Beschluss vom Finanzgericht Baden-Württemberg - 3 KO 1/05

Tatbestand

 
Streitig ist die Höhe des Streitwerts einer kurz nach Erhebung zurückgenommenen Klage (§ 52 Gerichtskostengesetz -GKG- in der seit 1. Juli 2004 anwendbaren Fassung).
Die Erinnerungsführerin (die Klägerin) ließ durch ihren Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 9. September 2004, der am 13. September 2004 beim Gericht einging, Klage gegen das Finanzamt (FA) … erheben. Die Klageschrift hatte zwischen der Angabe des vollständigen Rubrums und der Unterschrift folgenden Wortlaut:
"…
erhebe ich KLAGE
- Wegen Umsatzsteuer … und …
(Umsatzsteuerfestsetzung … vom …
Umsatzsteuerfestsetzung … vom …
Einspruchsentscheidung vom …)
- Erlass von Umsatzsteuer … und …
(Ablehnung des Antrags auf Erlass von Umsatzsteuer … und … vom …
Einspruchsentscheidung vom …)
Die Begründung werde ich nachreichen."
Nachdem die Klage dem FA zugestellt und ihr Eingang dem Prozessbevollmächtigten mit Schreiben des Gerichts vom 15. September 2004 bestätigt worden war, nahm sie der Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 13. Oktober, eingegangen am 14. Oktober 2004 zurück. Der Vorsitzende als Berichterstatter stellte das Klageverfahren mit Beschluss vom 14. Oktober 2004 … ein.
Die Kostenbeamtin des Senats setzte zunächst (Kostenrechnung vom …) die vierfache Gebühr für das Prozessverfahren in Höhe von 220 EUR nach einem Mindeststreitwert von 1.000 EUR an (§§ 34, 35, 52 GKG, Nr. 6110 des Kostenverzeichnisses -KV- zum GKG). Nach Abschluss des Verfahrens teilte das FA auf Anfrage der Urkundsbeamtin des Senats mit, der Streitwert belaufe sich auf …[rd. 300.000] EUR. Es verwies auf ein in Kopie vorgelegtes Schreiben des Prozessbevollmächtigten an das FA vom 1. Oktober 2003 u.a. mit folgendem Wortlaut:
"… beantragen wir … die abweichende Steuerfestsetzung
aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO bzw. den Erlass von Steuern
nach § 227 AO.
Der Antrag betrifft die Umsatzsteuer, die das Finanzamt …
wegen Nichtanerkennung des Widerrufs der Option festgesetzt hat.
Die niedriger festzusetzenden bzw. zu erlassenden Beträge belaufen
sich auf EUR … für … und EUR … für …"
Daraus ermittelte die Urkundsbeamtin einen Streitwert von …[rd. 300.000] EUR, aufgrund dessen die Kostenbeamtin nach KV-Nr. 6111 eine zweifache Gebühr für das Prozessverfahren in Höhe von …EUR ansetzte (Kostenrechnung vom …). Dagegen richtet sich die am … beim Gericht eingegangene Erinnerung der Klägerin, der die Kostenbeamtin nicht abgeholfen hat.
Die Klägerin macht geltend, aus der Klageschrift … habe ein Streitwert nicht abgeleitet werden können, da die Klage weder begründet noch ein bestimmter Antrag gestellt worden sei. Im Einspruchsverfahren seien zwar schriftliche Einwendungen gemacht worden, aus denen sich ein Streitwert für jenes Verfahren ergebe. Im Klageverfahren seien jedoch keinerlei Einlassungen zum Streitgegenstand gemacht, sondern nur Klage eingelegt und anschließend wieder zurückgenommen worden. Anders als in Fällen der Rechtsprechung (Beschluss des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 9. November 1992 VIII E 1/92, Sammlung von Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 1993, 680 m.w.N.) sei hier also nicht nur ein bezifferter Antrag unterlassen gewesen. Deshalb könne das Vorverfahren hier nicht herangezogen werden, um den Streitwert zu ermitteln. Wolle man den Streitwert alleine nach einem bezifferten Antrag bemessen, könnte ein Kläger durch einen geringfügigen Antrag den Streitwert einer noch nicht begründeten und anschließend zurückzunehmenden Klage willkürlich vermindern.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Kostenrechnung vom … im Klageverfahren … zu ändern und die Kosten nach einem Streitwert von 1.000 EUR auf 110 EUR anzusetzen.
10 
Der Bezirksrevisor beantragt, die Erinnerung zurückzuweisen.
11 
Der Streitwert sei zutreffend nach dem finanziellen Interesse der Klägerin bestimmt worden, das die Klägerin gegenüber dem FA angegeben habe. Nachdem die Klägerin im finanzgerichtlichen Verfahren keinen bezifferten Antrag gestellt habe, sei der Streitwert nach der Rechtsprechung (a.a.O.) aus dem gesamten Vorbringen zu ermitteln. Das Vorbringen aus dem Vorverfahren sei dabei einzubeziehen.
12 
Beigezogen wurden die Akten des Klageverfahrens ….

Entscheidungsgründe

 
13 
Die Erinnerung ist unbegründet.
14 
Dem Kostenansatz wurde zutreffend der Streitwert des Klageverfahrens zugrunde gelegt, der sich aus dem Anfechtungsbegehren der Klägerin im Einspruchsverfahren ergibt, denn dies entsprach nach den aus der Klage ersichtlichen Anhaltspunkten auch dem finanziellen Interesse an der weiteren Anfechtung im gerichtlichen Verfahren (§ 52 Abs. 1 GKG).
15 
Die Klageschrift enthielt weder einen bezifferten noch überhaupt einen konkretisierten Antrag und kündigte einen solchen nicht ausdrücklich an. Seitens der Klägerin wurden auch sonst keinerlei Ausführungen gemacht, die das Klagebegehren hätten bezeichnen können (§ 65 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Dennoch ließ sie ansatzweise erkennen, um welche Streitfragen es der Klägerin ging, denn die Klageschrift führte sowohl bestimmte Steuerbescheide als auch Bescheide über einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen zusammen mit den jeweiligen Entscheidungen über außergerichtliche Rechtsbehelfe im Einzelnen auf. Damit gab die Klägerin zu erkennen, dass sie sich gegen die ihr nachteiligen Entscheidungen des FA in diesen Bescheiden wenden wollte. Mit der Angabe der Einspruchsentscheidungen ist außerdem das Interesse an der weiteren, gerichtlichen Anfechtung der ursprünglichen Verwaltungsakte auf die in den außergerichtlichen Rechtsbehelfen umstrittenen Fragen begrenzt. Somit lässt sich die wirtschaftliche Bedeutung der Klageerhebung bereits anhand des Inhalts der Klageschrift abschätzen.
16 
Lediglich zur näheren Bestimmung des Umfangs der Anfechtung muss auf die in der Klageschrift in Bezug genommenen Einspruchsentscheidungen und das vorangegangene Rechtsbehelfsverfahren zurückgegriffen werden. Für das Klageverfahren hat die Urkundsbeamtin daher zutreffend den dortigen Antrag der Klägerin ermittelt und der Streitwertermittlung zugrunde gelegt (vgl. die BFH-Rechtsprechung zur Bestimmung des Streitwerts im gerichtlichen Revisions- oder Beschwerde-Verfahren anhand der Beschwer in der Entscheidung der ersten Instanz, z.B. im vom Bezirksrevisor angeführten Beschluss vom 9. November 1992 VIII E 1/92, BFH/NV 1993, 680, später Beschluss vom 17. August 2000 X E 3/99, BFH/NV 2001, 193, jeweils m.w.N.). Ob die Summe der Steuerbeträge, deren Herabsetzung auf zwei unterschiedliche Weisen verfolgt wurde und über die das FA in mehreren Bescheiden und Rechtsbehelfsverfahren entschieden hat, dabei zutreffend nur einfach angesetzt wurde, obwohl es sich bei deren Anfechtung um eine objektive Klagehäufung handelte, kann offen bleiben. Dies könnte dadurch gerechtfertigt sein, dass die jeweiligen Steuerbeträge im Festsetzungs- und im Erlass-Verfahren identisch waren.
17 
Da andererseits Anhaltspunkte fehlen, das außergerichtliche Begehren der Klägerin, genau bezifferte Umsatzsteuer-Beträge aus bestimmt bezeichneten realen Vorgängen entweder aus Rechtsgründen oder im Wege der Billigkeitsentscheidung herabzusetzen oder zu erlassen, könne im Klageverfahren nur eingeschränkt verfolgt werden, war der Streitwert der Einspruchsverfahren ungekürzt zu übernehmen (vgl. für das gerichtliche Beschwerde-Verfahren BFH-Beschluss vom 20. März 2003 IX E 3/03, BFH/NV 2003, 936). Bei der Natur dieser Streitpunkte fehlt auch sachlich jeder Anhaltspunkt für eine nur teilweise Fortführung des Streits im Wege der Klage. Der Streitwert in Höhe des somit zutreffend festgestellten umstrittenen Steuerbetrags wird auch nicht dadurch vermindert, dass die Klägerin nach ihrem weiteren prozessualen Verhalten die Klage offensichtlich nur vorsorglich und "fristwahrend" erhoben hatte. Gerade damit verfolgte sie ihr Interesse an der fraglichen Steuerminderung zunächst weiter, wodurch die Erhebung und Berechnung der Gerichtsgebühren anhand dieses Steuerbetrags als Streitwert gerechtfertigt ist. Die geringere Belastung des Gerichts infolge alsbaldiger Rücknahme berücksichtigt das Kostenrecht durch Halbierung der Gebührenhöhe (KV-Nr. 6111 zum GKG).
18 
Da der Wert des mit der Klage verfolgten Interesses sich im Fall der Klägerin somit aus den verfügbaren Anhaltspunkten ermitteln lässt, besteht kein Anlass, anhand des Gesamtbetrags der festgesetzten Steuern den Streitwert auf die Hälfte dieser Summe zu schätzen (so z.B. BFH-Beschluss vom 4. Oktober 1996 X R 131/96, BFH/NV 1997, 196 m.w.N.). Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen für den sog. Auffang-Streitwert von 5.000 EUR vor (§ 52 Abs. 2 GKG), wie er häufig bei unzulässigen Klagen für zutreffend gehalten wird (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 5. November 1997 XI E 2/97, BFH/NV 1998, 487 m.w.N.). In keinem Fall zutreffend ist der von der Klägerin beantragte Mindeststreitwert (§ 52 Abs. 4 GKG).
19 
Da die Erinnerung somit erfolglos bleiben musste, hat die Klägerin die Kosten zu tragen (§ 135 Abs. 1 FGO).
20 
Das Erinnerungsverfahren ist jedoch gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG).

Gründe

 
13 
Die Erinnerung ist unbegründet.
14 
Dem Kostenansatz wurde zutreffend der Streitwert des Klageverfahrens zugrunde gelegt, der sich aus dem Anfechtungsbegehren der Klägerin im Einspruchsverfahren ergibt, denn dies entsprach nach den aus der Klage ersichtlichen Anhaltspunkten auch dem finanziellen Interesse an der weiteren Anfechtung im gerichtlichen Verfahren (§ 52 Abs. 1 GKG).
15 
Die Klageschrift enthielt weder einen bezifferten noch überhaupt einen konkretisierten Antrag und kündigte einen solchen nicht ausdrücklich an. Seitens der Klägerin wurden auch sonst keinerlei Ausführungen gemacht, die das Klagebegehren hätten bezeichnen können (§ 65 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Dennoch ließ sie ansatzweise erkennen, um welche Streitfragen es der Klägerin ging, denn die Klageschrift führte sowohl bestimmte Steuerbescheide als auch Bescheide über einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen zusammen mit den jeweiligen Entscheidungen über außergerichtliche Rechtsbehelfe im Einzelnen auf. Damit gab die Klägerin zu erkennen, dass sie sich gegen die ihr nachteiligen Entscheidungen des FA in diesen Bescheiden wenden wollte. Mit der Angabe der Einspruchsentscheidungen ist außerdem das Interesse an der weiteren, gerichtlichen Anfechtung der ursprünglichen Verwaltungsakte auf die in den außergerichtlichen Rechtsbehelfen umstrittenen Fragen begrenzt. Somit lässt sich die wirtschaftliche Bedeutung der Klageerhebung bereits anhand des Inhalts der Klageschrift abschätzen.
16 
Lediglich zur näheren Bestimmung des Umfangs der Anfechtung muss auf die in der Klageschrift in Bezug genommenen Einspruchsentscheidungen und das vorangegangene Rechtsbehelfsverfahren zurückgegriffen werden. Für das Klageverfahren hat die Urkundsbeamtin daher zutreffend den dortigen Antrag der Klägerin ermittelt und der Streitwertermittlung zugrunde gelegt (vgl. die BFH-Rechtsprechung zur Bestimmung des Streitwerts im gerichtlichen Revisions- oder Beschwerde-Verfahren anhand der Beschwer in der Entscheidung der ersten Instanz, z.B. im vom Bezirksrevisor angeführten Beschluss vom 9. November 1992 VIII E 1/92, BFH/NV 1993, 680, später Beschluss vom 17. August 2000 X E 3/99, BFH/NV 2001, 193, jeweils m.w.N.). Ob die Summe der Steuerbeträge, deren Herabsetzung auf zwei unterschiedliche Weisen verfolgt wurde und über die das FA in mehreren Bescheiden und Rechtsbehelfsverfahren entschieden hat, dabei zutreffend nur einfach angesetzt wurde, obwohl es sich bei deren Anfechtung um eine objektive Klagehäufung handelte, kann offen bleiben. Dies könnte dadurch gerechtfertigt sein, dass die jeweiligen Steuerbeträge im Festsetzungs- und im Erlass-Verfahren identisch waren.
17 
Da andererseits Anhaltspunkte fehlen, das außergerichtliche Begehren der Klägerin, genau bezifferte Umsatzsteuer-Beträge aus bestimmt bezeichneten realen Vorgängen entweder aus Rechtsgründen oder im Wege der Billigkeitsentscheidung herabzusetzen oder zu erlassen, könne im Klageverfahren nur eingeschränkt verfolgt werden, war der Streitwert der Einspruchsverfahren ungekürzt zu übernehmen (vgl. für das gerichtliche Beschwerde-Verfahren BFH-Beschluss vom 20. März 2003 IX E 3/03, BFH/NV 2003, 936). Bei der Natur dieser Streitpunkte fehlt auch sachlich jeder Anhaltspunkt für eine nur teilweise Fortführung des Streits im Wege der Klage. Der Streitwert in Höhe des somit zutreffend festgestellten umstrittenen Steuerbetrags wird auch nicht dadurch vermindert, dass die Klägerin nach ihrem weiteren prozessualen Verhalten die Klage offensichtlich nur vorsorglich und "fristwahrend" erhoben hatte. Gerade damit verfolgte sie ihr Interesse an der fraglichen Steuerminderung zunächst weiter, wodurch die Erhebung und Berechnung der Gerichtsgebühren anhand dieses Steuerbetrags als Streitwert gerechtfertigt ist. Die geringere Belastung des Gerichts infolge alsbaldiger Rücknahme berücksichtigt das Kostenrecht durch Halbierung der Gebührenhöhe (KV-Nr. 6111 zum GKG).
18 
Da der Wert des mit der Klage verfolgten Interesses sich im Fall der Klägerin somit aus den verfügbaren Anhaltspunkten ermitteln lässt, besteht kein Anlass, anhand des Gesamtbetrags der festgesetzten Steuern den Streitwert auf die Hälfte dieser Summe zu schätzen (so z.B. BFH-Beschluss vom 4. Oktober 1996 X R 131/96, BFH/NV 1997, 196 m.w.N.). Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen für den sog. Auffang-Streitwert von 5.000 EUR vor (§ 52 Abs. 2 GKG), wie er häufig bei unzulässigen Klagen für zutreffend gehalten wird (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 5. November 1997 XI E 2/97, BFH/NV 1998, 487 m.w.N.). In keinem Fall zutreffend ist der von der Klägerin beantragte Mindeststreitwert (§ 52 Abs. 4 GKG).
19 
Da die Erinnerung somit erfolglos bleiben musste, hat die Klägerin die Kosten zu tragen (§ 135 Abs. 1 FGO).
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Das Erinnerungsverfahren ist jedoch gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG).

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