Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-457/17

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

15. November 2018 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft – Richtlinie 2000/43/EG – Art. 3 Abs. 1 Buchst. g – Geltungsbereich – Begriff ‚Bildung‘ – Vergabe von Stipendien, die juristische Forschungs- oder Studienvorhaben im Ausland fördern sollen, durch eine private Stiftung – Art. 2 Abs. 2 Buchst. b – Mittelbare Diskriminierung – Vergabe der Stipendien unter der Voraussetzung des Bestehens der Ersten Juristischen Staatsprüfung in Deutschland“

In der Rechtssache C‑457/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 1. Juni 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Juli 2017, in dem Verfahren

Heiko Jonny Maniero

gegen

Studienstiftung des deutschen Volkes e. V.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer, der Richter A. Arabadjiev (Berichterstatter), E. Regan, C. G. Fernlund und S. Rodin,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: R. Șereș, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. Mai 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von Herrn Maniero, vertreten durch die Rechtsanwälte S. Mennemeyer, P. Rädler und U. Baumann,

der Studienstiftung des deutschen Volkes e. V., vertreten durch Rechtsanwalt E. Waclawik und G. Thüsing, Professor der Rechtswissenschaften,

der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, M. Hellmann und E. Lankenau als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und B.‑R. Killmann als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 11. September 2018

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b und Art. 3 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (ABl. 2000, L 180, S. 22).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Heiko Jonny Maniero und der Studienstiftung des deutschen Volkes e. V. (im Folgenden: Studienstiftung), in dem Herr Maniero auf Beseitigung und Unterlassung der Benachteiligung wegen seines Alters oder seiner Herkunft klagt.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

In den Erwägungsgründen 12 und 16 der Richtlinie 2000/43 heißt es:

„(12)

Um die Entwicklung demokratischer und toleranter Gesellschaften zu gewährleisten, die allen Menschen – ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft – eine Teilhabe ermöglichen, sollten spezifische Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft über die Gewährleistung des Zugangs zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit hinausgehen und auch Aspekte wie Bildung, Sozialschutz, einschließlich sozialer Sicherheit und der Gesundheitsdienste, soziale Vergünstigungen, Zugang zu und Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, mit abdecken.

(16)

Es ist wichtig, alle natürlichen Personen gegen Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft zu schützen. …“

4

Art. 2 („Der Begriff ‚Diskriminierung‘“) Abs. 1 und 2 der Richtlinie sieht vor:

„(1)   Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft geben darf.

(2)   Im Sinne von Absatz 1

b)

liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einer Rasse oder ethnischen Gruppe angehören, in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.“

5

Art. 3 („Geltungsbereich“) Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Im Rahmen der auf die [Europäische Union] übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf:

g)

die Bildung;

…“

Deutsches Recht

6

Die Richtlinie 2000/43 wurde durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl. 2006 I S. 1897) (im Folgenden: AGG) in der deutschen Rechtsordnung umgesetzt.

7

§ 1 AGG („Ziel des Gesetzes“) lautet:

„Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“

8

In § 2 AGG („Anwendungsbereich“) Abs. 1 heißt es:

„Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

7.

die Bildung“.

9

§ 3 („Begriffsbestimmungen“) Abs. 1 und 2 AGG lautet:

„(1)   Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. …

(2)   Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.“

10

§ 19 („Zivilrechtliches Benachteiligungsverbot“) Abs. 2 AGG sieht vor:

„Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft ist darüber hinaus auch bei der Begründung, Durchführung und Beendigung sonstiger zivilrechtlicher Schuldverhältnisse im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5 bis 8 unzulässig.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11

Herr Maniero ist italienischer Staatsbürger, der in Deutschland geboren und wohnhaft ist. 2013 erwarb er an der Haybusak-Universität Eriwan (Armenien) den akademischen Grad „Bachelor of Laws“.

12

Die Studienstiftung ist ein in Deutschland eingetragener Verein, dessen Ziel es ist, die Hochschulbildung junger Menschen, deren hohe wissenschaftliche oder künstlerische Begabung und deren Persönlichkeit besondere Leistungen im Dienste der Allgemeinheit erwarten lassen, insbesondere durch Vergabe von Stipendien zu fördern.

13

Herr Maniero erkundigte sich mit E‑Mail vom 11. Dezember 2013 nach den Voraussetzungen für Stipendien im Rahmen des Bucerius-Jura-Programms der Studienstiftung, das die Förderung juristischer Forschungs- oder Studienvorhaben im Ausland zum Gegenstand hat.

14

Mit E‑Mail vom 17. Januar 2014 wies die Studienstiftung Herrn Maniero darauf hin, dass Bewerber die Erste Juristische Staatsprüfung absolviert haben müssten.

15

Am selben Tag antwortete der Kläger der Studienstiftung per E‑Mail, dass der von ihm in Armenien erworbene „fünfjährige Abschluss“ mit der Zweiten Juristischen Staatsprüfung vergleichbar sei, da er in diesem Drittland zum Richteramt und zur Tätigkeit als Anwalt befähige. Er gab zu bedenken, dass die Teilnahmevoraussetzung für das Bucerius-Jura-Programm als Diskriminierung wegen der ethnischen oder sozialen Herkunft gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot verstoßen könne.

16

Herr Maniero bewarb sich innerhalb der vorgegebenen Frist nicht für ein Stipendium im Rahmen dieses Programms. In einem weiteren Schriftverkehr mit der Studienstiftung machte Herr Maniero geltend, durch ihre ablehnende Haltung von einer Bewerbung abgehalten worden zu sein.

17

Herr Maniero nahm die Studienstiftung auf Beseitigung und Unterlassung der Benachteiligung wegen seines Alters oder seiner Herkunft, auf Zahlung von 18734,60 Euro und Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung weiteren Schadensersatzes für Reisekosten in Anspruch.

18

Nachdem seine Klage in zwei Instanzen keinen Erfolg hatte, legte Herr Maniero Revision beim Bundesgerichtshof (Deutschland) ein.

19

Für das vorlegende Gericht hängt die Entscheidung des Rechtsstreits erstens davon ab, ob die Vergabe von Stipendien, die Forschungs- oder Studienvorhaben im Ausland fördern sollen, durch einen eingetragenen Verein unter den Begriff der Bildung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2000/43 fällt. Der Vorschlag der Europäischen Kommission für diese Richtlinie habe die Formulierung „Bildung, einschließlich Ausbildungsbeihilfen und Stipendien, unter strikter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems sowie der Vielfalt ihrer Kulturen und Sprachen“ enthalten. Der Bundesgerichtshof fragt sich daher, aus welchen Gründen in der endgültigen Fassung allein der Begriff „Bildung“ stehe.

20

Falls die erste Frage zu bejahen sei, hänge die Entscheidung zweitens weiter davon ab, ob die Teilnahmevoraussetzung der Ersten Juristischen Staatsprüfung bei der Vergabe dieser Stipendien einen Unionsbürger, der einen vergleichbaren Abschluss außerhalb der Union erworben habe, entgegen Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/43 mittelbar diskriminiere, wenn die Wahl dieses Abschlussorts nicht mit der ethnischen Herkunft des Bewerbers in Zusammenhang stehe und er aufgrund seines Wohnsitzes in Deutschland und fließender Beherrschung der deutschen Sprache die Möglichkeit gehabt habe, nach einem inländischen Jurastudium die Erste Juristische Staatsprüfung abzulegen.

21

Herrn Maniero sei zwar darin zuzustimmen, dass diese Voraussetzung dazu führen würde, Personen ausländischer Herkunft mit einem vergleichbaren im Ausland erworbenen Abschluss zu benachteiligen, falls ihnen ein Studium in Deutschland zumindest nicht leicht möglich gewesen sei.

22

Es sei aber zweifelhaft, ob Herr Maniero zu einer solchen benachteiligten Gruppe zähle. Einerseits beherrsche er die deutsche Sprache fließend, wohne in Deutschland und hätte demnach ohne Schwierigkeiten dort studieren können. Außerdem habe die Wahl des Abschlussorts in Armenien in keinem Zusammenhang mit seiner ethnischen Herkunft gestanden.

23

Andererseits sei nach Rn. 60 des Urteils vom 16. Juli 2015, CHEZ Razpredelenie Bulgaria (C‑83/14, EU:C:2015:480), der Begriff „Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft“ in Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/43 unterschiedslos anzuwenden, gleichviel ob die fragliche Maßnahme Personen einer bestimmten ethnischen Herkunft oder Personen anderer Herkunft betreffe, die durch diese Maßnahme zusammen mit Ersteren in besonderer Weise benachteiligt würden.

24

Sollte eine mittelbare Diskriminierung bejaht werden, stelle sich drittens die Frage, ob die nicht an ein diskriminierendes Merkmal anknüpfende bildungspolitische Zielsetzung, die mit dem Bucerius-Jura-Programm verfolgt werde, eine sachliche Rechtfertigung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/43 darstelle.

25

Nach dem Inhalt der Ausschreibung bezwecke das Bucerius-Jura-Programm, besonders qualifizierten Absolventen des Jurastudiums in Deutschland durch die Förderung eines Forschungs- oder Studienvorhabens im Ausland die Kenntnis ausländischer Rechtssysteme, Auslandserfahrung und Sprachkenntnisse zu vermitteln. Da diese Zielsetzung nicht an ein diskriminierendes Merkmal anknüpfe, liege in der Praxis der Studienstiftung keine mittelbare Diskriminierung.

26

Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

27

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2000/43 dahin auszulegen ist, dass die Vergabe von Stipendien, die Forschungs- oder Studienvorhaben im Ausland fördern sollen, durch eine private Stiftung unter den Begriff „Bildung“ im Sinne dieser Vorschrift fällt.

28

Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt sich, dass das Hauptziel des Bucerius-Jura-Programms darin besteht, den Zugang zu juristischen Forschungs- oder Studienvorhaben im Ausland zu fördern, indem Teilnehmern ein monatliches Vollstipendium in Höhe von 1000 Euro bzw., wenn sie in Großbritannien oder in den USA studieren, von 1500 Euro gewährt wird, nebst einem einmaligen Startgeld in Höhe von 500 Euro, Erstattung der Reisekosten und einem Studiengebührenzuschuss in Höhe von maximal 12500 Euro, wobei Studiengebühren bis 5000 Euro vollständig und darüber hinaus zu 50 % übernommen werden.

29

Es ist daher zu prüfen, ob der Zugang zur Bildung unter den Begriff „Bildung“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2000/43 fällt und, wenn ja, ob Stipendien wie die im Rahmen des Bucerius-Jura-Programms vergebenen darunter fallen können.

30

Da der Bildungsbegriff in der Richtlinie 2000/43 nicht definiert ist, ist die Bedeutung und Tragweite dieses Begriffs nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nach seinem üblichen Sinn im gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen, wobei zu berücksichtigen ist, in welchem Zusammenhang er verwendet wird und welche Ziele mit der Regelung verfolgt werden, zu der er gehört (vgl. entsprechend Urteil vom 3. September 2014, Deckmyn und Vrijheidsfonds, C‑201/13, EU:C:2014:2132, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31

Wie von der Generalanwältin in den Nrn. 22 und 23 ihrer Schlussanträge ausgeführt, umfasst der Begriff „Bildung“ nach seinem üblichen Sinn im gewöhnlichen Sprachgebrauch die Handlungen oder die Vorgänge, durch die u. a. Informationen, Kenntnisse, Wahrnehmungen, Ansichten, Werte, Fähigkeiten, Kompetenzen und Verhaltensweisen weitergegeben werden.

32

Auch wenn außer Zweifel steht, dass unter den Begriff „Bildung“ nach seinem üblichen Sinn im gewöhnlichen Sprachgebrauch die juristischen Forschungen und Studien fallen, zu denen das Bucerius-Jura-Programm den Zugang erleichtern soll, so ist doch festzustellen, dass der Begriff als solcher auf den ersten Blick nicht den Zugang zur Bildung oder die Gewährung finanzieller Leistungen wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden umfasst.

33

Bezüglich des Regelungszusammenhangs, in dem der Begriff „Bildung“ verwendet wird, ist festzustellen, dass der Begriff in Art. 3 der Richtlinie 2000/43 steht. Dieser Artikel regelt den sachlichen Geltungsbereich der Richtlinie, die nach ihrem Art. 1 die Schaffung eines Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten bezweckt.

34

Was die Ziele der Richtlinie anbelangt, heißt es in ihrem 16. Erwägungsgrund, dass es wichtig ist, alle natürlichen Personen gegen Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft zu schützen.

35

Speziell zum sachlichen Geltungsbereich der Richtlinie 2000/43 ergibt sich aus ihrem zwölften Erwägungsgrund, dass zur Gewährleistung der Entwicklung demokratischer und toleranter Gesellschaften, die allen Menschen – ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft – eine Teilhabe ermöglichen, spezifische Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft auch Aspekte wie die in Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten mit abdecken sollten (Urteile vom 12. Mai 2011, Runevič-Vardyn und Wardyn, C‑391/09, EU:C:2011:291, Rn. 41, und vom 16. Juli 2015, CHEZ Razpredelenie Bulgaria, C‑83/14, EU:C:2015:480, Rn. 40).

36

Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, darf daher der Geltungsbereich der Richtlinie 2000/43 in Anbetracht ihres Gegenstands und der Natur der Rechte, die sie schützen soll, sowie des Umstands, dass sie in dem jeweiligen Bereich nur dem Gleichbehandlungsgrundsatz Ausdruck gibt, der einer der tragenden Grundsätze des Unionsrechts und in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegt ist, nicht eng definiert werden (Urteile vom 12. Mai 2011, Runevič-Vardyn und Wardyn, C‑391/09, EU:C:2011:291, Rn. 43, sowie vom 16. Juli 2015, CHEZ Razpredelenie Bulgaria, C‑83/14, EU:C:2015:480, Rn. 42).

37

Wie die Generalanwältin in den Nrn. 32 und 34 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, gebietet eine teleologische Auslegung des Begriffs „Bildung“ in Art. 3 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2000/43 erstens, dass der Zugang zur Bildung als einer der wesentlichen Aspekte dieses Begriffs betrachtet wird, da es Bildung nur geben kann, wenn sie auch zugänglich ist, und infolgedessen das Ziel der Richtlinie, die Bekämpfung von Diskriminierung im Bildungsbereich, nicht erreicht werden könnte, wenn Diskriminierung beim Zugang zur Bildung erlaubt wäre.

38

Zweitens müssen die mit der Teilnahme an einem Forschungsvorhaben oder einem Bildungsprogramm in Zusammenhang stehenden Kosten zu den im Begriff „Bildung“ enthaltenen Komponenten des Zugangs zur Bildung gerechnet werden, da die Verfügbarkeit der für die Teilnahme nötigen finanziellen Mittel Bedingung für den Zugang zu dem Vorhaben oder Programm sein kann.

39

Es ist daher davon auszugehen, dass finanzielle Leistungen in Form von Stipendien unter den Begriff „Bildung“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2000/43 fallen, wenn ein hinreichend enger Zusammenhang zwischen ihnen und der Teilnahme an einem spezifischen Forschungsprojekt oder Bildungsprogramm besteht, das selbst unter diesen Begriff fällt. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn diese finanziellen Leistungen an die Teilnahme potenzieller Bewerber an einem solchen Forschungs- oder Studienvorhaben gebunden sind, ihr Ziel darin besteht, potenzielle finanzielle Hindernisse für die Teilnahme ganz oder teilweise zu beseitigen, und sie zur Erreichung dieses Ziels geeignet sind.

40

Vorbehaltlich der Prüfung durch das vorlegende Gericht scheint dies bei den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Stipendien der Fall zu sein, da sie anscheinend geeignet sind, potenzielle finanzielle Hindernisse für die Teilnahme an juristischen Forschungsvorhaben oder Studienprogrammen im Ausland ganz oder teilweise zu beseitigen, indem sie dazu beitragen, dass die betreffenden Bewerber die aufgrund des Auslandsaufenthalts erhöhten Reise- und Lebenshaltungskosten und die Einschreibegebühren für diese Forschungsvorhaben oder Bildungsprogramme bestreiten können.

41

Entgegen der von der Studienstiftung und der deutschen Regierung vertretenen Ansicht werden diese Feststellungen weder durch die Entstehungsgeschichte von Art. 3 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2000/43 noch durch die Systematik dieser Vorschrift widerlegt.

42

Zum einen geht, wie die Generalanwältin in Nr. 43 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, aus der Entstehungsgeschichte von Art. 3 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2000/43 nicht eindeutig hervor, dass die im Gesetzgebungsverfahren erfolgte Streichung der im ursprünglichen Kommissionsvorschlag für diese Richtlinie enthaltenen Wendung „Bildung, einschließlich Ausbildungsbeihilfen und Stipendien, unter strikter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems sowie der Vielfalt ihrer Kulturen und Sprachen“ auf dem Willen des Unionsgesetzgebers beruht hätte, den Geltungsbereich dieser Vorschrift einzuschränken.

43

Zum anderen ist, wie die Generalanwältin in den Nrn. 44 und 45 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, weder aufgrund des Umstands, dass in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2000/43 die Tragweite der meisten dort aufgeführten Begriffe näher erläutert wird, noch des Umstands, dass in Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ausdrücklich die Berufsausbildung genannt ist, eine enge Auslegung des Begriffs „Bildung“ in Art. 3 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie geboten, die den in den Rn. 34 bis 36 des vorliegenden Urteils genannten Zielen der Richtlinie zuwiderlaufen würde.

44

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2000/43 dahin auszulegen ist, dass die Vergabe von Stipendien, die Forschungs- oder Studienvorhaben im Ausland fördern sollen, durch eine private Stiftung unter den Begriff „Bildung“ im Sinne dieser Vorschrift fällt, wenn ein hinreichend enger Zusammenhang zwischen den vergebenen finanziellen Leistungen und der Teilnahme an den Forschungs- oder Studienvorhaben, die selbst unter diesen Bildungsbegriff fallen, besteht. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die finanziellen Leistungen an die Teilnahme potenzieller Bewerber an einem solchen Forschungs- oder Studienvorhaben gebunden sind, ihr Ziel darin besteht, potenzielle finanzielle Hindernisse für die Teilnahme ganz oder teilweise zu beseitigen, und sie zur Erreichung dieses Ziels geeignet sind.

Zur zweiten Frage

45

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/43 dahin auszulegen ist, dass eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft im Sinne dieser Vorschrift vorliegt, wenn eine in einem Mitgliedstaat ansässige private Stiftung von ihr vergebene Stipendien, die juristische Forschungs- oder Studienvorhaben im Ausland fördern sollen, Bewerbern vorbehält, die in diesem Mitgliedstaat eine juristische Prüfung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende bestanden haben.

46

Nach diesem Artikel liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einer Rasse oder ethnischen Gruppe angehören, in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

47

Der Begriff „in besonderer Weise benachteiligen“ im Sinne dieser Vorschrift ist so zu verstehen, dass es insbesondere Personen einer bestimmten Rasse oder ethnischen Herkunft sind, die durch die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren benachteiligt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 2015, CHEZ Razpredelenie Bulgaria, C‑83/14, EU:C:2015:480, Rn. 100, und vom 6. April 2017, Jyske Finans, C‑668/15, EU:C:2017:278, Rn. 27).

48

Eine solche Benachteiligung liegt demnach nur vor, wenn die mutmaßlich diskriminierende Maßnahme zur Benachteiligung einer bestimmten ethnischen Gruppe führt. Außerdem kann das Vorliegen einer ungünstigen Behandlung nicht allgemein und abstrakt, sondern muss spezifisch und konkret im Hinblick auf die begünstigende Behandlung festgestellt werden (Urteil vom 6. April 2017, Jyske Finans, C‑668/15, EU:C:2017:278, Rn. 31 und 32).

49

Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die von der Studienstiftung für die Vergabe der betreffenden Stipendien begünstigte Gruppe aus Personen besteht, die der Voraussetzung einer erfolgreich absolvierten Ersten Juristischen Staatsprüfung genügen, während die schlechter gestellte Gruppe aus allen Personen besteht, die diese Voraussetzung nicht erfüllen.

50

Wie bei den Gegebenheiten, um die es in der Rechtssache ging, in der das Urteil vom 6. April 2017, Jyske Finans (C‑668/15, EU:C:2017:278), ergangen ist, ist festzustellen, dass die dem Gerichtshof vorliegenden Akten keinen Anhaltspunkt dafür enthalten, dass Personen einer bestimmten ethnischen Herkunft von der Voraussetzung des Bestehens der Ersten Juristischen Staatsprüfung nachteiliger betroffen wären als Personen anderer ethnischer Herkunft.

51

Daher erscheint die Feststellung einer auf einer solchen Voraussetzung beruhenden mittelbaren Diskriminierung jedenfalls ausgeschlossen.

52

Folglich ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/43 dahin auszulegen ist, dass keine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft im Sinne dieser Vorschrift vorliegt, wenn eine in einem Mitgliedstaat ansässige private Stiftung von ihr vergebene Stipendien, die juristische Forschungs- oder Studienvorhaben im Ausland fördern sollen, Bewerbern vorbehält, die in diesem Mitgliedstaat eine juristische Prüfung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende bestanden haben.

Kosten

53

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 3 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft ist dahin auszulegen, dass die Vergabe von Stipendien, die Forschungs- oder Studienvorhaben im Ausland fördern sollen, durch eine private Stiftung unter den Begriff „Bildung“ im Sinne dieser Vorschrift fällt, wenn ein hinreichend enger Zusammenhang zwischen den vergebenen finanziellen Leistungen und der Teilnahme an den Forschungs- oder Studienvorhaben, die selbst unter diesen Bildungsbegriff fallen, besteht. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die finanziellen Leistungen an die Teilnahme potenzieller Bewerber an einem solchen Forschungs- oder Studienvorhaben gebunden sind, ihr Ziel darin besteht, potenzielle finanzielle Hindernisse für die Teilnahme ganz oder teilweise zu beseitigen, und sie zur Erreichung dieses Ziels geeignet sind.

 

2.

Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/43 ist dahin auszulegen, dass keine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft im Sinne dieser Vorschrift vorliegt, wenn eine in einem Mitgliedstaat ansässige private Stiftung von ihr vergebene Stipendien, die juristische Forschungs- oder Studienvorhaben im Ausland fördern sollen, Bewerbern vorbehält, die in diesem Mitgliedstaat eine juristische Prüfung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende bestanden haben.

 

Silva de Lapuerta

Arabadjiev

Regan

Fernlund

Rodin

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. November 2018.

Der Kanzler

A. Calot Escobar

Der Präsident

K. Lenaerts


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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