Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-530/17

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

19. Dezember 2018 ( *1 )

„Rechtsmittel – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in der Ukraine – Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen – Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen eingefroren werden – Aufnahme des Namens des Rechtsmittelführers – Beschluss einer Behörde eines Drittstaats – Verpflichtung des Rates, zu prüfen, ob dieser Beschluss unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gefasst wurde“

In der Rechtssache C‑530/17 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 7. September 2017,

Mykola Yanovych Azarov, wohnhaft in Kiew (Ukraine), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. Egger und G. Lansky,

Kläger,

andere Partei des Verfahrens:

Rat der Europäischen Union, vertreten durch J.‑P. Hix und F. Naert als Bevollmächtigte,

Beklagter im ersten Rechtszug

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Siebten Kammer T. von Danwitz (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos, E. Juhász und C. Vajda,

Generalanwalt: G. Hogan,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Mit seinem Rechtsmittel beantragt Herr Mykola Yanovych Azarov die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 7. Juli 2017, Azarov/Rat (T‑215/15, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2017:479), mit dem das Gericht seine Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses (GASP) 2015/364 des Rates vom 5. März 2015 zur Änderung des Beschlusses 2014/119/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (ABl. 2015, L 62, S. 25) und der Durchführungsverordnung (EU) 2015/357 des Rates vom 5. März 2015 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 208/2014 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (ABl. 2015, L 62, S. 1), soweit sie ihn betreffen (im Folgenden: angefochtene Rechtsakte), abgewiesen hat.

Vorgeschichte des Rechtsstreits

2

Am 5. März 2014 erließ der Rat den Beschluss 2014/119/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (ABl. 2014, L 66, S. 26). In Art. 1 Abs. 1 und 2 dieses Beschlusses heißt es:

„(1)   Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Besitz oder im Eigentum der Personen, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich identifiziert wurden, sowie der für Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine verantwortlichen Personen und der mit ihnen verbundenen, in der Liste im Anhang aufgeführten, natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen stehen oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren.

(2)   Den im Anhang aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen.“

3

Am 5. März 2014 erließ der Rat auch die Verordnung (EU) Nr. 208/2014 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (ABl. 2014, L 66, S. 1), mit der die vom Beschluss 2014/119 vorgesehenen restriktiven Maßnahmen für die Europäische Union umgesetzt werden.

4

In Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung heißt es:

„Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die Eigentum oder Besitz der in Anhang I aufgeführten natürlichen oder juristischen Person, Einrichtung oder Organisation sind oder von dieser gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren.“

5

Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 208/2014 sieht vor:

„Anhang I enthält eine Liste der natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen und Organisationen, die vom Rat nach Artikel 1 des Beschlusses 2014/119/GASP als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte verantwortlich ermittelt worden sind, der für Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine verantwortlichen Personen und der natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen, die mit ihnen in Verbindung stehen.“

6

Der als „Premierminister der Ukraine bis Januar 2014“ identifizierte Kläger war in die Listen der Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen eingefroren werden, im Anhang des Beschlusses 2014/119 bzw. in Anhang I der Verordnung Nr. 208/2014 aufgenommen worden. Die Begründung für seine Aufnahme in diese Listen war identisch und lautete wie folgt:

„Person ist in der Ukraine Gegenstand von Ermittlungen wegen der Beteiligung an Straftaten im Zusammenhang mit der Veruntreuung öffentlicher Gelder der Ukraine und des illegalen Transfers dieser Gelder in das Ausland.“

7

Mit dem Beschluss (GASP) 2015/143 vom 29. Januar 2015 zur Änderung des Beschlusses 2014/119/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (ABl. 2015, L 24, S. 16) änderte der Rat den Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2014/119 wie folgt:

„Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die im Besitz oder im Eigentum der Personen, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich identifiziert wurden, sowie der für Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine verantwortlichen Personen und der mit ihnen verbundenen, in der Liste im Anhang aufgeführten, natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen stehen oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren.

Für die Zwecke dieses Beschlusses zählen zu Personen, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte der Ukraine verantwortlich erklärt wurden, Personen, die Gegenstand von Untersuchungen der ukrainischen Behörden sind

a)

wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte der Ukraine oder wegen Beihilfe hierzu oder

b)

wegen Amtsmissbrauchs als Inhaber eines öffentlichen Amtes, um sich selbst oder einer dritten Partei einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen und wodurch ein Verlust staatlicher Gelder oder Vermögenswerte der Ukraine verursacht wird, oder wegen Beihilfe hierzu.“

8

Mit der Verordnung (EU) 2015/138 vom 29. Januar 2015 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 208/2014 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine (ABl. 2015, L 24, S. 1) änderte der Rat den Wortlaut von Art. 3 der Verordnung Nr. 208/2014 in ähnlicher Weise.

9

Mit den angefochtenen Rechtsakten beließ der Rat auf der Grundlage einer Überprüfung den Namen des Klägers auf diesen Listen und verlängerte damit die Anwendung der gegen den Kläger getroffenen restriktiven Maßnahmen bis zum 6. März 2016 mit folgender Begründung:

„Person ist Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung seitens der ukrainischen Behörden wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte.“

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

10

Der Rechtsmittelführer erhob mit am 29. April 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift Nichtigkeitsklage gegen die angefochtenen Rechtsakte und stützte diese auf fünf Klagegründe, nämlich erstens eine Verletzung der Begründungspflicht, zweitens eine Verletzung seiner Grundrechte, drittens einen Ermessensmissbrauch, viertens einen Verstoß gegen den Grundsatz der guten Verwaltung und fünftens einen offensichtlichen Beurteilungsfehler.

11

Das Gericht wies alle diese Klagegründe zurück und infolgedessen die Klage insgesamt ab.

Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

12

Der Rechtsmittelführer beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben;

den Rechtsstreit selbst endgültig zu entscheiden und die angefochtenen Rechtsakte, soweit sie ihn betreffen, für nichtig zu erklären sowie dem Rat die Kosten der Verfahren vor dem Gericht und dem Gerichtshof aufzuerlegen;

hilfsweise, die Sache zur Entscheidung unter Bindung an die rechtliche Beurteilung durch den Gerichtshof an das Gericht zurückzuverweisen und die Kostenentscheidung vorzubehalten.

13

Der Rat beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen;

hilfsweise, die Klage abzuweisen;

dem Kläger die Kosten des gesamten Verfahrens aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

14

Der Rechtsmittelführer macht fünf Rechtsmittelgründe geltend. Mit seinem ersten Rechtsmittelgrund wirft er dem Gericht vor, gegen Art. 296 AEUV und Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verstoßen zu haben. Mit seinem zweiten Rechtsmittelgrund, der sich in vier Teile gliedert, rügt er, dass das Gericht fehlerhaft zu dem Ergebnis gekommen sei, dass seine Grundrechte nicht verletzt worden seien. Mit seinem dritten Rechtsmittelgrund wirft er dem Gericht vor, keinen Ermessensmissbrauch durch den Rat festgestellt zu haben. Mit dem vierten Rechtsmittelgrund rügt er einen Verstoß gegen Art. 41 der Charta. Mit seinem fünften Rechtsmittelgrund schließlich, der sich in sechs Teile gliedert, beanstandet der Rechtsmittelführer, das Gericht habe zu Unrecht angenommen, dass der Rat beim Erlass der angefochtenen Rechtsakte keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe.

15

Zunächst ist der dritte Teil des fünften Rechtsmittelgrundes zu prüfen.

Vorbringen der Parteien

16

Der Rechtsmittelführer macht geltend, das Gericht habe in den Rn. 166 ff. des angefochtenen Urteils rechtsfehlerhaft festgestellt, dass sich das Urteil des Gerichts vom 16. Oktober 2014, LTTE/Rat (T‑208/11 und T‑508/11, EU:T:2014:885) – gegen das damals ein Rechtsmittelverfahren anhängig gewesen sei und wonach der Rat, bevor er sich auf einen Beschluss einer Behörde eines Drittstaats stütze, prüfen müsse, ob die einschlägigen Regelungen dieses Staates einen Schutz der Verteidigungsrechte und des Rechts auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz wie in der Union gewährleisteten – nicht auf den vorliegenden Fall übertragen lasse, weil sich die angefochtenen Rechtsakte im Wortlaut und in der Zielsetzung von den Rechtsakten unterschieden, um die es in der Rechtssache gegangen sei, in der jenes Urteil ergangen sei.

17

Die Unterschiede zwischen diesen beiden Kategorien von Rechtsakten sind nach Ansicht des Klägers jedoch nicht entscheidend, der sich insoweit auf das zwischenzeitlich verkündete Urteil des Gerichtshofs vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (C‑599/14 P, EU:C:2017:583) beruft. Zum einen setze der Erlass restriktiver Maßnahmen gegen ihn das Vorhandensein eines Beschlusses einer zuständigen Behörde voraus, damit ihn der Rat, gestützt auf einen solchen Beschluss, als für die Veruntreuung von Geldern verantwortlich identifizieren könne. Zum anderen gälten die vom Gerichtshof aufgestellten Anforderungen daher für dieses Aufnahmekriterium, das weiter formuliert sei als das, das in der Rechtssache geprüft worden sei, in der jenes Urteil ergangen sei. Zum anderen sei auch das Argument des Gerichts irrig, wonach die Bekämpfung des Terrorismus, um die es in den genannten Urteilen gegangen sei, nicht notwendig die Kooperation mit einem Drittstaat umfasse, dessen Unterstützung der Rat, wie im vorliegenden Fall, beschlossen habe.

18

Der Rat hält demgegenüber den dritten Teil des fünften Rechtsmittelgrundes für unbegründet. Er ist in Übereinstimmung mit den Feststellungen des Gerichts im angefochtenen Urteil der Ansicht, dass zwischen dem Modell restriktiver Maßnahmen, um das es in der Rechtssache gegangen sei, in der das Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (C‑599/14 P, EU:C:2017:583) ergangen sei, und dem Modell, um das es in der vorliegenden Rechtssache gehe, der Unterschied – was den Wortlaut und die Systematik sowie die Zielsetzungen und die Rahmenbedingungen betreffe – erheblich sei. Insbesondere die politische Entscheidung der Union, die ukrainische Regierung, u. a. bei ihren Reformen zur Stärkung des Rechtsstaats in der Ukraine zu unterstützen, sei ein einschlägiges Element; im Urteil vom 19. Oktober 2017, Yanukovych/Rat (C‑598/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:786, Rn. 61) habe der Gerichtshof nämlich darauf hingewiesen, dass die restriktiven Maßnahmen, mit denen die Veruntreuung öffentlicher Gelder in diesem Land bekämpft werden sollten, Teil einer Politik zur Unterstützung eines Drittstaats sei, die beabsichtige, dessen wirtschaftliche und politische Stabilität zu unterstützen.

19

Nach Ansicht des Rates ist zudem die Aussage des Gerichtshofs in den Rn. 64 und 75 jenes Urteils – in Anbetracht der nicht der Kontrolle durch den Gerichtshof unterliegenden Tatsachenfeststellungen des Gerichts in den Rn. 175 und 176 des angefochtenen Urteils, wonach die vom Rechtsmittelführer genannten Gesichtspunkte nicht als Nachweis dafür ausreichten, dass seine besondere Situation durch die von ihm behaupteten Probleme des ukrainischen Justizsystems beeinträchtigt worden wäre – auf den vorliegenden Fall übertragbar.

Würdigung durch den Gerichtshof

20

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs müssen die Unionsgerichte bei der Kontrolle restriktiver Maßnahmen eine grundsätzlich umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit sämtlicher Handlungen der Union im Hinblick auf die Grundrechte als Bestandteil der Unionsrechtsordnung gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juli 2013Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 97, vom 28. November 2013, Rat/Fulmen und Mahmoudian, C‑280/12 P, EU:C:2013:775, Rn. 58, sowie vom 28. März 2017, Rosneft, C‑72/15, EU:C:2017:236, Rn. 106).

21

Grundrechtsrang kommt u. a. dem Recht auf Wahrung der Verteidigungsrechte und dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu (Urteile vom 28. November 2013, Rat/Fulmen und Mahmoudian, C‑280/12 P, EU:C:2013:775, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 28. November 2013, Rat/Manufacturing Support & Procurement Kala Naft, C‑348/12 P, EU:C:2013:776, Rn. 66).

22

Die Wirksamkeit der durch Art. 47 der Charta garantierten gerichtlichen Kontrolle erfordert – worauf das Gericht in Rn. 136 des angefochtenen Urteils zutreffend hingewiesen hat –, dass sich der Unionsrichter, wenn er die Rechtmäßigkeit der Gründe prüft, die der Entscheidung zugrunde liegen, den Namen einer Person in die Liste der restriktiven Maßnahmen unterliegenden Personen aufzunehmen oder dort zu belassen, vergewissert, dass diese Entscheidung, die eine individuelle Betroffenheit dieser Person begründet, auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht. Dies setzt eine Überprüfung der Tatsachen voraus, die in der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Begründung angeführt werden, so dass sich die gerichtliche Kontrolle nicht auf die Beurteilung der abstrakten Wahrscheinlichkeit der angeführten Gründe beschränkt, sondern auf die Frage erstreckt, ob diese Gründe – oder zumindest einer von ihnen, der für sich genommen als ausreichend angesehen wird, um diese Entscheidung zu stützen – erwiesen sind (Urteile vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 119, vom 18. Juni 2015, Ipatau/Rat, C‑535/14 P, EU:C:2015:407, Rn. 42, und vom 18. Februar 2016, Rat/Bank Mellat, C‑176/13 P, EU:C:2016:96, Rn. 109).

23

Im vorliegenden Fall sind die gegenüber dem Rechtsmittelführer verhängten restriktiven Maßnahmen – wie das Gericht in den Rn. 132 bis 134 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat – mit den angefochtenen Rechtsakten auf der Grundlage des Aufnahmekriteriums aufrechterhalten worden, das in Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2014/119 in der durch den Beschluss 2015/143 geänderten Fassung und in Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 208/2014 in Verbindung mit deren Art. 3 Abs. 1 in der durch die Verordnung 2015/138 geänderten Fassung enthalten ist. Nach diesem Kriterium werden die Gelder von Personen eingefroren, die als für die Veruntreuung staatlicher Vermögenswerte verantwortlich identifiziert wurden, einschließlich der Personen, die Gegenstand von Untersuchungen der ukrainischen Behörden sind.

24

Insoweit geht aus den Rn. 134, 149 und 150 des angefochtenen Urteils hervor, dass sich der Rat für den Erlass der betreffenden restriktiven Maßnahmen auf den Umstand gestützt hat, dass der Rechtsmittelführer „Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung seitens der ukrainischen Behörden wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder oder Vermögenswerte“ war, wie ein Schreiben der ukrainischen Justizverwaltung vom 10. Oktober 2014 belegte, in dem von einem durch die ukrainische Justizverwaltung gegen den Rechtsmittelführer eingeleiteten Ermittlungsverfahren die Rede ist.

25

Folglich beruht die Aufrechterhaltung der gegen den Rechtsmittelführer verhängten restriktiven Maßnahmen auf dem Beschluss einer – insoweit zuständigen – Behörde eines Drittstaats, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder einzuleiten und durchzuführen. Unerheblich ist insoweit der in Rn. 169 des angefochtenen Urteils erwähnte Umstand, dass die Existenz eines solchen Beschlusses nicht das in Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2014/119 in der durch den Beschluss 2015/143 geänderten Fassung festgelegte Aufnahmekriterium darstellt, sondern die Tatsachengrundlage, auf der die streitigen restriktiven Maßnahmen beruhen.

26

Bevor sich der Rat auf einen solchen Beschluss eines Drittstaats stützt, muss er prüfen, ob dieser Beschluss unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ergangen ist (Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE, C‑599/14 P, EU:C:2017:583, Rn. 24).

27

Nach gefestigter Rechtsprechung muss der Rat nämlich beim Erlass restriktiver Maßnahmen die Grundrechte, die Bestandteil der Unionsrechtsordnung sind, beachten, wobei – wie in Rn. 21 des vorliegenden Urteils ausgeführt – dem Recht auf Wahrung der Verteidigungsrechte und dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz Grundrechtsrang zukommt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 97 und 98, vom 28. November 2013, Rat/Manufacturing Support & Procurement Kala Naft, C‑348/12 P, EU:C:2013:776, Rn. 65 und 66, sowie vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE, C‑599/14 P, EU:C:2017:583, Rn. 25).

28

Insoweit soll das Erfordernis einer Prüfung durch den Rat, ob die Beschlüsse von Drittstaaten, auf die der Rat die Aufnahme einer Person oder Organisation in eine Liste von Personen und Organisationen stützt, deren Vermögenswerte eingefroren werden, unter Wahrung dieser Rechte gefasst worden sind, sicherstellen, dass ihre Aufnahme nur auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage erfolgt, und damit die betroffenen Personen oder Einrichtungen schützen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE, C‑599/14 P, EU:C:2017:583, Rn. 26).

29

Der Gerichtshof hat außerdem angenommen, dass der Rat verpflichtet ist, in der Begründung für eine Entscheidung über die Aufnahme einer Person oder Organisation in eine Liste von Personen und Organisationen, deren Vermögenswerte eingefroren werden, und für die nachfolgenden Entscheidungen – zumindest in gedrängter Form – die Gründe anzugeben, aus denen seiner Auffassung nach der Beschluss des Drittstaats, auf den er sich stützt, unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erlassen wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE, C‑599/14 P, EU:C:2017:583, Rn. 31 und 33).

30

Um seiner Begründungspflicht zu genügen, muss der Rat daher in der Entscheidung, mit der restriktive Maßnahmen verhängt werden, erkennen lassen, dass er geprüft hat, dass die Entscheidung des Drittstaats, auf die der Rat diese Maßnahmen stützt, unter Wahrung dieser Rechte ergangen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE, C‑599/14 P, EU:C:2017:583, Rn. 37).

31

In Rn. 167 des angefochtenen Urteils hat das Gericht angenommen, dass sich der im Urteil vom 16. Oktober 2014, LTTE/Rat (T‑208/11 und T‑508/11, EU:T:2014:885), verfolgte Ansatz nicht auf den vorliegenden Fall übertragen lasse.

32

In Rn. 175 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ferner ausgeführt, dass sich „die fehlende Übereinstimmung des Grundrechtsschutzes in der Ukraine mit dem in der Union nur dann auf die Rechtmäßigkeit der [angefochtenen Rechtsakte] auswirken [könnte], wenn die politische Entscheidung des Rates, die neue ukrainische Regierung zu unterstützen, … sich als offensichtlich falsch erwiesen hätte“. Diese Schlussfolgerung hat das Gericht, wie aus den Rn. 173 und 174 des angefochtenen Urteils hervorgeht, auf die Rechtsprechung gemäß dem Urteil vom 21. April 2015, Anbouba/Rat (C‑630/13 P, EU:C:2015:247, Rn. 42), gestützt, wonach der Gerichtshof dem Unionsgesetzgeber ein weites Ermessen bei der Festlegung der allgemeinen Aufnahmekriterien zugesteht, die der Anwendung restriktiver Maßnahmen zugrunde zu legen sind.

33

Diese Schlussfolgerung ist mit einem Rechtsfehler behaftet.

34

Der Rat darf nämlich erst davon ausgehen, dass eine Aufnahmeentscheidung auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht, nachdem er selbst überprüft hat, dass die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz beim Erlass des Beschlusses durch den betreffenden Drittstaat, auf den er den Erlass restriktiver Maßnahmen stützen möchte, gewahrt wurden.

35

Im vorliegenden Fall ermöglicht das in Rn. 23 des vorliegenden Urteils genannte Aufnahmekriterium dem Rat restriktive Maßnahmen auf den Beschluss eines Drittstaats wie den zu stützen, der in dem in Rn. 24 des vorliegenden Urteils erwähnten Schreiben vom 10. Oktober 2014 genannt ist; unbeschadet dessen schließt die diesem Organ obliegende Verpflichtung, die Verteidigungsrechte und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu wahren, die Pflicht ein, sich zu vergewissern, dass diese Rechte von den Behörden des Drittstaats, die den betreffenden Beschluss erlassen haben, gewahrt wurden.

36

Allerdings gehört die Ukraine, wie das Gericht in Rn. 173 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, zu den Staaten, die der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten beigetreten sind. Aber auch wenn mit einem derartigen Umstand untrennbar verknüpft ist, dass die in dieser Konvention gewährleisteten Grundrechte – die nach Art. 6 Abs. 3 EUV als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind – durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte überwacht werden, wird dadurch eine Überprüfung durch den Rat nicht überflüssig, ob der Beschluss eines solchen Drittstaats, auf die der Rat restriktive Maßnahmen stützt, unter Wahrung der Grundrechte und insbesondere der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erlassen wurde.

37

Der Umstand, dass die angeführte Rechtsprechung zu restriktiven Maßnahmen ergangen ist, die sich auf den Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABl. 2001, L 344, S. 93) stützten, der ausweislich seines Art. 1 Abs. 4 ausdrücklich auf einen von einer zuständigen Behörde gefassten Beschluss abstellt, vermag diese Schlussfolgerung nicht in Frage zu stellen. Denn die Unterschiede in Wortlaut, Systematik und Zielsetzung, die das Gericht in den Rn. 168 bis 172 des angefochtenen Urteils zwischen dem Modell restriktiver Maßnahmen, das dieser Gemeinsame Standpunkt vorsieht, einerseits und dem Modell restriktiver Maßnahmen, das der Beschluss 2014/119 in der durch den Beschluss 2015/143 geänderten Fassung und die Verordnung Nr. 208/2014 in der durch die Verordnung 2015/138 geänderten Fassung vorsehen, andererseits festgestellt hat, können nicht zur Folge haben, dass die Anwendung der Garantien, die sich aus dieser Rechtsprechung ergeben, allein auf restriktive Maßnahmen beschränkt wird, die zur Bekämpfung des Terrorismus nach dem Modell des genannten Gemeinsamen Standpunkts erlassen werden, und davon restriktive Maßnahmen ausgenommen werden, die im Rahmen der Zusammenarbeit mit einem Drittstaat erlassen werden, die der Rat infolge einer politischen Entscheidung beschließt.

38

Zu der in Rn. 32 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Erwägung des Gerichts ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass die Festlegung allgemeiner Aufnahmekriterien, die den Erlass restriktiver Maßnahmen ermöglichen, im vorliegenden Fall nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist. Es geht vielmehr um die Entscheidung, das Einfrieren der Vermögenswerte des Klägers mit den angefochtenen Rechtsakten aufrechtzuerhalten, die eine individuelle Betroffenheit des Klägers begründet. Nach der in Rn. 22 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung muss sich der Unionsrichter, wenn er die Rechtmäßigkeit der Gründe prüft, die einer solchen Entscheidung zugrunde liegen, vergewissern, dass zumindest einer der angeführten Gründe hinreichend präzise und konkret ist, nachgewiesen ist und für sich genommen eine hinreichende Grundlage für diese Entscheidung darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. November 2013, Rat/Manufacturing Support & Procurement Kala Naft, C‑348/12 P, EU:C:2013:776, Rn. 72).

39

Darüber hinaus ist es im Streitfall Sache der zuständigen Unionsbehörde, die Stichhaltigkeit der gegen die betroffene Person angeführten Begründung nachzuweisen, und nicht Sache der betroffenen Person, den Negativbeweis der fehlenden Stichhaltigkeit dieser Begründung zu erbringen (Urteile vom 18. Juli 2013, Kommission u. a./Kadi, C‑584/10 P, C‑593/10 P und C‑595/10 P, EU:C:2013:518, Rn. 121, sowie vom 28. November 2013, Rat/Fulmen und Mahmoudian, C‑280/12 P, EU:C:2013:775, Rn. 66).

40

Hinsichtlich der Urteile vom 19. Oktober 2017, Yanukovych/Rat (C‑598/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:786) und vom 19. Oktober 2017, Yanukovych/Rat (C‑599/16 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:785), auf die sich der Rat beruft, ist zu bemerken, dass der Gerichtshof im Rahmen der Rechtsmittel, auf die diese Urteile ergangen sind, nicht mit der Frage befasst war, ob sich die Rechtsprechung gemäß dem Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (C‑599/14 P, EU:C:2017:583) auf den Fall restriktiver Maßnahmen erstreckt, die angesichts der Lage in der Ukraine erlassen wurden. Zudem ist in Anbetracht der in den Rn. 27, 28 und 39 des vorliegenden Urteils angeführten ständigen Rechtsprechung davon auszugehen, dass aus diesen Urteilen nicht die Schlussfolgerung gezogen werden kann, dass der Rat nicht verpflichtet ist, zu prüfen, dass der Beschluss eines Drittstaats, auf den der Rat den Erlass restriktiver Maßnahmen stützen möchte, unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erlassen wurde. Eine solche Schlussfolgerung würde nämlich im Widerspruch zu dieser ständigen Rechtsprechung stehen. Die Feststellungen in den genannten Urteilen wirken sich somit auf das vorliegende Rechtsmittel nicht aus.

41

Nach alledem hat das Gericht einen Rechtsfehler begangen, als es entgegen den Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil vom 26. Juli 2017, Rat/LTTE (C‑599/14 P, EU:C:2017:583) angenommen hat, dass der Rat nicht verpflichtet gewesen sei, zu prüfen, ob der Beschluss eines Drittstaats, auf den der Rat die Verhängung restriktiver Maßnahmen stützen möchte, unter Wahrung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erlassen worden sei, so dass der vor ihm geltend gemachte Klagegrund, mit dem ein offensichtlicher Beurteilungsfehler gerügt worden sei, zurückzuweisen sei.

42

Da somit dem dritten Teil des fünften Rechtsmittelgrundes stattzugeben ist, ist in der Folge das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben, ohne dass es erforderlich wäre, auf die anderen Teile dieses Rechtsmittelgrundes oder die anderen Rechtsmittelgründe einzugehen.

Zur Klage vor dem Gericht

43

Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts, wenn das Rechtsmittel begründet ist, auf. Ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif, so kann ihn der Gerichtshof selbst endgültig entscheiden.

44

Im vorliegenden Fall verfügt der Gerichtshof über die erforderlichen Angaben, um endgültig über die vom Rechtsmittelführer beim Gericht erhobene Klage auf Nichtigerklärung der angefochtenen Rechtsakte zu entscheiden.

45

Aus der Begründung der angefochtenen Rechtsakte geht in keiner Weise hervor, dass der Rat geprüft hat, ob die ukrainische Justizverwaltung die Verteidigungsrechte des Klägers und dessen Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gewahrt hatte.

46

Unter diesen Bedingungen genügt der Hinweis, dass die Klage aus den in den Rn. 25 bis 30 und 34 bis 42 des vorliegenden Urteils genannten Gründen begründet ist und die angefochtenen Rechtsakte für nichtig zu erklären sind, soweit sie den Rechtsmittelführer betreffen.

Kosten

47

Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet.

48

Nach Art. 138 Abs. 1 dieser Verfahrensordnung, der nach ihrem Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

49

Da der Rechtsmittelführer die Verurteilung des Rates beantragt hat und dieser mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten beider Rechtszüge aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 7. Juli 2017, Azarov/Rat (T‑215/15, EU:T:2017:479), wird aufgehoben.

 

2.

Der Beschluss (GASP) 2015/364 des Rates vom 5. März 2015 zur Änderung des Beschlusses 2014/119/GASP über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine und die Durchführungsverordnung (EU) 2015/357 des Rates vom 5. März 2015 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 208/2014 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine werden für nichtig erklärt, soweit sie Herrn Mykola Yanovych Azarov betreffen.

 

3.

Der Rat der Europäischen Union trägt die Kosten sowohl des Verfahrens im ersten Rechtszug als auch des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens.

 

von Danwitz

Jürimäe

Lycourgos

Juhász

Vajda

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. Dezember 2018.

Der Kanzler

A. Calot Escobar

Der Präsident

K. Lenaerts


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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