Urteil vom Finanzgericht Baden-Württemberg - 2 K 147/01

Tatbestand

 
(Überlassen von Datev)
Die Klägerin ist seit dem 19. Mai 1983 verwitwet. Aufgrund eines wirksamen Vorauszahlungsbescheides leistete ihr verstorbener Ehemann im Jahr 1981 u.a. Vorauszahlungen auf die Einkommensteuerschuld für 1981 i.H.v. 200.649 DM und Vorauszahlungen auf die evangelische Kirchensteuerschuld für 1981 i.H.v. 15.657 DM. Der Einkommensteuerbescheid für 1981 vom 14. Dezember 1983 lautete auf "Herrn und Frau G. Dr. Dieter". Er wies im Abrechnungsteil Einkommensteuer i.H.v. 247.445 DM und Kirchensteuer i.H.v. 19.443,30 DM aus.
Im Jahr 1989 beantragte die Klägerin u.a. die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides für 1981, weil nach ihrer Meinung die Adressierung fehlerhaft und der Bescheid daher nichtig sei. Nachdem das FA zunächst eine andere Rechtsauffassung vertreten hatte, bestätigte es der Klägerin mit Schreiben vom 30. August 1989, dass (auch) der Einkommensteuerbescheid für 1981 vom 14. Dezember 1983 unwirksam sei. Die im Jahr 1984 geleistete Nachzahlung könnte erstattet werden, nicht jedoch die in 1983 erbrachten Vorauszahlungen.
Mit Verfügung vom 15. November 1989 hob das FA u.a. den Einkommensteuerbescheid 1981 "gemäß § 172 Abgabenordnung (AO)" auf und erstattete im Januar 1990 die aufgrund dieses Jahressteuerbescheides im Jahr 1984 entrichteten Nachzahlungen i.H.v. 46.796 DM Einkommensteuer und 3.786,30 DM Kirchensteuer. Mit Schreiben an das Finanzamt (FA) vom 4. September 1991 mahnte die Klägerin u.a. die Entscheidung über die "Erstattung der für 1981 entrichteten Vorauszahlungen" an. Mit Abrechnungsbescheid vom 9. September 1991 lehnte das FA den Erstattungsantrag förmlich ab und begründete dies damit, dass der Erstattungsanspruch mit Ablauf des Kalenderjahres 1986 wegen Zahlungsverjährung erloschen sei, da der erstmalige Erstattungsantrag vom 30. März 1990 datiere.
Hiergegen legte die Klägerin mit der Begründung Einspruch ein, sie habe bereits mit Schreiben vom 5. September 1989 unmissverständlich darum gebeten, die Steuerzahlungen zu erstatten. Das FA ließ das Einspruchsverfahren mit Zustimmung der Klägerin ruhen bis zum Abschluss der Klageverfahren 2 K 218/94 und 2 K 219/94. Diese Verfahren endeten durch klageabweisende Urteile vom 18. Dezember 1996.
Mit Entscheidung vom 13. Februar 2001 wies das FA den Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid vom 6. September 1991 zurück und begründete dies im Wesentlichen wie folgt: Nach § 37 Abs. 2 AO bestehe ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch, wenn eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt oder wenn der rechtliche Grund für die Zahlung später weggefallen sei. Nach der sogenannten formellen Rechtsgrundtheorie, die der Bundesfinanzhof (BFH) insbesondere nach Inkrafttreten der AO 1977 vertrete, sei ohne rechtlichen Grund geleistet, wenn der Leistungsempfänger nach formellem Recht auf die Zahlung keinen Anspruch habe. Die streitigen Zahlungen seien jedoch nicht ohne rechtlichen Grund erfolgt, da der Vorauszahlungsbescheid, der eine eigenständige Steuerfestsetzung darstelle, formeller Rechtsgrund für die Vorauszahlungen gewesen sei. Dieser Rechtsgrund sei entgegen der Auffassung der Klägerin nicht weggefallen. Die wirksam festgesetzten Vorauszahlungen hätten durch den Einkommensteuerbescheid vom 14. Dezember 1983 nicht ihre Wirkung verloren, denn nur ein wirksamer Jahressteuerbescheid könne einen Vorauszahlungsbescheid als Rechtsgrundlage ablösen. Die Aufhebungsverfügung vom 15. November 1989 beziehe sich jedoch auf einen Jahressteuerbescheid, dessen Unwirksamkeit von der Klägerin selbst geltend gemacht worden sei. Auf Antrag der Klägerin sei dieser Bescheid nur zur Beseitigung des Rechtsscheines aufgehoben worden. Daran ändere auch der versehentliche Hinweis auf § 172 AO nichts. Ein Wegfall des Rechtsgrundes könne daher auch nicht mit der Verfügung des FA vom 15. November 1989 begründet werden, mit der der ESt-Bescheid 1981 aufgehoben worden sei.
Ein Erstattungsanspruch sei auch entgegen der Auffassung der Klägerin nicht dadurch entstanden, dass ein Jahressteuerbescheid wegen Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr ergehen könne. Abgesehen davon, dass mit Vorauszahlungen nicht die Jahressteuerschuld, sondern die Vorauszahlungsschuld getilgt werde, komme es insbesondere nach der neueren Rechtsprechung des BFH für das Behaltendürfen der Vorauszahlungen allein auf die formelle Bescheidlage an.
Hiergegen richtet sich die am 16. Februar 2001 erhobene Klage, mit der folgendes vorgetragen wird: Nach dem Erlass des Einkommensteuerbescheides für 1981 vom 14. Dezember 1983 habe der Vorauszahlungsbescheid seine Wirksamkeit verloren. Der Einkommensteuerbescheid sei nach dem vom FA zitierten Urteil des BFH vom 29. Juli 1998 II R 65/95, in BFH/NV 1998, 1455 wirksam gewesen, unabhängig davon, dass das FA ihn dann gemäß § 172 AO aufgehoben habe. Durch die Aufhebung dieses Steuerbescheides lebe der Vorauszahlungsbescheid nicht wieder auf, so dass die Zahlung rechtsgrundlos geleistet worden sei. Der Erstattungsanspruch sei im Zeitpunkt der Aufhebung des wirksamen Steuerbescheides entstanden und daher auch nicht verjährt. Sie habe sich nicht treuwidrig bzw. widersprüchlich verhalten, nur weil sie damals irrtümlich der Auffassung gewesen sei, der Steuerbescheid sei unwirksam bzw. nichtig und das FA sich dieser irrigen Auffassung angeschlossen habe.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
10 
den Abrechnungsbescheid vom 6. September 1991 und die Einspruchsentscheidung zu ändern und folgende vom FA zu erstattende Beträge festzusetzen:
11 
Einkommensteuer 1981
200.649,00 DM
Kirchensteuer 1981
15.657,00 DM
12 
Das FA beantragt,
13 
die Klage abzuweisen.
14 
Es verweist auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung und trägt darüber hinaus folgendes vor: Der Vorauszahlungsbescheid sei Rechtsgrundlage für die Vorauszahlungen. Mit Verfügung des FA vom 15. November 1989 sei zur Beseitigung des Rechtsscheins auf Antrag der unwirksame Jahressteuerbescheid 1981 vom 14. Dezember 1983 aufgehoben worden. Da ein unwirksamer Jahressteuerbescheid den Vorauszahlungsbescheid nicht ablösen könne, könne seine Aufhebung auch nicht die Rechtsgrundlage für die Vorauszahlungen beseitigen. Die Klägerin habe sich mehrere Jahre nach Ergehen des Jahressteuerbescheides ausdrücklich in mehreren Schriftsätzen auf die "Nichtigkeit" des Jahressteuerbescheides berufen und sei selbst von einer fehlenden rechtlichen Existenz des Steuerbescheides ausgegangen. Unabhängig davon, dass das FA diese Rechtsauffassung dann zwar in seinem Schreiben vom 30. August 1989 bestätigt habe, verhalte die Klägerin sich widersprüchlich, wenn sie sich jetzt auf die falsche Begründung der Aufhebungsverfügung vom 15. November 1989 und auf das Urteil des BFH vom 29. Juli 1998 II R 65/95 (a.a.O.) berufe. Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben müsse daher in diesem Verfahren der Steuerbescheid vom 14. Dezember 1983 als insgesamt unwirksam betrachtet werden.
15 
Sollte jedoch am 15. November 1989 ein wirksamer Steuerbescheid aufgehoben worden sein, müsse davon ausgegangen werden, dass der Jahressteuerbescheid vom 14. Dezember 1983 die Vorauszahlungsfestsetzung als rechtliche Grundlage abgelöst habe. Die Aufhebung dieses Bescheides könne folglich zu einem Erstattungsanspruch führen. Dann müsse jedoch die Steuerfestsetzung nach § 171 Abs. 14 AO - betragsmäßig beschränkt auf den Erstattungsanspruch - nachgeholt werden. Der Ablauf der Festsetzungsfrist sei auch in einem Fall wie in dem vorliegenden bis zum Ablauf der für den Erstattungsanspruch maßgeblichen Zahlungsverjährung hinausgeschoben. Die fünfjährige Zahlungsverjährung (§ 228 AO) sei jedoch noch nicht abgelaufen, da sie nach § 239 Abs. 1 AO unterbrochen worden sei und die Verjährungsunterbrechung nach § 231 Abs. 2 Satz 2 AO noch fortdauere.
16 
Daraufhin hat das FA am 26. Juni 2001 einen Einkommensteuerbescheid für 1981 "nach § 171 Abs. 14 AO" erlassen, gegen den die Klägerin rechtzeitig Einspruch eingelegt hat, über welchen noch nicht entschieden worden ist.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die Klage ist begründet. Der Erstattungsanspruch ist weder verjährt noch stehen seiner Geltendmachung die Grundsätze von Treu und Glauben entgegen.
18 
1. Der Erstattungsanspruch ist erst entstanden und fällig geworden mit der am 15. November 1989 verfügten Aufhebung des wirksamen ESt-Bescheides 1981. Vorher war der Erstattungsanspruch materiell-rechtlich überhaupt nicht existent; (BFH-Urteile vom 30. April 1996 VII R 122/94; BFH/NV 1996, 866; vom 13. Februar 1996 VII 255/95, 30. April 1996 VII R 122/94; BFH/NV 1996, 866; vom 13. Februar 1996 VII 255/95, BFH/NV 1996, 454).
19 
a) Der Einkommensteuerbescheid 1981 vom 14. Dezember 1983 war wirksam. Dies ergibt sich aus den Entscheidungsgründen des BFH-Urteils vom 29. Juli 1998 II R 64/95 (a.a.O.) Die Ausführungen des FA, wonach die Parteien sich einig gewesen seien, dass der Bescheid als nichtig angesehen werde und die Aufhebung daher nur zur Beseitigung eines Rechtsscheins erfolgt sei, sind unerheblich. Die Wirksamkeit bzw. Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides hängt nicht von der einvernehmlichen Beurteilung durch den Steuerpflichtigen und das FA ab, sondern richtet sich nach dem Vorliegen der vom Gesetz geforderten Voraussetzungen (vgl. Urteil des BFH v. 23. November 1988 II R 10/85, BFH/NV 1989, 734). Mit diesem wirksamen Bescheid hat der Vorauszahlungsbescheid seine Wirkung verloren.
20 
b) Durch die Aufhebung des wirksamen Bescheids lebte jedoch der Vorauszahlungsbescheid nicht wieder auf (Urteile des BFH v. 13. Februar 1996 VII R 55/95, a.a.O.; vom 29. November 1984 II R 146/83, BStBl. II 1985, 370). Dies gilt unabhängig davon, aus welchen Gründen das FA diesen Bescheid aufgehoben hat. Hierdurch hat das FA auch nicht nur eine Rechtsansicht geäußert, der kein Bindungswille zugrunde liegt und die somit nur deklaratorische Bedeutung besitzt (vgl. Urteil des BFH vom 29. Juli 1998 II R 64/95, a.a.O.)
21 
c) Die Grundsätze von Treu und Glauben stehen der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs durch die Klägerin nicht entgegen. Diese verlangen eine Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des anderen Beteiligten im Rahmen eines Steuerrechtsverhältnisses. Sie gebieten, dass im Rechtsverkehr jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten, auf das der andere vertraut hat, nicht in Widerspruch setzt (Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, 16. Auflage, § 4 Tz. 57).
22 
Nach diesen Grundsätzen ist die Finanzbehörde auch an eine falsche Sachbehandlung zugunsten des Steuerpflichtigen gebunden, es sei denn, der Steuerpflichtige hat die für diese Behandlung erheblichen Tatsachen unvollständig oder nicht wahrheitsgemäß offen gelegt (Tipke/Kruse, § 4 AO, Tz. 59).
23 
Es ist nicht erkennbar, inwieweit die Klägerin gegen Treu und Glauben verstoßen haben sollte. Die an dem Steuerrechtsverhältnis Beteiligten haben sich über die rechtliche Beurteilung eines unstreitigen Sachverhalts auseinandergesetzt. Schließlich hat sich das FA der - irrigen - Rechtsauffassung der Klägerin angeschlossen und den streitigen Steuerbescheid aufgehoben. Die Klägerin hat das FA aber nicht in einer dessen Vertrauen missbrauchenden Art und Weise zu diesem Tun veranlasst. Das FA hat vielmehr die von der Klägerin zutreffend geschilderten bzw. unstreitig gegebenen Umstände in einer Weise rechtlich gewürdigt, die sich später als unrichtig herausgestellt hat. Wenn das FA sich bezüglich der Beurteilung der Rechtslage unsicher gewesen wäre, hätte es eine Entscheidung durch das Gericht anstreben können. Verzichtet es hierauf, trägt es - wie auch der Steuerpflichtige im umgekehrten Fall - das Risiko, dass die Entscheidung u.U. unzutreffend ist. Im Übrigen hat der BFH in dem Urteil vom 29. Juli 1998 II R 64/95 (a.a.O.) auch auf frühere Entscheidungen hingewiesen, aus denen für das FA hätte erkennbar sein müssen, dass seine Entscheidung (Aufhebung des Steuerbescheids) evtl. rechtlich fehlerhaft sein könnte (BFH-Urteile vom 9. August 1991 III R 169/90, BFH/NV 1992, 433 und vom 26. März 1985 VIII R 225/83, BStBl II 1985, 603).
24 
Das FA hat hier nicht darauf vertraut, die Klägerin werde sich an der gemeinsam vertretenen unzutreffenden rechtlichen Würdigung festhalten lassen, sondern vielmehr darauf, dass seine (fehlerhafte) Auffassung, der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid 1981 sei unwirksam und daher aufzuheben, richtig ist. Ebenso wenig wie sich mit dem Grundsatz von Treu und Glauben eine Bindung der Finanzverwaltung an eine frühere Rechtsprechung bzw. frühere Verwaltungsauffassung begründen lässt, auch wenn der Steuerpflichtige sich hierauf eingestellt hat (z.B. durch die Rücknahme eines Rechtsbehelfs) und durch eine - spätere - Änderung der Rechtsprechung bzw. Verwaltungsauffassung sich sein früheres und heute ggf. nicht mehr verfolgbares Begehren als gerechtfertigt herausstellen sollte, lässt sich mit Treu und Glauben ein Festhalten des Steuerpflichtigen an einer unzutreffenden Auffassung der Finanzverwaltung begründen, wenn diese sich dem angeschlossen und entsprechende Maßnahmen getroffen hat (vgl. auch BFH-Urteil vom 30. April 1996 VII R 122/94, a.a.O.).
25 
Der BFH ist zwar im Falle des Urteils vom 17. Juni 1992 X R 47/88 (BStBl II 1993, 174) zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Kläger nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehindert sei, aus der Nichtigkeit eines Bescheides abgeleitete Erstattungsansprüche durchzusetzen, weil die Berufung auf die Nichtigkeit zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führt. Dies ist damit begründet worden, ein Kläger als Rechtsnachfolger des verstorbenen Steuerschuldners habe sich vom Bekanntwerden des Erbfalls an mit dem durch ihn veranlassten Mangel in der Bestimmtheit des Inhaltsadressaten nicht nur jahrelang abgefunden, sondern er habe ihn in der umfangreichen Korrespondenz mit dem FA und in förmlichen Verfahren auch aufrechterhalten. Es sei deshalb rechtsmissbräuchlich, wenn er sich nach langer Zeit des Rechtsfriedens allein zu Erstattungszwecken auf einen von ihm mitzuverantwortenden Bestimmtheitsmangel berufe.
26 
Der Streitfall ist mit dem vorstehenden Urteilsfall jedoch nicht vergleichbar. Es ist hier weder festgestellt noch ersichtlich, dass die Klägerin die Bekanntgabe der Steuerbescheide in dieser zur Fehlbeurteilung führenden Form veranlasst oder sie einen tatsächlichen Irrtum des FA aufrechterhalten hätte.
27 
2. Ob das FA berechtigt war, am 26. Juni 2001 einen auf § 171 Abs. 14 AO gegründeten neuen Einkommensteuerbescheid für 1981 nach Ablauf der Festsetzungsfrist zu erlassen und damit dem Erstattungsanspruch der Klägerin die Grundlage zu entziehen, bedarf hier keiner Entscheidung. Für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung - hier der Einspruchsentscheidung - maßgebend. Denn Gegenstand der Anfechtungsklage nach einem Vorverfahren ist der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat (§ 44 Abs. 2 FGO). Ob eine Zahlungsverpflichtung erloschen ist, kann das FA bei bestehenden Meinungsverschiedenheiten mit dem Steuerpflichtigen nur für einen ganz bestimmten Zeitpunkt entscheiden, so dass dieser Zeitpunkt auch den später ergehenden gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt werden muss (Beschluss des BFH vom 2. März 1971 VII R 74/68, BStBl. II 1971, 498). Da Gegenstand des vorliegenden Verfahrens der dem 6. September 1991 ergangenen Abrechnungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Februar 2001 ist, darf der am 26. Juni 2001 erlassene und auf § 171 Abs. 14 AO gestützte ESt-Bescheid 1981 hier nicht berücksichtigt werden. Über dessen Rechtmäßigkeit wird ggf. nach Zurückweisung des gegen diesen eingelegten Einspruchs in einem gesonderten Verfahren zu befinden sein.
28 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
29 
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
30 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO vorliegen.

Gründe

 
17 
Die Klage ist begründet. Der Erstattungsanspruch ist weder verjährt noch stehen seiner Geltendmachung die Grundsätze von Treu und Glauben entgegen.
18 
1. Der Erstattungsanspruch ist erst entstanden und fällig geworden mit der am 15. November 1989 verfügten Aufhebung des wirksamen ESt-Bescheides 1981. Vorher war der Erstattungsanspruch materiell-rechtlich überhaupt nicht existent; (BFH-Urteile vom 30. April 1996 VII R 122/94; BFH/NV 1996, 866; vom 13. Februar 1996 VII 255/95, 30. April 1996 VII R 122/94; BFH/NV 1996, 866; vom 13. Februar 1996 VII 255/95, BFH/NV 1996, 454).
19 
a) Der Einkommensteuerbescheid 1981 vom 14. Dezember 1983 war wirksam. Dies ergibt sich aus den Entscheidungsgründen des BFH-Urteils vom 29. Juli 1998 II R 64/95 (a.a.O.) Die Ausführungen des FA, wonach die Parteien sich einig gewesen seien, dass der Bescheid als nichtig angesehen werde und die Aufhebung daher nur zur Beseitigung eines Rechtsscheins erfolgt sei, sind unerheblich. Die Wirksamkeit bzw. Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides hängt nicht von der einvernehmlichen Beurteilung durch den Steuerpflichtigen und das FA ab, sondern richtet sich nach dem Vorliegen der vom Gesetz geforderten Voraussetzungen (vgl. Urteil des BFH v. 23. November 1988 II R 10/85, BFH/NV 1989, 734). Mit diesem wirksamen Bescheid hat der Vorauszahlungsbescheid seine Wirkung verloren.
20 
b) Durch die Aufhebung des wirksamen Bescheids lebte jedoch der Vorauszahlungsbescheid nicht wieder auf (Urteile des BFH v. 13. Februar 1996 VII R 55/95, a.a.O.; vom 29. November 1984 II R 146/83, BStBl. II 1985, 370). Dies gilt unabhängig davon, aus welchen Gründen das FA diesen Bescheid aufgehoben hat. Hierdurch hat das FA auch nicht nur eine Rechtsansicht geäußert, der kein Bindungswille zugrunde liegt und die somit nur deklaratorische Bedeutung besitzt (vgl. Urteil des BFH vom 29. Juli 1998 II R 64/95, a.a.O.)
21 
c) Die Grundsätze von Treu und Glauben stehen der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs durch die Klägerin nicht entgegen. Diese verlangen eine Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des anderen Beteiligten im Rahmen eines Steuerrechtsverhältnisses. Sie gebieten, dass im Rechtsverkehr jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten, auf das der andere vertraut hat, nicht in Widerspruch setzt (Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, 16. Auflage, § 4 Tz. 57).
22 
Nach diesen Grundsätzen ist die Finanzbehörde auch an eine falsche Sachbehandlung zugunsten des Steuerpflichtigen gebunden, es sei denn, der Steuerpflichtige hat die für diese Behandlung erheblichen Tatsachen unvollständig oder nicht wahrheitsgemäß offen gelegt (Tipke/Kruse, § 4 AO, Tz. 59).
23 
Es ist nicht erkennbar, inwieweit die Klägerin gegen Treu und Glauben verstoßen haben sollte. Die an dem Steuerrechtsverhältnis Beteiligten haben sich über die rechtliche Beurteilung eines unstreitigen Sachverhalts auseinandergesetzt. Schließlich hat sich das FA der - irrigen - Rechtsauffassung der Klägerin angeschlossen und den streitigen Steuerbescheid aufgehoben. Die Klägerin hat das FA aber nicht in einer dessen Vertrauen missbrauchenden Art und Weise zu diesem Tun veranlasst. Das FA hat vielmehr die von der Klägerin zutreffend geschilderten bzw. unstreitig gegebenen Umstände in einer Weise rechtlich gewürdigt, die sich später als unrichtig herausgestellt hat. Wenn das FA sich bezüglich der Beurteilung der Rechtslage unsicher gewesen wäre, hätte es eine Entscheidung durch das Gericht anstreben können. Verzichtet es hierauf, trägt es - wie auch der Steuerpflichtige im umgekehrten Fall - das Risiko, dass die Entscheidung u.U. unzutreffend ist. Im Übrigen hat der BFH in dem Urteil vom 29. Juli 1998 II R 64/95 (a.a.O.) auch auf frühere Entscheidungen hingewiesen, aus denen für das FA hätte erkennbar sein müssen, dass seine Entscheidung (Aufhebung des Steuerbescheids) evtl. rechtlich fehlerhaft sein könnte (BFH-Urteile vom 9. August 1991 III R 169/90, BFH/NV 1992, 433 und vom 26. März 1985 VIII R 225/83, BStBl II 1985, 603).
24 
Das FA hat hier nicht darauf vertraut, die Klägerin werde sich an der gemeinsam vertretenen unzutreffenden rechtlichen Würdigung festhalten lassen, sondern vielmehr darauf, dass seine (fehlerhafte) Auffassung, der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid 1981 sei unwirksam und daher aufzuheben, richtig ist. Ebenso wenig wie sich mit dem Grundsatz von Treu und Glauben eine Bindung der Finanzverwaltung an eine frühere Rechtsprechung bzw. frühere Verwaltungsauffassung begründen lässt, auch wenn der Steuerpflichtige sich hierauf eingestellt hat (z.B. durch die Rücknahme eines Rechtsbehelfs) und durch eine - spätere - Änderung der Rechtsprechung bzw. Verwaltungsauffassung sich sein früheres und heute ggf. nicht mehr verfolgbares Begehren als gerechtfertigt herausstellen sollte, lässt sich mit Treu und Glauben ein Festhalten des Steuerpflichtigen an einer unzutreffenden Auffassung der Finanzverwaltung begründen, wenn diese sich dem angeschlossen und entsprechende Maßnahmen getroffen hat (vgl. auch BFH-Urteil vom 30. April 1996 VII R 122/94, a.a.O.).
25 
Der BFH ist zwar im Falle des Urteils vom 17. Juni 1992 X R 47/88 (BStBl II 1993, 174) zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Kläger nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehindert sei, aus der Nichtigkeit eines Bescheides abgeleitete Erstattungsansprüche durchzusetzen, weil die Berufung auf die Nichtigkeit zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führt. Dies ist damit begründet worden, ein Kläger als Rechtsnachfolger des verstorbenen Steuerschuldners habe sich vom Bekanntwerden des Erbfalls an mit dem durch ihn veranlassten Mangel in der Bestimmtheit des Inhaltsadressaten nicht nur jahrelang abgefunden, sondern er habe ihn in der umfangreichen Korrespondenz mit dem FA und in förmlichen Verfahren auch aufrechterhalten. Es sei deshalb rechtsmissbräuchlich, wenn er sich nach langer Zeit des Rechtsfriedens allein zu Erstattungszwecken auf einen von ihm mitzuverantwortenden Bestimmtheitsmangel berufe.
26 
Der Streitfall ist mit dem vorstehenden Urteilsfall jedoch nicht vergleichbar. Es ist hier weder festgestellt noch ersichtlich, dass die Klägerin die Bekanntgabe der Steuerbescheide in dieser zur Fehlbeurteilung führenden Form veranlasst oder sie einen tatsächlichen Irrtum des FA aufrechterhalten hätte.
27 
2. Ob das FA berechtigt war, am 26. Juni 2001 einen auf § 171 Abs. 14 AO gegründeten neuen Einkommensteuerbescheid für 1981 nach Ablauf der Festsetzungsfrist zu erlassen und damit dem Erstattungsanspruch der Klägerin die Grundlage zu entziehen, bedarf hier keiner Entscheidung. Für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung - hier der Einspruchsentscheidung - maßgebend. Denn Gegenstand der Anfechtungsklage nach einem Vorverfahren ist der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat (§ 44 Abs. 2 FGO). Ob eine Zahlungsverpflichtung erloschen ist, kann das FA bei bestehenden Meinungsverschiedenheiten mit dem Steuerpflichtigen nur für einen ganz bestimmten Zeitpunkt entscheiden, so dass dieser Zeitpunkt auch den später ergehenden gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt werden muss (Beschluss des BFH vom 2. März 1971 VII R 74/68, BStBl. II 1971, 498). Da Gegenstand des vorliegenden Verfahrens der dem 6. September 1991 ergangenen Abrechnungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Februar 2001 ist, darf der am 26. Juni 2001 erlassene und auf § 171 Abs. 14 AO gestützte ESt-Bescheid 1981 hier nicht berücksichtigt werden. Über dessen Rechtmäßigkeit wird ggf. nach Zurückweisung des gegen diesen eingelegten Einspruchs in einem gesonderten Verfahren zu befinden sein.
28 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
29 
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
30 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO vorliegen.

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