Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-258/17

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

15. Januar 2019 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Richtlinie 2000/78/EG – Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Art. 2 – Von einem Beamten begangener Versuch der Unzucht mit männlichen Minderjährigen – Im Jahr 1975 erlassene Disziplinarstrafe – Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand unter Kürzung der Ruhebezüge – Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung – Wirkungen der Anwendung der Richtlinie 2000/78/EG auf die Disziplinarstrafe – Methoden zur Berechnung der gezahlten Ruhebezüge“

In der Rechtssache C‑258/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 27. April 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Mai 2017, in dem Verfahren

E.B.

gegen

Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter BVA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten M. Vilaras, E. Regan und T. von Danwitz, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe und des Kammerpräsidenten C. Lycourgos sowie der Richter E. Juhász, M. Ilešič, J. Malenovský, M. Safjan (Berichterstatter) und D. Šváby,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. Mai 2018

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von E.B., vertreten durch Rechtsanwalt H. Graupner,

der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse und J. Schmoll als Bevollmächtigte,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,

der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und B.‑R. Killmann als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. September 2018

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen E.B. und der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter BVA (Österreich) über die Rechtmäßigkeit und die Wirkungen des 1975 gegen E.B. wegen der versuchten Unzucht mit männlichen Minderjährigen verhängten Disziplinarerkenntnisses.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Die Erwägungsgründe 1 und 11 bis 13 der Richtlinie 2000/78 lauten:

„(1)

Nach Artikel 6 Absatz 2 [EUV] beruht die Europäische Union auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam. Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der [am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten] Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des [Unions]rechts ergeben.

(11)

Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung können die Verwirklichung der im [AEU]-Vertrag festgelegten Ziele unterminieren, insbesondere die Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus und eines hohen Maßes an sozialem Schutz, die Hebung des Lebensstandards und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt, die Solidarität sowie die Freizügigkeit.

(12)

Daher sollte jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in den von der Richtlinie abgedeckten Bereichen [unions]weit untersagt werden. …

(13)

Diese Richtlinie findet weder Anwendung auf die Sozialversicherungs- und Sozialschutzsysteme, deren Leistungen nicht einem Arbeitsentgelt in dem Sinne gleichgestellt werden, der diesem Begriff für die Anwendung des Artikels [157 AEUV] gegeben wurde, noch auf Vergütungen jeder Art seitens des Staates, die den Zugang zu einer Beschäftigung oder die Aufrechterhaltung eines Beschäftigungsverhältnisses zum Ziel haben.“

4

Art. 1 („Zweck“) der Richtlinie bestimmt:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichberechtigung in den Mitgliedstaaten.“

5

Art. 2 („Der Begriff ‚Diskriminierung‘“) der Richtlinie sieht in seinen Abs. 1 und 2 vor:

„(1)   Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2)   Im Sinne des Absatzes 1

a)

liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

…“

6

Art. 3 („Geltungsbereich“) der Richtlinie sieht in seinen Abs. 1 und 3 vor:

„(1)   „Im Rahmen der auf die [Union] übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf

c)

die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts;

(3)   Diese Richtlinie gilt nicht für Leistungen jeder Art seitens der staatlichen Systeme oder der damit gleichgestellten Systeme einschließlich der staatlichen Systeme der sozialen Sicherheit oder des sozialen Schutzes.“

7

Gemäß Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 mussten die Mitgliedstaaten grundsätzlich die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen, um dieser Richtlinie spätestens zum 2. Dezember 2003 nachzukommen, oder konnten den Sozialpartnern die Durchführung der Bestimmungen dieser Richtlinie übertragen, die in den Anwendungsbereich von Tarifverträgen fallen, wobei sie zu gewährleisten hatten, dass dies ebenfalls bis zu diesem Datum erfolgte.

8

Die Richtlinie 2000/78 trat gemäß ihrem Art. 20 am 2. Dezember 2000 in Kraft.

Österreichisches Recht

Strafrecht

9

Am 25. Februar 1974 bestimmten die §§ 128 und 129 des Strafgesetzes 1945 jeweils in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 273/1971 (im Folgenden: StG):

„Schändung

§ 128. Wer einen Knaben oder ein Mädchen unter vierzehn Jahren … zur Befriedigung seiner Lüste auf eine andere als die im § 127 bezeichnete Weise geschlechtlich missbraucht, begeht das Verbrechen der Schändung … und soll mit schwerem Kerker von einem bis zu fünf Jahren, bei sehr erschwerenden Umständen bis zu zehn, und wenn eine der im § 126 erwähnten Folgen eintritt, bis zu zwanzig Jahren bestraft werden.

Verbrechen der Unzucht

I.

Gleichgeschlechtliche Unzucht mit Jugendlichen

§ 129. Als Verbrechen werden auch nachstehende Arten der Unzucht bestraft:

I.

Gleichgeschlechtliche Unzucht einer Person männlichen Geschlechtes, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, mit einer Person, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat.“

10

§ 129 StG wurde durch § 209 des am 1. Jänner 1975 in Kraft getretenen Strafgesetzbuchs (im Folgenden: StGB) ersetzt. Dieser § 209 lautete wie folgt:

„Eine Person männlichen Geschlechtes, die nach Vollendung des neunzehnten Lebensjahres mit einer Person, die das vierzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, gleichgeschlechtliche Unzucht treibt, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“

11

Mit Erkenntnis vom 21. Juni 2002 entschied der Verfassungsgerichtshof (Österreich), dass § 209 StGB verfassungswidrig sei, und hob diese Bestimmung auf.

12

Mit dem im BGBl I Nr. 134/2002 veröffentlichten Bundesgesetz wurde ab dem 13. August 2002 das StGB geändert und dessen § 209 aufgehoben, bevor die vom Verfassungsgerichtshof (Österreich) ausgesprochene Aufhebung wirksam wurde.

13

Die Republik Österreich wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mehrfach im Zusammenhang mit der vor seiner Aufhebung erfolgten Anwendung des § 209 StGB verurteilt (vgl. u. a. EGMR, 9. Januar 2003, L. und V./Österreich, CE:ECHR:2003:0109JUD003939298, EGMR vom 9. Januar 2003, S.L./Österreich, CE:ECHR:2003:0109JUD004533099, sowie EGMR vom 21. Oktober 2004, Woditschka und Wilfling/Österreich, CE:ECHR:2004:1021JUD006975601).

Beamtenrecht

14

In Bezug auf die Ruhegenussansprüche der Beamten in Österreich sah § 13 Abs. 1 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 in der Fassung des im BGBl. I Nr. 119/2002 veröffentlichten Bundesgesetzes vor, dass bis zum 30. Dezember 2016 der Beamte mit Ablauf des 65. Jahres nach dem Jahr seiner Geburt in den Ruhestand tritt.

15

§ 24 der Dienstpragmatik in ihrer im RGBl. Nr. 15/1914 veröffentlichten Fassung (im Folgenden: DP), die auf den Polizeidienst anwendbar war, sah in Abs. 1 vor:

„Der Beamte hat in und außer Dienst das Standesansehen zu wahren, sich stets im Einklang mit den Anforderungen der Disziplin zu verhalten und alles zu vermeiden, was die Achtung und das Vertrauen, die seine Stellung erfordert, schmälern könnte.“

16

§ 87 DP bestimmte:

„Beamte, welche ihre Standes- und Amtspflichten verletzen, werden unbeschadet ihrer strafgesetzlichen Verantwortlichkeit mit Ordnungs- oder Disziplinarstrafen belegt, je nachdem sich die Pflichtverletzung nur als eine Ordnungswidrigkeit oder mit Rücksicht auf die Schädigung oder die Gefährdung staatlicher Interessen, auf die Art oder die Schwere der Verfehlung, auf die Wiederholung oder auf sonstige erschwerende Umstände als ein Dienstvergehen darstellt.“

17

§ 93 DP sah in Abs. 1 vor:

„Disziplinarstrafen sind:

a)

der Verweis,

b)

die Ausschließung von der Vorrückung in höhere Bezüge,

c)

die Minderung des Monatsbezuges unter Ausschluss der Haushaltszulage,

d)

die Versetzung in den Ruhestand mit gemindertem Ruhegenuss,

e)

die Entlassung.“

18

Art. 97 DP lautete:

„(1)   Die strafweise Versetzung in den Ruhestand kann entweder für einen bestimmten Zeitraum oder dauernd erfolgen. Der Abzug von dem normalgemäßen Ruhegenuss (der Abfertigung) ist mit höchstens 25 Prozent festzusetzen.

(2)   Nach Ablauf des im Erkenntnis bestimmten Zeitraumes ist der Beamte so zu behandeln, als wäre er zur Zeit der Rechtskraft des Disziplinarerkenntnisses auf Grund des § 76 in den zeitlichen Ruhestand versetzt worden.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

19

E.B. ist männlich, 1942 geboren und Bundesbeamter der Polizei im Ruhestand.

20

Mit Urteil vom 10. September 1974 verurteilte das Landesgericht für Strafsachen Wien (Österreich) E.B., damals Polizeibeamter des Aktivstandes, auf der Grundlage von § 129 I StG wegen eines am 25. Februar 1974 begangenen Versuchs der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit zwei Minderjährigen zu einer Freiheitsstrafe, die unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

21

E.B. legte gegen dieses Urteil Berufung beim Oberlandesgericht Wien (Österreich) ein, das diese zurückwies.

22

Mit Erkenntnis vom 10. Juni 1975 (im Folgenden: Disziplinarerkenntnis vom 10. Juni 1975) erkannte die Disziplinarkommission bei der Bundespolizeidirektion Wien (Österreich) E.B. für schuldig, seine Standespflichten dadurch verletzt zu haben, dass er zwei männliche, 14 bzw. 15 Jahre alte Minderjährige aufgefordert habe, sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen, weshalb er wegen des Verbrechens der versuchten gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Jugendlichen nach den §§ 8 und 129 I StG verurteilt worden sei. In diesem Erkenntnis heißt es: „Er hat dadurch ein Dienstvergehen … begangen; es wird deshalb über ihn die Disziplinarstrafe der Versetzung in den dauernden Ruhestand mit gemindertem Ruhegenuss verhängt und der Abzug von dem normalmäßigen Ruhegenuss mit 25 % (fünfundzwanzig Prozent) festgesetzt (§ 93 Abs. 1 lit. d in Verbindung mit § 97 Abs. 1 DP).“

23

E.B. legte gegen dieses Erkenntnis bei der Disziplinaroberkommission beim Bundesministerium für Inneres (Österreich) Berufung ein, die mit Disziplinarerkenntnis vom 24. März 1976 (im Folgenden: bestätigendes Disziplinaranerkenntnis vom 24. März 1976) abgewiesen wurde. Infolgedessen wurde E.B. mit Wirkung vom 1. April 1976 in den Ruhestand versetzt. Nach den Angaben in der Vorlageentscheidung wäre E.B. in Ermangelung dieses Disziplinarerkenntnisses gemäß den österreichischen Rechtsvorschriften zum 1. Jänner 2008 in den Ruhestand getreten.

24

Mit Bescheid vom 17. Mai 1976 wurde der Ruhebezug von E.B. auf Basis seiner Ruhestandsversetzung mit Wirkung vom 1. April 1976 und unter Berücksichtigung der von der Disziplinarbehörde verfügten 25%igen Kürzung bemessen.

25

Am 2. Juni 2008 beantragte E.B. bei der Disziplinarbehörde u. a., das Disziplinarerkenntnis vom 10. Juni 1975 aufzuheben und das Disziplinarverfahren gegen ihn einzustellen.

26

Mit Bescheid vom 17. Juni 2009 wies die Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt (Österreich) diese Anträge zurück.

27

Mit Erkenntnis vom 26. Jänner 2012 wies der Verwaltungsgerichtshof (Österreich) die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde von E.B. als unbegründet ab.

28

Zudem stellte E.B. am 11. Februar 2009 an die Pensionsbehörde einen Antrag auf die Bemessung und Nachzahlung von Aktiv- bzw. von höheren Ruhebezügen. Er vertrat in erster Linie die Auffassung, zur Vermeidung der bestehenden Diskriminierung sei er besoldungs- und pensionsrechtlich so zu stellen, als hätte er bis zur Erreichung seines gesetzlichen Pensionsalters Aktivdienst geleistet. Hilfsweise machte er geltend, es stünde ihm zumindest der ungekürzte Ruhegenuss zu.

29

Mit Bescheid vom 9. Oktober 2013 wies der Bundesminister für Inneres den Antrag von E.B. auf Nachzahlung von Aktivbezügen ab. Er war im Wesentlichen der Auffassung, dass E.B. keinen Schaden erlitten habe, da seine durch den Entfall der Dienstleistung für den Bund in der Privatwirtschaft erzielten Einkünfte höher gewesen seien als die, die er erzielt hätte, wenn er seinen Posten als Bundesbeamter behalten hätte.

30

Mit Bescheid vom 11. Juni 2015 wies die Versicherungsanstalt öffentlicher Bediensteter die zwischenzeitlich teilweise modifizierten Anträge von E.B. auf Gewährung höherer Ruhebezüge ab.

31

Mit Erkenntnis vom 25. Mai 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht (Österreich) die von E.B. gegen diesen letztgenannten Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab.

32

E.B. legte gegen dieses Erkenntnis beim Verwaltungsgerichtshof Revision ein. In der Begründung des Antrags auf Zulassung seiner Revision wird u. a. die Frage aufgeworfen, ob die Rechtskraftwirkungen des bestätigenden Disziplinarerkenntnisses vom 24. März 1976 durch das Diskriminierungsverbot gemäß Art. 2 der Richtlinie 2000/78 für die entscheidungsgegenständlichen Ruhebezugsansprüche nicht obsolet geworden seien.

33

Der Verwaltungsgerichtshof war der Auffassung, dass das von E.B. eingeleitete Revisionsverfahren zulässig sei, da er mit seiner Zulassungsbegründung die Frage nach der Auslegung von Art. 2 der Richtlinie 2000/78 aufwerfe.

34

Der Verwaltungsgerichtshof geht außerdem von dem Grundsatz aus, dass das Erkenntnis der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 17. Juni 2009 die Frage einer Begrenzung der Rechtskraftwirkung des bestätigenden Disziplinarerkenntnisses vom 24. März 1976 noch nicht mit Bindungswirkung entschieden habe.

35

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts steht fest, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Disziplinarerkenntnisses vom 10. Juni 1975 und des bestätigenden Disziplinarerkenntnisses vom 24. März 1976 keine unionsrechtliche Vorschrift den Sanktionen entgegengestanden habe, die gegen E.B. aus den damals herangezogenen Gründen verhängt worden seien.

36

Nach dem Inkrafttreten der Richtlinie 2000/78 könne jedoch eine vergleichbare Disziplinarstrafe in Österreich nicht mehr verhängt werden. Es sei nämlich nicht mehr erlaubt, auch für die Zwecke des Disziplinarrechts zwischen der Aufforderung einer mündigen minderjährigen Person zu homosexuellen Handlungen durch Erwachsene und jener zu heterosexuellen oder lesbischen Handlungen durch Erwachsene zu differenzieren. Offensichtlich beruhe das Disziplinarerkenntnis vom 10. Juni 1975 aber auf einer solchen Differenzierung, da es sich im Wesentlichen auf die damalige gerichtliche Strafbarkeit der E.B. wegen ihres gleichgeschlechtlichen Charakters vorgeworfenen Handlungen gestützt habe. Auch wenn nicht ausgeschlossen werden könne, dass eine vergleichbare Aufforderung zu heterosexuellen oder lesbischen Handlungen als damals disziplinär zu ahnende Anstandsverletzung ausgelegt worden wäre, wäre die disziplinarrechtliche Sanktion, die eventuell gegen den der Unzucht für schuldig befundenen Beamten hätte verhängt werden können, in Ermangelung der Verwirklichung des Tatbestands des § 129 I StG ungleich milder ausgefallen. Insbesondere wären die von E.B. begangenen Taten nicht geeignet gewesen, die Versetzung in den Ruhestand als Disziplinarstrafe zu rechtfertigen.

37

Das Inkrafttreten der Richtlinie 2000/78 könnte jedoch die Rechtslage im Ausgangsverfahren dahin geändert haben, dass für die Zeiträume nach diesem Inkrafttreten der E.B. gezahlte Ruhegenuss diskriminierungsfrei zu berechnen wäre. In diesem Zusammenhang verweist das vorlegende Gericht auf das Urteil des Gerichtshofs vom 29. April 1999, Ciola (C‑224/97, EU:C:1999:212).

38

Vor diesem Hintergrund hat der Verwaltungsgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Steht Art. 2 der Richtlinie 2000/78 der Aufrechterhaltung der Rechtsgestaltungswirkung einer nach nationalem Recht in Rechtskraft erwachsenen Verwaltungsentscheidung im Bereich des Beamtendisziplinarrechts (Disziplinarerkenntnis), mit welcher eine Versetzung des Beamten in den Ruhestand unter Kürzung der Ruhebezüge verfügt wurde, entgegen, wenn für die genannte Verwaltungsentscheidung im Zeitpunkt ihrer Erlassung Bestimmungen des Unionsrechts, insbesondere die Richtlinie 2000/78, noch nicht maßgebend waren, jedoch eine (gedachte) gleichartige Entscheidung gegen die Richtlinie verstieße, wenn sie im zeitlichen Geltungsbereich dieser Richtlinie erlassen würde?

2.

Bejahendenfalls, ist es für die Herstellung eines diskriminierungsfreien Zustands

a)

unionsrechtlich erforderlich, den Beamten für Zwecke der Bemessung seines Ruhebezugs so zu stellen, als hätte er sich im Zeitraum zwischen dem Wirksamwerden der Verwaltungsentscheidung und seinem gesetzlichen Pensionsantrittsalter nicht im Ruhestand, sondern im Aktivstand befunden, oder ist es

b)

hierfür ausreichend, den ungekürzten Ruhebezug, welcher infolge Ruhestandsversetzung zu dem in der Verwaltungsentscheidung genannten Zeitpunkt zusteht, als gebührlich zu erkennen?

3.

Hängt die Beantwortung der Frage 2 davon ab, ob der Beamte die faktische Aufnahme einer aktiven Tätigkeit im Bundesdienst vor Erreichen des Pensionsalters initiativ angestrebt hat?

4.

Falls (allenfalls auch in Abhängigkeit von den in der Frage 3 genannten Umständen) eine Rückgängigmachung der prozentuellen Kürzung des Ruhebezugs als ausreichend angesehen wird:

Kann das Diskriminierungsverbot der Richtlinie einen vom nationalen Richter bei Bemessung des Ruhebezugs zu beachtenden Anwendungsvorrang vor entgegenstehendem nationalem Recht auch für Bezugsperioden begründen, welche vor Eintritt der unmittelbaren innerstaatlichen Anwendbarkeit der Richtlinie gelegen sind?

5.

Bei Bejahung der Frage 4: Auf welchen Zeitpunkt bezieht sich eine solche „Rückwirkung“?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

39

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass er auf die Rechtsgestaltungswirkung eines in Rechtskraft erwachsenen Disziplinarerkenntnisses, das vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie erlassen wurde und mit dem die Versetzung eines Beamten in den vorzeitigen Ruhestand unter Kürzung seiner Ruhebezüge angeordnet wurde, anwendbar ist.

40

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich sowohl aus dem Titel und den Erwägungsgründen als auch aus dem Inhalt und der Zielsetzung der Richtlinie 2000/78, dass diese einen allgemeinen Rahmen schaffen soll, der gewährleistet, dass jeder „in Beschäftigung und Beruf“ gleich behandelt wird, indem sie dem Betroffenen einen wirksamen Schutz vor Diskriminierungen aus einem der in ihrem Art. 1 genannten Gründe – darunter auch die sexuelle Orientierung – bietet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juni 2009, Hütter, C‑88/08, EU:C:2009:381, Rn. 33, und vom 19. September 2018, Bedi, C‑312/17, EU:C:2018:734, Rn. 28).

41

Zur Beantwortung der ersten vom vorlegenden Gericht gestellten Frage ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob eine Situation wie die vom Disziplinarerkenntnis vom 10. Juni 1975 geschaffene in den sachlichen Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 fällt.

42

Insoweit ergibt sich zunächst aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/78, dass diese im Rahmen der auf die Union übertragenen Zuständigkeiten „für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen“, u. a. in Bezug auf „die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts“, gilt (Urteil vom 12. Oktober 2010, Ingeniørforeningen i Danmark, C‑499/08, EU:C:2010:600, Rn. 20, und vom 24. November 2016, Parris, C‑443/15, EU:C:2016:897, Rn. 32).

43

Im vorliegenden Fall wurde der Polizeibeamte E.B. aufgrund einer Disziplinarstrafe unter Kürzung seiner Ruhebezüge um 25 % vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass das Disziplinarerkenntnis vom 10. Juni 1975, da es zu einer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand geführt hat, seine Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/78 beeinträchtigt hat.

44

Für die Beurteilung, ob Ruhebezüge wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 fallen, ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich dieser Geltungsbereich im Licht ihres Art. 3 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 unter Berücksichtigung ihres 13. Erwägungsgrundes nicht auf die Systeme der Sozialversicherung und des sozialen Schutzes erstreckt, deren Leistungen nicht einem Arbeitsentgelt in dem Sinne gleichgestellt werden, der diesem Begriff für die Anwendung von Art. 157 Abs. 2 AEUV zugemessen wurde (Urteile vom 6. Dezember 2012, Dittrich u. a., C‑124/11, C‑125/11 und C‑143/11, EU:C:2012:771, Rn. 31, sowie vom 19. September 2018, Bedi, C‑312/17, EU:C:2018:734, Rn. 30).

45

Insoweit kann nur das Kriterium, dass das Ruhegehalt dem Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses mit seinem früheren Arbeitgeber gezahlt wird, d. h. das aus dem Wortlaut dieses Artikels selbst abgeleitete Kriterium der Beschäftigung, entscheidend sein (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. September 1994, Beune, C‑7/93, EU:C:1994:350, Rn. 43, und vom 1. April 2008, Maruko, C‑267/06, EU:C:2008:179, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46

In diesem Kontext fällt in den Geltungsbereich dieses Artikels die Rente, die nur für eine besondere Gruppe von Arbeitnehmern gilt und die unmittelbar von der abgeleisteten Dienstzeit abhängt und deren Höhe nach den letzten Bezügen berechnet wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. April 2008, Maruko, C‑267/06, EU:C:2008:179, Rn. 47 und 48, sowie vom 24. November 2016, Parris, C‑443/15, EU:C:2016:897, Rn. 35).

47

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, anhand dieser Gesichtspunkte zu prüfen, ob die E.B. gezahlten Ruhebezüge in den Geltungsbereich von Art. 157 AEUV fallen, und insbesondere, ob diese Ruhebezüge im nationalen Recht als ein Entgelt angesehen werden, das wie die Versorgungsbezüge, um die es in der Rechtssache ging, in der das Urteil vom 21. Januar 2015, Felber (C‑529/13, EU:C:2015:20), ergangen ist, im Rahmen eines nach Übertritt des Beamten in den Ruhestand weiter bestehenden Dienstverhältnisses fortgezahlt wird.

48

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen und sofern die E.B. gezahlten Ruhebezüge unter den Begriff „Entgelt“ im Sinne von Art. 157 AEUV und damit der Richtlinie 2000/78 fallen, unterliegt eine Situation wie die vom Disziplinarerkenntnis vom 10. Juni 1975 geschaffene dem sachlichen Geltungsbereich dieser Richtlinie.

49

In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob eine solche Situation in den zeitlichen Geltungsbereich dieser Richtlinie fällt.

50

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine neue Rechtsnorm ab dem Inkrafttreten des Rechtsakts anwendbar, mit dem sie eingeführt wird; sie ist zwar nicht auf unter dem alten Recht entstandene und endgültig erworbene Rechtspositionen anwendbar, doch findet sie auf deren künftige Wirkungen sowie auf neue Rechtspositionen Anwendung. Etwas anderes gilt nur – und vorbehaltlich des Verbots der Rückwirkung von Rechtsakten –, wenn zusammen mit der Neuregelung besondere Vorschriften getroffen werden, die speziell die Voraussetzungen für ihre zeitliche Geltung regeln (Urteile vom 16. Dezember 2010, Stichting Natuur en Milieu u. a., C‑266/09, EU:C:2010:779, Rn. 32, sowie vom 26. März 2015, Kommission/Moravia Gas Storage, C‑596/13 P, EU:C:2015:203, Rn. 32).

51

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass das Disziplinarerkenntnis vom 10. Juni 1975 vor der Anwendung der Richtlinie 2000/78 eine endgültige Rechtslage hat entstehen lassen.

52

Ein Erkenntnis wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende kann daher in Ermangelung besonderer dahin gehender Bestimmungen in der Richtlinie 2000/78 für die Zeit vor Ablauf der Umsetzungsfrist dieser Richtlinie nicht an den Geltungsbereich des Unionsrechts anknüpfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Mai 2011, Römer, C‑147/08, EU:C:2011:286, Rn. 61).

53

Somit hat die Richtlinie 2000/78 erst ab dem Ablauf ihrer Umsetzungsfrist, d. h. dem 3. Dezember 2003, dazu geführt, dass die Wirkungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung in den Geltungsbereich des Unionsrechts fallen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Mai 2011, Römer, C‑147/08, EU:C:2011:286, Rn. 63).

54

Der österreichische Staat hat zwar begonnen, gemäß dem Disziplinarerkenntnis vom 10. Juni 1975 E.B. ab dem Jahr 1976 wiederkehrende Ruhebezüge zu zahlen, er hat jedoch diese Ruhebezüge nach dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2000/78 fortgezahlt.

55

Wegen der Fortzahlung der Ruhebezüge von E.B. hat dieses Erkenntnis, auch wenn es zwar vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2000/78 bestandskräftig geworden ist, somit jedoch nicht all seine Rechtswirkungen vor dem Ablauf dieser Frist erschöpft, sondern erzeugt vielmehr nach diesem Ablauf während der gesamten Dauer des Ruhestands des Betroffenen weiterhin wiederkehrend seine Rechtswirkungen.

56

Infolgedessen stellt in Anbetracht der in Rn. 50 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung die vom Disziplinarerkenntnis vom 10. Juni 1975 geschaffene Situation eine Situation dar, die vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2000/78 entstanden ist, deren zukünftige Wirkungen aber gemäß dem Grundsatz, wonach neue Vorschriften sofort auf solche zukünftigen Wirkungen anwendbar sind, ab dem Ablauf ihrer Umsetzungsfrist von dieser Richtlinie geregelt werden.

57

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 2 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass er nach dem Ablauf der Umsetzungsfrist dieser Richtlinie, d. h. ab dem 3. Dezember 2003, auf die zukünftigen Wirkungen eines in Rechtskraft erwachsenen Disziplinarerkenntnisses, das vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie erlassen wurde und mit dem die Versetzung eines Beamten in den vorzeitigen Ruhestand unter Kürzung seiner Ruhebezüge angeordnet wurde, anwendbar ist.

Zu den Fragen 2 bis 5

58

Mit seinen Fragen 2 bis 5, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht in Anbetracht der Antwort auf die erste Frage wissen, ob und inwiefern die Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass sie das nationale Gericht verpflichtet, die Rechtsgestaltungswirkung des in Rechtskraft erwachsenen Disziplinarerkenntnisses, mit dem die Versetzung eines Beamten in den vorzeitigen Ruhestand unter Kürzung seiner Ruhebezüge angeordnet wurde, zu überprüfen.

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Zunächst ist festzustellen, dass die österreichische Regierung geltend macht, dass die auf E.B. anwendbaren Standesregeln, die Beamte zur Wahrung des Standesansehens in und außer Dienst verpflichteten, homosexuelle wie heterosexuelle Personen, die straffällig geworden seien, gleichermaßen betroffen hätten. Diese Regeln hätten daher keine unmittelbare Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung begründet.

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Wie jedoch das vorlegende Gericht in seiner Vorlageentscheidung festgestellt hat und wie aus Rn. 36 des vorliegenden Urteils hervorgeht, wurde das Disziplinarerkenntnis vom 10. Juni 1975, das durch das bestätigende Disziplinarerkenntnis vom 24. März 1976 gebilligt wurde, zentral auf die (damalige) gerichtliche Strafbarkeit des E.B. angelasteten Verhaltens gemäß einer Vorschrift des österreichischen Rechts gestützt, die gleichgeschlechtliche Unzucht einer Person männlichen Geschlechts mit einer Person, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, unter Strafe stellte, aber Unzucht durch eine heterosexuelle Person oder durch eine homosexuelle Person weiblichen Geschlechts mit einer Person, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, nicht unter Strafte stellte. Das vorlegende Gericht hebt auch hervor, dass eine allfällige disziplinarrechtliche Sanktion in Ermangelung der Verwirklichung des von dieser Bestimmung des österreichischen Strafrechts vorgesehenen Tatbestands der männlich gleichgeschlechtlichen Unzucht ungleich milder ausgefallen wäre.

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Daraus folgt, dass eine Situation wie die aus dem Disziplinarerkenntnis vom 10. Juni 1975 resultierende, die auf einer auf die sexuelle Orientierung gestützten Ungleichbehandlung beruht, eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 darstellt.

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Nach dieser Feststellung ist zu bemerken, dass die Disziplinarstrafe, die darin bestand, E.B. in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen, zum 1. April 1976 wirksam wurde. Diese Sanktion ist vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2000/78 bestandskräftig geworden und hat zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens alle ihre Wirkungen erschöpft. Sie kann daher in Anbetracht der Antwort auf die erste Frage auf der Grundlage dieser Richtlinie nicht mehr in Frage gestellt werden. Die Tatsache, dass das vorlegende Gericht darauf hinweist, dass die Versetzung von E.B. in den Ruhestand als Disziplinarstrafe nicht hätte verhängt werden dürfen, wenn die ihm vorgeworfenen Taten damals nicht strafbar gewesen wären, ändert an dieser Feststellung nichts.

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Unter diesen Umständen kann eine Person wie E.B. sich nicht auf die Bestimmungen der Richtlinie 2000/78 berufen, um die Wiederherstellung der beruflichen Laufbahn zu erlangen, die sie gehabt hätte, wenn das Disziplinarerkenntnis vom 10. Juni 1975 nicht erlassen worden wäre.

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Daher kann eine Person wie E.B. für die Zwecke der Berechnung der Höhe ihrer Ruhebezüge nicht so angesehen werden, als habe sie sich in der Zeit vom Wirksamwerden des Disziplinarerkenntnisses vom 10. Juni 1975 bis zum Erreichen des gesetzlichen Pensionsantrittsalters in der Situation eines Beamten im Aktivstand befunden. Folglich verlangt das Unionsrecht vom österreichischen Staat nicht die Zahlung eines Entgelts oder die Anerkennung eines Pensionsanspruchs für diesen Zeitraum.

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Was hingegen die Sanktion betrifft, die in der Kürzung der Ruhebezüge von E.B. um 25 % auf der Grundlage seiner Versetzung in den Ruhestand ab dem 1. April 1976 besteht, ist hervorzuheben, dass die Wirkungen, die diese Sanktion vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2000/78 hervorgerufen hat, in Anbetracht der Antwort auf die erste Frage auf der Grundlage dieser Richtlinie zwar nicht in Frage gestellt werden können, diese Ruhebezüge jedoch weiterhin regelmäßig an E.B. gezahlt werden. Damit verlangt die Anwendung der Richtlinie 2000/78 ab dem Zeitpunkt des Ablaufs ihrer Umsetzungsfrist gemäß der in Rn. 50 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung, dass ab diesem Zeitpunkt die Kürzung der Ruhebezüge von E.B. überprüft wird, um die Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Ausrichtung zu beenden. Die im Rahmen dieser Überprüfung vorzunehmende Berechnung ist auf der Grundlage der Ruhebezüge durchzuführen, auf die E.B. unter Berücksichtigung seiner Versetzung in den Ruhestand ab dem 1. April 1976 Anspruch gehabt hätte.

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In diesem Zusammenhang muss das vorlegende Gericht prüfen, inwiefern gegen einen Beamten, der zur selben Zeit einen dem Verstoß von E.B. vergleichbaren Verstoß gegen seine Standespflichten begangen hat, eine Disziplinarstrafe verhängt worden wäre, wenn der männlich gleichgeschlechtliche Charakter dieses Verstoßes außer Acht gelassen worden wäre.

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Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht erklärt, dass, auch wenn nicht ausgeschlossen werden könne, dass eine vergleichbare Aufforderung eines Minderjährigen zu heterosexuellen oder lesbischen Handlungen als Verletzung der den Polizeibeamten obliegenden Standespflichten ausgelegt und geahndet worden wäre, die gegen E.B. verhängte Disziplinarstrafe in Ermangelung der Verwirklichung des von der in Rede stehenden Bestimmung des österreichischen Strafrechts vorgesehenen Tatbestands ungleich milder ausgefallen wäre. Unter diesen Umständen obliegt es ihm, zu ermitteln, ob diese Verletzung zu einer Disziplinarstrafe geführt hätte, die zu einer Kürzung der Ruhebezüge geführt hätte, und gegebenenfalls, wie hoch diese Kürzung der Ruhebezüge ausgefallen wäre, die gegen E.B. als Disziplinarstrafe bei Fehlen jeder Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Orientierung verhängt worden wäre, wobei eine solche Kürzung gegebenenfalls weniger als 25 % betragen muss.

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Im Rahmen der Anwendung der Richtlinie 2000/78 und wenn es darum geht, einer Diskriminierung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden abzuhelfen, indem der maßgebende Prozentsatz der Kürzung der Ruhebezüge von E.B. ermittelt wird, ist unerheblich, ob sich die betreffende Person vor dem Erreichen des gesetzlichen Pensionsantrittsalters spontan darum bemüht hat, eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst aufzunehmen, oder ob sie während ihres Vorruhestands in der Privatwirtschaft gearbeitet hat.

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Das vorlegende Gericht muss somit die Höhe der Ruhebezüge ermitteln, die E.B. für die Zeit ab dem 3. Dezember 2003 zu zahlen sind.

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Nach alledem ist auf die Fragen 2 bis 5 zu antworten, dass die Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass sie in einer Situation wie der in Rn. 57 des vorliegenden Urteils beschriebenen das nationale Gericht verpflichtet, für die Zeit ab dem 3. Dezember 2003 zwar nicht die bestandskräftige Disziplinarstrafe, mit der der betreffende Beamte in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde, aber die Kürzung seiner Ruhebezüge zu überprüfen, um den Betrag zu ermitteln, den er erhalten hätte, wenn er nicht aufgrund der sexuellen Orientierung diskriminiert worden wäre.

Kosten

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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass er nach dem Ablauf der Umsetzungsfrist dieser Richtlinie, d. h. ab dem 3. Dezember 2003, auf die zukünftigen Wirkungen einer in Rechtskraft erwachsenen Disziplinarentscheidung, die vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie erlassen wurde und mit der die Versetzung eines Beamten in den vorzeitigen Ruhestand unter Kürzung seiner Ruhebezüge angeordnet wurde, anwendbar ist.

 

2.

Die Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass sie in einer Situation wie der in Nr. 1 des Tenors des vorliegenden Urteils beschriebenen das nationale Gericht verpflichtet, für die Zeit ab dem 3. Dezember 2003 zwar nicht die bestandskräftige Disziplinarstrafe, mit der der betreffende Beamte in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde, aber die Kürzung seiner Ruhebezüge zu überprüfen, um den Betrag zu ermitteln, den er erhalten hätte, wenn er nicht aufgrund der sexuellen Orientierung diskriminiert worden wäre.

 

Lenaerts

Silva de Lapuerta

Prechal

Vilaras

Regan

von Danwitz

Jürimäe

Lycourgos

Juhász

Ilešič

Malenovský

Safjan

Šváby

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. Januar 2019.

Der Kanzler

A. Calot Escobar

Der Präsident

K. Lenaerts


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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