Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-47/17,C-48/17

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

13. November 2018 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EU) Nr. 604/2013 und Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 – Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist – Kriterien und Verfahren zur Bestimmung – Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme eines Asylbewerbers – Ablehnende Antwort des ersuchten Mitgliedstaats – Ersuchen um neuerliche Prüfung – Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1560/2003 – Antwortfrist – Ablauf – Wirkungen“

In den verbundenen Rechtssachen C‑47/17 und C‑48/17

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank Den Haag (Gericht Den Haag, Niederlande) mit Entscheidungen vom 23. Januar und 26. Januar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Februar bzw. 3. Februar 2017, in den Verfahren

X (C‑47/17),

X (C‑48/17)

gegen

Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, M. Vilaras und F. Biltgen sowie der Richter E. Juhász, M. Ilešič (Berichterstatter), J. Malenovský, E. Levits, L. Bay Larsen und S. Rodin,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Januar 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von X (C‑47/17), vertreten durch C. C. Westermann-Smit, advocaat,

von X (C‑48/17), vertreten durch D. G. J. Sanderink und A. Khalaf, advocaten,

der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und L. Noort als Bevollmächtigte,

der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,

der ungarischen Regierung, vertreten durch M. M. Tátrai, M. Z. Fehér und G. Koós als Bevollmächtigte,

der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Brandon, R. Fadoju und C. Crane als Bevollmächtigte im Beistand von D. Blundell, barrister,

der Schweizer Regierung, vertreten durch E. Bichet als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Wils und M. Condou-Durande als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. März 2018

folgendes

Urteil

1

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 2003, L 222, S. 3), in der durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 (ABl. 2014, L 39, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Durchführungsverordnung).

2

Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen zwei Asylbewerbern jeweils auf der einen und dem Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie (Staatssekretär für Sicherheit und Justiz, Niederlande, im Folgenden: Staatssekretär) auf der anderen Seite.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Eurodac-Verordnung

3

Die Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT‑Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (ABl. 2013, L 180, S. 1, im Folgenden: Eurodac-Verordnung) bestimmt in Art. 9:

„(1)   Jeder Mitgliedstaat nimmt jeder Person, die internationalen Schutz beantragt und mindestens 14 Jahre alt ist, umgehend den Abdruck aller Finger ab und übermittelt die Fingerabdruckdaten … so bald wie möglich, spätestens aber 72 Stunden nach Antragstellung gemäß Artikel 20 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 an das Zentralsystem.

(3)   … von einem Mitgliedstaat übermittelte Fingerabdruckdaten … [werden] automatisch mit den Fingerabdruckdaten abgeglichen, die andere Mitgliedstaaten übermittelt haben und die bereits im Zentralsystem gespeichert sind.

(5)   Das Zentralsystem übermittelt den Treffer oder das negative Ergebnis des Abgleichs automatisch an den Herkunftsmitgliedstaat. …

…“

4

Art. 14 der Eurodac-Verordnung sieht vor:

„(1)   Jeder Mitgliedstaat nimmt jedem mindestens 14 Jahre alten Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der – aus einem Drittstaat kommend – beim illegalen Überschreiten der Grenze dieses Mitgliedstaats auf dem Land-, See- oder Luftweg von den zuständigen Kontrollbehörden aufgegriffen und nicht zurückgewiesen wird oder der sich weiterhin im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhält und dessen Bewegungsfreiheit während des Zeitraums zwischen dem Aufgreifen und der Abschiebung auf der Grundlage eines Rückführungsbeschlusses nicht durch Haft, Gewahrsam oder Festnahme beschränkt wurde, unverzüglich den Abdruck aller Finger ab.

(2)   Der betreffende Mitgliedstaat übermittelt so bald wie möglich, spätestens jedoch 72 Stunden nach dem Datum des Aufgreifens, an das Zentralsystem die … Daten zu Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gemäß Absatz 1, die nicht zurückgewiesen wurden …

…“

Dublin‑III-Verordnung

5

In den Erwägungsgründen 4, 5, 7 und 12 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31, im Folgenden: Dublin‑III-Verordnung) heißt es:

„(4)

Entsprechend den Schlussfolgerungen [des Europäischen Rates auf seiner Sondertagung vom 15. und 16. Oktober 1999 in] Tampere sollte das [Gemeinsame Europäische Asylsystem] auf kurze Sicht eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats umfassen.

(5)

Eine solche Formel sollte auf objektiven und für die Mitgliedstaaten und die Betroffenen gerechten Kriterien basieren. Sie sollte insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden.

(7)

Im Programm von Stockholm hat der Europäische Rat sein Ziel bekräftigt, bis spätestens 2012 gemäß Artikel 78 [AEUV] für Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, einen gemeinsamen Raum des Schutzes und der Solidarität zu errichten. Außerdem betonte er, dass das Dublin-System weiterhin ein zentrales Element beim Aufbau des GEAS bildet, da es die Zuständigkeit für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zwischen den Mitgliedstaaten eindeutig zuweist.

(12)

Die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes [(ABl. 2013, L 180, S. 60)] sollte zusätzlich und unbeschadet der Bestimmungen über die in dieser Verordnung geregelten Verfahrensgarantien vorbehaltlich der Beschränkungen der Anwendung dieser Richtlinie gelten.“

6

Gemäß Art. 2 Buchst. d der Dublin‑III-Verordnung bezeichnet der Ausdruck „Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz“ im Sinne dieser Verordnung „die Gesamtheit der Prüfungsvorgänge, der Entscheidungen oder Urteile der zuständigen Behörden in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß der Richtlinie 2013/32/EU und der Richtlinie 2011/95/EU mit Ausnahme der Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemäß dieser Verordnung“.

7

Art. 3 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung bestimmt:

„Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.“

8

Art. 13 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung lautet:

„Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der [Eurodac-Verordnung] festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.“

9

In Art. 17 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung heißt es:

„Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

…“

10

Art. 18 der Dublin‑III-Verordnung bestimmt:

„(1)   Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a)

einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b)

einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

(2)   Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

…“

11

Art. 20 Abs. 1 und 5 der Dublin‑III-Verordnung sieht vor:

„(1)   Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

(5)   Der Mitgliedstaat, bei dem der erste Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, ist gehalten, einen Antragsteller, der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält oder dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem er seinen ersten Antrag noch während des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zurückgezogen hat, nach den Bestimmungen der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zum Abschluss zu bringen.

…“

12

In Art. 21 der Dublin‑III-Verordnung heißt es:

„(1)   Hält der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags für zuständig, so kann er so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung im Sinne von Artikel 20 Absatz 2, diesen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen.

Abweichend von Unterabsatz 1 wird im Fall einer Eurodac-Treffermeldung im Zusammenhang mit Daten gemäß Artikel 14 der [Eurodac-Verordnung] dieses Gesuch innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Treffermeldung gemäß Artikel 15 Absatz 2 jener Verordnung gestellt.

Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der in Unterabsätzen 1 und 2 niedergelegten Frist unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für die Prüfung des Antrags zuständig.

(2)   Der ersuchende Mitgliedstaat kann in Fällen, in denen der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, nachdem die Einreise oder der Verbleib verweigert wurde, der Betreffende wegen illegalen Aufenthalts festgenommen wurde oder eine Abschiebungsanordnung zugestellt oder vollstreckt wurde, eine dringende Antwort anfordern.

In dem Gesuch werden die Gründe genannt, die eine dringende Antwort rechtfertigen, und es wird angegeben, innerhalb welcher Frist eine Antwort erwartet wird. Diese Frist beträgt mindestens eine Woche.

(3)   In den Fällen im Sinne der Unterabsätze 1 und 2 ist für das Gesuch um Aufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat ein Formblatt zu verwenden, das Beweismittel oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen und/oder sachdienliche Angaben aus der Erklärung des Antragstellers enthalten muss, anhand deren die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats prüfen können, ob ihr Staat gemäß den in dieser Verordnung definierten Kriterien zuständig ist.

Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für die Erstellung und Übermittlung von Aufnahmegesuchen fest. …“

13

Art. 22 der Dublin‑III-Verordnung bestimmt:

„(1)   Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten, nach Erhalt des Gesuchs.

(3)   Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten die Erstellung und regelmäßige Überprüfung zweier Verzeichnisse, in denen die sachdienlichen Beweismittel und Indizien … aufgeführt sind, fest. …

(6)   Beruft sich der ersuchende Mitgliedstaat auf das Dringlichkeitsverfahren gemäß Artikel 21 Absatz 2, so unternimmt der ersuchte Mitgliedstaat alle Anstrengungen, um die vorgegebene Frist einzuhalten. In Ausnahmefällen, in denen nachgewiesen werden kann, dass die Prüfung eines Gesuchs um Aufnahme eines Antragstellers besonders kompliziert ist, kann der ersuchte Mitgliedstaat seine Antwort nach Ablauf der vorgegebenen Frist erteilen, auf jeden Fall ist die Antwort jedoch innerhalb eines Monats zu erteilen. In derartigen Fällen muss der ersuchte Mitgliedstaat seine Entscheidung, die Antwort zu einem späteren Zeitpunkt zu erteilen, dem ersuchenden Mitgliedstaat innerhalb der ursprünglich gesetzten Frist mitteilen.

(7)   Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.“

14

Art. 23 der Dublin‑III-Verordnung sieht vor:

„(1)   Ist ein Mitgliedstaat, in dem eine Person im Sinne des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d einen neuen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Auffassung, dass nach Artikel 20 Absatz 5 und Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig ist, so kann er den anderen Mitgliedstaat ersuchen, die Person wieder aufzunehmen.

(2)   Ein Wiederaufnahmegesuch ist so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung im Sinne von Artikel 9 Absatz 5 der [Eurodac-Verordnung] zu stellen.

Stützt sich das Wiederaufnahmegesuch auf andere Beweismittel als Angaben aus dem Eurodac-System, ist es innerhalb von drei Monaten, nachdem der Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Artikel 20 Absatz 2 gestellt wurde, an den ersuchten Mitgliedstaat zu richten.

(3)   Erfolgt das Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb der in Absatz 2 festgesetzten Frist, so ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, in dem der neue Antrag gestellt wurde.

(4)   Für ein Wiederaufnahmegesuch ist ein Standardformblatt zu verwenden, das Beweismittel oder Indizien im Sinne der beiden Verzeichnisse nach Artikel 22 Absatz 3 und/oder sachdienliche Angaben aus der Erklärung der betroffenen Person enthalten muss, anhand deren die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats prüfen können, ob ihr Staat auf Grundlage der in dieser Verordnung festgelegten Kriterien zuständig ist.

Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für die Erstellung und Übermittlung von Wiederaufnahmegesuchen fest. …“

15

Art. 25 der Dublin‑III-Verordnung lautet:

„(1)   Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Wiederaufnahme der betreffenden Person so rasch wie möglich, in jedem Fall aber nicht später als einen Monat, nachdem er mit dem Gesuch befasst wurde. Stützt sich der Antrag auf Angaben aus dem Eurodac-System, verkürzt sich diese Frist auf zwei Wochen.

(2)   Wird innerhalb der Frist von einem Monat oder der Frist von zwei Wochen gemäß Absatz 1 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.“

16

Art. 29 der Dublin‑III-Verordnung sieht vor:

„(1)   Die Überstellung des Antragstellers … aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese … aufschiebende Wirkung hat.

(2)   Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet, und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.

…“

17

Gemäß der Entsprechungstabelle in Anhang II der Dublin‑III-Verordnung entsprechen Art. 18 und Art. 20 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 2003, L 50, S. 1, im Folgenden: Dublin‑II-Verordnung), die durch die Dublin‑III-Verordnung aufgehoben und ersetzt wurde, Art. 22 bzw. Art. 25 Abs. 1 der letztgenannten Verordnung.

Durchführungsverordnung

18

Nach der Präambel der Durchführungsverordnung wurde diese erlassen „gestützt auf die [Dublin‑II-Verordnung], insbesondere auf Artikel 15 Absatz 5, Artikel 17 Absatz 3, Artikel 18 Absatz 3, Artikel 19 Absätze 3 und 5, Artikel 20 Absätze 1, 3 und 4 und Artikel 22 Absatz 2“.

19

Art. 5 der Durchführungsverordnung bestimmt:

„(1)   Vertritt der ersuchte Mitgliedstaat nach Prüfung der Unterlagen die Auffassung, dass sich aus ihnen nicht seine Zuständigkeit ableiten lässt, erläutert er in seiner ablehnenden Antwort an den ersuchenden Mitgliedstaat ausführlich sämtliche Gründe, die zu der Ablehnung geführt haben.

(2)   Vertritt der ersuchende Mitgliedstaat die Auffassung, dass die Ablehnung auf einem Irrtum beruht, oder kann er sich auf weitere Unterlagen berufen, ist er berechtigt, eine neuerliche Prüfung seines Gesuchs zu verlangen. Diese Möglichkeit muss binnen drei Wochen nach Erhalt der ablehnenden Antwort in Anspruch genommen werden. Der ersuchte Mitgliedstaat erteilt binnen zwei Wochen eine Antwort. Durch dieses zusätzliche Verfahren ändern sich in keinem Fall die in Artikel 18 Absätze 1 und 6 und Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe b) der [Dublin‑II-Verordnung] vorgesehenen Fristen.“

20

Anhang X der Durchführungsverordnung enthält in Teil A Informationen über die Dublin‑III-Verordnung für Personen, die internationalen Schutz beantragen. Unter der Überschrift „Wie lange muss ich auf die Entscheidung warten, welches Land meinen Antrag prüfen wird? Wie lange dauert es, bis mein Antrag geprüft wird?“ wird u. a. Folgendes ausgeführt: „Die gesamte Dauer des [durch die Dublin‑III-Verordnung festgelegten] Verfahrens, bis Sie in dieses Land überstellt werden, kann unter normalen Umständen bis zu 11 Monate dauern. Danach wird Ihr Asylantrag im zuständigen Land geprüft. Dieser Zeitrahmen kann sich verändern, wenn Sie sich vor den Behörden verstecken, in Haft genommen werden oder wenn Sie einen Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung einlegen“. In Teil B dieses Anhangs, der Informationen über dieses Verfahren für Personen enthält, die internationalen Schutz beantragen und von dem genannten Verfahren betroffen sind, sind die für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs und für die Beantwortung eines solchen Gesuchs sowie die Überstellung des Betroffenen vorgesehenen Fristen insoweit detaillierter dargestellt.

Niederländisches Recht

Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz

21

Art. 4:17 Abs. 1 der Algemene wet bestuursrecht (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, im Folgenden: Awb) sieht vor, dass die Verwaltungsbehörde, wenn ein Antrag nicht rechtzeitig beschieden wird, dem Antragsteller für jeden Tag ihrer Untätigkeit, höchstens jedoch für 42 Tage, ein Zwangsgeld zu zahlen hat. Art. 4:17 Abs. 2 dieses Gesetzes bestimmt, dass das Zwangsgeld in den ersten 14 Tagen 20 Euro pro Tag, in den darauffolgenden 14 Tagen 30 Euro pro Tag und für weitere Tage 40 Euro pro Tag beträgt. Nach Art. 4:17 Abs. 3 Awb ist der erste Tag, ab dem das Zwangsgeld geschuldet wird, der Tag des Ablaufs der Frist von zwei Wochen, deren Lauf am Tag nach dem Tag beginnt, an dem die Frist für den Erlass eines Bescheids abgelaufen ist und die Verwaltungsbehörde vom Antragsteller schriftlich zum Tätigwerden aufgefordert worden ist. Art. 4:17 Abs. 5 des Gesetzes bestimmt, dass ein Widerspruch gegen den nicht rechtzeitigen Erlass eines Bescheids keine aufschiebende Wirkung hinsichtlich der Fälligkeit des Zwangsgeldes hat. Nach Art. 4:17 Abs. 6 Buchst. c Awb ist das Zwangsgeld nicht geschuldet, wenn der Antrag offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist.

22

Art. 6:2 Buchst. b Awb sieht vor:

„Für die Anwendung der Rechtsvorschriften über Klage und Widerspruch gilt der nicht rechtzeitige Erlass eines Bescheids als Erlass eines Bescheids.“

23

Art. 6:12 Abs. 2 Awb bestimmt:

„Klage kann erhoben werden, sobald a) die Verwaltungsbehörde es unterlassen hat, rechtzeitig einen Bescheid zu erlassen …, und b) nach dem Tag, an dem der Betroffene die Verwaltungsbehörde schriftlich zum Tätigwerden aufgefordert hat, zwei Wochen vergangen sind.“

24

Art. 8:55b Abs. 1 Awb lautet:

„Richtet sich die Klage gegen das Unterlassen, rechtzeitig einen Bescheid zu erlassen, entscheidet der Verwaltungsrichter in Anwendung von Art. 8:54 [dieses Gesetzes] innerhalb von acht Wochen nach Eingang der Klageschrift und Erfüllung der Voraussetzungen von Art. 6:5 [dieses Gesetzes], es sei denn, er hält eine Untersuchung in mündlicher Verhandlung für erforderlich.“

25

Art. 8:55c Awb sieht vor:

„Ist die Klage begründet, setzt der Verwaltungsrichter auf Antrag auch die Höhe des … geschuldeten Zwangsgeldes fest.“

26

Gemäß Art. 8:55d Abs. 1 Awb gibt der Verwaltungsrichter, wenn die Klage begründet ist und noch kein Bescheid bekannt gegeben worden ist, der Verwaltungsbehörde auf, innerhalb von zwei Wochen nach dem Tag der Zustellung des Urteils einen Bescheid bekannt zu geben. Nach Abs. 2 des genannten Art. 8:55d setzt der Verwaltungsrichter in seinem Urteil ein weiteres Zwangsgeld für jeden Tag fest, an dem die Verwaltungsbehörde dem Urteil nicht nachkommt.

Ausländergesetz

27

Art. 30 Abs. 1 der Vreemdelingenwet 2000 (Ausländergesetz 2000) in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: Ausländergesetz) bestimmt, dass ein Antrag auf Erteilung eines befristeten Aufenthaltstitels für Asylberechtigte nicht zu prüfen ist, wenn nach der Dublin‑III-Verordnung festgestellt worden ist, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig ist.

28

Art. 42 Abs. 1 des Ausländergesetzes bestimmt, dass innerhalb von sechs Monaten nach Eingang des Antrags auf Erteilung eines befristeten Aufenthaltstitels für Asylberechtigte eine Entscheidung zu erlassen ist.

29

Art. 42 Abs. 4 des Ausländergesetzes bestimmt, dass die Frist nach Abs. 1 dieses Art. 42 um höchstens neun Monate verlängert werden kann, wenn:

„a)

sich in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht komplexe Fragen ergeben,

b)

eine große Anzahl von Ausländern gleichzeitig einen Antrag stellt, so dass es in der Praxis sehr schwierig ist, das Verfahren innerhalb der Frist von sechs Monaten abzuschließen, oder

c)

die Verzögerung der Prüfung des Antrags auf den Ausländer zurückzuführen ist.“

30

Art. 42 Abs. 6 des Ausländergesetzes sieht vor, dass, wenn im Rahmen des Antrags auf Erteilung eines befristeten Aufenthaltstitels für Asylberechtigte untersucht wird, ob der Antrag nach Art. 30 des genannten Gesetzes nicht zu prüfen ist, die Frist nach Abs. 1 des genannten Art. 42 zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem nach der Dublin‑III-Verordnung feststeht, dass das Königreich der Niederlande für die Prüfung des Antrags zuständig ist.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Rechtssache C‑47/17

31

Am 24. Januar 2016 stellte der Kläger des Ausgangsverfahrens, ein syrischer Staatsangehöriger, beim Staatssekretär in den Niederlanden einen Antrag auf Erteilung eines befristeten Aufenthaltstitels für Asylberechtigte.

32

Am selben Tag erhielt der Staatssekretär eine Eurodac-Treffermeldung, wonach der Kläger am 22. Januar 2016 in Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, was der Betroffene jedoch bestreitet.

33

Am 24. März 2016 stellte der Staatssekretär bei den deutschen Behörden gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Dublin‑III-Verordnung ein Gesuch um Wiederaufnahme des Klägers des Ausgangsverfahrens.

34

Die deutschen Behörden lehnten das Wiederaufnahmegesuch mit Schreiben vom 7. April 2016 ab. In diesem Schreiben teilten die deutschen Behörden mit, dass sie zunächst ablehnend antworteten, um die in Art. 25 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung geregelte Antwortfrist einzuhalten, da die Antwort eine vertiefte Prüfung in Deutschland erfordere, über die die niederländischen Behörden unaufgefordert informiert würden.

35

Am 14. April 2016 stellte der Staatssekretär bei den deutschen Behörden ein Ersuchen um neuerliche Prüfung, das diese jedoch nicht beantworteten.

36

Mit Schreiben vom 29. August 2016 forderte der Kläger des Ausgangsverfahrens den Staatssekretär zur Prüfung seines Antrags sowie dazu auf, die Ablehnung der deutschen Behörden vom 7. April 2016 als endgültig zu betrachten. Der Staatssekretär antwortete auf diesen Antrag nicht in der Sache.

37

Am 17. November 2016 erhob der Kläger des Ausgangsverfahrens beim vorlegenden Gericht Klage, machte das Ausbleiben einer rechtzeitigen Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung eines befristeten Aufenthaltstitels für Asylberechtigte geltend und beantragte, den Staatssekretär zur Zahlung eines Zwangsgeldes ab dem Tag seiner Säumnis zu verurteilen, ihn zu einer Entscheidung innerhalb einer vom Gericht festzusetzenden Frist zu verpflichten und diese Verpflichtung mit einem zusätzlichen Zwangsgeld von 100 Euro pro Tag der Verspätung zu versehen.

38

Am 22. Dezember 2016 informierte der Staatssekretär das vorlegende Gericht darüber, dass er das bei den deutschen Behörden gestellte Wiederaufnahmegesuch am 14. Dezember 2016 zurückgezogen habe und dass der Asylantrag des Klägers des Ausgangsverfahrens nunmehr im Rahmen der Nederlandse Algemene Asielprocedure (Allgemeines niederländisches Asylverfahren) behandelt werde.

39

Die Parteien des Ausgangsverfahrens streiten über die Frage, ob die Frist, innerhalb deren der Staatssekretär über den vom Kläger des Ausgangsverfahrens am 24. Januar 2016 gestellten Antrag auf Erteilung eines befristeten Aufenthaltstitels für Asylberechtigte zu entscheiden hat, zwischenzeitlich abgelaufen ist.

40

Der Kläger des Ausgangsverfahrens macht insoweit insbesondere geltend, dass nach Ablauf der in der Dublin‑III-Verordnung festgelegten Fristen für das Wiederaufnahmeverfahren der für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständige Mitgliedstaat bestimmt worden sein müsse. Bei einer rechtzeitigen ablehnenden Antwort des um Wiederaufnahme ersuchten Mitgliedstaats liege die Zuständigkeit von diesem Zeitpunkt an bei dem ersuchenden Mitgliedstaat. Folglich beginne die sechsmonatige Frist zur Entscheidung über den Asylantrag in diesem Moment. Da die deutschen Behörden das Wiederaufnahmegesuch am 7. April 2016 abgelehnt hätten, sei ab diesem Zeitpunkt das Königreich der Niederlande für die Prüfung seines Asylantrags zuständig gewesen, so dass die Frist zur Entscheidung über diesen Antrag am 7. Oktober 2016 abgelaufen sei.

41

Der Staatssekretär vertritt hingegen die Auffassung, dass die Frist zur Entscheidung über diesen Antrag erst am 14. Dezember 2016 begonnen habe, als das Königreich der Niederlande sich für dessen Bearbeitung für zuständig erklärt habe.

42

Vor diesem Hintergrund hat die Rechtbank Den Haag (Gericht Den Haag, Niederlande) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Rechtssache C‑48/17

43

Am 22. September 2015 stellte der Kläger des Ausgangsverfahrens, ein eritreischer Staatsangehöriger, beim Staatssekretär einen Antrag auf Erteilung eines befristeten Aufenthaltstitels für Asylberechtigte in den Niederlanden. Der Eurodac-Datenbank zufolge hatte er am 9. Juni 2015 bereits einen Antrag auf internationalen Schutz in der Schweiz gestellt. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht ferner hervor, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens Ende Mai 2015 über das Mittelmeer nach Italien gekommen ist, wo jedoch seine Fingerabdrücke scheinbar nicht erfasst wurden und er offenbar keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.

44

Am 20. November 2015 stellte der Staatssekretär bei den Schweizer Behörden gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Dublin‑III-Verordnung ein Gesuch um Wiederaufnahme des Klägers des Ausgangsverfahrens.

45

Am 25. November 2015 wiesen die Schweizer Behörden dieses Gesuch mit der Begründung zurück, dass sie im Rahmen des Verfahrens zur Bestimmung des für die Bearbeitung des vom Kläger in der Schweiz gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats bei den italienischen Behörden ein Gesuch um Aufnahme bzw. Wiederaufnahme gestellt hätten, das unbeantwortet geblieben sei, so dass die Italienische Republik seit dem 1. September 2015 für die Bearbeitung dieses Antrags zuständig sei.

46

Am 27. November 2015 stellte der Staatssekretär bei den italienischen Behörden ein Gesuch um Wiederaufnahme des Klägers des Ausgangsverfahrens.

47

Am 30. November 2015 lehnten die italienischen Behörden dieses Gesuch ab.

48

Am 1. Dezember 2015 stellte der Staatssekretär bei den italienischen Behörden ein Ersuchen um neuerliche Prüfung und am 18. Januar 2016 übersandte er diesen Behörden ein Erinnerungsschreiben.

49

Am 26. Januar 2016 gaben die italienischen Behörden dem Gesuch statt.

50

Mit Entscheidung vom 19. April 2016 lehnte der Staatssekretär die Prüfung des Antrags des Klägers des Ausgangsverfahrens auf Erteilung eines befristeten Aufenthaltstitels für Asylberechtigte mit der Begründung ab, die Italienische Republik sei für die Bearbeitung dieses Antrags zuständig.

51

Der Kläger des Ausgangsverfahrens erhob gegen diese Entscheidung beim vorlegenden Gericht Klage. Er beantragte außerdem beim für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Gericht, dem Staatssekretär im Wege einer vorläufigen Maßnahme zu untersagen, ihn vor Ablauf einer Frist von vier Wochen, beginnend am Tag, an dem das vorlegende Gericht über seine Klage entschieden haben wird, auszuweisen. Mit Beschluss vom 30. Juni 2016 erließ das für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Gericht diese vorläufige Maßnahme.

52

Die Parteien des Ausgangsverfahrens streiten insbesondere über die Frage, ob der Beklagte für die Prüfung des vom Kläger des Ausgangsverfahrens gestellten Antrags auf Erteilung eines befristeten Aufenthaltstitels für Asylberechtigte dadurch zuständig geworden ist, dass die italienischen Behörden, nachdem sie das Wiederaufnahmegesuch des Staatssekretärs zunächst zurückgewiesen hatten, das Ersuchen um neuerliche Prüfung nicht innerhalb der bestimmten Frist beantwortet haben.

53

Vor diesem Hintergrund hat die Rechtbank Den Haag (Gericht Den Haag) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof sechs Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, die im Wesentlichen mit den in der Rechtssache C‑47/17 vorgelegten Fragen übereinstimmen, wobei jedoch zum einen die in der vierten Frage genannte Frist an die in der Rechtssache C‑48/17 in Rede stehende Situation angepasst wurde, indem auf eine Frist von siebeneinhalb Wochen Bezug genommen wird, und zum anderen in der fünften Frage in dieser Rechtssache nur der Fall der Überschreitung einer Frist von zwei Wochen oder einer angemessenen Frist angeführt wird.

Verfahren vor dem Gerichtshof

54

Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 13. Februar 2017 sind die Rechtssachen C‑47/17 und C‑48/17 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamem Urteil verbunden worden.

55

In seinem Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑47/17 hat das vorlegende Gericht die Anwendung des beschleunigten Verfahrens gemäß Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beantragt. Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 15. März 2017, X (C‑47/17 und C‑48/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:224), zurückgewiesen. Zwar wurde zunächst entschieden, die vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen aufgrund der Situation des Klägers des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑47/17 vorrangig zu behandeln, jedoch teilte dieser dem Gerichtshof in seinen schriftlichen Erklärungen mit, dass die niederländischen Behörden seinem Asylantrag nach Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens stattgegeben hätten, so dass es im Ausgangsverfahren nunmehr nur noch um einen finanziellen Ausgleich wegen nicht fristgemäßer Entscheidung über diesen Antrag gehe. Da eine vorrangige Behandlung unter diesen Umständen nicht mehr gerechtfertigt ist, ist beschlossen worden, diese zu beenden und die Rechtssache dem ordentlichen Verfahren zu unterwerfen.

Zu den Vorlagefragen

56

Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung dahin auszulegen ist, dass im Rahmen des Verfahrens zur Bestimmung des für die Behandlung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats der mit einem Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch nach Art. 21 bzw. Art. 23 der Dublin‑III-Verordnung befasste Mitgliedstaat, der auf dieses Gesuch innerhalb der nach Art. 22 bzw. Art. 25 dieser Verordnung vorgesehenen Frist ablehnend geantwortet hat und an den in der Folge ein Ersuchen um neuerliche Prüfung gemäß dem genannten Art. 5 Abs. 2 gerichtet worden ist, dieses innerhalb einer bestimmten Frist beantworten muss. Das vorlegende Gericht fragt sich, wie lange gegebenenfalls diese Frist ist und welche Auswirkungen es hat, wenn der ersuchte Mitgliedstaat das Ersuchen des ersuchenden Mitgliedstaats um neuerliche Prüfung nicht innerhalb dieser Frist beantwortet.

57

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren obligatorisch im Einklang mit den u. a. in Kapitel VI der Dublin‑III-Verordnung aufgestellten Regeln und insbesondere unter Beachtung einer Reihe zwingender Fristen durchgeführt werden müssen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Juli 2017, Mengesteab, C‑670/16, EU:C:2017:587, Rn. 49 und 50, sowie vom 25. Januar 2018, Hasan, C‑360/16, EU:C:2018:35, Rn. 60).

58

So sieht Art. 21 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vor, dass das Aufnahmegesuch so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz, unterbreitet werden muss. Abweichend davon muss das Gesuch im Fall einer Eurodac-Treffermeldung im Zusammenhang mit Daten gemäß Art. 14 der Eurodac-Verordnung innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Treffermeldung gestellt werden.

59

Entsprechend bestimmt Art. 23 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung, dass ein Wiederaufnahmegesuch so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung im Sinne von Art. 9 Abs. 5 der Eurodac-Verordnung zu stellen ist. Stützt sich das Gesuch auf andere Beweismittel als Angaben aus dem Eurodac-System, ist es innerhalb von drei Monaten, nachdem der Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 20 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung gestellt wurde, an den ersuchten Mitgliedstaat zu richten.

60

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Unionsgesetzgeber die Wirkungen des Ablaufs dieser Fristen in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 und Art. 23 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung dahin geregelt hat, dass der ersuchende Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, wenn die Gesuche nicht innerhalb der genannten Fristen unterbreitet werden.

61

Ferner hat der Unionsgesetzgeber solche zwingenden Fristen sowie die Wirkungen von deren Ablauf auch bezüglich der Antwort auf ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch festgelegt.

62

Was nämlich zum einen die Antwort auf ein Gesuch um Aufnahme betrifft, sieht Art. 22 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vor, dass der ersuchte Mitgliedstaat die erforderlichen Überprüfungen vornimmt und über das Gesuch innerhalb von zwei Monaten nach dessen Erhalt entscheidet.

63

Nach Art. 22 Abs. 6 der Dublin‑III-Verordnung unternimmt der ersuchte Mitgliedstaat, wenn sich der ersuchende Mitgliedstaat auf das Dringlichkeitsverfahren gemäß Art. 21 Abs. 2 der genannten Verordnung beruft, alle Anstrengungen, um die vorgegebene Frist, die mindestens eine Woche beträgt, einzuhalten. In Ausnahmefällen, in denen nachgewiesen werden kann, dass die Prüfung eines Gesuchs um Aufnahme eines Antragstellers besonders kompliziert ist, kann der ersuchte Mitgliedstaat seine Antwort nach Ablauf der vorgegebenen Frist erteilen, auf jeden Fall ist die Antwort jedoch innerhalb eines Monats zu erteilen. In derartigen Fällen muss der ersuchte Mitgliedstaat seine Entscheidung, die Antwort zu einem späteren Zeitpunkt zu erteilen, dem ersuchenden Mitgliedstaat innerhalb der ursprünglich gesetzten Frist mitteilen.

64

Nach Art. 22 Abs. 7 der Dublin‑III-Verordnung ist, wenn innerhalb der Frist von zwei Monaten nach Abs. 1 des genannten Art. 22 bzw. der Frist von einem Monat nach Abs. 6 dieses Art. 22 keine Antwort erteilt wird, davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

65

Was zum anderen die Antwort auf ein Gesuch um Wiederaufnahme betrifft, sieht Art. 25 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vor, dass der ersuchte Mitgliedstaat die erforderlichen Überprüfungen vornimmt und über das Gesuch so rasch wie möglich entscheidet, in jedem Fall aber nicht später als einen Monat, nachdem er mit dem Gesuch befasst wurde. Stützt sich der Antrag auf Angaben aus dem Eurodac-System, verkürzt sich diese Frist auf zwei Wochen.

66

Gemäß Art. 25 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung ist, wenn innerhalb der Frist von einem Monat oder der Frist von zwei Wochen gemäß Abs. 1 des genannten Art. 25 keine Antwort erteilt wird, davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

67

Hinsichtlich der Wirkungen, die Art. 22 Abs. 7 und Art. 25 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung an den Umstand knüpfen, dass bei Ablauf der zwingenden Fristen nach Art. 22 Abs. 1 und 6 bzw. Art. 25 Abs. 1 der genannten Verordnung auf ein Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme keine Antwort erteilt worden ist, ist zu betonen, dass diese Wirkungen nicht durch den Versand einer rein formalen Antwort an den ersuchenden Mitgliedstaat umgangen werden können. Aus diesem Art. 22 Abs. 1 und diesem Art. 25 Abs. 1 geht nämlich unmissverständlich hervor, dass der ersuchte Mitgliedstaat unter Beachtung dieser zwingenden Fristen sämtliche Überprüfungen vornehmen muss, die erforderlich sind, um über das Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme entscheiden zu können. Art. 5 Abs. 1 der Durchführungsverordnung stellt ferner klar, dass in einer ablehnenden Antwort auf ein solches Gesuch ausführlich sämtliche Gründe zu erläutern sind, die zu der Ablehnung geführt haben.

68

Dagegen sieht Art. 29 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung vor, dass der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf 18 Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.

69

Aus den in den Rn. 58 bis 68 des vorliegenden Urteils angeführten Vorschriften geht hervor, dass der Unionsgesetzgeber mit diesen die Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren mit einer Reihe zwingender Fristen versehen hat, die entscheidend zur Verwirklichung des im fünften Erwägungsgrund der Dublin‑III-Verordnung genannten Ziels einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz beitragen, indem sie gewährleisten, dass diese Verfahren ohne unberechtigte Verzögerung durchgeführt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Juli 2017, Mengesteab, C‑670/16, EU:C:2017:587, Rn. 53 und 54, vom 25. Oktober 2017, Shiri, C‑201/16, EU:C:2017:805, Rn. 31, und vom 25. Januar 2018, Hasan, C‑360/16, EU:C:2018:35, Rn. 62).

70

Diese Reihe zwingender Fristen zeugt von der besonderen Bedeutung, die der Unionsgesetzgeber einer raschen Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats beimisst, sowie davon, dass es in Anbetracht des Ziels, einen effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden, nach Ansicht des Unionsgesetzgebers wichtig ist, dass solche Anträge gegebenenfalls von einem anderen Mitgliedstaat als dem nach den in Kapitel III dieser Verordnung genannten Kriterien als zuständig bestimmten Mitgliedstaat geprüft werden.

71

Im Licht dieser Erwägungen sind die Vorlagefragen – wie sie in Rn. 56 des vorliegenden Urteils umformuliert worden sind – zu den für das in Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung vorgesehene Verfahren der neuerlichen Prüfung geltenden Fristen zu beantworten.

72

Gemäß Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung ist der ersuchende Mitgliedstaat, wenn er die Auffassung vertritt, dass die Ablehnung der Aufnahme oder Wiederaufnahme des Antragstellers durch den ersuchten Mitgliedstaat auf einem Irrtum beruht, oder er sich auf weitere Unterlagen berufen kann, berechtigt, vom ersuchten Mitgliedstaat eine neuerliche Prüfung seines Gesuchs um eine solche Aufnahme oder Wiederaufnahme zu verlangen. Diese Möglichkeit muss binnen drei Wochen nach Erhalt der ablehnenden Antwort des ersuchten Mitgliedstaats in Anspruch genommen werden. Dieser muss sich dann bemühen, binnen zwei Wochen eine Antwort zu erteilen. Durch dieses zusätzliche Verfahren ändern sich in keinem Fall die in Art. 18 Abs. 1 und 6 sowie Art. 20 Abs. 1 Buchst. b der Dublin‑II-Verordnung vorgesehenen Fristen, die den jetzt in Art. 22 Abs. 1 und 6 sowie Art. 25 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Fristen entsprechen.

73

Es ist festzustellen, dass die Möglichkeit für den ersuchenden Mitgliedstaat, den ersuchten Mitgliedstaat mit einem Ersuchen um neuerliche Prüfung zu befassen, nachdem Letzterer es abgelehnt hat, dem Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme nachzukommen, nach dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung ein „zusätzliches Verfahren“ darstellt. Diese Vorschrift ist, da die Durchführungsverordnung gemäß ihrem ersten Erwägungsgrund die wirkungsvolle Durchführung der Dublin‑II-Verordnung bezweckt, die durch die Dublin‑III-Verordnung aufgehoben und ersetzt wurde, im Einklang mit den Vorschriften der letztgenannten Verordnung und den mit dieser verfolgten Zielen auszulegen.

74

Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung ist daher in der Weise auszulegen, dass die Dauer des zusätzlichen Verfahrens der neuerlichen Prüfung, bei dem es sich um ein fakultatives Verfahren handelt, eng und in vorhersehbarer Weise umschrieben wird, und zwar sowohl aus Gründen der Rechtssicherheit für alle betroffenen Parteien, damit seine Vereinbarkeit mit dem durch die Dublin‑III-Verordnung geschaffenen genauen zeitlichen Rahmen gewährleistet ist und das mit dieser Verordnung verfolgte Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht untergraben wird. Ein Verfahren der neuerlichen Prüfung, das mit der Folge unbefristet wäre, dass die Frage, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, offen bliebe, und dass somit die Prüfung eines solchen Antrags erheblich, potenziell sogar zeitlich unbeschränkt hinausgezögert würde, wäre mit diesem Ziel einer zügigen Bearbeitung unvereinbar.

75

Das genannte Ziel, das auch Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung zugrunde liegt, wird nach dem Wortlaut dieser Vorschrift durch einen strikten zeitlichen Rahmen mittels Festlegung einer Frist von drei Wochen, die dem ersuchenden Mitgliedstaat gewährt wird, um ein Ersuchen um neuerliche Prüfung an den ersuchten Mitgliedstaat zu richten, und einer Frist von zwei Wochen für die etwaige Antwort von Letzterem auf dieses Ersuchen umgesetzt.

76

Somit geht erstens aus dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Durchführungsverordnung eindeutig hervor, dass von der durch diesen Art. 5 Abs. 2 dem ersuchenden Mitgliedstaat gebotenen Möglichkeit, um eine neuerliche Prüfung seines Gesuchs um Aufnahme oder Wiederaufnahme beim ersuchten Mitgliedstaat zu ersuchen, innerhalb von drei Wochen nach Empfang der ablehnenden Antwort des ersuchten Mitgliedstaats Gebrauch gemacht werden muss. Folglich verliert der ersuchende Mitgliedstaat mit Ablauf dieser zwingenden Frist diese Möglichkeit.

77

Was zweitens die dem ersuchten Mitgliedstaat für die Beantwortung eines Ersuchens um neuerliche Prüfung zur Verfügung stehende Frist anbelangt, bestimmt Art. 5 Abs. 2 Satz 3 der Durchführungsverordnung, dass dieser Mitgliedstaat sich bemüht, binnen zwei Wochen eine Antwort zu erteilen. Mit dieser Vorschrift soll der ersuchte Mitgliedstaat dazu bewegt werden, mit dem ersuchenden Mitgliedstaat loyal zusammenzuarbeiten, indem er innerhalb der nach dieser Vorschrift vorgesehenen Frist das Gesuch des letztgenannten Mitgliedstaats um Aufnahme oder Wiederaufnahme des Betroffenen neuerlich prüft; jedoch bezweckt diese Vorschrift nicht, eine Rechtspflicht zur Beantwortung eines Ersuchens um neuerliche Prüfung mit der Folge zu begründen, dass im Fall der Nichtbeantwortung die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz auf ihn überginge.

78

Diese Feststellung wird durch den Umstand bestätigt, dass Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung im Unterschied zu Art. 22 Abs. 7 und Art. 25 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung nicht vorsieht, dass, wenn innerhalb der Frist von zwei Wochen keine Antwort erteilt wird, davon auszugehen ist, dass dem Gesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zöge, die betreffende Person aufzunehmen oder wieder aufzunehmen.

79

Diese Wirkungen können auch nicht an das Ausbleiben einer Antwort des ersuchten Mitgliedstaats innerhalb der in Art. 25 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Höchstfrist von einem Monat – auf die das vorlegende Gericht in seinen jeweils zweiten Fragen Bezug nimmt – auf das Ersuchen des ersuchenden Mitgliedstaats um neuerliche Prüfung geknüpft werden. Denn abgesehen davon, dass eine solche Auslegung gegen den Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung verstieße, wird im letzten Satz dieser Vorschrift ausdrücklich klargestellt, dass sich durch das zusätzliche Verfahren der neuerlichen Prüfung die Fristen, über die der ersuchte Mitgliedstaat für die Beantwortung eines Gesuchs um Aufnahme oder Wiederaufnahme nach Art. 22 Abs. 1 und 6 sowie Art. 25 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung verfügt – und die per definitionem in einer Situation, in der der ersuchende Mitgliedstaat um eine neuerliche Prüfung ersucht, eingehalten worden sind – in keinem Fall ändern.

80

Aus Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung geht somit hervor, dass das zusätzliche Verfahren der neuerlichen Prüfung nicht die in Art. 22 Abs. 7 und Art. 25 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Wirkungen auslösen kann, wenn der ersuchte Mitgliedstaat, nachdem er die erforderlichen Überprüfungen vorgenommen hat, auf ein Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme innerhalb der dafür vorgesehenen Frist ablehnend geantwortet hat.

81

Was drittens die Frage anbelangt, welche rechtliche Tragweite dann die in Art. 5 Abs. 2 Satz 3 der Durchführungsverordnung vorgesehene Frist von zwei Wochen hat und welche Wirkungen an deren Ablauf geknüpft sind, ist darauf hinzuweisen, dass diese Vorschrift, worauf in Rn. 73 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist, im Einklang mit den Vorschriften der Dublin‑III-Verordnung und den mit dieser verfolgten Zielen auszulegen ist, insbesondere dem in den Erwägungsgründen 4 und 5 dieser Verordnung genannten Ziel, eine klare und praktikable Formel für die rasche Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats festzulegen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung eines solchen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden.

82

Dieses Ziel der Dublin‑III-Verordnung würde aber bei einer Auslegung von Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung nicht beachtet, nach der die in dieser Vorschrift genannte Frist von zwei Wochen lediglich hinweisenden Charakter hätte, so dass das zusätzliche Verfahren der neuerlichen Prüfung durch keinerlei Antwortfrist oder lediglich durch eine „angemessene“ Antwortfrist – auf die in den jeweils dritten und vierten Vorlagefragen Bezug genommen wird – begrenzt wäre, deren Dauer nicht im Voraus bestimmt wäre und die von den nationalen Gerichten von Fall zu Fall unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls beurteilt werden müsste.

83

Die Anwendung einer solchen „angemessenen“ Antwortfrist hätte nämlich eine erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge, da es sowohl für die Verwaltungen der betroffenen Mitgliedstaaten als auch für die Personen, die internationalen Schutz beantragen, unmöglich wäre, im Voraus die genaue Dauer dieser Frist in einer bestimmten Situation zu bestimmen, was diese Antragsteller im Übrigen dazu veranlassen könnte, die nationalen Gerichte anzurufen, um die Einhaltung dieser Frist überprüfen zu lassen, und somit zur Erhebung gerichtlicher Klagen Anlass geben, die ihrerseits die Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats verzögern würden.

84

Somit liefe eine Auslegung von Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung, wonach das zusätzliche Verfahren der neuerlichen Prüfung lediglich auf eine „angemessene“ Antwortfrist begrenzt wäre, deren Dauer im Voraus nicht bestimmt wäre, den Zielen der Dublin‑III-Verordnung zuwider und wäre außerdem mit der allgemeinen Systematik der Verfahren zur Aufnahme und Wiederaufnahme, wie sie durch diese Verordnung konzipiert sind und die der Unionsgesetzgeber durch klar definierte, vorhersehbare und relativ kurze Fristen begrenzt hat, unvereinbar.

85

Insoweit ist außerdem darauf hinzuweisen, dass die vorliegenden Rechtssachen sich von denjenigen unterscheiden, in denen der Gerichtshof den Begriff der „angemessenen Frist“ angewandt hat. Während nämlich Letztere durch das Fehlen einer die betreffende Frist festlegenden Bestimmung des Unionsrechts gekennzeichnet waren (vgl. u. a. Urteile vom 28. Februar 2013, Überprüfung Arango Jaramillo u. a./EIB, C‑334/12 RX‑II, EU:C:2013:134, Rn. 5, 28 und 33, vom 16. Juli 2015, Lanigan, C‑237/15 PPU, EU:C:2015:474, Rn. 44 und 48, vom 5. April 2016, Aranyosi und Căldăraru, C‑404/15 und C‑659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 97 und 104, vom 14. Juni 2016, Marchiani/Parlament, C‑566/14 P, EU:C:2016:437, Rn. 89 und 95 bis 97, vom 13. September 2017, Khir Amayry, C‑60/16, EU:C:2017:675, Rn. 41, vom 12. April 2018, A und S, C‑550/16, EU:C:2018:248, Rn. 45 und 61, sowie vom 27. Juni 2018, Diallo, C‑246/17, EU:C:2018:499, Rn. 58 und 69), hat die Kommission in Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung eine konkrete Frist von zwei Wochen vorgesehen, innerhalb deren der ersuchte Mitgliedstaat sich bemühen muss, auf das Ersuchen um neuerliche Prüfung, das der ersuchende Mitgliedstaat an ihn richtet, eine Antwort zu erteilen.

86

Vor diesem Hintergrund ist Art. 5 Abs. 2 Satz 3 der Durchführungsverordnung dahin auszulegen, dass der Ablauf der nach dieser Bestimmung vorgesehenen Antwortfrist von zwei Wochen das zusätzliche Verfahren der neuerlichen Prüfung endgültig abschließt, gleich ob der ersuchte Mitgliedstaat innerhalb dieser Frist auf das Ersuchen um neuerliche Prüfung des ersuchenden Mitgliedstaats geantwortet hat oder nicht.

87

Folglich ist der ersuchende Mitgliedstaat, sofern nicht noch die für die Stellung eines erneuten Gesuchs um Aufnahme oder Wiederaufnahme innerhalb der dazu in Art. 21 Abs. 1 bzw. Art. 23 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen zwingenden Frist erforderliche Zeit zur Verfügung steht, als für die Prüfung des betreffenden Antrags auf internationalen Schutz zuständig anzusehen.

88

Viertens ist darauf hinzuweisen, dass die in Art. 22 Abs. 1 und 6 bzw. Art. 25 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehene Antwortfrist keine Auswirkung auf die Berechnung der für das zusätzliche Verfahren der neuerlichen Prüfung vorgesehenen Fristen hat. Eine Auslegung von Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung dahin, dass dieses Verfahren nur innerhalb der durch die genannten Vorschriften der Dublin‑III-Verordnung festgelegten Grenzen ablaufen kann, so dass es nur in Frage käme, wenn der ersuchte Mitgliedstaat die für seine Antwort auf das Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme vorgesehene Frist nicht ausgeschöpft hat, würde in der Praxis ein erhebliches Hindernis für die Anwendung dieses Verfahrens bedeuten und kann daher nicht als für die Durchführung der Dublin‑III-Verordnung zweckdienlich angesehen werden.

89

Somit ist der ersuchende Mitgliedstaat berechtigt, an den ersuchten Mitgliedstaat innerhalb der nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Durchführungsverordnung vorgesehenen Frist von drei Wochen ab Erhalt der ablehnenden Antwort des ersuchten Mitgliedstaats ein Ersuchen um neuerliche Prüfung zu richten, auch wenn der Abschluss dieses zusätzlichen Verfahrens der neuerlichen Prüfung mit Ablauf der Frist von zwei Wochen, die Art. 5 Abs. 2 Satz 3 der Durchführungsverordnung vorsieht, nach Ablauf der in Art. 22 Abs. 1 und 6 bzw. Art. 25 Abs. 1 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen Fristen eintreten sollte.

90

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass

Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung dahin auszulegen ist, dass im Rahmen des Verfahrens zur Bestimmung des für die Behandlung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats der mit einem Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch nach Art. 21 bzw. Art. 23 der Dublin‑III-Verordnung befasste Mitgliedstaat, der, nachdem er die erforderlichen Überprüfungen vorgenommen hat, auf dieses Gesuch innerhalb der nach Art. 22 bzw. Art. 25 der letztgenannten Verordnung vorgesehenen Frist ablehnend geantwortet hat und an den in der Folge ein Ersuchen um neuerliche Prüfung gemäß dem genannten Art. 5 Abs. 2 gerichtet worden ist, sich im Geist loyaler Zusammenarbeit bemühen muss, auf dieses innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine Antwort zu erteilen, und dass,

wenn der ersuchte Mitgliedstaat nicht innerhalb dieser Frist von zwei Wochen auf dieses Ersuchen antwortet, das zusätzliche Verfahren der neuerlichen Prüfung endgültig abgeschlossen ist, so dass der ersuchende Mitgliedstaat nach Ablauf dieser Frist als für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig anzusehen ist, es sei denn, ihm steht noch die für die Stellung eines erneuten Gesuchs um Aufnahme oder Wiederaufnahme innerhalb der dazu in Art. 21 Abs. 1 bzw. Art. 23 Abs. 2 der Dublin‑III-Verordnung vorgesehenen zwingenden Fristen erforderliche Zeit zur Verfügung.

Kosten

91

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, in der durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass im Rahmen des Verfahrens zur Bestimmung des für die Behandlung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats der mit einem Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch nach Art. 21 bzw. Art. 23 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, befasste Mitgliedstaat, der, nachdem er die erforderlichen Überprüfungen vorgenommen hat, auf dieses Gesuch innerhalb der nach Art. 22 bzw. Art. 25 der letztgenannten Verordnung vorgesehenen Frist ablehnend geantwortet hat und an den in der Folge ein Ersuchen um neuerliche Prüfung gemäß dem genannten Art. 5 Abs. 2 gerichtet worden ist, sich im Geist loyaler Zusammenarbeit bemühen muss, auf dieses innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine Antwort zu erteilen.

 

Antwortet der ersuchte Mitgliedstaat nicht innerhalb dieser Frist von zwei Wochen auf dieses Ersuchen, ist das zusätzliche Verfahren der neuerlichen Prüfung endgültig abgeschlossen, so dass der ersuchende Mitgliedstaat nach Ablauf dieser Frist als für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig anzusehen ist, es sei denn, ihm steht noch die für die Stellung eines erneuten Gesuchs um Aufnahme oder Wiederaufnahme innerhalb der dazu in Art. 21 Abs. 1 bzw. Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 vorgesehenen zwingenden Fristen erforderliche Zeit zur Verfügung.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.

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Referenzen

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