Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-389/17

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

16. Januar 2019(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Aufnahme der Tätigkeit von E‑Geld‑Instituten – Richtlinie 2009/110/EG – Art. 5 Abs. 2 und 3 – Vorschriften über Eigenmittel – Für die Ausübung von mit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung stehenden Tätigkeiten erforderliche Eigenmittel – Begriff ‚mit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung stehende Tätigkeit‘ – Ausgabe des E‑Geldes zugunsten des Verkäufers zum Nennwert der erhaltenen Geldbeträge“

In der Rechtssache C‑389/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht von Litauen) mit Entscheidung vom 21. Juni 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Juni 2017, in dem Verfahren auf Betreiben der

„Paysera LT“ UAB, vormals „EVP International“ UAB,

Beteiligte:

Lietuvos bankas,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter J.‑C. Bonichot, E. Regan (Berichterstatter), C. G. Fernlund und S. Rodin,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der litauischen Regierung, vertreten durch R. Krasuckaitė, G. Taluntytė, V. Vasiliauskienė und D. Kriaučiūnas als Bevollmächtigte,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Tserepa-Lacombe und A. Steiblytė als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Oktober 2018

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 5 Abs. 2 und 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2009/110/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Aufnahme, Ausübung und Beaufsichtigung der Tätigkeit von E‑Geld-Instituten, zur Änderung der Richtlinien 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2000/46/EG (ABl. 2009, L 267, S. 7).

2        Es ergeht im Rahmen eines von der „Paysera LT“ UAB, vormals „EVP International“ UAB (im Folgenden: Paysera), betriebenen Verfahrens wegen einer Entscheidung des Lietuvos banko Priežiūros tarnyba (Aufsichtsgremium der Bank von Litauen), mit der dieses ihr gegenüber eine Verwarnung aufgrund einer unkorrekten Anwendung der Methoden zur Berechnung des Eigenkapitals bei bestimmten Zahlungsvorgängen (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) ausgesprochen hat.

 Rechtlicher Rahmen

 Richtlinie 2009/110

3        Die Erwägungsgründe 2, 7 bis 9 und 11 der Richtlinie 2009/110 lauten:

„(2)      Die Kommission hob in ihrer Überprüfung der Richtlinie 2000/46/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. September 2000 über die Aufnahme, Ausübung und Beaufsichtigung der Tätigkeit von E‑Geld-Instituten (ABl. 2000, L 275, S. 39)] hervor, dass die Richtlinie geändert werden muss, da einige ihrer Bestimmungen die Entstehung eines echten Binnenmarkts für E‑Geld-Dienstleistungen und die Entwicklung dieser benutzerfreundlichen Dienstleistungen offenbar verhindert haben.

(7)      Der Begriff ‚E‑Geld‘ sollte eindeutig definiert werden, damit er technisch neutral ist. Diese Definition sollte alle Fälle abdecken, in denen ein Zahlungsdienstleister geldwerte Einheiten gegen Vorauszahlung bereitstellt, die für Zahlungen verwendet werden können, weil sie von Dritten als Zahlung akzeptiert werden.

(8)      Die Definition des Begriffs ‚E‑Geld‘ sollte E‑Geld umfassen, unabhängig davon, ob es auf einem im Besitz des E‑Geld‑Inhabers befindlichen Datenträger oder räumlich entfernt auf einem Server gespeichert ist und vom E‑Geld‑Inhaber über ein bestimmtes Zahlungskonto für E‑Geld verwaltet wird. Die Definition sollte weit genug sein, um technologische Innovation nicht zu behindern und nicht nur alle schon heute im Markt verfügbaren E‑Geld-Produkte, sondern auch solche Produkte zu erfassen, die in Zukunft noch entwickelt werden könnten.

(9)      Die Aufsichtsregelungen für E‑Geld-Institute sollten überarbeitet und besser auf die Risiken dieser Institute abgestimmt werden. Außerdem sollten sie an die Aufsichtsregelungen angepasst werden, die im Rahmen der Richtlinie 2007/64/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG (ABl. 2007, L 319, S. 1)] für Zahlungsinstitute gelten. In diesem Zusammenhang sollten die relevanten Vorschriften der Richtlinie 2007/64/EG für E‑Geld-Institute entsprechend gelten, unbeschadet der Vorschriften der vorliegenden Richtlinie …

(11)      Um einen angemessenen Verbraucherschutz und eine solide und umsichtige Geschäftsführung von E‑Geld-Instituten zu gewährleisten, müssen deren Anfangskapital und deren laufende Kapitalausstattung geregelt werden. Angesichts der Besonderheiten von elektronischem Geld sollte eine weitere Methode zur Berechnung der laufenden Kapitalausstattung eingeführt werden. Ein vollständiger aufsichtsrechtlicher Ermessensspielraum sollte erhalten bleiben, um sicherzustellen, dass gleiche Risiken bei allen Zahlungsdienstleistern gleich behandelt werden und dass die Berechnungsmethode die besondere Geschäftssituation eines E‑Geld-Instituts berücksichtigt. Außerdem sollte vorgesehen werden, dass E‑Geld-Institute Geldbeträge der E‑Geld-Inhaber von den Geldbeträgen, die das E‑Geld-Institut für andere Geschäftsfelder vorhält, getrennt halten müssen. Auch sollten E‑Geld-Institute wirksamen Vorschriften gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung unterliegen.“

4        In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2009/110 heißt es:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

2.      ‚E‑Geld‘ jeden elektronisch – darunter auch magnetisch – gespeicherten monetären Wert in Form einer Forderung gegenüber dem Emittenten, der gegen Zahlung eines Geldbetrags ausgestellt wird, um damit Zahlungsvorgänge im Sinne des Artikels 4 Nummer 5 der Richtlinie 2007/64/EG durchzuführen, und der auch von anderen natürlichen oder juristischen Personen als dem E‑Geld-Emittenten angenommen wird;

…“

5        Art. 5 („Eigenmittel“) dieser Richtlinie bestimmt in seinen Abs. 2 und 3:

„(2)      Für die in Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a genannten Tätigkeiten, die nicht mit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung stehen, werden die Eigenmittelanforderungen eines E‑Geld-Instituts nach einer der drei in Artikel 8 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 2007/64/EG genannten Methoden (A, B oder C) berechnet. Die geeignete Methode wird von den zuständigen Behörden im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften festgelegt.

Für die Ausgabe von E‑Geld werden die Eigenmittelanforderungen eines E‑Geld-Instituts nach der in Absatz 3 dargelegten Methode D berechnet.

E‑Geld-Institute verfügen stets über einen Bestand an Eigenmitteln, der mindestens genauso hoch ist wie die Summe der in Unterabsatz 1 und 2 genannten Erfordernisse.

(3)      Methode D: Die Eigenmittel eines E‑Geld-Instituts für die Ausgabe von E‑Geld müssen sich mindestens auf 2 % des durchschnittlichen E‑Geld-Umlaufs belaufen.“

6        Art. 6 („Tätigkeiten“) der Richtlinie sieht in Abs. 1 Buchst. a vor:

„(1)      Neben der Ausgabe von E‑Geld sind den E‑Geld-Instituten folgende Tätigkeiten gestattet:

a)      Erbringung der im Anhang der Richtlinie 2007/64/EG genannten Zahlungsdienste“.

7        Art. 11 („Ausgabe und Rücktauschbarkeit“) der Richtlinie 2009/110 bestimmt in seinen Abs. 1 und 2:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass E‑Geld-Emittenten E‑Geld zum Nennwert des entgegengenommenen Geldbetrags ausgeben.

(2)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass E‑Geld-Emittenten den monetären Wert des gehaltenen E‑Geldes auf Verlangen des E‑Geld-Inhabers jederzeit zum Nennwert erstatten.“

 Richtlinie 2007/64/EG

8        Art. 4 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2007/64/EG vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG (ABl. 2007, L 319, S. 1) bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Begriff

3.      ‚Zahlungsdienst‘ jede im Anhang aufgeführte gewerbliche Tätigkeit;

5.      ‚Zahlungsvorgang‘ die bzw. der vom Zahler oder Zahlungsempfänger ausgelöste Bereitstellung, Transfer oder Abhebung eines Geldbetrags, unabhängig von etwaigen zugrunde liegenden Verpflichtungen im Verhältnis zwischen Zahler und Zahlungsempfänger;

…“

9        Art. 8 („Berechnung der Eigenmittel“) dieser Richtlinie sieht in seinen Abs. 1 und 2 vor:

„(1)      Ungeachtet des Anfangskapitals gemäß Artikel 6 schreiben die Mitgliedstaaten den Zahlungsinstituten vor, jederzeit Eigenmittel in einer Höhe zu halten, die nach einer der folgenden drei Methoden, wie von den zuständigen Behörden im Einklang mit dem jeweiligen innerstaatlichen Recht festgelegt, berechnet wird:

Methode A

Zahlungsinstitute müssen eine Eigenkapitalunterlegung aufweisen, die mindestens 10 % ihrer fixen Gemeinkosten des Vorjahrs entspricht. Die zuständigen Behörden können diese Anforderung bei einer gegenüber dem Vorjahr erheblich veränderten Geschäftstätigkeit eines Zahlungsinstituts berichtigen. Zahlungsinstitute, die ihre Geschäftstätigkeit zum Zeitpunkt der Berechnung seit weniger als einem Jahr ausüben, müssen eine Eigenkapitalanforderung in Höhe von 10 % der im Geschäftsplan vorgesehenen entsprechenden fixen Gemeinkosten erfüllen, sofern nicht die zuständigen Behörden eine Anpassung dieses Plans verlangen.

Methode B

Zahlungsinstitute müssen eine Eigenkapitalunterlegung aufweisen, die mindestens der Summe der folgenden Elemente multipliziert mit dem Skalierungsfaktor k gemäß der Festlegung in Absatz 2 entspricht, wobei das Zahlungsvolumen (ZV) einem Zwölftel der Gesamtsumme der von dem Zahlungsinstitut im Vorjahr ausgeführten Zahlungsvorgänge entspricht:

a)      4,0 % der Tranche des ZV bis 5 Mio. EUR

plus

b)      2,5 % der Tranche des ZV von über 5 Mio. EUR bis 10 Mio. EUR

plus

c)      1 % der Tranche des ZV von über 10 Mio. EUR bis 100 Mio. EUR

plus

d)      0,5 % der Tranche des ZV von über 100 Mio. EUR bis 250 Mio. EUR

plus

e)      0,25 % der Tranche des ZV über 250 Mio. EUR.

Methode C

Zahlungsinstitute müssen eine Eigenkapitalunterlegung aufweisen, die mindestens dem maßgeblichen Indikator gemäß Buchstabe a entspricht, multipliziert mit dem in Buchstabe b definierten Multiplikationsfaktor und mit dem in Absatz 2 festgelegten Skalierungsfaktor.

a)      Der maßgebliche Indikator ist die Summe der folgenden Bestandteile:

–        Zinserträge;

–        Zinsaufwand;

–        Einnahmen aus Provisionen und Entgelten; sowie

–        sonstige betriebliche Erträge.

In die Summe geht jeder Wert mit seinem positiven oder negativen Vorzeichen ein. Außerordentliche oder unregelmäßige Erträge dürfen nicht in die Berechnung des maßgeblichen Indikators einfließen. Aufwendungen für die Auslagerung von Dienstleistungen, die durch Dritte erbracht werden, dürfen den maßgeblichen Indikator dann mindern, wenn die Aufwendungen von einem Unternehmen getragen werden, das gemäß dieser Richtlinie beaufsichtigt wird. Der maßgebliche Indikator wird auf der Grundlage der letzten Zwölfmonatsbeobachtung, die am Ende des vorausgegangenen Geschäftsjahres erfolgt, errechnet. Der maßgebliche Indikator wird für das vorausgegangene Geschäftsjahr errechnet. Jedoch dürfen die nach der Methode C ermittelten Eigenmittel nicht weniger als 80 % des Betrags ausmachen, der als Durchschnittswert des maßgeblichen Indikators für die vorausgegangenen drei Geschäftsjahre errechnet wurde. Wenn keine geprüften Zahlen vorliegen, können Schätzungen verwendet werden.

b)      Der Multiplikationsfaktor entspricht:

i)      10 % der Tranche des maßgeblichen Indikators bis 2,5 Mio. EUR,

ii)      8 % der Tranche des maßgeblichen Indikators von über 2,5 Mio. EUR bis 5 Mio. EUR,

iii)      6 % der Tranche des maßgeblichen Indikators von über 5 Mio. EUR bis 25 Mio. EUR,

iv)      3 % der Tranche des maßgeblichen Indikators von über 25 Mio. EUR bis 50 Mio. EUR,

v)      1,5 % der Tranche des maßgeblichen Indikators über 50 Mio. EUR.

(2)      Der bei den Methoden B und C anzuwendende Skalierungsfaktor k entspricht:

a)      0,5, wenn das Zahlungsinstitut nur die in Nummer 6 des Anhangs genannten Zahlungsdienste betreibt;

b)      0,8, wenn das Zahlungsinstitut den in Nummer 7 des Anhangs genannten Zahlungsdienst betreibt;

c)      1,0, wenn das Zahlungsinstitut eine[n] oder mehrere der in den Nummern 1 bis 5 des Anhangs genannten Zahlungsdienste betreibt.“

10      Im Anhang („Zahlungsdienste [Artikel 4 Nummer 3]“) der Richtlinie 2007/64 ist die Liste der als solche angesehenen Tätigkeiten aufgeführt:

„1.      Dienste, mit denen Bareinzahlungen auf ein Zahlungskonto ermöglicht werden, sowie alle für die Führung eines Zahlungskontos erforderlichen Vorgänge.

2.      Dienste, mit denen Barabhebungen von einem Zahlungskonto ermöglicht werden, sowie alle für die Führung eines Zahlungskontos erforderlichen Vorgänge.

3.      Ausführung von Zahlungsvorgängen einschließlich des Transfers von Geldbeträgen auf ein Zahlungskonto beim Zahlungsdienstleister des Nutzers oder bei einem anderen Zahlungsdienstleister:

–        Ausführung von Lastschriften einschließlich einmaliger Lastschriften;

–        Ausführung von Zahlungsvorgängen mittels einer Zahlungskarte oder eines ähnlichen Instruments;

–        Ausführung von Überweisungen einschließlich Daueraufträgen.

4.      Ausführung von Zahlungsvorgängen, wenn die Beträge durch einen Kreditrahmen für einen Zahlungsdienstnutzer gedeckt sind:

–        Ausführung von Lastschriften einschließlich einmaliger Lastschriften;

–        Ausführung von Zahlungsvorgängen mittels einer Zahlungskarte oder eines ähnlichen Instruments;

–        Ausführung von Überweisungen einschließlich Daueraufträgen.

5.      Ausgabe von Zahlungsinstrumenten und/oder Annahme und Abrechnung (‚acquiring‘) von Zahlungsinstrumenten.

6.      Finanztransfer.

7.      Ausführung von Zahlungsvorgängen, bei denen die Zustimmung des Zahlers zur Ausführung eines Zahlungsvorgangs über ein Telekommunikations‑, Digital- oder IT‑Gerät übermittelt wird und die Zahlung an den Betreiber des Telekommunikations- oder IT‑Systems oder ‑Netzes erfolgt, der ausschließlich als zwischengeschaltete Stelle zwischen dem Zahlungsdienstnutzer und dem Lieferanten der Waren und Dienstleistungen fungiert.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

11      Paysera ist eine Gesellschaft litauischen Rechts, die über Lizenzen als E‑Geld-Institut und als Zahlungsinstitut verfügt, die ihr von der Lietuvos bankas (Bank von Litauen) erteilt wurden und sie dazu berechtigen, E‑Geld auszugeben und mit der Ausgabe dieses Geldes in Verbindung stehende Dienste sowie andere Zahlungsdienste zu erbringen.

12      Nach einer Überprüfung der Tätigkeit von Paysera durch das Aufsichtsgremium der Bank von Litauen hat dieses mit der angefochtenen Entscheidung eine Verwarnung gegenüber dieser Gesellschaft ausgesprochen und ihr aufgegeben, den Verstoß gegen die Regeln für die Berechnung der Eigenmittel von E‑Geld-Instituten zu beenden.

13      Das Aufsichtsgremium der Bank von Litauen hat nämlich folgende von der Klägerin des Ausgangsverfahrens ausgeübte Tätigkeiten nicht als mit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung stehende Zahlungsdienste anerkannt:

–        Zahlungen (Überweisungen) durch einen E‑Geld-Inhaber von einem E‑Geld-Konto, das er bei einem E‑Geld-Institut besitzt, auf Konten eines Dritten bei einem Kreditinstitut (im Folgenden: Dienst I);

–        den Einzug von Zahlungen für Waren und/oder Dienstleistungen, die von den über E‑Geld-Konten verfügenden Kunden eines E‑Geld-Instituts (Händler) geliefert bzw. erbracht werden, bei solche Waren oder Dienstleistungen erwerbenden Personen (Käufer), die nicht am E‑Geld-System teilnehmen (im Folgenden: Dienst II).

14      In der Folge legte die Klägerin des Ausgangsverfahrens, da die Klage gegen die angefochtene Entscheidung mit Entscheidung des Vilniaus apygardos administracinis teismas (Regionales Verwaltungsgericht Vilnius, Litauen) vom 13. Januar 2016 abgewiesen worden war, ein Rechtsmittel beim Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht von Litauen) ein.

15      Das vorlegende Gericht fragt sich, ob die Dienste I und II als „mit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung stehende Zahlungsdienste“ anzusehen sind.

16      Unter diesen Umständen hat das Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht von Litauen) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 5 Abs. 2 im Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2009/110 dahin auszulegen, dass unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles die folgenden Vorgänge als Zahlungsdienste anzusehen sind, die (nicht) in Verbindung mit der Ausgabe von E‑Geld stehen:

a)      ein Zahlungsvorgang, bei dem auf Aufforderung (Anweisung) des E‑Geld‑Inhabers an das E‑Geld-Institut (den Emittenten) das zum Nennwert erstattete E‑Geld (rücktauschbare Geldbeträge) auf ein Bankkonto einer dritten Person transferiert wird;

b)      ein Zahlungsvorgang, bei dem der Käufer (Zahler) von Waren und/oder Dienstleistungen auf Anweisung des Verkäufers/Dienstleisters für die Waren und/oder Dienstleistungen zahlt, indem er einen Transfer/eine Zahlung von Geldbeträgen an ein E‑Geld-Institut (E‑Geld-Emittent) tätigt, das nach Erhalt der Geldbeträge E‑Geld zum Nennwert der erhaltenen Geldbeträge zugunsten des Verkäufers (E‑Geld-Inhaber) ausgibt?

 Zur Vorlagefrage

17      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2009/110 dahin auszulegen ist, dass von E‑Geld-Instituten im Rahmen von Zahlungsvorgängen erbrachte Dienste wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden mit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung stehende Tätigkeiten darstellen.

18      Insofern ist darauf hinzuweisen, dass E‑Geld-Institute gemäß Art. 5 dieser Richtlinie bestimmte Anforderungen in Bezug auf Eigenmittel erfüllen müssen.

19      Insbesondere ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 und 3 der Richtlinie, dass, was die Tätigkeit der Ausgabe von E‑Geld angeht, die Eigenmittelanforderungen eines E‑Geld-Instituts nach der Methode D berechnet werden und sich mindestens auf 2 % des durchschnittlichen E‑Geld-Umlaufs belaufen müssen.

20      Was hingegen die Tätigkeiten anbelangt, die nicht mit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung stehen und daher Zahlungsdienste im Sinne von Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2007/64 darstellen, werden die Eigenmittelanforderungen eines E‑Geld-Instituts nach einer der drei in Art. 8 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie genannten Methoden (A, B oder C) berechnet.

21      Folglich muss ein E‑Geld-Institut angesichts der bei diesen Methoden jeweils vorgesehenen Eigenmittelbeträge über mehr Eigenmittel verfügen, wenn diese nach den Methoden A, B oder C berechnet werden, als wenn sie nach der Methode D berechnet werden.

22      Daher ist festzustellen, dass Art. 5 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2009/110 für mit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung stehende Zahlungsdienste eine Ausnahme von den in der Richtlinie 2007/64 vorgesehenen Regeln über Eigenmittel schafft, soweit diese Dienste mit der Tätigkeit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung stehen.

23      Um festzustellen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienste mit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung stehende Tätigkeiten darstellen, ist somit festzustellen, ob diese Dienste untrennbar mit der Ausgabe oder dem Rücktausch von E‑Geld in Verbindung stehen.

24      Der Begriff „Ausgabe von E‑Geld“ wird in der Richtlinie 2009/110 nicht definiert; diese stellt lediglich in Art. 2 Abs. 2 klar, dass der Begriff „E‑Geld“ jeden elektronisch – darunter auch magnetisch – gespeicherten monetären Wert in Form einer Forderung gegenüber dem Emittenten bezeichnet, der gegen Zahlung eines Geldbetrags ausgestellt wird, um damit Zahlungsvorgänge im Sinne des Art. 4 Nr. 5 der Richtlinie 2007/64 durchzuführen, und der auch von anderen natürlichen oder juristischen Personen als dem E‑Geld-Emittenten angenommen wird.

25      Art. 4 Nr. 5 der Richtlinie 2007/64 definiert seinerseits den Zahlungsvorgang als vom Zahler oder Zahlungsempfänger ausgelöste Bereitstellung, Transfer oder Abhebung eines Geldbetrags, unabhängig von etwaigen zugrunde liegenden Verpflichtungen im Verhältnis zwischen Zahler und Zahlungsempfänger. Wie sich aus Art. 4 Nr. 3 dieser Richtlinie in Verbindung mit dem Anhang dieser Richtlinie ergibt, stellt die Ausführung eines Zahlungsvorgangs einschließlich des Transfers von Geldbeträgen auf ein Zahlungskonto außerdem einen Zahlungsdienst dar.

26      Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2009/110 die E‑Geld-Emittenten verpflichtet, den monetären Wert des gehaltenen E‑Geldes auf Verlangen des E‑Geld-Inhabers jederzeit zum Nennwert zu erstatten.

27      Was den Begriff „Rücktausch“ angeht, der in den Richtlinien 2007/64 und 2009/110 nicht definiert wird, besteht dieser in der Umwandlung des E‑Geldes zum Nennwert und der anschließenden Auszahlung der Geldbeträge auf Anweisung des E‑Geld-Inhabers. Diese Richtlinien verlangen insoweit nicht, dass diese Geldbeträge auf das Konto des E‑Geld-Inhabers oder auf das Konto eines Dritten eingezahlt werden.

28      Da die Ausgabe von E‑Geld bedingungslos und automatisch ein Rücktauschrecht impliziert, umfasst der Begriff „mit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung stehender Zahlungsdienst“ auch den Rücktausch des E‑Geldes im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2009/110.

29      Ein Zahlungsdienst, der zu dem Zweck erbracht wird, den Rücktausch des Nennwerts des E‑Geldes zu ermöglichen, stellt somit eine mit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung stehende Tätigkeit dar.

30      Um festzustellen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienste mit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung stehende Zahlungsdienste darstellen, ist daher festzustellen, ob die Erbringung dieser Dienste die Ausgabe oder den Rücktausch des E‑Geldes im Rahmen eines einzigen Zahlungsvorgangs auslöst.

31      Hierzu ist auszuführen, dass der Dienst I in einem Zahlungsvorgang besteht, bei dem das E‑Geld‑Institut auf Anweisung des E‑Geld-Inhabers die Geldbeträge zum Nennwert zurücktauscht und auf das Bankkonto eines Dritten transferiert.

32      Soweit die Geldbeträge einzig und allein zum Zwecke ihres Transfers und im Rahmen eines einzigen Zahlungsvorgangs zurückgetauscht werden, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist, kann ein Dienst wie der Dienst I als mit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung stehend im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2009/110 angesehen werden.

33      Der Dienst II besteht in einem Vorgang, bei dem der Käufer der Waren oder Dienstleistungen für diese auf Anweisung des Verkäufers Geldbeträge an das E‑Geld-Institut transferiert, das nach Erhalt dieser Geldbeträge das E‑Geld zugunsten des Verkäufers (E‑Geld-Inhaber) ausgibt.

34      Vorbehaltlich der Prüfung durch das vorlegende Gericht steht ein Dienst wie der Dienst II ebenfalls direkt mit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung, da der Transfer der Geldbeträge automatisch und im Rahmen eines einzigen Zahlungsvorgangs die Ausgabe von E‑Geld auslöst. Der Transfer der Geldbeträge steht somit mit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung.

35      Angesichts des Vorstehenden ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2009/110 dahin auszulegen ist, dass von E‑Geld-Instituten im Rahmen von Zahlungsvorgängen erbrachte Dienste wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden mit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung stehende Tätigkeiten im Sinne dieser Bestimmung darstellen, wenn diese Dienste die Ausgabe oder den Rücktausch von E‑Geld im Rahmen eines einzigen Zahlungsvorgangs auslösen.

 Kosten

36      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2009/110/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Aufnahme, Ausübung und Beaufsichtigung der Tätigkeit von EGeld-Instituten, zur Änderung der Richtlinien 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2000/46/EG ist dahin auszulegen, dass von EGeld-Instituten im Rahmen von Zahlungsvorgängen erbrachte Dienste wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden mit der Ausgabe von EGeld in Verbindung stehende Tätigkeiten im Sinne dieser Bestimmung darstellen, wenn diese Dienste die Ausgabe oder den Rücktausch von EGeld im Rahmen eines einzigen Zahlungsvorgangs auslösen.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Litauisch.

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