Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-257/17
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)
7. November 2018 ( *1 )
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Richtlinie 2003/86/EG – Recht auf Familienzusammenführung – Art. 15 – Ablehnung der Erteilung eines eigenen Aufenthaltstitels – Nationale Regelung, nach der eine Integrationsprüfung erfolgreich abgelegt werden muss“
In der Rechtssache C‑257/17
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Raad van State (Staatsrat, Niederlande) mit Entscheidung vom 10. Mai 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Mai 2017, in dem Verfahren
C,
A
gegen
Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer M. Vilaras in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer sowie der Richter J. Malenovský, L. Bay Larsen (Berichterstatter), M. Safjan und D. Šváby,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. März 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
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von C und A, vertreten durch C. F. Wassenaar, advocaat, |
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der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, M. H. S. Gijzen und M. A. M. de Ree als Bevollmächtigte, |
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der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Eberhard als Bevollmächtigten, |
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der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und G. Wils als Bevollmächtigte, |
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Juni 2018
folgendes
Urteil
1 |
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 15 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. 2003, L 251, S. 12). |
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Es ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen den Drittstaatsangehörigen C bzw. A und dem Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie (Staatssekretär für Sicherheit und Justiz, Niederlande, im Folgenden: Staatssekretär) wegen dessen Ablehnung ihres jeweiligen Antrags auf Abänderung ihrer mit einer Beschränkung versehenen befristeten Aufenthaltserlaubnis und der Rücknahme der C erteilten befristeten Aufenthaltserlaubnis. |
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2003/86
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Der 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/86 lautet: „Die Integration von Familienangehörigen sollte gefördert werden. Dazu sollte ihnen eine von dem Zusammenführenden unabhängige Rechtsstellung zuerkannt werden, insbesondere in Fällen, in denen Ehen und Partnerschaften zerbrechen, sowie gleichermaßen wie dem Zusammenführenden Zugang zur allgemeinen und beruflichen Bildung sowie zur Beschäftigung nach den einschlägigen Bedingungen gewährt werden.“ |
4 |
Nach Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie bezeichnet „Zusammenführender“„den sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhaltenden Drittstaatsangehörigen, der oder dessen Familienangehörige einen Antrag auf Familienzusammenführung mit ihm stellt bzw. stellen“. |
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Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie lautet: „Diese Richtlinie findet auf die Familienangehörigen eines Unionsbürgers keine Anwendung.“ |
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Art. 7 Abs. 2 dieser Richtlinie bestimmt: „Die Mitgliedstaaten können gemäß dem nationalen Recht von Drittstaatsangehörigen verlangen, dass sie Integrationsmaßnahmen nachkommen müssen. Im Hinblick auf die in Artikel 12 genannten Flüchtlinge und/oder Familienangehörigen von Flüchtlingen können die in Unterabsatz 1 genannten Integrationsmaßnahmen erst Anwendung finden, wenn den betroffenen Personen eine Familienzusammenführung gewährt wurde.“ |
7 |
In Art. 15 der Richtlinie 2003/86 heißt es: „(1) Spätestens nach fünfjährigem Aufenthalt und unter der Voraussetzung, dass dem Familienangehörigen kein Aufenthaltstitel aus anderen Gründen als denen der Familienzusammenführung erteilt wurde, haben der Ehegatte oder der nicht eheliche Lebenspartner und das volljährig gewordene Kind – falls erforderlich auf Antrag – das Recht auf einen eigenen Aufenthaltstitel, der unabhängig von jenem des Zusammenführenden ist. Die Mitgliedstaaten können bei Ehegatten oder nicht ehelichen Lebenspartnern die Erteilung des in Unterabsatz 1 genannten Aufenthaltstitels auf Fälle, in denen die familiären Bindungen zerbrechen, beschränken. … (4) Die Bedingungen für die Erteilung und die Dauer eines eigenen Aufenthaltstitels sind im nationalen Recht festgelegt.“ |
Richtlinie 2003/109/EG
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Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44) bestimmt: „Die Mitgliedstaaten können von Drittstaatsangehörigen verlangen, dass sie die Integrationsanforderungen gemäß dem nationalen Recht erfüllen.“ |
Niederländisches Recht
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Art. 3.51 des Vreemdelingenbesluit 2000 (Ausländerverordnung von 2000) bestimmt: „1. Die befristete Aufenthaltserlaubnis … kann mit einer mit nicht vorübergehenden humanitären Gründen in Zusammenhang stehenden Beschränkung einem Ausländer erteilt werden, der
… 5. Art. 3.80a gilt für die in Abs. 1 Buchst. a 1° … genannten Ausländer.“ |
10 |
In Art. 3.80a dieser Verordnung heißt es: „1. Ein Antrag auf Änderung einer Aufenthaltserlaubnis … in eine Aufenthaltserlaubnis mit einer mit nicht vorübergehenden humanitären Gründen in Zusammenhang stehenden Beschränkung wird abgelehnt, wenn der Antrag von einem Ausländer im Sinne von Art. 3.51 Abs. 1 Buchst. a 1° gestellt wurde, der nicht die Prüfung gemäß Art. 7 Abs. 2 Buchst. a der Wet inburgering [Integrationsgesetz] erfolgreich abgelegt oder ein Diplom, Zertifikat oder sonstiges Dokument im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c des genannten Gesetzes erlangt hat. 2. Abs. 1 gilt nicht, wenn der Ausländer …
… 4. Der Minister kann zudem von der Anwendung von Abs. 1 absehen, wenn dessen Anwendung seiner Ansicht nach zu schwerwiegenden Härtefällen führt.“ |
11 |
Art. 6 Abs. 1 der Wet inburgering (Integrationsgesetz) bestimmt: „Der Minister befreit den Integrationspflichtigen von der Integrationspflicht, wenn
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12 |
Art. 7 Abs. 1 und 2 dieses Gesetzes lautet: „1. Der Integrationspflichtige hat innerhalb von drei Jahren mündliche und schriftliche Kenntnisse der niederländischen Sprache auf zumindest dem Niveau A 2 des Europäischen Referenzrahmens für Sprachen sowie Kenntnisse der niederländischen Gesellschaft zu erwerben. 2. Der Integrationspflichtige hat seine Integrationspflicht erfüllt, wenn er
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Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Die Situation von C
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Vom 5. November 2008 bis zum 5. November 2014 hatte C eine Aufenthaltserlaubnis für den Aufenthalt bei ihrem Ehemann, einem niederländischen Staatsangehörigen. Am 20. August 2014 stellte C einen Antrag auf Abänderung dieser Erlaubnis in eine Aufenthaltserlaubnis zur Fortsetzung des Aufenthalts. |
14 |
Am 2. Februar 2015 lehnte der Staatssekretär den Antrag ab, weil C nicht nachgewiesen habe, dass sie die Integrationsprüfung erfolgreich abgelegt habe oder von der Integrationspflicht ausgenommen oder befreit sei. Des Weiteren nahm er die C erteilte Aufenthaltserlaubnis für den Aufenthalt bei ihrem Ehemann rückwirkend zum 10. Februar 2014 zurück, weil sie von diesem Tag an nicht mehr unter derselben Anschrift wie ihr Ehemann gewohnt habe. |
15 |
Nachdem C Widerspruch eingelegt hatte, erteilte ihr der Staatssekretär mit Bescheid vom 24. Juli 2015 mit Wirkung vom 16. Februar 2015 einen eigenen Aufenthaltstitel. Dieser Bescheid wurde damit begründet, dass C dem Staatssekretär eine Bescheinigung des Dienst Uitvoering Onderwijs (Zentrum für Bildungsdienste, Niederlande) vom 15. Februar 2015 vorgelegt hatte, aus der sich ergab, dass sie von der Integrationspflicht befreit war. Indes bestätigte der Staatssekretär die rückwirkend zum 10. Februar 2014 erfolgte Rücknahme der C für den Aufenthalt bei ihrem Ehemann erteilten Aufenthaltserlaubnis. |
16 |
Gegen den Bescheid des Staatssekretärs vom 24. Juli 2015 erhob C Klage bei der Rechtbank den Haag zittingsplaats Rotterdam (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Rotterdam, Niederlande). Mit Urteil vom 5. Januar 2016 wies dieses Gericht die Klage ab. |
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C legte gegen dieses Urteil Berufung beim vorlegenden Gericht ein. |
Die Situation von A
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Vom 20. Dezember 1997 bis zum 15. Oktober 2016 besaß A eine Aufenthaltserlaubnis für den Aufenthalt bei seiner Ehefrau, einer niederländischen Staatsangehörigen. Am 11. November 2014 stellte A einen Antrag auf Abänderung dieser Erlaubnis in eine Aufenthaltserlaubnis zur Fortsetzung des Aufenthalts. |
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Am 26. Februar 2015 lehnte der Staatssekretär diesen Antrag ab, weil A nicht nachgewiesen habe, dass er die Integrationsprüfung erfolgreich abgelegt habe oder von der Integrationspflicht ausgenommen oder befreit sei. |
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Nachdem A Widerspruch eingelegt hatte, bestätigte der Staatssekretär mit Bescheid vom 21. September 2015 seinen ersten Bescheid. |
21 |
Gegen diesen Bescheid erhob A Klage bei der Rechtbank den Haag zittingsplaats Rotterdam (Bezirksgericht Den Haag, Sitzungsort Rotterdam, Niederlande). Mit Urteil vom 25. Mai 2016 wies dieses Gericht die Klage ab. |
22 |
A legte gegen dieses Urteil Berufung beim vorlegenden Gericht ein. |
Erwägungen, die sowohl für die Situation von C als auch für die von A gelten
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Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts fallen die Sachverhalte, um die es in den Ausgangsverfahren geht, nach Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/86 nicht in deren Anwendungsbereich, da der Ehemann von C und die Ehefrau von A niederländische Staatsangehörige seien. |
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Art. 15 dieser Richtlinie sei jedoch auf A und C entsprechend anwendbar, denn das niederländische Recht sehe vor, dass die einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts unmittelbar und unbedingt auf den innerstaatlichen Sachverhalt anwendbar seien, wenn die niederländischen Rechtsvorschriften wie im vorliegenden Fall nicht danach unterschieden, ob ein Sachverhalt vom Unionsrecht erfasst sei oder nicht. |
25 |
Das vorlegende Gericht geht aus diesem Grund zwar davon aus, dass die Auslegung von Art. 15 der Richtlinie 2003/86 für die Entscheidung der Ausgangsrechtsstreitigkeiten maßgeblich sei, hat aber in Anbetracht des Urteils vom 18. Oktober 2012, Nolan (C‑583/10, EU:C:2012:638), Zweifel, ob der Gerichtshof in Fällen wie den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden für die Beantwortung einer Vorlagefrage nach der Auslegung dieses Artikels zuständig ist. |
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Für den Fall, dass dies zu bejahen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine nationale Regelung, die eine Integrationsanforderung enthält, mit Art. 15 der Richtlinie 2003/86 vereinbar ist, und – falls dies nicht der Fall ist – ab welchem Zeitpunkt ein eigener Aufenthaltstitel Wirkung entfalten muss. |
27 |
Unter diesen Umständen hat der Raad van State (Staatsrat, Niederlande) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
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Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
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Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Gerichtshof nach Art. 267 AEUV zuständig ist, Art. 15 der Richtlinie 2003/86 in Fällen wie den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden auszulegen, in denen es darüber zu entscheiden hat, ob einem Drittstaatsangehörigen, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, der von seinem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, ein eigener Aufenthaltstitel zu erteilen ist, wenn diese Vorschrift durch das nationale Recht für auf solche Fälle unmittelbar und unbedingt anwendbar erklärt worden ist. |
29 |
Zum einen ist festzustellen, dass nach Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2003/86 mit dem Begriff „Zusammenführender“ notwendigerweise ein Drittstaatsangehöriger gemeint ist, und zum anderen, dass diese Richtlinie nach ihrem Art. 3 Abs. 3 auf die Familienangehörigen eines Unionsbürgers keine Anwendung findet. |
30 |
Der Unionsgesetzgeber hat diese Richtlinie also so ausgestaltet, dass sie auf einen Drittstaatsangehörigen, der wie die Kläger der Ausgangsverfahren Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, der von seinem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, nicht anwendbar ist, was im Übrigen durch die der Richtlinie 2003/86 zugrunde liegenden Materialien bestätigt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2011, Dereci u. a., C‑256/11, EU:C:2011:734, Rn. 48 und 49). |
31 |
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist dieser jedoch für die Entscheidung über Vorabentscheidungsersuchen zuständig, die Vorschriften des Unionsrechts in Fällen betreffen, in denen der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zwar nicht unmittelbar in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, aber die genannten Vorschriften durch das nationale Recht aufgrund eines darin enthaltenen Verweises auf ihren Inhalt für anwendbar erklärt worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2011, Cicala, C‑482/10, EU:C:2011:868, Rn. 17, vom 18. Oktober 2012, Nolan, C‑583/10, EU:C:2012:638, Rn. 45, und vom 15. November 2016, Ullens de Schooten, C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 53). |
32 |
In solchen Fällen besteht nämlich ein klares Interesse der Union daran, dass die aus dem Unionsrecht übernommenen Bestimmungen einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu vermeiden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Oktober 2012, Nolan, C‑583/10, EU:C:2012:638, Rn. 46, und vom 22. März 2018, Jacob und Lassus, C‑327/16 und C‑421/16, EU:C:2018:210, Rn. 34). |
33 |
Somit rechtfertigt sich eine Auslegung von Vorschriften des Unionsrechts durch den Gerichtshof in Sachverhalten, die nicht in deren Anwendungsbereich fallen, wenn diese Vorschriften vom nationalen Recht unmittelbar und unbedingt für auf diese Sachverhalte anwendbar erklärt worden sind, um zu gewährleisten, dass diese Sachverhalte und die durch diese Vorschriften geregelten Sachverhalte gleichbehandelt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2011, Cicala, C‑482/10, EU:C:2011:868, Rn. 19, vom 18. Oktober 2012, Nolan, C‑583/10, EU:C:2012:638, Rn. 47, und vom 7. November 2013, Romeo, C‑313/12, EU:C:2013:718, Rn. 33). |
34 |
Erlässt der nationale Gesetzgeber eine Vorschrift, die wie im vorliegenden Fall sowohl einen Sachverhalt, der in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, als auch einen solchen, der nicht darunter fällt, erfasst, so sind laut dem vorlegenden Gericht, das im Rahmen des Systems der gerichtlichen Zusammenarbeit nach Art. 267 AEUV für die Auslegung des nationalen Rechts ausschließlich zuständig ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Juli 1997, Leur-Bloem, C‑28/95, EU:C:1997:369, Rn. 33, und vom 14. Juni 2017, Online Games u. a., C‑685/15, EU:C:2017:452, Rn. 45), nach dem niederländischen Recht beide Sachverhalte gleich zu behandeln. Daraus schloss das vorlegende Gericht, dass es nach niederländischem Recht in den Ausgangsverfahren Art. 15 der Richtlinie 2003/86 anzuwenden habe. |
35 |
Unter diesen Voraussetzungen ist mit der niederländischen Regierung festzustellen, dass diese Vorschrift durch das niederländische Recht für auf Fälle wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden unmittelbar und unbedingt anwendbar erklärt worden ist, weshalb ein klares Interesse der Union daran besteht, dass der Gerichtshof über das Vorabentscheidungsersuchen entscheidet. |
36 |
Diese Schlussfolgerung kann nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/86 Fälle wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden ausdrücklich vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausnimmt. |
37 |
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass er bei Erfüllung der in Rn. 33 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzung auch für Fälle zuständig sein kann, die ausdrücklich vom Anwendungsbereich eines Unionsrechtsakts ausgenommen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Oktober 2017, Solar Electric Martinique, C‑303/16, EU:C:2017:773, Rn. 29 und 30, sowie vom 27. Juni 2018, SGI und Valériane, C‑459/17 und C‑460/17, EU:C:2018:501, Rn. 28). |
38 |
Dieses Ergebnis steht voll und ganz im Einklang mit der in den Rn. 31 bis 33 des vorliegenden Urteils angeführten ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach ihm die Entscheidung über die Auslegung von Unionsvorschriften – unabhängig von den Voraussetzungen, unter denen diese anwendbar sind – gerade in den Fällen ermöglicht werden soll, von denen es die Verfasser der Verträge oder der Unionsgesetzgeber nicht als zweckmäßig erachtet haben, sie in den Anwendungsbereich dieser Vorschriften einzubeziehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Oktober 1990, Dzodzi, C‑297/88 und C‑197/89, EU:C:1990:360, Rn. 37). |
39 |
In diesem Zusammenhang kann die Zuständigkeit des Gerichtshofs vernünftigerweise nicht danach variieren, ob der Anwendungsbereich der einschlägigen Vorschrift mittels positiver Definition oder über die Festlegung bestimmter Ausnahmen abgegrenzt worden ist, da beide Rechtsetzungstechniken gleichermaßen genutzt werden können. |
40 |
Im Übrigen ist festzustellen, dass sich im vorliegenden Fall der Ausschluss der Familienangehörigen von Unionsbürgern vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/86 sowohl aus der Definition des Begriffs „Zusammenführender“ in Art. 2 Buchst. c als auch aus der Ausnahme in Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie ergibt. |
41 |
Außerdem ist zu den Ausführungen des vorlegenden Gerichts, dass seine Zweifel an der Zuständigkeit des Gerichtshofs aus dem Urteil vom 18. Oktober 2012, Nolan (C‑583/10, EU:C:2012:638), herrühren, festzustellen, dass die Rechtssache, in der jenes Urteil ergangen ist, durch Besonderheiten gekennzeichnet war, die sich in den Ausgangsverfahren nicht wiederfinden. |
42 |
Zum einen nämlich hätte es einen Bruch mit der Logik des fraglichen Unionsrechtsakts, der eng mit der Errichtung und dem Funktionieren des Binnenmarktes zusammenhing, bedeutet, wenn in der Rechtssache, in der jenes Urteil ergangen ist, die Zuständigkeit des Gerichtshofs anerkannt worden wäre (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Oktober 2012, Nolan, C‑583/10, EU:C:2012:638, Rn. 36 bis 41). |
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Zum anderen konnte in jener Rechtssache ein unmittelbarer und unbedingter Verweis des nationalen Rechts auf das Unionsrecht wie der in Rn. 35 des vorliegenden Urteils festgestellte anhand der Angaben in der dem Gerichtshof übermittelten Akte nicht konstatiert werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Oktober 2012, Nolan, C‑583/10, EU:C:2012:638, Rn. 51 und 52). |
44 |
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass der Gerichtshof nach Art. 267 AEUV zuständig ist, Art. 15 der Richtlinie 2003/86 in Fällen wie den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden auszulegen, in denen das vorlegende Gericht darüber zu entscheiden hat, ob einem Drittstaatsangehörigen, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, der von seinem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, ein eigener Aufenthaltstitel zu erteilen ist, wenn diese Vorschrift durch das nationale Recht für auf solche Fälle unmittelbar und unbedingt anwendbar erklärt worden ist. |
Zur zweiten Frage
45 |
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 15 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2003/86 einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der Antrag auf einen eigenen Aufenthaltstitel eines Drittstaatsangehörigen, der sich seit mehr als fünf Jahren im Rahmen einer Familienzusammenführung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, abgelehnt werden kann, weil der Drittstaatsangehörige nicht nachgewiesen hat, dass er die Integrationsprüfung betreffend Sprache und Gesellschaft dieses Mitgliedstaats erfolgreich abgelegt hat. |
46 |
Nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2003/86 haben der Ehegatte oder der nicht eheliche Lebenspartner und das volljährig gewordene Kind spätestens nach fünfjährigem Aufenthalt und unter der Voraussetzung, dass dem Familienangehörigen kein Aufenthaltstitel aus anderen Gründen als denen der Familienzusammenführung erteilt wurde, das – falls erforderlich auf Antrag bestehende – Recht auf einen eigenen Aufenthaltstitel, der unabhängig von dem des Zusammenführenden ist. |
47 |
Demgegenüber stellt Art. 15 Abs. 4 dieser Richtlinie klar, dass die Bedingungen für die Erteilung und die Dauer dieses Aufenthaltstitels im nationalen Recht festgelegt sind. |
48 |
Aus der Zusammenschau dieser beiden Bestimmungen ergibt sich, dass nach fünfjährigem Aufenthalt im Rahmen einer Familienzusammenführung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zwar grundsätzlich ein Recht auf die Erteilung eines eigenen Aufenthaltstitels besteht, der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten jedoch die Möglichkeit eingeräumt hat, die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels an bestimmte, von ihnen festzulegende Voraussetzungen zu knüpfen. |
49 |
Dass der Unionsgesetzgeber in Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2003/86 einen Verweis auf das nationale Recht aufgenommen hat, zeigt also, dass er es in das Ermessen der Mitgliedstaaten stellen wollte, unter welchen Voraussetzungen einem Drittstaatsangehörigen, der sich seit fünf Jahren im Rahmen einer Familienzusammenführung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, ein eigener Aufenthaltstitel zu erteilen ist (vgl. entsprechend Urteil vom 12. April 2018, A und S, C‑550/16, EU:C:2018:248, Rn. 42). |
50 |
Insoweit unterscheiden sich die Regeln für die Erteilung des eigenen Aufenthaltstitels somit von denen für die Genehmigung der Familienzusammenführung, die präzise positive Verpflichtungen enthalten und den Mitgliedstaaten in den in der Richtlinie 2003/86 festgelegten Fällen vorschreiben, die Familienzusammenführung zu genehmigen, ohne dabei von ihrem Wertungsspielraum Gebrauch zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juli 2015, K und A, C‑153/14, EU:C:2015:453, Rn. 46). |
51 |
Da die Erteilung eines eigenen Aufenthaltstitels nach Ablauf des in Art. 15 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Zeitraums die Grundregel darstellt, darf der den Mitgliedstaaten durch Art. 15 Abs. 4 dieser Richtlinie zuerkannte Handlungsspielraum von ihnen jedoch nicht in einer Weise genutzt werden, die das Ziel dieses Artikels – das laut dem 15. Erwägungsgrund der Richtlinie darin besteht, Familienangehörigen des Zusammenführenden die Zuerkennung einer von diesem unabhängigen Rechtsstellung zu ermöglichen – und seine praktische Wirksamkeit beeinträchtigen würde (vgl. entsprechend Urteil vom 9. Juli 2015, K und A, C‑153/14, EU:C:2015:453, Rn. 50). |
52 |
Daher dürfen die zusätzlichen Voraussetzungen, die ein Mitgliedstaat an die Erteilung eines eigenen Aufenthaltstitels knüpft, nicht so weit gehen, dass sie ein kaum überwindbares Hindernis darstellen, durch das die in Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2003/86 erwähnten Drittstaatsangehörigen in der Praxis davon abgehalten werden, einen solchen Aufenthaltstitel wie normalerweise vorgesehen nach Ablauf der in dieser Bestimmung genannten Frist zu erhalten (vgl. entsprechend Urteil vom 9. Juli 2015, K und A, C‑153/14, EU:C:2015:453, Rn. 59). |
53 |
Da Art. 15 Abs. 4 dieser Richtlinie keine entsprechenden Hinweise enthält, kann diese Beschränkung der den Mitgliedstaaten eingeräumten Möglichkeit auf diese Bestimmung nicht generell dem entgegenstehen, dass die Mitgliedstaaten wesentliche Bedingungen festlegen. |
54 |
In diesem Zusammenhang kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Mitgliedstaat die Erteilung eines eigenen Aufenthaltstitels an die erfolgreiche Ablegung einer Integrationsprüfung betreffend Sprache und Gesellschaft dieses Mitgliedstaats knüpft. |
55 |
Als Erstes nämlich steht die Einführung von Bedingungen betreffend die Integration ersichtlich im Einklang mit dem im 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/86 formulierten allgemeinen Ziel des Unionsgesetzgebers, die Integration Drittstaatsangehöriger in den Mitgliedstaaten zu erleichtern (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Juni 2006, Parlament/Rat, C‑540/03, EU:C:2006:429, Rn. 69, und vom 9. Juli 2015, K und A, C‑153/14, EU:C:2015:453, Rn. 53). |
56 |
Als Zweites ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86 von Drittstaatsangehörigen verlangen können, dass sie Integrationsmaßnahmen nachkommen müssen, ohne diese auf den Zeitraum vor dem Zutritt zu ihrem Hoheitsgebiet zu begrenzen. |
57 |
Unter diesen Umständen könnte die Wirksamkeit der von einem Mitgliedstaat im Rahmen von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86 möglicherweise erlassenen Maßnahmen gefährdet werden, wenn die fehlende Integration eines Drittstaatsangehörigen nach Ablauf eines Zeitraums von fünf Jahren keinesfalls der Verfestigung seines Aufenthaltsrechts nach Art. 15 dieser Richtlinie entgegenstehen könnte. |
58 |
Im Übrigen ist festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten im Rahmen der detaillierteren Harmonisierung durch die Richtlinie 2003/109 in deren Art. 5 Abs. 2 konkret die Möglichkeit eingeräumt hat, die Zuerkennung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten an Integrationsanforderungen zu knüpfen. |
59 |
Als Drittes müssten die betroffenen Drittstaatsangehörigen insofern, als das Recht auf Erteilung eines eigenen Aufenthaltstitels nach fünfjährigem Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats besteht, die Gelegenheit gehabt haben, gewisse Kenntnisse der Sprache und der Gesellschaft dieses Mitgliedstaats zu erlangen, die ihnen grundsätzlich die erfolgreiche Ablegung einer entsprechenden Prüfung ermöglichen. Wird hierzu eine Anforderung gestellt, kann daher nicht generell davon ausgegangen werden, dass dadurch Art. 15 Abs. 1 die praktische Wirksamkeit genommen werden kann. |
60 |
Um das Ziel dieser Bestimmung zu wahren und nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, müssen allerdings die konkreten Modalitäten einer solchen Anforderung zur Erreichung der mit der nationalen Regelung verfolgten Ziele geeignet sein und dürfen nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen (vgl. entsprechend Urteil vom 9. Juli 2015, K und A, C‑153/14, EU:C:2015:453, Rn. 51). |
61 |
Durch die Pflicht der erfolgreichen Ablegung einer Integrationsprüfung soll belegt werden können, dass die betroffenen Drittstaatsangehörigen Kenntnisse sowohl der Sprache als auch der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats erworben haben, die für die Gewährleistung ihrer Integration in diesem Mitgliedstaat unstreitig von Nutzen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Juni 2015, P und S, C‑579/13, EU:C:2015:369, Rn. 48, und vom 9. Juli 2015, K und A, C‑153/14, EU:C:2015:453, Rn. 53 und 54). |
62 |
Diese Pflicht darf jedoch nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist, die Integration der Drittstaatsangehörigen zu erleichtern. |
63 |
Dies setzt insbesondere voraus, dass für die Integrationsprüfung Grundkenntnisse verlangt werden, dass die nach der nationalen Regelung bestehende Anforderung nicht dazu führt, dass Drittstaatsangehörigen, die ihre Bereitschaft zur erfolgreichen Ablegung der Prüfung und ihre dafür unternommenen Anstrengungen nachgewiesen haben, die Erteilung eines eigenen Aufenthaltstitel verwehrt wird, dass die besonderen individuellen Umstände gehörig berücksichtigt werden und dass die Kosten für diese Prüfung nicht übermäßig hoch sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juli 2015, K und A, C‑153/14, EU:C:2015:453, Rn. 54 bis 70). |
64 |
Insoweit ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass die zuständigen Behörden angesichts von Umständen wie Alter, Bildungsniveau, finanzielle Lage oder Gesundheitszustand der Familienangehörigen des Zusammenführenden die Möglichkeit haben müssen, diesen Familienangehörigen einen eigenen Aufenthaltstitel ohne erfolgreiche Ablegung der Integrationsprüfung zu erteilen, falls die Familienangehörigen aufgrund dieser Umstände nicht in der Lage sind, diese Prüfung abzulegen oder zu bestehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juli 2015, K und A, C‑153/14, EU:C:2015:453, Rn. 58). |
65 |
Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 15 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2003/86 einer nationalen Regelung, nach der der Antrag auf einen eigenen Aufenthaltstitel eines Drittstaatsangehörigen, der sich seit mehr als fünf Jahren im Rahmen einer Familienzusammenführung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, abgelehnt werden kann, weil der Drittstaatsangehörige nicht nachgewiesen hat, dass er die Integrationsprüfung betreffend Sprache und Gesellschaft dieses Mitgliedstaats erfolgreich abgelegt hat, nicht entgegensteht, soweit die konkreten Modalitäten der Pflicht, diese Prüfung erfolgreich abzulegen, nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist, die Integration der Drittstaatsangehörigen zu erleichtern. |
Zur dritten Frage
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Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 15 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2003/86 einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der eigene Aufenthaltstitel frühestens vom Zeitpunkt der Stellung des entsprechenden Antrags an erteilt werden kann. |
67 |
Es ist zunächst festzustellen, dass Art. 15 der Richtlinie 2003/86 keine besonderen Vorschriften über den Ablauf des Verfahrens zur Erteilung des eigenen Aufenthaltstitels oder gar über den Zeitpunkt enthält, zu dem die Erteilung dieses Aufenthaltstitels Wirkung entfalten muss. |
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Ebenso wenig enthält diese Bestimmung einen Hinweis darauf, dass die Erteilung des eigenen Aufenthaltstitels lediglich deklarativ wäre, wobei Art. 15 Abs. 1 dieser Richtlinie im Übrigen ausdrücklich vorsieht, dass die Mitgliedstaaten das Recht auf einen solchen Aufenthaltstitel an die Stellung eines Antrags knüpfen können. |
69 |
Schließlich geht aus Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie hervor, dass es insbesondere Sache der Mitgliedstaaten ist, die Bedingungen für die Erteilung eines eigenen Aufenthaltstitels festzulegen, zu denen u. a. die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung dieses Aufenthaltstitels zählen können. |
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Zwar ergibt sich aus den Erwägungen in Rn. 52 des vorliegenden Urteils, dass diese Möglichkeit nicht dazu genutzt werden darf, eine Vorschrift einzuführen, die ein kaum überwindbares Hindernis darstellt, durch das die in Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2003/86 erwähnten Drittstaatsangehörigen in der Praxis davon abgehalten werden, einen solchen Aufenthaltstitel wie normalerweise vorgesehen nach Ablauf der in dieser Bestimmung genannten Frist zu erhalten, doch ist davon auszugehen, dass eine Regelung, nach der der eigene Aufenthaltstitel frühestens vom Zeitpunkt der Stellung des entsprechenden Antrags an erteilt werden kann, offensichtlich keine derartige Wirkung entfalten kann. |
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Somit ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 15 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2003/86 einer nationalen Regelung, nach der der eigene Aufenthaltstitel frühestens vom Zeitpunkt der Stellung des entsprechenden Antrags an erteilt werden kann, nicht entgegensteht. |
Kosten
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Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt: |
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Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.
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Referenzen
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