Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-29/17

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

21. November 2018 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83/EG – Art. 3 Nr. 1 – Art. 6 – Richtlinie 89/105/EWG – Verordnung (EG) Nr. 726/2004 – Art. 3, 25 und 26 – Umverpackung eines Arzneimittels im Hinblick auf seine Anwendung für eine nicht von seiner Genehmigung für das Inverkehrbringen gedeckte Behandlung (‚off‑label‘) – Kostenübernahme durch das nationale Krankenversicherungssystem“

In der Rechtssache C‑29/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidung vom 22. September 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Januar 2017, in dem Verfahren

Novartis Farma SpA

gegen

Agenzia Italiana del Farmaco (AIFA),

Roche Italia SpA,

Consiglio Superiore di Sanità,

Beteiligte:

Ministero della Salute,

Regione Veneto,

Società Oftalmologica Italiana (SOI) – Associazione Medici Oculisti Italiani (AMOI),

Regione Emilia-Romagna,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben der Präsidentin der Ersten Kammer sowie der Richter J.‑C. Bonichot, A. Arabadjiev, C. G. Fernlund (Berichterstatter) und S. Rodin,

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. April 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Novartis Farma SpA, vertreten durch G. Origoni della Croce, A. Lirosi, V. Salvatore, P. Fattori und E. Cruellas Sada, avvocati,

der Roche Italia SpA, vertreten durch E. Raffaelli, A. Raffaelli, E. Teti und P. Todaro, avvocati,

der Regione Veneto, vertreten durch E. Zanon, E. Mio, C. Zampieri, L. Manzi und B. Barel, avvocati,

der Società Oftalmologica Italiana (SOI) – Associazione Medici Oculisti Italiani (AMOI), vertreten durch R. La Placa, avvocato,

der Regione Emilia-Romagna, vertreten durch M. R. Russo Valentini, avvocatessa, und R. Bonatti, avvocato,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Russo und P. Gentili, avvocati dello Stato,

von Irland, vertreten durch L. Williams und E. Creedon sowie A. Joyce als Bevollmächtigte im Beistand von Margaret Gray, BL,

der griechischen Regierung, vertreten durch V. Karra und M. Vergou sowie K. Georgiadis als Bevollmächtigte,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und M. Malczewska als Bevollmächtigte,

der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,

der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk, C. Meyer-Seitz, H. Shev, L. Zettergren und L. Swedenborg als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Conte, A. Sipos und K. Petersen als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Juli 2018

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 3 Nr. 1, 5 und 6 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 67) in der durch die Richtlinie 2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 (ABl. 2012, L 299, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/83), der Art. 3, 25 und 26 sowie des Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. 2004, L 136, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1027/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 (ABl. 2012, L 316, S. 38) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 726/2004) sowie von Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (ABl. 1989, L 40, S. 8).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen erstens der Novartis Farma SpA und der Agenzia Italiana del Farmaco (AIFA) (Italienische Arzneimittelagentur, im Folgenden: AIFA) sowie zweitens der Roche Italia SpA und dem Consiglio Superiore di Sanità (Oberster Rat für das Gesundheitswesen, Italien) (im Folgenden: CSS) über die Aufnahme eines Arzneimittels zur Behandlung von Augenkrankheiten, das außerhalb der von seiner Genehmigung für das Inverkehrbringen (im Folgenden auch: Verkehrsgenehmigung) erfassten Anwendungen verwendet wird, in die Liste der vom Servizio Sanitario Nazionale (Nationaler Gesundheitsdienst, Italien, im Folgenden: SSN) erstatteten Arzneimittel.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2001/83

3

In den Erwägungsgründen 2 und 35 der Richtlinie 2001/83 heißt es:

„(2)

Alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der Herstellung, des Vertriebs oder der Verwendung von Arzneimitteln müssen in erster Linie einen wirksamen Schutz der öffentlichen Gesundheit gewährleisten.

(35)

Das gesamte Vertriebsnetz im Arzneimittelbereich von der Herstellung bzw. der Einfuhr in die Gemeinschaft bis hin zur Abgabe an die Öffentlichkeit muss einer Kontrolle unterliegen, damit gewährleistet ist, dass Aufbewahrung, Transport und Handhabung unter angemessenen Bedingungen erfolgen. …“

4

Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 lautet:

„Diese Richtlinie gilt für Humanarzneimittel, die in den Mitgliedstaaten in den Verkehr gebracht werden sollen und die entweder gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt.“

5

Art. 3 Nrn. 1 und 2 dieser Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie gilt nicht für:

1.

Arzneimittel, die in einer Apotheke nach ärztlicher Verschreibung für einen bestimmten Patienten zubereitet werden (sog. formula magistralis);

2.

In der Apotheke nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitete Arzneimittel, die für die unmittelbare Abgabe an die Patienten bestimmt sind, die Kunden dieser Apotheke sind (sog. formula officinalis)“.

6

Art. 4 Abs. 3 dieser Richtlinie lautet:

„Die Bestimmungen dieser Richtlinie berühren nicht die Zuständigkeiten der Behörden der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Festsetzung der Arzneimittelpreise und ihrer Einbeziehung in den Anwendungsbereich der innerstaatlichen Krankenversicherungssysteme aufgrund gesundheitlicher, wirtschaftlicher und sozialer Bedingungen.“

7

Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 sieht vor:

„Ein Mitgliedstaat kann gemäß den geltenden Rechtsbestimmungen in besonderen Bedarfsfällen Arzneimittel von den Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie ausnehmen, die auf eine nach Treu und Glauben aufgegebene Bestellung, für die nicht geworben wurde, geliefert werden und die nach den Angaben eines zugelassenen Angehörigen der Gesundheitsberufe hergestellt werden und zur Verabreichung an einen bestimmten Patienten unter seiner unmittelbaren persönlichen Verantwortung bestimmt sind.“

8

Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Ein Arzneimittel darf in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats nach dieser Richtlinie eine [Verkehrsgenehmigung] erteilt hat oder wenn eine [Verkehrsgenehmigung] nach der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel [(ABl. 2006, L 378, S. 1)] und der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Arzneimittel für neuartige Therapien und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. 2007, L 324, S. 121)] erteilt wurde.

Ist für ein Arzneimittel eine Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Unterabsatz 1 erteilt worden, so müssen auch alle weiteren Stärken, Darreichungsformen, Verabreichungswege und Verabreichungsformen sowie alle Änderungen und Erweiterungen gemäß Unterabsatz 1 genehmigt oder in die Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen einbezogen werden. Alle diese [Verkehrsgenehmigungen] werden … als Bestandteil derselben umfassenden [Verkehrsgenehmigung] angesehen.“

9

Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie sieht vor:

„Der Inhaber der [Verkehrsgenehmigung] teilt der zuständigen Behörde unverzüglich alle neuen Informationen mit, die die Änderung der Angaben und Unterlagen gemäß Artikel 8 Absatz 3, den Artikeln 10, 10a, 10b und 11 oder Artikel 32 Absatz 5 oder Anhang I nach sich ziehen könnten.

Insbesondere teilt der Inhaber der [Verkehrsgenehmigung] der zuständigen nationalen Behörde unverzüglich alle Verbote oder Beschränkungen durch die zuständigen Behörden jedes Landes, in dem das Arzneimittel in Verkehr gebracht wird, sowie alle anderen neuen Informationen mit, die die Beurteilung des Nutzens und der Risiken des betreffenden Arzneimittels beeinflussen könnten. Zu diesen Informationen gehören sowohl positive als auch negative Ergebnisse von klinischen Prüfungen oder anderen Studien, die sich nicht nur auf die in der [Verkehrsgenehmigung] genannten, sondern auf alle Indikationen und Bevölkerungsgruppen beziehen können, sowie Angaben über eine Anwendung des Arzneimittels, die über die Bestimmungen der [Verkehrsgenehmigung] hinausgeht.“

10

Art. 40 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/83 lautet:

„(1)   Die Mitgliedstaaten treffen alle zweckdienlichen Maßnahmen, damit die Herstellung von Arzneimitteln auf ihrem Gebiet von einer Erlaubnis abhängig gemacht wird. Die Herstellungserlaubnis ist auch erforderlich, wenn die hergestellten Arzneimittel für die Ausfuhr bestimmt sind.

(2)   Die Erlaubnis nach Absatz 1 ist sowohl für die vollständige oder teilweise Herstellung als auch für die Abfüllung, das Abpacken und die Aufmachung erforderlich.

Diese Erlaubnis ist jedoch nicht erforderlich für die Zubereitung, die Abfüllung oder die Änderung der Abpackung oder Aufmachung, sofern diese Vorgänge lediglich im Hinblick auf die Abgabe durch Apotheker in einer Apotheke oder durch andere Personen vorgenommen werden, die in den Mitgliedstaaten zu dieser Tätigkeit gesetzlich ermächtigt sind.“

11

Art. 101 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Um ihren Pharmakovigilanz-Aufgaben nachzukommen und an Pharmakovigilanz-Aktivitäten der Union teilzunehmen, betreiben die Mitgliedstaaten ein Pharmakovigilanz-System.

Das Pharmakovigilanz-System dient dazu, Informationen über die Risiken von Arzneimitteln für die Gesundheit der Patienten oder die öffentliche Gesundheit zusammenzutragen. Diese Informationen betreffen insbesondere Nebenwirkungen beim Menschen, die bei genehmigungsgemäßer Anwendung des Arzneimittels sowie bei einer Anwendung, die über die Bestimmungen der [Verkehrsgenehmigung] hinausgeht, entstehen, und Nebenwirkungen in Verbindung mit beruflicher Exposition gegenüber dem Arzneimittel.“

Richtlinie 89/105

12

Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 89/105 sieht vor:

„Diese Richtlinie enthält keine Bestimmungen, die das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten zulassen, für die keine Genehmigung gemäß Artikel [6] der Richtlinie [2001/83] erteilt wurde.“

Verordnung Nr. 726/2004

13

Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004 bestimmt:

„Diese Verordnung lässt die Zuständigkeiten der Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der Festsetzung der Preise für Arzneimittel sowie in Bezug auf die Einbeziehung von Arzneimitteln in die nationalen Krankenversicherungs- oder Sozialversicherungssysteme aufgrund von gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen unberührt. Die Mitgliedstaaten können insbesondere aus den Angaben in der [Verkehrsgenehmigung] diejenigen therapeutischen Indikationen und Packungsgrößen auswählen, die von ihren Sozialversicherungsträgern abgedeckt werden.“

14

Art. 3 Nr. 1 der Verordnung Nr. 726/2004 sieht vor

„Ein unter den Anhang fallendes Arzneimittel darf innerhalb der Gemeinschaft nur in Verkehr gebracht werden, wenn von der Gemeinschaft gemäß dieser Verordnung eine [Verkehrsgenehmigung] erteilt worden ist.“

15

Nach Art. 4 dieser Verordnung sind Anträge für Verkehrsgenehmigungen bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) einzureichen. Die Voraussetzungen für die Vorlage und Prüfung dieser Anträge sind Gegenstand der Art. 5 bis 15 der Verordnung.

16

In den Art. 25, 25a und 26 der Verordnung Nr. 726/2004 heißt es:

Artikel 25

Die Agentur entwickelt gemäß den Bestimmungen des Artikels 107a der Richtlinie 2001/83/EG in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten Internet-Musterformulare für die Meldung vermuteter Nebenwirkungen durch Angehörige der Gesundheitsberufe und Patienten.

Artikel 25a

Die Agentur erstellt und pflegt in Zusammenarbeit mit den zuständigen nationalen Behörden und der Kommission ein Datenarchiv für die regelmäßigen aktualisierten Unbedenklichkeitsberichte (im Folgenden ‚Datenarchiv‘) und die dazugehörigen Beurteilungsberichte, so dass diese der Kommission, den zuständigen nationalen Behörden, dem Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz, dem Ausschuss für Humanarzneimittel und der in Artikel 27 der Richtlinie 2001/83/EG genannten Koordinierungsgruppe (im Folgenden ‚Koordinierungsgruppe‘) ständig in vollem Umfang zugänglich sind.

Die Agentur erstellt in Zusammenarbeit mit den zuständigen nationalen Behörden und der Kommission und nach Konsultation des Ausschusses für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz die funktionsbezogenen Spezifikationen für das Datenarchiv.

Der Verwaltungsrat der Agentur bestätigt und verkündet auf der Basis eines unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Ausschusses für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz erstellten unabhängigen Prüfberichts die volle Funktionsfähigkeit des Datenarchivs und ihre Übereinstimmung mit den gemäß Absatz 2 erstellten funktionsbezogenen Spezifikationen.

Bei wesentlichen Änderungen des Datenarchivs oder der funktionsbezogenen Spezifikationen werden die Empfehlungen des Ausschusses für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz berücksichtigt.

Artikel 26

(1)   In Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und der Kommission schafft und pflegt die Agentur ein europäisches Internetportal für Arzneimittel, über das Informationen über in der Union genehmigte Arzneimittel verbreitet werden. Über dieses Portal veröffentlicht die Agentur mindestens folgende Angaben:

a)

die Namen der Mitglieder der Ausschüsse gemäß Artikel 56 Absatz 1 Buchstaben a und aa dieser Verordnung sowie der Mitglieder der Koordinierungsgruppe sowie ihre beruflichen Qualifikationen und die in Artikel 63 Absatz 2 dieser Verordnung genannten Erklärungen;

b)

Tagesordnungen und Protokolle jeder Sitzung der Ausschüsse gemäß Artikel 56 Absatz 1 Buchstaben a und aa dieser Verordnung sowie der Koordinierungsgruppe im Hinblick auf Pharmakovigilanz-Tätigkeiten;

c)

eine Kurzdarstellung der Risikomanagement-Pläne für Arzneimittel, die nach dieser Verordnung genehmigt worden sind;

d)

die Liste der Arzneimittel gemäß Artikel 23 dieser Verordnung;

e)

für sämtliche in der Union genehmigten Arzneimittel eine Liste der Orte in der Union, an denen die jeweilige Pharmakovigilanz-Stammdokumentation geführt wird, sowie die Kontaktdaten für Pharmakovigilanz-Anfragen;

f)

Informationen dazu, wie vermutete Nebenwirkungen von Arzneimitteln den zuständigen nationalen Behörden zu melden sind …;

g)

die Stichtage der Union und der Vorlagerhythmus für regelmäßige aktualisierte Unbedenklichkeitsberichte gemäß Artikel 107c der Richtlinie 2001/83/EG;

h)

Protokolle und öffentliche Kurzdarstellungen der Ergebnisse von Unbedenklichkeitsstudien nach der Genehmigung …;

i)

Informationen über die Einleitung des Verfahrens nach den Artikeln 107i bis 107k der Richtlinie 2001/83/EG …;

j)

Ergebnisse der Beurteilungen, Empfehlungen, Gutachten, Zustimmungen und Entscheidungen der Ausschüsse nach Artikel 56 Absatz 1 Buchstaben a und aa dieser Verordnung …

(2)   Die Agentur konsultiert die interessierten Kreise, unter anderem die Patientenorganisationen, Verbraucherverbände, Angehörigen der Gesundheitsberufe und Vertreter der Industrie, vor der Einführung und vor späteren Änderungen dieses Portals.“

Italienisches Recht

17

Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts bestimmt Art. 1 des Decreto-legge 21 ottobre 1996, n. 536, recante „Misure per il contenimento della spesa farmaceutica e la rideterminazione del tetto di spesa per l’anno 1996“, convertito dalla legge del 23 dicembre 1996, n. 648 (Gesetzesdekret Nr. 536 vom 21. Oktober 1996 über „Maßnahmen zur Kontrolle der Ausgaben für Arzneimittel und zur Neubestimmung der maximalen Höhe der Ausgaben für das Jahr 1996“, umgewandelt durch das Gesetz Nr. 648 vom 23. Dezember 1996) (GURI Nr. 11 vom 15. Januar 1997), in der durch das Decreto-legge del 20 marzo 2014, n. 36, convertito dalla legge del 16 maggio 2014, n. 79 (Gesetzesdekret Nr. 36 vom 20. März 2014, umgewandelt durch das Gesetz Nr. 79 vom 16. Mai 2014) (GURI Nr. 115 vom 20. Mai 2014), geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetzesdekret Nr. 536/96):

„(4)   Sofern keine wirksame therapeutische Alternative verfügbar ist, können innovative Arzneimittel, die in anderen Staaten, aber nicht im Inland in den Verkehr gebracht werden dürfen, Arzneimittel, die noch nicht zugelassen sind, aber klinisch geprüft wurden, und Arzneimittel, die für ein anderes Anwendungsgebiet als die genehmigte Indikation bestimmt sind und die in einer Liste aufgeführt sind, die von der Commissione unica del farmaco [Arzneimittelkommission] erstellt und regelmäßig aktualisiert wird, gemäß den von Letzterer festgelegten Verfahren und Kriterien ab dem 1. Januar 1997 verschrieben und in vollem Umfang vom nationalen Gesundheitsdienst erstattet werden. Die sich aus diesem Absatz ergebenden Kosten, die mit 30 Milliarden Lire pro Jahr veranschlagt werden, werden vom nationalen Gesundheitsdienst im Rahmen der für die Arzneimittelversorgung vorgesehenen Ausgabenobergrenze übernommen.

(4a)   Selbst wenn unter den Arzneimitteln, die nach Beurteilung durch die AIFA zugelassen wurden, eine therapeutische Alternative verfügbar ist, werden Arzneimittel, die für ein anderes Anwendungsgebiet als die genehmigte Indikation verwendet werden können, in die in Abs. 4 … genannte Liste aufgenommen und vom [SSN] erstattet, sofern dieses Anwendungsgebiet bekannt ist und mit den Untersuchungen übereinstimmt, die von der nationalen und internationalen medizinisch-wissenschaftlichen Gemeinschaft unter den Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit und Angemessenheit durchgeführt wurden. In diesem Fall führt die AIFA geeignete Überwachungsinstrumente ein, um die Patientensicherheit zu gewährleisten und rechtzeitig die notwendigen Entscheidungen zu treffen.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

18

Bei Lucentis und Avastin handelt es sich um biotechnologische Arzneimittel, die dem zentralisierten Verfahren zur Erteilung der Verkehrsgenehmigung gemäß der Verordnung Nr. 726/2004 unterliegen.

19

Die Verkehrsgenehmigung für Avastin, die im Jahr 2005 erteilt wurde, erfasst ausschließlich onkologische Indikationen. Inhaberin dieser Verkehrsgenehmigung ist eine Gesellschaft des pharmazeutischen Konzerns Roche.

20

Die Verkehrsgenehmigung für Lucentis wurde im Jahr 2007 erteilt. Sie bezieht sich auf die Behandlung von Augenkrankheiten, insbesondere die altersbedingte Makuladegeneration. Inhaberin dieser Verkehrsgenehmigung ist eine Gesellschaft des pharmazeutischen Konzerns Novartis, zu dem Novartis Farma gehört.

21

Den Angaben des vorlegenden Gerichts ist zu entnehmen, dass sich diese Arzneimittel in struktureller und pharmakologischer Hinsicht sowie durch ihre Verpackung und ihren Einheitspreis voneinander unterscheiden. Den Arzneimitteln liegt zwar dieselbe Technologie zugrunde, sie enthalten jedoch unterschiedliche Wirkstoffe, nämlich „Ranibizuma“ im Fall von Lucentis und „Bevacizumab“ im Fall von Avastin. Letzteres wird in Flaschen zu 4 Millilitern (ml) vermarktet. Lucentis wird in injizierbarer Formulierung (2,3 Milligramm [mg] für 0,23 ml Lösung) zur direkten Injektion ins Auge (im Folgenden: intravitreale Verwendung) und einmaligen Verwendung verkauft, mit einer Dosis von 0,5 mg pro Monat.

22

Avastin wird häufig für die Behandlung von Augenkrankheiten verschrieben, die nicht in der Verkehrsgenehmigung genannt sind. Für eine solche Verwendung muss Avastin seiner Originalflasche entnommen werden und in Einmalspritzen mit einem Inhalt von 0,1 ml zur intravitrealen Injektion fraktioniert werden. Das so für die ophtalmologische Anwendung umverpackte Avastin kostet den SSN 82 Euro pro Dosis, Lucentis 902 Euro.

23

Mit Entscheidung Nr. 24823 vom 27. Februar 2014 verhängte die Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato (Wettbewerbs- und Marktordnungsbehörde, Italien) gegen die Unternehmen Roche und Novartis Strafen wegen Verstoßes gegen Wettbewerbsvorschriften. Im Rahmen eines Verfahrens zu einer gegen diese Entscheidung gerichteten Klage befasste der Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) den Gerichtshof mit Fragen zur Vorabentscheidung, auf die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a. (C‑179/16, EU:C:2018:25), geantwortet hat.

24

Am 15. April 2014 gab der CSS ein Gutachten über die Anwendung von Avastin in der Ophtalmologie ab, in dem u. a. ausgeführt wird, die Zubereitung dieses Arzneimittels zur intravitrealen Verwendung sei eine „sterile galenische Zubereitung nach der formula magistralis“.

25

Im Einklang mit diesem Gutachten nahm die AIFA mit der Entscheidung Nr. 622 vom 24. Juni 2014 (im Folgenden: Entscheidung Nr. 622/2014) die Verwendung von Avastin für die Behandlung der altersbedingten Makuladegeneration in die Liste der erstattungsfähigen Arzneimittel nach Art. 1 Abs. 4a des Gesetzesdekrets Nr. 536/96 auf.

26

Art. 2 der Entscheidung Nr. 622/2014 bestimmt:

„(1)   Die Lieferung des Arzneimittels Bevacizumab – Avastin erfolgt unter den folgenden Voraussetzungen, die dem Schutz der Patienten bei einer Verwendung dieses Arzneimittels für eine nicht in der Zulassung genannte Indikation dienen:

a)

Um die Sterilität zu gewährleisten, darf das Abpacken des Arzneimittels Bevacizumab in Einzeldosen für die intravitreale Anwendung ausschließlich von Krankenhausapotheken vorgenommen werden, die die notwendigen Voraussetzungen erfüllen, unter Beachtung der Regeln einer ordnungsgemäßen Zubereitung.

b)

Die Verabreichung von Bevacizumab für die intravitreale Anwendung ist den hoch spezialisierten Abteilungen für Augenheilkunde in von den Regionen benannten öffentlichen Krankenhäusern vorbehalten.

c)

Die Verabreichung des Arzneimittels darf erst erfolgen, nachdem der Patient eine Einwilligungserklärung unterzeichnet hat, die die wissenschaftliche Begründung und angemessene Informationen über zugelassene, für den SSN jedoch kostspieligere therapeutische Alternativen enthält.

d)

Es wird ein Kontrollregister eingerichtet, dem das Formular für die Meldung von Nebenwirkungen beigefügt wird“.

27

Art. 3 der Entscheidung Nr. 622/2014 sieht vor:

„Die Verschreibung des Arzneimittels zur Erstattung durch den SSN muss von den Verwendungszentren für jeden Patienten einzeln über das Ausfüllen des elektronischen Verschreibungsbogens gemäß den Angaben auf der Website https://www.agenziafarmaco.gov.it/registri/, die Bestandteil dieser Entscheidung sind, erfolgen.“

28

Art. 4 der Entscheidung Nr. 622/2014, der die „Neubeurteilung der Voraussetzungen“ betrifft, bestimmt:

„Die AIFA behält sich vor, in Anwendung von Art. 1 Abs. 4a [des Gesetzesdekrets Nr. 536/96] auf der Grundlage der Analyse der im Rahmen der Überwachung erhobenen Daten oder sonstiger neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse eine andere Bewertung vorzunehmen und eine für die Gewährleistung der Patientensicherheit zweckmäßigere Entscheidung zu treffen.“

29

Die Entscheidung Nr. 79 der AIFA vom 30. Januar 2015 hängt mit der Entscheidung Nr. 622/2014 zusammen; sie ändert lediglich bestimmte Angaben betreffend die Personen, die mit der Verabreichung von Avastin zur ophtalmologischen Verwendung betraut sind.

30

Novartis Farma erhob beim Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) Klage gegen das Gutachten des CSS vom 15. April 2014 sowie gegen die Entscheidungen der AIFA vom 24. Juni 2014 (Nr. 622) und vom 30. Januar 2015 (Nr. 79).

31

Gegen die Entscheidung, mit der diese Klage abgewiesen wurde, legte Novartis Farma beim Consiglio di Stato (Staatsrat) Rechtsmittel ein. Im Rahmen dieses Verfahrens machte sie geltend, die Gewährung der Kostenübernahme durch den SSN für die ophtalmologische Anwendung von Avastin gemäß Art. 1 Abs. 4a des Gesetzesdekrets Nr. 536/96 verstoße gegen das Arzneimittelrecht der Union.

32

Nach Ansicht von Novartis Farma verallgemeinert Art. 1 Abs. 4a des Gesetzesdekrets Nr. 536/96 die Möglichkeit der Anwendung eines Arzneimittels außerhalb der von seiner Verkehrsgenehmigung erfassten Voraussetzungen selbst in Fällen, in denen es eine alternative Therapie gebe, und zwar aus ausschließlich finanziellen Gründen, ohne dass vor der Anwendung des Arzneimittels in großem Maßstab eine Prüfung der Unwirksamkeit der verfügbaren Arzneimittel durchgeführt worden wäre. Diese Vorschrift laufe dem zwingenden Charakter der Verkehrsgenehmigung zuwider, der sich aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 ergebe, und sei mit der Richtlinie 89/105 unvereinbar.

33

Novartis Farma trägt ferner vor, dass Art. 1 Abs. 4a des Gesetzesdekrets Nr. 536/96, indem er der AIFA die Befugnis zuweise, „geeignete Überwachungsinstrumente [einzuführen], um die Patientensicherheit zu gewährleisten und rechtzeitig die notwendigen Entscheidungen zu treffen“, diese nationale Behörde veranlassen könne, in die Tätigkeitsbereiche einzugreifen, die die Verordnung Nr. 726/2004 der EMA vorbehalte.

34

Die Umverpackung von Avastin erfülle nicht die im Arzneimittelrecht der Union aufgestellten Voraussetzungen für die Ausnahmeregelung, die in Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83 für in der Apotheke zubereitete Arzneimittel vorgesehen sei.

35

Die AIFA macht geltend, die Richtlinie 2001/83 gelte nicht für eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende. Die Bestimmungen des Art. 1 Abs. 4a des Gesetzesdekrets Nr. 536/96 bezögen sich nämlich nicht auf die Verkehrsgenehmigung eines Arzneimittels, sondern auf die Voraussetzungen für die Übernahme seiner Kosten. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation falle gemäß Art. 5 der Richtlinie 2001/83 nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie.

36

Nach Auffassung der AIFA ist die Richtlinie 2001/83 gemäß Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Nr. 1 nicht anwendbar auf die Zubereitung von Avastin für die Anwendung zur Behandlung von Augenkrankheiten. Außerdem habe der Gerichtshof bereits im Urteil vom 11. April 2013, Novartis Pharma (C‑535/11, EU:C:2013:226), entschieden, dass die Umverpackung von Avastin für die Zwecke seiner intravitrealen Anwendung keine Herstellungserlaubnis nach Art. 40 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 erfordere.

37

Im Übrigen greife Art. 1 Abs. 4a des Gesetzesdekrets Nr. 536/96 nicht in die Zuständigkeiten der EMA gemäß der Verordnung Nr. 726/2004 ein.

38

Das vorlegende Gericht meint, dass das Urteil vom 16. Juli 2015, Abcur (C‑544/13 und C‑545/13, EU:C:2015:481), Zweifel in Bezug auf die Auslegung von Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83 aufwerfe.

39

Unter diesen Umständen hat der Consiglio di Stato (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Stehen die Bestimmungen der Richtlinie 2001/83, insbesondere die Art. 5 und 6 in Verbindung mit dem zweiten Erwägungsgrund dieser Richtlinie, der Anwendung einer nationalen Regelung entgegen, die durch die Aufnahme eines Arzneimittels in die Liste der Arzneimittel, deren Kosten vom SSN erstattet werden, mit dem Ziel der Ausgabenbegrenzung Anreize dafür schafft, dass dieses Arzneimittel außerhalb der zugelassenen therapeutischen Indikation bei allen Patienten eingesetzt wird, ohne dass die therapeutischen Bedürfnisse des einzelnen Patienten berücksichtigt würden und obwohl auf dem Markt Arzneimittel vorhanden und verfügbar sind, die für die betreffende therapeutische Indikation zugelassen sind?

2.

Ist Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83 auf einen Fall anwendbar, in dem die Zubereitung des pharmazeutischen Erzeugnisses zwar in einer Apotheke nach ärztlicher Verschreibung für einen einzelnen Patienten, aber dennoch serienmäßig, einheitlich und wiederholt erfolgt, ohne die speziellen Bedürfnisse des einzelnen Patienten zu berücksichtigen, das Erzeugnis an Krankenhäuser und nicht an Patienten abgegeben wird (da es in die Klasse H‑OSP [zur ausschließlichen Anwendung in Krankenhäusern bestimmt] eingestuft ist) und auch in anderen Einrichtungen als der, in der es zubereitet wurde, eingesetzt wird?

3.

Stehen die Bestimmungen der Verordnung Nr. 726/2004, insbesondere die Art. 3, 25 und 26 sowie der Anhang dieser Verordnung, die der EMA sowohl im Rahmen des Verfahrens zur Erteilung einer Verkehrsgenehmigung (ein verbindlich vorgeschriebenes zentralisiertes Verfahren) als auch für die Zwecke der Überwachung und Koordinierung der Maßnahmen der Pharmakovigilanz nach dem Inverkehrbringen des Arzneimittels die ausschließliche Zuständigkeit für die Beurteilung der Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln zuweisen, deren therapeutische Indikation die Behandlung von Krebsleiden ist, der Anwendung einer nationalen Regelung entgegen, die der AIFA die Befugnis vorbehält, die Sicherheit der Off-label-Anwendung von Arzneimitteln zu beurteilen, deren Zulassung auf der Grundlage der technisch-wissenschaftlichen Bewertungen der EMA in die ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Kommission fällt?

4.

Stehen die Bestimmungen der Richtlinie 89/105, insbesondere deren Art. 1 Abs. 3, der Anwendung einer nationalen Regelung entgegen, die dem Mitgliedstaat erlaubt, im Rahmen seiner eigenen Entscheidungen über die Erstattungsfähigkeit der dem Versicherten entstandenen Krankheitskosten die Erstattung der Kosten für ein Arzneimittel vorzusehen, das außerhalb der therapeutischen Indikationen eingesetzt wird, die in der von der Europäischen Kommission oder einer speziellen europäischen Agentur im Anschluss an ein zentralisiertes Bewertungsverfahren erteilten Verkehrsgenehmigung festgelegt sind, ohne dass die in den Art. 3 und 5 der Richtlinie 2001/83 aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind?

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

40

Die italienische Regierung ist der Auffassung, die Vorlagefragen fielen nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts und seien für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht erforderlich. Da die Off-label-Anwendung eines Arzneimittels nicht vom Unionsrecht geregelt werde, seien die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen offensichtlich unzulässig.

41

Irland ist der Auffassung, die Vorlagefragen seien unzulässig, weil sie hypothetisch seien. Die Angaben des vorlegenden Gerichts zum Sachverhalt des Rechtsstreits und zur Entscheidungserheblichkeit der gestellten Fragen für den Ausgangsrechtsstreit seien unzureichend.

42

Die Regione Emilia-Romagna (Region Emilia-Romagna, Italien) und die Società Oftalmologica Italiana (SOI) – Associazione Medici Oculisti Italiani (AMOI) machen geltend, die erste Vorlagefrage sei unzulässig, da sie für den Ausgangsrechtsstreit nicht entscheidungserheblich sei. Die Region Emilia-Romagna hält aus dem gleichen Grund auch die zweite Vorlagefrage für unzulässig.

43

Im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Unionsrechts, so ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (Urteil vom 6. September 2016, Petruhhin, C‑182/15, EU:C:2016:630, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44

Daraus folgt, dass eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen eines nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in den rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 26. Juli 2017, Persidera, C‑112/16, EU:C:2017:597, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45

In der vorliegenden Rechtssache fügen sich die gestellten Fragen, die sich auf die Auslegung der Richtlinie 89/105, der Richtlinie 2001/83 und der Verordnung Nr. 726/2004 beziehen, in den Rahmen eines Rechtsstreits ein, der die Übereinstimmung nationaler Maßnahmen, mit denen die Anwendung von Avastin für nicht von seiner Verkehrsgenehmigung gedeckte Indikationen erlaubt werden soll, mit diesen Unionsrechtsakten betrifft. Sie weisen damit einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits auf und sind nicht hypothetisch.

46

Daraus ergibt sich, dass die Vorlagefragen zulässig sind.

Zu den Vorlagefragen

Vorbemerkungen

47

Mit seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht feststellen lassen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Maßnahmen, die die Voraussetzungen festlegen, unter denen das nationale Krankenversicherungssystem aus wirtschaftlichen Gründen die Übernahme der Kosten für Avastin gewährt, das umverpackt wurde, um Patienten zur Behandlung ophtalmologischer Indikationen, die nicht von seiner Verkehrsgenehmigung gedeckt sind, verabreicht zu werden, die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 89/105 und der Richtlinie 2001/83 sowie die der Union durch das von der Verordnung Nr. 726/2004 eingeführte zentralisierte Verfahren zugewiesenen Zuständigkeiten beeinträchtigen.

48

Nach Art. 168 Abs. 7 AEUV lässt das Unionsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit und insbesondere für den Erlass von Vorschriften zur Regulierung des Arzneimittelverbrauchs im Hinblick auf die Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts ihrer Krankenversicherungssysteme unberührt (Urteil vom 22. April 2010, Association of the British Pharmaceutical Industry, C‑62/09, EU:C:2010:219, Rn. 36).

49

Die Zuständigkeit für die Organisation und die Verwaltung des Gesundheitswesens sowie für die Zuweisung der dafür bereitgestellten Mittel liegt bei den Mitgliedstaaten. So wird in Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83 und in Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004 bekräftigt, dass die Bestimmungen dieser Rechtsakte nicht die Zuständigkeiten der Behörden der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Festsetzung der Arzneimittelpreise und ihrer Einbeziehung in den Anwendungsbereich der innerstaatlichen Krankenversicherungssysteme aufgrund gesundheitlicher, wirtschaftlicher und sozialer Bedingungen berühren.

50

Auch wenn das Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie 89/105, die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten in diesem Bereich unberührt lässt, müssen die Mitgliedstaaten jedoch bei der Ausübung dieser Zuständigkeit das Unionsrecht beachten (Urteil vom 2. April 2009, A. Menarini Industrie Farmaceutiche Riunite u. a., C‑352/07 bis C‑356/07, C‑365/07 bis C‑367/07 und C‑400/07, EU:C:2009:217, Rn. 19 und 20).

51

Das Arzneimittelrecht der Union verbietet weder die Off-label-Verschreibung eines Arzneimittels noch die Umverpackung eines Arzneimittels im Hinblick auf eine Off-label-Anwendung, macht beides aber davon abhängig, dass Voraussetzungen eingehalten werden, die im Arzneimittelrecht der Union geregelt sind (Urteil vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a., C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 59).

52

Angesichts dieser Erwägungen sind zur Feststellung, ob die in diesen Rechtsvorschriften festgelegten Voraussetzungen nationale Maßnahmen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden verbieten, zuerst die zweite Vorlagefrage, die die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2001/83 betrifft, und dann nacheinander die erste, die vierte und die dritte Vorlagefrage zu prüfen.

Zur zweiten Frage

53

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass Avastin, nachdem es gemäß den Voraussetzungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Maßnahmen umverpackt wurde, in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt.

54

Im Ausgangsverfahren wird die Anwendung der Richtlinie 2001/83 auf Avastin nicht in Zweifel gezogen. Dagegen stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, ob die Veränderungen dieses Arzneimittels im Rahmen seiner Umverpackung zur Anwendung für die Behandlung von nicht von seiner Verkehrsgenehmigung erfassten Augenkrankheiten gemäß den Voraussetzungen der nationalen Maßnahmen, deren Rechtmäßigkeit in Frage gestellt wird, unter Art. 3 Nr. 1 dieser Richtlinie fallen und damit das so veränderte Avastin vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausklammern können.

55

Für die Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83 positiv durch ihren Art. 2 Abs. 1 bestimmt wird, wonach diese Richtlinie für Humanarzneimittel gilt, die in den Mitgliedstaaten in den Verkehr gebracht werden sollen und die entweder gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt. Art. 3 Nrn. 1 und 2 der Richtlinie sieht bestimmte Ausnahmen von deren Anwendung für Arzneimittel vor, die in einer Apotheke nach ärztlicher Verschreibung für einen bestimmten Patienten zubereitet werden oder die in einer Apotheke nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitet werden und für die unmittelbare Abgabe an die Patienten bestimmt sind, die Kunden dieser Apotheke sind. Um unter die Richtlinie 2001/83 zu fallen, muss das betreffende Arzneimittel folglich zum einen die in Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen erfüllen und darf zum anderen nicht von einer der in Art. 3 der Richtlinie ausdrücklich bestimmten Ausnahmen erfasst sein (Urteil vom 16. Juli 2015, Abcur, C‑544/13 und C‑545/13, EU:C:2015:481, Rn. 38 und 39).

56

Somit ist der industrielle Charakter der Herstellung eines Arzneimittels entscheidend dafür, ob dieses in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83 fällt, wobei der Unionsgesetzgeber Wert auf die Klarstellung gelegt hat, dass Arzneimittel, die in einer Apotheke gemäß den in Art. 3 dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen zubereitet wurden, ausdrücklich von deren Anwendungsbereich ausgenommen sind.

57

Es ist festzustellen, dass die Ausnahme vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83 nach deren Art. 3 nur die in einer Apotheke „zubereiteten“, d. h. in der Apotheke hergestellten, Arzneimittel erfasst, nämlich die formula magistralis und die formula officinalis. Das Arzneimittel Avastin gehört aber keiner dieser Kategorien an; es wird nicht in Apotheken oder Krankenhausapotheken hergestellt, sondern industriell in den Laboratorien des Unternehmens Roche, das Inhaber seiner Verkehrsgenehmigung ist.

58

Ferner geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen hervor, dass die Umverpackung von Avastin, die im Einklang mit den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Maßnahmen vorgenommen wird, die Zusammensetzung, die Form oder andere wesentliche Elemente dieses Arzneimittels nicht substanziell ändert. Diese Umverpackung ist nicht mit der „Zubereitung“ eines neuen Arzneimittels auf der Grundlage von Avastin mittels einer formula magistralis oder formula officinalis gleichzusetzen. Sie fällt daher nicht unter Art. 3 der Richtlinie 2001/83.

59

Eine Auslegung von Art. 3 der Richtlinie 2001/83, die darauf hinausliefe, Avastin nach der Umverpackung, die Gegenstand der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Maßnahmen ist, vom Anwendungsbereich sämtlicher Bestimmungen der Richtlinie auszunehmen, würde die Kontrolle durchbrechen, die diese Richtlinie für das gesamte Vertriebsnetz des Arzneimittels eingerichtet hat.

60

In dieser Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass im 35. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83 im Einklang mit den wesentlichen Zielen dieser Richtlinie, insbesondere dem des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, betont wird, dass „[d]as gesamte Vertriebsnetz im Arzneimittelbereich von der Herstellung bzw. der Einfuhr in die [Union] bis hin zur Abgabe an die Öffentlichkeit … einer Kontrolle unterliegen [muss], damit gewährleistet ist, dass Aufbewahrung, Transport und Handhabung unter angemessenen Bedingungen erfolgen“. Wie der Generalanwalt in Nr. 63 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, liefe es diesem Ziel offenkundig zuwider, wenn eine nach dem Inverkehrbringen eines Arzneimittels vorgenommene Umverpackung bewirken könnte, dass dieses dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83, der es zuvor erfasste, entzogen würde.

61

Die Anwendung von Art. 3 der Richtlinie 2001/83 in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens hätte zur Folge, dass mehreren Bestimmungen dieser Richtlinie, die die Kontrolle von Arzneimitteln über das gesamte Vertriebsnetz sicherstellen sollen, ihre praktische Wirksamkeit genommen würde. So bestimmt Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie ausdrücklich, dass, wenn „für ein Arzneimittel eine Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Unterabsatz 1 erteilt worden [ist], … auch alle weiteren Stärken, Darreichungsformen, Verabreichungswege und Verabreichungsformen sowie alle Änderungen und Erweiterungen … genehmigt oder in die Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen einbezogen werden [müssen]. Alle diese [Verkehrsgenehmigungen] werden … als Bestandteil derselben umfassenden [Verkehrsgenehmigung] angesehen“.

62

Art. 40 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 sieht vor, dass die sowohl für die vollständige oder teilweise Herstellung als auch für die Abfüllung, das Abpacken und die Aufmachung eines Arzneimittels erforderliche Erlaubnis nicht erforderlich ist, wenn „diese Vorgänge lediglich im Hinblick auf die Abgabe durch Apotheker in einer Apotheke oder durch andere Personen vorgenommen werden, die in den Mitgliedstaaten zu dieser Tätigkeit gesetzlich ermächtigt sind“.

63

Diese Ausnahmevorschrift wäre somit überflüssig, wenn Art. 3 der Richtlinie 2001/83 ein Arzneimittel, das, nachdem es im Einklang mit den Anforderungen dieser Richtlinie in den Verkehr gebracht und hergestellt wurde, unter den Kriterien von Art. 40 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie entsprechenden Voraussetzungen umverpackt worden ist, vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie und damit von der Verkehrsgenehmigungs- und Herstellungserlaubnispflicht ausnähme.

64

Was das Pharmakovigilanzsystem betrifft, ist noch darauf hinzuweisen, dass dieses System nach Art. 101 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83 „[dazu] dient …, Informationen über die Risiken von Arzneimitteln für die Gesundheit der Patienten oder die öffentliche Gesundheit zusammenzutragen. Diese Informationen betreffen insbesondere Nebenwirkungen beim Menschen, die bei genehmigungsgemäßer Anwendung des Arzneimittels sowie bei einer Anwendung, die über die Bestimmungen der [Verkehrsgenehmigung] hinausgeht, entstehen, und Nebenwirkungen in Verbindung mit beruflicher Exposition gegenüber dem Arzneimittel“. Diese Vorschrift hätte keine praktische Wirksamkeit, wenn Art. 3 der Richtlinie 2001/83 auf eine Umverpackung angewandt werden könnte, die dazu bestimmt ist, die Off-label-Anwendung von Avastin unter den Voraussetzungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Maßnahmen zu ermöglichen, und so zur Folge hätte, diese Anwendung dem Anwendungsbereich der Richtlinie einschließlich ihrer Pharmakovigilanzbestimmungen zu entziehen.

65

Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass Avastin, nachdem es gemäß den Voraussetzungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Maßnahmen umverpackt wurde, in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt.

Zur ersten Frage

66

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass er nationalen Maßnahmen wie denen des Ausgangsverfahrens entgegensteht, die die Voraussetzungen festlegen, unter denen Avastin für die Zwecke seiner Anwendung zur Behandlung von nicht von seiner Verkehrsgenehmigung erfassten ophtalmologischen Indikationen umverpackt werden kann, und falls ja, ob Art. 5 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er es erlaubt, solche Maßnahmen ausnahmsweise zu rechtfertigen.

67

Wie in Rn. 51 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, verbietet das Arzneimittelrecht der Union weder die Off-label-Verschreibung eines Arzneimittels noch die Umverpackung eines Arzneimittels im Hinblick auf eine Off-label-Anwendung, macht beides aber davon abhängig, dass Voraussetzungen eingehalten werden, die in diesem Arzneimittelrecht geregelt sind.

68

Zu diesen Voraussetzungen gehört die Verpflichtung zum Besitz einer Verkehrsgenehmigung sowie einer Herstellungserlaubnis, die Gegenstand der Art. 6 bzw. 40 der Richtlinie 2001/83 sind. Um dem vorlegenden Gericht eine zweckdienliche Antwort für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu geben, hält der Gerichtshof auch die Auslegung von Art. 40 dieser Richtlinie für angebracht, obwohl diese Bestimmung in den ihm zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen nicht ausdrücklich erwähnt wird (Urteil vom 11. April 2013, Berger, C‑636/11, EU:C:2013:227, Rn. 31).

69

Was das Inverkehrbringen eines Arzneimittels betrifft, sieht Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/83 vor, dass ein Arzneimittel in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden darf, wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats nach dieser Richtlinie eine Verkehrsgenehmigung erteilt hat oder wenn eine Genehmigung gemäß dem zentralisierten Verfahren der Verordnung Nr. 726/2004 für die im Anhang dieser Verordnung aufgeführten Arzneimittel erteilt wurde (Urteile vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a., C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 53, sowie vom 29. März 2012, Kommission/Polen, C‑185/10, EU:C:2012:181, Rn. 26).

70

Dieser Grundsatz der obligatorischen Verkehrsgenehmigung gilt nach Unterabs. 2 dieser Vorschrift auch, wenn für ein Arzneimittel eine Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Unterabs. 1 erteilt worden ist, da in diesem Fall auch alle weiteren Stärken, Darreichungsformen, Verabreichungswege und Verabreichungsformen sowie alle Änderungen und Erweiterungen gemäß Unterabs. 1 genehmigt oder in die Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen einbezogen werden müssen.

71

So hat der Gerichtshof im Einklang mit diesem Grundsatz entschieden, dass das Unionsrecht, wenn für ein Arzneimittel zwei verschiedene zentrale Genehmigungen des Inverkehrbringens, nämlich für eine Packung mit fünf Einheiten und für eine Packung mit zehn Einheiten, erteilt worden sind, dem entgegensteht, dass dieses Arzneimittel in einer Bündelpackung vertrieben wird, die aus zwei neu etikettierten Packungen mit je fünf Einheiten gebildet wird, ohne dass hierfür eine spezielle Verkehrsgenehmigung vorliegt, weil mit den spezifischen und detaillierten Vorschriften, die für die Verpackung von durch eine zentrale Genehmigung für das Inverkehrbringen zugelassenen Arzneimitteln gelten, einer Irreführung des Verbrauchers vorgebeugt und so die öffentliche Gesundheit geschützt werden soll (Urteil vom 19. September 2002, Aventis, C‑433/00, EU:C:2002:510, Rn. 25).

72

In einer Situation, die der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entspricht, hat der Gerichtshof entschieden, dass das Umverpacken von Avastin im Hinblick auf seine Off-label-Anwendung zur Behandlung von Augenkrankheiten keine neue Verkehrsgenehmigung benötigt, sofern der fragliche Vorgang nicht zu einer Veränderung des Arzneimittels führt und nur auf der Grundlage individueller Rezepte mit einer entsprechenden Verschreibung vorgenommen wird (Urteil vom 11. April 2013, Novartis Pharma, C‑535/11, EU:C:2013:226, Rn. 42).

73

Der Grund für diese Lösung liegt darin, dass anders als in der Rechtssache, in der das Urteil vom 19. September 2002, Aventis (C‑433/00, EU:C:2002:510), ergangen ist, das Umverpacken von Avastin nach dem Inverkehrbringen dieses Arzneimittels erfolgt, nachdem ein Arzt einem Patienten die Anwendung unter diesen Voraussetzungen mittels eines individuellen Rezepts verschrieben hat.

74

So hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Vorgänge der Entnahme des in den Originalflaschen enthaltenen flüssigen Arzneimittels und seiner – ohne Veränderung des Arzneimittels erfolgenden – Umfüllung in Fertigspritzen in Wirklichkeit den Handlungen entsprechen, die, wenn nicht eine dritte Gesellschaft tätig würde, sonst von den verschreibenden Ärzten, den Apotheken selbst in ihren Geschäftsräumen oder auch den Krankenhäusern in eigener Verantwortung vorgenommen werden könnten oder hätten vorgenommen werden können (Urteil vom 11. April 2013, Novartis Pharma, C‑535/11, EU:C:2013:226, Rn. 42 und 43).

75

Vorbehaltlich von Sachverhaltsprüfungen, die dem vorlegenden Gericht obliegen, erfordert das Umverpacken von Avastin unter den Voraussetzungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Maßnahmen somit keine Verkehrsgenehmigung, da dieser Vorgang von einem Arzt mittels eines individuellen Rezepts verschrieben und von Apotheken für die Verabreichung dieses Arzneimittels im Krankenhaus vorgenommen wird.

76

In Bezug auf die Herstellung eines Arzneimittels ist festzustellen, dass dafür zwar gemäß Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 im Allgemeinen eine Erlaubnis erforderlich ist, Abs. 2 Unterabs. 2 dieser Bestimmung jedoch vorsieht, dass die Herstellungserlaubnis für die Zubereitung, die Abfüllung oder die Änderung der Abpackung oder Aufmachung nicht erforderlich ist, sofern diese Vorgänge lediglich im Hinblick auf die Abgabe durch Apotheker in einer Apotheke oder durch andere Personen vorgenommen werden, die in den Mitgliedstaaten zu dieser Tätigkeit gesetzlich ermächtigt sind. Hieraus folgt, dass Apotheker, wenn diese Vorgänge nicht zu diesen Zwecken vorgenommen werden, nicht von der Verpflichtung zum Besitz einer Herstellungserlaubnis befreit sind (Urteile vom 28. Juni 2012, Caronna, C‑7/11, EU:C:2012:396, Rn. 35, sowie vom 11. April 2013, Novartis Pharma, C‑535/11, EU:C:2013:226, Rn. 51 und 52).

77

Wie der Generalanwalt in Nr. 79 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, könnten, auch wenn vor dem vorlegenden Gericht nachgewiesen werden sollte, dass die Apotheken, die nach den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Maßnahmen zur Aufteilung und Umverpackung von Avastin ermächtigt sind, nicht über die gemäß Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 erforderliche Erlaubnis verfügen, diese Tätigkeiten dennoch unter die in Art. 40 Abs. 2 Unterabs. 2 dieser Richtlinie vorgesehene Ausnahme fallen. Vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Sachverhaltsprüfungen ist festzustellen, dass, wenn nachgewiesen wird, dass Avastin gemäß den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Maßnahmen auf der Grundlage einer individuellen Verschreibung für die Zwecke seiner Off-label-Anwendung zur Behandlung von Augenkrankheiten von einer ordnungsgemäß hierzu ermächtigten Apotheke im Hinblick auf seine Verabreichung in Krankenhäusern umverpackt wird, dieser Vorgang unter die Ausnahmeregelung der zuletzt genannten Bestimmung fällt und keine Herstellungserlaubnis benötigt.

78

Da die Umverpackung von Avastin, die Gegenstand der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Entscheidungen der AIFA ist, weder eine Verkehrsgenehmigung gemäß Art. 6 der Richtlinie 2001/83 noch eine Herstellungserlaubnis im Sinne von Art. 40 dieser Richtlinie erfordert, ist folglich auf die erste Frage nicht zu antworten, soweit sie auf die Auslegung von Art. 5 der Richtlinie abzielt.

79

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 6 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass er nationalen Maßnahmen wie denen des Ausgangsverfahrens, die die Voraussetzungen festlegen, unter denen Avastin für die Zwecke seiner Anwendung zur Behandlung von nicht von seiner Verkehrsgenehmigung erfassten ophtalmologischen Indikationen umverpackt werden kann, nicht entgegensteht.

Zur vierten Frage

80

Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 89/105, wonach diese Richtlinie keine Bestimmungen enthält, die das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten zulassen, für die keine Genehmigung gemäß Art. 6 der Richtlinie 2001/83 erteilt wurde, dahin auszulegen ist, dass er nationalen Maßnahmen wie denen des Ausgangsverfahrens entgegensteht.

81

In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist diese Frage nicht zu beantworten.

Zur dritten Frage

82

Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 3, 25 und 26 der Verordnung Nr. 726/2004 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Maßnahme, wie sie sich aus Art. 1 Abs. 4a des Gesetzesdekrets Nr. 536/96 ergibt, der die AIFA dazu ermächtigt, Arzneimittel wie Avastin, für deren Off-label-Anwendung der SSN die Kosten übernimmt, zu überwachen und gegebenenfalls Maßnahmen zum Schutz der Patientensicherheit zu ergreifen, entgegenstehen, weil sie gegen ausschließliche Zuständigkeiten der EMA für dem zentralisierten Verfahren unterworfene Arzneimittel verstoßen.

83

Zwar weist die Verordnung Nr. 726/2004 insbesondere in ihren Art. 5 bis 9 der EMA eine ausschließliche Zuständigkeit für die Prüfung von Anträgen auf Verkehrsgenehmigung im Rahmen des zentralisierten Verfahrens zu. Wie sich jedoch aus der Antwort auf die erste Frage ergibt, erfordert die Umverpackung von Avastin unter den Voraussetzungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Maßnahmen keine Verkehrsgenehmigung. Diese Maßnahmen können folglich, wie auch Art. 1 Abs. 4a des Gesetzesdekrets Nr. 536/96, nicht gegen die ausschließliche Zuständigkeit verstoßen, die der EMA für die Prüfung von Anträgen auf Verkehrsgenehmigung im Rahmen des zentralisierten Verfahrens zugewiesen worden ist.

84

Was das Pharmakovigilanzsystem für in der Union in den Verkehr gebrachte Arzneimittel angeht, ist daran zu erinnern, dass sich dieses System nach den Art. 23 Abs. 2 und 101 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 auch auf jede nicht von der Verkehrsgenehmigung gedeckte Anwendung eines Arzneimittels erstreckt. In Bezug auf die dem zentralisierten Verfahren unterliegenden Arzneimittel werden in Kapitel 3 des Titels II der Verordnung Nr. 726/2004, insbesondere in den Art. 25 und 26, Mechanismen der Pharmakovigilanz eingeführt, bei denen die zuständigen nationalen Behörden und die EMA, die deren Koordinierung sicherstellt, einbezogen werden.

85

Diese Vorschriften stehen somit einer nationalen Maßnahme wie Art. 1 Abs. 4a des Gesetzesdekrets Nr. 536/96, der vorsieht, dass die AIFA geeignete Überwachungsinstrumente einführt, um die Patientensicherheit zu gewährleisten, und rechtzeitig die notwendigen Entscheidungen trifft, nicht entgegen, solange ihre Durchführung das von der Verordnung Nr. 726/2004 eingeführte Pharmakovigilanzsystem ergänzt oder gar verstärkt.

86

Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass die Art. 3, 25 und 26 der Verordnung Nr. 726/2004 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Maßnahme, wie sie sich aus Art. 1 Abs. 4a des Gesetzesdekrets Nr. 536/96 ergibt, der die AIFA dazu ermächtigt, Arzneimittel wie Avastin, für deren Off-label-Anwendung der SSN die Kosten übernimmt, zu überwachen und gegebenenfalls Maßnahmen zum Schutz der Patientensicherheit zu ergreifen, nicht entgegenstehen.

Kosten

87

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Avastin, nachdem es gemäß den Voraussetzungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Maßnahmen umverpackt wurde, in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2012/26 geänderten Fassung fällt.

 

2.

Art. 6 der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2012/26 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nationalen Maßnahmen wie denen des Ausgangsverfahrens, die die Voraussetzungen festlegen, unter denen Avastin für die Zwecke seiner Anwendung zur Behandlung von nicht von seiner Verkehrsgenehmigung erfassten ophtalmologischen Indikationen umverpackt werden kann, nicht entgegensteht.

 

3.

Die Art. 3, 25 und 26 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1027/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Maßnahme, wie sie sich aus Art. 1 Abs. 4a des Decreto-legge 21 ottobre 1996, n. 536, recante „Misure per il contenimento della spesa farmaceutica e la rideterminazione del tetto di spesa per l’anno 1996“, convertito dalla legge del 23 dicembre 1996, n. 648 (Gesetzesdekret Nr. 536 vom 21. Oktober 1996 über „Maßnahmen zur Kontrolle der Ausgaben für Arzneimittel und zur Neubestimmung der maximalen Höhe der Ausgaben für das Jahr 1996“, umgewandelt durch das Gesetz Nr. 648 vom 23. Dezember 1996), in der durch das Decreto-legge del 20 marzo 2014, n. 36, convertito dalla legge del 16 maggio 2014, n. 79 (Gesetzesdekret Nr. 36 vom 20. März 2014, umgewandelt durch das Gesetz Nr. 79 vom 16. Mai 2014), geänderten Fassung ergibt, der die Agenzia Italiana del Farmaco (AIFA) (Italienische Arzneimittelagentur [AIFA]) dazu ermächtigt, Arzneimittel wie Avastin, für deren Off-label-Anwendung der Servizio Sanitario Nazionale (Nationaler Gesundheitsdienst, Italien) die Kosten übernimmt, zu überwachen und gegebenenfalls Maßnahmen zum Schutz der Patientensicherheit zu ergreifen, nicht entgegenstehen.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.

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Referenzen

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