zu erlangen. |
72 |
Zum einen sei die Feststellung in Rn. 79 des angefochtenen Urteils, dass sie nicht nachgewiesen hätten, dass das UOKiK nicht beabsichtigt habe, Zuwiderhandlungen gegen die Art. 101 und 102 AEUV wirksam zu verfolgen und zu ahnden, angesichts der von ihnen dem Gericht vorgelegten Nachweise unbegreiflich. Es sei nicht zu bestreiten, dass das UOKiK aufgrund der Verjährung ihre Beschwerde nicht in der Sache geprüft habe. |
73 |
Zum anderen habe sich das Gericht in den Rn. 80 ff. des angefochtenen Urteils auf die theoretische Möglichkeit gestützt, dass bei den nationalen Gerichten eine Klage auf Ersatz des Schadens erhoben werde, der aufgrund der gegen die Art. 101 und 102 AEUV verstoßenen Verhaltensweisen entstanden sei. Folglich habe es nicht ordnungsgemäß geprüft, ob es den Rechtsmittelführerinnen tatsächlich möglich gewesen sei, eine solche Klage zu erheben. In der Praxis sei eine solche Klage jedoch aus verfahrensrechtlichen und institutionellen Gründen unmöglich, da die Instrumentarien zur Umsetzung der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. 2014, L 349, S. 1) ins nationale Recht erst im Entstehen begriffen seien. Sowohl der Kommission als auch dem Gericht sei die Unwirksamkeit der privaten Rechtsdurchsetzung seit Langem bewusst gewesen. |
74 |
Die Rechtsmittelführerinnen vertreten die Auffassung, dass das Gericht unter diesen Umständen die Entscheidung der Kommission, keine Ermittlungen einzuleiten, obwohl offenkundig Bedingungen vorgelegen hätten, die die Erforderlichkeit der Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union bestätigten, nicht für rechtmäßig hätte erklären dürfen. |
75 |
Die Kommission erwidert, dass der zweite Rechtsmittelgrund unzulässig sei, zugleich gehe er teilweise ins Leere und sei teilweise unbegründet. |
– Würdigung durch den Gerichtshof
76 |
In Rn. 83 des angefochtenen Urteils hat das Gericht im Wesentlichen festgestellt, dass auch in einem Kontext, in dem die nationale Wettbewerbsbehörde, im vorliegenden Fall das UOKiK, die nationale Beschwerde aus einem mit einer nationalen Verjährungsregelung zusammenhängenden Grund zurückgewiesen habe, und auch wenn eine etwaige Untersuchung der Kommission den Rechtsmittelführerinnen die Beweisführung im Rahmen von Klagen vor den nationalen Gerichten hätte erleichtern können, die Weigerung der Kommission, eine Untersuchung einzuleiten, nicht zur Folge gehabt habe, den Art. 101 und 102 AEUV jede praktische Wirksamkeit zu nehmen. |
77 |
Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund machen die Rechtsmittelführerinnen im Wesentlichen geltend, dass diese Feststellung des Gerichts im Widerspruch zur praktischen Wirksamkeit dieser Artikel stehe. Insoweit ergibt sich aus ihren Schriftsätzen, dass sie im Wesentlichen der Ansicht sind, dass die Aufgabe der Kommission, die Einhaltung dieser Artikel sicherzustellen, sie dazu hätte veranlassen müssen, aus drei Gründen eine Untersuchung einzuleiten. |
78 |
Erstens argumentieren die Rechtsmittelführerinnen, sie hätten Umstände vorgetragen, um die Wahrscheinlichkeit einer Zuwiderhandlung gegen die Art. 101 und 102 AEUV betreffend das Hoheitsgebiet mehrerer Mitgliedstaaten darzutun. |
79 |
Dieses Vorbringen beruht jedoch auf einer tatsächlichen Prämisse, die vom Gericht entkräftet wurde und somit zurückzuweisen ist. Das Gericht hat nämlich zum einen in den Rn. 53 und 54 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die Kommission keinen offenkundigen Beurteilungsfehler begangen habe, indem sie zu dem Schluss gekommen sei, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Zuwiderhandlung festzustellen, angesichts der ihr vorgetragenen Umstände gering sei. Zum anderen hat das Gericht in den Rn. 63 und 64 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die Zuwiderhandlung im Wesentlichen das Hoheitsgebiet zweier Mitgliedstaaten betroffen habe. |
80 |
Jedenfalls ist darauf hinzuweisen, dass der Argumentation der Rechtsmittelführerinnen, selbst wenn man entsprechend ihrem Vorbringen davon ausginge, dass die behaupteten Zuwiderhandlungen das Hoheitsgebiet mehrerer Mitgliedstaaten beträfen, die in Rn. 61 angeführte ständige Rechtsprechung entgegensteht. Diese Argumentation läuft nämlich darauf hinaus, dass die Kommission, um einen Verstoß gegen die praktische Wirksamkeit der Art. 101 und 102 AEUV zu vermeiden, nur deswegen eine Untersuchung einleiten müsste, weil die behaupteten Zuwiderhandlungen mehrere Mitgliedstaaten betreffen. |
81 |
Zweitens tragen die Rechtsmittelführerinnen vor, sie hätten auf nationaler Ebene keinen wirksamen Schutz erlangen können, da das UOKiK aufgrund des Ablaufs der Verjährungsfrist die Einleitung eines Verfahrens mit einer unanfechtbaren Entscheidung abgelehnt habe. Die Kommission hätte vorab überprüfen müssen, dass die nationalen Behörden ihre Rechte zufriedenstellend hätten wahren können. |
82 |
Insoweit ergibt sich aus den Rn. 77 und 79 des angefochtenen Urteils, dass – wie die Rechtsmittelführerinnen in ihren Schriftsätzen vor dem Gerichtshof bestätigt haben – die Weigerung des UOKiK, die nationale Beschwerde zu prüfen, auf dem Ablauf der Verjährungsfrist beruhte, deren Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht die Rechtsmittelführerinnen vor dem Gericht nicht dargelegt haben. Auch haben sie dem UOKiK in der nationalen Beschwerde keine Tatsachen zur Beurteilung unterbreitet, die einen Zeitraum nach dem Jahr 2008 betreffen. Daraus folgt, dass die Rechtsmittelführerinnen nicht dargelegt haben, inwiefern es ihnen unmöglich gewesen sei, bei den nationalen Behörden eine Einhaltung der Art. 101 und 102 AEUV zu erreichen. Im Gegenteil beruht die von ihnen vorgetragene Unmöglichkeit, eine Einhaltung der Art. 101 und 102 AEUV beim UOKiK zu erreichen, auf ihrer eigenen mangelnden Sorgfalt. |
83 |
Zudem können nach einer ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, auf die das Gericht in den Rn. 80 bis 82 und 84 des angefochtenen Urteils zutreffend hingewiesen hat, die Rechtsmittelführerinnen vor den nationalen Gerichten Klagen auf Ersatz des Schadens erheben, der ihnen aufgrund der Verhaltensweisen, die Gegenstand der Beschwerde waren, entstanden sein soll, um die Einhaltung der Art. 101 und 102 AEUV zu erreichen. Darüber hinaus haben sie die Möglichkeit, ihren Rechten aus diesen Bestimmungen vor einem nationalen Gericht Geltung zu verschaffen, insbesondere wenn die Kommission entscheidet, ihrer Beschwerde nicht stattzugeben. |
84 |
Vor diesem Hintergrund wäre, selbst wenn man davon ausginge, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen und gegen seine eigene Rechtsprechung verstoßen hat, indem es in Rn. 78 des angefochtenen Urteils den Standpunkt eingenommen hat, dass das Erfordernis der Wirksamkeit nicht dazu führen könne, dass die Kommission, wenn sie das Fehlen des Unionsinteresses an der Einleitung einer Untersuchung feststelle, verpflichtet sei, zu prüfen, ob die nationale Wettbewerbsbehörde über die institutionellen, finanziellen und technischen Mittel verfüge, um die ihr durch die Verordnung Nr. 1/2003 übertragene Aufgabe zu erfüllen, ein solcher Fehler jedenfalls unerheblich. Somit ist es nicht erforderlich, die Begründetheit des auf Rn. 78 bezogenen Vorbringens zu prüfen. |
85 |
Ferner geht das Argument ins Leere, das Gericht habe in Rn. 79 des angefochtenen Urteils zu Unrecht ausgeführt, dass das UOKiK nicht die Absicht gehabt habe, Verstöße gegen die Art. 101 und 102 AEUV wirksam zu verfolgen und zu ahnden, da mit diesem Argument lediglich ein nicht tragender Urteilsgrund kritisiert wird. |
86 |
Drittens vertreten die Rechtsmittelführerinnen die Auffassung, dass die Möglichkeit einer Schadensersatzklage vor den nationalen Gerichten nicht wirksam sei und dass das Gericht hätte prüfen müssen, ob es ihnen tatsächlich möglich sei, die nationalen Gerichte anzurufen. |
87 |
Wie jedoch in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV vorgesehen ist, ist es Sache der Mitgliedstaaten, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit für den Einzelnen die Einhaltung seines Rechts auf wirksamen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 34); es ist nicht Sache der Kommission, durch die Einleitung einer Untersuchung, die bedeutende Ressourcen erfordert, während die Wahrscheinlichkeit der Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen die Art. 101 und 102 AEUV gering ist, etwaige Unzulänglichkeiten des gerichtlichen Rechtsschutzes auf nationaler Ebene auszugleichen. |
88 |
Somit ist das Vorbringen, das die Rechtsmittelführerinnen auf angebliche Lücken des gerichtlichen Rechtsschutzes vor den nationalen Gerichten stützen, als unbegründet zurückzuweisen. |
89 |
Infolgedessen ist der zweite Rechtsmittelgrund als teils ins Leere gehend und teils unbegründet zurückzuweisen. |
Zum dritten Rechtsmittelgrund
– Vorbringen der Parteien
90 |
Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund werfen die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vor, es habe gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, das Recht, bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, und den Grundsatz der guten Verwaltung verstoßen, indem es ihre Klage abgewiesen und den streitigen Beschluss bestätigt habe, ohne die Rechtssache in der Sache umfassend zu prüfen. |
91 |
In diesem Zusammenhang wiederholen sie zunächst den von ihnen im Rahmen des zweiten Rechtsmittelgrundes dargelegten Standpunkt in Bezug auf das Fehlen eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes auf nationaler Ebene. Zum einen sei nach der Rechtsprechung des Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht, Polen) die Entscheidung des UOKiK, mit der die Einleitung einer Untersuchung aufgrund der Verjährung abgelehnt worden sei, unanfechtbar. In der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht habe die Kommission anerkannt, dass nicht auszuschließen sei, dass diese Rechtsprechung möglicherweise gegen die Art. 101 und 102 AEUV verstoße. Zum anderen seien die Verfahren zur privaten Rechtsdurchsetzung nicht wirksam. Daraus folge, dass Rn. 99 des angefochtenen Urteils gegen den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes verstoße. |
92 |
Des Weiteren habe das Gericht zu Unrecht die Begründetheit ihres Nichtigkeitsgrundes nicht geprüft, mit dem sie einen Verstoß gegen ihr Recht, einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, gerügt hätten. So habe das Gericht in Rn. 93 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass sie über einen Rechtsbehelf gegen die Zurückweisung der Beschwerde verfügten. Ihr Klagegrund vor dem Gericht habe jedoch darauf beruht, dass ihnen dadurch, dass die Kommission nicht gemäß Art. 7 der Verordnung Nr. 1/2003 in der Sache entschieden habe, die Möglichkeit genommen worden sei, eine solche Entscheidung der Kommission einer gerichtlichen Kontrolle im Hinblick auf die Frage zu unterziehen, ob im vorliegenden Fall eine Zuwiderhandlung gegen die Art. 101 und/oder Art. 102 AEUV vorliege. Das Gericht habe sich auf eine Prüfung der Begründetheit des streitigen Beschlusses unter dem Aspekt der Anforderungen an die genaue Darstellung der Einzelheiten beschränkt, wie aus Rn. 38 des angefochtenen Urteils hervorgehe. Eine solche Prüfung gewährleiste jedoch nicht ihr Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und von Art. 47 der Charta. |
93 |
Schließlich tragen die Rechtsmittelführerinnen vor, das Gericht habe die Verpflichtung der Kommission aus Art. 41 der Charta nicht berücksichtigt, die Rechtssache innerhalb einer angemessenen Frist zu behandeln. |
94 |
Die Kommission erwidert, der dritte Rechtsmittelgrund sei sowohl unzulässig als auch unbegründet. |
– Würdigung durch den Gerichtshof
95 |
Erstens ist das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen, der Schutz vor den nationalen Gerichten sei unzulänglich, aus den in Rn. 87 des vorliegenden Urteils genannten Gründen zurückzuweisen. |
96 |
Zweitens hat das Gericht entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen in den Rn. 93 bis 95 des angefochtenen Urteils ordnungsgemäß auf ihre Argumentation geantwortet, die Tatsache, dass die Kommission über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Zuwiderhandlung gegen die Art. 101 und 102 AEUV nicht in der Sache entschieden habe, sei geeignet gewesen, gegen ihr Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu verstoßen. |
97 |
Im Übrigen hat das Gericht diese Argumentation rechtsfehlerfrei zurückgewiesen. Wie es in Rn. 94 des angefochtenen Urteils zu Recht ausgeführt hat, begründet Art. 7 der Verordnung Nr. 1/2003 nämlich keinen Anspruch des Beschwerdeführers auf Erlass einer abschließenden Entscheidung über das Vorliegen oder Nichtvorliegen der behaupteten Zuwiderhandlung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. März 1999, Ufex u. a./Kommission, C‑119/97 P, EU:C:1999:116, Rn. 87, sowie Beschluss vom 31. März 2011, EMC Development/Kommission, C‑367/10 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:203, Rn. 73). |
98 |
Folglich ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Gericht über das Vorliegen der in der Beschwerde geltend gemachten Zuwiderhandlung nicht in der Sache entschieden hat. |
99 |
Drittens ist, was das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen angeht, mit dem die Dauer des Verfahrens vor der Kommission gerügt wird, darauf hinzuweisen, dass, da die Kontrolle des Gerichtshofs im Rahmen eines Rechtsmittels auf die Beurteilung der rechtlichen Bewertung des im ersten Rechtszug erörterten Vorbringens beschränkt ist, eine Partei nicht zum ersten Mal vor dem Gerichtshof ein Vorbringen geltend machen kann, das sie nicht vor dem Gericht geltend gemacht hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. November 2016, BSH/EUIPO, C‑43/15 P, EU:C:2016:837, Rn. 43, und vom 13. Dezember 2017, Telefónica/Kommission, C‑487/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:961, Rn. 84). |
100 |
Vorliegend ergibt sich aus Rn. 22 des angefochtenen Urteils, dass die Rechtsmittelführerinnen – was sie vor dem Gerichtshof nicht bestreiten – erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht die Dauer des Verwaltungsverfahrens vor der Kommission vorgebracht haben, wobei sie auf eine Frage des Gerichts hin erklärt haben, dass sie nicht beabsichtigten, einen neuen, auf einem Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer beruhenden Klagegrund geltend zu machen. |
101 |
Somit ist es nicht zulässig, dass die Rechtsmittelführerinnen vor dem Gerichtshof die Dauer des Verwaltungsverfahrens vor der Kommission rügen. |
102 |
Außerdem behaupten die Rechtsmittelführerinnen zu Unrecht, das Gericht hätte die Verfahrensdauer von Amts wegen prüfen müssen (vgl. entsprechend Beschluss vom 13. Dezember 2000, SGA/Kommission, C‑39/00 P, EU:C:2000:685, Rn. 45). |
103 |
Somit ist der dritte Rechtsmittelgrund als teils unzulässig, teils unbegründet zurückzuweisen. |
104 |
Da keiner der Rechtsmittelgründe der Rechtsmittelführerinnen durchgreift, ist das Rechtsmittel in vollem Umfang zurückzuweisen. |
Kosten
105 |
Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. |
106 |
Da die Kommission die Verurteilung der Rechtsmittelführerinnen beantragt hat und diese mit ihrem Rechtsmittel unterlegen sind, sind ihnen außer ihren eigenen Kosten die Kosten der Kommission aufzuerlegen. |
107 |
Des Weiteren wird gemäß Art. 141 Abs. 1 und Art. 184 Abs. 1 der Verfahrensordnung die Partei, die das Rechtsmittel zurücknimmt, zur Tragung der Kosten verurteilt, wenn die Gegenpartei dies in ihrer Stellungnahme zur Rücknahme beantragt. Gemäß Art. 141 Abs. 4 und Art. 184 Abs. 1 der Verfahrensordnung trägt jede Partei ihre eigenen Kosten, wenn keine Kostenanträge gestellt werden. |
108 |
Im vorliegenden Fall ist zu entscheiden, dass Star Agro ihre eigenen Kosten trägt. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt und entschieden: |
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Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.
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Referenzen
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