Urteil vom Europäischer Gerichtshof - C-74/18

Vorläufige Fassung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

17. Januar 2019(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2009/138/EG – Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit – Art. 13 Nr. 13 – Begriff des ‚Mitgliedstaats, in dem das Risiko belegen ist‘ – In einem Mitgliedstaat niedergelassene Gesellschaft, die Versicherungsdienstleistungen für vertragliche Risiken im Zusammenhang mit Umwandlungen von Gesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat erbringt – Art. 157 – Mitgliedstaat der Erhebung einer Steuer auf Versicherungsprämien“

In der Rechtssache C‑74/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Korkein hallinto-oikeus (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Finnland) mit Entscheidung vom 31. Januar 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Februar 2018, in dem Verfahren auf Betreiben der

A Ltd

Beteiligte:

Veronsaajien oikeudenvalvontayksikkö

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin C. Toader sowie der Richter A. Rosas und M. Safjan (Berichterstatter),

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,      

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Tserepa-Lacombe, A. Armenia und E. Paasivirta als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 13 und 157 der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (ABl. 2009, L 335, S. 1) in der durch die Richtlinie 2013/58/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 (ABl. 2013, L 341, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2009/138).

2        Es ergeht im Rahmen eines Verfahrens, das das Versicherungsunternehmen A Ltd wegen seines beim keskusverolautakunta (Zentraler Steuerausschuss, Finnland) gestellten Antrags auf einen Steuervorbescheid hinsichtlich der Bestimmung des zur Erhebung einer Steuer auf Versicherungsprämien berechtigten Mitgliedstaats eingeleitet hat.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2009/138

3        Gemäß Art. 13 Nr. 13 der Richtlinie 2009/138 bezeichnet der Ausdruck „Mitgliedstaat, in dem das Risiko belegen ist“ einen der nachfolgend genannten Mitgliedstaaten:

„a)      bei der Versicherung entweder von Gebäuden oder von Gebäuden und den darin befindlichen Sachen, sofern diese durch den gleichen Versicherungsvertrag gedeckt sind, den Mitgliedstaat, in dem die Immobilien belegen sind;

b)      bei der Versicherung von zugelassenen Fahrzeugen aller Art den Zulassungsmitgliedstaat;

c)      bei einem höchstens viermonatigen Vertrag zur Versicherung von Reise- oder Ferienrisiken ungeachtet des betreffenden Zweigs den Mitgliedstaat, in dem der Versicherungsnehmer den Vertrag geschlossen hat;

d)      in allen nicht ausdrücklich in Buchstaben a, b oder c genannten Fällen den Mitgliedstaat, in dem Folgendes belegen ist:

i)      der gewöhnliche Aufenthaltsort des Versicherungsnehmers; oder

ii)      wenn der Versicherungsnehmer eine juristische Person ist, die Niederlassung dieses Versicherungsnehmers, auf die sich der Vertrag bezieht.“

4        Art. 157 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)      Unbeschadet einer späteren Harmonisierung unterliegen alle Versicherungsverträge ausschließlich den indirekten Steuern und steuerähnlichen Abgaben, die in dem Mitgliedstaat des Risikos bzw. dem Mitgliedstaat der Verpflichtung auf Versicherungsprämien erhoben werden.

(3)      Jeder Mitgliedstaat wendet auf Versicherungsunternehmen, die in seinem Hoheitsgebiet Risiken decken oder Verpflichtungen eingehen, seine einzelstaatlichen Bestimmungen an, mit denen die Erhebung der indirekten Steuern und steuerähnlichen Abgaben, die nach Absatz 1 fällig sind, sichergestellt werden soll.“

5        Gemäß Art. 310 dieser Richtlinie wird die Richtlinie 88/357/EWG des Rates vom 22. Juni 1988 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG (ABl. 1988, L 172, S. 1) mit Wirkung vom 1. Januar 2016 aufgehoben und Verweisungen auf die aufgehobene Richtlinie gelten als Verweisungen auf die Richtlinie 2009/138 und sind nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang VII dieser Richtlinie zu lesen. Dieser Tabelle zufolge entspricht Art. 13 Nr. 13 der Richtlinie 2009/138 Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 88/357.

 Richtlinie 88/357

6        Art. 2 der Richtlinie 88/357 sah vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie gilt als

d) Mitgliedstaat, in dem das Risiko belegen ist:

–        bei der Versicherung entweder von Gebäuden oder von Gebäuden und den darin befindlichen Sachen, sofern diese durch die gleiche Versicherungspolice gedeckt ist, der Mitgliedstaat, in dem die Gegenstände belegen sind,

–        bei der Versicherung von zugelassenen Fahrzeugen aller Art der Zulassungsmitgliedstaat,

–        bei einem höchstens viermonatigen Vertrag zur Versicherung von Reise- und Ferienrisiken, ungeachtet des betreffenden Zweigs der Mitgliedstaat, in dem der Versicherungsnehmer den Vertrag geschlossen hat,

–        in allen Fällen, die nicht ausdrücklich unter den vorstehenden Gedankenstrichen bezeichnet sind, der Mitgliedstaat, in dem der Versicherungsnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder, wenn der Versicherungsnehmer eine juristische Person ist, der Mitgliedstaat, in dem sich die Niederlassung dieser juristischen Person befindet, auf die sich der Vertrag bezieht;

…“

 Finnisches Recht

7        Gemäß § 1 Abs. 1 des laki eräistä vakuutusmaksuista suoritettavasta verosta (Gesetz über die auf bestimmte Versicherungsprämien zu entrichtende Steuer) (664/1966) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anzuwendenden Fassung ist auf eine auf Grund eines Versicherungsvertrags erhobene Versicherungsprämie, sofern in Finnland befindliches Vermögen beziehungsweise ein mit einer in Finnland ausgeübten Tätigkeit verbundenes oder ein in Finnland befindliches sonstiges Interesse versichert ist, Steuer an den Staat nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes zu entrichten.

8        Gemäß § 6 Abs. 1 des laki ulkomaisista vakuutusyhtiöistä (Gesetz über ausländische Versicherungsgesellschaften) (398/1995) ist mit einem „in Finnland belegenen Risiko“ gemeint:

„1. in Finnland belegenes Vermögen, wenn Gegenstand der Versicherung ein Grundstück oder Gebäude beziehungsweise ein Gebäude und die darin befindlichen beweglichen Sachen sind, sofern die beweglichen Sachen mit derselben Versicherung versichert sind wie das Gebäude;

2. ein in Finnland zugelassenes Fahrzeug, wenn Gegenstand der Versicherung das Fahrzeug ist; oder

3. ein mit einer Reise oder einem Urlaub verbundenes Risiko, wenn der betreffende Versicherungsvertrag für höchstens vier Monate geschlossen wurde und der Versicherungsnehmer den Vertrag in Finnland abgeschlossen hat.“

9        Gemäß § 6 Abs. 2 dieses Gesetzes gilt in anderen als den in Abs. 1 dieser Vorschrift genannten Fällen ein Risiko als in Finnland belegen, wenn der Versicherungsnehmer dort seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort, oder, sofern der Versicherungsnehmer eine juristische Person ist, in Finnland eine Niederlassung hat, auf die sich die Versicherung bezieht.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10      A Ltd ist Anbieterin von Versicherungsprodukten mit Sitz in Großbritannien und ist in Finnland über eine Marktlizenz tätig. Die Gesellschaft hat in Finnland keine gesonderte feste Niederlassung.

11      A Ltd bietet ihren Kunden u. a. Versicherungsprodukte im Zusammenhang mit Unternehmenskäufen an. Bei diesen Versicherungsprodukten handelt es sich hauptsächlich um sogenannte „Warranty & indemnity“–Versicherungen, deren Versicherungsnehmer entweder der Verkäufer oder der Erwerber ist, und um eine Haftpflichtversicherung hinsichtlich der Haftung für die steuerliche Situation des veräußerten Unternehmens (im Folgenden: Haftpflichtversicherung für die steuerliche Haftung). Der Zweck dieser Versicherungen besteht darin, eine für den Versicherungsnehmer entstandene Haftung abzudecken oder einen diesem entstandenen Vermögensschaden zu ersetzen.

12      Die vom Verkäufer oder Käufer abgeschlossenen „Warranty & indemnity“–Versicherungen bezwecken eine Übereinkunft darüber, dass die Versicherungsgesellschaft nach Maßgabe der Bedingungen des Versicherungsvertrags den Schaden deckt, der dem Käufer durch eine Verletzung der vom Verkäufer im Kaufvertrag gegebenen Zusicherungen entstanden ist. Die Funktionsweise der Haftpflichtversicherung für die steuerliche Haftung ist ähnlich, ihr Zweck besteht aber darin, die vom Verkäufer im Kaufvertrag eingegangene Zusage zu decken, dass gegen die Gesellschaft, die Gegenstand des Kaufs ist (im Folgenden: Zielgesellschaft), keine Steuern für den Zeitraum festgesetzt werden, in dem sie noch im Eigentum des Verkäufers stand.

13      Bei allen vorstehend genannten Versicherungen geht es um das mit dem Wert der Aktien verbundene vertragliche Risiko und um die Berechtigung des vom Käufer gezahlten Kaufpreises.

14      A Ltd stellte beim Zentralen Steuerausschuss einen Antrag auf einen Steuervorbescheid über die Bestimmung des zur Erhebung von Steuern auf Versicherungsprämien berechtigten Mitgliedstaats, wenn entweder der Versicherungsnehmer oder die Zielgesellschaft des Unternehmenskaufs eine ausländische juristische Person und die andere Person eine finnische Aktiengesellschaft ist.

15      Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, wies A Ltd in ihrem Antrag auf Steuervorbescheid darauf hin, dass die vom Verkäufer abgeschlossene „Warranty & indemnity“–Versicherung u. a. bis zu einem vereinbarten Höchstbetrag die Prozesskosten und den Schadensersatz im Zusammenhang mit einer Verletzung der vom Verkäufer im Kaufvertrag gegebenen Zusicherungen decke. In diesen Fällen hafte der Verkäufer gegenüber dem Käufer und sei verpflichtet, ihn zu entschädigen. Die Versicherung ihrerseits gleiche die dem Verkäufer entstandenen Kosten und seine Schadenshaftung gegenüber dem Käufer aus.

16      Hinsichtlich der vom Käufer abgeschlossenen „Warranty & indemnity“–Versicherung trug A Ltd vor, dass mit der Versicherung unmittelbar der Vermögensschaden ersetzt werden solle, der dem Käufer durch eine Verletzung der vom Verkäufer gemachten Zusicherungen entstanden sei. Des Weiteren decke die Versicherung die dem Käufer entstandenen rechtlichen Kosten, die durch eine von dritter Seite erhobene Schadensersatzforderung verursacht worden seien, die gleichzeitig zu einer Verletzung der vom Verkäufer gemachten Zusicherungen geführt habe.

17      In Bezug auf die Haftpflichtversicherung für die steuerliche Haftung machte A Ltd geltend, dass sie entweder den Verkäufer oder den Käufer vor der steuerlichen Haftung schütze, die für die Zielgesellschaft vor dem Verkauf entstanden sei. Die Funktionsweise dieser Haftpflichtversicherung entspreche im Übrigen den beiden Arten der „Warranty & indemnity“–Versicherung.

18      Die von der A Ltd angebotenen Versicherungsverträge, die eine Verbindung zu Finnland aufweisen, sehen für den Versicherungsnehmer und die Zielgesellschaft drei Optionen vor: In den meisten Fällen ist der Versicherungsnehmer, entweder der Verkäufer oder der Käufer, eine finnische Aktiengesellschaft und auch die Zielgesellschaft ist eine finnische juristische Person. Es ist aber auch möglich, dass der Versicherungsnehmer eine finnische Aktiengesellschaft und die Zielgesellschaft eine ausländische juristische Person oder dass der Versicherungsnehmer eine ausländische juristische Person und die Zielgesellschaft eine finnische Aktiengesellschaft ist.

19      Mit Bescheid vom 4. November 2016 stellte der Zentrale Steuerausschuss in seinem Vorbescheid für den Zeitraum vom 4. November 2016 bis zum 31. Dezember 2017 fest, dass auf die Versicherungsprämien in Finnland keine Steuer zu entrichten sei, wenn die A Ltd einer finnischen Aktiengesellschaft Versicherungen anbiete und die Zielgesellschaft eine ausländische juristische Person sei.

20      Dieser Ausschuss stellte weiter fest, dass auf die Versicherungsprämien in Finnland Steuer zu entrichten sei, wenn die A Ltd einer ausländischen juristischen Person Versicherungen anbiete und die Zielgesellschaft eine finnische Aktiengesellschaft sei.

21      In ihrer Beschwerde beim Korkein hallinto-oikeus (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Finnland) gegen diesen Vorbescheid macht A Ltd geltend, dass der Belegenheitsmitgliedstaat des Risikos auf der Grundlage des Niederlassungsstaates des Versicherungsnehmers bestimmt werden müsste.

22      Die Veronsaajien Oikeudenvalvontayksikkö (Stelle zur Wahrung der Rechte der Steuerberechtigten, Finnland) hat sich dem Verfahren zur Unterstützung der Auffassung des Zentralen Steuerausschusses in seinem Steuervorbescheid angeschlossen. Unter Hinweis auf das Urteil vom 14. Juni 2001, Kvaerner (C‑191/99, EU:C:2001:332), trug diese Stelle vor, dass das Risiko den Konzern treffe, zu dem die ausländische Zielgesellschaft gehöre, und dass der Ort, an dem sich dieses Risiko befinde, nach einem Anknüpfungskriterium zugerechnet werden müsse. Der Niederlassungsort der Zielgesellschaft sei hierbei ein konkreter Faktor, auf Grund dessen der Ort, an dem das Risiko belegen sei, bestimmt werden könne.

23      Unter diesen Umständen hat der Korkein hallinto-oikeus (Oberster Verwaltungsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Wird bei der Auslegung von Art. 157 Abs. 1 Unterabs. 1 in Verbindung mit Art. 13 Nrn. 13 und 14 der Richtlinie 2009/138 als zur Erhebung von Steuer auf Versicherungsprämien berechtigter Mitgliedstaat der Niederlassungsstaat der Gesellschaft (juristischen Person), die Versicherungsnehmer ist, oder der Belegenheitsstaat der Gesellschaft, die Gegenstand des Unternehmenskaufs ist, angesehen, wenn eine Versicherungsgesellschaft, die ihren Sitz im Vereinigten Königreich hat und in Finnland über keine Niederlassung verfügt, eine Versicherung zur Deckung von Risiken im Zusammenhang mit einem Unternehmenskauf

–        einer bei dem Unternehmenskauf als Käufer auftretenden, in Finnland nicht niedergelassenen Gesellschaft anbietet und die Zielgesellschaft des Unternehmenskaufs in Finnland niedergelassen ist,

–        einer bei dem Unternehmenskauf als Käufer auftretenden, in Finnland niedergelassenen Gesellschaft anbietet und die Zielgesellschaft des Unternehmenskaufs in Finnland nicht niedergelassen ist,

–        einer bei dem Unternehmenskauf als Verkäufer auftretenden, in Finnland nicht niedergelassenen Gesellschaft anbietet und die Zielgesellschaft des Unternehmenskaufs in Finnland niedergelassen ist,

–        einer bei dem Unternehmenskauf als Verkäufer auftretenden, in Finnland niedergelassenen Gesellschaft anbietet und die Zielgesellschaft des Unternehmenskaufs in Finnland nicht niedergelassen ist?

2.      Ist in der Rechtssache von Bedeutung, dass die Versicherung nur die steuerliche Haftung abdeckt, die vor der Durchführung des Unternehmenskaufs für die Zielgesellschaft entstanden ist?

3.      Ist in der Rechtssache von Bedeutung, ob Gegenstand des Unternehmenskaufs die Aktien oder ein Geschäftsbereich der Zielgesellschaft sind?

4.      Ist in einer Situation, in der Gegenstand des Unternehmenskaufs die Aktien der Zielgesellschaft sind, von Bedeutung, dass sich die Zusicherungen, die der Verkäufer dem Käufer gemacht hat, nur darauf beziehen, dass dem Verkäufer das Eigentum an den verkauften Aktien zusteht und sich keinerlei Forderungen Dritter darauf richten?

 Zu den Vorlagefragen

24      Mit seinen vier Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 157 Abs. 1 Unterabs. 1 in Verbindung mit Art. 13 Nr. 13 der Richtlinie 2009/138 dahin auszulegen ist, dass, wenn eine Versicherungsgesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat eine Versicherung zur Deckung von vertraglichen Risiken im Zusammenhang mit dem Wert der Aktien und der Berechtigung des vom Käufer beim Erwerb eines Unternehmens gezahlten Kaufpreises anbietet, ein in diesem Rahmen geschlossener Versicherungsvertrag ausschließlich den indirekten Steuern und steuerähnlichen Abgaben unterliegt, die in dem Mitgliedstaat, in dem der Versicherungsnehmer niedergelassen ist, oder in dem Mitgliedstaat, in dem die Zielgesellschaft niedergelassen ist, auf Versicherungsprämien erhoben werden.

25      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich aus dem Wortlaut von Art. 157 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2009/138 ergibt, dass unbeschadet einer späteren Harmonisierung alle Versicherungsverträge ausschließlich den indirekten und steuerähnlichen Abgaben unterliegen, die in dem Mitgliedstaat des Risikos auf Versicherungsprämien erhoben werden.

26      Es ist auch festzustellen, dass gemäß Art. 13 Nr. 13 Buchst. d Ziff. ii der Richtlinie 2009/138 der Ausdruck „Mitgliedstaat, in dem das Risiko belegen ist“ für die Zwecke dieser Richtlinie den Mitgliedstaat bezeichnet, in dem sich, wenn der Versicherungsnehmer eine juristische Person ist, die Niederlassung dieser juristischen Person, auf die sich der Vertrag bezieht, befindet.

27      Da somit unter Umständen wie denjenigen des Ausgangsverfahrens der Versicherungsnehmer eine juristische Person ist, ist zur Beantwortung der Vorlagefragen der Mitgliedstaat zu bestimmen, in dem sich im Sinne von Art. 13 Nr. 13 Buchst. d Ziff. ii der Richtlinie 2009/138 die Niederlassung des Versicherungsnehmers befindet, auf die sich die Versicherungsverträge beziehen.

28      Dazu ist, da Art. 13 Nr. 13 der Richtlinie 2009/138 nach der Tabelle in Anhang VII dieser Richtlinie Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 88/357 entspricht, auf die Tragweite von Art. 2 Buchst. d letzter Gedankenstrich der Richtlinie 88/357, die mit derjenigen von Art. 13 Nr. 13 Buchst. d Ziff. ii der Richtlinie 2009/138 identisch ist, und auf die hierzu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs zu verweisen.

29      Zum einen hat der Gerichtshof dazu ausgeführt, dass aus Art. 2 Buchst. d erster bis vierter Gedankenstrich der Richtlinie 88/357 hervorgeht, dass der Unionsgesetzgeber für alle versicherten Risiken eine Lösung vorschlagen wollte, die die Bestimmung des Staates, in dem das Risiko belegen ist, dadurch ermöglicht, dass sie auf konkrete und physische Merkmale statt auf rechtliche Merkmale abstellt. Jedem Risiko sollte ein konkreter Anknüpfungspunkt entsprechen, der seine Zuordnung zu einem bestimmten Mitgliedstaat ermöglicht (Urteil vom 14. Juni 2001, Kvaerner, C‑191/99, EU:C:2001:332, Rn. 44).

30      Zum anderen hat er erläutert, dass Art. 2 Buchst. d letzter Gedankenstrich dieser Richtlinie u. a. dem Zweck dient, eine Auffangregelung für die Bestimmung des Ortes zu treffen, an dem ein betriebliches Risiko belegen ist, wenn dieses Risiko nicht speziell mit einem Gebäude, einem Fahrzeug oder einer Reise verbunden ist. Zu diesem Zweck wird auf den Ort abgestellt, an dem die Tätigkeit ausgeübt wird, deren Risiko durch den Vertrag gedeckt wird (Urteil vom 14. Juni 2001, Kvaerner, C‑191/99, EU:C:2001:332, Rn. 46).

31      Aus dieser Rechtsprechung folgt, dass für die Bestimmung des Mitgliedstaats, in dem das Risiko belegen ist, im Sinne von Art. 157 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138 insbesondere die genaue Tätigkeit zu identifizieren ist, deren Risiken von den verschiedenen im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Versicherungsverträgen gedeckt sind.

32      Nach der Vorlageentscheidung geht es im Ausgangsverfahren um verschiedene Arten von Verträgen, die verschiedene Arten von Risiken erfassen.

33      Erstens soll mit der entweder vom Käufer oder vom Verkäufer der Zielgesellschaft abgeschlossenen „Warranty & indemnity“–Versicherung der Schaden abgedeckt werden, der dem Käufer durch eine Verletzung der vom Verkäufer im Kaufvertrag gegebenen Zusicherungen entstanden ist.

34      Zweitens soll die Haftpflichtversicherung für die steuerliche Haftung das Risiko im Zusammenhang mit der Zusage decken, die der Verkäufer der Zielgesellschaft in Bezug auf die steuerliche Situation dieser Gesellschaft zum Zeitpunkt des Kaufs für den Zeitraum vor Übertragung des Eigentums an den Erwerber gemacht hat, und schützt somit entweder den Verkäufer oder den Erwerber vor der Haftung, die für die Zielgesellschaft vor ihrem Erwerb möglicherweise entstanden ist.

35      Im Hinblick auf die in den vorstehenden Randnummern dargelegten Schutzziele sollen die Versicherungsverträge in jedem dieser Fälle ausschließlich den Versicherungsnehmer vor dem mit der Verletzung der Zusicherungen und Verpflichtungen, die der Verkäufer beim Verkauf gemacht hat, verbundenen Risiko schützen, unabhängig davon, ob er als Erwerber oder als Verkäufer der Zielgesellschaft handelt.

36      Wie aus der Vorlageentscheidung ausdrücklich hervorgeht, betreffen diese im Ausgangsverfahren in Rede stehenden drei Arten von Versicherungsverträgen die Versicherung gegen das mit dem Wert der Aktien und der Berechtigung des vom Käufer gezahlten Kaufpreises verbundene vertragliche Risiko. Die Versicherung umfasst nur die Verringerung des Werts der Aktien, die durch Umstände verursacht wird, die Gegenstand von gesonderten Zusicherungen des Verkäufers beim Abschluss des Kaufvertrags waren.

37      Denn weder die „Warranty & indemnity“–Versicherungen noch die Haftpflichtversicherung für die steuerliche Haftung sollen die Risiken eventueller Schäden oder finanzieller Verluste im Zusammenhang mit dem Betrieb der Zielgesellschaft oder ihrem reibungslosen Funktionieren abdecken.

38      Es würde am Wortlaut von Art. 13 Nr. 13 Buchst. d Ziff. ii der Richtlinie 2009/138 scheitern, den Ort, an dem die Tätigkeit, deren Risiko durch den Versicherungsvertrag erfasst ist, automatisch anhand des Ortes, an dem die Zielgesellschaft niedergelassen ist, zu bestimmen – wie die finnische Regierung vorschlägt –, da nach dieser Bestimmung klar ist, dass zur Bestimmung des Mitgliedstaats, an dem das Risiko belegen ist, der Ort der Niederlassung des „Versicherungsnehmers“ maßgebend ist.

39      In dem Fall, dass der Erwerber eines Unternehmens als Versicherungsnehmer den Versicherungsvertrag abgeschlossen hat, kann aber dieses Unternehmen erst ab dem Zeitpunkt, zu dem die Übertragung des Eigentums an diesem Unternehmen stattgefunden hat, als „Niederlassung des Versicherungsnehmers“ angesehen werden.

40      Das Gleiche gilt im gegenteiligen Fall, in dem der Verkäufer des Unternehmens den Versicherungsvertrag abgeschlossen hat. In diesem Fall kann das Unternehmen nur bis zu demselben Zeitpunkt als „Niederlassung des Versicherungsnehmers“ angesehen werden.

41      Angesichts des Vorstehenden ist zum einen festzustellen, dass der Ort, an dem die Tätigkeit, deren Risiko von den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Versicherungsverträgen erfasst ist, ausgeübt wird, der Ort der Niederlassung des Versicherungsnehmers ist, bei dem es sich je nach dem Gegenstand des fraglichen Versicherungsvertrags entweder um den Verkäufer oder den Erwerber handelt, und nicht der Ort der Niederlassung der Zielgesellschaft.

42      Zum anderen folgt aus dem Vorstehenden, dass die in der zweiten bis vierten Vorlagefrage dargelegten Umstände im vorliegenden Fall keine Auswirkungen haben.

43      Auf die Vorlagefragen ist somit zu antworten, dass Art. 157 Abs. 1 Unterabs. 1 in Verbindung mit Art. 13 Nr. 13 der Richtlinie 2009/138 dahin auszulegen ist, dass, wenn eine Versicherungsgesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat eine Versicherung zur Deckung von vertraglichen Risiken im Zusammenhang mit dem Wert der Aktien und der Berechtigung des vom Käufer beim Erwerb eines Unternehmens gezahlten Kaufpreises anbietet, ein in diesem Rahmen geschlossener Versicherungsvertrag ausschließlich den indirekten Steuern und steuerähnlichen Abgaben unterliegt, die in dem Mitgliedstaat, in dem der Versicherungsnehmer niedergelassen ist, auf Versicherungsprämien erhoben werden.

 Kosten

44      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 157 Abs. 1 Unterabs. 1 in Verbindung mit Art. 13 Nr. 13 der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) in der durch die Richtlinie 2013/58/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass, wenn eine Versicherungsgesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat eine Versicherung zur Deckung von vertraglichen Risiken im Zusammenhang mit dem Wert der Aktien und der Berechtigung des vom Käufer beim Erwerb eines Unternehmens gezahlten Kaufpreises anbietet, ein in diesem Rahmen geschlossener Versicherungsvertrag ausschließlich den indirekten Steuern und steuerähnlichen Abgaben unterliegt, die in dem Mitgliedstaat, in dem der Versicherungsnehmer niedergelassen ist, auf Versicherungsprämien erhoben werden.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Finnisch.

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Referenzen

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